Tiergesundheit Mastitis-Impfung: So urteilen die Pioniere In Österreich setzen erste Praktiker zur Sanierung ihrer Herden auf die neue Mastitis-Impfung. In Deutschland kommt die Impfung noch nicht voran. J eden Winter steigende Zellzahlen in der Tankmilch und die Angst um den S-Klassen-Zuschlag. Das wollten wir nicht mehr tatenlos hinnehmen!“, so Gerald Konzett aus Sonntag im Großen Walsertal. Drei Jahre lang plagte sich der Milchviehhalter pünktlich zu Beginn der Stallperiode mit subklinischen Euterentzündungen bei Kalbinnen und Kühen (ø 7 800 kg) herum. Bei einzelnen Tieren waren die Entzündungen bereits chronisch: „Die Zellzahl in der Tankmilch stieg auf über 250 000 an. Den ganzen Winter lang mussten wir Mastitiden behandeln lassen“, schildert der Landwirt. Und das, obwohl er die Hygiene im Anbindestall in den letzten Jahren bereits deutlich verbessert hatte. bereits seit zwei Jahren auf dem deutschen und östereichischen Markt ist, sind die Erfahrungen aus dem Feld bisher noch rar. Die Zulassungsversuche des Herstellers waren zwar im Hinblick auf die Reduktion der Neuinfektionen und der Zellzahlen (siehe top agrar 2/2010, ab Seite R 20) erfolgversprechend. Doch Haupteffekt Zellzahlsenkung: Für Breite Studien fehlen: Die Milchviehhalter aus Österreich gehören, was die Mastitis-Impfung angeht, zu den Pionieren in Europa. Denn obwohl der Impfstoff StartVac (Fa. Hipra bzw. Chevita) R 26 top agrar 3/2012 Florian Pinsker, Vomp: „Durch die Impfung lassen sich die Zellzahlen senken und klinische Mastitis-Fälle gehen um ca. ein Drittel zurück. 5 – 10 % der Tiere zeigen aber keine Reaktion.“ Foto: S. Lehnert Zellzahlen sinken: Erst die Impfung gegen Mastitis brachte Besserung: Die Zellzahlen sind kontinuierlich gesunken und liegen zurzeit bei rund 120 000. Den größten Effekt glaubt Konzett bei den Kalbinnen zu sehen: „Früher hatten sie oft schon zum Kalben ein dickes Viertel. Das ist jetzt nicht mehr der Fall.“ Mittlerweile impft er bereits im dritten Jahr konsequent alle 16 Kühe sowie die Kalbinnen mit dem neuen Impfstoff. Ähnliche Erfahrungen hat sein Berufskollege Hermann Strolz aus Braz gemacht: „Meine Herde kam früher oft mit über 300 000 Zellen in der Tankmilch im Herbst von der Alp zurück in den Anbindestall. Seitdem gegen Mastitis geimpft wird, liegen die Zellzahlen regelmäßig bei rund 70 000. Und akute Entzün­dun­ gen mit Fieber sind seltener“, so Strolz. Vakzine ist sowohl für Kühe als auch für Färsen ab 22 Monaten zugelassen. Der Hersteller empfiehlt insgesamt drei Impfungen im Zeitraum der Trockenperiode und rund um den Laktationsstart: Die erste Impfung ist sechs Wochen vor dem Kalben angesetzt, die zweite folgt vier Wochen später. Die dritte und letzte Impfung sollte etwa zwei Monate nach der zweiten erfolgen. Die Impfung erfolgt intramuskulär mit einer Dosis von 2 ml pro Tier. Dieses Impfschema gilt sowohl für Kühe als auch Kalbinnen und muss jährlich wiederholt werden. Der Schutz vor einer Infektion soll etwa bis zum 130. Laktationstag anhalten. für eine konkrete Einsatzempfehlung in deutschen Betrieben fehlen bislang breit angelegte, aussagekräftige und unabhängige Studien. Der neue Impfstoff ist ein Kombinationsimpfstoff, der eine Staph. aureus- und eine E. coli-Komponente besitzt. Er enthält beide Erreger in inaktivierter Form und soll in erster Linie durch die Verbesserung der Immunabwehr bei gesunden Tieren Neuinfektionen verhindern. Die die beiden praktischen Landwirte aus Österreich ist allein die Zellzahl-Senkung schon ein großer Erfolg, denn in der Alpenrepublik liegt die Grenze für die S-Klasse bei 250 000. Die Kärntnermilch hat sogar 200 000 Zellen als Grenze eingeführt. Bei Überschreitung dieser Werte drohen in Österreich oftmals 2 bis 3 Ct Abzug. Die Erfahrungen der Landwirte werden von praktischen Tierärzten bestätigt: „Die Zellzahl in der Sammelmilch konnte in meinen Betrieben um ca. 40 % nach unten gedrückt werden. Ein Zeichen dafür, dass Tiere mit subklinischen Euterentzündungen durch den Impfstoff offenbar gut immunisiert werden“, berichtet Tierarzt Florian Pinsker aus Vomp in Tirol. Vor allem bei Kalbinnen sieht er gute Erfolge. Der Tierarzt hat in rund 25 Betrieben bisher etwa 1 000 Impfstoffdosen verimpft. Dabei handelte es sich sowohl um einzelne Tiere als auch um ganze Bestände. Neben den geringeren Zellzahlen hat Pinsker einen deutlichen Rückgang der klinischen Fälle mit Staph. aureus und Coli beobachtet. Sein Kollege Dr. Klaus Reichinger aus Rainbach be- auch bestimmte KNS-Stämme vom Impfstoff miterfasst werden. Foto: S. Lehnert Die Grenzen: Solche Erfolgsmeldungen Im Betrieb von Ernst und Lukas Bickel (v.l.n.r.) in Blons impft Dr. Herbert Lorenzin sowohl die Kühe als auch die Kalbinnen bereits seit zwei Jahren gegen Mastitis. richtet sogar von einer Senkung der akuten Coli-Infektionen um ca. 70 %. Allerdings konnte er bei den Zellzahlen keine Veränderung feststellen. Mehrere Betriebe, die impfen, berichten außerdem von milderen Krankheitssymptomen, insbesondere bei E.coli-Infektionen. Erkrankte Tiere zeigen geringeres Fieber und weniger Flocken in der Milch. Außerdem erfolge die Ausheilung schneller. Neue Studien aus Dänemark und Frankreich stützen diese Beobach- tungen: In einer dänischen Untersuchung konnten die Zellzahlen bei Kalbinnen bis zum 130. Laktationstag von 74 000 auf 57 000 Zellen gesenkt werden. Im Rahmen eines Versuchs an der Veterinärklinik im französischen Haute Mayenne konnte der Prozentsatz subklinisch infizierter Kühe von 27 % auf 18 % gesenkt werden. Klinische Mastitiden gingen in den ersten vier Monaten nach der Impfung von 73 % auf 28 % zurück. Und inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass kommen aber nicht aus jedem Impfbetrieb. Ernst Bickel aus Blons zum Beispiel hat in seinem Bestand bisher noch keinen deutlichen Effekt beobachtet, obwohl er sowohl die 15 BraunviehKühe als auch die Kalbinnen seit zwei Jahren impft: „Das Zellzahl-Niveau von 250 000 ist unverändert. Und einzelne Kalbinnen litten trotz der Impfung an Euterentzündungen, die antibiotisch behandelt werden mussten.“ Rund 5 bis 10 % der Tiere reagieren nicht auf die Impfung, so die Erfahrung der befragten Tierärzte. Ein 100%iger Schutz könne die Impfung laut MastitisExperten aber schon deshalb nicht sein, weil die durch den Impfstoff gebildeten spezifischen Antikörper nicht durch die Blut-Euter-Schranke gelangen könnten. Vor allem bei chronisch infizierten Kühen mit Zellzahlen über einer Million lässt sich mit dem Impfstoff allein nur wenig ausrichten. Eine antibiotische Behandlung ist in solchen Fällen unverzichtbar. Und kaputte Euterviertel lassen sich auch durch die Impfung nicht wieder herstellen. Wenn sich kein Erfolg einstellt, kann das nach Ansicht der Tierärzte auch daran liegen, dass man zu früh mit der Impfung wieder aufgehört hat: „Viele Betriebe erwarten sofort Erfolge und hören oft vorschnell wieder auf zu impfen, wenn sie keine Verbesserung feststellen. Außerdem ist oft nicht vermittelbar, dass man nur gesunde Kühe impfen soll“, erklärt Tierarzt Dr. Herbert Lorenzin aus Thüringerberg. Neben dem aufwändigen Impfschema wirken auch die hohen Kosten von rund 45 € pro Tier (3 Impfungen, Preis in Österreich) abschreckend. Die praktischen Tierärzte lassen dieses Argument aber nicht gelten: „Wenn das kranke Tier mehrfach behandelt werden muss und die Milch nicht mehr geliefert werden darf, kostet das häufig noch mehr als die Impfung. Außerdem ist möglicherweise auch der S-Klasse-Zuschlag weg“, rechnet Dr. Lorenzin vor. Aufwändiges Impfschema: Um den Aufwand und damit auch die Kosten etwas zu reduzieren, wandeln viele Tierärzte das Impfschema in der Praxis inzwischen von den Vorgaben ab: „Wir fassen Tiere mit ähnlichem Laktationsstadium zusammen und kombinieren die Impfung mit anderen ohnehin anstehenden Behandlungen“, so Dr. Lorenzin. Er hat bisher rund 80 Tiere gegen Mastitis geimpft. j top agrar 3/2012 R 27 Tiergesundheit Brunhilde Elsensohn aus Thüringen, 22 Kühe: „Bei uns wurden einzelne Kühe mit Zellzahlen über 150 000 geimpft. Ziel war, alle unter 100 000 zu bekommen. Der Erfolg war nicht bei allen nachhaltig.“ Johann Gspann aus Vomp, 70 Kühe: „Durch die Impfung ging die Zellzahl im Tank von 160 000 auf 80 000 zurück. So haben wir genug Puffer bis zur S-Klassen-Grenze, die 3 Ct Abzug bedeutet.“ Sein Kollege Florian Pinsker impft einzelne Tiere statt drei- oft nur zweimal. Auch er fasst Tiergruppen unabhängig vom Laktationsstadium zusammen: „Erste Erfolge sieht man oft bereits sechs Wochen nach der zweiten Impfung, denn sie boostert die bereits gebildeten Antikörper noch einmal.“ Betriebe, die ihre Tiere im Sommer auf Hermann Strolz aus Braz, 27 Kühe: „Von der Alpe kommt die Herde häufig mit Euterentzündungen zurück. Zweimal war bereits der S-Klasse-Zuschlag hin. Deshalb impfe ich jetzt alle Kühe und Kalbinnen.“ eine Gemeinschaftsalpe geben, impfen die Herde oft bereits vor dem Auftrieb prophylaktisch, d.h. die ersten beiden Impfungen erfolgen im Frühjahr, die letzte nach dem Abtrieb. Neu ausprobiert wird derzeit das so genannte 3 x 3-Impfschema. Dabei werden alle Tiergruppen – d.h. Trockensteher, Laktierende und Kalbinnen – an drei Erregerdruck dauerhaft senken R 28 top agrar 3/2012 Terminen gleichzeitig geimpft. Die zweite Impfung erfolgt drei Wochen nach der ersten und die dritte nach weiteren drei Monaten. Die Auffrischung erfolgt dann in Betrieben, in denen E.coli dominiert, alle drei Monate. Bei Problemen mit Staph. aureus alle vier Monate. Die praktischen Tierärzte berichten von einer guten Verträglichkeit des Impfstoffes durch das Tier. Da Paraffinöl im Impfstoff als Trägerstoff dient, sollte der Anwender aber direkten Hautkontakt vermeiden. Als Zeichen für eine Reaktion des Tieres könne es manchmal zu Flocken oder auch höheren Zellzahlen kommen. Milchviehhalter Hermann Strolz: „Durch den Impfstress steigen die Zellen kurzzeitig erneut an. Danach sinken sie aber wieder auf ein Niveau von etwa 60 000 ab!“ Selektiv impfen: Der Einsatz des Impf- Foto: S. Lehnert Die Impfung allein ist trotz der guten Erfahrungen keine nachhaltige Maßnahme, um Mastitis-Probleme in den Griff zu bekommen. Da sind sich die praktischen Tierärzte einig: „Die Impfung ist das Tüpfelchen auf dem i, wenn bereits alle anderen Maßnahmen zur Verbesserung der Euterhygiene konsequent und sorgfältig durchgeführt werden. In Betrieben mit Management-Schwächen spreche ich die Impfung gar nicht erst an“, so Dr. Lorenzin. Zu den wichtigsten Hygienemaßnahmen gehört eine sehr gute Stallund insbesondere gute Boxenhygiene sowie eine gute Melkhygiene (Zwischendesinfektion, Dippen). Denn nur so – und nicht etwa durch die Impfung – lässt sich der Erregerdruck auf Dauer senken. Außerdem sollte trotz Impfung nicht auf den Einsatz antibiotischer Trockensteller verzichtet werden. Gerald Konzett aus Sonntag, 16 Kühe: „Den größten Erfolg der Impfung sehe ich bei den Kalbinnen. Früher hatten sie oft schon beim Kalben ein dickes Viertel. Das ist jetzt nicht mehr der Fall.“ Ernst Bickel aus Blons desinfiziert die Melkbecher nach jeder Kuh. stoffes macht nur Sinn, wenn bei bakteriologischen Untersuchungen (BU) von Milchproben einer der beiden Erreger Staph. aureus oder E.coli gefunden wurde. Alternativ kann dafür auch ein PCRTest eingesetzt werden. Dr. Herbert Lorenzin rät, den Impfstoff erst bei Kalbinnen auszuprobieren, bevor man die ganze Herde behandelt: „Bei den Kalbinnen ist die Chance, Neuinfektionen zu verhindern, noch am größten.“ Auch sein Kollege Jürgen Muther aus Bludenz rät zur Behandlung von therapieresistenten Einzeltieren mit dauerhaft hohen Zellzahlen: „Kühe mit Zellen über 100 000 sollte man nicht akzeptieren. Hier hilft die Impfung.“ Wer allerdings die Zellzahl in der Schnell gelesen • Mit der Mastitis-Impfung konnte in einigen Betrieben die Zellzahl und die Zahl der Mastitisfälle gesenkt werden. • Die ersten Erfahrungen zeigen, dass 5 bis 10 % der Tiere keine Reaktion zeigen. • Trotz des hohen Problemdrucks wird die Impfung in Deutschland offenbar noch nicht angenommen. • Ohne eine Verbesserung der Stall- und Melkhygiene bringt die Vakzine keinen Effekt. Tankmilch nachhaltig senken will, sollte den ganzen Bestand durchimpfen, so die Experten. Impfen sollte man nur gesunde Tiere, die nicht gestresst sind. Jede Impfung sowie die Reaktion der Tiere sollte protokolliert werden, um den Überblick über die Impftermine zu behalten und den Erfolg abschätzen zu können. Regelmäßige, bakteriologische Untersuchungen sind unverzichtbar. Ausblick: Die Pioniere der Mastitis-Impfung aus Österreich sind zufrieden mit dem Erfolg und wollen trotz des aufwändigen Impfschemas und der Kosten dabei bleiben. Durch die ähnlichen Betriebsstrukturen sind in süddeutschen Betrieben vermutlich ähnliche Ergebnisse zu erwarten. Der Einsatz des Impfstoffes muss abhängig vom Erregerspektrum und Infektionsdruck einzelbetrieblich geprüft werden. Für breitere Aussagen sind weitere Studien nötig. Insbesondere muss die Frage geklärt werden, ob Neuinfektionen mit Staph. aureus verhindert werden und für welche Betriebe sich der Einsatz lohnt. S. Lehnert Bestandsimpfstoffe gegen Mastitis? Bevor der kommerzielle Impfstoff Startvac auf den europäischen Markt kam, wurden mit Bestandsimpfstoffen bei Mastitisproblemen gute Erfolge erzielt. Auf sie darf jetzt nur noch zurück gegriffen werden, wenn es mit dem käuflichen Impfstoff keine Erfolge gibt. Bestandsvakzine haben sich z.B. bei akuten Problemen mit coliformen Keimen bewährt. Der Eutergesundheitsdienst Gießen hat bisher in etwa 40 Betrieben Bestandsvakzine gegen E.coli und Klebsiellen-Mastitiden eingesetzt. Die Erfahrungen sind gut: Die klini- schen Symptome wurden abgemildert, die Krankheitsdauer verkürzt und die Neuinfektionsrate reduziert. Für die Herstellung einer Bestandsvakzine wird der Erreger aus einer Viertelgemelksprobe isoliert und daraus ein inaktivierter Impfstoff hergestellt. Die Herstellung dauert je nach Labor und Erreger mehrere Tage. Der gesamte Bestand wird dann zweimal im Abstand von zwei bis vier Wochen geimpft. Dieser Impfstoff darf aber nur in dem Bestand eingesetzt werden, aus dem der Erreger stammt. top agrar 3/2012 R 29