Amnionmembrantransplantation am menschlichen Auge

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ÜBERSICHTSARBEIT
Amnionmembrantransplantation
am menschlichen Auge
Daniel Meller, Mikk Pauklin, Henning Thomasen, Henrike Westekemper, Klaus-Peter Steuhl
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: Die Amnionmembrantransplantation (AMT)
hat in der operativen Augenheilkunde eine lange Tradition
und eine Renaissance seit Einführung moderner Konservierungsmethoden erfahren.
Methoden: Selektive Literaturrecherche zu neuen Entwicklungen, Wirkmechanismen und etablierten Indikationen
der AMT bei verschiedenen Erkrankungen der Augenoberfläche. Die Literatursuche erfolgte in PubMed mit den
Suchbegriffen „amniotic membrane, cornea und/oder conjunctiva“ im Suchzeitraum von 1994 bis 2009.
Ergebnisse: Die Amnionmembran (AM) kann als Basalmembranersatz oder als temporäres Transplantat am Auge
eingesetzt werden und weist antiinflammatorische und
vernarbungshemmende Eigenschaften auf. Die AM enthält
Wachstumsfaktoren, die die Wundheilung des okulären
Oberflächenepithels unterstützen. In vielen klinischen Situationen, wie akuten Verbrennungen, persistierenden
Hornhautepitheldefekten der Cornea und vernarbenden
Bindehauterkrankungen kann die Transplantation von AM
eine Alternative zur kornealen oder konjunktivalen Rekonstruktion sein. Es gibt jedoch nur wenige randomisierte
kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit der AM untersucht haben. Weitere Studien haben gezeigt, dass auf der
AM ex vivo epitheliale Vorläuferzellen gewonnen werden
können, die zum Tissue Engineering von Geweben der Augenoberfläche eingesetzt werden könnten.
Schlussfolgerungen: Die AMT ist ein etabliertes Verfahren
in der Behandlung von verschiedenen Erkrankungen des
äußeren Auges und hat in den letzten Jahren die rekonstruktive Chirurgie der Augenoberfläche maßgeblich verändert.
►Zitierweise
Meller D, Pauklin M, Thomasen H, Westekemper H,
Steuhl KP: Amniotic membrane transplantation in the
human eye. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(14): 243–8
DOI: 10.3238/arztebl.2011.0243
Klinik für Erkrankungen des vorderen Augenabschnittes,
Zentrum für Augenheilkunde, Universität Duisburg-Essen, Essen:
Prof. Dr. med. Meller, Dipl.-Biol. Thomasen, Dr. med. Westekemper,
Prof. Dr. med. Steuhl
Insitute of General and Molecular Pathology, University of Tartu, Estland:
Pauklin
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 14 | 8. April 2011
D
ie Transplantation humaner, konservierter Amnionmembran (AM) kann als eine der großen
Neuerungen in der Chirurgie der Augenoberfläche
angesehen werden. Obwohl die erste im internationalen Schrifttum dokumentierte Verwendung von
AM in der Ophthalmologie nahezu 70 Jahre zurückliegt, werden Amnionmembrantransplantationen
(AMT) erst seit 1995 bei einem größeren Patientenkollektiv mit vielversprechenden Resultaten durchgeführt (1–3).
Verschiedene Erkrankungen der Augenoberfläche,
wie unter anderem persistierende Hornhautepitheldefekte, akute Verätzungen mit dem dauerhaften Verlust
der Integrität des okulären Oberflächenepithels oder
Bindehautvernarbungen im Rahmen von vernarbenden Schleimhauterkrankungen, stellen immer noch eine klinische Herausforderung in der Ophthalmochirurgie dar. Seit Einführung moderner Konservierungsmethoden hat die unter sterilen Bedingungen
nach Kaiserschnitt gewonnene innerste Schicht der
Plazenta, die AM, als Basalmembranersatz eine Renaissance erlebt und ist heute in der rekonstruktiven
Chirurgie der Augenoberfläche kaum wegzudenken
(1–3). In Deutschland wurden 2008 insgesamt 2 308
AMT durchgeführt (http://www.dog.org/?cat=121).
Die vielfältigen, mittlerweile etablierten Einsatzmöglichkeiten der AM reichen von einem Transplantat
(Graft) über einen natürlichen Verband (Patch) bis hin
zum Kultursubstrat (Carrier) für die Ex-vivo-Züchtung von okulärem Oberflächenepithel. Je nach Applikationsart ergeben sich histologisch unterschiedliche
Integrationsmuster der AM im Wirtshornhautgewebe
(4). Die wichtigsten Indikationen in der rekonstruktiven Chirurgie der Augenoberfläche sind persistierende Hornhautepitheldefekte mit Ulzeration der Hornhaut unterschiedlicher Genese, Defektdeckungen nach
chirurgischer Entfernung von großen Bindehautläsionen, akute Verätzungen, Symblepharolyse und Fornixrekonstruktionen bei vernarbenden Bindehauterkrankungen und die limbale Stammzellinsuffizienz der
Hornhaut mit simultaner Transplantation eines Stammzelltransplantates (5–7).
In dieser Übersichtsarbeit werden Daten aus der
wissenschaftlichen und klinischen Tätigkeit der Autoren und mit Hilfe einer selektiven Literaturrecherche
in PubMed mit den Suchbegriffen „amniotic membrane“, „cornea“ und/oder „conjunctiva“ von 1994 bis
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2009 vorgestellt. Es wird von neuen Entwicklungen,
Wirkmechanismen und etablierten Indikationen der
AMT berichtet.
der AM erhalten, so dass diese natürliche Matrix als Ersatz für geschädigtes stromales Gewebe der Augenoberfläche eingesetzt werden kann (4, 5).
Gewinnung und Histologie
Klinische Relevanz der biologischen
Eigenschaften
Die AM ist die innerste Schicht der dem Fetus zugewandten Seite der Plazenta und ist histologisch eine circa 0,02 mm bis 0,5 mm dicke, mehrschichtige Membran. Sie wird nach Ausschluss von serologisch nachweisbaren Infektionserregern (HIV 1/2; Hepatitis B, C;
HTLV I/II und Lues) unter sterilen Bedingungen im
Rahmen eines Kaiserschnitts gewonnen, steril verpackt
und zeitnah an einer sterilen Werkbank präpariert. Entsprechend standardisierte Arbeitsrichtlinien zur Gewinnung und Herstellung von humaner AM aus Spenderplazenta werden mit der Unterstützung der Sektion
Biotechnologie und Gewebetransplantation der Deutschen Opthalmologischen Gesellschaft zurzeit erstellt
(e1). Bei entsprechender Präparation besteht sie aus einer relativ dicken Basalmembran mit devitalisierten
Amnionepithelzellen und einem avaskulären und nahezu azellulären Stroma. Die Gefrierkonservierung erfolgt in einem Kryomedium (Glycerin: DMEM-Medium 1:1) bei einer Lagerungstemperatur von –75 °C bis
–85 °C und einer maximalen Lagerungsdauer von etwa
12 bis 24 Monaten. Bei fachgerechter Gewinnung und
Konservierung bleiben die biologischen Eigenschaften
KASTEN
Indikationen zur
Amnionmembrantransplantation*
Rekonstruktion der Hornhautoberfläche
● Persistierender Epitheldefekt mit Ulzeration der Hornhaut
● Rekonstruktion der Bindehautoberfläche
● akute Verätzungen
● Entfernen von epithelialen oder subepithelialen Läsionen (Bandkeratopathie, Narben, Tumoren)
● schmerzhafte bullöse Keratopathie
● partielle oder komplette limbale Stammzellinsuffizienz
(mit Stammzelltransplantat)
Rekonstruktion der Bindehautoberfläche
● akute Verätzungen und akutes Stevens-JohnsonSyndrom
● Defektdeckung nach Entfernen von großen Bindehaut●
●
●
●
●
läsionen (Tumoren, konjunktivale intraepitheliale Neoplasie, Narben, lidkantenparallele Bindehautfalten)
Symblepharolyse, Fornixrekonstruktion
Anophthalmus
Filterkissenrevisionen
Skleraverdünnungen
Pterygium
*nach (5–7, 16, 21–25) In der Literatur gibt es keine evidenzbasierten,
randomisierten Vergleichsstudien zur AMT und den alternativen Optionen
bei den hier aufgeführten Indikationen.
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Klinische Studien lassen vermuten, dass die Transplantation von AM die Epithelialisierung und Differenzierung des okulären Oberflächenepithels fördert
(5–9). Die wichtigsten wundheilungsfördernden
Wachstumsfaktoren, die vorwiegend aus dem Amnionepithel aber auch aus dem Stroma der AM isoliert
wurden, sind der epidermale Wachstumsfaktor und
der Keratozytenwachstumsfaktor (8, 9). Strukturproteine, wie Laminin und Kollagen Typ VII in der Basalmembran der AM, erklären die beobachteten epitheliotrophen Effekte (9, 10). Intrinsische neurotrophe
Substanzen machen die AM ferner zu einem idealen
Substrat zur Rekonstruktion des okulären Oberflächenepithels (11, 12).
Die Hemmung der Signaltransduktion von TGF-β in
kornealen und konjunktivalen Fibroblasten in vitro erklärt die vernarbungshemmende Wirkung der AM bei
der Versorgung von verschiedenen Erkrankungen der
Augenoberfläche (13). In der Frühphase nach AMT
wird typischerweise eine signifikante Reduktion der
Entzündung beobachtet. So vermindert die AM in vitro
den Expressionsgrad für verschiedene Wachstumsfaktoren und proinflammatorische Zytokine (14). Ferner
werden im Epithel und Stroma der AM antiinflammatorische Zytokine wie Interleukin-10- und Interleukin1-Rezeptorantagonist ausgeschüttet, die möglicherweise Entzündungsprozesse modulieren können. Diese
könnten bei der Wundheilung von mit AM gedeckten
akuten Verätzungen der Hornhaut eine Rolle spielen
(15, 16). Darüber hinaus ist die AM immunmodulatorisch wirksam (17), weshalb bei der klinischen Anwendung der AM nur selten Abstoßungsreaktionen beobachtet werden.
Auswirkungen der Gefrierkonservierung
Da die Zellen der gefrierkonservierten AM nach dem
Auftauen devitalisiert sind, keine enzymatische Aktivität aufweisen und keine intakte RNA extrahierbar ist,
werden die genannten Substanzen aus den geschädigten, devitalisierten Zellen freigesetzt. Da diese Faktoren nach Anwendung der gefrierkonservierten AM ausgewaschen werden, ist ein längerfristiger Nutzen fraglich. Deshalb ist es empfehlenswert, eine AM, die als
Patch in der Rekonstruktion der Augenoberfläche eingesetzt wird, regelmäßig in wöchentlichen Abständen
bis zum gewünschten epithelialen Wundverschluss zu
erneuern. In Gegensatz zu der im Allgemeinen bevorzugten Gefrierkonservierung der AM führen andere
praktizierte Aufbereitungsverfahren der AM wie die
Vorbehandlung mit säurehaltigen Stoffen und die anschließende Lufttrocknung (18) weitestgehend zum
kompletten Verlust ihrer biologischen Eigenschaften,
so dass dadurch die klinische Anwendbarkeit und Wirksamkeit eher begrenzt erscheint (19).
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Abbildung 1: Amnionmembrantransplantation (AMT) bei infektiösen Hornhautulzera (siehe Markierungen); a) präoperativ; b) drei Tage nach AMT; c) drei Monate nach
AMT hat sich eine glatte, reizfreie Hornhautoberfläche mit Ausbildung einer parazentralen Hornhautnarbe entwickelt, und Entzündungszeichen haben sich deutlich
vermindert; modifiziert mit Genehmigung: Dr. R. Kaden-Verlag, Heidelberg
Chirurgische Grundtechniken
Die AM verfolgt bei ihrem klinischen Einsatz drei
Hauptziele:
● Förderung der Epithelialisierung
● Schmerzreduktion
● Minimierung der Entzündung an der Augenoberfläche.
Hierdurch werden sequenziell durchzuführende
Maßnahmen, wie zum Beispiel eine Hornhauttransplantation mit einem nun reduzierten Risikoprofil einer
Abstoßungsreaktion, ermöglicht (5, 20). Chirurgisch
werden diese Ziele durch unterschiedliche Vorgehensweisen bei der AMT erreicht (5, 6).
Inlay- oder Graft-Technik
Bei der Inlay-Technik wird die AM als permanenter
Basalmembranersatz eingesetzt. Indikationen stellen in
der Regel persistierende Epitheldefekte, Ulzerationen
der Hornhaut oder Defektdeckungen nach Exzision von
Bindehauttumoren dar (5, 6, 20–23, e2) (Kasten). Die
AM wird mit der Epithel-/Basalmembranseite nach außen orientierend mit 10–0-Nylonfäden nach Wunddebridgement fest eingenäht, so dass benachbarte Epithelzellen des Empfängers auf die AM migrieren können
und so der Wundverschluss eintritt (5, 6). Bei tiefen
Defekten, wie zum Beispiel bei Hornhautulzerationen,
kann die AM mehrlagig eingesetzt werden (20, 21).
Durch die Epithelialisierung der AM wird diese in das
Wirtsgewebe integriert (4). Sie bleibt hier über Monate,
teilweise über Jahre, nachweisbar und wird in Hornhautdefekten sogar von ortsständigen Keratozyten besiedelt (4).
Onlay- oder Patch-Technik
Bei der Onlay-Technik wird eine große AM im Sinne einer „natürlichen“ Verbandslinse (Patch) temporär auf die
Augenoberfläche aufgebracht (5, 6). Im Gegensatz zur
Inlay-Technik, bei der die AM permanent auf der Hornhaut verbleibt, löst sich der Amnion-Patch typischerweise nach ein bis zwei Wochen von der Hornhautoberfläche ab. Klassische Indikationen reichen von den akuten
Verätzungen und Verbrennungen bis zu den akuten herpetischen Keratitiden und das akute Stadium des Stevens-Johnson-Syndroms (5, 6, 16, 20, 24). Bei diesen InDeutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 14 | 8. April 2011
dikationen werden die biologischen Eigenschaften der
AM, insbesondere die antientzündlichen Wirkmechanismen genutzt, die jedoch – wie bereits erwähnt – zeitlich
limitiert sind (8, 9, 19). Zeigt sich klinisch eine retardierte Wundheilung, so erscheint es basierend auf den beschriebenen experimentellen Daten sinnvoll zu sein, den
Amnion-Patch wöchentlich bis zum gewünschten
Wundverschluss auszutauschen. Bei dieser chirurgischen Vorgehensweise spielt die Orientierung der AM eine untergeordnete Rolle, so dass in den meisten Fällen
eine lockere Fixierung der AM episkleral oder auf der
bulbären Bindehaut mit Hilfe von Vicryl-8–0-Einzelknüpfnähten als ausreichend angesehen wird (5, 6).
In- und Onlay-Technik
Diese Technik, auch Sandwich-Technik genannt, stellt
eine Kombination aus den beiden zuvor genannten Verfahren dar und wird vorwiegend bei schwereren Erkrankungen der Augenoberfläche – zum Beispiel tiefen
und großflächigen Hornhautulzerationen – oder Revisionsoperationen eingesetzt (5, 6). Das Onlay soll vornehmlich protektiv die Epithelialisierung des Inlays
fördern (4, 5). Diese Methode wird bevorzugt wegen
der hohen Erfolgsrate von 65 bis 80 Prozent und der geringen Rezidivhäufigkeit (circa 20 bis 35 Prozent) eingesetzt (5, 20).
Amnionmembran als Kultursubstrat und Carrier
Erst kürzlich ist die AM als Kultursubstrat für die Exvivo-Expansion des okulären Oberflächenepithels beschrieben worden (7, 25, e3–5). Hier fungiert die AM
als Biomatrix und wird gemeinsam mit den gezüchteten
Zellen auf die Augenoberfläche aufgetragen (e3, e4).
Diese Technik wird vorwiegend zur Behandlung der
limbalen Stammzellinsuffizienz, aber auch zur Rekonstruktion größerer Oberflächendefekte des äußeren Auges eingesetzt (7, 25, e5, e6).
Indikationen zur Transplantation
Die in der Literatur beschriebenen Indikationen der
AMT sind mittlerweile so mannigfaltig, dass sie den
Rahmen dieser Übersichtsarbeit sprengen würden (5–7,
16, 21–25, e2, e5, e6). Die Hauptindikationen zur AMT
sind deshalb im Kasten zusammengefasst. Leider wur-
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Abbildung 2: Autologe Transplantation von ex vivo gezüchtetem Limbusepithel; a) präoperativer Befund mit kompletter Stammzellinsuffizienz nach einer Verätzung. Die Sehschärfe ermöglicht die Wahrnehmung von Handbewegungen. b) stabile und klare Hornhautoberfläche
4,5 Jahre nach Rekonstruktion. Die Sehschärfe ist auf 0,4 dauerhaft angestiegen; modifiziert
nach Dev Ophthalmol 2010; 45: 57–70, mit Genehmigung Karger-Verlag, Basel
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b
Abbildung 3: Defektdeckung nach Tumorexzision einer konjunktivalen intraepithelialen
Neoplasie; a) präoperativer Befund mit großflächigem Bindehauttumor (siehe Markierungen);
b) 4 Jahre nach Tumorexzision und AMT gibt es keinen Anhalt für ein Rezidiv. Intraokular besteht
eine reizfreie Pseudophakie (Intraokularlinse, siehe Markierungen) nach Kataraktoperation.
den die rekrutierbaren klinischen Daten wahrscheinlich
aufgrund der geringen Inzidenz der einzelnen Erkrankungen der Augenoberfläche nur an kleinen bis mittelgroßen Fallzahlen mit einem relativ eingeschränkten
Nachbeobachtungszeitraum in überwiegend retrospektiv analysierten Fallserien publiziert (e6). Cochrane Reviews oder Metaanalysen zu den in dieser Übersichtsarbeit besprochenen Themenkomplexen sind weder in
der Cochrane Library noch in PubMed vorhanden. Hier
müssen in Zukunft kontrollierte, randomisierte, multizentrische Langzeitstudien mit einem hohen Fallkollektiv gefordert werden, um das klinische Potenzial der
AMT in der rekonstruktiven Chirurgie der Augenoberfläche zu untermauern.
Rekonstruktion der Hornhautoberfläche
Persistierende Hornhautepitheldefekte und -ulzerationen
Hornhauterkrankungen sind in den Vereinigten Staaten
mit 41 Prozent der Fälle eine der häufigsten Indikationen zur AMT (9). Die Behandlung von Hornhautulzera
ist in der Augenheilkunde trotz verschiedener konservativer und operativer Optionen weiterhin eine große
Herausforderung (5, 20, 21). Ein intaktes Hornhautepithel ist entscheidend für die Stabilität der Augenoberfläche. Einfache Epitheldefekte heilen in der Regel
komplikationslos ab. Unbehandelt oder bei inadäquater
Therapie können rasch Hornhautulzerationen, Desze-
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metozelen und sogar Perforationen entstehen. Klinisch
wird die AM als Basalmembranersatz bei persistierenden Epitheldefekten mit und ohne Ulzeration der Hornhaut eingesetzt (5, 20). Seitz und Mitarbeiter erreichen
nach einem Beobachtungszeitraum von im Median 18
Monaten einen Epithelschluss ohne Rezidiv bei 65 Prozent der Fälle (5) (Abbildung 1). Die Erfolgsrate der
AMT kann durch weiterführende Maßnahmen, zum
Beispiel Ptosisinduktion des Oberlides durch Botulinumtoxin-Injektion oder Tarsorrhaphie, deutlich verbessert werden (5, 20). Die Reoperationsrate sinkt dann
von circa 44 auf 30 Prozent (20).
Eine Multilayer-Technik erfolgt bei der Behandlung
von tiefen Hornhautulzerationen, Deszemetozelen und
kleineren Hornhautperforationen (21, e2). So berichten
Solomon et al. bei diesen Hornhauterkrankungen in einer retrospektiven Analyse in 28 von 34 Augen (82 Prozent) über einen stabilen Wundverschluss (21). Kruse
und Mitarbeiter erzielten in einem Nachbeobachtungszeitraum von 12 Monaten in 9 von 11 Patienten mit tiefer Ulzeration der Hornhaut ebenfalls eine Stabilisierung der Hornhautoberfläche (e2). Nach erfolgter AMT
ist zur weiteren Visusrehabilitation eine sequenzielle
Hornhautverpflanzung (Keratoplastik) erforderlich.
Die Prognose verbessert sich entscheidend, wenn sich
auf der Augenoberfläche ein intaktes Oberflächenepithel gebildet hat und sich die Entzündungszeichen reduziert haben (5, 20, 21). Als Komplikationen werden
in 12 Prozent eine Verkalkung bei Verwendung von
phosphathaltigen Augentropfen und bei weniger als 1
Prozent eine Infektion beobachtet (5).
Akute Verätzungen
Ein häufiges Problem in der ophthalmologischen Akutversorgung sind Verätzungen der Augenoberfläche, bei
denen es zu einer Totalerosion der Hornhaut und zu
Gefäßabbrüchen am Limbus und in der Bindehaut
kommen kann. Die Vermeidung von Nekrosen und
Narbenbildung und eine rasche Epithelialisierung sind
vorrangige Ziele der Behandlung. Eine frühe AMT
verbessert die funktionellen Ergebnisse nach Verätzung (2, 16, 24). Milde bis moderate Verätzungen entwickelten in nur einem Fall bei zeitnaher AMT ein
Symblepharon (2, 16, 24). Tamhane und Kollegen dokumentierten in einer prospektiven, randomisierten
kontrollierten Studie, dass bei den Patienten, die in der
ersten Woche mit einer AM versorgt wurden, die Epithelschlussrate signifikant höher war. Bei schweren
Verätzungen hingegen ist die Ausbildung einer Stammzellinsuffizienz der Hornhaut mit dauerhaftem und
schwerwiegendem Verlust der Sehschärfe oftmals
nicht zu vermeiden (16, e7).
Tissue Engineering von Limbusepithel mit Hilfe der
Amnionmembran
Die Hornhautoberfläche beeinflusst die Sehkraft wesentlich, und daher ist der Erhalt eines funktionsfähigen Hornhautepithels von größter Bedeutung für das
Sehvermögen. Die epithelialen Stammzellen des
Hornhautepithels sind im Limbus lokalisiert, der die
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anatomische Brücke zwischen Bindehaut und Hornhaut bildet. Verschiedene Erkrankungen der Augenoberfläche können durch Zerstörung limbaler Stammzellen zu einer limbalen Stammzelleninsuffizienz
führen, die durch die Bildung eines fibrovaskulären
Pannusgewebes auf der Hornhautoberfläche, eine gesteigerte Blendempfindlichkeit und einen Visusverlust gekennzeichnet ist. Langzeiterfolge der Oberflächenrekonstruktion können nur durch die Wiederherstellung der limbalen Stammzellpopulation erreicht
werden (e6).
Die immer noch nicht befriedigenden Ergebnisse
der konventionellen Limbustransplantationen haben
seit vielen Jahren den Wunsch nach Stammzellen aus
der Zellkultur entstehen lassen (e6). Die Weiterentwicklung zellbiologischer Methoden, insbesondere
das sogenannte Tissue Engineering erlauben mittlerweile auch die Kultivierung von Limbusstammzellen.
Die autologe Ex-vivo-Expansion limbaler Epithelzellen auf AM ist erst kürzlich als neues Verfahren entwickelt worden (7, 25, e3–e5) (Abbildung 2). Dabei
wurden klinisch und experimentell bei unilateraler
Stammzellinsuffizienz vom gesunden Partnerauge eine 1 bis 2 mm große Biopsie am Limbus entnommen
und die Epithelzellen in vitro im Rahmen der Expansion auf AM kultiviert. Diese Ex-vivo-Expansion von
limbalen Epithelzellen ist im Vergleich zu der herkömmlichen traditionellen autologen Limbustransplantation, bei der bis zu 50 Prozent des Limbus vom
gesunden Partnerauge auf das erkrankte Auge transplantiert werden, weniger traumatisierend. Tsai und
Mitarbeiter beschrieben erstmalig mit Hilfe der AM
als Trägermembran und Kultursubstrat ihre klinischen Erfahrungen bei der Behandlung der limbalen
Stammzellinsuffizienz (25). Eine dauerhafte Wundheilung und eine gesteigerte Sehschärfe erzielten 83
KLINISCHE KERNAUSSAGEN
● Die Amnionmembran, die innerste Schicht der Plazenta,
spielt in der rekonstruktiven Chirurgie des äußeren Auges eine bedeutende Rolle.
● Die Amnionmembran besitzt biologische Eigenschaften,
die sich wundheilungsfördernd bei verschiedenen Erkrankungen des äußeren Auges auswirken.
● Die Gefrierkonservierung gewährleistet im Vergleich zu
anderen Methoden einen langfristigen Erhalt der biologischen Eigenschaften der Amnionmembran.
● Hauptindikationen der Amnionmembrantransplantation
sind Hornhautulzerationen, Defektdeckungen bei größeren Läsionen der Bindehaut und akute Verätzungen
der Augenoberfläche.
● Die Amnionmembran wird auch als Kultursubstrat und
Carrier bei der Ex-vivo-Expansion von kornealen
Stammzellen zur Behandlung der limbalen Stammzellinsuffizienz eingesetzt.
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Prozent der behandelten Patienten. Vaskularisationen
als Zeichen einer rezidivierenden Stammzellinsuffizienz traten innerhalb des beschriebenen Nachbeobachtungszeitraums nicht auf. Zahlreiche nachfolgende Publikationen mit teilweise unterschiedlichen Vorgehensweisen in der Zellzüchtung haben ebenfalls
bemerkenswerte Therapieerfolge beschrieben (7, e5).
Ein standardisiertes Verfahren liegt leider zurzeit
noch nicht vor, so dass die Vergleichbarkeit der veröffentlichten Studien erschwert ist. Weitere Nachteile sind die kleinen, teilweise heterogenen Patientengruppen und die in der Regel kurzen Nachbeobachtungszeiträume, was eine endgültige Beurteilung
dieser neuen Therapieform noch nicht ermöglicht (7,
e5, e6).
Rekonstruktion der Bindehautoberfläche
Nach Exzisionen beispielsweise eines Plattenepithelkarzinoms oder Melanoms im Bereich der Bindehaut
entstehen oft große Oberflächendefekte. Nach der
Entfernung des Tumors im Gesunden kann die Defektdeckung mit einer AM erfolgen (22, 23). Dann
können sich weitere adjuvante Maßnahmen zur Tumoreradikation, wie Radiatio oder eine lokale Chemotherapie, anschließen. Die AM fungiert in diesen
Fällen als Basalmembranersatz und fördert über die
Migration benachbarter Bindehautepithelzellen des
Empfängers eine schnelle und weitgehend narbenfreie Wundheilung (23) (Abbildung 3). Die AM ist
somit kosmetisch akzeptabler als andere Methoden,
wie die Transplantation von Mundschleimhaut, und
ihre intrinsische Transparenz ermöglicht darüber
hinaus eine sichere postoperative Tumorkontrolle
(22, 23).
Fazit
Die AMT wird in der ophthalmologischen Akutversorgung, bei der Behandlung chronischer Erkrankungen der Augenoberfläche und als neueste Entwicklung mit Hilfe des Tissue Engineering als Biomatrix
zur Behandlung schwerer Stammzellinsuffizienzen
der Augenoberfläche eingesetzt. Dem operativ tätigen Augenarzt steht dadurch ein besonders vielseitiges Instrument zur Verfügung, um erfolgreich den
Herausforderungen der Erkrankungen der Augenoberfläche zu begegnen. Kontrollierte, randomisierte,
multizentrische Langzeitstudien mit einem hohen
Fallkollektiv sind gefordert, um das in zahlreichen
Fallstudien dokumentierte klinisch relevante Potenzial der AMT in der rekonstruktiven Chirurgie der Augenoberfläche zu untermauern.
Unterstützt mit Drittmitteln der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft,
München; der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn, ME 1623/3–1, der
estnischen Forschungsgemeinschaft, Grant 5832 und der Forschungsförderung AG Trockenes Auge, Berlin, Deutschland.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 15. 12. 2008, revidierte Fassung angenommen: 11. 5. 2010
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Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Daniel Meller
Klinik für Erkrankungen des vorderen Augenabschnitts
Zentrum für Augenheilkunde
Universität Duisburg-Essen
Hufelandstraße 55
45122 Essen
SUMMARY
Amniotic Membrane Transplantation in the Human Eye
Background: Amniotic membrane transplantation (AMT) has a long tradition in ophthalmic surgery and has become very popular recently because of newly developed methods of tissue preservation.
Methods: We selectively review the literature on recent developments,
mechanisms of action, and established indications of AMT in the treatment of various diseases of the surface of the eye. We searched the
PubMed database for articles that appeared from 1994 to 2009 with
the key words “amniotic membrane,” “cornea,” and/or “conjunctiva.”
Results: Amniotic membrane (AM) can function in the eye as a basement membrane substitute or as a temporary graft. It has anti-inflammatory and anti-scarring effects and contains growth factors that promote epithelial wound healing on the surface of the eye. AMT has been
found to be a good alternative to corneal and conjunctival reconstruction in many clinical situations, including acute burns, persistent epithelial defects of the cornea, and diseases that cause conjunctival scarring. Nonetheless, there have been no more than a few randomized and
controlled trials of AMT to date. Other studies have shown that AM can
serve as a culture substrate to expand epithelial progenitor cells for use
in ocular surface reconstruction.
Conclusion: AMT is an established technique in the treatment of various
diseases of the external eye. In the last few years, AMT has brought
about major advances in the reconstructive surgery of the ocular surface.
Zitierweise
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248
@
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit1411
The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 14 | 8. April 2011
MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Amnionmembrantransplantation am
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Daniel Meller, Mikk Pauklin, Henning Thomasen, Henrike Westekemper, Klaus-Peter Steuhl
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Deutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 14 | 8. April 2011
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