Marktkonsistente Bewertung in der Lebensversicherung Simon Hochgerner Aktuarielle Analyse und Modelle Finanzmarktaufsicht Enquete Versicherungsaufsicht Wien, 7. November 2011 Intro: Der Bewertungsgedanke in Solvency II Grundsätzliches aus der Finanzmathematik Marktkonsistente Bewertung in der Lebensversicherung Zukünftige Gewinnbeteiligung: ein stochastisches Kontrollproblem Intro: Der Bewertungsgedanke in Solvency II Bewertung in Solvency II The value of technical provisions shall correspond to the current amount insurance and reinsurance undertakings would have to pay if they were to transfer their insurance and reinsurance obligations immediately to another insurance or reinsurance undertaking. I Was ist dieser current amount? Postulierte Eigenschaften des heutigen Wertes I Fair, nicht zu Marktungleichgewicht führend I Unabhängig von zukünftigen Entwicklungen (Schließungsszenario, Insiderinformation, . . . ) I Liquide und effiziente Marktannahmen widerspiegeln I Marktkonsistent [RRL, Art. 76(3)] Marktkonsistente Bewertung von Versicherungsprodukten soll also analog zur Bepreisung von Finanzderivaten funktionieren. LV0 Sei S ein Index mit Entwicklung S1 = 26 mit p1 = 50% ll lll lll l l lll S0 = 1 Q QQ QQQ QQQ QQQ Q( S1 = 1 2 Garantiesumme = 1; qx = 0; r = 0. mit p2 = 50% I Was ist der Wert dieser Versicherung zum Zeitpunkt t = 0? Grundlegende Idee Beschreibe das Versicherungsprodukt mit Finanzinstrumenten. I LV0 = S + PutS (1, t = 1). I Der heutige Wert von S ist S0 = 1. I Der heutige Wert der Put Option ist Preist=0 PutS (strike = 1, t = 1) = 0 · 50% + 1 2 · 50% = 14 ? Arbitrage-freier Preis Der ökonomisch richtige Preis der Put Option ist Preist=0 PutS (strike = 1, t = 1) = 1 3 Alle anderen Preise führen zu Arbitrage Möglichkeiten. I Der marktkonsistente Preis von LV0 ist 1+ 1 3 = 34 . Grundsätzliches aus der Finanzmathematik I No arbitrage I Das binomische Modell I Die Martingal Methode I Black-Scholes No arbitrage I Ein Finanzmathematiker findet 100 e auf der Straße. Natürlich hebt er sie nicht auf. Er argumentiert, dass die 100 e nicht real sein können, denn sonst wäre ja eine Arbitrage Möglichkeit gegeben. (Scherz aus [DS2008]) I Eine Arbitrage Möglichkeit bedeutet den potentiellen Gewinn bei Ausschluss von Verlustrisiko und ohne Einsatz von Eigenkapital. I Absenz von Arbitrage wird mit Markteffizienz erklärt: Gäbe es die 100 e, dann hätte sie schon wer anderer mitgenommen. Das binomische Modell Sei S wie zuvor: S1 = 26 mit p1 = 50% ll lll lll l l lll S0 = 1 Q QQQ QQQ QQQ QQQ ( S1 = 12 mit p2 = 50% Replikation Zur Bestimmung des Arbitrage-freien Preises von P := PutS strike = 1, mat = 1 bilden wir ein replizierendes Portfolio (bt = 1): Pt = αbt + βSt . Es gilt daher, dass 0 = α + 2β und 1 2 = α + 12 β und folglich P0 = α + β = 13 . Die Risiko-neutrale Welt I Warum entspricht der Preis der Option nicht dem Erwartungswert des Gewinns? S0 = 1 6= E [S1 ] = 2 · 50% + 1 2 · 50% = 5 4 Stellen wir uns eine Welt vor, in der gilt, dass S0 = 1 = EQ [S1 ] = 2 · q + 1 2 · (1 − q) d.h. q = 31 . 1 3 + Dann folgt auch P0 = EQ [P1 ] = 0 · 1 2 · 2 3 = 31 . I Diese Beobachtung ist kein Zufall, sondern folgt aus einem allgemeineren Prinzip. Die Martingal Methode Betrachte den Black-Scholes Markt σ2 bt , St = b0 e rt , S0 e (µ− 2 )t+σWt 0 ≤ t ≤ T. Dann gibt es genau ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q, sodass St ein Q-Martingal ist. Der Arbitrage-freie Preis einer Europäischen Option ist der diskontierte Erwartungswert unter Q: P0 = e −rT EQ [PT ] Das Black-Scholes Modell Der Asset Preis St folgt geometrischer Brown’scher Bewegung, St = e (µ− σ2 )t+σWt 2 , 0 ≤ t ≤ T (µ = 1, σ = 0.02): Black-Scholes PDE, Nobel Preis 1997 Sei f (ST ) eine europäische Option. Z.B. f (s) = max(K − s, 0). Definiere p(t, s) := Preis der Option zum Zeitpunkt t, gegeben dass S(t) = s. Dann erfüllt p die Black-Scholes PDE pt + rsps + σ2 2 2 s pss − rp = 0, 0≤t≤T und ist mit der Randbedingung p(T , s) = f (s) eindeutig charakterisiert. Der Arbitrage-freie Preis einer europäischen Option kann also folgendermaßen bestimmt werden: I Binomisches Modell. I e −rT EQ [f (ST )] – Martingal Methode. I p(0, S0 ) – Black-Scholes. I Analytische Formeln. Exotische Produkte Die Bewertung von exotischen (Zeit-, Pfad-,. . . abhängigen) Optionen kann deutlich komplexer sein. Marktkonsistente Bewertung in der Lebensversicherung LV1 t 0 1 2 3 4 5 Prämie −l0 π −l1 π −l2 π −l3 π −l4 π EL RK AL EL5 s0 π 2s1 π 3s2 π 4s3 π 5s4 π d0 K max{S1 , (1 + i)} d1 K max{S2 , (1 + i)2 } d2 K max{S3 , (1 + i)3 } d3 K max{S4 , (1 + i)4 } d4 K max{S5 , (1 + i)5 } K ist die Versicherungssumme lt − dt − st = lt+1 EL5 = l5 K max{S5 , (1 + i)5 } Bewertungsschema (1) Finde Basis von geeigneten Finanzinstrumenten. (2) Drücke das Produkt in dieser Basis aus. (3) Der korrekte Preis ergibt sich aus der entsprechenden Bewertung. (Finanzmathematisches Problem) Das versicherungstechnische Risiko ergibt sich aus der Variation der Koeffizienten (Rechnungsgrundlagen 2ter Ordnung). Koeffizient Ci −l0 π (−l1 + ss )π (−l2 + 2s1 )π (−l3 + 3s2 )π (−l4 + 4s3 )π 5s4 π P4 (l5 + i=0 di )K d0 K d1 K d2 K d3 K (l5 + d4 )K Basiselement Bi Z0 Z1 Z2 Z3 Z4 Z5 S PutS ((1 + i)1 , 1) PutS ((1 + i)2 , 2) PutS ((1 + i)3 , 3) PutS ((1 + i)4 , 4) PutS ((1 + i)5 , 5) Valuation Portfolio (VaPo) LV1 = VaPo = X Ci Bi I Die Bewertung von LV1 folgt nun der Wahl eines Accounting Prinzips. I Der marktkonsistente Ansatz entspricht dem ökonomischen no-arbitrage Prinzip: X Q[LV1] = E[VaPo] = Ci E[Bi ] Der (faire) Preis π als Funktion von (gestresster) Mortalität und (gestresstem) Storno. K = 10000, l0 = 1000, etc. =⇒ π(1, 1) = 2150.90 Zukünftige Gewinnbeteiligung: ein stochastisches Kontrollproblem Produkt: LV2 LV2 ist eine indexgebundene Erlebensversicherung mit . . . I Jährlicher Prämienzahlung I Mindestzinsgarantie: Jährliche Mindestzinsrate r = 0.0205 I Gewinnbeteiligung als jährlichem Zinsaufschlag: µ · max St /St−1 − 1 − r , 0 wobei 0.85 ≤ µ ≤ 1 I Ablebensschutz: Im Ablebensfall werden die eingezahlten Raten inklusive Mindestzins ausgezahlt. I Storno Option: Bei Storno werden die eingezahlten Raten inklusive Mindestzins ausgezahlt. Gewinn- und Risiko-komponente für das VU I Jährlicher Zinsertrag 1 − µ · max St /St−1 − 1 − r , 0 wobei 0 ≤ µ ≤ 1 I Ein Teil der Zinsgarantie wird vom VU getragen: −δ · 1{St /St−1 −1−r <0} wobei δ = 0.0005 D.h., das VU kann bei steigenden Kursen einen anteiligen Gewinn machen, hat aber bei Kursverlust einen sicheren Verlust. µ entspricht der Managementregel. Probleme bei der Bewertung I Der Ertrag von LV2 hängt von der Wahl von µ ab. I Wie sieht diese Abhängigkeit im Detail aus? I Nach welchen Kriterien soll µ gewählt werden? I Wie findet sich dann jenes µ, das den festgesetzten Kriterien entspricht? I Lässt sich die Bewertung dann auf ein entsprechendes Problem der Finanzmathematik reduzieren? Mögliche Antworten (1) Bestimme das Stornoverhalten als Funktion von µ etc. (2) Wähle µ = µ∗ , sodass der Ertrag für das VU optimiert wird. (Managementregel) (3) Finde µ∗ . (4) Bewerte LV2(µ∗ ) mit entsprechenden Methoden aus der Finanzmathematik. t TR VU 0 TR0 = l0 π 0 1 TR1 VU1 2 TR2 VU2 3 TR3 VU3 TRt = ρt (µ, St /St−1 ) · TRt−1 + lt π − 4 TR4 VU4 t X 5 TR5 − l5 π VU5 (ds + ss )(1 + r )s π s=0 VUt = η(µ, St /St−1 ) · TRt−1 wobei t ≥ 1, ρ die Kapitalverzinsung darstellt und η positiv oder negativ sein kann. Annahmen I Die Stornorate hängt linear von der Managementregel µ ab. I Sie Sterblichkeitsrate ist konstant q = 0.005. I π = 1. Managementregel I Maximiere den payoff µ V (0) := E 5 hX t=0 i VUt (µ) . Simulation von V µ ∗ V µ = 3.93 und µ∗ = 0.92 Marktkonsistente Bewertung von LV2 I Wähle µ = µ∗ = 0.92. I Bewerte analog zu LV1. Frage Ist die konstante Strategie µ = µ∗ wirklich optimal? Stochastische optimale Kontrolltheorie Das dynamic programming principle liefert eine Strategie, die zu jedem Zeitpunkt optimal ist. Dynamic programming principle, Bellman Gleichung Sei Vtµ (x) := E 5 h X VUµs VUµ5−t =x i s=5−t und Vt (x) := V5 (x) = supµ(.)∈M Vtµ (x). sup Dann gilt n h io r (x, µ) + E V5−1 (V5−1 (f (x, µ, Y ))) . µ∈[0.85,1] I D.h.: Maximiere heutigen plus zukünftig erwarteten Ertrag. I Wenn ich das für all t mache, ist die Strategie optimal. Kontinuirliche Version: Hamilton-Jacobi-Bellman Gleichung I In vielen Fällen kann das Maximieren des Erwartungswertes des Profits auf das Maximieren einer assoziierten R-wertigen Funktion reduziert werden. I Siehe: H. Schmidli, Stochastic control in insurance, Springer 2008. Karl Borch, Norwegischer Aktuar, Vortrag 1967 The theory of control processes seems to be taylor made for the problems which actuaries have struggled to formulate for more than a century. It may be interesting and useful to meditate a little how the theory would have developed if actuaries and engineers had realized that they were studying the same problems and joined forces over 50 years ago. Literatur I Directive 2009/138/EC, 25 November 2009, (Solvency II). I H. Schmidli, Stochastic control in insurance, Springer 2008. I M. Wüthrich et al., Market consistent actuarial valuation, 2nd Ed., Springer 2010.