Der Urologe Organ der Deutschen Gesellschaft für Urologie Organ des Berufsverbandes der Deutschen Urologen Elektronischer Sonderdruck für A.W. Schneider Ein Service von Springer Medizin Urologe 2014 · 53:1136–1145 · DOI 10.1007/s00120-014-3544-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 A.W. Schneider · J. Fichtner Die demographische Entwicklung in Deutschland Herausforderung und Chance für die Urologie Diese PDF-Datei darf ausschließlich für nichtkommerzielle Zwecke verwendet werden und ist nicht für die Einstellung in Repositorien vorgesehen – hierzu zählen auch soziale und wissenschaftliche Netzwerke und Austauschplattformen. www.DerUrologe.de Leitthema Urologe 2014 · 53:1136–1145 DOI 10.1007/s00120-014-3544-y Online publiziert: 25. Juli 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Redaktion A. Schroeder, Neumünster J. Fichtner, Oberhausen W. Bühmann, Wenningstedt/Sylt A.W. Schneider1 · J. Fichtner2 1 Krankenhaus Salzhausen 2 Klinik für Urologie, Johanniterkrankenhaus Oberhausen Die demographische Entwicklung in Deutschland Herausforderung und Chance für die Urologie Nicht erst seit dem Demographiegipfel der Bundeskanzlerin im Oktober 2012 ist die demographische Entwicklung in Deutschland als politische, wirtschaftliche und medizinische Herausforderung identifiziert worden. Die seit mehr als zwei Jahrzehnten geführte Diskussion um die Anpassung der Rentenversorgung, die Debatte um die Pflegeversicherung sowie der Diskurs um die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland spiegeln längst die sich mehr und mehr abzeichnende Veränderung der Altersstruktur in Deutschland wider. Neben vielen Auswirkungen auf Wirtschaft, staatliche Infrastruktur, Arbeitswelt und Immobilienpreise als finanziellem Rückgrat vieler Fonds zur Sicherung der Rente im Alter etc. werden auch die Auswirkungen auf das Gesundheitswesen und dessen zukünftige Entwicklung allseits diskutiert. Nicht ganz so bekannt ist die Tatsache, dass das Fachgebiet Urologie innerhalb des nächsten Jahrzehnts im Vergleich zu allen anderen Fachdisziplinen am deutlichsten von der veränderten Altersstruktur in Deutschland und der damit einhergehenden steigenden Leistungsanforderung betroffen ist. Die Ursachen und Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf das Fachgebiet Urologie soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. 1136 | Der Urologe 8 · 2014 Altersverteilung in Deutschland Die Analyse des statistischen Bundesamtes ist eindeutig: Obgleich die gesamte Einwohnerzahl der BRD bis zum Jahre 2040 mit leichten Schwankungen ­zwischen 78–82 Mio. Einwohnern annähernd konstant bleibt, ändert sich die Alterszusammensetzung der Bevölkerung dramatisch. Aus der „normalen“ Alterspyramide einer gesunden Bevölkerung, wie sie in Deutschland bis 1910 galt und heute noch die Altersstruktur mancher Schwellenländer richtig beschreibt, ist eine durch verschiedene Einflüsse der vergangenen Jahrzehnte auf das Leben in Deutschland veränderte Altersverteilung entstanden (. Abb. 1). » Die Alterszusammensetzung der Bevölkerung verändert sich bis 2040 dramatisch Befanden sich im Jahre 1980 nur 12,2 Mio. Menschen im Alter über 65 Jahre, so ist deren Anteil im Jahre 2014 bereits auf 17,3 Mio. angestiegen. Vorausberechnungen zeigen weiter, dass der Anteil an über 65-jährigen Männern und Frauen in Deutschland 2020 bereits 18,7 Mio., 2030 schon 22,3 Mio. betragen und 2040 auf knapp 24 Mio. angestiegen sein wird (. Abb. 2). Parallel zu dieser Entwicklung der absoluten Zunahme der Gesamtzahl der älteren Menschen in Deutschland steigt auch die Lebenserwartung ungebrochen weiter (. Abb. 3). Altersverteilung urologischer Patientinnen und Patienten Bereits im Jahre 2001 veröffentlichte das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Vereinigung in Deutschland (ZI) eine Analyse zur Leistungsausdehnung im Fachgebiet Urologie im ambulanten Bereich. Der zentralen Abrechnungserfassung war aufgefallen, dass zwischen 1993 und 1998 die Zahl der Abrechnungsfälle um >44% angestiegen war; im Vergleich dazu war in den anderen Fachgruppen nur eine Steigerung von durchschnittlich 23% zu verzeichnen. Bereits damals war als Ursache für die beobachtete Leistungsausdehnung der Anstieg der älteren Bevölkerung und der mit ihr verbundenen typischen urologischen Erkrankungen als Ursache ausgemacht worden (. Abb. 4). Den Zusammenhang zwischen urologischem Leistungsbedarf der Patienten in Abhängigkeit vom Lebensalter konnte das gleiche Institut anhand einer aktuellen Analyse der bundesweiten AbrechnungsDr. A.W. Schneider ist Vorsitzender des Arbeitskreises urologischer Belegärzte im BDU, Vorsitzender der Onkologiekommission der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, Mitglied im Vorstand der AUO. Prof. Dr. J. Fichtner ist Chefarzt der Klinik für Urologie, Johanniter Krankenhaus Oberhausen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Urologie 2013/2014. Leitthema 100 25,00 90 Anzahl in Millionen 20,00 80 70 60 Männer 50 15,00 10,00 5,00 Frauen 40 0,00 30 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 Jahr 20 Abb. 2 8 Demographische Daten der BRD gemäß dem statistischen Bundesamt: Altersentwicklung der Bevölkerung über 65 Jahre (Stand 2012). (Nach Statistisches Bundesamt https://www.destatis.de/DE/Startseite.html) 10 0 600 300 300 Tausend 600 Tausend Abb. 1 9 Demographische Daten der BRD gemäß dem statistischen Bundesamt: Altersverteilung im Jahre 2014 (Stand 2009). (Nach Statistisches Bundesamt https://www.destatis.de/DE/Startseite.html) daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung erneut eindringlich dokumentieren. Die neue Untersuchung zeigt, dass der (urologische) Leistungsbedarf eines über 60-jährigen Patienten das 6-Fache gegenüber dem eines unter 60-jährigen Patienten beträgt. Dies liegt weit über den Leistungsanforderungen aller anderen Fachgebiete (. Abb. 5). 85 80 Lebenserwartung bei Geburt 75 70 65 Entwicklung des Versorgungsbedarfs bis 2025 60 55 Deutschland Westdeutschland 50 Ostdeutschland Welt 45 1970 1960 1980 1990 2000 2010 Jahr Abb. 3 8 Demographische Daten der BRD gemäß dem statistischen Bundesamt: Lebenserwartung in Deutschland (Stand 2012). (Nach Statistisches Bundesamt https://www.destatis.de/DE/Startseite. html) Anteile in % (1993=100) 160 140 alle Arztgruppen 120 100 80 1993* 1138 | Urologen 1994* Der Urologe 8 · 2014 1995* 1996 1997 1998 Abb. 4 9 GKV-Abrechnungsfälle von Urologen in freier Praxis. gesamtes Bundesgebiet (Anteile in % [1993=100]). (*Abrechnungsfälle der neuen Bundesländer hochgerechnet auf der Datenbasis 1996). (Nach [1]) Legt man die bisherige Leistungsentwicklung bei der urologischen Versorgung im vertragsärztlichen Bereich für eine Prognose zugrunde, so zeigt diese in deutlicher Weise, mit welchem Leistungsaufkommen innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre zu rechnen ist. Das ZI prognostiziert in der bereits zitierten Studie für die Urologie eine allein demographisch bedingte Steigerung des Versorgungsbedarfs bis 2025 von nahezu 20% (. Abb. 6a). Damit zeigt die Urologie mit Abstand den höchsten Leistungszugewinn im Vergleich zu allen anderen Facharztgruppen. Insbesondere aufgrund der ausgeprägten Zunahme der älteren Bevölkerung im ländlichen Umland von Ballungsräumen nimmt dort der urologische Versorgungsbedarf besonders stark zu (. Abb. 6b). Zusammenfassung · Abstract Tab. 1 3-Monats-Kosten für Tumorthera- peutika beim Prostatakarzinom gemäß der Apothekenpreise (Stand März 2014) Medikament Vantas® Leupro-Sandoz® Eligart® Trenantone® Profact Depot® Pamorelin La® Zoladex® Bicalutamid® 150 mg Firmagon® Zometa® Xgefa® Taxotere® Xtandi® Zytiga® Xofigo® Jevtana® Preis (EUR) 389,36 389,75 461,04 486,58 509,89 509,89 512,12 627,65 734,64 1.105,41 1.297,92 8.760,70 13.843,41 16.351,20 19.593,00 20.752,00 Demographie und Uroonkologie Die Analyse des Robert-Koch-Instituts zur Tumorerkrankungsrate in Deutschland aus dem Jahre 2013 dokumentiert eindrucksvoll den wachsenden Anteil an Tumorerkrankungen im Fachgebiet Urologie (. Abb. 7). Danach stammen 23,61% (20,88% ohne­ non-invasive Tumoren und Carcinoma in situ der Harnblase) aller Tumoren aus dem Fachgebiet Urologie. Unter Berücksichtigung der klassischen Altersverteilung beim Prostatakarzinom, Blasenkarzinom und Nierenzellkarzinom erklärt sich rasch die zunehmende Bedeutung des Fachgebiets Urologie bei der Diagnostik und Therapie dieser Tumoren des Alters. Exemplarisch sei hier die demographische Entwicklung des Prostatakarzinoms aufgezeigt: So stieg die Anzahl der Prostatakarzinomneuerkrankungen seit 2002 von knapp 50.000 auf ca. 70.000 im Jahre 2014; für 2020 rechnet man mit ca. 84.000 Neuerkrankungen, begründet allein durch die demographische Entwicklung (. Abb. 8). Eine ähnliche Entwicklungstendenz darf bei der Diagnostik und Therapie von Neuerkrankungen beim Blasentumor, Nierenzellkarzinom sowie den anderen urologischen Tumoren erwartet werden. 1140 | Der Urologe 8 · 2014 Urologe 2014 · 53:1136–1145 DOI 10.1007/s00120-014-3544-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 A.W. Schneider · J. Fichtner Die demographische Entwicklung in Deutschland. Herausforderung und Chance für die Urologie Zusammenfassung Die Urologie ist mehr als alle anderen Fachgebiete von dem demographischen Wandel in Deutschland betroffen. Trotz einer relativ stabilen Gesamteinwohnerzahl kommt es bis 2040 – allein durch die demographische Entwicklung der Bevölkerung – zu einer absoluten und relevanten Zunahme urologischer Krankheitsbilder. Das gilt besonders auch für die Zunahme der onkologischen Versorgungsaufgaben, gerade im Bereich des urologischen Fachgebiets. Schon jetzt weisen die aktuellen Zahlen der Tumorentwicklung in Deutschland (RKI 2014) den urologischonkologischen Anteil an allen Tumorerkrankungen mit mehr als 23% bei steigender Tendenz aus. Dieser signifikanten Leistungsausweitung gegenüber steht die Altersentwicklung bei den Fachärzten. Sie führt insgesamt, speziell aber aufgrund der signifikant überalterten Fachärzteschaft in der Urologie zu einer erheblichen Verknappung von Fachärzten im urologischen Versorgungsbereich. Verschärft wird dieser Mangel urologischer personeller Ressourcen durch die Ansprüche der Generation Y an eine ausgeglichene „work-life-balance“ sowie die damit verknüpfte Feminisierung des Arztberufs. Hier bedarf es intelligenter Strategien des Erhalts und der Steigerung der Attraktivität unseres Fachgebiets sowie der Allokation begrenzter personeller und ökonomischer Ressourcen. Schlüsselwörter Demographischer Wandel · Krankheitsbilder, urologische · Tumorerkrankungen · „Work-lifebalance“ · Versorgungsbedarf The demographic development in Germany. Challenge and chances for urology Abstract Urology is affected by the demographic development in Germany more than any other medical discipline. Despite a relatively stable total population, by the year 2040 there will be an absolute and relevant increase in urological diseases caused only by the demographic development in the population. This is particularly true for the increase in oncological treatment just in the field of the discipline of urology. Even now the current numbers for tumor development in Germany (RKI 2014) in the urological oncology segment of all tumor diseases show an increasing trend with more than 23 %. This significant increase in performance is in contrast to the age development of the specialists in this discipline. Bedeutung der Urologie in Kenntnis der Gesamtzahl an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmender Ärzte Die aktuelle Ärztestatistik zeigt, dass von derzeit 141.038 Ärztinnen und Ärzten lediglich 3111 Urologen in der Niederlassung tätig sind (Bundesarztregister der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Stand 31.12.2012). Betrachtet man die bei den Ärztekammern registrierten Ärztinnen und Ärzte nach Gebiet und Facharzt- In total but especially due to the significantly over-aged specialist medical profession in urology, this leads to a substantial bottleneck of specialists in the discipline of urology. This deficiency of personnel resources in urology is aggravated by the requirements of Generation Y for a well-adjusted work-life balance and the associated feminization of the medical profession. This requires intelligent strategies for Keywords Demographic change · Symptoms, urological · Tumor diseases · Work life balance · Treatment needs bezeichnung – dies schließt die in Krankenhäusern tätigen Fachärzte mit ein, so sind von 348.695 Kolleginnen und Kollegen lediglich 5388 (1,5%) Urologen (Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2012). Das Verhältnis zwischen berufsausübenden Urologinnen und Urologen und dem hohen Anteil urologischer Tumoren an der Gesamtzahl onkologischer Erkrankungen dokumentiert dabei eindrucksvoll die schon jetzt große Bedeutung unserer Fachgruppe. 3,5 Index alle Fachgruppen Index Urologie 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0,0 0 bis 5 6 bis 12 13 bis 17 18 bis 24 25 bis 34 35 bis 44 45 bis 54 55 bis 59 60 bis 64 65 bis 69 70 bis 74 75 bis 79 80 bis 84 85 bis 89 90 bis 94 95 bis 124 Alter in Jahren Abb. 5 8 Index des Leistungsbedarfs nach Altersgruppen. (Nach [2]) Urologen Augenärzte Internisten Hausärzte Orthopäden Nervenärzte Radiologen Hautärzte Anästhesisten Chirurgen HNO-Ärzte Frauenärzte Psyhotherapeuten Kinderärzte a –15% –10% Kernstädte verdichtetes Umland Ländliches Umland Ländlicher Raum –5% 0% 5% 10% 15% 20% 25% b 0% 5% 10% 15% 20% 25% Abb. 6 8 Entwicklung des Versorgungsbedarfs bis 2025: a Demographisch bedingte Entwicklung des fachgruppenspezifischen Versorgungsbedarfs b Demographisch bedingte Entwicklung des urologischen Versorgungsbedarfs nach Regions­ typen. (Nach [2]) Die demographische Entwicklung der Ärzteschaft Die demographische Entwicklung in Deutschland spiegelt sich erwartungsgemäß auch in der Altersentwicklung der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland wider. Betrachtet man das Alter der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, so zeigt sich auch hier eine kontinuierliche Zu- nahme. Mit einem derzeitigen Altersdurchschnitt von ca. 54 Jahren stehen in den nächsten 10 bis 15 Jahren mehr als die Hälfte aller Kolleginnen und Kollegen vor der Aufgabe ihrer ärztlichen Tätigkeit (. Abb. 9). Wie zu erwarten, findet sich eine ähnliche Altersverteilung auch bei den Urologen in Klinik und Praxis (. Abb. 10). Anhand dieser Zahlen ist mittelfristig von einem Rückgang der Gesamtzahl an beruflich tätigen Urologinnen und Urologen auszugehen, zumal trotz des absehbaren Ärztemangels die Zahl der Studienabgänger in der Humanmedizin in den letzten Jahrzehnten konstant geblieben ist (. Abb. 11). Der Urologe 8 · 2014 | 1141 Leitthema Männer Prostata Lunge Darm 26,1 31,3 13,9 12,7 13,4 7,6 Harnblase Malignes Melanom der Haut Mundhöhle und Rachen Magen Niere Non-Hodgkin-Lymphome Bauchspeicheldrüse Leukämien Leber Speiseröhre zentrales Nervensystem Hoden Multiples Myelom 36 90,000 80,000 30 24 18 12 Frauen 6 4,5 5,1 3,8 4,3 3,7 3,6 3,6 3,5 3,5 3,4 3,4 3,0 3,2 2,5 2,6 2,2 2,3 2,1 1,9 1,9 1,5 1,8 1,5 1,5 Brustdrüse Darm Lunge Gebärmutterkörper Malignes Melanom der Haut Bauchspeicheldrüse Eierstöcke Non-Hodgkin-Lymphome Magen Niere Leukämien Gebärmutterhals Schilddrüse Harnblase Mundhöhle und Rachen Vulva 0 0 6 12 18 24 PCA 70,000 60,000 50,000 40,000 30,000 20,000 10,000 0 2002 2006 2010 Weitere Einflüsse auf die demographische Entwicklung „Generation Y“ und die Feminisierung der Medizin Nach einschneidenden Veränderungen des Arbeitsschutzgesetzes durch höchstrichterliche Entscheidungen durch den europäischen Gerichtshof in den Jahren 2000 und 2003 mussten die bis dato geltenden Arbeitszeiten für angestellte Ärzte in den Kliniken rapide gekürzt werden. Neben weiteren Einflüssen führte diese Entwicklung zu einer neuen Bewertung der „work-life-balance“ auch bei Ärzten, v. a. in der sog. Generation Y. Der Trend zur Reduzierung der dem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten „Jahresarbeitszeit“ zeigt deutliche Auswirkungen, die bis heute in vielen Kliniken nicht ausgeglichen werden können (. Abb. 12). Die- 1142 | Der Urologe 8 · 2014 2014 2020 Abb. 8 9 Neuerkrankungen PCA in Deutschland 2002 bis 2010. (RobertKoch-Institut, Krebs in Deutschland 2013) weiteren Entwicklung 2014 und 2020 geschätzt. (Nach [3]) se zusätzliche Verknappung der Ärztearbeitszeiten am Patienten verschärft die bereits geschilderte Situation weiter. War die Humanmedizin früher eine männliche Domäne insbesondere in den operativen Disziplinen wie der Urologie, so sind heute mehr als zwei Drittel aller Studienanfänger weiblich; ein Trend, der bereits heute zu ca. 25% in den urologischen Kliniken tätigen Assistenzärztinnen geführt hat. Diese positive Entwicklung bedingt zum einen, einen größeren Anteil von in Teilzeit beschäftigten Ärztinnen und Ärzten, verschärft zum anderen allerdings dadurch den bereits ­bestehenden Ärztemangel, der durch die demographische Entwicklung eines ansteigenden Versorgungsbedarfs weiter potenziert wird. Der Urologie als Fachgebiet mit sowohl exzellenten Möglichkeiten der beruflichen Tätigkeit in Klinik und Nieder- 30 36 Abb. 7 9 Prozentualer Anteil der häufigsten Tumorlokalisationen an allen Krebsneuerkrankungen 2010 Robert-Koch-Institut, Krebs in Deutschland 2013. (Nach [3]) lassung bieten sich besondere Chancen der Motivation junger Kolleginnen und Kollegen für unser Fachgebiet, die durch bereits existierende Intiativen von Berufsverband und Fachgesellschaft in die Wege geleitet worden sind und in Zukunft weiter intensiviert werden müssen. Die demographische Entwicklung Indikationsstellung und Ressourcenallokation am Beispiel des Prostatakarzinoms Die für die Zukunft projizierte starke Zunahme der Patienten mit einem diagnostizierten Prostatakarzinom bei gleichzeitigen Innovationen und Erweiterungen der operativen, strahlentherapeutischen sowie medikamentösen Behandlungsoptionen dieses Tumors bedingen eine differenzierte Indikationsstellung sowohl unter medizinischen als auch ökonomischen Aspekten der Ressourcenallokation. Im Bereich der Therapie des lokalbegrenzten Niedrigrisikoprostatakarzinoms stellt die Inklusion der Active Surveillance ein Beispiel eines differenzierten Therapieansatzes dar. Wissenschaftliche Aktivitäten wie die laufende PREFERE-Studie werden hier wichtige Erkenntnisse zur Wertigkeit der verschiedenen Therapieoptionen liefern. Im Bereich der medikamentösen Therapie des metastasierten sowie kastrationsresistentem Prostatakarzinoms (CRPC) stellt das in der 2014 aktualisierten S3-Leitlinie Prostatakarzinom inklu- Leitthema Vertragsärzte Krankenhausärzte 55 50 48,72 Alter 46,56 50,45 50,14 49,48 50,75 50,92 51,12 51,35 51,61 51,92 52,25 52,80 52,54 47,58 45 40 38,05 38,66 39,42 39,92 1998 2000 40,40 40,58 40,72 40,90 40,95 41,02 41,06 41,10 41,12 41,14 41,25 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 35 30 1993 1995 2002 Jahr 2,000 18500 1,800 18000 1,600 17500 1,400 Studienabschlüsse Anzahl Urologen Abb. 9 8 Altersverteilung der Ärzte in Deutschland: Vertragsärzte und Krankenhausärzte allgemein. ­ (Nach http://www.bundesaerztekammer.de; http://www.kbv.de/html) 1,200 1,000 800 600 16500 16000 15500 15000 400 14500 200 0 17000 14000 <35 35–39 40–49 50–59 60–65 >66 1993 Abb. 10 8 Altersverteilung der Ärzte in Deutschland: Altersverteilung bei Urologen (BÄK und KBV 2014). (Nach http://www.bundesaerztekammer.de; http://www.kbv.de/html) 1144 | Der Urologe 8 · 2014 2000 2005 2010 2011 2012 Jahr Altersgruppen dierte „Geriatrische Assessment“ als multidimensionales Instrument ein weiteres Beispiel der individuellen Entscheidungsfindung und Nutzen/Nebenwirkungsabwägung vor Therapiebeginn dar. Auch hier spielen neben primär medizinischen Aspekten ökonomische Überlegungen zum Einsatz der hochpreisigen Medikamente eine Rolle (. Tab. 1). 1995 Abb. 11 8 Altersverteilung der Ärzte in Deutschland: Studienabschlüsse Humanmedizin 1993–2012 Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2014. (Nach http://www.bundesaerztekammer.de; http://www.kbv.de/html) Aus der aktuellen Analyse des RobertKoch-Instituts 2013 zur Tumorhäufigkeit in Deutschland öffnen sich für die Zukunft weitere medizinische und ökonomische Problemfelder: Das Prostatakarzinom steht mit einer 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von 90% an zweiter Stelle und suggeriert damit die vermeintlich problemlose Beherrschung dieses Tu- mors. Trotz der scheinbar guten Überlebensdaten für das Prostatakarzinom starb 2010 aber jeder 6. bis 7. Patient nach komplikationsbehaftetem Krankheitsverlauf; 12.676 Patienten fanden nach Diagnostik und Therapie typischer Komplikationen wie Anämie, Metastasierung, Frakturen, lokale Obstruktionen, Lymphödeme, 2.000 1.956 Stunden 1.900 1.800 1.797 West-Deutschland 1.739 1.700 1.659 1.600 1.541 1.500 Gesamt-Deutschland 1.447 1.400 1.381 1.370 1.362 1.361 1.300 0 1970 1.362 1.358 Vorausberechung 1975 1980 1985 1991 1995 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Jahr Abb. 12 8 Jahresarbeitszeit je Erwerbstätigen (Statistisches Bundesamt). (Nach Statistisches Bundesamt. https://www.destatis.de/DE/Startseite.html) Schmerzen, Harnstau bis zur Urämie etc. den Tod. Ohne dass hier bislang exakte Zahlen vorliegen, lässt sich jedoch postulieren, dass diese Patienten vor ihrem tumorbedingten Tod umfangreich medikamentös therapiert wurden, wobei ein Teil der neuen, hochpreisigen Medikamente zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht zur Verfügung standen. Unter der eher konservativen Annahme, innerhalb der letzten 2 Behandlungsjahre würden für die palliative Therapie eines CRPC-PCA-Patienten 150.000 € an (medikamentösen) Behandlungskosten anfallen, wären dann für die ca. 20.000 betroffenen Männer Behandlungskosten von >3 Mrd. € erreicht. In Anbetracht von derzeit 30 Mrd. € verfügbaren jährlichen Gesamtkosten für die Arzneimittelversorgung aller GKV-Versicherten eine nicht darstellbare Entwicklung. Es ist daher zu vermuten, dass die aufgezeigte demographische Entwicklung zu einer massiven Erhöhung der Behandlungskosten insbesondere beim fortgeschrittenen kastrationsrefraktären Patienten­ führen wird. Auch dies ist eine bemerkenswerte Herausforderung der demographischen Entwicklung in der Urologie, die jenseits möglicher politischer Eingriffe proaktiv auch innerhalb des Fachgebiets adressiert werden muss. Demographie und Pflegebedürftigkeit Bereits heute werden in Deutschland 2,5 Mio. Pflegebedürftige versorgt, davon 30% in vollstationären Heimunterbringungen, diese Zahlen werden sich in den kommenden 40 Jahren auf >5 Mio. Pflegebedürftige verdoppeln. Bei 40% der Heimbewohner besteht eine Harninkontinenz, bei den bettlägerigen Patienten liegt der Anteil sogar bei 80%; ein signifikanter Teil der Patienten ist aus pflegerischen Gründen mit einem Dauerkatheter versorgt und befindet sich in einem Dauerzustand urologischer ­Betreuung. Neben Initiativen zur Optimierung der Möglichkeiten einer häuslichen Versorgung werden personelle­ Herausforderungen der urologischen ­Versorgung dieser Patientengruppe zu bewältigen sein, u. a. mit dem Ziel der Reduktion von Dauerkathetereinlagen und Inklusion anderer Berufsgruppen in die Versorgungsrealität. Fazit für die Praxis FDie hier dargestellten Auswirkungen des demographischen Wandels an das Fachgebiet Urologie stellen nicht nur die Kliniken, sondern auch und gerade die niedergelassenen Kolle­ ginnen und Kollegen vor große Pro­ bleme. So wird es nicht nur durch die „Leistungsverdichtung“ bei der Dia­ gnostik und Therapie der zunehmend älteren und damit multimorbiden Pa­ tientenklientel, sondern aufgrund der zu erwartenden Abnahme an jun­ gen Kolleginnen und Kollegen, die zu einer Niederlassung bereit sein wer­ den, zwangsläufig auch zur Mangel­ ware „Urologe“ kommen. FDiese Herausforderungen an unser Fachgebiet sind nur zu meistern, wenn neue Organisationsstrukturen entwickelt werden, die den Umgang mit den knapper werdenden Ressour­ cen optimieren; die ambulante spe­ zialfachärztliche Versorgung (ASV), die Bildung von urologischen Ver­ sorgungszentren durch Zusammen­ schlüssen von urologischen Einzelpra­ xen sowie der Ausbau des Belegarzt­ wesens zur urologischen Versorgung ländlicher Strukturen außerhalb der Ballungszentren seien als Beispiele genannt. FDer Berufsverband Deutscher Urolo­ gen sowie die Deutsche Gesellschaft für Urologie sind sich gemeinsam der außerordentlichen Bedeutung be­ wusst und begleiten intensiv die neu­ en Konzepte bei ihrer Planung und Umsetzung. Korrespondenzadresse Dr. A.W. Schneider Krankenhaus Salzhausen, Bahnhofstraße 5, 21376 Salzhausen [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. A.W. Schneider und J. Fichtner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren. Literatur 1. KBV (2001) Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der BRD. KBV, Köln. http://www.ziberlin.de 2. Stillfried D von, Czihal T, Leibner M, ZI der KBV (2012) Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung, Berlin. http://www.zi-berlin.de 3. Robert Koch Institut (2013) Krebs in Deutschland 2013. RKI, Berlin. http://www.rki.de Der Urologe 8 · 2014 | 1145