Das Cantorsche Diagonalverfahren In der Literatur findet man zum Beweis des Satzes Die rationalen Zahlen Q sind abzählbar in der Regel nur eine Zeichnung, die auf Georg Cantor zurückgeht: 1 2 3 4 5 1 2 2 2 3 2 4 2 5 2 1 3 2 3 3 3 4 3 1 4 2 4 3 4 6 1 5 Die Idee für den Beweis der Existenz einer surjektiven Abbildung N → Q ist dieser Zeichnung leicht zu entnehmen: man muß nur den vorgezeichneten Weg gehen und bei jeder Zahl, an der man vorbeikommt, eine Nummer ankleben (die erste Zahl bekommt die Nummer 1, die zweite Zahl die 2 usw.). Auf diese Weise erhält man intuitiv eine Nummerierung von Q. Was man allerdings nicht ohne weiteres auf Anhieb beantworten kann, ist die Frage, welche rationale Zahl auf unserem Weg durch das Cantorsche Diagramm die Nummer 31208 hat. Die nachstehenden Überlegungen dienen dazu, diese Frage präzise zu beantworten. Der gesamte durchlaufene Weg in Cantors Diagolenzeichnung ist durch die Vereinigung aller Diagonalen beschrieben, die wir im folgenden als Blöcke Bi bezeichnen: 1 B1 = 1 2 1 , B2 = 1 2 1 2 3 B3 = , , 3 2 1 (1) 4 3 2 1 B4 = , , , 1 2 3 4 1 2 3 4 5 B5 = , , , , 5 4 3 2 1 6 5 4 3 2 1 B6 = , , , , , ... 1 2 3 4 5 6 Jeder Block in dieser Aufstellung entspricht dabei einem der diagonalen Wege in der Zeichnung. Die Reihenfolge der Brüche in den Bn spielt keine Rolle, da es sich 1 um Mengen handelt. n Wir werden daher o im folgenden die Blöcke Bp grundsätzlich p 1 2 3 in der Form Bp = p , p−1 , p−2 , ..., 1 schreiben. Als nächstes weisen wir nach, daß jede positive rationale Zahl in einem der Blöcke vorkommt (wir lassen den Fall der negativen rationalen Zahlen weg, da er analog behandelt werden kann). Es sei also p ∈ Q, p, q > 0. Wir betrachten den Block q 2 p−1 p p+1 p+q−1 1 , , ..., , , , ... (2) Bp+q−1 = p+q−1 p+q−2 q+1 q q−1 1 p ist ein Element von Bp+q−1 . Also tritt jede positive rationale Zahl in q einem der Blöcke auf. Und daraus folgt: wenn wir es schaffen, die Vereinigungsmenge Wir sehen: ∞ [ Bi i=1 durchzunummerieren, so schaffen wir das auch für Q. Versuchsweise schreiben wir als erstes neben die Mengen Bi die Folge der natürlichen Zahlen: 1 B1 = 11 2, 3 B2 = 21 , 21 4, 5, 6 B3 = 31 , 22 , 31 7, 8, 9, 10 B4 = 41 , 23 , 32 , 41 11, 12, 13, 14, 15 B5 = 15 , 24 , 33 , 42 , 51 1 2 3 4 5 6 16, 17, 18, 19, 20, 21 B6 = 6, 5, 4, 3, 2, 1, usw. Jetzt wandeln wir dieses Bild ein wenig. Den linken Teil mit den natürlichen Zahlen lassen wir so wie er ist. Im rechten Teil schreiben wir statt der Brüche in den Blöcken Bi andere Bezeichner: 1 2, 3 4, 5, 6 7, 8, 9, 10 11, 12, 13, 14, 15 16, 17, 18, 19, 20, 21 Nun setzen wir x1 x2 , x2 + 1 x3 , x3 + 1, x3 + 2 x4 , x4 + 1, x4 + 2, x4 + 3 x5 , x5 + 1, x5 + 2, x5 + 3, x5 + 4 x6 , x6 + 1, x6 + 2, x6 + 3, x6 + 4, x6 + 5 p xp := 1 + (p − 1) 2 Mp := {xp + k | 0 ≤ k ≤ p − 1} M := {xp + k | p ∈ N, 0 ≤ k < p} Die Mp sind also die Zeilen auf der rechten Seite von (3) und es gilt 2 (3) (4) M= ∞ [ Mp p=1 und xn = xn−1 + n − 1 Mn ∩ Mm = ∅ für n 6= m Die letztere Behauptung ergibt sich aus der folgenden Betrachtung: Ist xn + k ∈ Mn , so folgt xn + k = ≤ < 1 + n2 (n − 1) + k 1 + n2 (n − 1) + n − 1 1 + n2 (n − 1) + n = 1 + n2 (n + 1) = xn+1 Jedes xn + k ist also < xn+1 , mithin ist Mn ∩ Mn+1 = ∅. Diese Argumentation kann man so fortsetzen in der aufsteigenden Folge der Zahlen n + 1, n + 2, n + 3, ..., m und erhält damit Mn ∩ Mm = ∅ für n 6= m. Weiterhin gilt die Behauptung: M = N Beweis: Es ist 1 ∈ M wegen x1 = 1. Sei weiter n ∈ N. Dann gibt es ein größtes p ∈ N mit xp < n. Daraus folgt, daß p xp+1 = 1 + (p + 1) ≥ n 2 n liegt also zwischen xp und xp+1 , muß also eine der Zahlen xp + 1, xp + 2, xp + 3, ..., xp + (p − 1), xp + p = xp+1 sein, d.h. n ist von der Form xp + k mit 0 ≤ k ≤ p − 1 oder es ist sogar = xp+1 , d.h. n ∈ M , q.e.d. Man hätte eben auch induktiv argumentieren können: Es ist 1 ∈ M wegen x1 = 1. Ist n ∈ M , so ist n = xp + k für geeignete p, k. Dann ist entweder n + 1 ∈ Mp oder n + 1 ∈ Mp+1 , d.h. M = N. Es genügt daher zu zeigen, daß es eine surjektive Abbildung M → Q gibt. Wir definieren die Abbildung α:M →Q folgendermaßen: für m ∈ M, m = xp + k, 0 ≤ k ≤ p − 1 setzen wir α(m) := k+1 p−k Zweierlei ist nun zu zeigen: α ist wohldefiniert und surjektiv. Die Wohldefiniertheit von α folgt aus der paarweisen Durchschnittsfremdheit der Mengen Mn : jedes Element 3 ∈ M ist ja darstellbar in der Form xp + k mit eindeutig bestimmten p, k, 0 ≤ k ≤ p − 1. a Die Surjektivität beweist man so: Sei ∈ Q, a, b > 0. Wir setzen b p := a + b − 1 und k := a − 1 Dann ist α(xp + k) = k+1 a−1+1 a = = p−k a+b−1−a+1 b q.e.d Und zum Schluß fragen wir uns, welche natürliche Zahl mit dieser Abbildung auf 83 den Bruch 167 abgebildet wird. Es ist die Zahl 31208. Tja, wer hätte das gedacht... 4