Vorlesung „Der Begriff der Person“: WS 2008/09 – PD Dr. Dirk

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Vorlesung „Der Begriff der Person“: WS 2008/09 – PD Dr. Dirk Solies
Begleitendes Thesenpapier – nur für Studierende gedacht!
Wiederholung der vergangenen Sitzung:
(1724-1804)
PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected]
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Ich gestehe frei: die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, was mir vor vielen
Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrach, und meinen Untersuchungen im
Felde der spekulativen Philosophie eine ganz andre Richtung gab. Ich war weit entfernt,
ihm in Ansehung seiner Folgerungen Gehör zu geben, die bloß daher rührten, weil er sich
seine Aufgabe nicht im Ganzen vorstellete, sondern nur auf einen Teil derselben fiel, der,
ohne das Ganze in Betracht zu ziehen, keine Auskunft geben kann.
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1
Kant: Prolegomena (Kant-W Bd. 5, S. 118)
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Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht
§ 1. Daß der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt
ihn unendlich über alle andere auf Erden lebende Wesen. Dadurch
ist er eine Person und vermöge der Einheit des Bewußtseins bei allen
Veränderungen, die ihm zustoßen mögen, eine und dieselbe Person, d. i.
ein von Sachen, dergleichen die vernunftlosen Thiere sind, mit denen man
nach Belieben schalten und walten kann, durch Rang und Würde ganz
unterschiedenes Wesen, selbst wenn er das Ich noch nicht sprechen kann,
weil er es doch in Gedanken hat: wie es alle Sprachen, wenn sie in der
ersten Person reden, doch denken müssen, ob sie zwar diese Ichheit nicht
durch ein besonderes Wort ausdrücken. Denn dieses Vermögen (nämlich
zu denken) ist der Verstand.
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Beginn der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
Der „gute Wille“ als einzige Quelle des Guten
Mäßigung in Affekten und Leidenschaften, Selbstbeherrschung und nüchterne Überlegung
sind nicht allein in vielerlei Absicht gut, sondern scheinen sogar einen Teil vom innern
Werte der Person auszumachen; allein es fehlt viel daran, um sie ohne Einschränkung für
gut zu erklären (so unbedingt sie auch von den Alten gepriesen worden).
Bsp.: Selbstbeherrschung – „das kalte Blut eines Bösewichts macht ihn nicht allein weit
gefährlicher, sondern auch unmittelbar in unsern Augen noch verabscheuungswürdiger“
 Ablehnung tugendethischer Ansätze
 erst der gute Wille macht Taten gut
 „innerer Wert der Person“ zugestanden, aber
 unabhängig von Ethikbegründung gedacht
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Nun sage ich: der Mensch, und überhaupt jedes vernünftige Wesen, existiert als Zweck an
sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen,
sondern muß in allen seinen, sowohl auf sich selbst, als auch auf andere vernünftige
Wesen gerichteten Handlungen jederzeit zugleich als Zweck betrachtet werden.
(Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Werke Bd. 7, S. 59-60)
 Neigungen → bedingter Wert
 Gleichzeitigkeit, nicht Ausschluss von Zwecken!
 gilt gegenüber anderen und gegenüber sich selbst!
 rigorose Konsequenzen des Selbstumgangs
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Die Wesen, deren Dasein zwar nicht auf unserm Willen, sondern der Natur beruht, haben
dennoch, wenn sie vernunftlose Wesen sind, nur einen relativen Wert, als Mittel, und
heißen daher Sachen, dagegen vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre
Natur sie schon als Zwecke an sich selbst, d.i. als etwas, das nicht bloß als Mittel alle
Willkür einschränkt (und ein Gegenstand der Achtung ist).
Person:
 Vernunftbegabte Wesen (Menschen, nicht Tiere!)
 Zweck an sich selbst
 beruhen nicht auf unserem Willen, sondern „auf der Natur“ (als Naturzweck)
 → Achtung
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Kants „praktische[r] Imperativ“:
Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden
andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.
sog. Zweck-an-sich-Formel des KI
Bsp.:
► Verbot des Selbstmords
► Verbot der Lüge
► Verbot der Vernachlässigung von Anlagen
► „verdienstliche Pflicht gegen andere“ – tätiger Altruismus
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Alle Achtung für eine Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz (der Rechtschaffenheit
etc.), wovon jene uns das Beispiel gibt. Weil wir Erweiterung unserer Talente auch als Pflicht
ansehen, so stellen wir uns an einer Person von Talenten auch gleichsam das Beispiel eines
Gesetzes vor (ihr durch Übung hierin ähnlich zu werden) und das macht unsere Achtung aus.
Alles moralische so genannte Interesse besteht lediglich in der Achtung fürs Gesetz.
(Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Anm. 2)
 Achtung „für das Gesetz“ begründet Sonderstatus der (menschlichen, vernünftigen)
Person
 letzterer „abgeleitet“
 Pflichten gegen sich selbst!
 Umgang mit sich selbst nicht unmittelbar, sondern vermittelt über die Idee der Person
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Pflicht: „ objektive Notwendigkeit einer Handlung aus Verbindlichkeit“
Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (Werke Bd. 7, S. 74)
→ Kants „Rigorismus“?!
Auflösung des Gegensatzes
 „Unterwürfigkeit unter dem Gesetze“
 „eine gewisse Erhabenheit und Würde an derjenigen Person vorstellen, die alle ihre
Pflichten erfüllt“:
unkritischer „Devotismus“??
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Denn so fern ist zwar keine Erhabenheit an ihr, als sie dem moralischen Gesetze
unterworfen ist, wohl aber, so fern sie in Ansehung eben desselben zugleich gesetzgebend
und nur darum ihm untergeordnet ist.
[...] Unser eigener Wille, so fern er, nur unter der Bedingung einer durch seine Maximen
möglichen allgemeinen Gesetzgebung, handeln würde, dieser uns mögliche Wille in der
Idee, ist der eigentliche Gegenstand der Achtung, und die Würde der Menschheit besteht
eben in dieser Fähigkeit, allgemein gesetzgebend, obgleich mit dem Beding, eben dieser
Gesetzgebung zugleich selbst unterworfen zu sein.
 Person als Ort der Autonomie der Vernunft
 realisiert sich im Menschen als Vernunftwesen
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„Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit“
Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst
(unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist. Das
Prinzip der Autonomie ist also: nicht anders zu wählen, als so, daß die Maximen seiner
Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen sein.
 praktische Regel → Imperativ (Begründung nicht in der pV)
Allein, daß gedachtes Prinzip der Autonomie das alleinige Prinzip der Moral sei, läßt sich
durch bloße Zergliederung der Begriffe der Sittlichkeit gar wohl dartun. Denn dadurch
findet sich, daß ihr Prinzip ein kategorischer Imperativ sein müsse, dieser aber nichts mehr
oder weniger als gerade diese Autonomie gebiete.
 Person als Ort der Autonomie der Vernunft als alleiniger Quelle des echten Moralprinzips
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KpV:
[...] indem eben die Gewißheit einer Gesinnung, die mit diesem Gesetze übereinstimmt,
die erste Bedingung alles Werts der Person ist [...]
Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Werke Bd. 7, S. 193
 „Gesinnung“ als Maßstab der guten Handlung
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Person und „Persönlichkeit“:
Es ist nichts anders als die Persönlichkeit, d.i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem
Mechanism der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet,
welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen reinen
praktischen Gesetzen, die Person also, als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen
Persönlichkeit unterworfen ist, so fern sie zugleich zur intelligibelen Welt gehört; da es
denn nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als zu beiden Welten gehörig, sein
eigenes Wesen, in Beziehung auf seine zweite und höchste Bestimmung, nicht anders, als
mit Verehrung und die Gesetze derselben mit der höchsten Achtung betrachten muß.
 Persönlichkeit als Unabhängigkeit von der Natur
 als individueller Wert
 Person – Sinnenwelt, Persönlichkeit – intelligible Welt
 Duplizierung des „eigenen“ Wesens
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Das moralische Gesetz ist heilig (unverletzlich). Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die
Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein.
 „Selbstbegegnung“ des Individuums mit der Menschheit in seiner Person
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Person vs. Persönlichkeit:
Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Die
moralische Persönlichkeit ist also nichts anders, als die Freiheit eines vernünftigen
Wesens unter moralischen Gesetzen (die psychologische aber bloß das Vermögen, sich
seiner selbst in den verschiedenen Zuständen, der Identität seines Daseins bewußt zu
werden), woraus dann folgt, daß eine Person keinen anderen Gesetzen, als denen, die sie
(entweder allein, oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst gibt, unterworfen ist.
Kant: Die Metaphysik der Sitten, Werke Bd. 8, S. 329-330
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Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?
Der Gebrauch also, den ein angestellter Lehrer von seiner Vernunft vor seiner Gemeinde
macht, ist bloß ein Privatgebrauch, weil diese immer nur eine häusliche, obzwar noch so
große Versammlung ist; und in Ansehung dessen ist er als Priester nicht frei und darf es
auch nicht sein, weil er einen fremden Auftrag ausrichtet. Dagegen als Gelehrter, der
durch Schriften zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt spricht, mithin der
Geistliche im öffentlichen Gebrauche seiner Vernunft, genießt einer uneingeschränkten
Freiheit, sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen und in seiner eigenen Person zu
sprechen. Denn daß die Vormünder des Volks [A488] (in geistlichen Dingen) selbst wieder
unmündig sein sollen, ist eine Ungereimtheit, die auf Verewigung der Ungereimtheiten
hinausläuft.
 Privatgebrauch der Vernunft vs. öffentlicher Gebrauch der Vernunft
 „in seiner eigenen Person“
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