Physikpraktikum für Pharmazeuten Universität Regensburg Fakultät Physik 4. Versuch: Atwoodsche Fallmaschine 1 Einführung Wir setzen die Untersuchung der beschleunigten Bewegung in diesem Versuch fort. Das einfachste (und häufigste) Beispiel beschleunigter Bewegung ist der freie Fall von Objekten, welcher durch die Gravitation der Erde verursacht wird. Der Fall eines Objektes aus einer (in den Laborraum) passenden Höhe ist ziemlich schnell und kann daher nicht bequem gemessen werden. Aufgrund der typischen menschlichen Reaktionszeit wäre der Fehler in der Zeitmessung recht groß. Im letzten Versuch haben wir eine periodische Bewegung behandelt. Wir zählten mehrere Schwingungen ab und nutzen den Trick, dass für eine Serie von zehn Oszillationen der Fehler der gleiche wie für eine einzelne ist und sich daher der Fehler pro Oszillation um den Faktor zehn reduziert. Da wir in diesem Versuch keine periodische Bewegung haben, müssen wir einen anderen Trick benutzen. Die Atwoodsche Maschine ist ein Flaschenzug mit zwei im Gleichgewicht befindlichen Gewichten. Wenn wir ein zusätzliches Gewicht an einem der beiden anbringen, verliert das System sein Gleichgewicht und die schwerere Seite beginnt sehr langsam zu fallen. Sehr langsam ist das Schlüsselwort: bei einer solch langsamen Geschwindigkeit erlaubt Ihre typische Reaktionszeit die Messung der Zeit des freien Falls mit einem akzeptablen relativen Fehler. Wie für den letzten Versuch, wird es Ihnen am Ende des Experiments möglich sein, die Konstante g zu messen. Die Atwoodsche Maschine erlaubt es uns den Umgang mit einem System von Kräften zu studieren und dabei das F=ma Gesetz zu nutzen um die resultierende Beschleunigung zu verringern. Wie für Versuch 3 ist es auch diesmal wichtig, dass Sie sich daran erinnern, was wir über Fehler und ihre Fortpflanzung gelernt haben. Wir laden Sie daher ein die Notizen zu Versuch 1 zu lesen bevor Sie dieses Experiment vorbereiten. 2 2 Theorie 2.1 Bewegung mit konstanter Beschleunigung Die Bewegungsgleichung eines sich geradlinig, beschleunigenden Körpers kann durch die Beschleunigung a als zweite Ableitung des Ortes x nach der Zeit t betrachtet werden, da im vorliegenden Fall die Beschleunigung als konstant angenommen wird (die Geschwindigkeit v ist die erste Ableitung des Weges x nach der Zeit t) 1 : a= dv d2 x = 2 = const. dt dt (2.1) Diese Gleichung lässt sich integrieren, da die Beschleunigung nicht von der Zeit abhängig ist: Z Z adt = dv dt → v(t) = at + v0 . dt (2.2) Hier ist v(t) die Geschwindigkeit des Massenpunktes zu einer bestimmten Zeit t und v0 ist die Anfangsgeschwindigkeit, die der Körper beim Start t = 0 besitzt. Nochmaliges Integrieren nach der Zeit t liefert den gewünschten Zusammenhang zwischen dem Ort x und der Zeit t: Z x(t) = Z vdt = 1 (at + v0 )dt → x(t) = at2 + v0 t + x0 , 2 (2.3) wobei x0 den zurückgelegten Weg zur Startzeit t = 0 beschreibt. Wählt man als Anfangsbedingungen zur Zeit t = 0 s, x0 = 0 m und v0 = 0 m/s, sprich einen ruhenden Körper am Ursprungspunkt, so vereinfacht sich Gleichung 2.3 zu: 1 x(t) = at2 . 2 (2.4) Diese Formel beschreibt eine quadratische Abhängigkeit zwischen dem Weg x und der Zeit t. Der zurückgelegte Weg nimmt somit quadratisch mit der Zeit zu, sofern die Beschleunigung a konstant bleibt. 1 Oft werden die Ableitungen des Weges nach der Zeit mit Tüpfeln dargestellt, wie z.B. ẋ ≡ 2 ẍ ≡ ddt2x , etc. 3 dx dt oder 2.2 Der freie Fall Das einfachste Beispiel einer linearen Beschleunigung ist der freie Fall eines Objekts. Wenn wir ein Objekt auf der Erde frei lassen, ist die einzige relevante Kraft, welche auf dessen Masse wirkt, die Gewichtskraft G, die mit der Proportionalitätskonstante g proportional zu seiner Masse m ist: G = mg. Durch die Nutzung des zweiten Newtonschen Gesetzes erhält man die Beschleunigung: F~ = m~a (2.5) Die Pfeile erinnern uns daran, dass wir es mit Vektoren zu tun haben. Für die heutige Analyse brauchen wir den Vektorcharakter allerdings nicht beachten: alle Bewegungen finden entlang einer trivialen Richtung (der vertikalen) statt. Daher müssen wir nur entscheiden, welche die positive Richtung ist und alle Vektoren werden zu algebraischen Summen. Wir legen fest, dass „nach unten“ die positive Richtung ist, wodurch die obige Gleichung zu G = mg = ma ⇒ a = g (2.6) wird (die Kraft F ist jetzt G = mg). Das heißt, die Beschleunigung ist konstant und beträgt 9,81 m/s2 . Da wir eine anfangs ruhende Bewegung (d.h. Anfangsgeschwindigkeit ist null: v0 = 0), die bei t0 = 0 startet, betrachten, wird die Bewegungsgleichung zu (siehe Gleichung 2.4)2 : 1 x(t) = gt2 2 2 (2.7) Wir haben in unseren Überlegungen die Luftreibung nicht beachtet. Da diese sehr klein ist, können wir sie vernachlässigen. 4 2.3 Die Atwoodsche Fallmaschine Über eine leicht drehbare Rolle sind zwei Körper mit einer Masse M an einer Schnur befestigt. Das Massensystem befindet sich im Gleichgewicht und bewegt sich nicht, da die Drehmomente an der Achse der Rolle auf beiden Seiten gleich groß sind. Erst unter dem Einfluss einer kleineren Zusatzmasse m setzt sich das System in Bewegung. Da die große Masse M vom Gewicht der kleinen Masse m mit beschleunigt werden muss, ist der Beschleunigung viel geringer als beim freien Fall. Die Atwoodsche Fallmaschine bietet daher die Möglichkeit, den verlangsamten Bewegungsablauf des freien Falls zu untersuchen. Die wirkenden Kräfte bei der Atwoodschen Fallmaschine können in Abbildung 2.1 veranschaulicht werden. Das 2. Newtonsche Gesetz kann hier ebenfalls angewendet werden. Das Kräftegleichgewicht lässt sich für die beteiligten Massen aus der Differentialgleichung aufstellen 3 : (m + M )g − M g = (2M + m)a (2.11) Die linke Seite der Gleichung beschreibt die beschleunigende Kraft mg der Erdanziehung, die durch die kleine Masse m verursacht wird. Die großen Massen M lassen sich kürzen. Die rechte Seite beinhaltet alle beschleunigten Massen im kompletten System. Die Beschleunigung kann durch Umstellen der Formel 2.11 berechnet werden: a= m g. m + 2M (2.12) Im Gegensatz zum freien Fall ist hier die Beschleunigung um einen Faktor m/(m + 2M ) verringert und insbesondere von der Masse M abhängig. 3 Für jede Seite der Maschine wird ein Kräftegleichgewicht aufgestellt, das schließlich voneinander abgezogen wird: (1) (m + M )ẍ1 = G1 − FSp = (m + M )g − FSp (2) M ẍ2 = G2 − FSp = M g − FSp (1) − (2) → (m + M )g − M g = (2M + m)a, mit ẍ1 = −ẍ2 und |ẍ1 | = |ẍ2 | ≡ a 5 (2.8) (2.9) (2.10) 𝑥1 𝐹Sp 𝑥2 𝐹Sp m M M 𝐺1 𝐺2 𝐱 Abbildung 2.1: Die wirkenden Kräfte bei der Atwoodschen Fallmaschine. Wir haben arbiträr entschieden, dass die positive Richtung des Weges nach unten ist. 6 3 Versuchsdurchführung 3.1 Aufgaben 3.1.1 Graphische Darstellung der Zeitdiagramme Die Graphen sollen alle die Zeit t auf der x-Achse beinhalten und übereinanderliegen, um die Unterschiede der verschiedenen Größen gut darstellen zu können. • Skizzieren Sie qualitativ per Hand den Verlauf der Beschleunigung a, der Geschwindigkeit v und des zurückgelegten Weges x als Funktion der Zeit t für den freien Fall. • Diskutieren Sie kurz die wesentlichen Unterschiede. 3.1.2 Das Weg-Zeit-Gesetz Prüfen Sie experimentell die Richtigkeit des Weg-Zeit-Gesetzes (Gl. 2.4) 1 x = at2 2 (3.1) für den verlangsamten, „freien Fall“ der Massen der Atwoodschen Maschine. Für die Zeitmessung kann die Stoppuhr oder das Handy verwendet werden. • Messen Sie für die konstant beschleunigende Masse m 10 mal die Zeit t für eine zurückgelegte Wegstrecke x von 0.1 m. Wiederholen Sie dies in 10 cm Schritten bis zu einer Länge von 1.0 m. Der Mittelwert der jeweiligen 10 Zeitmessungen dient als Messwert für eine Länge, die zugehörige Standardabweichung als Fehler. Für die Graphen tragen Sie den Weg x auf der y-Achse und die Zeit t bzw. t2 auf der x-Achse ein. In Qti-Plot können Sie die Achsen mithilfe eines Rechtsklicks auf die oberste Spalte mit „Setzen als“ ändern. Um die Spaltenwerte zu Quadrieren fügen Sie eine neue Spalte hinzu und rufen die Funktion „Spaltenwerte setzen“ auf. Der daraus entstehende Graph zeigt einen linearen Zusammenhang. Die Steigung inklusive Fehler kann mithilfe der Funktion „linear fit“ bestimmt werden. • Bestimmen Sie aus der Zeichnung die Beschleunigung a. Erstellen Sie dazu einen Graphen, indem Sie die Werte für t2 auf der Abszisse (horizontale oder x-Achse) und die für die Wegstrecke x auf der Ordinate (vertikale oder y-Achse) auftragen. Fügen Sie mit QTI-Plot einen linearen Fit hinzu. Als Grundlage des Fits dient QTI dazu die Geradengleichung y = Ax + c. Die Steigung der Fit-Geraden A entspricht somit A = a/2, was man am Vergleich mit der obigen Formel 3.1 sieht. 7 • Berechnen Sie für jede Wegstrecke x die Beschleunigung a direkt aus der Zeitmessung. Nutzen Sie dazu die Formel: a = 2x/t2 . Berechnen Sie auch den Fehler von a. Dies ist möglich, da Sie die Fehler von x (Breite der Linie, ca. 1 cm) und t (Standardabweichung) kennen. Der relative Fehler der Beschleunigung a ist nach den Regeln aus Versuch 1 gegeben als: x + 2 · t . Der Fehler von a ist: ∆a = a · a. Zeichnen Sie mit QTI-Plot ein Weg-Beschleunigung-Diagramm. Tragen Sie hierzu die Werte von x auf der Abszisse und die von a auf der Ordinate an. Fügen Sie auch die Fehler von a ein. Erstellen Sie dazu eine neue Spalte mit den Fehlern und definieren Sie diese (Funktion Setzen als) als y-Fehler. Ist die Streuung der Datenpunkte vergleichbar mit der Standardabweichung? Wo liegt der Wert von a aus dem vorherigen Punkt in diesem Graphen? Sind die Werte vergleichbar? Bitte kommentieren Sie diese Fragen in Ihrem Protokoll. 3.1.3 Die Beschleunigung von unterschiedlichen Massen In der folgenden Aufgabe sollen Sie Beschleunigung a als Funktion der Masse m untersuchen. Hierfür genügt es, die Fallzeit t bei einer festen Wegstrecke, z.B. x = 50 cm, zu messen. Der Weg x muss dabei nur stets gleich lang sein. • Messen Sie für unterschiedlich schwere Massen m die jeweilige Zeit t. Es genügt jeweils eine korrekte Messung. • Berechnen Sie die jeweilige Beschleunigung a (von l = 21 at2 → a = 2l ). t2 • Zeichnen Sie einen Graphen, bei dem die x-Achse der Masse m und die y-Achse der Beschleunigung a zugeordnet ist. • Stimmt der Befund mit dem theoretischen Zusammenhang (Abb. 3.1) überein? Um dies zu überprüfen, erstellen Sie einen Graphen in den Sie zu jedem Wert der zugefügten Masse m den gemessen und den erwarteten Wert von a eintragen. Kommentieren Sie den Graphen mit Hilfe der Gl. 2.12. • Wie groß ist a, wenn m gegen unendlich geht (Grenzfall)? 8 Beschleunigung VS m (theoretische Werte für 2M =1470 g) 1.6 Beschleunigung a [m/s2] 1.4 1.2 1 0.8 0.6 0.4 0.2 0 0 50 100 150 200 250 300 kleine Masse m [g] Abbildung 3.1: So sollte die Abhängigkeit der Beschleunigung a als Funktion der kleinen Masse m für M = 735 g (2M = 1470 g) aussehen, wenn man die Gleichung 2.12 benutzt. Haben Sie eine ähnliche Kurve erlangt? Wenn nicht, warum? Anmerkung zur Fehlerrechnung für die Erdbeschleunigung g Aus der Formel für den Zusammenhang zwischen Wegstrecke und (durch die Atwoodsche Fallmaschine verlangsamte) Beschleunigung x= 1 m gT 2 2 (2M + m) (3.2) folgt 2x(2M + m) (3.3) mT 2 Dazu sollte eine Fehlerrechnung erstellt werden. Dabei muss beachtet werden, dass in der Klammer im Zähler (2M+m) eine Summe auftaucht. Hier müssen deswegen die absoluten Fehler addiert werden (siehe Regeln zur Fehlerfortpflanzung, Versuch 1). Anschließend kann ein relativer Fehler für die Größe (2M+m) ermittelt werden: g= ∆(M + m) = |∆(M )| + |∆(m)| (M + m) = |∆(M + m)| M +m 9 (3.4) (3.5) Dieser kann nun nach den Regeln der Fehlerfortpflanzung für Produkte und Divisionen mit den anderen relativen Fehlern zusammengezählt werden um den relativen Fehler von g zu bestimmen: (g) = (x) + (M + m) + (m) + 2 · (T ) (3.6) Zahlenbeispiel Die angegebenen Zahlen sind willkürlich zur Veranschaulichung gewählt und entsprechen keinen gemessen Werten/Größen. Messgröße Länge x Masse M Masse m Zeit T Wert 50 cm 1000 g 50 g 2,05 s abs. Fehler 1 cm 1g 1g 0,05 s rel. Fehler 0,02 0,001 0,02 0,024 ⇒ (g) = (x) + (M + m) + (m) + 2 · (T ) = 0, 02 + 0, 001 + 0, 02 + 2 · 0, 024 = 0, 089 ⇒ ∆(g) = g · (g) = 9, 81 m/s2 · 0, 089 = 0, 873 m/s2 → (Runden) 0, 9 m/s2 ⇒ g = 9, 8 m/s2 ± 0, 9 m/s2 10 (3.7)