Vorlesung „Ethische Begründungsansätze“: SoSe 2009 – PD Dr. Dirk Solies Begleitendes Thesenpapier – nur für Studierende gedacht! Eudaimonismus als ethischer Begründungsansatz Leitfragen zur Voraktivierung: Was ist Glück? Wie verhält sich Glück zu Lust? Ist Lust dauerhaft? Was steht der Lust entgegen? Wie verhalten sich Glück und Vernunft zueinander? PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 1 Eudaimonismus („Wohlbefinden des Dämons“) Was genau meint Eudaimonia? Was sind die Voraussetzungen ihrer Verwirklichung? Wie verhält sich die individuelle Eudaimonia zum gesellschaftlichen Leben? Wie wird im Rahmen der Eudaimonia Ethik begründet? An wen richtet sich diese? Mit welchem argumentativen Geltungsanspruch?? → Zwei Konzeptionen von Eudaimonia: Aristoteles und Epikur PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 2 Exkurs Aristoteles (v. a. Nikomachische Ethik): Eudaimonia: Glück – gutes Leben / gute Handlungen Eudaimonia und ἀρετή (aretê): Tüchtigkeit und Tauglichkeit („Tugend“?) Telos ist die Ausbildung der ἀρετή „Tugendethik“?!? Aristoteles (384-322 v. Chr.) PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 3 Tugenden bei Aristoteles: Charaktertugenden: Haltungen (hexis): Bewusste Wahl einer Haltung um ihrer selbst willen Verstandestugenden, v.a. Klugheit (φρόνησις) phrónesis – lat. prudentia Funktion: Wahl der Mitte (mesotês) zwischen den Extremen: Gegenstandsbereich Mangel Charaktertugend Übermaß Furcht/Mut Feigheit Tapferkeit Tollkühnheit Lust/Unlust Zügellosigkeit Besonnenheit Gefühllosigkeit Zorn Schwächlichkeit Sanftmut Jähzorn Scham Schamlosigkeit Feinfühligkeit Schüchternheit Ehre Kleinmütigkeit Großgesinntheit Eitelkeit PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 4 Eudaimonia verwirklicht in: Philosophischer Lebensform (bios theoretikos) → Erkenntnis Sozialer Lebensform (bios politikos) → Ehre Unverzichtbarkeit des bios politikos Gutes Leben schließt Lust ein, erschöpft sich aber nicht in dieser (der aufs Rad geflochtene Tugendhafte ) 1 1 EN VII 14, 1153b18-20 PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 5 Gutes Leben bedarf bestimmter (materieller, politischer) Voraussetzungen (Vornehmheit, Schönheit, wohlgeratene Kinder…) – bestimmte Seinsweise realisiert sich im staatlichen Handeln (→ Staatstheorie) „prudentionell-perfektionistische[ ] Eudaimonia-Konzeption“ 2 Tugend der Freundschaft bei Aristoteles: Freund als „anderes Selbst“ Disposition zur Freundschaft Realisierung der Selbstliebe Kultivierung der Freundschaft nicht mehr dem Nutzenkalkül unterworfen 2 Hübenthal, in: Handbuch Ethik, S. 83. PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 6 Epikur (341 – 270 v. Chr.) (→ Carl-Friedrich Geyer: Epikur zur Einführung, Junius: Hamburg 2000) 306 v. Chr.: Gründung des Kepos (Garten) lathe biosas („lebe im Verborgenen!“) Gegenfigur zum platonischen Sokrates (Öffentlichkeit, Gespräche auf dem Markt, Dialogkunst) PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 7 Literatur Schwierige Quellenlage. Erhalten sind: Brief an Menoikeus zur Ethik Brief an Herodot zu Erkenntnistheorie und Naturphilosophie Brief an Pythokles zu Astronomie und Meteorologie Außerdem sind zwei Sammlungen von Lehrsätzen überliefert: Die Kyriai doxai – 40 Hauptlehrsätze zum Auswendiglernen Das Gnomologium Vaticanum Epicureum – eine 1888 in einem Vatikan-Kodex entdeckte Zitatsammlung mit Aussprüchen Epikurs und wichtiger SchülerSekundärquellen Diogenes Laertios, Horaz, Lukrez, Plinius der Jüngere, Cicero, Plutarch, Diogenes von Oinoanda PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 8 Epikurs „Hedonismus“???: Was ist „das Gute“? Lust als Hedone verstanden: sinnliche Genüsse des Essens, Trinkens, Liebens etc. Problem: Lust meist als Übergang von Mangel (Hunger) zu Befriedigung verstanden. PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 9 Stabilität des Lustgefühls: Glück als dauerhafter Zustand, nicht lediglich Beseitigung eines Mangels! Lust als Telos des Handelns, weil Lust = Unlustfreiheit Vgl. Gnomologium Vaticanum 19: „Wer an das Gute, das ihm widerfuhr, nicht mehr denkt, ist schon heute ein Greis.“ Lustempfindung als Resultat der Selbstkultivierung PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 10 „Ungemischtheit“ von Lust und Schmerz möglich Die Stimme des Fleisches: nicht hungern, keinen Durst haben, nicht frieren. Wer das besitzt und erwarten kann, dass er es auch in Zukunft besitzt, könnte sogar Zeus die Glückseligkeit streitig machen. (Gnom. Vat. 33) Man darf das Vorhandene aus Gier nach Nichtvorhandenem nicht abwerten, sondern muss bedenken, dass auch dieses einst erstrebenswert war. (Gnom. Vat. 35) PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 11 Lust vs. Schmerz: Was schmerzt, spürt man nicht ununterbrochen im Fleisch; vielmehr ist der größte Schmerz nur von kurzer Dauer; der Schmerz aber, der die Lust im Fleisch kaum übersteigt, dauert nicht viele Tage lang. Lange andauernde Krankheiten gewähren mehr Lust im Fleisch als Schmerz. (IV) „Umgekehrter Buddhismus“: Vergänglichkeit von Schmerzen Schmerzfreiheit von lustvollen Zuständen PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 12 Unterteilung der Begierden: Grundthema: Umgang mit Begierden! PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 13 Unlustvermeidung: Keine Lust ist an sich ein Übel. Aber alles, was bestimmte Lustempfindungen hervorruft, führt zu Störungen, die die Lustempfindungen um ein Vielfaches übersteigen. (VIII) Unlustvermeidung durch Theorie, Nachdenken, Reflexion! „kalkulierender“ Umgang mit der eigenen Lust und dem eigenen Leid Epikur als Anhänger einer „konsequenzialistischen“ Betrachtungsweise?! PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 14 Der Tod „Gegen alles Mögliche kann man sich Sicherheit verschaffen, angesichts des Todes aber bewohnen wir Menschen alle eine Stadt ohne schützende Mauern.“ Grundsätzliche Resignation, aber: Die existenzielle Irrelevanz des Todes: Der Tod hat keine Bedeutung für uns; denn was sich aufgelöst hat, empfindet nichts; was aber nichts empfindet, hat keine Bedeutung für uns. (II) 3 Umgang mit der Todesangst Non-personale Betrachtung Distanznahme zum eigenen Ende „Angsttherapie durch Aufklärung“ (J. Schummer) 3 Textausgabe: Nickel, Rainer (2005) (Hrsg.), Epikur. Wege zum Glück, Düsseldorf / Zürich PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 15 Selbstgenügsamkeit des Glücklichen: Ausgeglichenheit (ἀταραξία) als Ideal – anscheinende Parallele mit stoizistischen Positionen Aber: Der Glückliche, nicht der Weise! PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 16 Epikurs disziplinärer Reduktionismus: Rolle der Naturphilosophie: „existenzielle“ Rolle: Zur Vermeidung von Angst und Schmerzen! nicht vorrangige, sondern alleinige Aufgabe der Naturphilosophie Notwendigkeit der N. beruht auf einer Täuschung Epikurs Position: radikaler Eudaimonismus PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 17 Epikurs ‚moralischer‘ Imperativ: „Tue im Leben nichts, wobei du Angst hast, dass deine Mitmenschen es entdecken.“ (Gnom. vat. 70) „An alle Wünsche muss man folgende Frage richten: Was wird mir geschehen, wenn ich das Ziel meiner Wünsche erreicht habe? Was, wenn ich es nicht erreicht habe?“ (Gnom. vat. 71) Jemand, der ein freies Leben führe, könne nicht viel Geld verdienen (Gnom. vat. 67) Eine moralische Anweisung ?! Der Epikuräer als Heuchler bei Gebeten (Plut. mor. 1102 B4) Epikurs Konzeption von Eudaimonia 4 Geyer 2005: 18 / 45. PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 18 Leitfragen zur ethischen Positionierung des Eudaimonismus: Was genau meint Eudaimonia? Was sind die Voraussetzungen ihrer Verwirklichung? Wie verhält sich die individuelle Eudaimonia zum gesellschaftlichen Leben? Wie wird im Rahmen der Eudaimonia Ethik begründet? An wen richtet sich diese? (in welcher Funktion?) Mit welchem argumentativen Geltungsanspruch?? PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 19 Fortführung einer Philosophie der Lebenskunst in der Moderne: Schopenhauer: Aphorismen zur Lebensweisheit Lebensphilosophie, v. a. o Nietzsche o Simmel o Th. Lessing Wilhelm Schmid: Philosophie der Lebenskunst http://www.lebenskunstphilosophie.de PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 20