Mustertexte 273 - Beck-Shop

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Biologie und molekulare Medizin
für Mediziner und Naturwissenschaftler
Bearbeitet von
Monica Hirsch-Kauffmann, Manfred Schweiger, Michal-Ruth Schweiger
7. Auflage 2009. Buch. XIII, 416 S. Kartoniert
ISBN 978 3 13 706507 4
Format (B x L): 19 x 27 cm
Gewicht: 1350 g
Weitere Fachgebiete > Medizin > Vorklinische Medizin: Grundlagenfächer > Physik,
Chemie, Biologie für Mediziner
Zu Inhaltsverzeichnis
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273
Mikrobiologie
Zu den Mikroorganismen werden in der Mikrobiologie
neben den Bakterien auch Viren, Pilze und unter Umständen auch größere Parasiten gerechnet. Mikroorganismen
erlangen immer größere Bedeutung als Produzenten von
wichtigen Wirkstoffen, als Komponenten der ökologischen Gleichgewichte, bei der Entwicklung der modernen Biotechnologie, aber auch für die Pathologie
(Tab. 10.1). Wie aus dem Namen ersichtlich, beschäftigt
sich die Mikrobiologie mit den Mikroorganismen
(Abb. 10.1). Ganz sicher gehören dazu die Bakterien. Schon
bei den Viren ist die Definition fraglich, da Viren keine
autonomen Organismen sind. Trotzdem wird die Virologie
zur Mikrobiologie gerechnet. Auch Pilze gehören hierher
und Algen. Bei den Pilzen gibt es einige, die eine beträchtliche Größe erreichen können. Einzellige Algen können bis
20 cm groß sein (Acetabularia major). Auch Mehrzeller können zur Mikrobiologie gehören. Da viele der bisher erwähnten Organismen Parasiten des Menschen sind, die
Größe eines Organismus aber kein gutes systematisches
Kriterium ist, werden häufig auch die großen Parasiten
der Mikrobiologie zugeschlagen (z. B. der Rinderbandwurm, der mehr als 10 Meter lang werden kann). Diese
Tab. 10.1 Gruppen von Mikroorganismen mit medizinischer
Bedeutung
Einzeller
Mehrzeller
▬
Bakterien
▬
Pilze
▬
DNAViren
▬
intrazelluläre
Parasiten:
Rickettsien
Chlamydien
Mycoplasmen
▬
mehrzellige
Parasiten
Würmer
Insekten
▬
RNAViren
Tumorviren
▬
Protozoen
Protisten
Thermo- Methanogene Halophile
und
anaerob
abhängig von
Acidophile
hohem Salz
Archaebakterien
▬
Protozoen:
Amöben
Flagellaten
Ciliaten
Sporozoen
Zugehörigkeit wird auch dadurch dokumentiert, dass in
fast allen Instituten für Mikrobiologie Abteilungen für
Parasitologie existieren. Wegen der wachsenden Bedeutung der Parasitologie, auch im Zusammenhang mit Infektiologie und Tropenmedizin, wurde diesem Gebiet im
vorliegenden Buch ein eigenes Kapitel gewidmet.
Organismen der Mikrobiologie
Animalia
Protophyten
pflanzenähnlich
Viren
Plantae
Algen, Moose,
Farne, blühende
Pflanzen
Abb. 10.1 Stellung der Mikroorganismen im Stammbaum der Organismen. Nur höhere Pflanzen und Tiere
mit Ausnahme der Parasiten gehören
nicht zur Mikrobiologie.
Fungi
Schleimpilze,
Hefe
Entwicklung
der Chloroplasten
einzellig mehrzellig
Eukaryonten
Monera
(Prokaryonten)
Cyanobakterien
(Blau-Grün-Algen)
Bakterien
Eubakterien
einzellig
Entwicklung
der Mitochondrien
einzellig
Ursprung
aus: Hirsch-Kauffmann u.a., Biologie und molekulare Medizin (ISBN 9783137065074) 2009 Georg Thieme Verlag KG
Mikrobiologie
10
10
274
10 Mikrobiologie
10.1
Prokaryonten sind kernlose Zellen
Bakterien und Cyanobakterien (Blaugrünalgen) haben
keinen Zellkern und werden Prokaryonten genannt. Organismen, deren Zellen Kerne besitzen, heißen Eukaryonten. Diese beiden Gruppen unterscheiden sich noch in
anderen zellulären Strukturen (Rep. 10.1) und biochemisch
z. B. in ihrer Empfindlichkeit gegenüber einigen Antibiotika.
Repetitorium 10.1
Unterschiede zwischen Prokaryonten und Eukaryonten
Prokaryonten
Eukaryonten
DNA im Zellkern
nein
ja
Membran-begrenzte
Organellen (Mitochondrien,
Chloroplasten)
nein
ja
Nucleosomen
nein
ja
Zellwand (Murein-haltig)
ja
nein
Flagellen
Pili
DNA
Kapsel
70S Ribosomen
Mesosom
Plasmamembran
Zellwand
Reservestoffe
(Glycogen, Lipide)
Abb. 10.2 Aufbau einer Bakterienzelle. Aufgaben einiger Bestandteile:
Flagellum: Fortbewegung
Pili: Anheftung an Oberflächen
Sex-Pili: Parasexualität
Mesosom: Anheftungsstelle der DNA bei der Replikation, Konzentration von Nährstoffen
Plasmamembran-Innenseite: Atmungsenzyme, DNA-Polymerase
10.1.1 Die Bakterienzellen haben Murein-haltige
Zellwände
Charakteristisch für die Bakterienzelle (Abb. 10.2, Abb. 10.3)
ist die Zellwand (Tab. 10.2, Abb. 10.4) und in ihr ein zweidimensionales, sackartig die Zelle umgebendes Makromolekül, das Murein (Abb. 10.5). Beim Murein sind Kohlenhydratketten über Peptide miteinander verbunden. Die
Kohlenhydratketten bestehen alternierend aus N-Acetylglucosamin und N-Acetylmuraminsäure. Die Peptidketten
enthalten, neben den üblichen Aminosäuren L-Lysin und
Glycin, auch D-Isoglutamin und D-Alanin, wobei die biologisch unüblichen D-Aminosäuren das Murein wohl vor
dem Zugriff von Peptidasen schützen sollen.
Diese komplexe Struktur wurde von dem deutschen
Biochemiker Weidel aufgeklärt, der dem Sacculus den
Namen Murein gab. Grampositive Bakterien besitzen neben einer besonders dicken, mehrschichtigen Mureinschicht Teichonsäure, ein ebenfalls komplexes Makromolekül (Abb. 10.4). Sie trägt die antigenen Eigenschaften der
Bakterien. Die Aufgaben der Zellwand (Tab. 10.3) sind es,
die Zelle zu schützen, die äußere Struktur der Zelle zu
fixieren und sehr differenziell bestimmte Stoffe hineinzulassen und andere auszuschließen. Auch der osmotische
Druck und die Ionenkonzentrationen im Inneren der Zelle
werden durch die Zellwand aufrechterhalten.
Während die mechanischen Schutzfunktionen von
Murein ausgeübt werden, sind für die differenzielle Aufnahme bzw. Abgabe von Stoffen die Zellmembranen verantwortlich. Besonders deutlich werden die Aufgaben der
Membranschichten in gramnegativen Zellen (Abb. 10.6).
Die Phospholipid-Doppelschicht der Membranen ist praktisch undurchgängig für alle polaren Verbindungen wie
z. B. für Ionen. Für deren Durchtritt gibt es in der äußeren
Membran Poren und in der inneren Membran spezifische
Transportproteine, die unter Energieverbrauch die notwendigen Stoffe aufnehmen bzw. abgeben.
Bakterielle Proteine, die durch die innere Membran in den periplasmatischen Raum transportiert werden sollen, folgen ähnlichen
Prinzipien wie die der Eukaryonten: die Peptide sind durch eine
Signalsequenz markiert und werden im ungefalteten Zustand unter
ATP-Verbrauch mittels eines Translocons transloziert. Einen speziellen Mechanismus haben pathogene Bakterien entwickelt: sie sind in
der Lage, Toxine durch die innere und die äußere Membran durch
eine „Röhre“, die u. a. von Pili gebildet wird, hinauszutransportieren.
Proteine am äußersten Pilusende ermöglichen dann, z. B. beim Pestbakterium, den Kontakt zur Membran von Makrophagen, die durch
das Toxin inaktiviert werden.
Zwischen beiden Membranen liegt der periplasmatische
Raum, in dem sich das Murein befindet. Ein Lipoprotein
verankert die äußere Membran an dem Murein. Der Lipidanteil ist in die lipophile Schicht der Phospholipid-Doppelschicht eingelagert und der Proteinteil ist mit dem
Murein verbunden. Auf der äußeren Seite der äußeren
Membran sind Lipopolysaccharide (LPS) fixiert. Ein solches Lipopolysaccharid ist z. B. das Endotoxin, das die
Bildung von Pyrogen induziert und dadurch Fieber hervorruft.
aus: Hirsch-Kauffmann u.a., Biologie und molekulare Medizin (ISBN 9783137065074) 2009 Georg Thieme Verlag KG
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10.1 Prokaryonten sind kernlose Zellen
a
Abb. 10.3 Bakterien im Elektronenmikroskop. a Gramnegatives
Bakterium (Escherichia coli) mit Flagellen und Pili; dazu LambdaViren (Aufnahme: B. Menge, K. G. Lickfeld, Basel; M: Balken =
0,5 m). b Grampositive Bakterien (Bacillus subtilis) (Aufnahme: J. C.
Benichon, Basel; M: Balken = 0,5 m).
Kapsel oder Schleimschicht
Zellwand (grampos., gramneg.)
Cytoplasma
Zellmembran
Zellwandaufbau
grampositiv
gramnegativ
Teichonsäure
Lipopolysaccharid
äußere Membran
Murein
Lipoprotein
Abb. 10.4 Aufbau der Zellwand. Der Aufbau der Zellwand unterscheidet sich bei verschiedenen Bakterien. Grampositive: Eine
Schicht aus einem Polysaccharid, der Teichonsäure, ist für Ionentransport und Antigenität verantwortlich. Eine mehrlagige Mureinschicht bietet mechanischen Schutz. Die Zellmembran, eine Phospholipid-Doppelschicht, bildet den Anschluss zum Cytoplasma hin.
Bei den gramnegativen Bakterien übernimmt eine Schicht aus Lipopolysacchariden die Schutzfunktion, vermittelt Antigenität und
enthält Toxine. Eine äußere Phospholipid-Doppelschicht wird über
Lipoproteine mit der einlagigen Mureinschicht verankert. Alle drei
äußeren Schichten behindern das Eindringen von Substanzen wie
z. B. Penicillin oder Farbstoffe. Der Zellwand kann (nicht obligat)
durch Sekretion eine Kapsel oder Schleimschicht aufgelagert werden, die Schutz vor Phagocytose bietet, wodurch das Bakterium
seine Virulenz erhöht (s. z. B. Pneumokokken).
Murein
Zellmembran
Zellmembran
Das beim Zerfall der Bakterien frei werdende Endotoxin
reagiert als exogenes Pyrogen mit Rezeptoren der Makrophagen, die auf diesen Reiz hin endogenes Pyrogen, das
Interleukin I, ausschütten. Interleukin I setzt die Empfindlichkeit des Temperatur-Regulationszentrums im Hypothalamus herab, was zur Fieberreaktion führt.
Noch weiter außen kann sich zum weiteren Schutz der
Zelle eine Schleimschicht aus Polysacchariden oder Polypeptiden auflagern. Kapseln aus Polysaccharid-haltigen
Schleimen oder manchmal aus Polypeptiden können Bakterien dem Zugriff des Wirtes entziehen. Sie können die
Phagocytose verhindern (Abb. 10.4).
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Mikrobiologie
b
10
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10 Mikrobiologie
Tab. 10.2
Strukturen der Zellwand
Tab. 10.3
Funktionen der Zellwand
– Antigene
– Schutz
– Rezeptoren
– Gestaltgebung
– Sex-Pili
– Osmoregulation
– Bewegungsorganellen
– selektive Stoffaufnahme und -abgabe
– Proteine für Oberflächenadhärens
a N-Acetylmuraminsäure
b
N-Acetylglucosamin
Lysozym
CH2OH
O
O
CH2OH
O
O
O
O C
C
O
OH
NH
H3C CH
Kohlenhydratrückgrat
NH
O
C
O
AS
Gly
AS
Peptid-Brücke
Gly
Gly
Gly
Gly
Kohlenhydratrückgrat
AS
AS
Gly
Glycin-Brücke
c
AS
AS
AS
Peptid-Brücke
CH3
CH3
Gly
AS
Glycin-Brücke
Abb. 10.5 Murein. a Aufbau des Mureins: Kohlenhydratketten, die
aus N-Acetylglucosamin und N-Acetylmuraminsäure bestehen, sind
über Peptidbrücken zu einem zweidimensionalen Gerüst verbunden. b Chemische Strukturen im Murein. c Isolierte Mureinsacculi
von Escherichia coli. Sie spiegeln die Gestalt der Zelle wider, aus der
Beim Wachsen der Bakterien müssen natürlich auch
die Schichten der Wand mitwachsen. Bei den Membranen
werden neue Phospholipide eingelagert. Für die Vergrößerung des Murein-Sacculus müssen das zweidimensionale Netz geöffnet und neue Elementarstrukturen eingesetzt werden. Penicillin und ähnliche Antibiotika dieser
Gruppe verhindern das Einsetzen der Elementarstrukturen, indem sie die Bildung der verknüpfenden Peptidbindungen unmöglich machen (Hemmung der Transpeptidase). Berücksichtigt man diese Tatsache, dann werden
einige Besonderheiten der Wirkung von Penicillin klar:
Nur Prokaryonten werden gehemmt, denn nur diese besitzen Murein. Nur wachsende Zellen sind Penicillin-empfindlich, denn nur diese öffnen das Murein. Sporen und
metabolische Ruheformen sind unempfindlich, ebenso
sogenannte zellwandlose L-Formen und Mycoplasmen
(Rep. 10.2).
sie isoliert wurden. Die Sacculi zeigen in der Zellmitte einen scharfen
Einschnitt – Resultat des lokalen Abbaus der Zellwand durch zelleigene Enzyme unter Einwirkung von Penicillin G (Aufnahme: H. Frank
und U. Schwarz, Tübingen; M: Balken = 1 m).
Repetitorium 10.2
Die Zellwand als Angriffspunkt beim Kampf gegen Bakterien
Lysozym wirkt besser auf grampositive als auf gramnegative
Bakterien sowohl in der Wachstums- als auch in der stationären
Phase
▬ es zerstört glycosidische Bindungen des Mureins
▬ die Zellwand löst sich auf
▬ die Zellmembran bleibt zunächst intakt
(Protoplast bzw. Sphäroplast)
▬ Zellmembran platzt infolge Osmose (Lyse)
Penicilline töten bevorzugt grampositive Bakterien in der
Wachstumsphase
▬ Penicilline verhindern das Vernetzen der Peptidbrücken des
Mureins (Hemmung der Transpeptidase)
▬ sie zerstören dadurch die Zellwand
gramnegative Bakterien: Die äußeren Zellwandschichten behindern den Zutritt des Penicillins!
Zellwandlose Bakterien, wie z. B. Mycoplasmen oder L-Formen,
werden von Penicillin nicht angegriffen
aus: Hirsch-Kauffmann u.a., Biologie und molekulare Medizin (ISBN 9783137065074) 2009 Georg Thieme Verlag KG
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