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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 WISSEN - Manuskriptdienst
„Spitzenplatz für Europas Astronomen 50 Jahre Himmelsforschung in Chile“
Autor und Sprecher: Dirk Lorenzen
Redaktion: Sonja Striegl
Sendung: Mittwoch, 26. September 2012, 08.30 Uhr, SWR2
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O-Ton 1 - Harry van der Laan:
Vor 25 Jahren war es noch so, dass die Amerikaner sehr skeptisch waren gegenüber
der europäischen Astronomie - etwas chauvinistisch, das sind sie zum Teil heute noch und meinten, alles, was wichtig ist, passiert in Amerika. Wir mussten beweisen, dass es
auch anders sein kann.
O-Ton 2 - Richard Ellis:
„The culmination of the amazing story of ESO is the amazing science that is coming out
of the Very Large Telescope.“
Übersetzung 1:
Der Höhepunkt der erstaunlichen Geschichte der ESO sind die wunderbaren
Wissenschaftsprojekte mit dem Very Large Telescope.
O-Ton 3 - Bruno Leibundgut:
Es ist ein unheimliches Abenteuer, auf das wir uns hier eingelassen haben.
Ansage:
„Spitzenplatz für Europas Astronomen - 50 Jahre Himmelsforschung in Chile“.
Eine Sendung von Dirk Lorenzen.
Autor 1:
Paris, 5. Oktober 1962: Vertreter aus den Niederlanden, Belgien, Schweden, Frankreich
und Deutschland unterzeichnen die Konvention zur Gründung der Europäischen
Südsternwarte, kurz ESO - für European Southern Observatory. Die Astronomen wollen
sich mit der damaligen Übermacht der US-Kollegen nicht abfinden und den alten
Kontinent wieder zu seiner traditionellen Stärke in der Himmelskunde zurückführen, die
er infolge der beiden Weltkriege verloren hat. Diese Idee halten viele damals für kühn,
wenn nicht gar für völlig weltfremd. Doch ein halbes Jahrhundert später ist aus der
Vision von einst eine grandiose Erfolgsgeschichte geworden:
O-Ton 4 - Richard Ellis:
„ESO has had a phenomenal impact on the global scale...
Übersetzung 2:
Die Europäische Südsternwarte hat die Astronomie weltweit phänomenal verändert.
ESO ist heute eine der großen internationalen Einrichtungen. Wir arbeiten alle
zusammen. Aber zweifellos sind die wissenschaftlichen Fortschritte der Europäer in
Chile herausragend wichtig.
...through its programmes in Chile are fundamental and outstanding.”
Autor 2:
Dieses Lob zollt ausgerechnet Richard Ellis, der als Professor am California Institute of
Technology vor allem mit den größten US-Teleskopen arbeitet, also den bedeutendsten
ESO-Konkurrenten. Ob es um die beschleunigte Ausdehnung des Kosmos geht, um
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Planeten bei fernen Sternen, um die stärksten Explosionen im Universum seit dem
Urknall oder um die ältesten Sterne der Milchstraße - Europas Teleskope spielten bei
einer Vielzahl großer astronomischer Entdeckungen eine entscheidende Rolle, freut sich
ESO-Generaldirektor Tim de Zeeuw:
O-Ton 5 - Tim de Zeeuw:
„The founding fathers of ESO saw very well that the only way to compete scientifically
with the observatories in California was to team up...
Übersetzung 3:
Die Gründungsväter der ESO haben sehr genau gesehen, dass sie nur dann mit den
Observatorien in Kalifornien mithalten können, wenn sie sich zusammentun. Dann ließe
sich viel Größeres erreichen als es die Staaten einzeln jemals könnten.
...they can achieve something that is much bigger than what the countries could do
separately.“
Autor 3:
Europas Astronomen wollten ursprünglich eine Sternwarte in Südafrika errichten. Auf
der Südhalbkugel hatte man bessere Chancen, sich gegen die US-Teleskope im Norden
zu behaupten - zumal vom Süden aus das Zentrum der Milchstraße und die
Magellanschen Wolken, unsere beiden wissenschaftlich äußerst bedeutenden
Begleitgalaxien, ideal zu beobachten sind. Europas Teleskope stehen heute tatsächlich
auf der Südhalbkugel, aber nicht in Südafrika. Das lag an einer kleinen Expedition, die
der aus Deutschland stammende Astronom Jürgen Stock nach Chile unternommen
hatte. Er sollte dort für die Universität von Chicago einen geeigneten Berg für eine kleine
Südstation finden - und staunte nicht schlecht über die Gipfel im Norden des Landes.
O-Ton 6 - Jürgen Stock:
Die erste Nacht da oben war aber so eindrucksvoll, da habe ich mir gesagt, das ist eine
total klare Nacht, absolut windstill, eine sehr angenehme Temperatur, besser konnte
man es gar nicht haben. Und dann einfach finstere schwarze Nacht in allen Richtungen,
weil ja nichts weiter an Ortschaften da in der Nähe war.
Autor 4:
Ein Schlüsselmoment für die Astronomie: Denn der junge Wissenschaftler erkannte als
erster, dass Chile weltweit einzigartige Bedingungen bietet, um in die Tiefen des
Kosmos zu blicken.
O-Ton 7 - Jürgen Stock:
Das habe ich dann in die Vereinigten Staaten mitgeteilt und meinem Chef in Yerkes
gesagt, die Bedingungen sind hier so, es lohnt sich wirklich einmal in etwas Größerem
zu denken: nicht nur ein einzelnes Fernrohr, sondern etwas ganz anderes.
3
Autor 5:
Die auf nur wenige Wochen angesetzte Forschungsreise entwickelte sich im
Handumdrehen zur aufwändigen Großexpedition. Zwei Jahre lang inspizierte Jürgen
Stock zahlreiche Berge und wählte schließlich die besten aus. Seine Reise hat sich
gelohnt - nicht nur für die Amerikaner, sondern ganz besonders für die Astronomen
Europas: Denn Jürgen Stock hatte in Hamburg bei Otto Heckmann studiert, dem
Gründungsdirektor der Europäischen Südsternwarte - die Welt ist klein, auch in der
Himmelskunde. Dank seiner Hinweise gaben die Europäer ihre Pläne für Südafrika
umgehend auf und errichteten ihre Observatorien im klimatisch viel besseren Chile.
Atmo 1: [Schritte auf dem Kiesweg]
O-Ton 8 - Bruno Leibundgut:
Den ersten Eindruck von dem Berg, den man von hier hat, ist, dass man diese vier
Kuppeln sieht. Es sind ja gar keine Kuppeln mehr, es sind vier fast Skulpturen, die da
oben stehen. Im Moment gucken die alle in verschiedene Richtungen.
Autor 6:
Bruno Leibundgut, ESO-Wissenschaftsdirektor, blickt auf den Cerro Paranal - einen
Berg mitten in der Atacama-Wüste, einer der trockensten Gegenden der Erde. Dort
haben Europas Astronomen in den 90er Jahren ihr zweites Observatorium errichtet,
nachdem die Arbeit in Chile in den 60er Jahren auf dem weiter südlich gelegenen La
Silla begonnen hatte. Die Landschaft der Atacama erinnert an Aufnahmen vom Planeten
Mars. Die silbrig glänzenden Schutzbauten des Very Large Telescope VLT erscheinen
hier so unwirklich, als seien Raumschiffe von Außerirdischen auf dem Gipfelplateau
gelandet.
O-Ton 9 - Bruno Leibundgut:
Das zweite, was man sieht, ist, wie flach die Bergspitze ist. Die Bergspitze ist weg
gesprengt worden, die obersten 30 Meter sind weg gesprengt worden, man sieht die
Schutthalde. Man sieht, wie der Schutt dann in unserer Richtung abgelagert wurde. Und
dann sieht man auf der linken Seite noch eine Ecke, da ist das Kontrollgebäude, das ist
völlig abgetrennt von den Teleskopen selbst.
Autor 7:
Das Very Large Telescope ist das Meisterstück der Europäischen Südsternwarte, die im
Laufe eines halben Jahrhunderts von fünf auf fünfzehn Mitglieder angewachsen ist - mit
Brasilien gehört sogar ein Land jenseits der Kontinentgrenzen dazu. Chile verfügt als
Gastgeberland ohnehin über Nutzungsrechte an den Teleskopen. Das ESO-Team hat
ein Observatorium in die Wüste gestellt, das weltweit seinesgleichen sucht. Nicht
weniger als vier Teleskope mit jeweils acht Metern zwanzig Spiegeldurchmesser
thronen auf Cerro Paranal. Richard Ellis erkennt die Leistung der Kollegen und
Konkurrenten ohne Zögern an.
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O-Ton 10 - Richard Ellis:
“One has to say it is probably at Paranal where the Very Large Telescope is operated by
ESO...
Übersetzung 4:
Das weltweit beste Teleskop ist wohl das Very Large Telescope auf Paranal. Der
Höhepunkt der erstaunlichen ESO-Geschichte ist die exzellente Wissenschaft, die
dieses Teleskop liefert. Wichtigster Konkurrent sind die beiden etwas älteren KeckTeleskope auf Hawaii, aber die befinden sich auf der nördlichen Erdhalbkugel, während
die ESO auf der Südhalbkugel ist. Diese Teleskope ergänzen sich also - man braucht
beide Einrichtungen, um den ganzen Himmel zu beobachten. Und beide arbeiten
wissenschaftlich herausragend. Die Zeiten in der beobachtenden Astronomie sind
derzeit sehr aufregend.
...I would say both are doing extremely well and it is a very exciting time in observational
astronomy.”
Autor 8:
Der Himmel mag sich zwischen Chile und Hawaii unterscheiden. Doch im Norden wie im
Süden herrscht tagsüber auf Sternwarten relative Ruhe. Es werden einige
Wartungsarbeiten durchgeführt, aber wer die Vorgänge im Kosmos beobachten will, ist
naturgemäß nachtaktiv. Das ist auch auf Paranal so, wo erst gut eine Stunde vor
Sonnenuntergang das Leben erwacht.
Atmo 2: [Piepsen der Tür, Tür wird geöffnet, schlägt zu, Schritte im Gang und
Treppenhaus, Tür auf, Atmosphäre Kuppel, Rauschen der Lüftung - Atmo bleibt
während der Sequenz in der Teleskophalle immer zu hören]
Autor 9:
Gerhard Hüdepohl, der als Elektronik-Ingenieur maßgeblich am Bau der ParanalSternwarte beteiligt war, eilt zu „seinem“ Teleskop, für das er in dieser Woche die
Verantwortung trägt. Noch ist die Halle hell erleuchtet: In der Mitte steht das mächtige
Spiegelteleskop. Es ist kein geschlossenes Rohr, sondern eine offene Struktur aus
dicken grauen Stahlrohren: 20 Meter hoch und 400 Tonnen schwer. Beim
Kontrollrundgang vor dem Einschalten des Teleskops passiert der Ingenieur auch die
dröhnende Klimaanlage.
O-Ton 11 - Gerhard Hüdepohl:
Die läuft den ganzen Tag, wird aber nachts ausgeschaltet. Die hält tagsüber das
Teleskop auf der zu erwartenden Nachttemperatur.
Autor 10:
Hat das Teleskop genau die Temperatur der Umgebung, kommt es zum einen nicht zu
thermischen Verformungen im Spiegel. Zum anderen bilden sich dann keine Blasen
warmer Luft, die aus der Teleskophalle aufsteigen und die Sterne flimmern lassen. Die
Kühlung am Tage sorgt mit dafür, dass nachts die Bilder perfekt scharf sind.
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Atmo 3: [Schritte auf Metalltreppe]
Autor 11:
Gerhard Hüdepohl setzt seine Inspektion fort. Zügig steigt er die Treppen hinauf zum
Gitterweg, der an der Innenwand des Teleskopgebäudes entlang führt.
O-Ton 12 - Gerhard Hüdepohl:
Jetzt sind wir wieder zwei Stockwerke hoch gegangen, das war wieder eine sportliche
Leistung. Man kommt hier schnell ein bisschen aus der Puste, wenn man zu schnell die
Treppen rauf und runter läuft. Wir sind hier auf 2600 Metern Höhe und wenn man das
nicht gewohnt ist, kommt man schnell außer Atem.
Autor 12:
Vom Gitterweg aus fällt der Blick auf den gewaltigen Spiegel, der fast zum Greifen nah
ist: Acht Meter zwanzig Durchmesser machen ihn 53 Quadratmeter groß - die Fläche
einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung.
Atmo 4: [Rattern und Quietschen]
Autor 13:
Die Tore des Teleskopgebäudes laufen nach links und rechts auseinander. Dazwischen
taucht die von der tief stehenden Sonne glutrot gefärbte Wüstenlandschaft auf, über der
sich der wolkenlose stahlblaue Himmel wölbt. Gerhard Hüdepohl geht ein paar Schritte
und beugt sich nach unten.
O-Ton 13 - Gerhard Hüdepohl:
Das Licht-Ausschalten geht auch bei einem Hightech-Teleskop immer noch über
normale Lichtschalter und nicht über Computer...
Autor 14:
Innerhalb einer Stunde senkt sich perfekte Dunkelheit über Paranal. Die
Spiegelteleskope starren nach oben und sammeln alles Licht, das von den zum Teil
Milliarden Lichtjahre entfernten Objekten auf sie trifft. Dank der technischen Ausstattung
sehen die Teleskope in Chile zum Teil sogar schärfer als das Hubble-Weltraumteleskop.
So erfolgreich das Very Large Telescope heute auch ist - es war lange Zeit keineswegs
sicher, dass aus dem ehrgeizigen Plan Realität würde, erinnert sich Harry van der Laan.
Er war während der Bauzeit Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre ESOGeneraldirektor:
O-Ton 14 - Harry van der Laan:
Das war ein Riesenrisiko, denn niemand hatte jemals perfekte Glasscheiben mit acht
Metern Durchmesser gemacht. Die mussten auch noch geschliffen werden, das war
auch noch nie passiert. Es war sehr schwierig einzuschätzen, ob das überhaupt möglich
war, wie schnell und für was für einen Preis. Wir hatten viel Glück, dass die Firma Schott
in Mainz so motiviert war und solche fantastischen Ingenieure hatte. Sie haben das
geleistet - das war ein Wunder. Die ersten paar sind gebrochen, noch ein paar waren
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nicht gut genug und dann haben sie doch für uns vier dieser Riesenscheiben mit acht
Metern Durchmesser perfekt gemacht.
Autor 15:
Brillante Wissenschaft erfordert in der Astronomie schon lange brillante Technik. Die
Zeiten, in denen Astronomen mit mäßigen Teleskopen an klimatisch schlechten
Standorten Großes leisten konnten, sind seit hundert Jahren so gut wie vorbei. So
musste die ESO dieses Wagnis eingehen, um sich weltweit an die Spitze zu setzen.
Doch den früheren Chef hat diese Phase der Rückschläge jede Menge Nerven gekostet.
O-Ton 15 - Harry van der Laan:
Da hatten wir viele Sorgen darüber. Man konnte nicht einschätzen, wann es gelingen
würde. Und davon hing natürlich alles ab. Da habe ich viele Nächte nicht gut geschlafen.
Autor 16:
Nicht nur bei der Technik, auch beim Betrieb ihrer Anlagen ist die ESO neue Wege
gegangen. Die Astronomen aus aller Welt müssen sich um Beobachtungszeit an den
Teleskopen bewerben - und traditionell gab es nur ein oder zwei, selten auch mal drei
Nächte. Doch statt sich in zahllosen Kleinstprojekten zu verzetteln, hat die ESO vor
allem auf einige große Schlüsselprogramme gesetzt. Sie bekamen manchmal 20 oder
gar 100 Nächte pro Jahr zugesprochen - dabei ging es beispielsweise um die
Entwicklung von Galaxien, um die Vorgänge in der Umgebung Schwarzer Löcher, um
die chemische Zusammensetzung von Sternen oder um die eisigen Körper am Rande
des Sonnensystems. Ein exzellentes Teleskop allein reicht aber nicht für herausragende
Wissenschaft. Ebenso wichtig sind die Kameras und Messinstrumente, die das Licht aus
dem Kosmos analysieren. Weil die ESO nicht genügend Geld hatte, um die zwölf für das
Very Large Telescope benötigten Instrumente allein zu bauen, hat Harry van der Laan
die Experten an Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen in Europa auf
elegante Weise eingebunden.
O-Ton 16 - Harry van der Laan:
So habe ich viel bessere Instrumente gekriegt, weil diese Teams damals mit garantierter
Beobachtungszeit belohnt wurden. Dann konnten sie erst ein perfektes Instrument
bauen, das dann installieren und danach natürlich berühmt werden - das macht ein
Astronom gerne - in dieser garantierten Zeit, um Wissenschaft zu tun, also
Beobachtungen zu machen, die noch keiner hat machen können.
Autor 17:
Auch diese bei der ESO entwickelte Idee hat längst weltweit Schule gemacht: Wer ein
Instrument für ein Großteleskop entwickelt, das später allen Kollegen zur Verfügung
steht, darf es anfangs exklusiv benutzen. Zu den Instrumenten, die den Europäern ihre
weltweit führende Stellung beschert haben, zählt ein Gerät, das unter der Leitung von
Reinhard Genzel entwickelt wurde. Er ist Direktor am Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik in Garching - und damit Nachbar des ESO-Hauptquartiers
nördlich von München.
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O-Ton 17 - Reinhard Genzel:
Wir haben ein ganz tolles Instrument gebaut für das große Very Large Telescope der
ESO, das sind also vier Acht-Meter-Teleskope in Chile. Dort haben wir ein Gerät gebaut,
was zum ersten Mal Bilder macht und gleichzeitig für jeden Bildpunkt eine Farbe
produziert, ein Spektrum, und das Ganze auch noch hinter einer adaptiven Optik. Das
heißt, wir korrigieren die Erdatmosphäre weg und können ganz scharf sehen.
Spektakuläres Instrument - nicht nur für das Galaktische Zentrum.
Autor 18:
Genau in der Mitte unserer Milchstraße herrscht ein Schwarzes Loch, das gut drei
Millionen Mal schwerer ist als unsere Sonne. Das Instrument mit Namen „Sinfoni“ liefert
erstmals einen detaillierten Blick in die Umgebung des Galaktischen Zentrums - dank
der Bilder und Spektren bekommen die Forscher eine 3-D-Aufnahme dieser Region. So
sehen sie, dass dort das Schwarze Loch eine bemerkenswerte Gruppe von Sternen
dirigiert.
O-Ton 18 - Reinhard Genzel:
Zu unserem Erstaunen finden wir - ganz im Gegenteil dessen, was wir erwartet haben -,
dass die Sterne, die sich dort befinden, nicht nur alt sind. Alte Sterne hätte man da
immer erwartet. Die werden vom Schwarzen Loch angezogen, die gruppieren sich dann
um das Schwarze Loch herum. Aber nein, wir sehen auch ganz junge Sterne, und das
ist eine ganz hervorragend interessante Sache, weil die sich nicht bilden sollten. Die
dürften sich gar nicht bilden, so sagen uns die Theoretiker.
Autor 19:
Die Sterne sind so jung, dass sie nicht erst woanders entstanden und dann langsam in
die Nähe des Schwarzen Lochs gedriftet sein können. Allerdings sollte das Schwarze
Loch mit seiner Anziehungskraft das Zusammenklumpen von Gas zu Sternen
verhindern. Dank der Daten des Very Large Telescope mit der Sinfoni-Kamera ahnen
Reinhard Genzel und sein Team nun, wie es doch funktioniert haben könnte:
O-Ton 19 - Reinhard Genzel:
Wir glauben, dass sich etwa tausend Sterne vor einigen Millionen Jahren gebildet
haben. Die haben sich in einer Scheibe gruppiert und rotieren um das Schwarze Loch
herum, nachdem vorher eine Gaswolke, die sehr dick gewesen sein muss und auch
sehr schwer, ins Galaktische Zentrum zufällig hineingefallen und dort dann
unglücklicherweise hängen geblieben ist. Bei diesem Prozess ist sie immer dichter
geworden. Irgendwann bildeten sich sehr effizient Sterne. Wir sehen jetzt sozusagen
dieses archäologische Relikt einer Sternbildung um ein Schwarzes Loch herum.
Autor 20:
Kosmos paradox: Ein Schwarzes Loch mal nicht als gefräßiger Zerstörer, sondern als
Geburtshelfer. Die Astronomen erkennen mit Hilfe der Teleskope in Chile, dass sie den
Einfluss eines extrem massereichen Schwarzen Lochs auf seine Umgebung noch nicht
völlig verstehen. Das betrifft keineswegs nur unsere Milchstraße, haben doch fast alle
Galaxien im Kosmos ein Schwarzes Loch in ihrem Zentrum. Während es Reinhard
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Genzel vor allem auf das Exemplar vor unserer Haustür abgesehen hat, das „nur“ knapp
30.000 Lichtjahre entfernt ist, beobachtet seine Institutskollegin Natascha Förster
Schreiber vor allem Galaxien, die gut zehn Milliarden Lichtjahre weit draußen liegen.
O-Ton 20 - Natascha Förster Schreiber:
„We actually trace how stars get formed in individual galaxies and how they move within
the galaxies...
Übersetzung 5:
Wir verfolgen jetzt im Detail, wie Sterne in den einzelnen Galaxien entstehen und wie sie
sich bewegen. Wir sehen, dass sich riesige Sternscheiben bilden, ähnlich der, die auch
die Milchstraße hat. Allerdings beobachten wir diese Prozesse bei Galaxien etwa drei
Milliarden Jahre nach dem Urknall. Erstmals zeigt sich, dass die Galaxien schon damals
oft Scheiben und eine zentrale Verdickung hatten, also den heutigen Exemplaren
ähneln. Das ist sehr überraschend, denn schließlich blicken wir da mitten hinein in die
Kindheit der Galaxien.
...about three billion years after the big bang. Very early in the infancy of galaxies.”
Autor 21:
Früher waren solche Galaxien verwaschene Lichtfleckchen auf einem lang belichteten
Foto. Heute blickt die Forschergruppe aus Garching präzise hinein in ferne Galaxien,
untersucht deren Aussehen und vermisst die Bewegung. Möglich macht dies das Very
Large Telescope in Chile mit seinem Sinfoni-Instrument. Doch Europas Astronomen
geben sich mit dem Erreichten nicht zufrieden. Pünktlich zum 50. Jubiläum der ESOGründung am 5. Oktober 1962 steht das nächste Großprojekt kurz vor dem Baubeginn:
Auf einem Nachbarberg von Paranal soll bald ein Instrument mit einem
Spiegeldurchmesser von sage und schreibe 39 Metern entstehen - bisher trägt das
Projekt den Arbeitstitel ELT, nach der englischen Abkürzung für extrem großes
Teleskop. Bruno Leibundgut, der wissenschaftliche Direktor der ESO, kann es kaum
erwarten, dass das neue Projekt endlich los geht.
O-Ton 21 - Bruno Leibundgut:
Ich bin sehr stark an der Kosmologie interessiert - da gibt es einige Dinge zu tun.
Stichwort Dunkle Energie: Dass wir die Ausdehnung des Universums besser verstehen das finde ich immer noch faszinierend. Zentral für das ELT sind natürlich die
Exoplaneten, andere Welten, dass wir da Möglichkeiten bekommen, um Planeten um
andere Sterne zu charakterisieren, die wir bis jetzt noch nicht haben. Das ist ein
astronomisches Feld, das sich unheimlich ausweiten wird. Astrobiologie ist ein
Stichwort. Das sind unvorstellbare Möglichkeiten, die wir da haben. Da wird das ELT
massive Beiträge leisten.
Autor 22:
Womöglich gelingt mit dem ELT auch das erste Familienfoto eines fernen Sterns mit
seinen Planeten - oder gar der Nachweis von weiterem Leben in den Tiefen des Alls.
Wie einst das VLT, das auf Paranal steht, ist das ELT bisher aber nicht mehr als ein
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ehrgeiziger Plan. Der Hauptspiegel wird fast halb so groß sein wie ein Fußballfeld und
aus gut 800 Segmenten bestehen, die auf weit weniger als einen Haardurchmesser
genau ausgerichtet sein müssen - und das bei einem Gesamtgewicht des Teleskops
von mehr als fünftausend Tonnen. Die Entwicklung und erste Tests neuer Technologie
laufen seit einigen Jahren auf Hochtouren. Projektmanager ist der Brite Alistair
McPherson - er war früher in der Rüstungsindustrie tätig und ist mit allen Wassern
gewaschen. Ihm ist völlig klar, dass es die erhofften grandiosen Entdeckungen erst gibt,
wenn sein Team in den kommenden zehn Jahren einen enorm harten technischen Weg
übersteht.
O-Ton 22 - Alistair McPherson:
„What keeps me awake at night, is at the end of the day being absolutely sure to have
control of the all mirror surfaces...
Übersetzung 6:
Was mir den Schlaf raubt, ist, am Ende wirklich absolut sicher zu sein, dass wir alle
Spiegeloberflächen perfekt steuern und dass das Instrument die bestmöglichen Bilder
liefert. Alles muss äußerst genau zusammenpassen und wir müssen die vielen
Komponenten des Teleskop präzise unter Kontrolle haben - das ist eine riesige
Herausforderung.
...getting that under control is a huge challenge.“
Autor 23:
Im Laufe der ersten fünfzig Jahre hat die Europäische Südsternwarte ESO enorm viel
technische Erfahrung gesammelt, so dass Bruno Leibundgut zuversichtlich ist, das neue
Instrument auf dem Berg Cerro Armazones bauen zu können. Denn die ESO hat es
bisher stets verstanden, neben den nötigen Finanzen auch die richtigen Personen für
derart ambitionierte Projekte zu gewinnen.
O-Ton 23 - Bruno Leibundgut:
Die ESO wird immer als wissenschaftliche Organisation angesehen, aber es sind
dreimal mehr Ingenieure bei der ESO beschäftigt als berufstätige Astronomen. Das ist
richtig so. Bei Großprojekten gibt es technologische Probleme, die Astronomen nicht voll
erfassen können. Da brauchen Sie Techniker und Ingenieure, die das tun können. Es
gibt sicher einige Probleme, die gelöst werden müssen. Ich bin aber auch überzeugt,
dass die Vorbereitung so gut gewesen ist, dass wir die Risiken identifiziert haben und
auch dann die Entwicklung dahin führen können, dass wir das kontrollieren können. Das
war beim VLT nicht anders.
Autor 24:
Es geht der ESO um nicht weniger, als die weltweit führende Stellung zu verteidigen.
Denn die Konkurrenz schläft nicht: Rund um den Pazifik tun sich die Astronomen unter
US-amerikanischer Führung zusammen, um auf Hawaii ein Teleskop von 30 Metern
Durchmesser zu bauen, TMT genannt - Thirty Meter Telescope. Ein Forscherkonsortium
aus den USA, Australien und Südkorea möchte in Chile das Giant Magellan Teleskope
10
GMT errichten, das auch etwa fünfundzwanzig Meter Durchmesser haben soll. Die
beiden Projekte sind zwar bei weitem noch nicht so weit gediehen wie Europas ELT,
aber ESO-Generaldirektor Tim de Zeeuw wartet sehnsüchtig auf die letzten fehlenden
Gelder für das Teleskop:
O-Ton 24 - Tim de Zeeuw:
„I hope, that we get the final go ahead in the next six to eight months. All the member
states want to participate...
Übersetzung 7:
Ich hoffe, dass wir in den nächsten sechs bis acht Monaten endgültig grünes Licht
bekommen. Alle fünfzehn ESO-Mitgliedsstaaten wollen das ELT, aber aufgrund der
wirtschaftlichen Lage können nicht alle zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung stellen.
Anfang 2013 sollten wir aber endlich los legen. Bis dahin hat auch Brasilien Zeit, seinen
Beitritt zur ESO formal abzuschließen und seinen Beitrag zu bezahlen. Und vielleicht
haben andere Länder bis dahin doch das nötige Geld. Wir sollten aber keineswegs noch
fünf Jahre warten, oder auch nur drei.
...but we shouldn't wait five years, or even three.“
Autor 25:
Allmählich greift bei allen Beteiligten eine gewisse Nervosität um sich. Denn ein Projekt
wie das ELT lässt sich nicht ewig in der Warteschleife halten. Die Teleskop-Teams
scharren mit den Hufen - viele Experten werden sich anderen Aufgaben zuwenden,
wenn nicht bald der Startschuss fällt. So steht die ESO ausgerechnet beim 50. Jubiläum
am Scheideweg: Was auch immer beschlossen wird - es hat Folgen für die nächsten
dreißig bis vierzig Jahre. Ob Europas Astronomen auch beim 75. oder gar 100. ESOGeburtstag noch an der Weltspitze liegen, entscheiden die Finanz- und
Wissenschaftsminister der ESO-Staaten in den kommenden Monaten. Noch setzen alle
auf einen weiteren großen Wurf, einen weiteren astronomischen Olymp in der AtacamaWüste mit ihrem perfekten Himmel.
O-Ton 25 - Bruno Leibundgut:
Es ist ein unheimliches Abenteuer, auf das wir uns hier eingelassen haben. Es ist
unheimlich schön, dass wir die ESO auch in dieser Richtung entwickeln können. Wir
haben ja auch für La Silla mit dem 3,6-Meter-Teleskop und dem NTT schon gute
Teleskope damals entwickeln können. Wir haben das VLT bauen können, das eigentlich
einzigartig ist in der direkten Konkurrenz mit anderen 8- und 10-Meter-Teleskopen, das
aber auch Europa wirklich in einer gewissen Weise wieder zurück gebracht an die
Spitze der beobachtenden Astronomie. Die ESO hat da Möglichkeiten geschaffen, die
sich niemand erträumt hat.
Autor 26:
So spannt sich für ESO-Wissenschaftsdirektor Bruno Leibundgut ein wunderbarer
Bogen von den ersten Ideen der europäischen Astronomen vor fünfzig Jahren bis hin
zur exzellenten Stellung heute. Viele Forscher außerhalb Europas blicken neidvoll auf
11
die Erfolgsgeschichte, die ebenso in der Atacama spielt wie an zahlreichen Instituten in
Frankreich, Italien, Schweden, Holland, Dänemark, Deutschland und vielen weiteren
Ländern. Europa greift wieder einmal nach den Sternen. Der Kosmos ist voller
faszinierender und geheimnisvoller Phänomene - jede Entdeckung lässt neue Fragen
aufkommen. Den Forschern wird also ihre himmlische Arbeit kaum jemals ausgehen.
O-Ton 26 - Bruno Leibundgut:
Wenn man sich die Geschichte der ESO anguckt und wie das entstanden ist: Der Otto
Heckmann hat sein Büro in Hamburg gehabt und eine Sekretärin, das war dann schon
die ESO. Jetzt sprechen wir davon, dass wir 40-Meter-Teleskope bauen. Das bekannte
Universum ist in diesem Zeitraum gigantisch größer geworden, wenn man so will. Diese
Möglichkeiten sind faszinierend. Ich sehe da viele Dinge, viele Beobachtungen, die wir
in den nächsten Jahren noch tun können und müssen, um das Universum besser
verstehen zu können.
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