Beitrag aus: „Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2011“ 2.3.1.1 Salafistische Bestrebungen in Deutschland Der Salafismus, der erst vor wenigen Jahren in den Fokus der Sicherheitsbehörden gerückt ist, gilt sowohl in Deutschland wie auch international als die zurzeit am schnellsten wachsende islamistische Bewegung. Unter dem Oberbegriff Salafismus versteht man eine vom Wahhabismus1 geprägte, islamistische Strömung, die sich an den Vorstellungen der ersten drei Generationen der Muslime, der so genannten frommen Altvorderen (arab. alsalaf-al-salih), orientiert. Der Koran und die Überlieferungen des Propheten Muhammad (die Sunna) sind nach salafistischer Vorstellung als grundlegende Quellen des Islam die unabänderbaren Grundfesten für Glauben, religiöse Praxis und Lebensführung. Anpassungen der Islamauslegung an veränderte gesellschaftliche und politische Gegebenheiten werden durch Salafisten als „unislamische Neuerungen“ kategorisch abgelehnt und führen – so die Vorstellung – zwangsläufig zum „Unglauben“. Damit eng verbunden ist die Abwertung von abweichenden Ansichten. Der salafistischen Szene in der Bundesrepublik Deutschland werden rund 3.800 Personen zugeordnet. Der Salafismus wird hier in politischen und jihadistischen Salafimus unterteilt. Politischer und jihadistischer Salafismus unterscheiden sich weniger in ihrer Zielsetzung als viel mehr in der Wahl der Mittel. Der politische Salafismus setzt auf intensive Propagandatätigkeit (da`wa), um seine Ideologie zu verbreiten und somit gesellschaftlichen und politischen Einfluss zu gewinnen. Das Ziel besteht schließlich in der Errichtung einer vermeintlich idealen islamischen Gesellschaft. Die Vertreter des jihadistischen Salafismus – sie verfolgen das selbe Ziel – befürworten dagegen offen die Anwendung von Gewalt, um eine entsprechende Gesellschaft zu errichten. Beide Strömungen stützen sich dabei auf dieselben Autoritäten und Vordenker und teilen die Vision einer idealen islamischen Gemeinschaft nach dem Vorbild des Koran, der Sunna und den Vorstellungen der Altvorderen und unter vollständiger Anwendung der Scharia. In Verlautbarungen (Seminaren, religiösen Vorträgen) und Schriften von Salafisten, die der breiten Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, werden die im Gegensatz zur Verfassung der Bundesrepublik Deutschland stehenden tatsächlichen Absichten von Salafisten sichtbar, die auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinauslaufen würden. Die Mehrzahl der salafistischen Einrichtungen (z. B. Moscheevereine) in Deutschland ist dem Phänomenbereich des politischen Salafismus zuzurechnen. Die Auswertung von Radikalisierungsverläufen von Anhängern des Salafismus zeigt jedoch, dass die Übergänge zwischen politischem und jihadistischem Salafismus fließend sind. Fast alle sicherheitsrelevant gewordenen Personen mit Deutschlandbezug, die den gewaltsamen Jihad (den heiligen Krieg) befürworten oder sich ihm angeschlossen sogar haben, hatten Kontakt mit Trägern salafistischer Bestrebungen. Beispiel hierfür ist die so genannte Sauerlandgruppe2 die über ein salafistisches Netzwerk in internationale Zusammenhänge des islamistischen Terrorismus eingebunden war. Der Salafismus kann daher als ideologischer Nährboden für die Befürwortung und Ausübung von Gewalt zur Durchsetzung eigener Ziele gewertet werden. 1 2 Der Wahhabismus ist eine auf Muhammad Ibn Abdalwahhab (1703-1792) zurückgehende und in Zentralarabien entstandene Lehre. Er orientiert sich weitgehend an der hanbalitischen Rechtsschule und vertritt die Reinigung des Islam von späteren „Neuerungen“. Der Wahhabismus ist die Staatsreligion Saudiarabiens und die einflussreichste ideologische Strömung innerhalb des Salafismus. Als Sauerlandgruppe werden drei im September 2007 im Sauerland verhaftete Sprengstoffattentäter bezeichnet, die lt. Anklage der Staatsanwaltschaft mit im Vorfeld beschafften Chemikalien Anschläge auf US-amerikanische Einrichtungen in Deutschland geplant hatten. Später wurden außerhalb Deutschlands weitere Mitglieder/ Unterstützer der Sauerlandgruppe verhaftet. Mitglieder dieser Gruppe wurden zwischenzeitlich zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Siehe Bundesverfassungsschutzbericht 2010, S. 205 f. Seite 1 von 3 Beitrag aus: „Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2011“ Salafistische Missionierungsarbeit wird in der Öffentlichkeit hauptsächlich durch Veranstaltungen wie Islamseminare bzw. -vorträge durch salafistische „Prediger“ oder insbesondere auch durch „Infostände“ in Fußgängerzonen von Großstädten wahrgenommen, an denen entsprechendes Informationsmaterial (Flugblätter, Broschüren etc.) verteilt wird. Diese Infostände werden in der Regel durch stark vernetzte salafistische Moscheegemeinden ausgerichtet. Dort ausgeteilte Schriften stehen z. T. auf der Indizierungsliste der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. So z. B. eine von Abdul Rahman AL-SHEHA unter der Überschrift „Frauen im Schutz des Islam“ stehende Veröffentlichung3. Die zentrale Rolle bei der Verbreitung der salafistischen Propaganda hat das Internet. Schriften, Videos und Audios salafistischer „Gelehrter“ werden in deutscher Übersetzung bzw. deutscher Sprache in Chats, Foren und Videokanälen ausgetauscht. Hier kursieren auch islamische Rechtsgutachten (Fatwas) salafistischer „Rechtsgelehrter“ mit überregionaler Bedeutung zu verschiedenen islamrechtlichen Fragen. Zahlreiche Kurzvideos werden zudem über das Internetportal YouTube verbreitet. Salafistische Propagandatätigkeit, bei der extremistische Botschaften verbreitet werden, findet vor allem in nichtöffentlichen Veranstaltungen statt. Die Grundpfeiler der Ideologie des politischen und des jihadistischen Salafismus sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Beide Spektren des Salafismus vertreten eine politisierte Islamauffassung. Der Islam wird als eine soziale, normative Ordnung nach dem Willen Gottes und als die für die gesamte Menschheit verbindliche Gesellschaftsform verstanden. Diese Islamauffassung ist u. a. unvereinbar mit der im Grundgesetz festgelegten parlamentarischen Demokratie, denn Gesetze können dieser Ideologie zufolge nur von Gott (Gott als Souverän) und nicht vom Volke gemacht werden. Gesetze und Normen, die Ergebnisse demokratischer Prozesse sind, sind nach salafistischem Verständnis abzulehnen. In einer in verschiedenen salafistischen Foren verbreiteten Stellungnahme zur Demokratie heißt es beispielweise: „Demokratie ist eine falsche Religion des 21. Jahrhunderts (…) die die Heiligkeit des Allmächtigen Gottes (Allah) bedroht. Sie gesellt Gott andere bei, indem sie Sein ausschließliches Recht der Gesetzgebung den Menschen zuschreibt (…). Somit ist Demokratie nur durch diese Tatsache eine polytheistische Religion.“ „Demokratie verdirbt den Geist Der Verstand der Menschen, die unter der Demokratie leben, ist moduliert worden.“4 In Verlautbarungen und Schriften von Salafisten finden sich zudem Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht bereit sind, die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte zu achten. Dazu zählt z. B. das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Abs. 2 GG. Auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau aus Artikel 3 Abs. 2 GG wird in Abrede gestellt. 3 4 Diese wurde im Jahr 2009 wegen religiöser Rechtfertigung von Gewalt gegenüber Frauen indiziert. „Islam VS Demokratie“, S. 2, http://salafihd.com/salafmedia.de2/shariah-a-fiqh/shariah. Seite 2 von 3 Beitrag aus: „Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2011“ In der von Abdul-Rahman AL-SHEHA, einem vermutlich saudischen Autor verfassten Schrift „Missverständnisse über Menschenrechte im Islam“ findet sich eine Passage zur Rechtfertigung der Todesstrafe für vom islamischen Glauben „Abtrünnige“: „Die islamische Schari`ah spricht diese Strafe (Anm.: die Todesstrafe) gegen denjenigen aus, der dem Islam als Lebensweise den Rücken kehrt und seine Gesetze und Regeln ablehnt, wie aus dem Hadith, der Sunnah, Überlieferung des Propheten hervorgeht.(…) Wir sollten die folgenden Punkte betrachten (…): Einer Person, die den Islamischen Glauben ablehnt, sollte eine Gelegenheit von drei aufeinanderfolgenden Tagen gegeben werden, um zur Gemeinschaft des Islam zurückzukehren. (…) Wenn diese Person zur Gemeinschaft des Islam zurückkehrt, wird sie freigelassen; wenn nicht, wird die Strafe vollzogen. Die Tötung eines Abtrünnigen ist 5 in Wirklichkeit eine Erlösung für die restlichen Mitglieder der Gesellschaft.“ In einer weiteren Schrift des selben Autors ist wiederum zu lesen: „Rechte des Ehemannes gegenüber seiner Frau Diese Rechte werden im Folgenden zusammengefasst: - Eine Art Vormundschaft, die der Islam regelt, um die Leitung des Hauses reibungslos zu garantieren. (…) Der Grund dieser Vollmacht besteht auch darin, dass die Männer sich mit den Geschehnissen eher mit ihrem Verstand befassen, die Frauen im Gegensatz dazu meistens mit ihren Emotionen (…) - Sie muss ihm gehorchen und seine Befehle durchführen, solange sie keine Sünden zur Folge haben.“6 Beide zuvor genannten Schriften wurden 2008 in Buchform auch an Infoständen der ALRAHMAN-MOSCHEE in der Leipziger Innenstadt verteilt. Aus diesem Grund besteht der Verdacht, dass der Moscheeverein das in den Schriften verbreitete Gedankengut teilt und befürwortet. 5 6 Abdul-Rahman al-Sheha, „Missverständnisse über Menschenrechte im Islam“, S. 137 f. Abdurrahman al-Sheha, „Botschaft des Islam”, S. 146 f. Seite 3 von 3