martin luther judentum - Reformationsjubiläum 1517 - 2017

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M ART IN LUT H E R UND DAS JUD E NT UM
MARTIN
L UTHER
183
UND DAS
J UDENTUM
R ÜCKBLICK UND
AUFBRUC H
Informationen zur Wanderausstellung
1
Wanderausstellung
Martin Luther und das Judentum – Rückblick und Aufbruch
Die Ausstellung besteht aus insgesamt 17 Rollups, zwölf breiten und
fünf schmalen. Auf drei Textilbannern mit Hängevorrichtung befinden sich
Impressum, Autoren-Kurzbiografien und Bildnachweis.
Zur Ausleihe kontaktieren Sie bitte:
Pfarrer Dr. Bernd Krebs
Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
Georgenkirchstr. 69
10249 Berlin
Tel. 030/24344 – 381
[email protected]
Publikation
Der durchgehend farbige Katalog enthält den gesamten Inhalt der Ausstellung,
dazu einen geschichtlichen Überblick und ein ausführliches Literaturverzeichnis.
Format DinA5 quer, Hardcover, 192 Seiten.
Eine Ausstellung der Evangelischen Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
und des Touro College Berlin
Eine englische Version wird vorraussichtlich im Herbst 2016 erscheinen.
Werbemittel
Gefördert durch die
Da die Werbemittel konsequent im Erscheinungsbild gehalten werden sollen,
aktualisieren wir sie nach Ihren Vorgaben. Es existieren bereits Vorlagen für
Flyer und DinA Plakat hoch zur allgemeinen Ankündigung und ggfs. einem Rahmenprogramm. Sie können entweder Druckvorlagen oder auch fertig gedruckte
Produkte bestellen. Weitere Werbemittel auf Anfrage.
Für die Anpassung und Anfragen zu Druckpreisen kontaktieren Sie bitte unsere
Grafikerin Bettina Kubanek: [email protected] | (030) 52 66 34 15
Übersicht
martin L ut h e r
und das
J ude nt um
2
Denn es ist eine große Gefahr, die vorigen Dinge zu vergessen
und wieder in sie hineinzugeraten.
Martin Luther in seiner Vorlesung über das 1. Buch Mose, 1535–1545
Martin Luther hat ein schwieriges Erbe hinterlassen.
In der Anfangszeit der Reformation hat er dafür plädiert, die Juden menschlich zu behandeln. Später hat
er sie unerträglich geschmäht und die Anwendung von
Gewalt gegen sie gefordert. Auch sein übriges Schrifttum lässt keinen Raum für jüdisches Leben. Alles
Licht fällt auf die Seite des Evangeliums, alles Dunkel
auf die jüdische Seite, symbolisiert vom Gesetz ohne
Gnade.
Lucas Cranach senior und junior, ihre Werkstatt und
andere Künstler haben diese Auffassung Luthers auf
vielen Bildern umgesetzt. Von zwei Beispielen nimmt
die Ausstellung ihren Ausgang. Durch die Aussagekraft von Cranachs Bildern und durch Luthers eigene
Schriften ist dessen negative Sicht des Judentums
durch die Jahrhunderte hin wirksam geworden. Das
jüdische Selbstbild blieb bedeutungslos, obwohl Jesus,
wie Luther anfangs betonte, „ein geborner Jude“ war.
Auf den historisch angeordneten Tafeln erhalten jüdische und christliche Perspektiven Raum. Sie sind durch
farbige Hintergrundflächen gekennzeichnet:
christlich
jüdisch
Übereinstimmend mit der Zusammensetzung der
Arbeitsgruppe ist auch der überwiegende Teil der
Texte, die die jüdische Seite betreffen, von christlichen
Mitgliedern verfasst.
Erst nach dem Holocaust haben die evangelischen
Kirchen begonnen, sich dem lastenden Erbe von
Luthers Judenfeindschaft zu stellen. Hier reiht sich die
Ausstellung ein. Sie wird von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und
dem Touro College Berlin getragen und ist von einer
Arbeitsgruppe beider Institutionen erarbeitet worden.
rückbLick und
Eine Ausstellung der Evangelischen Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
und des Touro College Berlin
aufbruch
Ausstellungstafeln, nummeriert
(RollUps: 12 Stück breit 150 x 230cm / 5 Stück schmal: b 80 x h 230cm)
Gefördert durch die
1
ei n e b i b e L – z w e i L e k t ü r e n
2
di e a n f ä n g e –
J u d e n t u m u n d a Lt e k i r c h e
3
weLtLiche macht, kirche und
Jüdische gemeinden im mitteLaLter
Martin Luther steht in Traditionen, die bis an die Anfänge des Christentums zurückreichen.
Im Rahmen seiner Auslegung der Bibel hat er sie teils in ihrer ursprünglichen Form,
teils in der Gestalt aufgenommen, in der sie im Lauf der Kirchengeschichte ausgeprägt wurden.
Jene Anfänge der Kirche aber sind nicht ohne ihre Verwur
zelung in der
biblisch-jüdischen Geschichte zu verstehen.
Die 1000-jährige Zeit des christlichen Mittelalters (500–1500) ist für das Judentum in weiten Teilen Europas eine Epoche von
anfänglichem Miteinander und erzwungenem späterem Niedergang. Zuerst heißt man die Juden aufgrund ihrer Fertigkeiten
willkommen. Später betrachtet man sie als unliebsame Konkurrenten auf wirtschaftlichem und religiösem Gebiet und
diskriminiert, verfolgt, vertreibt oder ermordet sie. Dennoch hat es auch in dunklen Zeiten Phasen eines friedlichen Miteinanders
von Christen und Juden sowie kaiserlichen und päpstlich-bischöflichen Schutz jüdischer Gemeinden gegeben.
Die wenigsten Menschen konnten im 16. Jahrhundert lesen und schreiben.
So hat der Wittenberger Maler Lucas Cranach die Lehre Martin Luthers
(1483–1546) und der Reformation auf einem leicht verständlichen und
oft von ihm und anderen wiederholten Bild für alle zusammengefasst. Aus
christlicher Sicht könnte man es überschreiben:
Der Herr wird euch selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau
wird schwanger sein und einen Sohn gebären. ( Jes. 7,14)
Es wird offenbart Gottes Zorn vom Himmel über aller
Menschen gottloses Wesen und Unrecht. (Röm. 1,18)
lichT s TaTT Dunkel
In jüdischer Sicht ist das Lehrbild Cranachs lückenhaft. Von
der Zuwendung des Schöpfers zu den Kindern Israel und
dem Versprechen seiner bleibenden Treue findet sich kaum
eine Spur. Vor allem lässt das Bild nichts von dem Wichtigsten erahnen: Das Gesetz, die von Mose auf dem Berg Sinai
empfangene Tora, ist für Jüdinnen und Juden in erster Linie
nicht Ankläger, sondern eine kostbare Gabe. Sie ist mit Dank
und Treue zu beantworten, dem Evangelium vergleichbar.
Auf der rechten Bildseite steht vorn der verlorene Mensch.
Johannes der Täufer verweist ihn auf den gekreuzigten
Christus. Ein Blutstrahl geht von dem Gekreuzigten aus, der
den Menschen von seinen Sünden reinigt. Unter dem Kreuz
aber entsteigt der auferstandene Christus dem Grab, unter
seinen Füßen die besiegten beiden Monster. Im Hintergrund
des Bildes wird die Vorgeschichte der Erlösung angedeutet:
Maria empfängt das Jesuskind vom Himmel herab, den Hirten auf dem Felde wird die Weihnachtsbotschaft verkündigt
und eine Erzählung aus dem Alten Testament deutet auf das
erlösende Geschehen am Kreuz voraus.
Sie sind allzumal Sünder und mangeln, dass
sie sich Gottes nicht rühmen mögen (können).
(Röm. 3,23)
Die Sünde ist des Todes
Durch das Gesetz kommt
Spieß, aber das Gesetz ist Erkenntnis der Sünden.
(Röm. 3,20)
der Sünden Kraft.
Das Gesetz und die und
die Propheten gehen bis auf
die Zeit des Johannes.
(1. Kor. 15,56)
Das Gesetz richtet
Zorn an. (Röm. 4,15)
(Mt. 11,13)
Der Gerechte lebt seines
Glaubens. (Röm. 1,17)
Wir halten (dafür), dass
ein Mensch gerecht werde durch den Glauben,
ohne Werke des Gesetzes.
(Röm. 3,28)
Siehe, das ist Gottes Lamm,
das der Welt Sünde trägt.
Johannes der Täufer. ( Joh. 1,29)
In der (durch die) Heiligung
des Geistes zum Gehorsam und
zur Besprengung des Blutes
(mit dem Blut) Jesu Christi.
(1. Petr. 1,2)
Der Tod ist verschlungen im
Sieg. Tod, wo ist dein Spieß?
Hölle, wo ist dein Sieg?
Dank habe Gott, der uns den
Sieg gibt durch Jesus Christus,
unsern Herrn.
(1. Kor. 15,54–55)
1 Oft sind den Lehrbildern am oberen und unteren Rand die Bibelstellen vor allem aus dem Neuen
Testament beigegeben, auf die sich die einzelnen Teile des Bildes stützen. So ist es auch bei diesem Bild
Gesetz und Evangelium aus der Werkstatt Lucas Cranachs, nach 1529
eine zusammenfassung der Theologie luthers
Außer von Lucas Cranach (1472–1553) sind Lehrbilder dieser Art von seinem gleichnamigen Sohn (1515–1586), von
seiner Werkstatt, von seinen Schülern und anderen Malern
angefertigt worden. Meistens sind sie farbig und auf Holz
gemalt. Gelegentlich sind die erklärenden Bibelverse wie auf
dem nebenstehenden Bild lateinisch beigegeben.
Dieses Bild stammt von Lucas Cranach senior oder junior.
Es ist wie der obige Holzschnitt eine „gemalte Zusammenfassung der Theologie Luthers“ (Martin Treu). Es beschließt
deshalb auch den biografischen Rundgang durch die Dauerausstellung des Lutherhauses in Wittenberg.
2 Unten: Lucas Cranach d. Ä. / d. J., Gesetz und Gnade, um 1550
Die Reichweite
Die alttestamentliche Erzählung vom rettenden Anblick der
ehernen Schlange (4. Mose 21; vergleiche Johannes 3) ist auf
dem farbigen Tafelbild – anders als auf dem Holzschnitt – im
Hintergrund der linken Bildhälfte angedeutet. Neben diesem
Unterschied gibt es weitere.
Die beherrschende Bildanlage aber bleibt auf fast allen Bildern gleich: Auf der rechten Hälfte ist die befreiende Botschaft der Reformation nachgezeichnet. Auf der linken Seite
werden das Elend des Menschen und seine Zukunftslosigkeit ins Bild gesetzt. Symbol dafür ist die verdorrte Baumhälfte in der Mitte des Bildes. In die Düsternis der linken
Bildhälfte gerät zusammen mit allen Menschen auch die
jüdische Gemeinschaft.
3 Lucas Cranach d. Ä. / d. J., Epitaph-Flügelaltar für Herzog Johann Friedrich von Sachsen
und seine Familie, 1555 (Ausschnitt, gesamtes Bild auf Tafel 6)
Der Ausschnitt mit den Porträts von Lucas Cranach d. Ä. und Martin Luther ist dem
Mittelteil des Altarbildes in der Stadtkirche St. Peter und Paul in Weimar entnommen.
Das Bild wird beherrscht von einer Darstellung des Gekreuzigten, von dem ein sühnender Blutstrahl auf das Haupt des Malers niedergeht. Im hier nicht wiedergegebenen
Hintergrund des Bildes sind weitere Motive des Themas „Gesetz und Gnade“ wiederholt. Auf diese Weise hat Cranach sich selber in die Aussage des von ihm so oft gemalten Motivgeflechts einbezogen.
Das Blut Jesu Christi
reiniget vnns
(von) allen sunnden.
In (der er)sten Epis(tel)
Joan(nis)
am I Ca(pitel):
Darum so last vns
hin zu tretten mit
Freidigkeit zu dem Gnadenstul auff das wir
Barmherezigkeit empfa-
T e m p e l u n D T o Ra
Die ganze BiB el auf einem BilD
Auf der linken Seite im Hintergrund werden Adam und Eva
von der Schlange verführt. Sie übertreten das göttliche Gebot
und werden von den Monstern Tod und Teufel in die Feuerhölle getrieben. Mose, begleitet von den Propheten, hält
dem fliehenden Menschen das übertretene göttliche Gesetz
entgegen, das den Sünder verklagt. Über allem aber thront
Christus als Richter, der das Urteil spricht.
Auf dem Berg Sinai empfängt Mose außer den beiden Bundestafeln auch die Gesetze für den späteren Bau des Tempels
und für die Anfertigung seiner Kultgeräte (2. Mose 25–31).
Die Dekalogtafeln erhalten ihren Platz in der Bundeslade.
Sie ist der Ort der unsichtbaren Gegenwart Gottes in seinem Volk und erhält später ihren Platz im Allerheiligsten des
Tempels in Jerusalem.
Nach der Zerstörung des Ersten Tempels (586 v. d. Z.)
beginnt das Exil der Juden in Babylon und am Ende des
6. Jahrhunderts die Zeit des Zweiten Tempels. In politischen und gesellschaftlichen Konflikten bildet das Judentum
im Land Israel neue Lebensformen aus. In den umliegenden
Ländern entstehen blühende Diasporagemeinden.
erbe und auftrag
Alter christlicher Tradition folgend hat Martin Luther die
Kirche als alleinige Erbin und allein befähigte Auslegerin
der Bibel gesehen. Er hat jüdisches Verständnis der Bibel,
insbesondere des Gesetzes, an zahllosen Stellen attackiert.
Gelegentlich hat er verständnisvolle Worte für die Lage der
Juden. Auch finden sich manche bemerkenswerten Aussagen
über das Gesetz. Ungeachtet dessen ist der Reformator vor
Schmähworten gegen die jüdische Gemeinschaft und ihren
Umgang mit dem Gesetz, vor verleumderischen Anschuldigungen und vor Aufrufen zu ihrer Vertreibung nicht zurückgeschreckt.
1 Mose gibt den Israeliten die Bundestafeln kund und
legt sie in die Bundeslade.
Weltchronologie, Niederlande, 15. Jahrhundert
5 Juliana Heidenreich, Schall und
Rauch am Berg Gottes, 2004
Auf Hebräisch ist – als mündliche
Rede im Wolkendunkel der Offenbarung zerfließend – der Anfang der
Bundestafeln zu lesen: „Ich bin der
HErr, dein Gott, der dich aus Ägypten herausgeführt hat, aus dem Sklavenhause. Du sollst nicht haben …“
(2. Mose 20,2).
Rechts darunter folgt in Druckbuchstaben die Fortsetzung dieses Gebotes: „andere Götter neben mir …“.
Auf der gegenüberliegenden Seite des
Berges steht der Anfang von 2. Mose
19 (V. 1–10), der Bericht über die
Vorbereitungen für die Offenbarung.
Deren Licht erstrahlt bis zur Lagerstätte des Volkes hinab.
Ein Baum des Lebens ist sie
Nach lutherischem Verständnis hat Israel am Berg Sinai
die Zehn Gebote empfangen. Nach jüdischem Verständnis
ist diese Gabe eingebettet in ein umfassenderes Geschehen.
Nach der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten offenbart
sich Gott seinem Volk und schließt mit ihm durch Mose
einen Bund. Was Israel in diesem Bund zu tun hat, erfährt
es wegweisend auf den beiden Bundes- oder Gesetzestafeln.
Sie stehen stellvertretend für die ganze Tora, wie sie in den 5
Büchern Mose niedergelegt ist.
3 Eine Schriftrolle vom Toten Meer mit
einem der ältesten Bibelkommentare, dem
Pescher Habakuk aus Höhle 1 von Qumran
4 Relief mit gefangenen Juden und eroberten Tempelgeräten auf dem Triumphbogen für Kaiser Vespasian
und seinen Sohn Titus in Rom nach ihrem Sieg im 1. Jüdisch-Römischen Krieg (zeichnerische Rekonstruktion)
Vornehmlich am Schabbat wird in einem festgelegten Ritus
aus einer Torarolle mit den 5 Büchern vorgelesen. Im Rahmen dieses Ritus hebt der Vorbeter die geöffnete Rolle hoch
empor und zeigt sie der Gemeinde, indem er verkündet:
„Dies ist die Tora, die Mose vor die Kinder Israel gelegt hat,
auf Befehl Gottes durch Mose. Ein Baum des Lebens ist sie
denen, die an ihr festhalten …“
6 Unten: Marc Chagall, Mose empfängt die Gesetzestafeln, 1931
Das Bild hebt den himmlischen Ursprung der Tora hervor. Die Strahlen
auf dem Haupt des Mose, oft als Hörner dargestellt, sind ein Widerschein seiner Gottesbegegnung (vergleiche 2. Mose 34,29).
2 Der Zweite Tempel in seiner von Herodes
erneuerten Gestalt mit dem Vorhof der
Frauen im Vordergrund (Rekonstruktion)
4 Solomon Alexander Hart, Das Jubelfest über das Gesetz in der Synagoge von Livorno, 1850
Luthers düsteres Bild vom jüdischen Volk und seinem Gesetz
hat die Kirchen lutherischer Prägung über Jahrhunderte hin
mehr oder weniger bestimmt. Umso mehr gilt es, die Tora als
Zentrum jüdischen Lebens auch mit jüdischen Augen sehen
zu lernen.
5 Unten: Ein Blatt aus einer Handschrift des Babylonischen Talmuds, Frankreich, 1238
Grundlage der beiden zwischen 500 und 800 abgeschlossenen Talmude ist die um 200 zusammengestellte
Mischna. Sie erfasst die bis dahin neben der Bibel ausgebildete Rechtstradition (= Halacha). Die beiden
Werke enthalten außer der Mischna vor allem die nachfolgenden Diskussionen über deren Rechtsüberlieferungen.
7 Unten: Beter mit Torarolle und Gebetsschal,
Italien, um 1400
In einer weit zurückreichenden Tradition wird
die persönliche Beziehung des einzelnen Beters
zur Tora veranschaulicht, indem er mit einer Torarolle im Arm dargestellt wird, wie sie im Gottesdienst für die Vorlesung aus den 5 Büchern Mose
benutzt wird.
gruppen und Bewegungen
konflikte
In der Gewissheit, dass er lebt und wiederkommen wird, entstehen nach seinem Tod Gemeinden Jesu im Land Israel und
rund ums Mittelmeer. Sie verkündigen ihn als Messias und
Gottessohn.
Die Pharisäer, weithin Laien aus der Mittelschicht, bilden
die Vorstellung von einer zweifachen Tora aus. Neben der
schriftlichen sei Mose die ständig neu zu bestimmende und
darum beweglichere mündliche Tora für die Gemeinde Israels übergeben worden. Der Ort ihrer Pflege wie auch die
Stätte der Bibelauslegung ist die Synagoge.
In der Diaspora machen sich die neuen Missionare Feinde,
weil sie Freunde der Synagoge für ihre messianischen Gemeinden aus Juden und Nichtjuden abwerben. Sie erklären Letztere auch ohne Beschneidung für vollgültige Kinder
Abrahams. Und sie beanspruchen für sich und ihre Gemeinden, aufgrund der geglaubten Begabung mit dem Heiligen
Geist die wahren Erben und Deuter der jüdischen Bibel zu
sein.
Die Zeloten und andere Aufstandsgruppen versuchen im
1. Jüdisch-Römischen Krieg (66 –74) erfolglos, das Land von
der römischen Herrschaft zu befreien. Im Jahr 70 wird Jerusalem erobert und geschleift. Der Tempel wird zerstört und
große Teile der jüdischen Bevölkerung des Landes werden in
die Sklaverei verkauft.
Der neubeginn nach der zerstörung
Die zweifache, lebendige Tora und die Institution der Synagoge ermöglichen nach dem Jahr 70 eine grundlegende
Neugestaltung des Judentums. Sie schließt auch eine scharfe
Grenzziehung gegenüber abweichenden Gruppen ein. Der
erfolglose 2. Jüdisch-Römische Krieg unter dem messianisch
ambitionierten Heerführer Bar Koseba (Bar Kochba) ist nur
noch eine Episode (132–135).
Beide Talmude werden bereichert um eine Vielzahl von Auslegungen der biblischen Bücher (Midraschim) und durch die
Ausbildung einer vielfältigen Gebetstradition. In allen diesen
Werken werden auf je eigene Weise das Gedenken an den
Tempel, die Hoffnung auf seinen Wiederaufbau und die
Erwartung der Rückkehr nach Zion, in das angestammte
Land, wachgehalten.
hen und Genade finden
auf die zeit wann vns
hülff nodt sein wirde.
Zum Ebreern (An die
Hebräer) am 5. (4.) Cap.
6 Mantel für eine Torarolle, Mähren,
18. Jahrhundert
Die Abbildungen auf dem Umhang – die
beiden Dekalogtafeln aus der Bundeslade,
der Tisch (mit den zwölf Schaubroten, der
Schüssel und der Kanne für das Trankopfer)
und der siebenarmige Leuchter – bringen die
enge Verbindung zwischen Tora und Tempel
zum Ausdruck. Vergleiche 2. Mose 25.
Gleich wie Moses in der
wusten (Wüste) ein Schlang erhohet hat also mus auch
des menschen Son erhohet werden, auf das alle die
an (ihn glauben das ewige Leben
haben. Johannes 3.)
8 Otto Dix, Ecce homo III, 1949
Ein Künder der Nähe des Gottesreiches, ein Exorzist des Bösen,
ein Freund der Gescheiterten, ein
Erzähler unvergesslicher Gleichnisse, ein Lehrer, der die Tora
vereinfacht und radikalisiert, ein
einsamer Beter, ein unbequemer
Aufrührer im Tempelareal, von
der eigenen Behörde ausgeliefert
an den römischen Präfekten Pontius Pilatus, am Ende ein Märtyrer von Römerhand – so zeigen die Evangelien Jesus von Nazareth.
Wie der ( Jesus) einen grässlichen,
ganz grässlichen Tod stirbt. Da hängt
man den als wunderschönen Knaben
da dran. … Anstatt alles genau, ganz
realistisch zu sehen, um das Wunder
der Auferstehung noch viel größer
zu machen.
7 Christus lehrend, Initiale in einer mittelalterlichen Handschrift
Zu den Gruppen, die im 1. Jahrhundert n. d. Z. das Leben
im Land Israel prägen, gehören Sadduzäer, Essener, Pharisäer, Zeloten und messianische Bewegungen wie diejenige
Jesu von Nazareth. Die Sadduzäer vertreten die Belange des
Tempels und der gesellschaftlichen Oberschicht. Die Essener suchen von ihrem Zentrum am Toten Meer aus die
Gemeinde Israels zu erneuern.
Die Zukunft hat zwei geografische Zentren, das Land Israel
und vor allem die große babylonische Diaspora. Sie ist bis
etwa zum Jahr 1000 der Mittelpunkt jüdischen Lebens
außerhalb Israels. In beiden Zentren werden die großen Traditionswerke des Judentums geschaffen, der Jerusalemer und
der umfangreichere Babylonische Talmud.
8 Unten: Marc Chagall, Rabbiner mit Torarolle, 1930
Als Gebetskleidung trägt er ein Käppchen (Kippa),
einen Gebetsschal (Tallit) und Gebetsriemen
(Tefillin) mit Kapseln an der Stirn und in der linken
Armbeuge. Sie enthalten Pergamentstreifen
mit hebräischen Texten aus den 5 Büchern Mose,
u.a. aus dem Bekenntnis Höre Israel.
J e s u s v o n na z a R e T h u n D
s e in e B e w e g u n g
Otto Dix, 1949
1 Der Minnesänger Süßkind von Trimberg
(13. Jahrhundert) mit Judenhut in christlicher Gesellschaft
Manessische Liederhandschrift, 14. Jahrhundert
2 Ein jüdischer Pfandleiher mit zwei Kunden
und seiner Familie, Nürnberg, 1491
einstellungen
entwicklungen
In der Anfangszeit sind die christlichen Gemeinden gegenüber den jüdischen in der Minderzahl. Im 4. Jahrhundert
wird das Christentum erst staatlich favorisiert, dann Staatsreligion. Zahlreiche Menschen strömen in die Kirche. Eine
antijüdische Gesetzgebung beginnt.
Der Kirchenvater Augustin begründet um diese Zeit die
fortan im Abendland vorherrschende christliche Lehre über
die Juden: Für die Ablehnung und vermeintliche Ermordung
ihres Messias sind sie mit dem Verlust ihres Landes und
ihres Staates, ihres Tempels und der Heiligen Stadt Jerusalem bestraft und zu bleibender Knechtschaft verurteilt.
Durch ihre Zerstreuung in alle Welt und durch die Weitergabe der alten biblischen Schriften aber bezeugen sie zugleich
Alter und Echtheit der christlichen Wahrheit.
Erst am Ende der Tage wird sich ihnen der Gott Israels und
Schöpfer der Welt wieder zuwenden.
Ihre rechtliche Stellung als sogenannte Kammerknechte
des Kaisers schützt sie und dient zugleich ihrer finanziellen
Ausbeutung. Ihre Berufsausübung wird mehr und mehr auf
Kleinhandel, Pfandleihe und Zinsgeschäft eingeschränkt.
verleumdungen
Drei verleumderische Beschuldigungen zielen darauf ab, die
Vergehen an den Juden zu rechtfertigen:
Bald kommt es zu Konflikten. Der Jerusalemer Stephanus
wird Opfer einer Lynchjustiz, weil er sich gegen Tempel und
Tora wendet.
Die Verhaltensweisen der neuen Gemeinden zu ihrer Mutterreligion sind unterschiedlich. Missionskonflikte oder andere
Rivalitäten führen zu scharfer polemischer, auch abwertender
Rede. Christlicher Überheblichkeit Israel gegenüber sucht
ein Paulus Einhalt zu gebieten. Vorherrschend ist eine wechselseitige Ablehnung, die den anderen nicht zu Gesicht kommen lässt. Selten sind kooperative Kontakte.
J ü Dis c h e s le B e n im m iT T e l a lT e R
Das Städtedreigestirn Speyer, Worms und Mainz sowie Trier
und die Messestadt Köln sind im 10. und 11. Jahrhundert die
Zentren jüdischen Lebens in Deutschland. Sie wachsen in
dieser Zeit von 4–5.000 auf insgesamt 20–25.000 Einwohner
an, die vor allem als Fernhändler, Kaufleute und Ärzte tätig
sind. Dazu kommt eine Vielzahl von Berufen, die den besonderen Erfordernissen jüdischer Gemeinden Rechnung tragen. Die Gemeinden sind relativ autonom und werden nach
außen durch einen Stadtlan oder Judenbischof vertreten.
Vom 13. Jahrhundert an gehen in immer kürzeren Abständen Verfolgungswellen über die Gemeinden hin. Um 1500
ist die jüdische Minderheit aus fast allen Städten in Deutschland vertrieben. Religiöse Polemik und die Trennung von lästigen Gläubigern gehen vielfach Hand in Hand.
• Die Ritualmordbeschuldigung unterstellt, Juden würden
Christenkinder schlachten, um mit ihrem Blut die ungesäuerten Brote für das Passa- oder Pessachfest zu bereiten.
9 Bibelfenster im Chor des Münsters St. Vitus in Mönchengladbach, um 1265 (Ausschnitte)
Die Ausgießung des Heiligen Geistes am Pfingstfest in Entsprechung zur Gabe der Tora an Mose
3 Die Auswahl aus einer längeren Bildfolge zeigt den Diebstahl der Hostienpartikel, ihr vermeintliches
Durchstechen in der Synagoge und deren Umwandlung in eine Kirche nach der Hinrichtung des
christlichen Diebes und der beschuldigten Juden.
Flugblatt über eine angebliche Hostienschändung in Passau 1477, Nürnberg, 1495
Alle drei Anschuldigungen enden vielfach mit Vertreibung,
Verbrennung und Beraubung der jüdischen Einwohnerschaft.
4 Massenverbrennung von Juden in Wien 1421
Hartmann Schedel, Weltchronik,
Nürnberg, 1493
10 Der Leuchter mit den zwei Bäumen
Miniatur zu der prophetischen Vision Sacharja 4
Cervera-Bibel, Spanien, 1300
• Die Behauptung des Hostienfrevels bezichtigt sie, sie würden das geweihte Brot, den Leib Christi, durchstechen und
zum Bluten bringen.
• Der Vorwurf der Brunnenvergiftung soll die verheerende
Pest in den Jahren um 1350 erklären.
kirchliche agitationen
So rühme dich nicht gegenüber
den (ausgerissenen) Zweigen.
Rühmst du dich aber,
so sollst du wissen, dass nicht
du die Wurzel trägst, sondern
die Wurzel (Israel) trägt dich
(die Kirche).
5 Eine teuflische Gestalt verschließt einem Juden
die Augen, sodass er nicht die auf Jesus Christus
bezogene Verheißung in Jesaja 7,14 erkennt, eine
Jungfrau bzw. eine junge Frau werde einen Sohn mit
Namen Immanuel gebären.
Matfres Ermengans de Beziers, Lo Breviari d’amor,
Katalonien, 14. Jahrhundert (Ausschnitt)
Römerbrief 11,18
11 Unten: Jacob Jordaens, Die vier Kirchenlehrer, um 1620
Zusammen mit Augustin (2. v. l.) verdeutlichen die beiden lateinischen Kirchenväter
Hieronymus (1. v. l.) und Ambrosius (1. v. r.) die Spannweite der Einstellungen zum
Judentum im 4. /5. Jahrhundert in der Westkirche: Hieronymus lernt in Bethlehem
Hebräisch für seine Bibelausgabe (Vulgata). Ambrosius, einflussreicher Bischof von Mailand, bewirkt die Zerstörung einer Synagoge im Vorderen Orient. Der Vierte im Bild,
der rechtlich gesinnte Papst Gregor I. (2. v. r.), gehört bereits dem frühen Mittelalter an.
Für die Ostkirche mag der hier nicht abgebildete griechische Kirchenvater Johannes
Chrysostomus stehen: Als Mitglieder seiner Gemeinde in Antiochien lieber die jüdischen Feste als seine Gottesdienste besuchen, hält er als „Heilmittel“ acht Schmähpredigten gegen die Juden, in denen er sie aufs Schlimmste verteufelt.
6 Unten: Bibelfenster im Chor des Münsters St. Vitus in Mönchengladbach, ca. 1265 (Ausschnitt)
Die Verschonung der Israeliten durch den Anblick der von Mose
auf einen Stab gesteckten ehernen Schlange als Vorabbildung
der Erlösung durch den Gekreuzigten
Immer neue Schriften gegen die Juden, antijüdische kirchliche Schauspiele, die verächtliche Gleichsetzung von Judas
und Juden, erniedrigende Reliefs an Kirchen sowie die bildlich und durch Skulpturen dargestellte angebliche Verblendung und Teufelskindschaft der Juden tun das Ihre, um
Abneigung und Hass gegen sie als gefürchtete Minderheit zu
schüren.
Zwangstaufen von Juden und ihre erzwungenen Besuche
christlicher Gottesdienste sind als Mittel gedacht, jüdische
Gemeinden auf „geistlichem“ Weg aufzulösen.
Die Bibel als Band
Zahllos sind im Mittelalter die Beispiele der sogenannten
typologischen Bibelauslegung: Ereignisse des Alten Testaments werden als Vorabbildungen (Typen) von Geschehnissen des Neuen Testaments gedeutet. Die jüdische Bibel verblasst zu einer Vorabschattung des Neuen Testaments.
Gegen Ende des Mittelalters beginnt man die Juden als
Sprachhelfer zurate zu ziehen und macht sich nach und nach
Bibelauslegungen jüdischer Gelehrter zunutze. Selbst die
gemeinsame Arbeit an einer illuminierten Bibelhandschrift
ist bezeugt.
Das Motiv „Kirche und Synagoge“ (lat. Ecclesia und Synagoga)
nimmt die im Neuen Testament verbreitete Aussage auf, dass das jüdische
Volk verstockt sei und deshalb seinen Messias nicht erkenne und annehme.
Insbesondere die Deutung, dass seine Augen verhüllt seien,
ist immer wieder aufgegriffen worden.
V om Wort zum Bi ld zur tat
a n fa n g u n D we n D e
Einen gravierenden Einschnitt bedeutet der Erste Kreuzzug. Kreuzfahrer und mitziehende Horden richten an seinem
Beginn 1096 im Rhein-Mosel-Gebiet verheerende Verwüstungen und Massaker in den jüdischen Gemeinden an.
Begünstigt wird dies durch eine rigide kirchliche Gesetzgebung. Sie fördert die Ausgrenzung der Juden durch Judenhut
und Kennzeichen an ihrer Kleidung ( Judenring).
4
E c c l Es i a
u n d sy n ag o g a
Die Synagoge wird im Lauf der Zeit mehr und mehr als
Feindin des Gekreuzigten dargestellt, die erniedrigt und dem
göttlichen Gericht preisgegeben ist. Doch erscheint sie auch
als Schwester der Kirche mit einer gemeinsamen Zukunft.
Verschwistert 1
1 Byzantinische Emailarbeit, frühes 10. Jahrhundert
8 Innenansicht der 1034 erbauten Synagoge von Worms
nach einem alten Stich
Raschi
Im Lehrhaus in Worms studiert Mitte des 11. Jahrhunderts einer der Großen des mitteleuropäischen Judentums,
Rabbi Schlomo ben Jizchak, abgekürzt Raschi (1040–1105).
Ins nordfranzösische Troyes zurückgekehrt, erschließt er für
zahllose kommende Generationen, Juden und auch Christen, die jüdische Bibel und den Babylonischen Talmud, das
grundlegende nachbiblische Traditionswerk. Angehörige seiner Familie führen sein Kommentarwerk fort.
2 Homiliar des Beda von Verdun,
Ende 12. Jahrhundert
9 Behandlung eines Erzbischofs
durch einen jüdischen Arzt
Johann Schobser, Plenarium,
Augsburg, 1487
Vornehmlich in den Familien begehen die Juden ihre prägenden Feiertage, den wöchentlichen Schabbat und die jährlichen Feste, allen voran das Pessachfest. Besonders an diesen
Tagen werden sie ihrer Geschichte, ihres Auftrags und der
ihnen verheißenen Zukunft gewiss.
kulturelle akzente
Bemerkenswerte Leistungen erbringen die Juden in Deutschland namentlich auf dem Gebiet der Halacha, der lebendigen
Gesetzesauslegung, mit der sie auf immer neue Situationen
zu reagieren haben.
Die Kirche triumphiert. Die Synagoge ist ihr unterworfen
und dient ihr als Podest für ihre Selbstdarstellung.
Verblendet und schön 3–5
3–5 Von links nach rechts: Kopf der Synagoge am Straßburger Münster, um 1220/1230 –
an der Kathedrale von Reims, Frankreich, 13. Jahrhundert – am Bamberger Dom, um 1230
In der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts entsteht eine Reihe von
Skulpturen, denen geläufige Kennzeichen beigegeben sind:
Die Krone der Synagoge ist herabgerutscht, ihre Lanze zer­
brochen, ihre Gesetzestafeln sind herabgesunken und ihre
Augen verbunden. Zugleich sind die Gestalten von außerge­
wöhnlicher Schönheit. Sie ist Ausdruck der Gewissheit, dass
beide, Synagoge und Kirche, ungeachtet ihrer gegenwärtigen
Geschiedenheit zusammengehören.
Hoffnungsvoll 6
Im Uhrzeigersinn:
10 Kinderschule (Cheder)
nach einem alten deutschen Holzschnitt
11 Diskussion zwischen jüdischen
Gelehrten im Lehrhaus
Deutschland, Mitte 15. Jahrhundert
6 Evangeliar Heinrichs des Löwen, Ende 12. Jahrhundert
12 Vorbeter mit Gemeindegliedern im
Synagogengottesdienst
Machsor Leipzig, Süddeutschland,
1. Hälfte 14. Jahrhundert
7 Siddur, Gebetbuch, Deutschland, um 1300
13 Der Sederabend am Pessachfest
Darmstädter Haggada, 14./15. Jahrhundert (Ausschnitt)
Diese beiden Eckmedaillons sind der untere Abschluss einer
Miniatur über Maria Magdalena am Grab Jesu und über
ihre Begegnung mit dem Auferstandenen. Sie zeigen Eccle­
sia als Braut Christi und Synagoga als deren ihm gleich liebe
Schwester. Jede von beiden ist gekrönt und die Synagoge ohne
die traditionellen erniedrigenden Kennzeichen dargestellt.
Die Schriftbänder zitieren das Hohelied (3,1; 5,17). In vielen
mittelalterlichen christlichen Kommentaren wurden die darin
wahrgenommenen beiden Schwestern hoffnungsvoll auf eine
kommende Einheit von Kirche und Synagoge gedeutet.
Sich wehrend 7
Trotz aller Verfolgungen ist eine Reihe eindrücklicher illuminierter Bibelhandschriften erhalten. Auch entwickelt sich in
einzelnen Kreisen mystisches Gedankengut. Mit dem Jiddischen prägt das mittelalterliche Judentum eine eigene Sprache aus.
Auf diesem Bild hat der jüdische Künstler die Plätze ver­
tauscht. Synagoga mit Judenhut reicht der gekrönten, aber
blinden Ecclesia die Hand unter dem Anfangswort von
Hohelied 4,8: „Komm mit mir, meine Braut vom Libanon.“
8 Allegorie des Messopfers aus dem Missale von Noyon,
vor 1250
gegenwehr
Mit einer überkommenen Schmähschrift gegen das Christentum und seinen Begründer (Toledot Jeschu), mit niveauvolleren aggressiven Werken und mit meist verschlüsselten
Abgrenzungen in ihren Gottesdiensten sucht die jüdische Gemeinschaft die eigenen Gemeindeglieder gegen die
Versuchung zu wappnen, sich der verhassten Gruppe der
Abtrünnigen aus ihrer Mitte zuzugesellen. Zugleich reagiert
sie damit auf die von christlicher Seite erfahrene Unmenschlichkeit.
Die Synagoge wendet sich von dem Gekreuzigten ab. Aber
sie ist gemalt wie die Kirche, ohne erniedrigende Kennzei­
chen.
unterworfen und erniedrigt 2
familie, fest und feier
Neben den Kinderschulen und den Lehrhäusern als Orten
des Lernens für Jugendliche und Erwachsene sind die Synagogen als Orte des Gebets und vor allem die Familien tragende Säulen des Judentums.
14 Unten: Bildseite gegenüber dem Titelblatt der Schocken-Bibel,
Deutschland, 14. Jahrhundert
Um das hebräische Anfangswort der Bibel (Bereschit) gruppieren sich
46 Szenen aus 1.– 4. Mose.
9 Elsässische Historienbibel, Hagenau,
1. Hälfte 15. Jahrhundert
Beschuldigt 8
Die verblendete Synagoge ersticht das Lamm, aus dessen
Wunde das erlösende Blut in den Kelch der Ecclesia strömt.
Die Lanze der Synagoge zerbricht aufgrund des ihr angelas­
teten Christusmordes.
Verteufelt und … 9
Der Teufel sitzt der Synagoge im Nacken und stößt ihr die
Krone vom Haupt.
… verdammt 10
7 Unten: Die Rückkehr des Mose nach Ägypten (2. Mose 4) und die Offenbarung an ihn aus dem brennenden Dornbusch (2. Mose 3) sind nach den
Vorbildern der Flucht Marias und Josefs nach Ägypten (Matthäus 2) und der
Verkündigung an die Hirten (Lukas 2) gestaltet. Die Illuminationen belegen
die Mitarbeit eines christlichen Künstlers an der jüdischen Handschrift.
Die Goldene Haggada, Barcelona, ca. 1320 (Ausschnitt)
10 Liber Floridus des Lambert von
St. Omer, um 1120
Christus krönt die Kirche und schiebt die Synagoge von sich.
Deren Krone ist ihr genommen, ihre Lanze zerbrochen. Noch
halb Christus zugewandt, geht sie dem Höllenrachen ent­
gegen.
Erstochen 11
11 Kirchenfenster der
Stadtpfarrkirche St. Johannis
in Werben /Elbe,
15. Jahrhundert
Ecclesia reitet auf einer symbolischen Darstellung der vier
Evangelien. Sie trägt Siegesfahne und Kelch in den Händen
und wird von einer Hand aus dem Himmel gekrönt.
Synagoga reitet auf einem zusammenbrechenden Esel, in
den Händen die zerbrochene Fahne und – als Zeichen des
beendeten Opferdienstes – den Kopf eines Ziegenbocks. Ihre
Krone fällt von ihrem Haupt und eine Hand aus dem Him­
mel durchsticht ihr Haupt mit einem Schwert.
Auf manchen Bildern wachsen die krönende und die tötende
Hand aus dem Querbalken des Kreuzes heraus.
5
Luthers schriften
für und gegen die Juden
6
Luthers Judenfeindschaft –
wa r u m ?
Verbale oder handgreifliche Gewalt gegen Juden und jüdische Gemeinden haben
stets Anlässe. Sie können eingebildet, übertrieben oder gezielt unterstellt sein.
In der Regel haben sie mit der Realität wenig zu tun. Auch im Fall Luthers gibt es
eine bemerkenswerte Kluft zwischen dem, was alles er den Juden zur Last legt,
und den tatsächlichen Verhältnissen.
von DeR eRkennT nis DeR
wahRheiT zum zeRRBilD
Luther hat als Professor vor allem Vorlesungen über das Alte
Testament gehalten, das umstrittene Erbe von Juden und
Christen. So finden sich Äußerungen über Juden vornehmlich in seinen Auslegungen alttestamentlicher Bücher.
1 Panorama der Stadt Wittenberg, aus dem Reisetagebuch
des Pfalzgrafen Ottheinrich, 1536
Rechts im Bild die Stadtkirche, Luthers Predigtstätte,
links das Schloss
Nur zweimal hat er dem Thema besondere Schriften gewidmet, in der Frühzeit der Reformation und in seinen letzten
Lebensjahren.
2 Lucas Cranach d. Ä., Martin Luther,
um 1532
luthers entdeckung der Juden als menschen
Dass Jesus Christus ein geborner Jude sei – so überschreibt
Luther 1523 eine Schrift, die rasch viele Auflagen erlebt.
Eins ihrer Ziele ist es, Jesus als den im Alten Testament verheißenen Messias zu erweisen und so vielleicht Juden für das
Evangelium zu gewinnen.
Luther übt in seinem Traktat schonungslose Kritik an dem
bisherigen Verhalten der Christen. Nicht als Menschen hätten sie die Juden behandelt, sondern wie Hunde, hätten
törichte Lügen wie die Ritualmordbeschuldigung und „anderes Narrenwerk mehr“ über sie verbreitet, sie ausgegrenzt und
isoliert.
3 Der Auferstandene mit mittelalterlichem Judenhut beim Mahl
in Emmaus (Lukas 24)
Miniatur aus dem Psalter
Ludwigs des Heiligen, England,
1. Hälfte 13. Jahrhundert
Stattdessen solle man ihnen Liebe erweisen, sie beruflich und
gesellschaftlich integrieren und ihnen nachbarlich begegnen,
um ihnen so den Weg zu ihrem Messias zu ebnen.
verweigerung erbetener hilfe
4 Titelholzschnitt von Luthers projüdischer Schrift
Dass Jesus Christus ein geborner Jude sei, Wittenberg 1523
5 Titelholzschnitt der ersten antijüdischen Schrift Luthers
Von den Juden und ihren Lügen, Wittenberg 1543
1537 bittet der Sprecher der Juden in Deutschland Luther
um Hilfe für die aus dem Kurfürstentum Sachsen vertriebenen Juden. Doch der weist ihn brüsk zurück. Seine Forderung von Lebenserleichterungen sei missionarisch motiviert gewesen. Da sich an der Christenfeindschaft der Juden
jedoch nichts geändert habe, sei mit ihm nicht zu rechnen.
Die unveränderte Judenfeindschaft der Christen spielt in der
Antwort des Reformators keine Rolle.
zwangsmaßnahmen
1538 polemisiert Luther gegen angebliche erfolgreiche jüdische Versuche in Mähren, Christen zum Judentum zu bekehren.
In einer jüdischen Gegenschrift angegriffen, gibt er 1543 drei
antijüdische Schriften heraus. In der ersten, Von den Juden
und ihren Lügen, wirft er den Juden vor, sie würden, wann
immer sie könnten, Jesus, Maria und die Christen lästern,
ferner die Christen ausbeuten, ihnen nach dem Leben trachten, Landesverrat begehen und vieles andere mehr.
Im Gegenzug greift er zu rüden rednerischen Mitteln und
ruft die Obrigkeit zu zerstörerischen Zwangsmaßnahmen
gegen die Juden im Land auf.
verteufelung und aufruf zur vertreibung
6 Unten: Antijüdischer Holzschnitt mit Verleumdung der Juden als Teufel, 1571
(Ausschnitt)
Luther verteufelt die Juden in seiner Schrift ebenso hemmungslos wie hasserfüllt. Er spricht ihnen nicht nur das
rechte Bibelverständnis ab, sondern das Menschsein überhaupt.
Durch Anzünden ihrer Synagogen und ihrer Häuser, durch
Wegnahme der Bibel und ihrer religiösen Bücher, durch
Berufsverbot für ihre Rabbiner und Pfandleiher, durch
Zwangsarbeiten für ihre Jugend, durch Reiseverbot und
erniedrigende Unterbringung („wie die Tiere“) sollen sie
gesellschaftlich, wirtschaftlich und religiös verelenden und
dadurch bekehrungswillig gemacht werden. Andernfalls soll
die Obrigkeit sie vertreiben: „Drum immer weg mit ihnen.“
Auch gibt Luther der Erwägung Raum, jene Gräuelmärchen
könnten zutreffen, die er einst selbst für blanken Unsinn
erklärt hatte. Und wenn sie es auch nicht tun, so unterstellt
er, so haben sie doch den Willen dazu.
Anschuldigungen, Verleumdungen und die Aufforderung zur
Vertreibung halten sich bis an Luthers Lebensende durch.
Es gibt kaum etwas in Luthers Zeit, was sich seiner herausragenden Schrift von 1523 vergleichen ließe.
Gelegentlich sucht man dies zwar herunterzuspielen. Man verweist auf ihre missionarische Abzweckung
oder behauptet, Luthers Theologie sei in ihrem Verhältnis zum Judentum stets gleich geblieben.
Das trifft jedoch nur zu, wenn man das Cranach-Bild ohne Einschränkung für das Ganze der lutherschen
Theologie nimmt. Dies ist es jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht.
Das JuD enTum zu l uTheRs zeiT
Zur Zeit von Luthers antijüdischen Traktaten gibt es bereits
seit 100 Jahren keine jüdische Gemeinde mehr in Wittenberg. Ebenso wohnen im Kurfürstentum Sachsen insgesamt
nur wenige Juden. Weder die Existenz von Synagogen noch
von anderen Institutionen jüdischen Lebens ist belegt.
v o m lic h T z u R fin s T e R n is
1 Kirchenschiff der Stadtkirche St. Marien in Wittenberg
mit Blick in den Altarraum
7 Betende Juden, Deutschland, 1471
siedlungsbereiche und erwerbsquellen
Würde man den missionarischen Zweck der Schrift von
1523 als Einschränkung ihrer ethischen Bedeutung verstehen, dann würde man Luther nach heutigen Kriterien beurteilen, anstatt ihn an seinen eigenen Ausführungen zu messen.
Für die Situation der Juden in Deutschland ist die Ansiedlung einzelner Familien und kleiner Gemeinden auf dem
Land charakteristisch. Größere Gemeinden in Städten wie
Frankfurt am Main und Worms sind die Ausnahme.
Erwerbsquellen der Juden bilden wie bereits zuvor vor allem
das Kleinkreditwesen, die Pfandleihe eingeschlossen, der
Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, der Viehhandel und gelegentliche gewerbliche Tätigkeiten.
2 Lucas Cranach d. Ä., Epitaph-Flügelaltar der Stadtkirche in Wittenberg,
1547
Dargestellt sind die drei Sakramente Taufe (links), Abendmahl (Mitte,
Empfang des Kelchs durch Luther als Junker Jörg) und Beichte (rechts).
Ihre schwierige soziale und wirtschaftliche Situation schürt
bei nicht wenigen messianische Erwartungen.
Unten: Luther als Prediger des Gekreuzigten in der Predella des Flügelaltars
Josel von Rosheim
Herausragende Gestalt des Judentums ist Josel von Rosheim
im Elsass. Vor allem auf den Reichstagen sucht und erhält er
die Unterstützung Kaiser Karls V.
8 Eine Jüdin und ein Jude aus Worms in typischer Kleidung und mit Judenring
1530 erreicht Josel die Ausweisung des Hebräischlehrers
Anton Margaritha aus Augsburg. Der Konvertit hatte die
erste deutsche Übersetzung des jüdischen Gebetbuches und
eine Darstellung jüdischer Riten und Bräuche mit zahlreichen Angriffen auf das Judentum verbunden.
In den Vierzigerjahren erwirkt Josel von Kaiser Karl V. eine
Verbesserung der Rechtslage der Juden.
1539 erreicht er auf dem Frankfurter Fürstentag bei Luthers
Landesherrn eine teilweise Rücknahme von dessen Vertreibungsmandat von 1536. Unter dem Einfluss von Luthers
Schriften erneuert Johann Friedrich es jedoch bereits 1543.
9 Protestschreiben Josels von Rosheim zugunsten
der Juden von Dangolsheim
10 Titelblatt der 1530 in Augsburg erschienenen
Schrift von Margaritha
Ebenfalls auf der Frankfurter Versammlung gelingt dem
Sprecher der Juden mithilfe von Philipp Melanchthon der
Nachweis, dass die Verbrennung von 38 Juden in Berlin 1510
als Ahndung eines angeblichen Hostienfrevels ein bischöflich bewirkter Justizmord war.
3 Lucas Cranach d. J., Luther mit der Hebräischen Bibel, 1560
Aufgeschlagen ist 1. Chronik 17,17, ein Wort
König Davids an Gott, das der Reformator in
seiner Übersetzung auf Jesus Christus deutet:
„Und du hast angesehen Mich, als in der
Gestalt eines Menschen, der in der Höhe Gott
der HErr ist.“ Die Übertragung ist in der heutigen Luther-Übersetzung revidiert. Luther
hat seine Auslegung in seiner dritten antijüdischen Schrift (Von den letzten Worten Davids)
begründet.
konversionen und kontakte
Konversionen zum Christentum sind für die jüdische Seite
oft schmerzlich, so vor allem im Fall Johannes Pfefferkorns.
Anfang des Jahrhunderts fordert er die Verbrennung des Talmuds, des großen jüdischen Traditionswerkes aus der Antike.
Es gilt im Judentum als wegweisender Ausdruck des mündlichen Gesetzes neben der schriftlichen, biblischen Tora. Die
Verbrennung wird durch den Juristen und Hebraisten Johannes Reuchlin aus Pforzheim verhindert.
Gelegentlich kommt es zur Zeit Luthers zu – literarisch stilisierten – christlich-jüdischen Religionsgesprächen über Fragen der Auslegung der Hebräischen Bibel.
Der bedeutendste jüdische Beitrag zum jüdisch-christlichen
Verhältnis besteht in der Unterrichtung christlicher Theologen im Hebräischen. Allen voran ist Elia Levita aus Süddeutschland zu nennen. Nach langen Jahren in Italien arbeitet er eng mit dem führenden christlichen Hebraisten und
Theologen Sebastian Münster in Basel zusammen.
15 Titelblatt der Bibelausgabe von
Sebastian Münster, Basel, 1936
Zum Missfallen Luthers hat
Münster vielfach von jüdischen
Kommentaren Gebrauch gemacht.
In seiner Anfangszeit hat Luther die traditionelle religiöse
Feindschaft gegen die Juden übernommen, ja teilweise verschärft. Erst nach und nach macht er sich die biblische Hoffnung für das jüdische Volk, wie sie Augustin und andere teilten, zu eigen und zieht daraus positive Konsequenzen für das
Verhalten zu den Juden.
11 Lucas Cranach d. Ä., Kaiser Karl V., 1550
12 Rechts:
Lucas Cranach d. J., Das Abendmahl,
St. Johanniskirche in Dessau, 1565
Vorn links kniet Kurfürst (später Herzog)
Johann Friedrich, rechts neben ihm ist Judas
mit typischen antijüdischen Merkmalen
dargestellt, rechts neben dem Gastgeber
Philipp Melanchthon.
13 Unten links: Johannes Pfefferkorn (1469–1524), zeitgenössischer Kupferstich
14 Unten rechts: Johannes Reuchlin (1455–1522)
4 Unten: Kanzel der Andreaskirche in Eisleben
Von dieser Kanzel verlas Luther während seines letzten Aufenthalts in Eisleben kurz vor
seinem Tod seine Vermahnung wider die Juden, in der er seine Forderungen von 1543 erneuerte.
Von den Erkenntnissen Luthers in seiner Frühzeit ist bereits
Mitte der Zwanzigerjahre und dann vor allem in den späten
Schriften nichts geblieben. Wie ist seine Wendung von einer
konstruktiven zu seiner zerstörerischen Einstellung zu den
Juden zu erklären?
von luther genannte gründe
Luther selbst nennt verschiedene Gründe: den mangelnden
Erfolg seiner Schrift, vermeintliche jüdische missionarische
Aktivitäten in Mähren, die ihm angeblich erst jüngst bekannt
gewordenen Lästerungen Jesu, Marias und der Christen,
durch deren Duldung Christen sich mitschuldig machten,
und nicht zuletzt eine für beide Seiten enttäuschende Begegnung mit zwei oder drei in Wittenberg durchreisenden Juden
bereits Mitte der Zwanzigerjahre.
Die Aufforderung, die jüdische Bevölkerung zu vertreiben,
zielt möglicherweise darauf ab, die neu gebildeten evangelischen Landeskirchen durch Ausschluss aller abweichenden
Gruppen zu stabilisieren. Allerdings ließen sich von hier aus
nicht die weiteren antijüdischen Schriften von 1543 erklären,
in denen es allein um die jüdische und christliche Schriftauslegung geht (Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi
und Von den letzten Worten Davids).
Das zentrum des problems
Diese beiden weiteren Schriften verstärken den bereits mit
dem Traktat Von den Juden und ihren Lügen erweckten Eindruck, dass für Luther eine andere Bedrohung ausschlaggebend war. Seine Leitschnur war von Anbeginn: Wenn man
das Alte Testament ohne das Neue verstehen kann, dann ist
Christus umsonst gestorben. Alles hing für ihn daran, dass
der Nazarener sein Leben nicht vergeblich, sondern zur Erlösung der Menschheit hingegeben hatte und dass dies keine
christliche Erfindung, sondern im Alten Testament angebahnt war.
Die jüdischen Ausleger und ihre christlichen Anhänger beharrten demgegenüber auf dem einfachen Sinn der jüdischen
Bibel ohne Bezug auf Jesus Christus als Messias. Im Gegensatz zu der von ihm vertretenen Wahrheit war diese Sicht für
Luther Ausdruck der Lüge. Sie stellte die Grundlegung der
Kirche im Alten Testament infrage und rechtfertigte für ihn
die Anwendung von Gewalt in Glaubensdingen.
In seiner Frühzeit hatte er dies, unverblendet durch Angst
und Hass, entschieden abgelehnt.
Die jüngst vertretene These, Gewaltanwendung in Glaubensdingen sei in Luthers Zeit und für Luther selber selbstverständlich gewesen, tut deshalb all jenen Christen unrecht, die
wie der Reformator 1523 für ein menschliches Verhalten zu
den Juden eingetreten sind oder bereits vor ihm manchmal
über ein Jahrhundert hin ein tolerantes, friedliches Miteinander mit den Juden an ihrem Ort gelebt haben.
Johannes reuchlin (1455–1522) –
sympathisierender Humanist
g R e n z e n – u n D a n s ä T z e ih R e R
ü B eRw in Du n g ?
Das Cranach-Bild vom Beginn der Ausstellung („Gesetz
und Evangelium“ oder auch „Gesetz und Gnade“) ist in dieser oder jener Form für viele Ausgaben von Luthers wegweisender Übersetzung der Bibel als Titelbild gewählt worden.
Daran lässt sich ablesen, wie sehr es als beispielhafte Zusammenfassung seiner Lehre galt.
5 Lucas Cranach d. Ä. (Werkstatt),
Koloriertes Titelblatt zur Luther-Bibel,
Wittenberg, 1541
Die lutherisch-reformatorische Darstellung der Größe „Gesetz“, wie sie in Cranachs Bild festgehalten ist, ist nicht nur
im Blick auf das Volk Israel und auf jüdisches Verständnis
des Gesetzes (der Tora) lückenhaft. Sie gibt auch Luthers
Verständnis des Wortes Gottes als Gesetz oder Gebot nur
begrenzt sachgemäß wieder.
Der Reformator des Herzogtums Braunschweig­
Lüneburg und seine Frau Anna beherrschen Hebrä­
isch und entfalten in einem umfangreichen Dialogus
– sie als Fragerin, er als Lehrer – Jesus Christus als
den im Alten Testament verheißenen Messias. Von
Celle aus sucht Rhegius missionarischen Kontakt zu
den jüdischen Gemeinden in Hannover und Bra
Sobald das Gesetz seine Funktion, den Sünder zu verklagen,
ausgeübt und den Verzweifelten in die Arme der Barmherzigkeit Gottes getrieben hat, kann der Reformator die göttlichen Gebote völlig anders würdigen. Sie werden zur Weisung, die den Willen Gottes benennt und das Miteinander
der Menschen verbindlich regelt.
Die „Lehre der Lehren“, einen „Ausbund göttlicher Lehre“,
nämlich „für das, was wir tun sollen, damit unser ganzes
Leben Gott gefalle“, und „den höchsten Schatz, der uns von
Gott gegeben ist“, hat Luther die Zehn Gebote deshalb nennen können. Ebenso hat er das Hebräische als Sprache des
Alten Testaments in den höchsten Tönen gelobt.
6 Franz Timmermann, Gesetz und Evangelium, 1540
Der Cranach-Schüler Franz Timmermann hat sich an das
Vorbild seines Meisters angelehnt, die Gestaltung des Themas „Gesetz und Evangelium“ jedoch zugespitzt. In seiner
Fassung liegen auf der rechten Seite außer den Monstern Tod
und Teufel auch die beiden Dekalogtafeln unter den Füßen
des Auferstandenen. Auf den Tafeln in der linken Bildhälfte
hat er, den Evangelien folgend, statt der Zehn Gebote deren
Zusammenfassung durch das Doppelgebot der Gottes- und
Nächstenliebe wiedergegeben.
cranachs Treue zum Dekalog
Cranach senior und junior sind demgegenüber texttreuer verfahren. Auf dem Weimarer Altarbild haben sie das Motivgeflecht von „Gesetz und Gnade“ aufgenommen und freier als
sonst gestaltet. Den Text der Dekalogtafeln haben sie jedoch
wortgetreu auf Hebräisch wiedergegeben – bis dahin, dass sie
auch den Beginn der Zehn Gebote übernommen haben: „Ich
bin der HErr, dein Gott, der dich herausgeführt hat (aus dem
Land Ägypten, dem Sklavenhaus).“ (2. Mose 20,2)
Luther hat diesen Beginn nicht in seine Katechismen aufgenommen, weil er nur Israel gelten würde.
luthers schriftauslegung
Ohne den Absolutheitsanspruch seines Bibelverständnisses mit seinen Folgen für die Darstellung der Juden lässt sich
Luthers Deutung des Alten Testaments auch heute noch
vielfach mit Gewinn lesen. Aus dem Innersten der eigenen
Glaubensexistenz kommend ist sie zwar nicht historisch
„richtig“, oft jedoch hilfreich, wegweisend und tröstlich.
Unter diesem Vorzeichen bewegt sich Luther dann auch
ganz unerwartet in guter Nachbarschaft mit jüdischen Auslegern, die auf ihre Weise Freunde einer lebendigen, mehrschichtigen Deutung der Bibel sind.
Noch in die vorreformatorische Zeit
Luthers gehört der bereits erwähnte
Johannes Reuchlin. Als der getaufte
Jude Johann Pfefferkorn, vom inqui­
sitorischen Dominikanerorden vor­
geschoben, 1507 fordert, die Bücher
der Juden, allen voran den Talmud,
zu konfiszieren und zu verbren­
nen, tritt Reuchlin am Ende erfolg­
reich für deren Erhaltung ein. Luther
profitiert wie viele andere von der hebräischen Grammatik
Reuchlins. In einem frühen gutachtlichen Brief äußert er sich
zugunsten des angeklagten Humanisten.
urbanus rhegius (1489–1541) –
schützender reformator
Die zehn gebote als „lehre der lehren“
Luthers Auslegung der Zehn Gebote in seinem Kleinen und
Großen Katechismus sowie auch einzelne Traktate zeigen
übereinstimmend:
Das Bild eines schülers
8
Z E i t g E n o s s En
l u t h Er s
Unter den Zeitgenossen Luthers herrscht eine große Bandbreite von Einstellungen
zum Reformator und zur Frage einer angemessenen christlichen Sicht auf das
Judentum. Auf jüdischer Seite folgt auf hohe Erwartung herbe Enttäuschung, auf
christlicher begegnen nebeneinander so unterschiedliche Positionen, wie sie Luther in
seinen Schriften von 1523 und 1543 vertreten hat.
7 Lucas Cranach d. Ä. / d. J., Epitaph-Flügelaltar (Mittelteil) in der
Stadtkirche St. Peter und Paul in Weimar, 1555
8 Unten: Luther mit dem pommerschen Herzogshaus auf dem Croÿ-Teppich von Peter
Heymans, Greifswald, 1555 (Ausschnitt)
Rechts des Kanzelkorbs mit den Symbolen der vier Evangelisten ist Mose mit den Dekalogtafeln zu sehen. Sie enthalten hier das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe.
0Titel/Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1Eine Bibel – zwei Lektüren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2Die Anfänge – Judentum und Alte Kirche
3Weltliche Macht, Kirche und jüdische Gemeinden im Mittelalter . . . .
4 Ecclesia und Synagoga (schmal)
5Luthers Schriften für und gegen die Juden
6Luthers Judenfeindschaft – warum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7Die Sau an den Kirchen (schmal)
8Zeitgenossen Luthers (schmal)
9Kanzeln von Mose getragen (schmal) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10 Die Zeit der lutherischen Orthodoxie
11 Pietismus und Aufklärung
12Jüdische Emanzipation und kirchlicher Antisemitismus . . . . . . . . . . .
13 Versagen der Kirche und Holocaust
14 Das Luther-Jahr 1933 (schmal)
15 Die Gegenwart seit 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 Perspektiven
2
3
4
5
6
7
8
Zusatzinformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
(Textilbanner mit Hängevorrichtung b 50 cm x h 150 cm)
• Impressum
• Autoren
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• Flyer Ankündigung (Din lang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
• Flyer Veranstaltungen (Din lang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
• Plakat Ankündigung / Plakat Veranstaltungen (DinA Hochformat) . . . . . 13
Publikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
(Din A5 quer, 192 Seiten, Hardcover)
Ausstellungstafeln
RollUp 150 x 230 cm
martin L u t he r
und das
Judentum
Denn es ist eine große Gefahr, die vorigen Dinge zu vergessen
und wieder in sie hineinzugeraten.
Martin Luther in seiner Vorlesung über das 1. Buch Mose, 1535–1545
Martin Luther hat ein schwieriges Erbe hinterlassen.
In der Anfangszeit der Reformation hat er dafür plädiert, die Juden menschlich zu behandeln. Später hat
er sie unerträglich geschmäht und die Anwendung von
Gewalt gegen sie gefordert. Auch sein übriges Schrifttum lässt keinen Raum für jüdisches Leben. Alles
Licht fällt auf die Seite des Evangeliums, alles Dunkel
auf die jüdische Seite, symbolisiert vom Gesetz ohne
Gnade.
Lucas Cranach senior und junior, ihre Werkstatt und
andere Künstler haben diese Auffassung Luthers auf
vielen Bildern umgesetzt. Von zwei Beispielen nimmt
die Ausstellung ihren Ausgang. Durch die Aussagekraft von Cranachs Bildern und durch Luthers eigene
Schriften ist dessen negative Sicht des Judentums
durch die Jahrhunderte hin wirksam geworden. Das
jüdische Selbstbild blieb bedeutungslos, obwohl Jesus,
wie Luther anfangs betonte, „ein geborner Jude“ war.
Auf den historisch angeordneten Tafeln erhalten jüdische und christliche Perspektiven Raum. Sie sind durch
farbige Hintergrundflächen gekennzeichnet:
christlich
jüdisch
Übereinstimmend mit der Zusammensetzung der
Arbeitsgruppe ist auch der überwiegende Teil der
Texte, die die jüdische Seite betreffen, von christlichen
Mitgliedern verfasst.
Erst nach dem Holocaust haben die evangelischen
Kirchen begonnen, sich dem lastenden Erbe von
Luthers Judenfeindschaft zu stellen. Hier reiht sich die
Ausstellung ein. Sie wird von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und
dem Touro College Berlin getragen und ist von einer
Arbeitsgruppe beider Institutionen erarbeitet worden.
r üc k b Li c k und
Eine Ausstellung der Evangelischen Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
und des Touro College Berlin
Gefördert durch die
aufb r uc h
3
Ausstellungstafeln
RollUp 150 x 230 cm
1
2
di e anf änge –
J u d e nt um und aLt e k i rc h e
ei n e b i beL – z w e i L e k t ü r en
Martin Luther steht in Traditionen, die bis an die Anfänge des Christentums zurückreichen.
Im Rahmen seiner Auslegung der Bibel hat er sie teils in ihrer ursprünglichen Form,
teils in der Gestalt aufgenommen, in der sie im Lauf der Kirchengeschichte ausgeprägt wurden.
Jene Anfänge der Kirche aber sind nicht ohne ihre Verwurzelung in der
biblisch-jüdischen Geschichte zu verstehen.
Die wenigsten Menschen konnten im 16. Jahrhundert lesen und schreiben.
So hat der Wittenberger Maler Lucas Cranach die Lehre Martin Luthers
(1483–1546) und der Reformation auf einem leicht verständlichen und
oft von ihm und anderen wiederholten Bild für alle zusammengefasst. Aus
christlicher Sicht könnte man es überschreiben:
Es wird offenbart Gottes Zorn vom Himmel über aller
Menschen gottloses Wesen und Unrecht. (Röm. 1,18)
Der Herr wird euch selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau
wird schwanger sein und einen Sohn gebären. ( Jes. 7,14)
D i e g a n z e B i Be l a u f e i n e m Bil D
l ichT s TaT T Du n ke l
Tem pel u n D To R a
Jes u s v o n na za ReT h u n D
Auf der linken Seite im Hintergrund werden Adam und Eva
von der Schlange verführt. Sie übertreten das göttliche Gebot
und werden von den Monstern Tod und Teufel in die Feuerhölle getrieben. Mose, begleitet von den Propheten, hält
dem fliehenden Menschen das übertretene göttliche Gesetz
entgegen, das den Sünder verklagt. Über allem aber thront
Christus als Richter, der das Urteil spricht.
In jüdischer Sicht ist das Lehrbild Cranachs lückenhaft. Von
der Zuwendung des Schöpfers zu den Kindern Israel und
dem Versprechen seiner bleibenden Treue findet sich kaum
eine Spur. Vor allem lässt das Bild nichts von dem Wichtigsten erahnen: Das Gesetz, die von Mose auf dem Berg Sinai
empfangene Tora, ist für Jüdinnen und Juden in erster Linie
nicht Ankläger, sondern eine kostbare Gabe. Sie ist mit Dank
und Treue zu beantworten, dem Evangelium vergleichbar.
Auf dem Berg Sinai empfängt Mose außer den beiden Bundestafeln auch die Gesetze für den späteren Bau des Tempels
und für die Anfertigung seiner Kultgeräte (2. Mose 25–31).
Die Dekalogtafeln erhalten ihren Platz in der Bundeslade.
Sie ist der Ort der unsichtbaren Gegenwart Gottes in seinem Volk und erhält später ihren Platz im Allerheiligsten des
Tempels in Jerusalem.
s ei n e B eweg u n g
Auf der rechten Bildseite steht vorn der verlorene Mensch.
Johannes der Täufer verweist ihn auf den gekreuzigten
Christus. Ein Blutstrahl geht von dem Gekreuzigten aus, der
den Menschen von seinen Sünden reinigt. Unter dem Kreuz
aber entsteigt der auferstandene Christus dem Grab, unter
seinen Füßen die besiegten beiden Monster. Im Hintergrund
des Bildes wird die Vorgeschichte der Erlösung angedeutet:
Maria empfängt das Jesuskind vom Himmel herab, den Hirten auf dem Felde wird die Weihnachtsbotschaft verkündigt
und eine Erzählung aus dem Alten Testament deutet auf das
erlösende Geschehen am Kreuz voraus.
Sie sind allzumal Sünder und mangeln, dass
sie sich Gottes nicht rühmen mögen (können).
(Röm. 3,23)
Die Sünde ist des Todes
Durch das Gesetz kommt
Spieß, aber das Gesetz ist Erkenntnis der Sünden.
(Röm. 3,20)
der Sünden Kraft.
(1. Kor. 15,56)
Das Gesetz und die und
die Propheten gehen bis auf
Das Gesetz richtet
die Zeit des Johannes.
Zorn an. (Röm. 4,15)
(Mt. 11,13)
Der Gerechte lebt seines
Glaubens. (Röm. 1,17)
Wir halten (dafür), dass
ein Mensch gerecht werde durch den Glauben,
ohne Werke des Gesetzes.
(Röm. 3,28)
Siehe, das ist Gottes Lamm,
das der Welt Sünde trägt.
Johannes der Täufer. ( Joh. 1,29)
In der (durch die) Heiligung
des Geistes zum Gehorsam und
zur Besprengung des Blutes
(mit dem Blut) Jesu Christi.
(1. Petr. 1,2)
Der Tod ist verschlungen im
Sieg. Tod, wo ist dein Spieß?
Hölle, wo ist dein Sieg?
Dank habe Gott, der uns den
Sieg gibt durch Jesus Christus,
unsern Herrn.
(1. Kor. 15,54–55)
1 Oft sind den Lehrbildern am oberen und unteren Rand die Bibelstellen vor allem aus dem Neuen
Testament beigegeben, auf die sich die einzelnen Teile des Bildes stützen. So ist es auch bei diesem Bild
Gesetz und Evangelium aus der Werkstatt Lucas Cranachs, nach 1529
eine zusammenfassung der Theologie luthers
Außer von Lucas Cranach (1472–1553) sind Lehrbilder dieser Art von seinem gleichnamigen Sohn (1515–1586), von
seiner Werkstatt, von seinen Schülern und anderen Malern
angefertigt worden. Meistens sind sie farbig und auf Holz
gemalt. Gelegentlich sind die erklärenden Bibelverse wie auf
dem nebenstehenden Bild lateinisch beigegeben.
Dieses Bild stammt von Lucas Cranach senior oder junior.
Es ist wie der obige Holzschnitt eine „gemalte Zusammenfassung der Theologie Luthers“ (Martin Treu). Es beschließt
deshalb auch den biografischen Rundgang durch die Dauerausstellung des Lutherhauses in Wittenberg.
2 Unten: Lucas Cranach d. Ä. / d. J., Gesetz und Gnade, um 1550
Die Reichweite
Die alttestamentliche Erzählung vom rettenden Anblick der
ehernen Schlange (4. Mose 21; vergleiche Johannes 3) ist auf
dem farbigen Tafelbild – anders als auf dem Holzschnitt – im
Hintergrund der linken Bildhälfte angedeutet. Neben diesem
Unterschied gibt es weitere.
Die beherrschende Bildanlage aber bleibt auf fast allen Bildern gleich: Auf der rechten Hälfte ist die befreiende Botschaft der Reformation nachgezeichnet. Auf der linken Seite
werden das Elend des Menschen und seine Zukunftslosigkeit ins Bild gesetzt. Symbol dafür ist die verdorrte Baumhälfte in der Mitte des Bildes. In die Düsternis der linken
Bildhälfte gerät zusammen mit allen Menschen auch die
jüdische Gemeinschaft.
3 Lucas Cranach d. Ä. / d. J., Epitaph-Flügelaltar für Herzog Johann Friedrich von Sachsen
und seine Familie, 1555 (Ausschnitt, gesamtes Bild auf Tafel 6)
Der Ausschnitt mit den Porträts von Lucas Cranach d. Ä. und Martin Luther ist dem
Mittelteil des Altarbildes in der Stadtkirche St. Peter und Paul in Weimar entnommen.
Das Bild wird beherrscht von einer Darstellung des Gekreuzigten, von dem ein sühnender Blutstrahl auf das Haupt des Malers niedergeht. Im hier nicht wiedergegebenen
Hintergrund des Bildes sind weitere Motive des Themas „Gesetz und Gnade“ wiederholt. Auf diese Weise hat Cranach sich selber in die Aussage des von ihm so oft gemalten Motivgeflechts einbezogen.
Das Blut Jesu Christi
reiniget vnns
(von) allen sunnden.
In (der er)sten Epis(tel)
Joan(nis)
am I Ca(pitel):
Darum so last vns
hin zu tretten mit
Freidigkeit zu dem Gnadenstul auff das wir
Barmherezigkeit empfa-
hen und Genade finden
auf die zeit wann vns
hülff nodt sein wirde.
Zum Ebreern (An die
Hebräer) am 5. (4.) Cap.
Gleich wie Moses in der
wusten (Wüste) ein Schlang erhohet hat also mus auch
des menschen Son erhohet werden, auf das alle die
an (ihn glauben das ewige Leben
haben. Johannes 3.)
erbe und auftrag
Alter christlicher Tradition folgend hat Martin Luther die
Kirche als alleinige Erbin und allein befähigte Auslegerin
der Bibel gesehen. Er hat jüdisches Verständnis der Bibel,
insbesondere des Gesetzes, an zahllosen Stellen attackiert.
Gelegentlich hat er verständnisvolle Worte für die Lage der
Juden. Auch finden sich manche bemerkenswerten Aussagen
über das Gesetz. Ungeachtet dessen ist der Reformator vor
Schmähworten gegen die jüdische Gemeinschaft und ihren
Umgang mit dem Gesetz, vor verleumderischen Anschuldigungen und vor Aufrufen zu ihrer Vertreibung nicht zurückgeschreckt.
1 Mose gibt den Israeliten die Bundestafeln kund und
legt sie in die Bundeslade.
Weltchronologie, Niederlande, 15. Jahrhundert
4 Solomon Alexander Hart, Das Jubelfest über das Gesetz in der Synagoge von Livorno, 1850
Luthers düsteres Bild vom jüdischen Volk und seinem Gesetz
hat die Kirchen lutherischer Prägung über Jahrhunderte hin
mehr oder weniger bestimmt. Umso mehr gilt es, die Tora als
Zentrum jüdischen Lebens auch mit jüdischen Augen sehen
zu lernen.
Ein Baum des Lebens ist sie
Nach lutherischem Verständnis hat Israel am Berg Sinai
die Zehn Gebote empfangen. Nach jüdischem Verständnis
ist diese Gabe eingebettet in ein umfassenderes Geschehen.
Nach der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten offenbart
sich Gott seinem Volk und schließt mit ihm durch Mose
einen Bund. Was Israel in diesem Bund zu tun hat, erfährt
es wegweisend auf den beiden Bundes- oder Gesetzestafeln.
Sie stehen stellvertretend für die ganze Tora, wie sie in den 5
Büchern Mose niedergelegt ist.
5 Juliana Heidenreich, Schall und
Rauch am Berg Gottes, 2004
Auf Hebräisch ist – als mündliche
Rede im Wolkendunkel der Offenbarung zerfließend – der Anfang der
Bundestafeln zu lesen: „Ich bin der
HErr, dein Gott, der dich aus Ägypten herausgeführt hat, aus dem Sklavenhause. Du sollst nicht haben …“
(2. Mose 20,2).
Rechts darunter folgt in Druckbuchstaben die Fortsetzung dieses Gebotes: „andere Götter neben mir …“.
Auf der gegenüberliegenden Seite des
Berges steht der Anfang von 2. Mose
19 (V. 1–10), der Bericht über die
Vorbereitungen für die Offenbarung.
Deren Licht erstrahlt bis zur Lagerstätte des Volkes hinab.
7 Unten: Beter mit Torarolle und Gebetsschal,
Italien, um 1400
In einer weit zurückreichenden Tradition wird
die persönliche Beziehung des einzelnen Beters
zur Tora veranschaulicht, indem er mit einer Torarolle im Arm dargestellt wird, wie sie im Gottesdienst für die Vorlesung aus den 5 Büchern Mose
benutzt wird.
3 Eine Schriftrolle vom Toten Meer mit
einem der ältesten Bibelkommentare, dem
Pescher Habakuk aus Höhle 1 von Qumran
4 Relief mit gefangenen Juden und eroberten Tempelgeräten auf dem Triumphbogen für Kaiser Vespasian
und seinen Sohn Titus in Rom nach ihrem Sieg im 1. Jüdisch-Römischen Krieg (zeichnerische Rekonstruktion)
Vornehmlich am Schabbat wird in einem festgelegten Ritus
aus einer Torarolle mit den 5 Büchern vorgelesen. Im Rahmen dieses Ritus hebt der Vorbeter die geöffnete Rolle hoch
empor und zeigt sie der Gemeinde, indem er verkündet:
„Dies ist die Tora, die Mose vor die Kinder Israel gelegt hat,
auf Befehl Gottes durch Mose. Ein Baum des Lebens ist sie
denen, die an ihr festhalten …“
6 Unten: Marc Chagall, Mose empfängt die Gesetzestafeln, 1931
Das Bild hebt den himmlischen Ursprung der Tora hervor. Die Strahlen
auf dem Haupt des Mose, oft als Hörner dargestellt, sind ein Widerschein seiner Gottesbegegnung (vergleiche 2. Mose 34,29).
2 Der Zweite Tempel in seiner von Herodes
erneuerten Gestalt mit dem Vorhof der
Frauen im Vordergrund (Rekonstruktion)
5 Unten: Ein Blatt aus einer Handschrift des Babylonischen Talmuds, Frankreich, 1238
Grundlage der beiden zwischen 500 und 800 abgeschlossenen Talmude ist die um 200 zusammengestellte
Mischna. Sie erfasst die bis dahin neben der Bibel ausgebildete Rechtstradition (= Halacha). Die beiden
Werke enthalten außer der Mischna vor allem die nachfolgenden Diskussionen über deren Rechtsüberlieferungen.
8 Unten: Marc Chagall, Rabbiner mit Torarolle, 1930
Als Gebetskleidung trägt er ein Käppchen (Kippa),
einen Gebetsschal (Tallit) und Gebetsriemen
(Tefillin) mit Kapseln an der Stirn und in der linken
Armbeuge. Sie enthalten Pergamentstreifen
mit hebräischen Texten aus den 5 Büchern Mose,
u.a. aus dem Bekenntnis Höre Israel.
Nach der Zerstörung des Ersten Tempels (586 v. d. Z.)
beginnt das Exil der Juden in Babylon und am Ende des
6. Jahrhunderts die Zeit des Zweiten Tempels. In politischen und gesellschaftlichen Konflikten bildet das Judentum
im Land Israel neue Lebensformen aus. In den umliegenden
Ländern entstehen blühende Diasporagemeinden.
Ein Künder der Nähe des Gottesreiches, ein Exorzist des Bösen,
ein Freund der Gescheiterten, ein
Erzähler unvergesslicher Gleichnisse, ein Lehrer, der die Tora
vereinfacht und radikalisiert, ein
einsamer Beter, ein unbequemer
Aufrührer im Tempelareal, von
7 Christus lehrend, Initiale in einer mittelder eigenen Behörde ausgeliefert
alterlichen Handschrift
an den römischen Präfekten Pontius Pilatus, am Ende ein Märtyrer von Römerhand – so zeigen die Evangelien Jesus von Nazareth.
gruppen und Bewegungen
konflikte
Zu den Gruppen, die im 1. Jahrhundert n. d. Z. das Leben
im Land Israel prägen, gehören Sadduzäer, Essener, Pharisäer, Zeloten und messianische Bewegungen wie diejenige
Jesu von Nazareth. Die Sadduzäer vertreten die Belange des
Tempels und der gesellschaftlichen Oberschicht. Die Essener suchen von ihrem Zentrum am Toten Meer aus die
Gemeinde Israels zu erneuern.
In der Gewissheit, dass er lebt und wiederkommen wird, entstehen nach seinem Tod Gemeinden Jesu im Land Israel und
rund ums Mittelmeer. Sie verkündigen ihn als Messias und
Gottessohn.
Die Pharisäer, weithin Laien aus der Mittelschicht, bilden
die Vorstellung von einer zweifachen Tora aus. Neben der
schriftlichen sei Mose die ständig neu zu bestimmende und
darum beweglichere mündliche Tora für die Gemeinde Israels übergeben worden. Der Ort ihrer Pflege wie auch die
Stätte der Bibelauslegung ist die Synagoge.
In der Diaspora machen sich die neuen Missionare Feinde,
weil sie Freunde der Synagoge für ihre messianischen Gemeinden aus Juden und Nichtjuden abwerben. Sie erklären Letztere auch ohne Beschneidung für vollgültige Kinder
Abrahams. Und sie beanspruchen für sich und ihre Gemeinden, aufgrund der geglaubten Begabung mit dem Heiligen
Geist die wahren Erben und Deuter der jüdischen Bibel zu
sein.
Die Zeloten und andere Aufstandsgruppen versuchen im
1. Jüdisch-Römischen Krieg (66 –74) erfolglos, das Land von
der römischen Herrschaft zu befreien. Im Jahr 70 wird Jerusalem erobert und geschleift. Der Tempel wird zerstört und
große Teile der jüdischen Bevölkerung des Landes werden in
die Sklaverei verkauft.
Der neubeginn nach der zerstörung
Die zweifache, lebendige Tora und die Institution der Synagoge ermöglichen nach dem Jahr 70 eine grundlegende
Neugestaltung des Judentums. Sie schließt auch eine scharfe
Grenzziehung gegenüber abweichenden Gruppen ein. Der
erfolglose 2. Jüdisch-Römische Krieg unter dem messianisch
ambitionierten Heerführer Bar Koseba (Bar Kochba) ist nur
noch eine Episode (132–135).
Die Zukunft hat zwei geografische Zentren, das Land Israel
und vor allem die große babylonische Diaspora. Sie ist bis
etwa zum Jahr 1000 der Mittelpunkt jüdischen Lebens
außerhalb Israels. In beiden Zentren werden die großen Traditionswerke des Judentums geschaffen, der Jerusalemer und
der umfangreichere Babylonische Talmud.
Beide Talmude werden bereichert um eine Vielzahl von Auslegungen der biblischen Bücher (Midraschim) und durch die
Ausbildung einer vielfältigen Gebetstradition. In allen diesen
Werken werden auf je eigene Weise das Gedenken an den
Tempel, die Hoffnung auf seinen Wiederaufbau und die
Erwartung der Rückkehr nach Zion, in das angestammte
Land, wachgehalten.
6 Mantel für eine Torarolle, Mähren,
18. Jahrhundert
Die Abbildungen auf dem Umhang – die
beiden Dekalogtafeln aus der Bundeslade,
der Tisch (mit den zwölf Schaubroten, der
Schüssel und der Kanne für das Trankopfer)
und der siebenarmige Leuchter – bringen die
enge Verbindung zwischen Tora und Tempel
zum Ausdruck. Vergleiche 2. Mose 25.
8 Otto Dix, Ecce homo III, 1949
Wie der ( Jesus) einen grässlichen,
ganz grässlichen Tod stirbt. Da hängt
man den als wunderschönen Knaben
da dran. … Anstatt alles genau, ganz
realistisch zu sehen, um das Wunder
der Auferstehung noch viel größer
zu machen.
Otto Dix, 1949
Bald kommt es zu Konflikten. Der Jerusalemer Stephanus
wird Opfer einer Lynchjustiz, weil er sich gegen Tempel und
Tora wendet.
einstellungen
Die Verhaltensweisen der neuen Gemeinden zu ihrer Mutterreligion sind unterschiedlich. Missionskonflikte oder andere
Rivalitäten führen zu scharfer polemischer, auch abwertender
Rede. Christlicher Überheblichkeit Israel gegenüber sucht
ein Paulus Einhalt zu gebieten. Vorherrschend ist eine wechselseitige Ablehnung, die den anderen nicht zu Gesicht kommen lässt. Selten sind kooperative Kontakte.
entwicklungen
In der Anfangszeit sind die christlichen Gemeinden gegenüber den jüdischen in der Minderzahl. Im 4. Jahrhundert
wird das Christentum erst staatlich favorisiert, dann Staatsreligion. Zahlreiche Menschen strömen in die Kirche. Eine
antijüdische Gesetzgebung beginnt.
Der Kirchenvater Augustin begründet um diese Zeit die
fortan im Abendland vorherrschende christliche Lehre über
die Juden: Für die Ablehnung und vermeintliche Ermordung
ihres Messias sind sie mit dem Verlust ihres Landes und
ihres Staates, ihres Tempels und der Heiligen Stadt Jerusalem bestraft und zu bleibender Knechtschaft verurteilt.
Durch ihre Zerstreuung in alle Welt und durch die Weitergabe der alten biblischen Schriften aber bezeugen sie zugleich
Alter und Echtheit der christlichen Wahrheit.
Erst am Ende der Tage wird sich ihnen der Gott Israels und
Schöpfer der Welt wieder zuwenden.
9 Bibelfenster im Chor des Münsters St. Vitus in Mönchengladbach, um 1265 (Ausschnitte)
Die Ausgießung des Heiligen Geistes am Pfingstfest in Entsprechung zur Gabe der Tora an Mose
10 Der Leuchter mit den zwei Bäumen
Miniatur zu der prophetischen Vision Sacharja 4
Cervera-Bibel, Spanien, 1300
So rühme dich nicht gegenüber
den (ausgerissenen) Zweigen.
Rühmst du dich aber,
so sollst du wissen, dass nicht
du die Wurzel trägst, sondern
die Wurzel (Israel) trägt dich
(die Kirche).
Römerbrief 11,18
11 Unten: Jacob Jordaens, Die vier Kirchenlehrer, um 1620
Zusammen mit Augustin (2. v. l.) verdeutlichen die beiden lateinischen Kirchenväter
Hieronymus (1. v. l.) und Ambrosius (1. v. r.) die Spannweite der Einstellungen zum
Judentum im 4. /5. Jahrhundert in der Westkirche: Hieronymus lernt in Bethlehem
Hebräisch für seine Bibelausgabe (Vulgata). Ambrosius, einflussreicher Bischof von Mailand, bewirkt die Zerstörung einer Synagoge im Vorderen Orient. Der Vierte im Bild,
der rechtlich gesinnte Papst Gregor I. (2. v. r.), gehört bereits dem frühen Mittelalter an.
Für die Ostkirche mag der hier nicht abgebildete griechische Kirchenvater Johannes
Chrysostomus stehen: Als Mitglieder seiner Gemeinde in Antiochien lieber die jüdischen Feste als seine Gottesdienste besuchen, hält er als „Heilmittel“ acht Schmähpredigten gegen die Juden, in denen er sie aufs Schlimmste verteufelt.
4
Ausstellungstafeln
RollUp 150 x 230 cm / 80 x 230 cm
3
weLtLiche macht, kirche und
Jüdische gemeinden im mitteLaLter
4
E c c l Es ia
und synagoga
Die 1000-jährige Zeit des christlichen Mittelalters (500–1500) ist für das Judentum in weiten Teilen Europas eine Epoche von
anfänglichem Miteinander und erzwungenem späterem Niedergang. Zuerst heißt man die Juden aufgrund ihrer Fertigkeiten
willkommen. Später betrachtet man sie als unliebsame Konkurrenten auf wirtschaftlichem und religiösem Gebiet und
diskriminiert, verfolgt, vertreibt oder ermordet sie. Dennoch hat es auch in dunklen Zeiten Phasen eines friedlichen Miteinanders
von Christen und Juden sowie kaiserlichen und päpstlich-bischöflichen Schutz jüdischer Gemeinden gegeben.
Das Motiv „Kirche und Synagoge“ (lat. Ecclesia und Synagoga)
nimmt die im Neuen Testament verbreitete Aussage auf, dass das jüdische
Volk verstockt sei und deshalb seinen Messias nicht erkenne und annehme.
Insbesondere die Deutung, dass seine Augen verhüllt seien,
ist immer wieder aufgegriffen worden.
J ü Di s c h e s l eB e n i m miT T e l a lTe R
Vo m W o rt z u m Bil d z u r tat
v o n D eR eR k en n T n i s De R
D a s Ju Den Tu m zu lu Th eR s z ei T
Einen gravierenden Einschnitt bedeutet der Erste Kreuzzug. Kreuzfahrer und mitziehende Horden richten an seinem
Beginn 1096 im Rhein-Mosel-Gebiet verheerende Verwüstungen und Massaker in den jüdischen Gemeinden an.
Das Städtedreigestirn Speyer, Worms und Mainz sowie Trier
und die Messestadt Köln sind im 10. und 11. Jahrhundert die
Zentren jüdischen Lebens in Deutschland. Sie wachsen in
dieser Zeit von 4–5.000 auf insgesamt 20–25.000 Einwohner
an, die vor allem als Fernhändler, Kaufleute und Ärzte tätig
sind. Dazu kommt eine Vielzahl von Berufen, die den besonderen Erfordernissen jüdischer Gemeinden Rechnung tragen. Die Gemeinden sind relativ autonom und werden nach
außen durch einen Stadtlan oder Judenbischof vertreten.
Die Synagoge wird im Lauf der Zeit mehr und mehr als
Feindin des Gekreuzigten dargestellt, die erniedrigt und dem
göttlichen Gericht preisgegeben ist. Doch erscheint sie auch
als Schwester der Kirche mit einer gemeinsamen Zukunft.
wa h Rh ei T zu m zeR R B i lD
Zur Zeit von Luthers antijüdischen Traktaten gibt es bereits
seit 100 Jahren keine jüdische Gemeinde mehr in Wittenberg. Ebenso wohnen im Kurfürstentum Sachsen insgesamt
nur wenige Juden. Weder die Existenz von Synagogen noch
von anderen Institutionen jüdischen Lebens ist belegt.
Begünstigt wird dies durch eine rigide kirchliche Gesetzgebung. Sie fördert die Ausgrenzung der Juden durch Judenhut
und Kennzeichen an ihrer Kleidung ( Judenring).
2 Ein jüdischer Pfandleiher mit zwei Kunden
und seiner Familie, Nürnberg, 1491
Ihre rechtliche Stellung als sogenannte Kammerknechte
des Kaisers schützt sie und dient zugleich ihrer finanziellen
Ausbeutung. Ihre Berufsausübung wird mehr und mehr auf
Kleinhandel, Pfandleihe und Zinsgeschäft eingeschränkt.
verleumdungen
Drei verleumderische Beschuldigungen zielen darauf ab, die
Vergehen an den Juden zu rechtfertigen:
• Die Ritualmordbeschuldigung unterstellt, Juden würden
Christenkinder schlachten, um mit ihrem Blut die ungesäuerten Brote für das Passa- oder Pessachfest zu bereiten.
3 Die Auswahl aus einer längeren Bildfolge zeigt den Diebstahl der Hostienpartikel, ihr vermeintliches
Durchstechen in der Synagoge und deren Umwandlung in eine Kirche nach der Hinrichtung des
christlichen Diebes und der beschuldigten Juden.
Flugblatt über eine angebliche Hostienschändung in Passau 1477, Nürnberg, 1495
• Die Behauptung des Hostienfrevels bezichtigt sie, sie würden das geweihte Brot, den Leib Christi, durchstechen und
zum Bluten bringen.
• Der Vorwurf der Brunnenvergiftung soll die verheerende
Pest in den Jahren um 1350 erklären.
Alle drei Anschuldigungen enden vielfach mit Vertreibung,
Verbrennung und Beraubung der jüdischen Einwohnerschaft.
4 Massenverbrennung von Juden in Wien 1421
Hartmann Schedel, Weltchronik,
Nürnberg, 1493
kirchliche agitationen
5 Eine teuflische Gestalt verschließt einem Juden
die Augen, sodass er nicht die auf Jesus Christus
bezogene Verheißung in Jesaja 7,14 erkennt, eine
Jungfrau bzw. eine junge Frau werde einen Sohn mit
Namen Immanuel gebären.
Matfres Ermengans de Beziers, Lo Breviari d’amor,
Katalonien, 14. Jahrhundert (Ausschnitt)
6 Unten: Bibelfenster im Chor des Münsters St. Vitus in Mönchengladbach, ca. 1265 (Ausschnitt)
Die Verschonung der Israeliten durch den Anblick der von Mose
auf einen Stab gesteckten ehernen Schlange als Vorabbildung
der Erlösung durch den Gekreuzigten
Verbale oder handgreifliche Gewalt gegen Juden und jüdische Gemeinden haben
stets Anlässe. Sie können eingebildet, übertrieben oder gezielt unterstellt sein.
In der Regel haben sie mit der Realität wenig zu tun. Auch im Fall Luthers gibt es
eine bemerkenswerte Kluft zwischen dem, was alles er den Juden zur Last legt,
und den tatsächlichen Verhältnissen.
a n fa n g u n D we n De
Vom 13. Jahrhundert an gehen in immer kürzeren Abständen Verfolgungswellen über die Gemeinden hin. Um 1500
ist die jüdische Minderheit aus fast allen Städten in Deutschland vertrieben. Religiöse Polemik und die Trennung von lästigen Gläubigern gehen vielfach Hand in Hand.
1 Der Minnesänger Süßkind von Trimberg
(13. Jahrhundert) mit Judenhut in christlicher Gesellschaft
Manessische Liederhandschrift, 14. Jahrhundert
5
L ut h e rs sc h ri f t e n
f ür und ge ge n di e J ude n
Immer neue Schriften gegen die Juden, antijüdische kirchliche Schauspiele, die verächtliche Gleichsetzung von Judas
und Juden, erniedrigende Reliefs an Kirchen sowie die bildlich und durch Skulpturen dargestellte angebliche Verblendung und Teufelskindschaft der Juden tun das Ihre, um
Abneigung und Hass gegen sie als gefürchtete Minderheit zu
schüren.
Zwangstaufen von Juden und ihre erzwungenen Besuche
christlicher Gottesdienste sind als Mittel gedacht, jüdische
Gemeinden auf „geistlichem“ Weg aufzulösen.
Die Bibel als Band
Zahllos sind im Mittelalter die Beispiele der sogenannten
typologischen Bibelauslegung: Ereignisse des Alten Testaments werden als Vorabbildungen (Typen) von Geschehnissen des Neuen Testaments gedeutet. Die jüdische Bibel verblasst zu einer Vorabschattung des Neuen Testaments.
Gegen Ende des Mittelalters beginnt man die Juden als
Sprachhelfer zurate zu ziehen und macht sich nach und nach
Bibelauslegungen jüdischer Gelehrter zunutze. Selbst die
gemeinsame Arbeit an einer illuminierten Bibelhandschrift
ist bezeugt.
Raschi
Verschwistert 1
1 Byzantinische Emailarbeit, frühes 10. Jahrhundert
8 Innenansicht der 1034 erbauten Synagoge von Worms
nach einem alten Stich
Im Lehrhaus in Worms studiert Mitte des 11. Jahrhunderts einer der Großen des mitteleuropäischen Judentums,
Rabbi Schlomo ben Jizchak, abgekürzt Raschi (1040–1105).
Ins nordfranzösische Troyes zurückgekehrt, erschließt er für
zahllose kommende Generationen, Juden und auch Christen, die jüdische Bibel und den Babylonischen Talmud, das
grundlegende nachbiblische Traditionswerk. Angehörige seiner Familie führen sein Kommentarwerk fort.
2 Homiliar des Beda von Verdun,
Ende 12. Jahrhundert
9 Behandlung eines Erzbischofs
durch einen jüdischen Arzt
Johann Schobser, Plenarium,
Augsburg, 1487
Vornehmlich in den Familien begehen die Juden ihre prägenden Feiertage, den wöchentlichen Schabbat und die jährlichen Feste, allen voran das Pessachfest. Besonders an diesen
Tagen werden sie ihrer Geschichte, ihres Auftrags und der
ihnen verheißenen Zukunft gewiss.
kulturelle akzente
Bemerkenswerte Leistungen erbringen die Juden in Deutschland namentlich auf dem Gebiet der Halacha, der lebendigen
Gesetzesauslegung, mit der sie auf immer neue Situationen
zu reagieren haben.
2 Lucas Cranach d. Ä., Martin Luther,
um 1532
3–5 Von links nach rechts: Kopf der Synagoge am Straßburger Münster, um 1220/1230 –
an der Kathedrale von Reims, Frankreich, 13. Jahrhundert – am Bamberger Dom, um 1230
Hoffnungsvoll 6
Im Uhrzeigersinn:
10 Kinderschule (Cheder)
nach einem alten deutschen Holzschnitt
11 Diskussion zwischen jüdischen
Gelehrten im Lehrhaus
Deutschland, Mitte 15. Jahrhundert
12 Vorbeter mit Gemeindegliedern im
Synagogengottesdienst
Machsor Leipzig, Süddeutschland,
1. Hälfte 14. Jahrhundert
In der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts entsteht eine Reihe von
Skulpturen, denen geläufige Kennzeichen beigegeben sind:
Die Krone der Synagoge ist herabgerutscht, ihre Lanze zer­
brochen, ihre Gesetzestafeln sind herabgesunken und ihre
Augen verbunden. Zugleich sind die Gestalten von außerge­
wöhnlicher Schönheit. Sie ist Ausdruck der Gewissheit, dass
beide, Synagoge und Kirche, ungeachtet ihrer gegenwärtigen
Geschiedenheit zusammengehören.
6 Evangeliar Heinrichs des Löwen, Ende 12. Jahrhundert
7 Siddur, Gebetbuch, Deutschland, um 1300
13 Der Sederabend am Pessachfest
Darmstädter Haggada, 14./15. Jahrhundert (Ausschnitt)
8 Allegorie des Messopfers aus dem Missale von Noyon,
vor 1250
14 Unten: Bildseite gegenüber dem Titelblatt der Schocken-Bibel,
Deutschland, 14. Jahrhundert
Um das hebräische Anfangswort der Bibel (Bereschit) gruppieren sich
46 Szenen aus 1.– 4. Mose.
9 Elsässische Historienbibel, Hagenau,
1. Hälfte 15. Jahrhundert
Diese beiden Eckmedaillons sind der untere Abschluss einer
Miniatur über Maria Magdalena am Grab Jesu und über
ihre Begegnung mit dem Auferstandenen. Sie zeigen Eccle­
sia als Braut Christi und Synagoga als deren ihm gleich liebe
Schwester. Jede von beiden ist gekrönt und die Synagoge ohne
die traditionellen erniedrigenden Kennzeichen dargestellt.
Die Schriftbänder zitieren das Hohelied (3,1; 5,17). In vielen
mittelalterlichen christlichen Kommentaren wurden die darin
wahrgenommenen beiden Schwestern hoffnungsvoll auf eine
kommende Einheit von Kirche und Synagoge gedeutet.
Luther übt in seinem Traktat schonungslose Kritik an dem
bisherigen Verhalten der Christen. Nicht als Menschen hätten sie die Juden behandelt, sondern wie Hunde, hätten
törichte Lügen wie die Ritualmordbeschuldigung und „anderes Narrenwerk mehr“ über sie verbreitet, sie ausgegrenzt und
isoliert.
3 Der Auferstandene mit mittelalterlichem Judenhut beim Mahl
in Emmaus (Lukas 24)
Miniatur aus dem Psalter
Ludwigs des Heiligen, England,
1. Hälfte 13. Jahrhundert
Stattdessen solle man ihnen Liebe erweisen, sie beruflich und
gesellschaftlich integrieren und ihnen nachbarlich begegnen,
um ihnen so den Weg zu ihrem Messias zu ebnen.
verweigerung erbetener hilfe
4 Titelholzschnitt von Luthers projüdischer Schrift
Dass Jesus Christus ein geborner Jude sei, Wittenberg 1523
5 Titelholzschnitt der ersten antijüdischen Schrift Luthers
Von den Juden und ihren Lügen, Wittenberg 1543
Die unveränderte Judenfeindschaft der Christen spielt in der
Antwort des Reformators keine Rolle.
zwangsmaßnahmen
Auf diesem Bild hat der jüdische Künstler die Plätze ver­
tauscht. Synagoga mit Judenhut reicht der gekrönten, aber
blinden Ecclesia die Hand unter dem Anfangswort von
Hohelied 4,8: „Komm mit mir, meine Braut vom Libanon.“
1538 polemisiert Luther gegen angebliche erfolgreiche jüdische Versuche in Mähren, Christen zum Judentum zu bekehren.
In einer jüdischen Gegenschrift angegriffen, gibt er 1543 drei
antijüdische Schriften heraus. In der ersten, Von den Juden
und ihren Lügen, wirft er den Juden vor, sie würden, wann
immer sie könnten, Jesus, Maria und die Christen lästern,
ferner die Christen ausbeuten, ihnen nach dem Leben trachten, Landesverrat begehen und vieles andere mehr.
Beschuldigt 8
Die verblendete Synagoge ersticht das Lamm, aus dessen
Wunde das erlösende Blut in den Kelch der Ecclesia strömt.
Die Lanze der Synagoge zerbricht aufgrund des ihr angelas­
teten Christusmordes.
Im Gegenzug greift er zu rüden rednerischen Mitteln und
ruft die Obrigkeit zu zerstörerischen Zwangsmaßnahmen
gegen die Juden im Land auf.
Der Teufel sitzt der Synagoge im Nacken und stößt ihr die
Krone vom Haupt.
verteufelung und aufruf zur vertreibung
… verdammt 10
Christus krönt die Kirche und schiebt die Synagoge von sich.
Deren Krone ist ihr genommen, ihre Lanze zerbrochen. Noch
halb Christus zugewandt, geht sie dem Höllenrachen ent­
gegen.
Erstochen 11
11 Kirchenfenster der
Stadtpfarrkirche St. Johannis
in Werben /Elbe,
15. Jahrhundert
1537 bittet der Sprecher der Juden in Deutschland Luther
um Hilfe für die aus dem Kurfürstentum Sachsen vertriebenen Juden. Doch der weist ihn brüsk zurück. Seine Forderung von Lebenserleichterungen sei missionarisch motiviert gewesen. Da sich an der Christenfeindschaft der Juden
jedoch nichts geändert habe, sei mit ihm nicht zu rechnen.
Sich wehrend 7
Verteufelt und … 9
10 Liber Floridus des Lambert von
St. Omer, um 1120
luthers entdeckung der Juden als menschen
Dass Jesus Christus ein geborner Jude sei – so überschreibt
Luther 1523 eine Schrift, die rasch viele Auflagen erlebt.
Eins ihrer Ziele ist es, Jesus als den im Alten Testament verheißenen Messias zu erweisen und so vielleicht Juden für das
Evangelium zu gewinnen.
Verblendet und schön 3–5
gegenwehr
7 Unten: Die Rückkehr des Mose nach Ägypten (2. Mose 4) und die Offenbarung an ihn aus dem brennenden Dornbusch (2. Mose 3) sind nach den
Vorbildern der Flucht Marias und Josefs nach Ägypten (Matthäus 2) und der
Verkündigung an die Hirten (Lukas 2) gestaltet. Die Illuminationen belegen
die Mitarbeit eines christlichen Künstlers an der jüdischen Handschrift.
Die Goldene Haggada, Barcelona, ca. 1320 (Ausschnitt)
Nur zweimal hat er dem Thema besondere Schriften gewidmet, in der Frühzeit der Reformation und in seinen letzten
Lebensjahren.
Die Kirche triumphiert. Die Synagoge ist ihr unterworfen
und dient ihr als Podest für ihre Selbstdarstellung.
Trotz aller Verfolgungen ist eine Reihe eindrücklicher illuminierter Bibelhandschriften erhalten. Auch entwickelt sich in
einzelnen Kreisen mystisches Gedankengut. Mit dem Jiddischen prägt das mittelalterliche Judentum eine eigene Sprache aus.
Mit einer überkommenen Schmähschrift gegen das Christentum und seinen Begründer (Toledot Jeschu), mit niveauvolleren aggressiven Werken und mit meist verschlüsselten
Abgrenzungen in ihren Gottesdiensten sucht die jüdische Gemeinschaft die eigenen Gemeindeglieder gegen die
Versuchung zu wappnen, sich der verhassten Gruppe der
Abtrünnigen aus ihrer Mitte zuzugesellen. Zugleich reagiert
sie damit auf die von christlicher Seite erfahrene Unmenschlichkeit.
1 Panorama der Stadt Wittenberg, aus dem Reisetagebuch
des Pfalzgrafen Ottheinrich, 1536
Rechts im Bild die Stadtkirche, Luthers Predigtstätte,
links das Schloss
unterworfen und erniedrigt 2
familie, fest und feier
Neben den Kinderschulen und den Lehrhäusern als Orten
des Lernens für Jugendliche und Erwachsene sind die Synagogen als Orte des Gebets und vor allem die Familien tragende Säulen des Judentums.
Die Synagoge wendet sich von dem Gekreuzigten ab. Aber
sie ist gemalt wie die Kirche, ohne erniedrigende Kennzei­
chen.
Luther hat als Professor vor allem Vorlesungen über das Alte
Testament gehalten, das umstrittene Erbe von Juden und
Christen. So finden sich Äußerungen über Juden vornehmlich in seinen Auslegungen alttestamentlicher Bücher.
Ecclesia reitet auf einer symbolischen Darstellung der vier
Evangelien. Sie trägt Siegesfahne und Kelch in den Händen
und wird von einer Hand aus dem Himmel gekrönt.
Synagoga reitet auf einem zusammenbrechenden Esel, in
den Händen die zerbrochene Fahne und – als Zeichen des
beendeten Opferdienstes – den Kopf eines Ziegenbocks. Ihre
Krone fällt von ihrem Haupt und eine Hand aus dem Him­
mel durchsticht ihr Haupt mit einem Schwert.
Auf manchen Bildern wachsen die krönende und die tötende
Hand aus dem Querbalken des Kreuzes heraus.
6 Unten: Antijüdischer Holzschnitt mit Verleumdung der Juden als Teufel, 1571
(Ausschnitt)
Luther verteufelt die Juden in seiner Schrift ebenso hemmungslos wie hasserfüllt. Er spricht ihnen nicht nur das
rechte Bibelverständnis ab, sondern das Menschsein überhaupt.
Durch Anzünden ihrer Synagogen und ihrer Häuser, durch
Wegnahme der Bibel und ihrer religiösen Bücher, durch
Berufsverbot für ihre Rabbiner und Pfandleiher, durch
Zwangsarbeiten für ihre Jugend, durch Reiseverbot und
erniedrigende Unterbringung („wie die Tiere“) sollen sie
gesellschaftlich, wirtschaftlich und religiös verelenden und
dadurch bekehrungswillig gemacht werden. Andernfalls soll
die Obrigkeit sie vertreiben: „Drum immer weg mit ihnen.“
Auch gibt Luther der Erwägung Raum, jene Gräuelmärchen
könnten zutreffen, die er einst selbst für blanken Unsinn
erklärt hatte. Und wenn sie es auch nicht tun, so unterstellt
er, so haben sie doch den Willen dazu.
Anschuldigungen, Verleumdungen und die Aufforderung zur
Vertreibung halten sich bis an Luthers Lebensende durch.
7 Betende Juden, Deutschland, 1471
siedlungsbereiche und erwerbsquellen
Für die Situation der Juden in Deutschland ist die Ansiedlung einzelner Familien und kleiner Gemeinden auf dem
Land charakteristisch. Größere Gemeinden in Städten wie
Frankfurt am Main und Worms sind die Ausnahme.
Erwerbsquellen der Juden bilden wie bereits zuvor vor allem
das Kleinkreditwesen, die Pfandleihe eingeschlossen, der
Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, der Viehhandel und gelegentliche gewerbliche Tätigkeiten.
Ihre schwierige soziale und wirtschaftliche Situation schürt
bei nicht wenigen messianische Erwartungen.
Josel von Rosheim
Herausragende Gestalt des Judentums ist Josel von Rosheim
im Elsass. Vor allem auf den Reichstagen sucht und erhält er
die Unterstützung Kaiser Karls V.
8 Eine Jüdin und ein Jude aus Worms in typischer Kleidung und mit Judenring
1530 erreicht Josel die Ausweisung des Hebräischlehrers
Anton Margaritha aus Augsburg. Der Konvertit hatte die
erste deutsche Übersetzung des jüdischen Gebetbuches und
eine Darstellung jüdischer Riten und Bräuche mit zahlreichen Angriffen auf das Judentum verbunden.
In den Vierzigerjahren erwirkt Josel von Kaiser Karl V. eine
Verbesserung der Rechtslage der Juden.
1539 erreicht er auf dem Frankfurter Fürstentag bei Luthers
Landesherrn eine teilweise Rücknahme von dessen Vertreibungsmandat von 1536. Unter dem Einfluss von Luthers
Schriften erneuert Johann Friedrich es jedoch bereits 1543.
9 Protestschreiben Josels von Rosheim zugunsten
der Juden von Dangolsheim
10 Titelblatt der 1530 in Augsburg erschienenen
Schrift von Margaritha
Ebenfalls auf der Frankfurter Versammlung gelingt dem
Sprecher der Juden mithilfe von Philipp Melanchthon der
Nachweis, dass die Verbrennung von 38 Juden in Berlin 1510
als Ahndung eines angeblichen Hostienfrevels ein bischöflich bewirkter Justizmord war.
konversionen und kontakte
Konversionen zum Christentum sind für die jüdische Seite
oft schmerzlich, so vor allem im Fall Johannes Pfefferkorns.
Anfang des Jahrhunderts fordert er die Verbrennung des Talmuds, des großen jüdischen Traditionswerkes aus der Antike.
Es gilt im Judentum als wegweisender Ausdruck des mündlichen Gesetzes neben der schriftlichen, biblischen Tora. Die
Verbrennung wird durch den Juristen und Hebraisten Johannes Reuchlin aus Pforzheim verhindert.
Gelegentlich kommt es zur Zeit Luthers zu – literarisch stilisierten – christlich-jüdischen Religionsgesprächen über Fragen der Auslegung der Hebräischen Bibel.
Der bedeutendste jüdische Beitrag zum jüdisch-christlichen
Verhältnis besteht in der Unterrichtung christlicher Theologen im Hebräischen. Allen voran ist Elia Levita aus Süddeutschland zu nennen. Nach langen Jahren in Italien arbeitet er eng mit dem führenden christlichen Hebraisten und
Theologen Sebastian Münster in Basel zusammen.
15 Titelblatt der Bibelausgabe von
Sebastian Münster, Basel, 1936
Zum Missfallen Luthers hat
Münster vielfach von jüdischen
Kommentaren Gebrauch gemacht.
11 Lucas Cranach d. Ä., Kaiser Karl V., 1550
12 Rechts:
Lucas Cranach d. J., Das Abendmahl,
St. Johanniskirche in Dessau, 1565
Vorn links kniet Kurfürst (später Herzog)
Johann Friedrich, rechts neben ihm ist Judas
mit typischen antijüdischen Merkmalen
dargestellt, rechts neben dem Gastgeber
Philipp Melanchthon.
13 Unten links: Johannes Pfefferkorn (1469–1524), zeitgenössischer Kupferstich
14 Unten rechts: Johannes Reuchlin (1455–1522)
5
Ausstellungstafeln
RollUp 150 x 230 cm / 80 x 230 cm
6
Lu ther s Ju d enf ein d s c h a f t –
wa r u m ?
Es gibt kaum etwas in Luthers Zeit, was sich seiner herausragenden Schrift von 1523 vergleichen ließe.
Gelegentlich sucht man dies zwar herunterzuspielen. Man verweist auf ihre missionarische Abzweckung
oder behauptet, Luthers Theologie sei in ihrem Verhältnis zum Judentum stets gleich geblieben.
Das trifft jedoch nur zu, wenn man das Cranach-Bild ohne Einschränkung für das Ganze der lutherschen
Theologie nimmt. Dies ist es jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht.
1 Kirchenschiff der Stadtkirche St. Marien in Wittenberg
mit Blick in den Altarraum
v o m l i c h T z u R f i n s Te Rn i s
g Re n z e n – u n D an säT z e ihRe R
In seiner Anfangszeit hat Luther die traditionelle religiöse
Feindschaft gegen die Juden übernommen, ja teilweise verschärft. Erst nach und nach macht er sich die biblische Hoffnung für das jüdische Volk, wie sie Augustin und andere teilten, zu eigen und zieht daraus positive Konsequenzen für das
Verhalten zu den Juden.
ü Be Rw in Du n g ?
Würde man den missionarischen Zweck der Schrift von
1523 als Einschränkung ihrer ethischen Bedeutung verstehen, dann würde man Luther nach heutigen Kriterien beurteilen, anstatt ihn an seinen eigenen Ausführungen zu messen.
2 Lucas Cranach d. Ä., Epitaph-Flügelaltar der Stadtkirche in Wittenberg,
1547
Dargestellt sind die drei Sakramente Taufe (links), Abendmahl (Mitte,
Empfang des Kelchs durch Luther als Junker Jörg) und Beichte (rechts).
Unten: Luther als Prediger des Gekreuzigten in der Predella des Flügelaltars
3 Lucas Cranach d. J., Luther mit der Hebräischen Bibel, 1560
Aufgeschlagen ist 1. Chronik 17,17, ein Wort
König Davids an Gott, das der Reformator in
seiner Übersetzung auf Jesus Christus deutet:
„Und du hast angesehen Mich, als in der
Gestalt eines Menschen, der in der Höhe Gott
der HErr ist.“ Die Übertragung ist in der heutigen Luther-Übersetzung revidiert. Luther
hat seine Auslegung in seiner dritten antijüdischen Schrift (Von den letzten Worten Davids)
begründet.
4 Unten: Kanzel der Andreaskirche in Eisleben
Von dieser Kanzel verlas Luther während seines letzten Aufenthalts in Eisleben kurz vor
seinem Tod seine Vermahnung wider die Juden, in der er seine Forderungen von 1543 erneuerte.
Von den Erkenntnissen Luthers in seiner Frühzeit ist bereits
Mitte der Zwanzigerjahre und dann vor allem in den späten
Schriften nichts geblieben. Wie ist seine Wendung von einer
konstruktiven zu seiner zerstörerischen Einstellung zu den
Juden zu erklären?
von luther genannte gründe
Luther selbst nennt verschiedene Gründe: den mangelnden
Erfolg seiner Schrift, vermeintliche jüdische missionarische
Aktivitäten in Mähren, die ihm angeblich erst jüngst bekannt
gewordenen Lästerungen Jesu, Marias und der Christen,
durch deren Duldung Christen sich mitschuldig machten,
und nicht zuletzt eine für beide Seiten enttäuschende Begegnung mit zwei oder drei in Wittenberg durchreisenden Juden
bereits Mitte der Zwanzigerjahre.
Die Aufforderung, die jüdische Bevölkerung zu vertreiben,
zielt möglicherweise darauf ab, die neu gebildeten evangelischen Landeskirchen durch Ausschluss aller abweichenden
Gruppen zu stabilisieren. Allerdings ließen sich von hier aus
nicht die weiteren antijüdischen Schriften von 1543 erklären,
in denen es allein um die jüdische und christliche Schriftauslegung geht (Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi
und Von den letzten Worten Davids).
Das zentrum des problems
Diese beiden weiteren Schriften verstärken den bereits mit
dem Traktat Von den Juden und ihren Lügen erweckten Eindruck, dass für Luther eine andere Bedrohung ausschlaggebend war. Seine Leitschnur war von Anbeginn: Wenn man
das Alte Testament ohne das Neue verstehen kann, dann ist
Christus umsonst gestorben. Alles hing für ihn daran, dass
der Nazarener sein Leben nicht vergeblich, sondern zur Erlösung der Menschheit hingegeben hatte und dass dies keine
christliche Erfindung, sondern im Alten Testament angebahnt war.
Die jüdischen Ausleger und ihre christlichen Anhänger beharrten demgegenüber auf dem einfachen Sinn der jüdischen
Bibel ohne Bezug auf Jesus Christus als Messias. Im Gegensatz zu der von ihm vertretenen Wahrheit war diese Sicht für
Luther Ausdruck der Lüge. Sie stellte die Grundlegung der
Kirche im Alten Testament infrage und rechtfertigte für ihn
die Anwendung von Gewalt in Glaubensdingen.
In seiner Frühzeit hatte er dies, unverblendet durch Angst
und Hass, entschieden abgelehnt.
Die jüngst vertretene These, Gewaltanwendung in Glaubensdingen sei in Luthers Zeit und für Luther selber selbstverständlich gewesen, tut deshalb all jenen Christen unrecht, die
wie der Reformator 1523 für ein menschliches Verhalten zu
den Juden eingetreten sind oder bereits vor ihm manchmal
über ein Jahrhundert hin ein tolerantes, friedliches Miteinander mit den Juden an ihrem Ort gelebt haben.
Das Cranach-Bild vom Beginn der Ausstellung („Gesetz
und Evangelium“ oder auch „Gesetz und Gnade“) ist in dieser oder jener Form für viele Ausgaben von Luthers wegweisender Übersetzung der Bibel als Titelbild gewählt worden.
Daran lässt sich ablesen, wie sehr es als beispielhafte Zusammenfassung seiner Lehre galt.
7
d iE s a u
a n d En K ir c h E n
8
Z E i t gE nossE n
l ut h E rs
Das Schwein gehört zu den Tieren, die im Judentum tabu sind.
Es gilt als unrein und wird von traditionstreuen Juden nicht gegessen.
Umso verletzender war es, dass Christen im Mittelalter begannen,
Juden mithilfe des Schweins als Bildmotiv
zu schmähen und zu demütigen.
Unter den Zeitgenossen Luthers herrscht eine große Bandbreite von Einstellungen
zum Reformator und zur Frage einer angemessenen christlichen Sicht auf das
Judentum. Auf jüdischer Seite folgt auf hohe Erwartung herbe Enttäuschung, auf
christlicher begegnen nebeneinander so unterschiedliche Positionen, wie sie Luther in
seinen Schriften von 1523 und 1543 vertreten hat.
Vo r u n d n acH l u tH Er
Zunächst auf Steinreliefs an einer großen Anzahl von Kir­
chen, dann auch im Druck wurden Juden gezeigt, die an den
Zitzen einer Sau saugen, ihr in den Anus schauen und ande­
res mehr. In Wittenberg ist bis heute an der Stadtkirche,
Luthers Predigtkirche, ein solches Relief zu sehen.
5 Lucas Cranach d. Ä. (Werkstatt),
Koloriertes Titelblatt zur Luther-Bibel,
Wittenberg, 1541
Später hat sich der neuzeitliche Antisemitismus dieses Bild­
motivs bedient, um gegen die Juden zu hetzen.
1 Das Relief an der Wittenberger
Stadtkirche St. Marien,
14. Jahrhundert
Die lutherisch-reformatorische Darstellung der Größe „Gesetz“, wie sie in Cranachs Bild festgehalten ist, ist nicht nur
im Blick auf das Volk Israel und auf jüdisches Verständnis
des Gesetzes (der Tora) lückenhaft. Sie gibt auch Luthers
Verständnis des Wortes Gottes als Gesetz oder Gebot nur
begrenzt sachgemäß wieder.
luthers aneignung des Bildmotivs
2 Oben rechts: Holzschnitt zur
Verhöhnung der jüdischen Religion,
Süddeutschland, ca. 1470
Luther hat das Motiv der sogenannten Judensau in seiner
zweiten antijüdischen Schrift von 1543 Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi ausgeschlachtet. Er schmäht die
jüdische mystische Auslegung des Gottesnamens, des Tetra­
gramms Jhwh, indem er die Rabbiner als Ausleger ihrer Tra­
dition in den Schmutz zieht:
3 Rechts: Die sogenannte Frankfurter
Judensau; Wiedergabe des Freskos am
Alten Brückenturm in Frankfurt am
Main von 1500 (1801 zerstört),
Anfang 18. Jahrhundert (Ausschnitt)
Die zehn gebote als „lehre der lehren“
Luthers Auslegung der Zehn Gebote in seinem Kleinen und
Großen Katechismus sowie auch einzelne Traktate zeigen
übereinstimmend:
4 Unten: Der Schriftzug Rabini Schem Ha Mphoras über dem Wittenberger Relief, 18. Jahrhundert
Sobald das Gesetz seine Funktion, den Sünder zu verklagen,
ausgeübt und den Verzweifelten in die Arme der Barmherzigkeit Gottes getrieben hat, kann der Reformator die göttlichen Gebote völlig anders würdigen. Sie werden zur Weisung, die den Willen Gottes benennt und das Miteinander
der Menschen verbindlich regelt.
Die „Lehre der Lehren“, einen „Ausbund göttlicher Lehre“,
nämlich „für das, was wir tun sollen, damit unser ganzes
Leben Gott gefalle“, und „den höchsten Schatz, der uns von
Gott gegeben ist“, hat Luther die Zehn Gebote deshalb nennen können. Ebenso hat er das Hebräische als Sprache des
Alten Testaments in den höchsten Tönen gelobt.
Das Bild eines schülers
In Wittenberg hat man mehr als 200 Jahre nach Luthers Tod
über dem mittelalterlichen Relief die Überschrift „Rabini
Schem Ha Mphoras“ hinzugefügt und so einen bleibenden
Bezug zur Schrift Luthers hergestellt.
das Wittenberger mahnmal
6 Franz Timmermann, Gesetz und Evangelium, 1540
1988 ist in den Boden unter dem Relief in Wittenberg eine
von dem Bildhauer Wieland Schmiedel gestaltete Bronze­
platte mit einer Steinumrandung eingelassen worden. Ein
Kreuz ist von zwei Inschriften umgeben, einer hebräischen
und einer deutschen. Die deutsche Inschrift umschließt die
gesamte Bronzeplatte, die hebräische ist jeweils auf der zwei­
ten und vierten Seite der Umrandung wiedergegeben. Die
beiden Inschriften gehen auf den Schriftsteller Jürgen Ren­
nert zurück.
Der Cranach-Schüler Franz Timmermann hat sich an das
Vorbild seines Meisters angelehnt, die Gestaltung des Themas „Gesetz und Evangelium“ jedoch zugespitzt. In seiner
Fassung liegen auf der rechten Seite außer den Monstern Tod
und Teufel auch die beiden Dekalogtafeln unter den Füßen
des Auferstandenen. Auf den Tafeln in der linken Bildhälfte
hat er, den Evangelien folgend, statt der Zehn Gebote deren
Zusammenfassung durch das Doppelgebot der Gottes- und
Nächstenliebe wiedergegeben.
Der Text der deutschen Inschrift lautet:
cranachs Treue zum Dekalog
Cranach senior und junior sind demgegenüber texttreuer verfahren. Auf dem Weimarer Altarbild haben sie das Motivgeflecht von „Gesetz und Gnade“ aufgenommen und freier als
sonst gestaltet. Den Text der Dekalogtafeln haben sie jedoch
wortgetreu auf Hebräisch wiedergegeben – bis dahin, dass sie
auch den Beginn der Zehn Gebote übernommen haben: „Ich
bin der HErr, dein Gott, der dich herausgeführt hat (aus dem
Land Ägypten, dem Sklavenhaus).“ (2. Mose 20,2)
Luther hat diesen Beginn nicht in seine Katechismen aufgenommen, weil er nur Israel gelten würde.
luthers schriftauslegung
Ohne den Absolutheitsanspruch seines Bibelverständnisses mit seinen Folgen für die Darstellung der Juden lässt sich
Luthers Deutung des Alten Testaments auch heute noch
vielfach mit Gewinn lesen. Aus dem Innersten der eigenen
Glaubensexistenz kommend ist sie zwar nicht historisch
„richtig“, oft jedoch hilfreich, wegweisend und tröstlich.
Unter diesem Vorzeichen bewegt sich Luther dann auch
ganz unerwartet in guter Nachbarschaft mit jüdischen Auslegern, die auf ihre Weise Freunde einer lebendigen, mehrschichtigen Deutung der Bibel sind.
Es ist hier zu Wittenberg an unserer Pfarrkirche eine Sau in
Stein gehauen, da liegen junge Ferkel und Juden unter, die
saugen. Hinter der Sau steht ein Rabbi, der hebt der Sau das
rechte Bein empor, und mit der linken Hand zeucht (zieht)
er den Pirzel (das Hinterteil) über sich, bückt und guckt mit
großem Fleiß der Sau unter dem Pirzel in den Talmud hinein,
als wollt er etwas Scharfes (mühsam zu Lesendes) und Sonderliches lesen und ersehen. Daselbst her haben sie gewisslich
ihr Schem Hamphoras … Denn also redet man bei den Deutschen von einem, der große Klugheit ohne Grund vorgibt:
Wo hat er’s gelesen? Der Sau im – grob heraus – Hintern.
5 Wieland Schmiedel, Quetschung – Gegenzeichen zum Schmährelief an
der Stadtkirche zu Wittenberg, 1988
6 Der Rotenburger Kirchenteppich, 1934/35,
heute im Kreismuseum Rotenburg an der
Fulda; der bebilderte Text ist das Vaterunser.
7 Unten: Detail des oberen Bereiches
7 Lucas Cranach d. Ä. / d. J., Epitaph-Flügelaltar (Mittelteil) in der
Stadtkirche St. Peter und Paul in Weimar, 1555
8 Unten: Luther mit dem pommerschen Herzogshaus auf dem Croÿ-Teppich von Peter
Heymans, Greifswald, 1555 (Ausschnitt)
Rechts des Kanzelkorbs mit den Symbolen der vier Evangelisten ist Mose mit den Dekalogtafeln zu sehen. Sie enthalten hier das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe.
Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem-HaMphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar
heilig hielten, starb in sechs Millionen Juden unter einem
Kreuzeszeichen.
Der hebräische Text besteht aus dem Anfang von Psalm 130:
Aus der Tiefe rufe ich, HErr, zu dir.
Diesen Psalm hatten die Regensburger Juden einst an Luther
geschickt, vermutlich als Notschrei angesichts ihrer bevorste­
henden Vertreibung aus der Stadt 1519.
Mit dem erwähnten Kreuzeszeichen ist das Hakenkreuz ge­
meint. In der Zeit der Naziherrschaft sind jedoch christliches
Kreuz und Hakenkreuz vielfach zu einer unheiligen Einheit
zusammengefügt worden.
Johannes reuchlin (1455–1522) –
sympathisierender Humanist
Noch in die vorreformatorische Zeit
Luthers gehört der bereits erwähnte
Johannes Reuchlin. Als der getaufte
Jude Johann Pfefferkorn, vom inqui­
sitorischen Dominikanerorden vor­
geschoben, 1507 fordert, die Bücher
der Juden, allen voran den Talmud,
1 Johannes Reuchlin mit von Hutten
und Luther als Vorkämpfer und Hüter
zu konfiszieren und zu verbren­
der christlichen Freiheit
Agitatorischer Holzschnitt im Umkreis nen, tritt Reuchlin am Ende erfolg­
des Wormser Reichstags, 1521
reich für deren Erhaltung ein. Luther
profitiert wie viele andere von der hebräischen Grammatik
Reuchlins. In einem frühen gutachtlichen Brief äußert er sich
zugunsten des angeklagten Humanisten.
urbanus rhegius (1489–1541) –
schützender reformator
Der Reformator des Herzogtums Braunschweig­
Lüneburg und seine Frau Anna beherrschen Hebrä­
isch und entfalten in einem umfangreichen Dialogus
– sie als Fragerin, er als Lehrer – Jesus Christus als
den im Alten Testament verheißenen Messias. Von
Celle aus sucht Rhegius missionarischen Kontakt zu
den jüdischen Gemeinden in Hannover und Braun­
schweig. Ungeachtet heftiger Abfuhren hält er –
anders als Luther – an seiner Gewissheit der retten­
den Treue Gottes zu seinem Volk fest. Unter Berufung
auf das Evangelium setzt er sich, von seinen nega­
tiven Erfahrungen unbeirrt, nachhaltig für die von
Vertreibung bedrohten Braunschweiger Juden ein.
2 Dieter F. Domes, Urbanus Rheghius Gedenkfenster
Evangelische Friedenskirche Langenargen, 2001
martin Bucer (1491–1551) –
anwalt von zwangsmaßnahmen
Handels­ und Zinsnahmeverbot,
Ausschluss von Ämtern, Schutz­
geldbestimmungen, Synagogenbau­
verbot, Talmudverbot, Anhörpflicht
judenmissionarischer Predigten, kör­
perliche Arbeit wie Holz schlagen und
3 Martin Bucer im Alter
Kloaken reinigen – dies sind die Maßnah­ von 53 Jahren, Schaumünze
men, die der Straßburger Reformator Bucer des 16. Jahrhunderts
dem protestantischen Landgrafen Philipp von Hessen als
Bedingung dafür empfiehlt, dass er die Aufenthaltsgenehmi­
gung für die Juden seines Landes verlängert. Philipp antwor­
tet, dann könne man sie auch gleich vertreiben, stimmt aber
am Ende einer noch immer rigiden Judenordnung zu.
andreas osiander (1498–1552) –
geheimer Verteidiger
1540 legen Juden aus der Nähe von Eichstätt,
die eines Ritualmords beschuldigt werden,
eine anonyme Schutzschrift vor, die allem
Anschein nach der Nürnberger Reformator
Osiander gut zehn Jahre zuvor in einem ähn­
lichen Fall verfasst hatte. Er erwies darin die
Ritualmordbeschuldigung als judenhassendes
Lügengespinst. Christliches Schweigen dazu
war für ihn Mitschuld, Folter menschenfeind­
lich. Er erinnerte an die jüdische Scheu vor
dem lebenstragenden Blut. Über jüdischen
Glauben hätten „Mönche und Pfaffen“ nicht
4 Jörg Pencz, Andreas Osiander, 1544
zu gebieten. Das Bücherverbrennen sei gegen
Gottes Gebot, Christen gelangten zum rechten Glaubensver­
ständnis durch die hebräische Sprache. Maßgeblich für die
christliche Einstellung zu den Juden sei die von Paulus im
Römerbrief gegebene Leitschnur.
Auch Osiander ist nicht frei von judenfeindlichen Ausfällen.
Ungeachtet dessen bleibt sein Gutachten eine Sternstunde
der Reformation.
Jüdische Stimmen
Jüdische Äußerungen zu Martin Luther sind fast durchweg
von der Frage bewegt, was Reformator und Reformation für
die eigene Gemeinschaft austragen. Auf christlicher Seite ist
eine Zukunft, die die Gegensätze der Gegenwart überwindet,
allein als Christianisierung der Juden vorstellbar. Ebenso ist
sie auf jüdischer Seite nur als
Hinkehr der Christen zum
Judentum denkbar.
Von dieser Grundeinstellung
abgesehen, äußern sich am
präzisesten Rabbi Jechiel ben
Rabbi Schmuel aus Pisa und
Josel von Rosheim. Erste­
rer erkennt in Luthers Lehre
der Rechtfertigung „allein
durch den (gnädig gewähr­
ten) Glauben“ eine Gefähr­
dung der Lehre vom freien
Willen. Josel von Rosheim
aus dem gleichnamigen Ort
im Elsass wiederum ist speku­
5 Abbildung Josels von Rosheim, mit diskrimi­
lativen Erwartungen aufgrund nierenden
Zügen dargestellt auf einem Flugblatt
seiner Erfahrungen mit den des 16. Jahrhunderts
tatsächlichen Verhältnissen in
Deutschland abhold. Zu diesen Erfahrungen gehören nicht
zuletzt seine Begegnungen mit Luther und Bucer. Freund­
schaftliche Beziehungen unterhält er zu dem Straßburger
Reformator Wolfgang Capito.
Verweigerte Begegnung –
Josel von rosheim und luther
1536 vertreibt Kurfürst Johann Friedrich die Juden aus Sach­
sen. Von der sächsischen Landesgrenze aus bittet Josel von
Rosheim Luther 1537 brieflich um Vermittlung; seine Schrift
von 1523 hat Hoffnung auf Toleranz keimen lassen. Doch
der Reformator weist ihn schroff ab, verweigert eine Begeg­
nung und die Weitergabe empfehlender Briefe an den Kur­
fürsten. Seine früher geforderten Erleichterungen für die
Juden seien als Voraussetzung ihrer gnädigen Hinführung
zum Messias gedacht gewesen. Nicht aber sollten sie dulden
helfen, „dass Ihr Euer Blut und Fleisch, der Euch kein Leid
getan hat, Jesum von Nazareth, verflucht und lästert, und
(wenn Ihr könntet) all die Seinen um alles brächtet, was sie
sind und was sie haben“. So möge sich Josel einen anderen
Mittler suchen.
Josels rückblick auf luther und Bucer
Nach dem Erscheinen der Schrift Von den Juden und ihren
Lügen bittet Josel von Rosheim den Rat der Stadt Straßburg,
den dort geplanten Nachdruck dieses Traktats zu verhindern.
Der Mob habe bereits begonnen, die vermeintliche Luther­
Parole auszugeben, man dürfe die Juden totschlagen. Der Rat
entspricht schließlich seiner mehrfach wiederholten Bitte.
Für Luther aber findet Josel von Rosheim in seinen Memoi­
ren nur die durch ein Sprachspiel gewonnene Deutung: „ein
unreiner Mann“ – isch lo tahor.
Ähnlich reagiert der Repräsentant der Juden auf Bucers
Judenratschlag. Er sei „aus einem vergifteten Gemüt“ gekom­
men, schreibt er in einer Trostschrift an seine Brüder wider
Buceri Büchlein, und habe nicht das Wohlgefallen Gottes. In
seinen Memoiren erinnert er daran, dass er Bucer auf dem
Fürstentag in Frankfurt 1539 angesichts der von ihm emp­
fohlenen Maßnahmen geantwortet habe: „Gott der Herr hat
uns seit Abrahams Zeiten erhalten, er wird uns durch seine
Gnade gewiss auch weiterhin vor euch erhalten.“
6
Ausstellungstafeln
RollUp 150 x 230 cm / 80 x 230 cm
v o n M o s E g E t r a g En
10
d ie zeit
d e r L u th e r is c h en O rth Od O x ie
Pi e t i sm us und a uf k L ärung
Auch in der Reformation gilt: Sehen kommt vor Sprechen.
Als sich in der Mitte des 16. Jahrhunderts selbst die Säulen und Pfeiler, die Kanzeln tragen,
zu figürlichen Boten der evangelischen Verkündigung wandeln, ist der Kanzelträger,
der am häufigsten wiederkehrt, Mose! Als tragender Bibelrepräsentant ist er unter rund
70 Prozent der evangelischen Kanzeln zu sehen.
Das 17. Jahrhundert bringt die Blütezeit und das beginnende Ende der lutherischen Orthodoxie sowie den
Anfang der Bewegung des Pietismus mit sich. Auf jüdischer Seite gesellen sich zum Leben der weit verstreuten
Landjuden und der kleineren Gruppe erfolgreicher Kaufleute die Hofjuden, die aus wirtschaftlichen und
finanziellen Gründen ebenso gefragt wie gefährdet sind. Auch wächst die Anzahl der städtischen Gemeinden.
Die Gesamtzahl der Juden bewegt sich unter einem Prozent der Bevölkerung.
1714 wird in Berlin die erste Synagoge gebaut; Friedrich Wilhelm I. stiftet dazu einen Toravorhang.
Doch kann die Entwicklung, die sich darin äußert, nicht darüber hinwegtäuschen, dass Juden in BrandenburgPreußen vor allem zum Wiederaufbau der Wirtschaft und als Steuerquelle willkommen waren. Schien es dem
Landesherrn angezeigt, schränkte er ihre Rechte – bis hin zur Vertreibung – erneut ein. Gleichwohl führten
Pietismus und Aufklärung zu einer Verbesserung der Stellung der Juden in der Gesellschaft.
9
K a nZEln
Wa S G i B t Er z u S E H E n , z u l E S E n ?
1 Mose als Kanzelträger, St.­Severin­Kirche
Otterndorf/Niederelbe, 1644
Das liegt im reformatorischen Sinn auf der Hand, besser in
seinen Händen: die Tafeln des Gesetzes, des Zehnwortes vom
Sinai, oft lesbar aufgeschrieben in Deutsch, auch in Hebrä­
isch oder Latein, manchmal drei Gebote auf der einen, sieben
auf der anderen Tafel.
Er wird oft begleitet von seinem Bruder Aaron, Johannes dem
Täufer oder Engeln. Mose, der Kanzelträger – unwillkürlich
denkt man an Atlas, den Globusträger, an Christophorus, den
Christuskindträger ...
p o l e mik u n D
J ü Dische e xisT e n z
Be ke hR u n g sw ü n sche
in D eR f Rü he n n e u z e iT
Das christliche Verhältnis zu den Juden bleibt in dieser Zeit
der Tradition verhaftet. Es bewegt sich zwischen diffamierender Abgrenzung und der Erwartung der Bekehrung der
Juden, die judenmissionarische Bestrebungen einschließt.
Verschiedentlich lassen sich Ansätze zu einer Änderung des
Verhältnisses erkennen.
Wie kein anderes Werk erlauben die Erinnerungen der jüdischen Kauffrau Glikl Bas Judah Leib (1646/47–1724) einen
tiefen Einblick in die Lebenswelt der deutschen Juden in der
Frühen Neuzeit.
Er lenkt den Blick auf das erste Gebot, worin das Herz der
gesamten biblischen Verkündigung schlägt. Mose, der Ohren­
zeuge der göttlichen Offenbarung und Lehrer der Weisung
vom Sinai, der „Grundweisung und Fels des Menschenan­
standes unter den Völkern“ (Thomas Mann), wird zum stets
gegenwärtigen Ohrenzeugen der reformatorischen Predigt.
Für die Bildhauer und Kanzelbauer des 16./17. Jahrhunderts
und ihre Auftraggeber trägt und hält Mose die Prediger in
ihren Kanzeln. Er vergegenwärtigt ein sprechendes Buch, sie
aber erheben ihre Stimme! Wozu hält er sie an zu sprechen,
wenn sie die reformatorische Botschaft verkündigen?
2 Kanzel, Dorfkirche Lübbenow, 1581
3 Unten: Kanzel, St.­Stephani­Kirche Helmstedt, nach 1596
Das Gesetz konfrontiert alle, die ihren Blick nicht abwenden
vom aufgeschlagenen Buch, mit ihrem Leben vor Gott und
den Menschen, ihrer Anmaßung, ihren Ängsten, ihrer Selbst­
sucht, ihrer Überheblichkeit. Es wird zum unbestechlich auf­
deckenden Spiegel des falschen Lebens. Und zugleich führt
es zur Frage: Wer bin ich? Überführt zur Selbstaufklärung
im Angesicht Gottes. Und wird zugleich das „Ewig­Kurz­
gefasste, das Bündig­Bindende, Gottes gedrängtes Sitten­
gesetz“, Weisung des Rechttuns und des „Menschenbeneh­
mens“ (Thomas Mann). Und führt zur Botschaft jener, die
den Kanzelkorb über dem Kanzelträger zieren: die Evangelis­
ten und ihre Botschaft.
Der Hamburger Senat hat seit Beginn des Jahrhunderts die
Niederlassung jüdischer Kaufleute gefördert. Die Bürgerschaft sucht jedoch das Leben der wirtschaftlichen Konkurrenten nach Kräften einzuengen. Unterstützt wird sie von
den lutherisch-orthodoxen Geistlichen, die sich in ihren
Predigten für ihre Polemik auf Luthers Schrift Von den Juden
und ihren Lügen von 1543 berufen.
1 Siebenarmiger Leuchter, Kupferstich aus Nürnberg, 1649
Dieser Leuchter wahrer Religion geht auf das Reformationsgedenken
1617 zurück. Er feiert die Verabschiedung der Confessio Augustana
von 1530 und den Augsburger Religionsfrieden von 1555. Der Leuchter aus dem Tempel Israels steht auf der Bibel, die von zwei Cherubim
der Bundeslade getragen wird. Luther hält als Hinweis auf das Evangelium den grünenden Stab Aarons in seiner Rechten, sein Landesherr
Johann der Beständige das Schwert und – als Hinweis auf das Gesetz –
den Stab Moses. Das Bild lebt von der Aneignung alttestamentlicher
Elemente.
2 Siebenarmiger Leuchter im Dom zu Braunschweig, 12. Jahrhundert
Die Kirche hat sich seit der Antike als Nachfolgerin des Tempels in Jerusalem verstanden.
So gehören gelegentlich auch siebenarmige
Leuchter zu ihrem kultischen Inventar.
3 Fußbodenmosaik aus Nirim im Süden Israels,
6. Jahrhundert
Der siebenarmige Leuchter ist eines der alten
Symbole des Judentums und begegnet auf Mosaikböden und Reliefs der ersten Jahrhunderte.
4 Eine moderne Version steht vor dem
israelischen Parlament in Jerusalem.
Sie bezeugt die unverändert hohe Bedeutung dieses urjüdischen Symbols für das
jüdische Volk.
gutachten Theologischer fakultäten
Anfang des Jahrhunderts (1611) antworten die Theologischen Fakultäten Jena und Frankfurt/Oder auf die Anfrage,
ob Juden in einem christlichen Staat zu dulden seien, mit
einem positiven Bescheid. Sie plädieren jedoch für ein Verbot öffentlicher Religionsausübung. Für ihre positive Stellungnahme berufen sie sich auf Luthers Schrift von 1523.
Johann Buxtorf d. ä. (1564–1629)
1603 veröffentlicht der Baseler Professor für Hebräisch
Johannes Buxtorf seine Arbeit Synagoga Iudaica: Das ist der
Jueden Schul, die zur gefragten Orientierung über das Judentum wird. Sein Bestreben, von den Quellen her über Glauben, Sitten und Gebräuche der Juden zu informieren, wird
durch die antijüdische Grundrichtung des Werkes begrenzt.
Antijüdische Aussagen Luthers von 1543 eröffnen seine
Darlegungen.
4 Unten: Mose als Kanzelträger, Kirche Großolbersdorf, 1647
6 Unten: Luther-Bibel aus Lüneburg, kolorierter
Kupfertitel, 1664
Auch hier ist das Thema „Gesetz und Evangelium“
leitend. Der siegreiche Auferstandene im hellen Licht,
den Tod unter seinen Füßen, nimmt die Decke von den
Augen des Mose, der im dunklen Schatten sitzt. Auf
den beiden Gesetzestafeln steht statt der Zehn Gebote
die Drohung: „Verflucht sey, wer nicht alle Worte dieses
Gesetzes erfüllet, das er darnach thue“ (5. Mose 27, 26).
5
Johannes müller (1598–1672)
1644 veröffentlicht der Anführer der antijüdischen Hamburger Geistlichen, Johannes Müller, sein Werk Judaismus und
Judenthumb. Darin informiert er über das Judentum, weist
jüdische Einwände gegen das Christentum ab und plädiert
für die Bekehrung der Juden. Theologisch liegt das Werk auf
der antijüdischen Linie Luthers. Zwar erinnert Müller auch
an dessen Aufruf von 1523, spricht sich jedoch zugleich für
massive Einschränkungen jüdischen Lebens aus.
eisenmengers Entdecktes Judenthum
1700 publiziert der spätere Professor für orientalische Sprachen Johannes Andreas Eisenmenger (1654–1704) ein zweibändiges antijüdisches Werk, das bis ins 20. Jahrhundert
hinein „die trübe Quelle aller judenfeindlichen Schriften
gewesen“ ist ( Jüdisches Lexikon).
anfänge des pietismus
Trotz der hier und da erkennbaren Ansätze zu einem anderen Verhältnis zu den Juden hat es auch im 17. Jahrhundert
Ausweisungen von Juden aus Städten und Territorien gegeben, selbst in der Zeit des Pietismus. Doch haben die Erwartung einer heilvollen Zukunft für Israel und die Forderung
eines glaubwürdigen Verhaltens zur jüdischen Gemeinschaft
in dieser Bewegung zunehmend an Gewicht gewonnen.
Im Jahre 1691 beginne ich dieses
zu schreiben, aus vielen Sorgen
und Nöten und Herzeleid,
wie weiter folgen wird ...
glückel von hameln
Die Memoiren der Hamburger Kauffrau erzählen von jüdischem Leben in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Als Angehörige der jüdischen Oberschicht steht Glückel in
familiären und wirtschaftlichen Beziehungen zu Juden in
ganz Mitteleuropa.
Wie kam mose zu Füßen der „mundboten Gottes“
(luther), zu diesem publikumswirksamen Platz?
11
Wir haben in Hamburg kein Bethaus gehabt und auch
gar kein Wohnrecht. … Doch sind die Juden zusammengekommen in ihren Wohnungen zum Beten, so gut sie
nebbich … gekonnt haben. Wenn solches die Räte der
Stadt vielleicht schon gewusst haben, haben sie doch gern
durch die Finger gesehen. Aber als es Geistliche gewahr
worden sind, haben sie es nicht leiden wollen und uns
nebbich verjagt, und wie das schüchterne Schaf haben wir
müssen nach Altona ins Bethaus gehen.
pi eT i s m u s
ü B eR g ä n g e
Die materiellen, kulturellen und seelischen Verwüstungen,
die der Dreißigjährige Krieg angerichtet hatte, führten zu
einer Schwächung der Kirche als Institution und zu einem
Geltungsverlust ihrer Dogmatik. Der Pietismus kam auf, eine
enthusiastische Auffassung des Glaubens und Kräftigung des
Laienelements in der Gemeinde.
Die Periode von 1650 bis 1815 ist als „die wohl ausgeglichenste in der deutsch-jüdischen Geschichte bezeichnet“
worden, in der „das friedliche Leben das Normale, der Konflikt die große Ausnahme“ war, auch wenn seine Strukturen
nur überdeckt waren.
In Anlehnung an den Römerbrief des Paulus und in Aufnahme der Schrift Luthers von 1523 entstand eine gegenüber den Juden freundlichere Haltung. So wird die Judenmission zu einem Hauptanliegen des Pietismus; an Toleranz
– die Bereitschaft, das eigene Recht der anderen Religion
gelten zu lassen – wird dabei noch nicht gedacht.
7 Bucheinband Die Memoiren
der Glückel von Hameln; der
Name „Glückel“ wurde 1896
von dem Herausgeber der
ersten Ausgabe geprägt. Von
Hause aus hieß sie Glikl Bas
(= Tochter von) Judah Leib.
1 Philipp Jacob Spener (1635–1705)
8 Leopold Pilichowski, Bertha Pappenheim als
Glikl, vor 1925
Im Jahr 1910 veröffentlichte die Sozialpädagogin
Bertha Pappenheim das Memoirenbuch ihrer
Vorfahrin Glikl „in gemeinverständlicher Sprache
und Schriftzeichen“.
9 Der Prophet Nathan von Gaza salbt Sabbatai Zwi
zum Messias; beide Männer mit dem den Juden aufgezwungenen christlichen Abzeichen des Judeseins.
Die anfänge der mission unter den Juden
und der erforschung des Judentums im pietismus
Philipp Jakob Spener hatte 1666 im Ghetto Frankfurts mit
der Judenmission begonnen. Sein Schüler August Hermann Francke, Gründer der Francke’schen Anstalten in
Halle 1698, wurde zu einem ihrer bedeutenden Fürsprecher.
Johann Heinrich Callenberg, dessen Nachfolger, gründete
1728 in Halle das erste „Institutum Iudaicum“, das sich der
wissenschaftlichen Fundierung der Judenmission widmete
und bis zum Ende des Jahrhunderts bestand. Die Theologische Fakultät in Halle und einzelne ihrer Professoren setzen
sich in 22 Gutachten, die etwa zur Hälfte von Juden erbeten
wurden, für deren Duldung und eine Zunahme ihrer religiösen Freiheit ein.
Die Sehnsucht nach Erlösung erhält in der Zeit Sabbatai
Zwis im Ostjudentum erheblichen Auftrieb durch die unermesslichen Leiden, die den Juden während des Kosakenaufstands unter Bogdan Chmielnitzki (ab 1648) zugefügt
werden. Zahllose blühende jüdische Gemeinden fallen dem
Wüten der Kosaken und der Soldateska in den Folgekriegen
zum Opfer. Viele Überlebende suchen Zuflucht im Westen
und bilden den Grundstock für zahlreiche jüdische Gemeinden auch in Deutschland.
moses mendelssohn – Bürge des Judentums
und mitte der aufklärung in preußen
Im 18. Jahrhundert beginnt diese geschlossene Welt, sich zu
öffnen. 1678 wurden in Frankfurt/Oder die ersten jüdischen
Studenten zum Studium der Medizin zugelassen. Dieser
Aufbruch erfasste vornehmlich die jüdische Oberschicht. Ein
großer Teil der jüdischen Bevölkerung verarmte im 18. Jahrhundert zunehmend. Ihren deutlichsten Ausdruck fand dies
in der großen Anzahl der sogenannten Betteljuden.
a u fk lä Ru n g
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts setzt die Aufklärung ein, die im Namen der
Vernunft betriebene Emanzipation des Bürgertums von Monarchie und Kirche,
den für die überlieferte Feudalgesellschaft konstitutiven Autoritäten. In zwei
Sätzen definiert Immanuel Kant, der Analytiker der Vernunft, den Begriff der
Aufklärung:
Der falsche messias sabbatai zwi
Im Jahr 1648 gibt sich der türkische Jude Sabbatai Zwi
(1626–1676) in seiner Gemeinde in Smyrna als Messias zu
erkennen. Nach Palästina verbannt, begegnet er seinem künftigen Sprachrohr, dem Propheten Nathan von Gaza. 1665
kehrt Sabbatai Zwi nach Smyrna zurück, in einer begeisterten Prozession bekennen sich die meisten Juden zu ihm als
Messias. Eine messianische Aufbruchsstimmung erfasst die
Gemeinden. Die türkischen Behörden aber verhaften ihn.
Mit der Todesstrafe bedroht, tritt Sabbatai Zwi zum Islam
über. Teile seiner Anhänger halten trotzdem an ihm fest.
Glückel von Hameln, deren Schwiegervater bereits Haus
und Hof verkauft hatte und über Jahre hin zum Aufbruch
gen Osten bereit war, schließt ihren Bericht mit den Worten:
„Aber es hat dem Höchsten noch nicht gefallen …“
Die jüdische Gemeinschaft war bis in die Anfangsphase dieser Zeit eine in sich geschlossene Welt. Sie wurde bestimmt
durch ihre religiöse Tradition, durch eine gewisse Autonomie in den rechtlichen Angelegenheiten ihrer Gemeinden
und durch die Autorität ihrer Rabbiner, die über Lehre und
Leben entschieden.
11 Unten: Auszug aus Wien ins Heilige Land
Eine satirische „Neue Zeitung“ auf die messianische Bewegung des Sabbatai Zwi,
zeitgenössischer Kupferstich 1666; Bildinschrift: „Jüdische neue Zeitung vom Marsch
aus Wien und anderen Orten der jetzigen zwölff Jüdischen Stämmen ... / weil sie aus der
Christenheit sollen verbannisiret werden / zu dem Nathan ziehen wollen.“
Herr Friedländer wird Ihnen sagen, mit welcher Bewunderung der
Scharfsinnigkeit, Feinheit und Klugheit ich Ihren Jerusalem gelesen habe.
Ich halte dieses Buch für die Verkündigung einer grossen, obzwar langsam
bevorstehenden und fortrückenden Reform, die nicht allein Ihre Nation,
sondern auch andere treffen wird. Sie haben Ihre Religion mit einem
solchen Grade von Gewissensfreiheit zu vereinigen gewusst, die man ihr
gar nicht zugetraut hätte und dergleichen sich keine andere rühmen kann.
Immanuel Kant an Moses Mendelssohn,
Königsberg, den 16. August 1783
3 Unten: Christian Wilhelm Dohm, Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden, Erster Theil.
Neue verbesserte Auflage, 1783
Dohm war Jurist, Diplomat und Schriftsteller, ab 1779 im preußischen Staatsdienst und
Bewunderer Friedrichs des Großen.
Oder ist es aus der Organisation bewiesen, dass eine Frau
nicht denken und ihre Gedanken nicht ausdrücken kann?
Wäre dies, so blieb es doch noch Pflicht, oder erlaubt, den
Versuch immer von neuem zu machen.
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten
Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes
ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
2 Edikt König Friedrich Wilhelms I. von 1724 über die Vertreibung aller nicht zugelassenen Juden
10 Bildinschrift:
Der Große betrieger und Falsche MESSIAS
SABATAI – SEVI.
König der Juden
ANNO 1666
Die Sache der Aufklärung ist Freiheit des Menschen in Wirtschaft, Politik, Kultur und Religion. Folglich ist die Gleichberechtigung der Juden eines ihrer Ziele.
Kant, dem wichtigsten Verfechter der Aufklärung auf der deutschen Seite, stand
in Moses Mendelssohn deren bedeutendster Lehrer auf der jüdischen gegenüber.
Freundschaft und Verehrung verbanden beide.
anfang des 18. Jahrhunderts:
Die welt beginnt, sich für die Juden zu öffnen
Das Leben Moses Mendelssohns war ein einziges Plädoyer für die Verträglichkeit der jüdischen Religion mit der Vernunft. Dabei ist er von der Befolgung
der Tora niemals abgewichen. Seine Schriften (u.a. Jerusalem – oder über religiöse Macht und Judentum, 1783, und Morgenstunden, 1785) durchzieht ein – von
der Philosophie Spinozas inspiriertes – Bekenntnis zur Vernunft. Er verwandte
große Mühe darauf, den Juden seiner Zeit die deutsche Sprache nahezubringen. Dazu hat er – bei hoher Anerkennung der Bibelübersetzung Luthers – die
Tora, die Psalmen und das Hohelied übersetzt; auch trat er wirksam für seine
Religionsgenossen ein; so half er 1777 mit einer Eingabe, die Vertreibung der
Dresdner Juden zu verhindern.
Die schrift des staatsbeamten christian wilhelm
Dohm zur verbesserung der lage der Juden von 1781
Christian Wilhelm Dohm plädierte in seiner Schrift Ueber
die bürgerliche Verbesserung der Juden von 1781 für eine Öffnung der Gesellschaft für die Juden in ihrer Mitte. Die Diskussion seiner Vorschläge, die er für die zweite Auflage aufnahm, zeigt die Grenzen der Aufklärung: Wie die christliche
Judenmission von einst die Absage der Getauften an ihr
Judentum gefordert hatte, so erwarteten die Aufklärer eine
Assimilation, als wäre sie eine Reinigung – die Aufgabe all
dessen, „was dem herkömmlichen Bild des Juden entsprach:
seine jiddische Sprache, sein Äußeres, seine Geschäftspraktiken und auch seine orthodoxe Religionsauffassung“ (Arno
Herzig).
4 Anna Dorothea Therbusch, Henriette Herz als Hebe, die griechische Göttin der
Jugend, 1778
Henriette Herz (1764–1847) führte wie Rahel Varnhagen (1771–1833) einen in der
Berliner Gesellschaft gefragten Salon.
Das emanzipationsedikt von 1812
Das die Emanzipation der Juden vorschreibende Edikt des
preußischen Königs von 1812 weckte die Hoffnung auf ein
freieres Leben außerhalb der überlieferten, isolierenden Formen ihrer Religion und ihres sozialen Lebens. Sie gerieten
in eine vielfältige Auseinandersetzung mit der modernen
Kultur. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verlor die jüdische
Gemeinschaft in Berlin ein Zehntel ihrer Mitglieder an die
evangelische Kirche, darunter einen Teil der Nachkommen
Mendelssohns. Zugleich begann der aufflackernde Antisemitismus, den Sinn und das Gelingen ihrer Assimilation infrage
zu stellen.
Rahel Varnhagen
5 Moritz Oppenheim, Lavater und Lessing
besuchen Moses Mendelssohn, 1856
Moses Mendelssohn wurde 1729 in Dessau
geboren. Im Alter von 14 Jahren wandert
er, seinem Lehrer David Fränkel folgend,
nach Berlin aus. Dort studiert er in den ersten Jahren neben dem Talmud die Fundamente der europäischen Kultur und erlernt
ihre wichtigsten Sprachen: Deutsch, Latein,
Englisch und Französisch. 1753 entsteht
seine Freundschaft mit Gotthold Ephraim
Lessing. In Nathan der Weise, seinem letzten
Werk, setzt dieser 1779 Mendelssohn ein
Denkmal der Toleranz.
1783 wird Mendelssohn zum Ehrenmitglied
der Berliner „Gesellschaft von Freunden der
Aufklärung“ gewählt, der neben Lessing und
Christian Wilhelm Dohm auch Beamte des
Konsistoriums – darunter Johann Joachim
Spalding – angehören.
7
Ausstellungstafeln
RollUp 150 x 230 cm / 80 x 230 cm
12
J üd i s che ema n zi PatiO n
u n d k irchL i cher a n ti s em it is m u s
13
V e r s a g en d e r k i rc h e
u n d h O L Oc aust
14
das l ut h E r- J ah r
1933
Der Niedergang des protestantischen Deutschen Kaiserreiches durch eine
militärische Niederlage im Weltkrieg und die anschließende Revolution betreffen den
deutschen Kulturprotestantismus und das assimilierte deutsche Judentum gleichermaßen.
Die Infragestellung von obrigkeitsstaatlichen Normen und Werten sowie die
wirtschaftliche Situation belasten das ungewohnte demokratische System schwer.
Zur Deutung ihres Machtantritts als nationale „Zeitenwende“ bemühen die Nationalsozialisten
immer wieder die historischen Größen in der deutschen Geschichte, deren Werk es zu
vollenden gelte. Derlei Zuschreibungen für mittelalterliche Reichsgröße (Heinrich I.),
Grenzverteidigung (Prinz Eugen), preußische Pflichtauffassung (Friedrich der Große) oder
Reichseinigung (Bismarck) finden im Luther­Jahr 1933 einen ersten Höhepunkt.
Politisch gliedert sich dieser Zeitraum in drei Epochen: die Zeit vom Sieg Napoleons
über Preußen bis zur Gründung des Deutschen Reiches (1806–1871), die Zeit des
Kaiserreiches (1871–1918) und die kurze Phase der Weimarer Republik (1919–1933).
Erst mit ihr ist die immer wieder verzögerte volle bürgerliche Gleichberechtigung
der jüdischen Deutschen erreicht.
wa c h s e n De R an T i s e m i Ti s m u s
T Ra Di Ti o n u n D wa n Dl u n g
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts bildet sich in den evangelischen Kirchen eine eigenständige Form des Antisemitismus
heraus. Religiös motivierte Judenfeindschaft, konservativständische Leitbilder und ein aggressiver Nationalismus verbinden sich zu einer Ideologie, die Pfarrerschaft und Kirchenmitglieder nachhaltig prägt. Nur wenige evangelische
Theologen stellen sich dem entgegen.
In der ersten Epoche des 19. Jahrhunderts entwickelt sich
das jüdische Leben vor allem in den städtischen Zentren in
reicher, auch konfliktreicher Vielfalt. Dies gilt besonders von
der Neugestaltung des Verhältnisses zur religiösen Tradition.
ernst moritz arndt (1769–1850)
Die Juden als Juden passen nicht in diese Welt.
Das Edikt vom 11. März 1812 gewährt den in Preußen
lebenden Juden Niederlassungs-, Handels- und Gewerbefreiheit, nicht jedoch den Zugang zum Staatsdienst oder
zum Offizierskorps. Die Religionszugehörigkeit entscheidet
weiterhin über Status und bürgerliche Rechte. Prominente
Befürworter der nationalen Einigung wie der Theologe Ernst
Moritz Arndt lehnen die Gleichberechtigung der Juden
ab, weil diese ein „Fremdkörper“ im „Germanentum“ seien.
Mit der gescheiterten Revolution des Jahres 1848 zerschlagen sich die Hoffnungen auf die vollständige Gleichstellung
der Juden.
1 Auszüge aus dem Edikt vom
11. März 1812
adolf stoecker (1835–1909) –
der erste erfolgreiche antisemitische politiker
2 Adolf Stoecker
3 Karikatur Wer Hass sät aus: Die Reform. Ein Volksblatt, 1881
Alle Einwanderer gehen zuletzt in dem Volke auf, unter welchem
sie wohnen; die Juden nicht. Dem germanischen Wesen setzen sie ihr
ungebrochenes Semithentum, dem Christentum ihren starren
Gesetzescultus oder ihre Christusfeindschaft entgegen.
Adolf Stoecker, Das moderne Judentum in Deutschland, 1880
4 Antisemiten-Katechismus, 1887
Das von Theodor Fritsch (1852–1933)
herausgegebene Buch ruft zum
„heiligen Krieg“ gegen den „bösen Geist“
des Judentums und für die „höchsten
Güter der arischen Menschheit“ auf.
Nach der Reichsgründung 1871 verschärft sich der Antisemitismus in Deutschland. Die christlich-religiösen Vorurteile
werden aufgenommen und ersetzt. An die Stelle des Ritualmordvorwurfs tritt das Bild vom jüdischen „Mammonismus“
und der jüdischen „Blutsaugerei“, an die Stelle des Vorwurfs
des „Gottesmordes“ das Bild vom „dämonischen“, alles zersetzenden Juden. Die „Lösung“ der sogenannten Judenfrage
könne, so lautet das politische Credo, nur im „Verschwinden“
des Judentums entweder durch völlige Assimilation oder
durch Entrechtung und Vertreibung liegen.
Der Berliner Hofprediger Adolf Stoecker macht den Antisemitismus kirchen- und politikfähig. Die von Stoecker
geschaffene Verbindung aus ständisch-konservativen Vorstellungen, antidemokratischen Einstellungen und Antisemitismus hat (bis weit über das Jahr 1933 hinaus) einen prägenden Einfluss auf Kirche und Theologie. Die „Allgemeine
Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung“, die bedeutendste
Zeitung des deutschen Luthertums, verbreitet antisemitische
Einstellungen in Pfarrerschaft und Kirchenkreisen.
Einer der wenigen evangelischen Theologen, die sich Stoecker entgegenstellen, ist der unter Juden hoch angesehene
Gründer des Berliner Institutum Judaicum, Hermann Leberecht Strack.
Der erstarkende rassistisch-völkische Antisemitismus macht
sich Luthers antijüdische Schriften zunutze.
otto Dibelius (1880–1967)
Man kann nicht verkennen,
dass bei allen zersetzenden Erscheinungen
der modernen Zivilisation das Judentum
eine führende Rolle spielt.
5 Otto Dibelius, 1928
6 Deckblatt von Eduard Lamparter, Evangelische Kirche
und Judentum – ein Beitrag zu christlichem Verständnis von
Judentum und Antisemitismus, 1928
Ich habe mich immer … als Antisemiten gewußt.
Wie viele evangelische Geistliche bekannte sich Otto Dibelius, von 1925–1933 Generalsuperintendent der Kurmark
und damit einer der führenden Geistlichen in Preußen, in
den 1920er-Jahren zum Antisemitismus.
eduard lamparter (1860–1945)
Das Judentum steht als eine kultur- und
religionsgeschichtliche Erscheinung vor uns,
die mit Ehrfurcht erfüllt.
Der Stuttgarter Pfarrer Eduard Lamparter, Mitglied im
„Verein zur Abwehr des Antisemitismus“, ist einer der wenigen protestantischen Geistlichen, die den Anspruch des zeitgenössischen Judentums anerkennen, ein gleichberechtigter
Teil der deutschen Gesellschaft zu sein; dabei beruft er sich
auf Luthers Schrift von 1523.
1 Simplicissimus, Oktober 1917
Ich wünschte / daß alle Deutsche so
gesinnt wären / daß sie sich kein
Flecklein noch Dörflein plündern
ließen / noch wegführen ließen /
sondern wenn es zu solchem Ernste
und Noth käme / daß sich wehrte /
was sich wehren könnte / Jung und
Alt / Mann und Weib / Knecht
und Magd.
Die Reformbewegung
Zunächst in Seesen am Harz, dann vor allem in Berlin
beginnen Reformwillige mit einer Neugestaltung des Gottesdienstes. Sie wählen das Deutsche als vorherrschende
Gottesdienstsprache und lehnen sich auch sonst eng an protestantische Formen an (z. B. Orgel und Chorgesang). Sie
suchen das Judentum wissenschaftlich zu durchdringen und
die Ergebnisse gemeindenah zu vermitteln.
7 Das 1907 bezogene Gebäude der
Hochschule für die Wissenschaft des
Judentums in Berlin, Tucholskystraße 14
Von links nach rechts:
9 Israel Jacobson (1769–1828), Begründer der Reformbewegung,
10 Leopold Zunz (1794–1886), wissenschaftlicher Kopf der Reformbewegung, Gemälde von Oppenheim,
11 Abraham Geiger (1810–1874), Rabbiner an der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße und
Gründer der Berliner Lehranstalt (Hochschule)
Der deutsche Kulturprotestantismus feiert Hitlers Kanzler­
schaft im Januar 1933 als euphorisches Erlebnis. Das 450.
Geburtsjahr Martin Luthers bietet willkommenen Anlass,
den Reformator als „deutschen Revolutionär“ zu präsentieren,
dessen Lebenswerk durch Hitler vollendet werde.
hitler als Reichskanzler
13 Jüdisch-Theologisches Seminar in Breslau
14 Links: Zacharias Frankel (1801–1875), Gründer des Breslauer
Seminars (1854)
15 Unten: Heinrich Graetz (1817–1891), Dozent am Breslauer Seminar
und Verfasser der ersten wissenschaftlich fundierten, umfassenden
Geschichte der Juden
2 Auswirkungen der „Nürnberger Rassegesetze“ vom September 1935, dargestellt in einem Jugendbuch
3 Rechts: Jugendlicher mit dem Davidstern
der Münchener Synagoge Ohel Jakob nach
dem Pogrom vom 9./10. November 1938
4 Unten: Das „Institut zur Erforschung
und Beseitigung des jüdischen Einflusses
auf das deutsche kirchliche Leben“
in Eisenach
herausragende lehrer
Leo Baeck stellt sich Anfang des Jahrhunderts der verzerrenden Darstellung des Judentums in Adolf von Harnacks auflagenstarkem Wesen des Christentums (1900) entgegen.
17 Ludwig Meidner, Leo Baeck (1872–1956), 1931
Religiöse und politische Diskussionen um die Wirkungsmacht des Reformators im deutschen Judentum finden kaum
Partner zum interreligiösen Dialog. Im Gegenteil erfahren
die deutschen Juden Luther als ein Instrument im antisemitischen Angriff einer krisengeschüttelten Gesellschaft. Dieser Angriff radikalisiert sich nach Hitlers Machtantritt von
der Ausgrenzung bis hin zur gewaltsamen Deportation in
den Tod.
Der „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ verurteilt die
Rolle der evangelischen Kirche deutlich. Abseits vom Interesse am „theologischen Luther“ wirkt der „nationale Luther“
nach 1918 für völkische Verbände als antidemokratische und
rassenantisemitische Legitimationsfigur. Um ihn aus der
Geisteswelt des 16. Jahrhunderts zu isolieren und mit völkisch-germanischen Ideen zu vereinen, bezichtigt man die
protestantische Kirche der Reformationsverfälschung.
12 Esriel Hildesheimer (1820–1899),
Gründer des Orthodoxen Rabbinerseminars
in Berlin (1873)
Am Tag des Reformationsjubiläums 1817 prägt der jüdische
Herzogliche Direktor der Israelitischen Schulen in Dessau den Schülern mit Dank die Bedeutung Martin Luthers
trotz seiner Judenfeindschaft ein. Durch seine Übersetzung
auch der Hebräischen Bibel habe er Christen außer mit den
Pflichten der Menschenliebe auch mit den Religionslehren
des Judentums näher bekannt gemacht.
Martin Buber und Franz Rosenzweig gründen in Frankfurt
am Main das Jüdische Lehrhaus, das sich einer intensiven
jüdischen Erwachsenenbildung widmet. Beide schaffen die
nach ihnen benannte, die hebräische Sprache in die deutsche
hineindenkende Bibelübersetzung.
lu tH Er – Pr o JEk ti o n En
u n D h o lo c a u s T
Überblickt man die deutsche protestantisch geprägte
moderne Gesellschaft in Demokratie und Diktatur, so zeigt
sich die Dominanz einer nationalpolitischen Luther-Deutung, die den judenfeindlichen Äußerungen des Reformators hohe Aufmerksamkeit schenkt und keinen Willen zur
gleichberechtigten Debatte mit dem deutschen Judentum
aufbringt.
Die nach dem 1. Weltkrieg einsetzende Luther-Renaissance verändert nicht die protestantische Sicht auf die Juden.
Luthers frühe theologische Äußerungen über das Judentum
liefern keine Begründung für eine gleichberechtigte Debatte;
seine judenfeindlichen Spätschriften hingegen gelten bei
antisemitischen Theologen als wichtige Erkenntnisse der
protestantischen Leitinstanz.
anteilnahme
Rabbinerkonferenzen treten in Erklärungen den im letzten
Drittel des 19. Jahrhunderts anwachsenden Verleumdungen entgegen. Üble Nachreden verstummen auch im Ersten
Weltkrieg nicht. Eine Untersuchung ergibt, dass der Anteil
an jüdischen Kriegsteilnehmern prozentual höher ist als der
christlicher. Das Ergebnis wird – trotz Drängens von maßgeblicher jüdischer Seite – unter Verschluss gehalten.
ve Rwei g eRT e D eB aTTe
in p e Rman e n T e n kRise n z e iT e n
luther-Renaissance und luther-missbrauch
orthodoxe und konservative
verleumdungen und gegenwehr
l u The R -De u T u n g e n
Mit dem Machtantritt Hitlers wird der Antisemitismus zur
Staatsraison. Luthers Judenfeindlichkeit dient unwidersprochen als ein historisches Element in der Legitimierung der
widersprüchlichen rassistischen Ideologie. Die Ausgrenzung
und Verfolgung der Juden endet schließlich im Massenmord.
8 Rechts: Emile de Cauwer,
Die 1866 eingeweihte Neue Synagoge, 1865
1872 gründet die Reformbewegung in Berlin eine renommierte „Lehranstalt (später Hochschule) für die Wissenschaft des Judentums“. Sie hat unter ihrem letzten Leiter,
Leo Baeck, bis zur Schließung durch die Nazis im Juli 1942
Bestand.
Die Reformbewegung trifft auf den erbitterten Widerstand
des traditionsbewussten, orthodoxen Judentums. Zwischen
beiden Gruppen bildet sich eine dritte, zwischen Wissenschaft und Traditionsbindung vermittelnde Richtung. Beide
Gruppierungen gründen Ausbildungsstätten von internationalem Rang, das orthodoxe Judentum in Berlin, das konservative in Breslau.
Hitlers Kanzlerschaft wird von der überwältigenden Mehrheit der deutschen Protestanten begrüßt. Aus ihrer Perspektive eint Hitler die Nation durch Führerschaft und er markiert die Feinde: Judentum und Bolschewismus. Obwohl es
nicht gelingt, eine einheitliche protestantische Reichskirche
auf antisemitischer Basis zu errichten, können Theologen bis
auf eine verschwindend kleine Minderheit den Ausschluss
der Juden aus der deutschen Gesellschaft mittragen.
Die „Nürnberger Rassegesetze“ von 1935 und der Pogrom
1938 ragen aus den exekutiven und Gewaltmaßnahmen
heraus, doch sie erzeugen kein spürbares Umdenken mehr.
Vereinzelte Proteste verhallen. Mit der Gründung eines
„Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen
Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ 1939 in Eisenach institutionalisieren die NS-Theologen ihre „judenfreien“
Interpretationen als Wissenschaft.
luther als legitimation der verfolgung
16 Titelseite des Werkes,
mit dem Leo Baeck auf
Harnacks Vorlesungen
von 1900 antwortete
8
5 Unten: Buchwerbung nach dem Novemberpogrom: Luther fordert Synagogen-Brand!
Die Nationalkirche 7, 4. Dezember 1938
In Presse und Publizistik dominieren ohnehin die vulgäranti semitischen Stimmen, wie etwa in Julius Streichers
„Stürmer“. Doch die „Nationalkirche“, das Monatsblatt der
Deutschen Christen, ist ebenso deutlich. Nach dem Novemberpogrom 1938 fordert sie offensiv die „Entjudung des
deutschen Lebens“ und wirbt für ein Buch mit dem Slogan:
„Luther fordert Synagogen-Brand!“.
Mit der Kennzeichnung der deutschen Juden und dem
Beginn der Deportationen im Herbst 1941 verschwinden die
Bezugnahmen auf Martin Luther. Landesbischof Theophil
Wurm versucht 1942 zugunsten der evangelischen „Nichtarier“ zu intervenieren, anerkennt jedoch das Recht des Staates auf eine rassistische Gesetzgebung. Als er 1943 schriftlich
zweimal auf das unvergleichliche Verbrechen hinweist, ist die
Mehrheit der Juden Europas bereits ermordet.
Der NS­Bürgermeister Coburgs sagt im Frühjahr 1933: „Wie
Martin Luther in Wittenberg seine weltgeschichtliche Tat
der Reformation des Glaubens ausgeführt hat, so ist Adolf
Hitler gleichsam ein neuer Luther in der politisch­nationalen
Zusammenfassung ganz Deutschlands.“
6 Max Liebermann, Hermann Cohen, ca. 1912
Das deutsche Judentum und martin luther
Und der preußische Kultusminister Rust bekennt: „Ich denke,
die Stunde ist vorüber, wo man Luther und Hitler nicht in
einem Atemzug nennen durfte. Sie gehören zusammen.“
Anfangs des 20. Jahrhunderts reflektieren bedeutende jüdische Gelehrte über den Platz des jüdischen Glaubens in
Deutschland und streiten offensiv für ein selbstbewusstes deutsches Judentum. Der Rabbinatskandidat Reinhold
Lewin analysiert 1911 Luthers Antijudaismus wissenschaftlich und erhält große Zustimmung. Als Luther im Ersten
Weltkrieg zur Symbolgestalt kämpferischer Einheit wird,
bemerkt der Philosoph Hermann Cohen, der Reformator sei
„an unserer Bibel, an der Übersetzung der Propheten und der
Psalmen zu seiner Höhe emporgewachsen“.
Der Theologe Samuel Krauss hingegen beharrt auf Luthers
Fehlern, die ihn in eine Reihe mit den schlimmsten historischen Judenfeinden stellten, obwohl seine Leistungen
zur freien Entfaltung des menschlichen Geistes zu würdigen seien. Leo Baeck warnt vor den Folgen der lutherischen
Zwei-Reiche-Lehre, weil die Kirche dem Staat dienstbar
gemacht werde.
theologen
7/8 Samuel Krauss, Luther und die Juden,
Der Jude. Eine Monatsschrift, 1917/18
1 Der „Tag von Potsdam“ als Versöhnung von protestantischem Staatsverständnis und Nationalsozialismus
Preuß resümiert: „Man hat gesagt, das deutsche Volk habe
dreimal geliebt: Karl den Großen, Luther und Friedrich den
Großen. Wir dürfen nun getrost unseren Volkskanzler hin­
zufügen. Und das ist wohl die lieblichste Parallele zwischen
Luther und Hitler.“
luther – gegen antisemitische vereinnahmung
Diese Debatten werden seit Ende des Ersten Weltkriegs in
einer zunehmend antisemitischen Atmosphäre geführt. Der
„Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“
und der „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ bekämpfen
die Vereinnahmung Luthers für pseudorassistische Legitimationen mit seriösen Mitteln öffentlicher Aufklärung. Doch
mit dem Machtantritt der Nazis 1933 gibt es keine Partner
mehr, um das protestantisch-jüdische Verhältnis unter den
Deutschen zu debattieren.
Letzte öffentliche Wortmeldungen stammen von Ludwig
Feuchtwanger, der 1933 zu Luthers 450. Geburtstag mutig
feststellt: „Die Judenschriften für den Tagesgebrauch zu verwenden, bedeutet Verkennung, ja Mißbrauch der Äußerungen Martin Luthers, der sein Leben lang sich den Stimmungen der Masse entgegenstemmte und eher sich die Zunge
abbiß als den Tagesgötzen zu opfern.“
Und dennoch widmet sich etwa Willy Cohn dem Thema.
Der Breslauer Historiker veranstaltet bis 1938 wiederholt
Fortbildungen zum Thema „Luther und die Juden“. Nach
ihrer Deportation am 25. November 1941 sterben er, seine
Frau und zwei Töchter vier Tage später im Kugelhagel des
Einsatzkommandos 3 der Einsatzgruppe A im besetzten
litauischen Kaunas.
Reinhold Lewin, zuletzt Rabbiner in Breslau, wird mit seiner
Frau und zwei Töchtern am 4. März 1943 nach Auschwitz
deportiert und dort ermordet. Die „Endlösung der Judenfrage“ durch Massenmord kostet weit mehr als fünf Millionen Juden das Leben. Leo Baeck, der das Ghetto Theresienstadt überlebte, bekennt 1945: „Die Epoche der Juden in
Deutschland ist ein für alle Mal vorbei.“
Während des Reformationsfestes in Chemnitz 1933 erinnert
Landesbischof Coch, diese Stadt sei einstmals „rot“ gewesen;
jetzt sei sie „national und christlich“. Dies nicht zuletzt, weil
Luther durch Hitler wieder lebendig geworden sei. Was der
eine begann und nicht vollenden konnte, würde nun erfüllt:
ein in sich geeinigtes Volk, das auch zu einer Glaubensge­
meinschaft verschmelze.
10 Der Pass des Autors Feuchtwanger:
Zwangsvorname „Israel“ und eingestempeltes
rotes „J“
Hitler
9 Ludwig Feuchtwanger, Luthers Kampf gegen die Juden,
Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, 1933
2 Postkarte zum Luther­Tag in
Nordhausen am 10. November 1933
3 Unten: Festumzug zur Luther­Woche am 20. August 1933
Als Fünfter von rechts in der ersten Reihe steht der deutschchristliche
Reichsbischof Ludwig Müller.
verfolgung und massenmord
Vor dem Hintergrund des Meinungsterrors, allgegenwärtiger
Straßengewalt und legislativer Ausgrenzung auf allen Gebieten menschlichen Zusammenlebens sind wissenschaftliche
Debatten zum deutsch-jüdischen Verhältnis ab 1933 von der
grausamen Realität überholt worden.
Doch nicht nur NS­Funktionäre verkünden Hitler als zwei­
ten Luther. Der Professor für Kirchengeschichte Hans Preuß
vergleicht beider Lebensweg und will eine Fülle an Paralle­
len entdecken. Beide seien zunächst unbekannte, einsame
Streiter für Deutschland im Angesicht eines übermächtig
scheinenden Gegners gewesen, beide hätten in erzwungener
Abgeschiedenheit maßgebliche Werke geschrieben, beide die
Juden als Feinde erkannt.
11 Willy Cohn während einer Palästina-Reise,
März 1937
Quelle: Prof. Dr. Dr. h. c. Norbert Conrads
12 Unten: Eintrag in Willy Cohns Tagebuch
am 24. März 1936 über einen LutherVortrag (rechts oben)
Quelle: CAHJP Jerusalem, P. 88
Der neue Reichskanzler tut im Luther­Jahr nichts, um seine
Zustimmung zur hymnischen Gleichsetzung mit dem Refor­
mator zu untermauern. Hitler fehlt bei allen Luther­Wochen
und zentralen Reformationsveranstaltungen. Doch ab 1923
hatte er wiederholt auf die Traditionslinie großer Deutscher
verwiesen, an die es anzuknüpfen gelte.
Nach seinem Prozess in München und der Haft in Lands­
berg 1924 begann Hitler, sich selbst als den Auserwählten
zu sehen, der die Linie Luther – Friedrich der Große – Bis­
marck und Richard Wagner fortzuführen in der Lage sei.
1924 erschien eine kleine Schrift des völkischen Schriftstel­
lers Dietrich Eckart, in der er seine Dialoge mit Hitler in
wörtlicher Rede wiedergab. Folgt man Eckart, so qualifizierte
der Parteiführer Martin Luther als einen der größten Deut­
schen, der erst ganz am Schluss seines Lebens das Juden­
tum und nicht den Katholizismus als Feind der Deutschen
erkannt hatte.
Während des Krieges äußert sich Hitler gelegentlich nächtli­
cher Gesprächsrunden zu Luther, wenn er etwa am 4. Januar
1942 behauptet, seine Einführung des „Deutschen Grußes“
sei von Luthers Ankunft beim Reichstag zu Worms inspiriert
gewesen.
Ausstellungstafeln
RollUp 150 x 230 cm
15
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d i e g eg en wa rt s e it 1945
Pe rsP e k t i V e n
Stuttgarter Schuldbekenntnis – Nürnberger Prozesse – Gründung des Staates Israel 1948 – erneute Bildung kleiner jüdischer Gemeinden in West und Ost –
deren Bereitschaft zu einem Neuanfang – Eichmann- und Auschwitz-Prozess – Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel –
Erklärung „Nostra Aetate“ des 2. Vatikanischen Konzils – vermehrte Israel-Kontakte der jüngeren Generation – Umwandlung des „Judensonntags“ in den „Israelsonntag“ –
spätes Erschrecken über den verübten Massenmord in Deutschland – bröckelnde gesellschaftliche Solidarität mit Israel – Erstarken antisemitischer Strömungen –
deutsche Wiedervereinigung – nachfolgende Neubildung und Anwachsen jüdischer Gemeinden (ca. 100.000 Mitglieder = 0,125 % der Bevölkerung)
s c h u l DeR k e n n Tn i s
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Mai 1945: Einige Tausend Juden erleben in Berlin die
Befreiung. Befreit werden auch die jüdischen Häftlinge der
Zwangsarbeiter- und Konzentrationslager. Nach Pogromen
in Polen kommen 1946 weitere 100.000 jüdische Flüchtlinge.
Diese „Displaced Persons“ warten in zahlreichen Camps auf
Einreisepapiere, um nach Übersee oder Palästina auszuwandern. Doch ein Teil von ihnen wird in Deutschland ansässig und trägt zum Wiederaufbau eines jüdischen Gemeindelebens bei.
Das Mittelalter hat in vielerlei Formen, auf Bildern und
durch Skulpturen, die Gestalt des Schmerzensmannes ausgeprägt. Sie zeigt nicht den triumphierenden Christus, sondern
den, der leidet und mitleidet.
en TTä u s c h u n g en
Die Spannweite kirchlichen Verhaltens zur jüdischen Gemeinschaft reicht in dieser Zeit von ersten Schuldbekenntnissen
bis zur Aufnahme kirchlicher Selbstverpflichtungen gegenüber dem Judentum in die Grundordnungen der evangelischen Landeskirchen.
anfänge
1 Die vom Koordinierungsrat seit 1968 jährlich verliehene Medaille mit
den Bildnissen von Martin Buber und Franz Rosenzweig
In dem Stuttgarter Schuldbekenntnis des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKiD, später EKD) vom
28. Oktober 1945 findet der Völkermord an den Juden keine
ausdrückliche Erwähnung. 1950 kommt es auf der Synode
der EKiD in Berlin-Weißensee zu einer Erklärung, die
Schulderkenntnis und das Bekenntnis zur bleibenden
Erwählung des jüdischen Volkes verbindet.
1949 wird der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit gegründet, dem
bis heute 82 Gesellschaften angehören. 1950 initiiert er nach
einem Schweizer Vorbild die Schwalbacher Thesen als Leitlinien für die Behandlung des Judentums in Predigt und
Unterricht.
schritte
Seit 1961 trägt die AG Christen und Juden beim Deutschen
Evangelischen Kirchentag wesentlich zur Verständigungsarbeit bei. Zu ihren Trägern gehören Christinnen und Christen, die sich in der NS-Zeit helfend bewährt hatten.
Die 1958 ins Leben gerufene Aktion Sühnezeichen leistet
praktische Versöhnungsarbeit in Europa, Israel und Übersee.
2 Naftali Bezem, Gedenkfenster für die Synagoge in der evangelischen Salvatorkirche
zu Duisburg, 1981
Zwei leuchtende Sabbatkerzen über dem Löwen von Juda überstrahlen als Hoffnungszeichen das Flammenmeer der Pogromnacht vom 9./10. November 1938.
In den Flammen im Fensterbogen ist der Anfang des hebräischen Totengebets
(Kaddisch) wiedergegeben.
Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.
3 Dieser kirchenkritische Satz aus dem Ölbaumgleichnis des Paulus (Römerbief 11,18)
ist zum Leitfaden für die Neugestaltung des christlich-jüdischen Verhältnisses geworden.
Die EKD äußert sich in drei Studien zum Thema „Christen
und Juden“ (1975–2000). Sie bewegen sich von den Optionen Mission und Dialog zu einer Absage an organisierte
Judenmission. Auch nehmen sie differenziert zur Politik
Israels im Nahostkonflikt Stellung und bekräftigen das Existenzrecht des Staates.
1978 erfolgt die Gründung eines Studienjahres für Studierende der evangelischen Theologie in Jerusalem (bisher über
700 Absolvent/inn/en), das nach und nach von der EKD
finanziell getragen wird.
Ab 1980 (Rheinland) verabschieden die evangelischen Landeskirchen Orientierungen für ein neues Verhalten gegenüber der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und Israel.
luther-gedenken
Erst in den 90er-Jahren kommt es zu distanzierenden landeskirchlichen Stellungnahmen zu Luthers Judenfeindschaft.
Die Gliedkirchen der EKD verankern ihre Verpflichtung
gegenüber der jüdischen Gemeinschaft in den Präambeln
ihrer Verfassungen. Theologische Grundlage ist der Römerbrief, Kap. 9–11.
Theologie und Realität
Zahllose Arbeitskreise, kleine Gruppen und Einzelne, Juden
und Christen, Laien und Pfarrer/innen in West und Ost
suchen auf vielfältige Weise nach Formen eines neuen Miteinanders von Christen und Juden.
4 Unten: Projekttag am Evangelischen Ratsgymnasium in Erfurt zum Jahresthema
„Prüfet alles, das Gute behaltet“ anlässlich der Woche der Brüderlichkeit 2005
Teil dieser Arbeit ist die Ausbildung einer evangelischen
Lehre in und außerhalb der Theologischen Fakultäten, die
im Gespräch mit der Bibel und in der Begegnung mit Jüdinnen und Juden Gestalt findet und nicht verfeindet, sondern
zu versöhnen trachtet.
Eine gründliche pflichtmäßige wissenschaftliche Beschäftigung aller Theologiestudierenden mit dem Judentum und
Fragen des christlich-jüdischen Verhältnisses harrt noch
immer der Realisierung.
Du sollst den Feiertag heiligen
Nach ihren geschichtlichen Erfahrungen als Minderheit, vor allem nach dem Völkermord an ihrer
Gemeinschaft in der NS-Zeit, suchen Jüdinnen und Juden als Erstes Bündnisse für ihr Überleben.
Christinnen und Christen haben die Aufgabe, auf der gemeinsamen biblischen Basis
verlässliche Partner der jüdischen Gemeinschaft zu sein.
Die biblisch und geschichtlich begründete Aufgabe, Vertrauen zu schaffen und zu bewähren, ist unbefristet.
In Frankfurt am Main wird 1950 der Zentralrat der Juden
in Deutschland als Dachverband der jüdischen Gemeinden
gegründet, 1951 die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in
Deutschland (ZWST) neu belebt. Das Gemeindeleben stabilisiert sich, Synagogen und Gemeindezentren werden restauriert oder neu errichtet. Zunehmend kommen Rückwanderer, auch aus Israel. In der zweiten Hälfte der 1970er
wandern mehrere Tausend Juden nach Deutschland ein, die
zuvor aus der Sowjetunion nach Israel ausgereist waren.
alte und neue Judenfeindschaft
Die abgebildete Plastik steht im Dom zu Braunschweig.
Ihr Bild ist hier – in zeitbezogener Deutung – gleich einem
Resümee des Verhältnisses von Christen zu Juden aufgenommen: Christus über seine Kirche trauernd – über die, die
in ihr Unrecht taten, und damit auch über die, die durch sie
Unrecht erlitten.
Der grüne Stein mag über seine ursprüngliche Bedeutung
hinaus ein Zeichen der Hoffnung sein – der Hoffnung auf
ein dauerhaft anderes Verhältnis der Kirche zur Synagoge
als in der Vergangenheit, Martin Luther an herausgehobener
Stelle eingeschlossen.
5 Kundgebung am Berliner Lustgarten zum „Tag der Opfer des Faschismus“ im September 1946
6 Schmierereien am Eingang der Kölner
Synagoge: Am späten Heiligabend 1959
besudelten zwei 25-Jährige das frisch eingeweihte Gotteshaus der jüdischen Gemeinde
unter anderem mit Hakenkreuzen.
Sie lösten damit einen wochenlang
andauernden Skandal aus, der als „Schmierwelle“ in die Geschichtsbücher einging.
1 Christus in der Rast, Dom St. Blasii zu Braunschweig, ca. 1460
In dem begonnenen Prozess einer langsamen Verwandlung
ihres Verhältnisses hin zu einem verlässlichen Miteinander
ziehen Christen ihre Kraft aus dem Evangelium, Juden aus
der Tora, dem biblischen Wort, wie es schriftlich und mündlich ausgebildet worden ist.
Auch weite Teile der außerparlamentarischen Linken verlieren ihre Empathie für Israel. Unter dem Stichwort des
„Antizionismus“ kommt es zu Übergriffen auf jüdische Einrichtungen in Deutschland, zur Solidarisierung mit palästinensischen Terrororganisationen und sogar zur Beteiligung
an Gewalttaten.
7 Rabbiner Yitzhak Ehrenberg
bei einer Trauzeremonie in der
Jüdischen Gemeinde zu Berlin
2 Marc Chagall, Die weiße Kreuzigung,
1938
Chagall zeigt den Nazarener, einen
Gebetsschal um die Hüften, als Märtyrer inmitten seines verfolgten und
fliehenden Volkes.
3 Unten: Ben Shahn, Widderhorn und Menora, 1958
Der hebräische Text enthält Maleachi 2,10:
Auch nach der Wiedervereinigung wird die jüdische Gemeinschaft immer wieder durch antijüdische Anfeindungen verunsichert, die nun teilweise von Angehörigen der
muslimischen Minderheit ausgehen. Schockiert reagieren die Juden auf die öffentliche Debatte um ein Verbot der
Beschneidung (Brit Mila).
Haben wir nicht alle einen Vater?
Hat uns nicht alle ein Gott geschaffen?
Warum verachten wir dann einer den andern
und entheiligen den Bund mit unsern Vätern?
Im Evangelium ist eine unlösliche Beziehung auf die Tora
mitgesetzt, auf ihre Zusage und auf ihre Gebote, wie sie im
Zehnwort vom Sinai oder im Doppelgebot der Gottes- und
Nächstenliebe zusammengefasst sind.
Die Tora im jüdischen Verständnis schließt keinen unlöslichen Bezug auf das Evangelium von Jesus Christus ein. Und
doch hat sich in den letzten beiden Jahrhunderten in nennenswerten Teilen des Judentums das Bild Jesu von Nazareth
verändert. Aus dem Abtrünnigen ist eine Gestalt der eigenen jüdischen Geschichte geworden. Am eindrücklichsten ist
dies auf Bildern Marc Chagalls geschehen, auch wenn sie in
dieser Zuspitzung nicht für das Judentum als Ganzes stehen.
freiheitswort statt drückender last
Bis in die jüngere Zeit, ja teilweise bis in die Gegenwart, ist
die Tora, verstanden als „Gesetz“, im Gefolge Luthers in erster Linie als negative Größe gesehen. Im Spiegel der Zehn
Gebote konfrontiert sie den Menschen mit seinen Übertretungen. Erst nachdem er seine Zuflucht beim Evangelium
genommen hat, kann Luther auch das Gesetz als Weisung
für das Zusammenleben würdigen.
vielfalt jüdischen lebens
Bis Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts wandern über 200.000 Juden („Kontingentflüchtlinge“) aus den
Nachfolgestaaten der UdSSR nach Deutschland ein. Auch
in kleinen Städten und entlegenen Regionen entstehen wieder jüdische Gemeinden. Mit der steigenden Attraktivität
Deutschlands als Einwanderungsland lassen sich Juden aus
den europäischen Nachbarländern und aus Übersee zeitweilig oder dauerhaft in Deutschland nieder – oft, ohne einer
jüdischen Gemeinde beizutreten. Besonders Berlin wird
zu einem Anziehungspunkt für junge Israelis. Die einzelnen religiösen Richtungen des Judentums – Chassidismus,
Orthodoxie, konservatives, liberales und progressives Judentum – bilden neue Institutionen, Synagogen, Akademien und
soziale Einrichtungen. Jüdisches Leben in Deutschland wird
bunter und vielfältiger.
prophet statt abtrünniger
Die Hoffnung auf eine andere Zukunft schließt ein, dass das,
was Juden und Christen an Gutem verbindet, stärker ist als
das geschehene Unrecht, das zwischen ihnen steht.
Als 1959/60 eine antisemitische Schmierwelle beginnt, solidarisieren sich viele Tausende Menschen und protestieren
gegen Antisemitismus und Neonazismus. Der Jerusalemer
Eichmann- und der Frankfurter Auschwitzprozess rufen das
Leid der NS-Verfolgten in Erinnerung. Doch gegen Ende
der 1960er kippt die Stimmung in der deutschen Bevölkerung erneut. Die NPD erzielte Wahlerfolge und fordert die
Einstellung von Wiedergutmachungsleistungen.
Im Judentum ist die Tora von vornherein als Gabe und als verbindliche Weisung für das Volk Israel nach seiner Befreiung
aus dem Sklavenhaus Ägypten verstanden worden. In diesem Sinn ist es ein Freiheitswort und eine Quelle der Kraft.
8 Arkady Fried, Bibliothekar im Jüdischen
Gemeindehaus in der Fasanenstraße
9 Rechts oben: Feier der Religionsmündigkeit eines
Jungen (Bar Mizwa) mit Kantorin Avital Gerstetter
10 Rechts: Kinder in der Jüdischen Gemeinde beim
Anzünden des ersten Lichtes des Chanukkaleuchters am Lichterfest
11 Unten: Blick auf die Rückseite des erhaltenen
Teils der Neuen Synagoge in Berlin
4 Lucas Cranach d. Ä., Martin Luther, um 1526
Durch die Begegnung mit Jüdinnen und Juden und durch
eine kritische Sicht auf die eigene Geschichte haben Christinnen und Christen in den letzten Jahrzehnten ein reicheres Verständnis des Gesetzes gewonnen. Es könnte helfen,
sowohl dem Evangelium treu zu bleiben als auch das Judentum als eine Größe eigener Art zu würdigen und zu schätzen.
Martin Luther, Kleiner Katechismus, 1. Hauptstück: Die Zehn Gebote,
Auslegung des achten Gebots, 1529/1995:
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
Was ist das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben,
dass wir unsern Nächsten nicht belügen,
verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben,
sondern sollen ihn entschuldigen,
Gutes von ihm reden
und alles zum Besten kehren.
1523 bekennt Martin Luther, die Juden seien von Christen
nicht wie Menschen behandelt worden. Er plädiert für ein
von Nächstenliebe bestimmtes Verhalten zu ihnen als Voraussetzung für ihre Annahme Jesu als Messias.
1666 beklagt der im Frankfurter Ghetto missionierende Philipp Jakob Spener, Leitgestalt des Pietismus, die Misshandlung und Schmähung der Juden durch Christen. Er benennt
deren Lieblosigkeit als einen Hinderungsgrund für die
Bekehrung der Juden.
1823 hält die Berliner judenmissionarische „Gesellschaft
zur Beförderung des Christenthums unter den Juden“ in
ihrer Grundverfassung fest, Unduldsamkeit, Hass und Verfolgungsgeist hätten die Juden vom Christentum zurückgestoßen.
5 Rechts:
Samuel Bak, Du sollst nicht, 1977
Von der ersten Tafel des Dekalogs ist nur
„Ich bin der Ewige“ erhalten, die Verbotstafel ist unversehrt, beginnend mit
„Du sollst nicht morden“.
6 Unten links:
Innenansicht des Jüdischen Museums Berlin
mit der Installation Schalechet
(Gefallenes Laub)
von Menashe Kadishman
7 Unten rechts:
David Bomberg, Ezechiels Vision
auf dem Totenfeld, 1912
Zahllos sind kirchliche Bekenntnisse zu christlicher Mitschuld an Erniedrigung, Entrechtung und mörderischer Verfolgung der Juden in der NS-Zeit. Erneute Erklärungen für
ein neues und anderes Miteinander ohne die traditionellen
antijüdischen Vorurteile begleiten sie.
illusion und wahrheit
Die Annahme, ein wirklich christliches Verhalten würde die
Christianisierung von Juden zur Folge haben, ist eine der
großen kirchlichen Illusionen. Sie verkennt, dass das Judentum ein Wert an sich ist, über dessen Echtheit und Stabilität nicht dadurch entschieden wird, ob Christen ihren eigenen Normen gemäß leben.Wohl aber sind die zitierten und
andere Schuldbekenntnisse eine sachgerechte Beschreibung
dessen, wie sich Christen immer wieder zu Juden verhalten
haben – ungeachtet auch anderer Zeiten.
Die existenzfrage
Für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ergibt sich
nach allem die für sie existenzielle Grundfrage: Können wir
euch jetzt und dauerhaft vertrauen? Die Antwort darauf kann
nur praktischer Art sein und in einer verlässlichen Solidarität bestehen, die gleichermaßen die jüdischen Gemeinden in
Deutschland und die Existenz des Staates Israel umschließt.
miteinander
Als 1930 die Synagoge in dem Spreewaldstädtchen Lübben durch Blitzschlag in Brand geriet, strömte der ganze Ort
zusammen, um beim Löschen zu helfen. Bei der Einweihung
des Neubaus zwei Jahre später waren wieder alle dabei, auch
der Pfarrer. Sechs Jahre später, in der Nacht vom 9. auf den
10. November 1938, wurde die Synagoge wie viele andere in
Brand gesteckt. Damals eilte niemand herbei, um zu löschen.
Wenn künftig auch bei Gewalttaten gegen jüdische Bürger
das ganze Dorf zusammenströmt, um zu helfen, hat die Vertrauensfrage ihre Antwort und das Religionsgespräch ein festes Fundament gefunden.
8 Die neue Synagoge in Mainz, 2010
9 In der Erinnerungsstätte Yad Vashem
in Jerusalem
10 Unten: Ausdruck eines neuen Miteinanders ist die Zustimmung der Evangelischen Kirche BerlinBrandenburg-schlesische Oberlausitz zur Umwandlung der Cottbuser Schlosskirche in eine Synagoge.
11 Repräsentanten der Gemeinde mit einer
Tora(rolle), der Braut Israels, unter einem
Traubaldachin auf dem Weg zur neuen Synagoge
Bei einem dieser Gespräche sind 1984 klare Leitlinien für
das künftige Verhältnis von Juden und Lutheranern formuliert worden:
Die jüdischen Teilnehmer begrüßen das Engagement der lutherischen
Partner, die lebendige Realität des Judentums aus der Sicht des
jüdischen Selbstverständnisses zu achten, und ihr Versprechen, dass
luthersche Schriften nie wieder benutzt werden, um Hass gegen
das Judentum zu lehren und das jüdische Volk zu verleumden.
Damit beginnt ein neues Kapitel in der Beziehung zwischen Juden
und Lutheranern, das in Lehre, Predigt und Gottesdienst und im
gemeinsamen Bemühen um soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte
und Frieden Ausdruck finden sollte.
9
Zusatzinformationen auf Textilbannern
Drei Stück, jeweils 50 x 150 cm mit Hängevorrichtung
martin
L uther
und das
Judentum
I m pr e s s u m
dan K
dI e au to r en
H era u sg eber
Für ihre Unterstützung bei der Bildrecherche,
für die Überlassung von Bildrechten
und für Hinweise verschiedener Art
danken wir besonders:
Die unterste Zeile weist jeweils auf das Kapitel und dessen jüdischen
Evangelische Kirche BerlinBrandenburg-schlesische Oberlausitz
Pfarrer Dr. Bernd Krebs (v.i.S.d.P.)
Georgenkirchstr. 69, 10249 Berlin
Tel. (030) 24344 121
[email protected]
a rbeI tsg ru ppe
Hartmut Bomhoff (bis 2013)
Peter Klein
Bernd Krebs
Bettina Kubanek
Matthias Loerbroks (bis 2014)
Sara Nachama
Peter von der Osten-Sacken
Helmut Ruppel
Ingrid Schmidt
Lorenz Wilkens
Benjamin Andriske / Cottbus
Jasper Althaus / Berlin
Inka Arroyo Antezana / Jerusalem
Jael Botsch-Fitterling / Berlin
Marga Bremer / Mönchengladbach
Prof. Dr. Dr. h.c. Norbert Conrads / Leonberg
Dr. Friedrich Duensing / Bremen
Françoise Elkouby / Strasbourg
Dieter Fitterling / Berlin
Dr. Olaf Glöckner / Potsdam
Dr. Ruth Gross-Pisarek / Berlin
Matanyah Hecht / Jerusalem
Pfarrer Edmund van Kann / Berlin
Prof. Dr. Lutz Heusinger / Marburg
Prof. Dr. Herbert Jochum / Saarbrücken
Marjy und Skip Jones / Alexandria, USA
Ursula Kruppa / Bamberg
Ina Kuhnt / Bad Nauheim
Pfarrerin Hanna Lehming / Hamburg
Pfarrer Rolf Lüpke / Berlin
Dr. Heinrich Nuhn / Rotenburg (Fulda)
Prof. Dr. Heimo Reinitzer / Hamburg
Jürgen Rennert / Putlitz-Nettelbeck
Prof. Dr. Berndt Schaller / Göttingen
Prof. Dr. Joachim Schlör / Southampton
Wieland Schmiedel / Crivitz
Rudolf W. Sirsch / Bad Nauheim
Dr. Hans-Walter Stork / Hamburg
Dr. Martin Treu / Wittenberg
g esta ltu n g
Bettina Kubanek
beg l eItu n g
du rcH dI e a u sstel l u n g
Touro College Berlin
Rektorin Sara Nachama
Campus Am Rupenhorn 5
14055 Berlin
Tel. (030) 300 686 0
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Ko n zeptIo n u n d red a KtI o n
Peter von der Osten-Sacken
bI ld recH ercH e
Clemens Bethge
Babette Kaiserkern
Ko rreKto rat
Dirk Michel
Ingrid Schmidt
bI eten a n :
Helmut Ruppel
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Ingrid Schmidt
Tel. 030 851 19 08
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Gideon Botsch, Dr. phil., Politikwissenschaftler, Privatdozent an der Universität Potsdam und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Moses Mendelssohn
Zentrum für europäisch-jüdische Studien Potsdam,
Forschungsschwerpunkt Antisemitismus- und Rechtsextremismusforschung. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a.: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik
Deutschland 1949 bis heute, Darmstadt 2012; Von der
Judenfeindschaft zum Antisemitismus. Ein historischer
Überblick, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft
28–30/2014 v. 7. Juli 2014, S. 10–17.
— Kapitel 15
Peter Klein, Dr. phil., Historiker, Professor für
Holocaust History am Touro College Berlin. Forschungsschwerpunkte: die Verfolgungsgeschichte der
deutschen Juden, die deutsche Besatzungspolitik in
Osteuropa und Ghettoforschung. Letzte Veröffentlichungen: Die Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942,
Weimar/Köln/Wien 2013; Alltagsleben und soziale
Selbstverwaltung in den Ghettos von Riga und Theresienstadt, in: Joachim Tauber u.a. (Hg.), Lebenswelt
Ghetto, Lüneburg 2013, S. 106–116.
— Kapitel 13, 14
Bernd KreBs, Dr. theol., Pfarrer, Studium der ev.
Theologie und der Sozialpädagogik. Seit 1976 Pfarrdienst in Berlin-Neukölln. 1991 Promotion mit einer
Arbeit über den Protestantismus in Polen und die
deutsch-polnischen kirchlichen Beziehungen nach
dem 1. Weltkrieg. 1995–1997 Stipendiat der VW-Stiftung (Forschungsprojekt: Ev. Christen in Polen und in
Deutschland unter zwei Diktaturen. Leitung: Martin
Greschat). Ab 1998 Pfarrer der Ev.-reformierten Bethlehemsgemeinde Berlin. 2001–2003 sowie 2008–2013
Reformierter Moderator der EKBO. Seit 2014 Beauftragter der EKBO für das Reformationsjubiläum und
den Kirchentag 2017.
— Kapitel 12
sara nachama, Gründerin und Rektorin des
Touro College Berlin und Vizepräsidentin des Touro
College and University System New York. Studium
an der Hebräischen Universität Jerusalem. Stellvertretendes Vorstandsmitglied und Kulturdezernentin der
Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Präsidiumsmitglied
des Berliner Diplomatenclubs beim Auswärtigen Amt,
Mitglied im Kuratorium des Jüdischen Krankenhauses, der Jury zur Verleihung des Deutsch-Jüdischen
Geschichtspreises der Obermayer Foundation und Mitglied des Vorstandes der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin.
— initiatorin und Beraterin
bIldn acHw e Is
oder christlichen
Teil.
Peter von der osten-sacKen, Dr. theol.,
Dres. phil. h.c. des Hebrew Union College Los Angeles und der Freien Universität Berlin, Prof. em. für
Neues Testament und Christlich-Jüdische Studien an
der Humboldt-Universität zu Berlin. 1974–2007 Leiter des Instituts Kirche und Judentum der Ev. Kirche
Berlin-Brandenburg (Berlin West), später der EKBO.
Arbeiten zu den Schriftrollen vom Toten Meer, zu
Paulus, Luther, zu verschiedenen Bereichen des christlich-jüdischen Verhältnisses und zum jüdischen und
christlichen Gottesdienst. Zusammen mit dem Institut
Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille 2005.
— Kapitel 1–7, 16
, 10, 15
helmut ruPPel, Pfarrer und Studienleiter i.R.,
1973–2005 Leiter der Erweiterten Fachausbildung
im Katechetischen Dienst der EKBO. Presse- und
Rundfunktätigkeit. Veröffentlichungen zur Kirchengeschichte, zur Religionspädagogik („Gerechtigkeit
lernen“, Religion 7/8) und zum jüdisch-christlichen
Dialog, zuletzt: „Schoa. Schweigen ist unmöglich. Erinnern, Lernen, Gedenken“, beide gemeinsam mit Ingrid
Schmidt. Seit 2007 Redaktion der „Predigthilfen“ von
Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.
— Kapitel 8, 9
inGrid schmidt, M. A., Religionslehrerin i. R. und
Dozentin in der kirchlichen Erwachsenenbildung.
Publikationen zur feministischen Theologie, Religionspädagogik („Gerechtigkeit lernen“, Religion 7/8) und
zum jüdisch-christlichen Dialog, zuletzt: „Was Christen
vom Judentum lernen können“, beide gemeinsam mit
Helmut Ruppel. Seit 2007 Redaktion der „Predigthilfen“ von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.
— Kapitel 10
lorenz WilKens, Dr. phil., Pfarrer i. R. und Privatdozent an der FU Berlin. Studium der ev. Theologie
und der Philosophie. 1982–1988 Dozent am Institut für katechetischen Dienst der Ev. Kirche in Berlin
Brandenburg (Berlin West), ab 1989 Gemeindepfarrer, Religionslehrer, Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe
zur Erforschung von Kirchenkampf und Zwangsarbeit
und im Landeskirchlichen Archiv. 1993 Habilitation an
der FU. 2006 Ruhestand, danach weiterhin Lehrtätigkeit als Privatdozent an der FU und in der kirchlichen
Erwachsenenbildung sowie Predigtdienst. Aufsätze und
Bücher.
— Kapitel 11
Wir haben uns bemüht, mit allen Inhabern der Rechte an den reproduzierten
Bildvorlagen Kontakt aufzunehmen. Gleichwohl konnten nicht alle Rechteinhaber ausfindig gemacht werden. Für etwaige Versäumnisse bitten wir um
Nachsicht und darum, uns bestehende Ansprüche mitzuteilen.
Im Folgenden bezeichnet die erste Zahl die Tafel, die zweite das Bild,
also: 1.4 = Tafel 1, Bild 4.
Ein ausführliches Abbildungsverzeichnis findet sich unter:
www.ekbo.de/fileadmin/ekbo/Abbildungsverzeichnis.pdf
Akademische Kunstsammlung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität
Greifswald, Kustodie: 6.8
Jasper Althaus: 16.9
Archives départementales du Bas-Rhin, section C 78: 5.9 (Foto: Françoise
Elkouby)
Babenberg Verlag: 5.2
Bayerische Staatsbibliothek: 2.5
Beltz Verlag: 10.7
Clemens W. Bethge: 16.10
Biblioteca Apostolica Vaticana: 8.4
Bildarchiv Abraham Pisarek / akg-images: 13.6
Bildarchiv Foto Marburg: 4.5 (Foto: Walter Hege), 6.3 (Foto: Carl Teufel / Benno Filser)
The Bodleian Libraries, The University of Oxford: 2.7, 3.11, 5.7
bpk / Staatsbibliothek zu Berlin: 10.5, 12.7 (Abraham Pisarek), 14.1
The British Library Board: 3/7
Bundesarchiv: 14.3 (Foto: Georg Pahl)
CAHJP: 13.12
Collection of Museum of Art, Ein Harod, Israel: 2.6
Corpus Vitrearum Deutschland/Freiburg: 2.9 (Foto: Andrea Gössel)
CVMA Deutschland Potsdam/Berlin-Brandenburgische Akademie der
Wissenschaften: 4.11 (Foto: Peer Hunsicker)
Danièle Cohn: 13.11
Deutscher Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische
Zusammenarbeit: 15.1, 15.4
Diether F. Domes: 8.2
E-corpus: 3.5
Ev.-Luth. Kirchengemeinde Weimar: 1.3 (Foto: Constantin Beyer)
Ev. Kirchengemeinde Zum Heilsbronnen Berlin: 12.5
Ev. Stadtkirchengemeinde Wittenberg: 6.1
Raymond Faure: 6.4
Edgar Feuchtwanger: 13.10
Dr. Ruth Gross-Pisarek: 15.5
Gütersloher Verlagshaus: 1.5
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: 6.5, 10.6
Holyland Tourism [1992] LTD: 2.2
Houghton Library, Harvard University: 4.8
Jüdisches Museum Berlin: 10.8, 16.6 (Foto: Jens Ziehe)
Kunstsammlungen der Veste Coburg: 10.11
kunstverlag-peda.de: 10.2, 16.1
Hans-Wulf Kunze: 7.5
Leopold Muller Memorial Library, Foyle-Montefiore Collection: 11.3
Erich Lessing: 10.3
Ludwig Meidner-Archiv, Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt am
Main: 12.17
National Library of Portugal: 2.10
@UK / niederlausitz-aktuell.de: 16.11
Dr. Heinrich Nuhn: 7/6, 7.7
Burkhard Peter: 15.8
picture alliance / ASSOCIATED PRESS: 15.6
Pucker Gallery: 16.5
Heimo Reinitzer: 9.2, 9.3
ro18ger / pixelio.de: 15.3
Margrit Schmidt: 15.7, 15.9, 15.10
Skip Jones: 7.1, 7.4
SLUB Dresden: 4.9
St. Vitus Mönchengladbach: 3.6 (Foto: Firma Oidtmann)
Staatliche Münzsammlung München: 8.3 (Foto: Nicolai Kästner)
Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg: 4.7, 12.3
StadtA NDH: 14.2
Stiftung Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jh. e.V.: 15.2
Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt: 1.2
Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum: 15.11
(Foto: Margit Billeb)
SZ Photo: 13.3
Tate, London: 16.7
Trustees of the British Museum: 1.1
UB Würzburg: 5.1
Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt: 3.13, 5.8
Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg: 10.1
Universitätsbibliothek Leiden: 5.3
Universitätsbibliothek Leipzig: 3.12
Universiteitsbibliotheek Gent: 4.10
VG Bild-Kunst, Bonn: 1.6, 1.8, 2.8, 16.2, 16.3
Wartburg-Stiftung Eisenach: 5.11 (Foto: Cranach Digital Archive)
Wikiart: 2.11
Wikimedia Commons: 1.4, 2.3, 3.1, 3.3, 3.4, 3.14, 4.6, 5.5, 5.10,
5.12, 6.2, 6.6 , 6.7, 8.1, 9.1; 9.4, 10.4, 11.1, 11.4, 11.5, 12.4,
12.8, 12.10, 12.11, 12.12, 12.13, 12.15, 16.4, 16.8
gef ö rd ert d u rcH dI e
m I t f reu n d l IcH e r
un terstü tzu n g d u rcH dI e
rückbLick
rückbLick
und aufbruch
10
Werbemittel
Flyer Din lang / Veranstaltungsflyer
mARtin
luth e R
und dAs
Ju de nt um
Rückbli ck und
AufbR uc h
16. Oktober bis 18. Dezember 2015
martin luther und das Judentum –
Rückblick und Aufbruch
Ausstellung in der Sophienkirche
Große Hamburger Straße 29 / 30, 10115 Berlin
Täglich von 11 bis 18 Uhr
Weitere Termine nach Vereinbarung: Kirchengemeinde am Weinberg
Telefon (030) 30 87 92-0 und [email protected]
r ü c k b Li c k u n d
a u fb r u c h
Martin Luther hat ein schwieriges Erbe hinterlassen. In der
Anfangszeit der Reformation hat er dafür plädiert, die Juden
menschlich zu behandeln. Später hat er sie unerträglich ge­
schmäht und die Anwendung von Gewalt gegen sie gefordert.
Auch sein übriges Schrifttum lässt keinen Raum für jüdi­
sches Leben. Alles Licht fällt auf die Seite des Evangeliums,
alles Dunkel auf die jüdische Seite, symbolisiert vom Gesetz
ohne Gnade.
Lucas Cranach und seine Schule haben diese Auffassung
Luthers auf vielen Bildern umgesetzt. Durch Wort und Bild
ist seine negative Sicht der Juden durch die Jahrhunderte hin
wirksam geworden. Das jüdische Selbstbild blieb bedeutungs­
los, obwohl Jesus, wie Luther anfangs betonte, „ein geborner
Jude“ war.
Erst nach dem Holocaust haben die evangelischen Kirchen
begonnen, sich dem lastenden Erbe von Luthers Judenfeind­
schaft zu stellen. Hier reiht sich die Ausstellung ein. Sie wird
von der Evangelischen Kirche Berlin­Brandenburg­schlesische
Oberlausitz und dem Touro College Berlin getragen. Auf ihren
Tafeln erhalten jüdische und christliche Perspektiven Raum.
Titelbild: Ausschnitt aus dem Weimarer Altarbild von
Lucas Cranach (sen./jun.) mit dem Motiv Gesetz und Evangelium
(Stadtkirche St. Peter und Paul, 1555)
Gefördert durch die
Eine Ausstellung der Evangelischen Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und
des Touro College Berlin
martin Luther
und das J u d e n t u m
Mit freundlicher Unterstützung durch die
Vo rtr a g s r eihe zu r au s s teL L u n g
Je we ils M ontags
16. November 2015, 19.30 Uhr
Univ.-Prof. Dr. Rainer Kampling
Freie Universität Berlin
„aus dr uc k de s glaub e ns , …
e inge b ung de s He ilige n g e is t e s , …
wort de r göt t lic He n waHr He it “
Das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche zum
Judentum nach dem II. Vatikanischen Konzil
23. November 2015, 19.30 Uhr
Prof. Dr. Andrea Strübind
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
„s e Hns uc Ht nac H Z ion“ –
ins t r uM e nta lis ie rt e He ils ge s c Hic Ht e
Das Verhältnis von Juden und Christen in freikirchlicher Perspektive
30. November 2015, 19.30 Uhr
Prof. Dr. Peter von der Osten-Sacken
Prof. em. Humboldt-Universität zu Berlin und
ehemaliger Leiter des Instituts Kirche und Judentum
e r s t e s c Hr it t e
Das christlich-jüdische Verhältnis im Spiegel der Geschichte
des Instituts Kirche und Judentum in Berlin
7. Dezember 2015, 19.30 Uhr
Prof. Dr. Stefan Schreiner
Eberhard Karls Universität Tübingen
Von de r Ve r ge gnung* Z ur b e ge gnung
Eine Erinnerung an christlich-jüdische Gespräche
in der DDR
* Den Begriff der Vergegnung hat Martin Buber geprägt.
11
Werbemittel
Plakat im DinA Format / Plakat Veranstaltungen
martin Luther
un d das
Judentum
martin Luther
u n d das
Judentum
V o rt r a g s r e i h e
Je we i ls M ontA gs
16. November 2015, 19.30 Uhr
Univ.-Prof. Dr. Rainer Kampling
Freie Universität Berlin
„Au sDru ck Des g lAu ben s, …
ein gebun g Des h eiligen geistes, …
wo rt Der g öttlichen wAhrheit“
Das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche
zum Judentum nach dem II. Vatikanischen Konzil
Ausstellung in der
Sophienkirche
begleitung Durch
Die Ausstellung
bieten An:
Helmut Ruppel
Tel. 030 831 38 13
[email protected]
Ingrid Schmidt
Tel. 030 851 19 08
[email protected]
23. November 2015, 19.30 Uhr
Prof. Dr. Andrea Strübind
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
„s ehn sucht n Ach Zion “ –
instruMen tA lisierte heilsgeschichte
rüc kb Lick u n d
16. Oktober bis
18. Dezember 2015
Täglich 11 bis 18 Uhr
Das Verhältnis von Juden und Christen in
freikirchlicher Perspektive
aufbruch
30. November 2015, 19.30 Uhr
Prof. Dr. Peter von der Osten-Sacken
Prof. em. Humboldt-Universität zu Berlin und
ehemaliger Leiter des Instituts Kirche und Judentum
erste schritte
Das christlich-jüdische Verhältnis im Spiegel der Geschichte
des Instituts Kirche und Judentum in Berlin
Große Hamburger Str. 29 / 30
10115 Berlin Mitte
7. Dezember 2015, 19.30 Uhr
Prof. Dr. Stefan Schreiner
Eberhards Karl Universität Tübingen
Vo n Der Vergegn un g* Zur b eg eg nu ng
Eine Ausstellung der Evangelischen Kirche
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und
des Touro College Berlin
Eine Erinnerung an christlich-jüdische Gespräche
in der DDR
* Den Begriff der Vergegnung hat Martin Buber geprägt.
Gefördert durch die
Mit freundlicher Unterstützung der
Gefördert durch die
12
Die ganze Bibel auf einem Bild
Auf der linken Seite im Hintergrund werden Adam
und Eva von der Schlange verführt. Sie übertreten das
göttliche Gebot und werden von den Monstern Tod
und Teufel in die Feuerhölle getrieben. Mose, begleitet von den Propheten, hält dem fliehenden Menschen das übertretene göttliche Gesetz entgegen, das
den Sünder verklagt. Über allem aber thront Christus
als Richter, der das Urteil spricht.
UND DAS
JU DE NT UM
1 Rechts: Oft sind den Lehrbildern am oberen und unteren
Rand die Bibelstellen vor allem aus dem Neuen Testament beigegeben, auf die sich die einzelnen Teile des Bildes stützen. So ist
es auch bei diesem Bild Gesetz und Evangelium aus der Werkstatt
Lucas Cranachs, nach 1529:
R ÜC KBLICK UND
Es wird offenbart Gottes Zorn vom Himmel über aller
Menschen gottloses Wesen und Unrecht. (Röm. 1,18)
AUFBRUCH
Sie sind allzumal
Sünder und mangeln,
dass sie sich Gottes
nicht rühmen mögen
(können).
(Röm. 3,23)
40
Die Sünde ist des Todes
Spieß, aber das Gesetz
ist der Sünden Kraft.
(1. Kor. 15,56)
Das Gesetz richtet
Zorn an. (Röm. 4,15)
Durch das Gesetz
kommt Erkenntnis
der Sünden. (Röm. 3,20)
Das Gesetz und die
und die Propheten
gehen bis auf die Zeit
des Johannes. (Mt. 11,13)
Auf der rechten Bildseite steht vorne der verlorene Mensch. Johannes der Täufer verweist ihn auf
den gekreuzigten Christus. Ein Blutstrahl geht von
dem Gekreuzigten aus, der den Menschen von seinen Sünden reinigt. Unter dem Kreuz aber entsteigt
der auferstandene Christus dem Grabe, unter seinen
Füßen die besiegten beiden Monster. Im Hintergrund des Bildes wird die Vorgeschichte der Erlösung
angedeutet: Maria empfängt das Jesus-Kind vom
Himmel herab, den Hirten auf dem Felde wird die
Weihnachtsbotschaft verkündigt, und eine Erzählung
aus dem Alten Testament deutet auf das erlösende
Geschehen am Kreuz voraus.
11
1 eine bibeL – zwei Lektüren
10
Der Herr wird euch selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau
wird schwanger sein und einen Sohn gebären. ( Jes. 7,14)
Der Gerechte lebt seines
Glaubens. (Röm. 1,17)
Wir halten (dafür),
dass ein Mensch gerecht
werde durch den Glauben, ohne Werke des
Gesetzes. (Röm. 3,28)
Siehe, das ist Gottes
Lamm, das der Welt
Sünde trägt. Johannes
der Täufer. ( Joh. 1,29)
In der (durch die)
Heiligung des Geistes
zum Gehorsam und zur
Besprengung des Blutes
(mit dem Blut) Jesu
Christi. (1. Petr. 1,2)
Der Tod ist verschlungen
im Sieg. Tod, wo ist dein
Spieß? Hölle, wo ist dein
Sieg? Dank habe Gott,
der uns den Sieg gibt
durch Jesus Christus,
unsern Herrn.
(1. Kor. 15,54–55)
Die Bibel als Band
Zahllos sind im Mittelalter die Beispiele der sogenannten typologischen Bibelauslegung: Ereignisse
des Alten Testaments werden als Vorabbildungen
(Typen) von Geschehnissen des Neuen Testaments
gedeutet. Die jüdische Bibel verblasst zu einer Vorabschattung des Neuen Testaments.
Gegen Ende des Mittelalters beginnt man die
Juden als Sprachhelfer zurate zu ziehen und macht
sich nach und nach Bibelauslegungen jüdischer
Gelehrter zunutze. Selbst die gemeinsame Arbeit an
einer illuminierten Bibelhandschrift ist bezeugt.
41
7 Die Rückkehr des Mose nach Ägypten (2. Mose 4) und die
Offenbarung an ihn aus dem brennenden Dornbusch (2. Mose
3) sind nach den Vorbildern der Flucht Marias und Josefs nach
Ägypten (Matthäus 2) und der Verkündigung an die Hirten
(Lukas 2) gestaltet. Die Illuminationen belegen die Mitarbeit
eines christlichen Künstlers an der jüdischen Handschrift.
Die Goldene Haggada, Barcelona, ca. 1320 (Ausschnitt)
E r k lär ungEn, E rwart ungEn ,
E nt t äus c hungEn
168
5 Samuel Bak, Du sollst nicht, 1977
Von der ersten Tafel des Dekalogs ist nur „Ich bin der Ewige“
erhalten, die Verbotstafel ist unversehrt, beginnend mit
„Du sollst nicht morden“.
1523 bekennt Martin Luther, die Juden seien von
Christen nicht wie Menschen behandelt worden. Er
plädiert für ein von Nächstenliebe bestimmtes Verhalten zu ihnen als Voraussetzung für ihre Annahme
Jesu als Messias.
1666 beklagt der im Frankfurter Ghetto missionierende Philipp Jakob Spener, Leitgestalt des Pietismus,
die Misshandlung und Schmähung der Juden durch
Christen. Er benennt deren Lieblosigkeit als einen
Hinderungsgrund für die Bekehrung der Juden.
1823 hält die Berliner judenmissionarische „Gesellschaft zur Beförderung des Christenthums unter
den Juden“ in ihrer Grundverfassung fest, Unduldsamkeit, Hass und Verfolgungsgeist hätten die Juden
vom Christentum zurückgestoßen.
Zahllos sind kirchliche Bekenntnisse zu christlicher Mitschuld an Erniedrigung, Entrechtung und
mörderischer Verfolgung der Juden in der NS-Zeit.
Erneute Erklärungen für ein neues und anderes Miteinander ohne die traditionellen antijüdischen Vorurteile begleiten sie.
3 weLtLiche macht, kirche und Jüdische gemeinden im mitteLaLter
183
169
6 Innenansicht des Jüdischen Museums Berlin mit der Installation Schalechet (Gefallenes Laub) von Menashe Kadishman
7 David Bomberg, Ezechiels Vision auf dem Totenfeld, 1912
PersPektiven
MARTIN
LU T H E R
16
MART I N L UT H E R UN D D A S J U D E N T U M
Publikation
192 Seiten, durchgehend farbig, Hardcover, 210 x 148 mm
13
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