Einführung in die Topologie

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EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
BERNHARD HANKE
1. Metrische Räume und topologische Räume
Definition. Ein metrischer Raum ist ein Paar (X, d) bestehend aus einer
Menge X und einer Abbildung
d : X × X → R≥0
mit den folgenden Eigenschaften: Für alle x, y, z ∈ X gilt
• d(x, y) = d(y, x),
• d(x, y) = 0 ⇔ x = y,
• d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z).
Wichtige Beispiele sind der euklidische Raum (Rn , d) mit der euklidischen
Metrik d(x, y) := kx − yk oder auch Funktionenräume wie (C([0, 1], R), d),
die Menge der stetigen Abbildungen [0, 1] → R versehen mit der Metrik
d(f, g) := max |f (t) − g(t)| .
t∈[0,1]
Ist (X, d) ein metrischer Raum, so trägt jede Teilmenge A ⊂ X eine (durch
Einschränkung von d gegebene) induzierte Metrik.
In metrischen Räumen kann das Konzept einer stetigen Funktion bekanntlich mittels des − δ-Kriteriums definiert werden:
Definition. Es seien (X, dX ), (Y, dY ) metrische Räume. Eine Abbildung
f : X → Y heißt stetig, falls für jedes x ∈ X und jedes > 0 ein (in der
Regel von x abhängiges) δ > 0 existiert mit
dX (x, x0 ) < δ ⇒ dY (f (x0 ), f (x)) < .
In der Analysis beweist man viele nützliche Sätze für auf Teilmengen von
R definierte stetige reellwertige Funktionen. Als Beispiel verweisen wir auf
den Zwischenwertsatz oder die Tatsache, dass jede auf einem beschränkten
abgeschlossenen Intervall I ⊂ R definierte stetige Funktion I → R ihr Maximum und Minimum annimmt. Wir werden unter anderem diese Tatsachen
im abstrakteren topologischen Rahmen wiederfinden.
Ist (X, d) ein metrischer Raum und x ∈ X, so definieren wir für alle > 0
die offene Kugel um x mit Radius B (x) := {p ∈ X | d(p, x) < } .
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Definition. Eine Teilmenge U ⊂ X eines metrischen Raumes heißt offen,
falls für alle x ∈ U ein > 0 existiert mit
B (x) ⊂ U .
Man beweist nun
Proposition 1.1. Eine Abbildung X → Y zwischen metrischen Räumen ist
genau dann stetig, falls für alle offenen Teilmengen U ⊂ Y das Urbild
f −1 (U ) ⊂ X
offen ist.
Diese Tatsache motiviert, den Begriff der Stetigkeit abstrakter zu fassen
und alleine auf den Begriff der offenen Teilmengen abzustellen.
Definition. Ein topologischer Raum ist ein Paar (X, T ) bestehend aus einer
Menge X und einer Menge T ⊂ P(X) von Teilmengen von X mit den
folgenden Eigenschaften.
• ∅ ∈ T ,X ∈ T ,
• U, V ∈ T ⇒
S U ∩V ∈T,
• S ⊂ T ⇒ U ∈S U ∈ T .
Die Elemente von T werden offene Teilmengen von X genannt. Eine Teilmenge A ⊂ X heißt abgeschlossen, falls X \ A offen ist. Ist X ein topologischer Raum und x ∈ X, so nennen wir eine Teilmenge Y ⊂ X eine
Umgebung von x, falls es eine offene Teilmenge U ⊂ X mit x ∈ U ⊂ Y gibt.
Das zweite obige Axiom besagt, dass der Schnitt endlich vieler offener
Teilmengen wieder offen ist und das dritte Axiom, dass die Vereinigung
beliebig vieler offener Teilmengen wieder offen ist.
Man kann leicht zeigen dass die Menge der offenen Teilmengen in einem
metrischen Raum (X, d) eine Topologie im obigen Sinne bilden. Wir nennen
diese die von der Metrik induzierte Topologie. Umgekehrt kann man fragen,
ob auf einem gegebenen topologischen Raum (X, T ) eine Metrik existiert,
so dass die induzierte Topologie mit T übereinstimmt. Falls dies der Fall
ist, so nennen wir den topologischen Raum (X, T ) metrisierbar. Allerdings
ist nicht jeder topologische Raum ist metrisierbar - wir werden in Kürze ein
notwendiges Kriterium für Metrisierbarkeit kennenlernen.
Definition. Es sei (X, T ) ein topologischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge. Die Menge der Schnitte U ∩ A ⊂ A, wobei U ⊂ X offen ist, bildet eine
Topologie auf A, die Unterraumtopologie, oder von T induzierte Topologie.
Eine Teilmenge V ⊂ A ist also genau dann offen (abgeschlossen) bezüglich
der Unterraumtopologie, falls es eine offene (abgeschlossene) Menge U ⊂ X
gibt mit U ∩ A = V . Falls X ein metrischer Raum ist und A ⊂ X, so
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stimmt die Unterraumtopologie auf A mit der Topologie überein, die von A
als metrischem Raum (mit der Metrik von X) induziert ist.
Man kann auf einer gegebenen Menge X zahlreiche Topologien angeben
- die meisten davon sind eher künstlich und unnütz. Zwei extreme Spezialfälle sind die der diskreten Topologie, bei der jede Teilmenge von X als
offen erklärt wird und die Klumpentopologie mit T = {∅, X}. Die diskrete
Topologie ist übrigens immer metrisierbar - die entsprechende Metrik wird
durch
0 , falls x = y ,
d(x, y) =
1 , falls x 6= y
definiert.
Der Begriff des topologischen Raumes ist gerade deshalb so nützlich, weil
er in ganz verschiedenen mathematischen Kontexten auftritt und daher
Sätze, die wir für topologische Räume beweisen, in der Regel eine breite
Anwendung finden.
Definition. Ein topologischer Raum X heißt Hausdorffsch, falls für alle
x, y ∈ X mit x 6= y eine Umgebung Ux von x und eine Umgebung Uy von y
existiert mit Ux ∩ Uy = ∅.
Falls X mehr als einen Punkt enthält, so ist die Klumpentopologie nicht
Hausdorffsch. Damit ist diese auch nicht metrisierbar, denn es gilt
Proposition 1.2. Jeder metrisierbare topologische Raum ist Hausdorffsch.
Proof. Sind x, y ∈ X zwei verschiedene Punkte, so setze d := d(x, y). Die offenen Kugeln um x und y mit Radius d/2 sind nach der Dreiecksungleichung
disjunkt.
Später in der Vorlesung werden wir auch hinreichende Bedingungen für
die Metrisierbarkeit eines topologischen Raumes kennenlernen.
Wir können nun den Stetigkeitsbegriff von metrischen Räumen auf allgemeine topologische Räume verallgemeinern.
Definition. Es seien X und Y topologische Räume. Eine Abbildung f :
X → Y heißt stetig falls für jede offene Menge U ⊂ Y das Urbild
f −1 (U ) ⊂ X
wieder offen ist. Eine bijektive stetige Abbildung f : X → Y mit stetiger Inverser f −1 : Y → X heißt Homöomorphismus. Sind X und Y homöomorph,
so schreiben wir auch X ≈ Y .
Ist X ein topologischer Raum, A ⊂ X eine Teilmenge und f : X → Y stetig, so ist die Einschränkung f |A : A → X ebenfalls stetig. Die Komposition
stetiger Abbildungen ist stetig.
Es ist leicht, Beispiele für stetige, bijektive Abbildungen anzugeben, die
keine Homöomorphismen sind. Die Homömorphismen spielen in der Topologie die gleiche Rolle wie die linearen Isomorphismen in der linearen Algebra,
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die biholomorphen Abbildungen in der Funktionentheorie, die Gruppenisomorphismen in der Gruppentheorie, die Isometrien in der Riemannschen
Geomtrie, etc. Eines der Grundprobleme der Topologie lässt sich wie folgt
formulieren: Es seien topologische Räume X und Y gegeben. Entwickle Methoden, die es erlauben zu entscheiden, ob X und Y homöomorph sind oder
nicht.
Insbesondere die algebraische Topologie entwickelt effektive Methoden,
diese Frage zu entscheiden. Ein prominentes Resultat in diese Richtung lautet:
Satz 1.3. Für n 6= m sind die topologischen Räume Rn und Rm (mit der von
den von den jeweiligen Metriken induzierten Topologien) nicht homöomorph.
In dieser Vorlesung werden wir diesen Satz für n = 2 zeigen. Im Zusammenhang mit topologischen Räumen müssen wir noch einige Vokabeln
einführen.
Sind T und T 0 Topologien auf einem Raum X und gilt T ⊂ T 0 , d.h. jede
bzgl. T offene Teilmenge ist auch offen bzgl. T 0 , so nennen wir T gröber als
T und T 0 feiner als T . Damit ist die Klumpentopologie die gröbste und die
diskrete Topologie die feinste Topologie auf X.
Definition. Es sei (X, T ) ein topologischer Raum. Eine Menge B ⊂ T von
offenen Teilmengen von X heißt Basis der Topologie, falls jede offene Menge
U ∈ T Vereinigung von Mengen aus B ist. Wir nennen B ⊂ T eine Subbbasis
der Topologie, falls jede offene Menge U ∈ T Vereinigung von Mengen ist,
von denen jede Schnitt endlich vieler Mengen aus B ist.
Sind X und Y topologische Räume, f : X → Y eine Abbildung und B eine
Subbasis der Topologie auf Y , so ist f genau dann stetig, falls f −1 (U ) ⊂ X
offen ist für alle U ∈ B.
In jedem metrischen Raum bilden die offenen Kugeln eine Basis der von
der Metrik induzierten Topologie. Wir können uns im Rn sogar auf die Kugeln mit rationalen Mittelpunkten und rationalen Radien beschränken. Damit hat die Standardtopologie auf Rn sogar eine abzählbare Basis.
Ist X eine Menge (zunächst ohne Topologie), so ist nicht jede Menge
B ⊂ P(X) Basis einer Topologie auf X (denn B muss nicht abgeschlossen
unter endlichen Schnitten sein). Jedoch ist B auf jeden Fall Subbasis einer
Topologie T von X, die wir die von B erzeugte Topologie nennen wollen.
Die Elemente von T sind genau die Teilmengen von X, die sich als Vereinigung von Mengen schreiben lassen, von denen jede endlicher Schnitt von in
B enthaltenen Teilmengen von X ist. Man überlegt sich leicht, dass die Gesamtheit all der so gebildeten Teilmengen von X tatsächlich eine Topologie
auf X bildet und dass es keine gröbere Topologie T gibt mit B ⊂ T .
Sind X und Y topologische Räume, so ist die Produktopologie auf X × Y
die Topologie, die von allen Streifen“ U × Y und X × V erzeugt wird, wobei
”
U offen in X und V offen in Y ist. Die Rechtecke“ U × V ⊂ X × Y bilden
”
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eine Basis der Produkttopologie, da der Schnitt endlich vieler Rechtecke
wieder ein Rechteck ist. Direkt aus der Konstruktion folgt:
Proposition 1.4. Die Produkttopologie auf X × Y hat die folgenden Eigenschaften:
• Die Projektionen πX : X × Y → X und πY : X × Y → Y sind stetig.
• Ist T eine gröbere Topologie auf X × Y als die Produkttopologie, so
sind die Projektionen X ×Y → X und X ×Y → Y nicht beide stetig.
Mit anderen Worten: Die Produkttopologie ist die gröbste Topologie auf X ×
Y so dass beide Projektionen auf die Faktoren stetig sind.
Ist eine Familie (Xi )i∈I von topologischen Räumen gegeben (I ist hier
eineQ
beliebige Indexmenge), so gibt es analog genau eine gröbste Topologie
auf i∈I so dass alle Projektionen
Y
Xi → Xi
i
Q
stetig sind. Diese wird Produkttopologie auf i Xi genannt. Eine Basis dieser
Topologie ist durch Teilmengen der Form
Y
Y
Xi ×
Ui
i∈I\I0
i∈I0
gegeben, wobei I0 ⊂ I eine endliche Teilmenge ist und Ui ⊂ Xi eine offene
Teilmenge für i ∈ I0 .
Gewissermaßen dual zur Produkttopologie ist die sogenannte Summentopologie: Es seien (X, T ) und (Y, T 0 ) topologische Räume und X ∩ Y = ∅.
Dann wird die Summentopologie auf der disjunkten Vereinigung X ∪ Y von
T ∪ T 0 erzeugt. Sie ist die feinste Topologie auf X ∪ Y , so dass die beiden
Inklusionen iX : X ,→ X ∪ Y und iY : Y ,→ X ∪ Y stetig sind.
Wir notieren die folgenden wichtigen Eigenschaften der Produkt- und
Summentopologie. Die Beweise empfehlen wir als Übung.
Proposition 1.5. Es seien X, Y , Z topologische Räume.
• Falls X ∩ Y = ∅, so ist eine Abbildung X ∪ Y → Z stetig genau
iX
iY
dann, falls die beiden Kompositionen X ,→ X ∪ Y → Z und Y ,→
X ∪ Y → Z stetig sind.
• Eine Abbildung Z → X × Y ist stetig genau dann, falls die beiden
πX
πY
Kompositionen Z → X × Y →
X und Z → X × Y →
Y stetig sind.
Es sei nun X ein topologischer Raum und A ⊂ X eine beliebige Teilmenge.
Wir definieren das Innere
int(A) ⊂ A
als die Vereinigung aller in A enhaltenen offenen Mengen (da ∅ immer offen
ist, gibt es mindestens eine solche Teilmenge). Nach Definition ist int(A) ⊂ A
offen und jede andere (in X) offene Teilmenge, die in A enthalten ist, ist
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auch in int(A) enthalten. Damit ist int(A) die größte in A enthaltene in X
offene Teilmenge. Entsprechende definieren wir den Abschluss
A⊃A
als den Durchschnitt aller abgeschlossenen Teilmengen von X, die A enthalten. Man beachte dabei, dass der Schnitt beliebig vieler abgeschlossener
Mengen eines topologischen Raumen wieder abgeschlossen ist. A ist nach
Konstruktion die kleinste abgeschlossene Teilmenge von X die A enthält.
Offensichtlich ist
A = X \ (int(X \ A)) .
Proposition 1.6. Ein Punkt x ∈ X liegt genau dann in A, falls jede Umgebung von x einen Punkt aus A enthält.
Weiterhin setzen wir
∂A := A \ int(A) .
Dies ist der Rand von A. Aus der vorherigen Proposition folgt
Proposition 1.7. Ein Punkt x ∈ X liegt genau dann in ∂A, falls jede
Umgebung von x sowohl Punkte von A als auch Punkte von X \ A enthält.
2. Zusammenhang und Wegzusammenhang
Anschaulich gesprochen ist ein topologischer Raum zusammenhängend,
wenn er nicht in zwei oder mehr voneinander unabhängige“ Teile zerfällt.
”
Es gibt zwei grundlegende mathematische Präzisierungen dieser Vorstellung,
die wir in diesem Kapitel besprechen werden.
Definition. Ein topologischer Raum X heißt wegweise zusammenhängend,
falls es für je zwei Punkte x, y eine stetige Abbilung
γ : [0, 1] → X
gibt, die x mit y verbindet, d.h. γ(0) = x, γ(1) = y.
Die euklidischen Räume Rn (mit der Standardtopologie) sind wegzusammenhängend. Auch der topologische Raum ({p, q}, {∅, {p}, {p, q}}) ist wegzusammenhängend (!). Die Vereinigung (−∞, 0) ∪ (0, ∞) ⊂ R (mit der Teilraumtopologie) ist nicht wegzusammenhängend (wir werden weiter unten
sehen, warum).
Die Bedingung x, y lassen sich durch einen Weg in X verbinden“ defi”
niert eine Äquivalenzrelation auf X. Die Äquivalenzklassen nennt man Wegzusammenhangskomponenten. Das folgende Resultat ist offensichtlich:
Proposition 2.1. Ist f : X → Y eine stetige Abbildung und ist X wegzusammenhängend, so ist auch f (X) (mit der von Y induzierten Topologie)
wegzusammenhängend.
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Etwas abstrakter ist der folgende Zusammenhangsbegriff:
Definition. Ein topologischer Raum X heißt zusammenhängend, falls X
nicht disjunkte Vereinigung zweier nichtleerer offener Teilmengen ist.
Die Teilmengen Q ⊂ R oder (−∞, 0) ∪ (0, ∞) ⊂ R sind nicht zusammenhängend.
Folgende Bedingungen sind äquivalent zum Zusammenhang von X:
• Die einzigen zugleich offenen und abgeschlossenen Teilmengen von
X sind nur die leere Menge und X selber.
• Ist f : X → D eine stetige Abbildung von X in einen diskreten Raum
D (d.h. einen Raum mit diskreter Topologie), dann ist f konstant.
Aus der zweiten Bedingung folgert man leicht:
Proposition 2.2.
• Ist X → Y stetig und X zusammenhängend, so
ist auch f (X) zusammenhängend.
• Ist {Yi }i∈I eine Familie zusammenhängender Teilmengen eines topologischen Raumes X und gilt Yi ∩ Yj 6= ∅ für alle i, j, so ist ∪i∈I Yi
ein zusammenhängender topologischer Raum.
Wir erhalten damit (Transitivität folgt aus dem zweiten Teil der vorherigen Proposition)
Korollar 2.3. Die Bedingung x, y liegen beide in einem zusammenhängen”
den Teilraum von X“ definiert eine Äquivalenzrelation auf X.
Die Äquivalenzklassen zu dieser Äquivalenzrelation nennt man die Komponenten von X.
Wir sehen, dass es in der Regel einfach ist zu zeigen, dass ein Raum
wegzusammenhängend, bzw. nicht zusammenhängend ist. Das folgende fundamentale Resultat liefert in vielen Fällen die anderen Implikationen.
Proposition 2.4. Die Menge [0, 1] ⊂ R (mit der Teilraumtopologie) ist
zusammenhängend.
Proof. Angenommen, es gibt disjunkte nichtleere offene Mengen U, V ⊂ [0, 1]
mit [0, 1] = U ∪ V . Ohne Einschränkung gilt 1 ∈ V . Wegen der Offenheit
von V gibt es ein > 0 mit (1 − , 1] ⊂ V . Wir setzen
m := sup U .
Nach dem vorher gesagten ist m < 1. Gälte m ∈ U , so gäbe es wegen
der Offenheit von U und wegen m < 1 ein δ > 0 mit [m, m + δ) ⊂ U
im Widerspruch zur Definition von m. Ähnlich führt man m ∈ V zum
Widerspruch (in diesem Fall muss m 6= 0 sein, da ansonsten U = ∅). Da
[0, 1] = U ∪ V erhalten wir damit insgesamt einen Widerspruch.
Es folgt
Korollar 2.5. Jeder wegzusammenhängende Raum ist zusammenhängend.
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Proof. Sei X wegzusammenhängend aber nicht zusammenhängend. Es sei
X = U ∪ V mit disjunkten, offenen, nichtleeren Teilmengen U, V ⊂ X. Wir
wählen x ∈ U und y ∈ V und verbinden diese Punkte durch einen Weg
γ : [0, 1] → X. Dann ist γ −1 (U ) ∪ γ −1 (V ) eine Zerlegegung von [0, 1] in
zwei disjunkte, nichtleere offene Teilmengen. Dies ist unmöglich, da [0, 1]
zusammenhängt.
Insbesondere ist der obige Raum (−∞, 0) ∪ (0, ∞) also nicht wegzusammenhängend. Weiterhin folgt, dass jede Wegzusammenhangskomponente eines Raumes in einer Zusammenhangskomponenten enthalten ist. Die
Umkehrung des letzten Korollars gilt nicht: Man ksnn zusammenhängende
Räume konstruieren, die nicht wegzusammenhängend sind.
Als Folgerung unserer Betrachtungen erhalten wir den bekannten Zwischenwertsatz:
Proposition 2.6. Es sei f : [0, 1] → R eine stetige Abbildung. Gilt f (0) < 0
und f (1) > 0, so existiert ein t ∈ [0, 1] mit f (t) = 0.
Proof. Ansonsten hätten wir im (f ) ⊂ U ∪ V , wobei U := (−∞, 0), V :=
(0, ∞), und im (f ) ∩ U 6= ∅ und im (f ) ∩ (V ) 6= ∅, d.h.
(U ∩ im f ) ∪ (V ∩ im f )
wäre eine Zerlegung von im f in zwei disjunkte nichtleere offene Teilmengen.
Dies widerspricht der Tatsache, dass im f zusammenhängend ist.
3. Konvergenz
Ein zentraler Begriff in der Theorie metrischer Räume ist der der konvergenten Folge. Die entsprechende Definition für allgemeine topologische
Räume lautet wie folgt.
Definition. Es sei X ein topologischer Raum, (xn )n∈N eine Folge in X und
x ∈ X. Man sagt, die Folge (xn ) konvergiert gegen x, falls für jede Umgebung
U ⊂ X von x ein N ∈ N existiert mit
xn ∈ U
für alle n ≥ N . (Wir sagen auch, für jede Umgebung U von x liegt die Folge
(xn ) schließlich in U ). Man schreibt dann
x = lim xn
n∈N
und sagt, x ist Grenzwert von (xn ).
Für metrische Räume ergibt sich der alte Konvergenzbegriff. Konvergente
Folgen können durchaus mehrere Grenzwerte haben: Die Folge, die abwechselnd 0 und 1 annimmt, konvergiert in {0, 1} versehen mit der Klumpentopologie sowohl gegen 0 als auch gegen 1.
Ein wohlbekanntes Argument zeigt, dass der Grenzwert einer konvergenten Folge in X eindeutig bestimmt ist, falls X Hausdorff ist.
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Wir können mit Hilfe der konvergenten Folgen für metrische Räume ein
aus den Grundvorlesungen bekanntes Stetigkeitskriterium angeben.
Proposition 3.1. Es seien X und Y metrische Räume. Eine Abbildung
f : X → Y ist genau dann stetig, falls folgendes gilt: Ist (xn ) eine Folge in
X, die gegen x ∈ X konvergiert, so konvergiert die Folge (f (xn )) in Y gegen
f (x) ∈ Y .
In allgemeinen topologischen Räumen muss diese Diskussion verfeinert
werden. Eine Richtung überträgt sich ohne Probleme.
Proposition 3.2. Es seien X und Y topologische Räume und f : X → Y
eine stetige Abbildung. Dann ist f folgenstetig, d.h. konvergiert in X die
Folge (xn )n∈N gegen x, so so konvergiert die Folge (f (xn ))n∈N in Y gegen
f (x).
Die andere Richtung ist aber problematisch, wie folgendes Beispiel zeigt.
Es sei
Y
X :=
{0, 1}
i∈R
das über R indizierte (und damit aus überabzählbar vielen Faktoren bestehende) Produkt des diskreten topologischen Raumes {0, 1}. Es sei p ∈ X
der Punkt mit allen Komponenten = 1. Wir versehen X mit der Produkttopologie und betrachten den Teilraum
B := {(xi ) ∈ X | xi = 1 f ür endlich viele i} ∪ {p}
von X. Die Abbildung
f : B → {0, 1} , x 7→
0 , falls x 6= p
1 , falls x = p
ist nicht stetig (wobei {0, 1} wieder mit der diskreten Topologie versehen
ist), denn p ∈ B \ {p} (siehe Übung 3 auf Blatt 2), d.h. jede Umgebung von
p ∈ B enthält Punkte aus B \ {p} und damit ist das Urbild von {1} ⊂ {0, 1}
nicht offen in B. Wir behaupten, dass f trotzdem folgenstetig ist. Es sei
zunächst
(y(n))n∈N
eine Folge in B mit lim y(n) = p (jedes y(n) besteht aus überabzählbar vielen
Komponenten). Wir behaupten, dass es ein N ∈ N geben muss mit y(n) = p
für alle n ≥ N (damit ist also insbesondere (f (y(n)))n∈N konvergent in
{0, 1}). Denn ansonsten existiert für jedes m ∈ N ein nm ≥ m und y(nm ) ∈
B \ {p}. Die Teilfolge (y(nm ))m∈N liegt dann ganz in B \ {p} und konvergiert
damit nicht gegen p (siehe wieder Übung 3). Ist (y(n))n∈N eine Folge in B, die
gegen ein q ∈ B\{p} konvergiert, so liegt die Folge schließlich in B\{p} (man
zeigt leicht, dass dies eine offene Teilmenge von B ist) und somit die Folge
der Bilder schließlich in {0} ⊂ {0, 1}. Somit ist f insgesamt folgenstetig.
Das Problem besteht darin, dass es zu viele“ Umgebungen von p in B
”
gibt.
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Definition. Es sei X ein topologischer Raum und x ∈ X. Eine Umgebungsbasis von x ist eine Menge Bx bestehend aus Umgebungen von x, so dass
jede Umgebung von x eine Umgebung umfasst, die Element von Bx ist.
Der Raum X erfüllt das erste Abzählbarkeitsaxiom, falls jeder Punkt eine
abzählbare Umgebungsbasis besitzt.
Jeder metrische Raum X erfüllt das erste Abzählbarkeitsaxiom: Ist x ∈ X,
so bilden die Mengen B1/n (x) ⊂ X, n ∈ N, eine abzählbare Umgebungsbasis
von x.
Proposition 3.3. Es sei X ein topologischer Raum, der das erste Abzählbarkeitsaxiom erfüllt und Y ein beliebiger topologischer Raum. Dann ist jede
folgenstetige Abbildung f : X → Y auch stetig.
Proof. Angenommen f sei nicht stetig. Dann existiert eine offene Menge
V ⊂ Y , so dass U := f −1 (V ) ⊂ X nicht offen ist. Da insbesondere also
U 6= ∅, gibt es ein x ∈ U , so dass U keine Umgebung von x ist. Es sei
(Un )n∈N eine abzählbare Umgebungsbasis von x. Ohne Einschränkung gelte
Un+1 ⊂ Un für alle n (sonst ersetze man Un+1 durch Un+1 ∩ Un ). Da U
keine Umgebung von x ist, gibt es Punkte xn ∈ Un \ U für alle n. Nach
Konstruktion gilt lim xn = x in X aber f (xn ) konvergiert nicht gegen f (x)
in Y , da f (xn ) ∈
/ V für alle n, im Widerspruch zur Folgenstetigkeit von
f.
Das Problem in allgemeinen topologischen Räumen ist, dass Folgen alleine
oft zu dünn“ sind. Man löst das Problem dadurch, dass man für Folgen
”
allgemeinere Indexmengen (als N) zulässt.
Definition. Eine gerichtete Menge ist eine Menge D zusammen mit einer
partiellen Ordnung ≤, so dass es für α, β ∈ D immer ein γ ∈ D gibt mit
γ ≥ α und γ ≥ β. Ist X ein topologischer Raum, so ist ein Netz in X eine
Abbildung φ : D → X, wobei D eine gerichtete Menge ist.
Wir erhalten die altbekannten Folgen zurück, wenn wir mit der gerichteten
Menge D = N arbeiten.
Definition. Es sei φ : D → X ein Netz und A ⊂ X. Wir sagen, das Netz φ
is schließlich in A, falls es ein α ∈ D gibt mit φ(β) ∈ A für alle β ≥ α. Das
Netz φ konvergiert gegen x ∈ X, falls es schließlich in jeder Umgebung von
x ist. In diesem Fall schreiben wir auch lim φ = x.
Proposition 3.4. Ein topologischer Raum X ist Hausdorffsch genau dann,
falls für jedes in X konvergente Netz φ : D → X folgendes gilt: Konvergiert
φ gegen x und gegen y, so gilt x = y.
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Proof. Sind U und V offene Mengen in X und ist φ schließlich in U und
schließlich in V , so auch schließlich in U ∩ V (dies folgt aus der Definition gerichteter Mengen). Damit ist der Limes konvergenter Netze in Hausdorffräumen eindeutig bestimmt. Es sei nun umgekehrt X ein topologischer
Raum, der nicht Hausdorffsch ist. Dann gibt es Punkte x, y ∈ X, x 6= y, die
sich nicht durch offene Umgebungen trennen lassen. Wir konstruieren ein
Netz in X, das sowohl gegen x als auch gegen y konvergiert. Wir betrachten dazu die gerichtet Menge D bestehend aus allen Paaren (U, V ) offener
Mengen in X mit x ∈ U , y ∈ V , versehen mit der partiellen Ordnung
(U, V ) ≤ (A, B) ⇔ A ⊂ U, B ⊂ V .
Diese Menge ist gerichtet. Die Abbildung φ : D → X ordnet jedem Paar
(U, V ) einen beliebigen Punkt aus U ∩ V zu. Wir behaupten, dass das Netz
φ gegen x konvergiert. Sei dazu W ⊂ X eine Umgebung von x. Wir müssen
zeigen, dass φ schließlich in W ist. Wir wählen dazu eine offene Umgebung
U ⊂ X von x mit U ⊂ W und eine beliebige offene Umgebung V von
y. Ist nun (A, B) ≥ (U, V ), so ist φ(A, B) ∈ A ∩ B ⊂ U ∩ V ⊂ W , d.h.
φ ist schließlich in W . Entsprechend zeigt man, dass φ schließlich in jeder
Umgebung von y ist.
Wenn wir statt Folgen Netze benutzen, können wir nun tatsächlich die
Äquivalenz von Stetigkeit und Folgenstetigkeit“ in jedem topologischen
”
Raum zeigen.
Proposition 3.5. Es sei f : X → Y eine Abbildung zwischen topologischen
Räumen X und Y . Die Abbildung f ist genau dann stetig, falls folgendes
gilt: Ist φ : D → X ein Netz, dass gegen x ∈ X konvergiert, so konvergiert
das Netz f ◦ φ : D → Y gegen f (x) (d.h. f ist netzstetig).
Proof. Falls f stetig ist, so zeigt man leicht, dass die in der Proposition
angegeben Folgerung gilt. Wir nehmen nun umgekehrt an, f : X → Y ist
nicht stetig. Es gibt dann eine offene Menge V ⊂ Y , so dass U := f −1 (V )
nicht offen in X ist. Es sei x ∈ U ein Punkt, so dass U keine Umgebung von x
ist. Als gerichtete Menge D nehmen wir die Menge aller offenen Umgebungen
von x mit der durch die Inklusion gegebenen partiellen Ordnung, d.h. A ≤ B,
falls B ⊂ A. Ist A ∈ D, so wählen wir als φ(A) ∈ X einen beliebigen Punkt
in A \ U (diese Menge ist nicht leer nach Wahl von x). Dann konvergiert das
Netz φ gegen x, das Netz f ◦ φ konvergiert jedoch nicht gegen f (x).
Wir haben außerdem
Proposition 3.6. Ist A ⊂ X Teilmenge eines topologischen Raumes, so
besteht A genau aus den Limiten von Netzen in A, die in X konvergieren.
Proof. Ist x ∈ A, so schneidet jede Umgebung U von x die Menge A. Definieren wir D als die gerichtete Menge der Umgebungen von x, so können wir
also leicht ein durch D parametrisiertes Netz φ in A definieren, das gegen x
konvergiert. Ist umgekehrt x Limes eines Netzes φ : D → A, so liegt dieses
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Netz schließlich in jeder Umgebung von x, damit muss jede Umgebung von
x die Menge A nichtleer schneiden, somit ist x ∈ A.
Wir erinnern: Ist (xn ) eine Folge in einem metrischen Raum X, so nennen
wir x ∈ X einen Häufungspunkt dieser Folge, falls jede Umgebung von x
unendlich viele Folgenglieder enthält. Wir definieren entsprechend:
Definition. Ein Häufungspunkt eines Netzes φ : D → X ist ein Punkt
x ∈ X, so dass für jede Umgebung U ⊂ X von x das Netz häufig in U ist,
d.h. für alle α ∈ D existiert ein β ≥ α mit φ(β) ∈ U .
Ist x ∈ X Häufungspunkt einer Folge (xn ) in einem metrischen Raum, so
konvergiert eine Teilfolge gegen x. Eine ähnliche Aussage gilt für Netze. Die
korrekte Verallgemeinerung des Konzeptes der Teilfolge lautet wie folgt.
Definition. Sind D und D0 gerichtete Mengen, so nennen wir eine Abbildung h : D0 → D final, falls für alle δ ∈ D ein δ 0 ∈ D0 existiert mit h(α0 ) ≥ δ
für alle α0 ≥ δ 0 . Ein Unternetz eines Netzes φ : D → X ist eine Komposition
φ ◦ h : D0 → X, wobei h : D0 → D eine finale Funktion ist.
Konvergiert ein Netz in X, so offensichtlich auch jedes Unternetz. Ist
φ : D → X ein Netz, so benutzen wir ähnlich wie bei Folgen die Schreibweise
xα := φ(α).
Proposition 3.7. Es sei φ : D → X ein Netz. Ein Punkt x ∈ X ist genau
dann Häufungspunkt, falls ein Unternetz von φ gegen x konvergiert.
Proof. Es sei x ∈ X Häufungspunkt. Wir konstruieren ein Unternetz, das
gegen x konvergiert (die andere Richtung der Proposition ist einfach). Wir
betrachten die gerichtete Menge D0 , die aus geordneten Paaren (α, U ) besteht, wobei α ∈ D, U eine Umgebung von x ist und xα ∈ U , mit der
partiellen Ordnung
(α, U ) ≤ (α0 , U 0 ) :⇔ α ≤ α0 , U 0 ⊂ U .
Wir zeigen, dass D0 wirklich gerichtet ist. Seien dazu (α, U ), (β, V ) ∈ D0 .
Da φ häufig in U ∩ V ist, gibt es ein γ ≥ α, β mit xγ ∈ U ∩ V . Damit ist
dann (γ, U ∩ V ) ≥ (α, U ), (β, V ). Betrachte die Abbildung
h : D0 → D , (α, U ) 7→ α .
Diese Abbildung ist final, denn ist δ ∈ D, so ist (δ, X) ∈ D0 und (α, U ) ≥
(δ, X) impliziert α ≥ δ. Wir behaupten, dass das Unternetz
h
φ
φ0 : D0 → D → X
gegen x konvergiert. Es sei dazu N ⊂ X eine Umgebung von x. Da φ häufig in
N ist, gibt es ein β ∈ D mit xβ ∈ N . Dann sind aber für alle (α, U ) ≥ (β, N )
die Elemente x(α,U ) in N , d.h. φ0 ist schließlich in N .
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
13
4. Vollständige metrische Räume
Definition. Eine Folge (xn )n∈N in einem metrischen Raum (X, d) heißt
Cauchy-Folge, falls es für jedes > 0 ein N ∈ N gibt mit
d(xn , xm ) < für alle n, m ≥ N . Der metrische Raum (X, d) heißt vollständig, falls jede
Cauchy-Folge in X konvergiert.
Jede in einem metrischen Raum konvergente Folge ist automatisch eine
Cauchyfolge. Sind (X1 , d1 ) und (X2 , d2 ) vollständige metrische Räume, so
ist auch X1 × X2 mit der Produktmetrik d vollständig, wobei
p
d((x1 , x2 ), (y1 , y2 )) := d1 (x1 , y1 )2 + d2 (x2 , y2 )2
(die Metrik d induziert übrigens die Produkttopologie auf X1 × X2 ).
Da die Menge der reellen Zahlen mit der gewöhnlichen Abstandsmetrik
vollständig ist, gilt dies somit auch für die euklidischen Räume Rn , n ∈ N.
Vollständigkeit ist allerdings keine Homöomorphieinvariante: Das offene Intervall (0, 1) ⊂ R ist mit der induzierten Metrik nicht vollständig, jedoch
homöomorph zu R mit der gewöhnlichen Metrik.
Ist X ein vollständiger metrischer Raum und A ⊂ X ein abgeschlossener
Unterraum, so ist A mit der induzierten Metrik ebenfalls vollständig. Ist
allgemeiner A ⊂ X ein beliebiger Unterraum, so ist A ⊂ X der kleinste
vollständige Unterraum von X, der A enthält, denn A besteht genau aus
den Limiten von Folgen, die in A liegen und in X konvergieren.
Vollständige metrische Räume sind zentrale Objekte in der Analysis. Wir
werden in diesem Abschnitt zeigen, dass jeder metrische Raum eine kanonische Vervollständigung besitzt.
Der Schlüssel hierzu ist die Vollständigkeit der reellen Zahlen und die
Betrachtung sogenannter Funktionenräume.
Definition. Es sei X eine Menge. Wir bezeichnen mit
B(X) := {f : X → R | sup |f (x)| < ∞}
x∈X
die Menge der beschränkten Abbildungen X → R versehen mit der Metrik
d(f, g) := sup |f (x) − g(x)| .
x∈X
Man prüft leicht nach, dass es sich tatsächlich um eine Metrik auf B(X)
handelt.
Proposition 4.1. Der soeben definierte metrische Raum (B(X), d) ist
vollständig.
14
BERNHARD HANKE
Proof. Es sei (fn ) eine Cauchy-Folge in B(X). Dann sind für alle x ∈ X die
Folgen (fn (x)) Cauchy-Folgen in R (nach Definition der Metrik auf B(X))
und konvergieren daher in R gegen eine (eindeutig bestimmte) Zahl, die wir
f (x) nennen wollen. Es sei nun > 0 und N ∈ N so groß, dass d(fn , fm ) < ,
falls n, m ≥ N . Man prüft leicht nach, dass dann d(fn , f ) ≤ für alle n ≥ N .
Es gilt daher lim fn = f im metrischen Raum B(X).
Sind (X, d) und (X 0 , d0 ) metrische Räume, so heißt eine Abbildung f :
X → X 0 eine Isometrie, falls f bijektiv ist und
d0 (f (x), f (y)) = d(x, y)
für alle x, y ∈ X. In diesem Fall ist auch f −1 eine Isometrie und f ist
(bzgl. der induzierten Topologie) ein Homöomorphismus. Eine Abbildung
f : X → X 0 heißt isometrische Einbettung, falls f nicht unbedingt bijektiv
ist, jedoch obige Verträglichkeit bezüglich der Metriken d und d0 erfüllt. In
diesem Fall ist die induzierte Abbildung f : X → f (X) automatisch eine
Isometrie (wobei f (X) die Einschränkung der Metrik von X 0 trägt).
Definition. Es sei X ein metrischer Raum. Eine Vervollständigung von X
ist ein vollständiger metrischer Raum Y zusammen mit einer isometrischen
Einbettung f : X → Y , so dass f (X) dicht in Y liegt, d.h. f (X) = Y .
Wir zeigen nun, dass jeder metrische Raum mindestens eine Vervollständigung besitzt. Dazu zeigen wir:
Proposition 4.2. Es sei X ein metrischer Raum. Dann existiert eine isometrische Einbettung von X in einen vollständigen metrischen Raum.
Proof. Ohne Einschränkung sei X 6= ∅. Es sei x0 ∈ X fest gewählt. Für
a ∈ X definieren wir eine Abbildung φa : X → R durch
φa (x) = d(x, a) − d(x, x0 ) .
Die Abbildung φa ist beschränkt, denn
|φa (x)| ≤ d(x0 , a)
wegen der Dreiecksungleichungen d(x, a) ≤ d(x, x0 )+d(x0 , a) und d(x, x0 ) ≤
d(x, a) + d(a, x0 ). Wir erhalten also eine Abbildung
φ : X → B(X) , a 7→ φa .
Wir behaupten, dass φ eine isometrische Einbettung ist. Es seien also a, b ∈
X. Nach Definition gilt dann
d(φa , φb ) = sup |d(x, a) − d(x, b)| .
x∈X
Wieder nach der Dreiecksungleichung ist |d(x, a) − d(x, b)| ≤ d(a, b), so dass
insgesamt
d(φa , φb ) ≤ d(a, b) .
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
15
In dieser Ungleichung kann nicht < stehen, denn
sup |d(x, a) − d(x, b)| ≥ |d(b, a) − d(b, b)| = d(a, b) .
x∈X
Somit ist φ tatsächlich eine isometrische Einbettung.
Ist X ein metrischer Raum, so erhalten wir also die Vervollständigung
φ(X) ⊂ B(X)
von X.
Wir zeigen nun noch die Eindeutigkeit der Vervollständigung eines metrischen Raumes.
Proposition 4.3. Es sei X ein metrischer Raum und es seien
f1 : X → Y1 , f2 : X → Y2
Vervollständigungen von X. Dann existiert eine Isometrie
g : Y1 → Y2
mit g|f1 (X) = f2 ◦ f1−1 .
Proof. Die Abbildung
f1 (X) → Y2 , x 7→ f2 ◦ f1−1 (x)
ist nach Voraussetzung eine isometrische Einbettung. Wir setzen diese Abbildung wie folgt zu einer Abbildung
g : Y1 = f1 (X) → Y2
fort: Ist y ∈ Y1 , so gibt es eine Folge (xn ) in X mit lim f1 (xn ) = y. Da f1
eine isometrische Einbettung ist, ist (xn ) eine Cauchy-Folge und da f2 eine
isometrische Einbettung ist, ist (f2 (xn )) eine Cauchy-Folge in Y2 . Wir setzen
g(y) := lim f2 (xn ) .
Ist
(x0n )
eine andere Folge in X mit lim f1 (x0n ) = y, so ist
lim d(xn , x0n ) = 0 ,
weil f1 eine isometrische Einbettung ist. Da dies auch für f2 gilt, haben wir
lim f2 (xn ) = lim f2 (x0n )
und die Definition von g(y) hängt somit nicht von der Auswahl der Folge
(xn ) ab. Man überprüft nun leicht, dass g eine isometrische Einbettung ist.
Ebenso setzt man die Abbildung
f2 (X) → Y1 , x 7→ f1 ◦ f2−1 (x)
zu einer isometrischen Einbettung h : Y2 → Y1 fort. Ein weiteres Argument
zeigt nun dass g und h invers zueinander sind: h◦g : Y1 → Y1 ist die Identität
auf f1 (X) und wegen der Eindeutigkeit der Fortsetzung auf Y1 (beachte, dass
Y1 Hausdorffsch ist) gilt h ◦ g = idY1 . Ebenso zeigt man g ◦ h = idY2 .
16
BERNHARD HANKE
In den Übungen wird ein anderes Modell der Vervollständigung eines metrischen Raumes vorgestellt.
Wichtige Räume in der Analysis entstehen auf diese Art: Ist U ⊂ Rn eine
offene Menge, so ist der Banachraum Lp (U ), 0 < p < ∞, die Vervollständigung der Menge Cc∞ (U ), d.h. der Menge der unendlich oft differenzierbaren
Funktionen U → R mit kompaktem Träger, versehen mit der Metrik
Z
dp (f, g) := ( |f (x) − g(x)|p )1/p .
U
Lp (U )
Elemente in
sind Äquivalenzklassen von messbaren Funktionen f :
U → R, so dass |f |p Lebesgue-integrierbar ist, wobei zwei solche Funktionen
als äquivalent gelten, wenn sie bis auf eine Nullmenge in U übereinstimmen.
Bezogen auf unsere Diskussion bedeutet dies die Angabe eines konkreten
Modells der Vervollständigung von Cc∞ (U ) bzgl. der Metrik dp .
5. Kompaktheit
Definition. Es sei X ein topologischer Raum. Eine offene Überdeckung von
X ist eine Menge U offener Teilmengen von X, mit
[
U =X.
U ∈U
Der Raum X heißt kompakt, falls jede offene Überdeckung von X eine endliche Teilüberdeckung besitzt.
Folgende Umformulieren dieser Definition ist manchmal nützlich: Wir sagen, eine Menge C von Teilmengen von X habe die endliche Schnitteigenschaft, falls der Schnitt je endlich vieler Mengen aus C nichtleer ist. Wir
haben dann:
Proposition 5.1. Ein Raum X ist genau dann kompakt, falls jede Menge C
von abgeschlossenen Teilmengen von X, die
T die endliche Schnitteigenschaft
besitzt, einen nichtleeren Schnitt hat, d.h. C∈C 6= ∅.
Man zeigt leicht, dass die Menge Q ∩ [0, 1] nicht kompakt ist.
Proposition 5.2. Jede kompakte Teilmenge eines Hausdorffraumes ist abgeschlossen.
Proof. Es sei X Hausdorffsch und A ⊂ X kompakt. Wähle ein beliebiges
x ∈ X \ A. Ist a ∈ A, so gibt es (in X) offene disjunkte Umgebungen Ua von
a und Va von x. Da A kompakt ist und A = ∪a∈A (Ua ∩ A), gibt es endlich
viele Punkte a1 , . . . , ak ∈ A mit A ⊂ Ua1 ∪ . . . ∪ Uak . Dann liegt die offene
Umgebung Va1 ∩ . . . ∩ Vak von x ganz in X \ A. Dieses Argument zeigt, dass
X \ A offen und somit A abgeschlossen ist.
Proposition 5.3. Ist X kompakt und f : X → Y stetig, so ist auch f (X) ⊂
Y kompakt.
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
17
Proof. Ist U eine offene Überdeckung von f (X), so ist {f −1 (U ) | U ∈ U } eine
offene Überdeckung von X. Da diese eine endliche Teilüberdeckung besitzt,
gilt dies also auch für U.
Proposition 5.4. Jeder abgeschlossene Teilraum eines kompakten Raumes
ist kompakt.
Proof. Sei X kompakt und A ⊂ X abgeschlossen. Ist U eine offene Überdeckung von A, so gibt es eine Menge V offener Teilmengen von X mit
U = {V ∩ A | V ∈ V} .
Da X kompakt ist, hat aber die offene Überdeckung V ∪ {X \ A} von X eine
endliche Teilüberdeckung. Schneiden wir die in ihr enthaltenen Mengen mit
A, erhalten wir eine endliche Teilüberdeckung von U.
Die letzten beiden Tatsachen haben folgende wichtige Konsequenz:
Proposition 5.5. Es sei f : X → Y eine bijektive stetige Abbildung von
einem kompakten Raum in einen Hausdorffraum. Dann ist f ein Homöomorphismus.
Proof. Wir müssen zeigen, dass f −1 stetig ist. Da f bijektiv ist, können
wir gleichbedeutend nachweisen, dass f abgeschlossen ist, d.h. ist A ⊂ X
abgeschlossen, so auch f (A) ⊂ Y . Ist aber A ⊂ X abgeschlossen, so ist A
kompakt, somit auch f (A) ⊂ Y und damit ist f (A) als kompakter Teilraum
des Hausdorffraumes Y abgeschlossen.
Proposition 5.6. Das Einheitsintervall [0, 1] ⊂ R ist kompakt.
Proof. Es sei U eine offene Überdeckung von [0, 1] und
S := {s ∈ [0, 1] | [0, s] besitzt eine endliche Teilüberdeckung von U} .
Da 0 ∈ S, gilt S 6= ∅. Es sei b = sup S. Wir behaupten S = [0, b]. Ansonsten
wäre nämlich S = [0, b). Wir finden dann ein U ∈ U mit b ∈ U und damit
gibt es ein > 0 mit (b−, b] ⊂ U . Da [0, b−/2] von endlich vielen Elementen
aus U überdeckt wird, gilt dies somit auch für [0, b] im Widerspruch zu
S = [0, b). Um die Proposition zu zeigen, müssen wir also nur noch b = 1
nachweisen. Gilt aber b < 1, so zeigt man mit einem ähnlichen Argument
wie eben, dass es ein > 0 gibt mit [0, b + /2] ⊂ S im Widerspruch zur
Definition von S.
Es folgt, dass jedes abgeschlossene Intervall [a, b] ⊂ R kompakt ist (denn es
ist homöomorph zu [0, 1]. Umgekehrt muss jede kompakte Teilmenge K ⊂ R
beschränkt sein, sonst hätte die offene Überdeckung
[
K⊂
(−n, n)
n∈N
keine endliche Teilüberdeckung. Wir erhalten also
Proposition 5.7 (Heine-Borel). Eine Teilmenge von R ist genau dann kompakt, wenn sie beschränkt und abgeschlossen ist.
18
BERNHARD HANKE
Korollar 5.8. Es sei X kompakt und f : X → R stetig. Dann nimmt f ihr
Minimum und Maximum an.
Proof. f (X) ⊂ R ist kompakt, also beschränkt und abgeschlossen. Daher
sind inf f (X) und sup f (X) endlich und in f (X) enthalten.
Wir wollen dieses Resultat auf die Räume Rn ausdehnen. Dazu zeigen
wir:
Proposition 5.9. Es seien X und Y kompakt. Dann ist auch das topologische Produkt X × Y kompakt.
Proof. Es sei U eine offene Überdeckung von X × Y . Jede Menge in U ist
Vereinigung von offenen Kästchen U ×V mit U ⊂ X, V ⊂ Y offen. Es genügt
daher zu zeigen, dass jede Überdeckung von X durch offene Kästchen eine
offene Teilüberdeckung besitzt. Ist x ∈ X, so wird {x} × Y durch endlich
viele dieser Kästchen
(U1 × V1 ) ∪ . . . ∪ (Uk × Vk )
überdeckt, da Y kompakt ist. Dann ist der Schnitt Ux := U1 ∩ . . . ∩ Uk ⊂ X
offen und es wird Ux × Y durch endlich viele der Kästchen überdeckt. Man
wähle eine endliche Teilüberdeckung von (Ux )x∈X und erhlt daraus eine
endliche Teilüberdeckung von X × Y durch offene Kästchen.
Korollar 5.10 (Heine-Borel). Eine Teilmenge A ⊂ Rn ist genau dann kompakt, wenn sie beschränkt und abgeschlossen ist.
In den Übungen wird ein allgemeines Kriterium angegeben, wann ein
metrischer Raum kompakt ist (Vollständigkeit und totale Beschränktheit).
Für metrische Räume ist Kompaktheit gleichbedeutend mit Folgenkompaktheit: Ein metrischer Raum ist genau dann kompakt, wenn jede Folge eine
konvergente Teilfolge besitzt. Eine Richtung dieser Aussage wird (für topologische Räume, die das erste Abzählbarkeitsaxiom erfüllen) in den Übungen
bewiesen. Die andere Richtung folgt daraus, dass ein folgenkompakter metrischer Raum vollständig und total beschränkt sein muss (Beweis ebenfalls als
Übung empfohlen). Für allgemeine topologische Räume müssen wir wieder
mit Netzen arbeiten, die Folgerung bleibt aber die gleiche:
Proposition 5.11. Es sei X ein topologischer Raum. Dann sind äquivalent:
• X ist kompakt.
• X ist netzkompakt, d.h. jedes (nichtleere) Netz D → X hat ein
konvergentes Unternetz.
Proof. Wir beweisen zunächst, dass jeder netzkompakte Raum auch kompakt ist. Die andere Richtung folgt etwas später aus der Diskussion universeller Netze.
Es sei also X netzkompakt und C eine Familie abgeschlossener Teilmengen von X mit der endlichen Schnitteigenschaft (d.h. der Schnitt je endlich
vieler Mengen in C ist nichtleer). Wir können annehmen, dass C abgeschlossen unter endlichen Schnitten ist (indem wir die Schnitte je endlich vieler
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
19
Mengen C ∈ C zu C hinzunehmen). Wir erhalten eine gerichtete Ordnung
auf C durch
C ≥ C0 ⇔ C ⊂ C0 .
(Diese Ordnung ist gerichtet, weil C abgeschlossen unter endlichen Schnitten
ist). Wir definieren ein Netz φ : C → X indem wir für C ∈ C ein Element
φ(C) ∈ C auswählen. Diese Netz ist nicht leer, falls X 6= ∅, was wir ohne
Einschränkung annehmen können. Nach Voraussetzung existiert ein konvergentes Unternetz von φ, gegeben durch eine gerichtete Menge D0 und eine
finale Abbildung h : D0 → C. Es sei x ∈ X ein Grenzwert des Unternetzes φ ◦ h. Sei nun C ∈ C. Dann gibt es ein α ∈ D0 so dass φ ◦ h(β) ∈ C
für alle β ≥ α, d.h. das Netz φ ◦ h ist schließlich in C. Da C = C gilt
somit also insbesondere
x ∈ C. In diesem Argument war C ∈ C beliebig.
T
Somit ist x ∈ C∈C C und dieser Schnitt somit nicht leer. Daraus folgt die
Kompaktheit von X.
Der Rest dieses Abschnittes ist dem Beweis der folgenden Verallgemeinerung von Proposition 5.9 gewidmet.
Satz 5.12 (Tychonoff). Es sei (X
Qi )i∈I eine Familie kompakter Räume.
Dann ist das topologische Produkt i∈I Xi ebenfalls kompakt.
Der Beweis beruht auf der Betrachtung sogenannter universeller Netze.
Definition. Ein Netz φ : D → X heißt universell, falls für jede Teilmenge
A ⊂ X, das Netz entweder schließlich in A oder schließlich in X \ A ist.
Bevor wir den nächsten Satz zeigen, erinnern wir an das Zornsche Lemma:
Es sei P eine nichtleere partiell geordnete Menge, in der jede Kette C ⊂ P
(d.h. C ist eine Teilmenge, in der jedes Element mit jedem anderen verglichen
werden kann) eine obere Schranke besitzt (dies ist ein p ∈ P mit p ≥ c für
alle c ∈ C). Dann besitzt P ein maximales Element (d.h. ein m ∈ P , so dass
für alle p ∈ P die Implikation m ≤ p ⇒ m = p gilt).
Proposition 5.13. Jedes nichtleere Netz φ : D → X besitzt ein universelles
Unternetz.
Proof. Es sei φ : D → X ein Netz mit D 6= ∅. Wir betrachten die Menge
P aller Mengen A von Teilmengen von X, die die folgenden Eigenschaften
haben:
• Falls A ∈ A, dann ist φ häufig in A,
• falls A, B ∈ A, dann ist A ∩ B ∈ A.
Wir können zum Beispiel A = {X} nehmen. Die Menge P ist durch die
Inklusionsrelation partiell geordnet und jede Kette C ⊂ P von solchen
S Mengen besitzt eine obere Schranke, gegeben durch die Vereinigung A∈C A.
Nach dem Zornschen Lemma gibt es eine maximale Menge A0 in P mit den
beiden obigen Eigenschaften. Offensichtlich gilt X ∈ A0 (sonst könnten wir
20
BERNHARD HANKE
diese Menge einfach zu A0 hinzunehmen, im Widerspruch zur Maximalität
von A0 ). Wir betrachten nun die Menge
D0 := {(A, α) ∈ A0 × D | φ(α) ∈ A}
zusammen mit der gerichteten Ordnung
(A, α) ≤ (B, β) ⇔ B ⊂ A , α ≤ β .
Die Zuordnung
h : D0 → D , (A, α) 7→ α
ist final (da für alle α ∈ D das Paar (X, α) in D0 liegt). Wir beweisen, dass
das Unternetz φ ◦ h : D0 → X universell ist.
Es sei zunächst S ⊂ X eine Teilmenge, so dass dieses Unternetz häufig in
S ist. Nach Definition bedeutet dies, dass für alle (A, α) ∈ D0 ein (B, β) ≥
(A, α) existiert mit h ◦ φ((B, β)) = φ(β) ∈ S. Da B ⊂ A haben wir also
φ(β) ∈ B ∩ S ⊂ A ∩ S. Dies zeigt, dass φ häufig in S ∩ A ist, falls A ∈ A0
(denn φ ist dann häufig in A, d.h. es existiert ein α ∈ D mit φ(α) ∈ A
und somit ist (A, α) ∈ D0 ). Daraus folgt, dass S ∈ A0 : Ansonsten könnten
wir alle Mengen der Form S ∩ A mit A ∈ A0 zu A0 hinzunehmen (d.h. es
wird insbesondere S = S ∩ X hinzugenommen), so dass die beiden obigen
Eigenschaften immer noch gelten.
Falls nun das Unternetz φ ◦ h ebenfalls häufig in X \ S ist, so hätten wir
mit dem gleichen Argument X \ S ∈ A0 also auch
∅ = S ∩ (X \ S) ∈ A0
nach der zweiten der beiden obigen Eigenschaften. Wegen D 6= ∅ ist das
Netz φ aber sicher nicht häufig in ∅ (d.h. die erste der beiden Eigenschaften
ist verletzt) und aus diesem Widerspruch folgt, dass φ ◦ h nicht häufig in
S und gleichzeitig häufig in X \ S sein kann. Ist also φ ◦ h häufig in einer
Teilmenge S ⊂ X, so ist φ ◦ h sogar schließlich in S. Ist nun A ⊂ X, so ist
φ ◦ h (wie jedes Netz in X) häufig in A oder häufig in X \ A. Nach dem
vorher Gesagten ist das Netz φ ◦ h daher schließlich in A oder in X \ A. Wir können nun die obige Charakterisierung von kompakten Räumen zu
Ende führen.
Proposition 5.14. Es sei X ein topologischer Raum. Dann sind äquivalent:
• X ist kompakt.
• Jedes nichtleere universelle Netz in X konvergiert.
• Jedes nichtleere Netz in X hat ein konvergentes Unternetz.
Proof. Es sei X kompakt und es sei φ : D → X ein universelles Netz. Angenommen, φ ist nicht konvergent. Ist x ∈ X, so gibt es eine offene Umgebung
Ux von x, so dass φ nicht schließlich in Ux . Wegen der Universalität ist dann
φ schließlich in X \ Ux , d.h. es gibt einen Index αx ∈ D, so dass φ(β) ∈
/ Ux ,
falls β ≥ αx . Es sei Ux1 , . . . , Uxk eine endliche Teilüberdeckung. Wir wählen
ein β ≥ αx1 , . . . , αxk (so ein β existiert, da D gerichtet ist) und schließen,
dass φ(β) ∈
/ Ux1 ∪ . . . ∪ Uxk = X, ein Widerspruch, da D 6= ∅.
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
21
Falls jedes universelle Netz in X konvergiert, dann hat jedes nichtleere
Netz ein konvergentes Unternetz, da jedes (nichtleere) Netz ein universelles
Unternetz hat.
Die verbleibende Implikation wurde bereits weiter oben gezeigt.
Wir kommen nun zum Beweis des Satzes von Tychonoff. Direkt aus der
Definition der Produkttopologie folgt: Ist (Xi )i∈I eine Familie topologischer
Räume und φ : D → X ein Netz, so sind die folgenden Aussagen äquivalent.
• Das Netz φ konvergiert gegen
Q (xi )i∈I (mit xi ∈ Xi ).
• Für alle i0 ∈ I gilt: Ist πi0 : i Xi → Xi0 die kanonische Projektion,
so konvergiert das Netz πi0 ◦ φ in Xi0 gegen xi0 .
Mit anderen Worten: Die Produkttopologie ist die Topologie der punktwei”
sen Konvergenz“.
Proof. (des Satzes von Tychonoff) Ist eine Familie (Xi )i∈I von kompakten
Räumen gegeben, so müssen wir nach
jedes
Q Proposition 5.14 zeigen, dassQ
nichtleere universelle Netz φ : D → i Xi konvergiert. Ist φ : D → i Xi
universell und i0 ∈ I, so auch die Komposition πi0 ◦ φ : D → Xi0 universell
(dies ist leicht zu zeigen) und da Xi0 kompakt ist, konvergiert πi0 ◦ φ in Xi0 .
Daher konvergiert nach der Vorbemerkung auch das Netz φ.
Der Beweis des Satzes von Tychonoff wird in der Literatur manchmal mit
soganannten Ultrafiltern geführt. Das Konzept der (Ultra-)Filter ist äquivalent zum Konzept der (universellen) Netze, dem wir in unserer Vorlesung
den Vorzug geben. Der Satz von Tychonoff spielt eine wichtige Rolle bei dem
Beweis des Satzes von Banach-Alaoglu in der Funktionalanalysis. Wichtig
ist noch folgende Bemerkung: Eine Folge ist genau dann ein universelles
Netz, wenn sie schließlich konstant ist. Jede Folge hat aber ein universelles
Unternetz. Dies zeigt, dass Unternetze von Folgen etwas anderes sind als
Teilfolgen. Ist D0 → D eine finale Abbildung gerichteter Mengen, kann ja
trotzdem D0 viel komplizierter“ sein als D.
”
6. Lokalkompakte Räume
Definition. Ein topologischer Raum X heißt lokalkompakt, falls jeder Punkt
x ∈ X eine kompakte Umgebung besitzt.
Offensichtlich sind die Räume Rn lokalkompakt.
Es sei X ein lokalkompakter Hausdorffraum. Wir definieren eine Teilmenge U der disjunkten Vereinigung
X + := X ∪ {∞}
als offen, falls U ⊂ X und U offen in X ist oder falls ∞ ∈ U und X \ U ⊂ X
kompakt ist. Es folgt aus der Hausdorffeigenschaft (Lokalkompaktheit ist
hier nicht notwendig), dass man so wirklich eine Topologie auf X + erhält.
22
BERNHARD HANKE
Proposition 6.1. Es sei X ein lokalkompakter Hausdorffraum. Dann ist
X + mit der eben definierten Topologie ein kompakter Hausdorffraum.
Proof. Ist U eine offene Überdeckung von X + , so gibt es ein U ∈ U mit
∞ ∈ U . Da U auch eine offene Überdeckung der kompakten Menge X \U ist,
können wir eine endliche Teilüberdeckung auswählen und erhalten zusammen mit U eine endliche Teilüberdeckung von X + . Die Hausdorffeigenschaft
von X + folgt direkt aus der Lokalkompaktheit von X.
Wir nennen X + mit der oben definierten Topologie die Einpunktskompaktifizierung von X. Ist X selbst kompakt, so trägt X + die Summentopologie
des Raumes X und des einpunktigen topologischen Raumes {∞}. Beispielsweise ist die Einpunktkompaktifizierung von Rn homöomorph zu S n wie
man mit Hilfe der stereographischen Projektion beweist.
Falls X und Y lokalkompakte Hausdorffräume sind und f : X → Y eine
stetige Abbildung ist, so betrachten wir die Abbildung
f + : X + → Y + f + |X = f , f + (∞) = ∞ .
Diese Abbildung ist nicht automatisch stetig (sei z.B. X = R, Y = {p}
und f : X → Y die eindeutig bestimmte Abbildung). Eine hinreichende
Bedingung ist aber die folgende:
Definition. Eine Abbildung f : X → Y zwischen topologischen Räumen heißt eigentlich, falls das Urbild jeder kompakten Menge in Y unter f
kompakt in X ist.
Die folgende Tatsache ist nun leicht zu zeigen.
Proposition 6.2. Ist f : X → Y eine stetige Abbildung zwischen lokalkompakten Hausdorffräumen, so ist die induzierte Abbildung f + : X + → Y +
genau dann stetig, falls f eigentlich ist.
7. Quotientenräume
Dieser Abschnitt ist einem wichtigen Konstruktionsverfahren topologischer Räume gewidmet, dem Verkleben“. Sei allgemein X ein topologi”
scher Raum, Y eine Menge und f : X → Y eine surjektive Abbildung. Die
Quotiententopologie oder auch Finaltopologie auf Y bzgl. f ist die feinste Topologie, so dass f stetig ist. Eine Teilmenge U ⊂ Y ist also offen bezüglich
dieser Topologie genau dann, falls f −1 (U ) ⊂ X offen ist (denn Urbildnehmen ist mit Schnitt- und Vereinigungsbildung verträglich). Eine surjektive
Abbildung f : X → Y zwischen topologischen Räumen heißt Identifizierung,
falls die Topologie auf Y genau die Finaltopologie bezüglich f ist.
Proposition 7.1. Die Komposition von Identifizierungen ist wieder eine
Identifizierung. Eine surjektive Abbildung f : X → Y ist genau dann eine
Identifizierung, falls folgendes gilt: Ist Z ein topologischer Raum und g :
Y → Z eine Abbildung, so ist g genau dann stetig, falls g ◦ f : X → Z stetig
ist.
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
23
Ein wichtiges Beispiel ist das folgende: Sei ∼ eine Äquivalenzrelation auf einem topologischen Raum X. Dann können wir X/ ∼ mit der
Quotiententopologie (bzgl. der kanonischen Abbildung X → X/ ∼) versehen, den entstehenden topologischen Raum nennen wir einen Quotientenraum. Quotientenräume von kompakten (zusammenhängendend, wegzusammenhängenden) Räumen sind ebenfalls kompakt (zusammenhängen,
wegzusammenhängend). Ist X ein Hausdorffraum, so muss der Quotientenraum X/ ∼ aber nicht Hausdorffsch sein (betrachte z.B. die Relation
x ∼ y ⇔ x − y ∈ Q auf X := R).
Ist A ⊂ X eine nichtleere Teilmenge des topologischen Raumes X, so
bezeichnet X/A den Quotientenraum bzgl. der Äquivalenzrelation
x, y ∈ A oder
x∼y⇔
.
(x ∈
/ A oder y ∈
/ A) und x = y ,
d.h. die Äquivalenzklassen sind A und die einpunktigen Mengen {x} mit
x ∈ X \ A.
Definition. Wie nennen einen topologischen Raum X normal, falls er Hausdorffsch ist und für je zwei disjunkte abgeschlossene Teilmengen A, B ⊂ X
offene disjunkte Teilmengen U, V ⊂ X existieren mit A ⊂ U , B ⊂ V .
Wir wollen hier die Hausdorffeigenschaft explizit fordern, denn sonst wäre
z.B. jede Menge mit der Klumpentopologie ein normaler topologischer Raum
(insbesondere sind hier die einpunktigen Mengen nicht abgeschlossen, falls
die Menge mehr als ein Element enthält).
Proposition 7.2. Ist X normal und A ⊂ X abgeschlossen, so ist X/A
ebenfalls normal.
Beispiel. Wir betrachten die Sphären S n = {x ∈ Rn+1 | kxk = 1} ⊂ Rn+1
mit der Unterraumtopologie. Der Quotientenraum bzgl. der von der Relation x ∼ y ⇔ x = −y erzeugten Äquivalenzrelation heißt der n-dimensionale
reell-projektive Raum RP n . Eine alternative Beschreibung erhält man wie
folgt: Wir betrachten die Äquivalenzrelation auf der Einheitskreisscheibe
Dn ⊂ Rn , die jeweils gegenüberliegende Punkte auf dem Rand S n−1 identifiziert (und natürlich jeden Punkt mit sich selbst). Wir behaupten, dass der
entstehende Quotientenraum homöomorph zu RP n ist. Dazu betrachten wir
Dn als die obere Hemisphäre von S n . Die entsprechendepInklusion i : Dn →
S n kann man explizit als (x1 , . . . , xn ) 7→ (x1 , . . . , xn , 1 − x21 − . . . − x2n )
definieren. Die (stetige) Komposition Dn → S n → RP n faktorisiert durch
Dn / ∼ und wir erhalten eine Abbildung k : Dn / ∼→ RP n , die das Diagramm
i
Dn −−−−→ S n




y
y
k
Dn / ∼ −−−−→ RP n
24
BERNHARD HANKE
kommutativ macht. Nach Proposition 7.1 ist k stetig. Offensichtlich ist k
auch bijektiv. Da Dn / ∼ kompakt (klar) und RP n Hausdorff (dies ist leicht
direkt zu zeigen) ist, ist k ein Homöomorphismus.
Wir erwähnen noch einige besonders wichtige Beispiele von Quotientenräumen. Sind X, Y topologische Räume, A ⊂ X eine Teilmenge und
ist f : A → Y eine stetige Abbildung, so bezeichnet Y ∪f X die Anheftung
von X entlang f . Sie ist definiert als der Quotientenraum der disjunkten
˙ (falls X ∩ Y 6= ∅, so macht man die Räume künstlich
Vereinigung X ∪Y
disjunkt, indem man zu X × {0} und Y × {1} übergeht) versehen mit der
Summentopologie bzgl. der kleinsten Äquivalenzrelation, die jedes a ∈ A
mit f (a) ∈ Y identifiziert. In diesem Sinne können wir X/A auch als Y ∪p X
schreiben, wobei Y ein einpunktiger Raum und p : A → Y die eindeutig
bestimmte Abbildung ist. Man beweist leicht
Proposition 7.3. Ist Y ∪f X ein Anheftungsraum und A ⊂ X abgeschlossen, so ist Y ,→ Y ∪f X, y 7→ [y] ein Homöomorphismus auf einen abgeschlossenen Teilraum und X \ A ,→ Y ∪f X, x 7→ [x] ist ein Homöomorphismus
auf einen offenen Teilraum.
Ist f : X → Y eine stetige Abbildung, so ist der Abbildungszylinder Zf von
f der Verkleberaum Y ∪f0 (X × [0, 1]), wobei f0 : X × {0} = X → Y gleich
f ist. Wir identifizieren in dieser Situation oft X mit X × {1} ⊂ Zf und Y
mit Y ⊂ Zf . Der Abbildungskegel Cf ist der Quotientenraum Zf /(X × {1}).
Dieses Kapitel bietet auch eine gute Gelegenheit, Simplizialkomplexe einzuführen. Sie stellen eine enge Verbindung zwischen Topologie und Kombinatorik her.
Definition. Ein abstrakter Simplizialkomplex ist ein Paar (X, Σ) bestehend
aus einer total geordneten Menge X und einer Teilmenge Σ ⊂ P(X) der
Potenzmenge von X (diese wird Menge der abstrakten Simplizes genannt)
mit den folgenden Eigenschaften:
• Jedes Simplex σ ∈ Σ ist endlich. Wir setzen dim σ := |σ| − 1.
• Ist ein Simplex σ ∈ Σ gegeben, so sind alle Teilmengen von σ ebenfalls Simplizes. Insbesondere ist also ∅ ∈ Σ und dim ∅ = −1.
Ist σ ∈ Σ ein Simplex, so heißen die Teilmengen von σ Seiten von σ. Wir
nennen einne Simplizialkomplex (X, Σ) endlich, falls die Menge der Simplizes
Σ endlich ist.
Wir bezeichnen mit [n] die total geordnete Menge {0, 1, . . . , n}. Wir definieren den abstrakten Simplizialkomplex ( volles n-dimensionales Simplex“)
”
∆nabstr als die Potenzmenge P([n]).
Wir können jedem abstrakten Simplizialkomplex wie folgt einen topologischen Raum zuordnen: Wir bezeichnen mit ei ∈ Rn+1 (wobei 0 ≤ i ≤ n)
den i-ten kanonischen Basisvektor und setzen
X
X
ti ei | 0 ≤ ti ≤ 1,
ti = 1} ⊂ Rn+1 .
∆n := {
0≤i≤n
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
25
Dies ist der Standard-n-Simplex. Jeder Punkt in ∆n ist durch seine baryzentrischen Koordinaten (t0 , . . . , tn ) eindeutig bestimmt. Der Simplex ∆n ist
mit der von Rn+1 induzierten Topologie ein kompakter topologischer Raum.
Ist k ≤ n, so induziert jede ordnungserhaltende Abbildung
φ : {0, 1, . . . , k} → {0, 1, . . . , n}
eine Einbettung (d.h. Homöomorphismus auf das Bild) iφ : ∆k → ∆n gegeben durch
(t0 , . . . , tk ) 7→ (0, 0, . . . , t0 , 0, . . . , t1 , . . . , 0, 0, tk , . . .) ,
wobei die 0-en genau an den Stellen eingefügt werden, die nicht im Bild von
φ liegen.
Ist nun ein abstrakter Simplizialkomplex (X, Σ) gegeben, so setzen wir
[
˙
S :=
∆σ
σ∈Σ
(disjunkte Vereinigung), wobei ∆σ das geometrische Simplex der Dimension
dim σ ist. Der Raum S ist mit der Summentopologie versehen: Eine Teilmenge U ⊂ S ist genau dann offen, falls für alle σ ∈ Σ die Menge U ∩ ∆σ
offen in ∆σ ist. Wir führen nun auf S die Äquivalenzrelation ∼ ein, die für
jede Inklusion φ : τ → σ den Punkt x ∈ ∆τ mit iφ (x) ∈ ∆σ identifiziert. Dabei haben wir stillschweigend die Menge σ mit der total geordneten Menge
{0, 1, . . . , |σ|} (durch die eindeutig bestimmte ordnungserhaltende Bijektion)
identifiziert und die Menge τ (nach dieser Identifizierung) als Teilmenge von
{0, 1, . . . , |σ|} angesehen. Wir nennen den Quotientenraum S/ ∼ die geometrische Realisierung von Σ. Diese wird auch mit |X| bezeichnet und der zu
(X, Σ) gehörende geometrische Simplizialkomplex genannt. Offensichtlich ist
jeder Simplizialkomplex ein normaler Raum und jeder endliche (geometrische) Simplizialkomplex kompakt.
Beispiel. |∆nabstr | ≈ ∆n .
Definition. Ein topologischer Raum heißt triangulierbar, wenn er
homöomorph zu einem geometrischen Simplizialkomplex ist. Die konkrete Angabe so eines Homöomorphismus bezeichnet man als Triangulierung.
Einen triangulierten topologischen Raum nennt man auch (geometrischen)
Simplizialkomplex.
Sehr viele in der Praxis auftretenden topologischen Räume sind triangulierbar.
Beispielsweise sind die Sphären S n ⊂ Rn+1 triangulierbar. Denn S n
ist homöomorph zur geometrischen Realisierung des Simplizialkomplexes
(X, Σ) mit X = {0, 1, . . . , n + 1}, Σ := {σ ⊂ X | dim σ < n + 1}.
Zum Beweis dieser Tatsache diskutieren wir allgemeiner konvexe Körper
im Rn .
26
BERNHARD HANKE
Definition. eine Teilmenge K ⊂ Rn heißt konvex, falls mit je zwei Punkten
x, y ∈ K auch die Verbindungsstrecke {tx + (1 − t)y | 0 ≤ t ≤ 1} in K
liegt. Ein konvexer Körper im Rn ist eine abgeschlossene konvexe Teilmenge
von Rn . Ist K ⊂ Rn eine beliebige Teilmenge, so ist die konvexe Hülle von
K der Durchnitt aller konvexen Teilmengen von Rn , die K enthalten (da
Rn selbst konvex ist, bildet man hier den Durchschnitt über ein nichtleeres
Mengensystem).
Da der Durchschnitt konvexer Mengen offenbar wieder konvex ist, ist die
konvexe Hülle von K ⊂ Rn selbst konvex. Sie ist die kleinste konvexe Menge,
die K enthält.
Proposition 7.4. Es sei K ⊂ Rn ein konvexer Körper und 0 ∈ int(K).
Dann schneidet jeder Strahl im Rn mit Anfangspunkt 0 den Rand von K in
höchstens einem Punkt. Ist K zusätzlich beschränkt (also kompakt), dann
schneidet jeder Strahl den Rand von K in genau einem Punkt.
Proof. Es sei R ein Strahl mit Anfangspunkt 0 und es seien p, q ∈ R ∩ K
verschiedene Punkte. Wir zeigen, dass mindestens einer der Punkte p oder q
im Inneren von K liegt (daraus folgt, dass nicht beide Punkte auf dem Rand
von K liegen können). Es sei q auf dem Strahl R weiter von 0 entfernt als p.
Da 0 ∈ int(K) gibt es eine offene Kugel B ⊂ K, die 0 enthält. Es sei Cq (B)
die Vereinigung aller Strecken, die q und einen Punkt aus B verbinden. Da
K konvex ist, gilt Cq (B) ⊂ K. Der Punkt p liegt dann im Inneren von Cq (B)
und somit auch im Inneren von K.
Sei nun K kompakt. Ist R ⊂ Rn ein Strahl mit Anfangspunkt 0, so enthält
R Punkte aus dem Inneren von K (da 0 ∈ int(K)) und Punkte aus Rn \ K
(sonst wäre K unbeschränkt). Da R ≈ [0, ∞) zusammenhängend ist, muss
aber R noch weitere Punkte enthalten (denn int(K) und Rn \ K sind beide
offen). Es gilt aber Rn \ (int(K) ∪ (Rn \ K)) = ∂K.
Proposition 7.5. Es sei K ⊂ Rn ein beschränkter (also auch kompakter)
konvexer Körper mit 0 ∈ int(K). Dann ist die Abbildung
f : ∂K → S n−1 , x 7→
x
kxk
ein Homöomorphismus.
Proof. Die Abbildung f ist als Komposition der Inklusion ∂K ,→ Rn \ 0 mit
x
der radialen Retraktion x 7→ kxk
stetig. Die vorhergehende Proposition zeigt,
dass f bijektiv ist. Damit ist f ein Homöomorphismus, da ∂K kompakt und
S n−1 Hausdorffsch ist.
Proposition 7.6. Es sei K ⊂ Rn ein kompakter konvexer Körper mit nichtleerem Inneren. Dann ist K homöomorph zum abgeschlossenen Einheitsball
Dn = B1 (0) ⊂ Rn und ∂K ist homöomorph zu S n−1 = ∂Dn .
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
27
Proof. Nach einer Translation können wir annehmen, dass 0 ∈ int(K). Es
sei f : ∂K → S n−1 wie in der vorhergehenden Proposition. Wir definieren
F : Dn → K durch
x
x 7→ kxkf −1 (
) , falls x 6= 0 ,
kxk
und F (0) = 0. Die Funktion F ist injektiv und surjektiv und stetig auf
Dn \ {0}. Stetigkeit von F an 0 ∈ Dn folgt daraus, dass kxk für alle x ∈ K
durch eine feste Zahl M ∈ R nach oben beschränkt ist und somit kF (x)k ≤
M kxk für alle x ∈ K. Somit ist F ein Homöomorphismus, da Dn kompakt
und K Hausdorffsch ist. Die zweite Behauptung in der Proposition folgt nun
unmittelbar.
Da ∆n homöomorph zu einem kompakten konvexen Körper im Rn mit
nichtleerem Inneren ist, folgt nun:
Korollar 7.7. ∆n ≈ Dn , ∂∆n ≈ S n−1 .
Ist (X, Σ) ein abstrakter Simplizialkomplex und X endlich, so kann man
sich die geometrische Realisierung |Σ| auch folgendermaßen vorstellen. Es
sei |X| = n, der Einfachheit schreiben wir X = {1, 2, 3, . . . , n} und es seien
n affin unabhängige Punkte x1 , . . . , xn ∈ RN gegeben, wobei N groß genug gewählt wurde. Wir betrachten nun die Vereinigung all jener affinen
Simplizes im RN , die von Punkten xi1 , . . . , xik aufgespannt werden, falls
{i1 , . . . , ik } ∈ Σ; so ein Simplex ist gegeben durch die Teilmenge
{
k
X
i=1
ti xik | 0 ≤ ti ≤ 1 ,
X
ti = 1} ⊂ RN .
Die Vereinigung all dieser affinen Simplizes ist (mit der von RN induzierten
Topologie) homöomorph zu |Σ|.
8. Metrisierbarkeit
Lemma 8.1 (Lemma von Urysohn). Es sei X ein normaler topologischer
Raum, F ⊂ U ⊂ X Teilmengen von X, wobei F abgeschlossen und U offen
ist. Dann gibt es eine stetige Funktion f : X → [0, 1], die auf F konstant
gleich 0 und auf X \ U konstant gleich 1 ist.
Proof. In einem ersten Schritt konstruieren wir für jede dyadische Zahl r =
m
n
2n , 0 ≤ m ≤ 2 eine offene Teilmenge Ur ⊂ X, wobei
r < s ⇒ Ur ⊂ Us
und F ⊂ U0 , U ⊂ U1 . Die Konstruktion benutzt Induktion nach n. Zunächst
setzen wir U1 := U und wählen unter Ausnutzung der Normalität von X eine
offene Menge U0 ⊂ X mit F ⊂ U0 und U0 ⊂ U1 . Im nächsten Schritt wählen
wir wieder unter Ausnutzung der Normalität von X eine offene Teilmenge
U1/2 mit
U0 ⊂ U1/2 , U1/2 ⊂ U1 .
28
BERNHARD HANKE
Im nächsten Schritt wählen wir offene Mengen U1/4 , U3/4 ⊂ X mit
U0 ⊂ U1/4 , U1/4 ⊂ U1/2 , U1/2 ⊂ U3/4 , U3/4 ⊂ U1 .
Dieses Verfahren setzen wir fort.
Wir definieren nun
f : X → R , x 7→ inf{r ∈ [0, 1] | x ∈ Ur } ,
falls x ∈ U1 und f (x) = 1, falls x ∈
/ U1 . Offensichtlich gilt f = 0 auf F und
f = 1 auf X \ U . Zu zeigen bleibt die Stetigkeit von f . Sind α, β ∈ R, so
sind die Urbilder
[
Ur ,
f −1 ((−∞, α)) = {x ∈ X | f (x) < α} =
r<α
f
−1
((β, ∞)) = {x ∈ X | f (x) > β} =
[
r>β
(X \ Ur ) =
[
(X \ Us )
s>β
offen in X (bei der letzten Gleichheit verwenden wir Ur ⊂ Us für alle dyadischen Zahlen r < s). Da die Mengen der Form (−∞, α) und (β, ∞) eine
Subbasis der Topologie auf R bilden, ist die Stetigkeit von f bewiesen. Definition. Ein topologischer Raum erfüllt das zweite Abzählbarkeitsaxiom,
falls eine abzählbare Basis der Topologie existiert.
Der folgende Satz zeigt die Bedeutung normaler Räume.
Satz 8.2 (Metrisierbarkeitssatz von Urysohn). Es sei X ein topologischer
Raum, der das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllt. Dann ist X genau dann
metrisierbar, wenn er normal ist.
Proof. Wir haben bereits in den Übungen gezeigt, dass jeder metrisierbare Raum normal ist. Es sei nun X ein normaler topologischer Raum, der
das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllt. Wir konstruieren einen metrischen
Raum M und eine Einbettung
f :X→M
(d.h. f induziert einen Homöomorphismus f : X → f (X)). Damit ist X
homöomorph zu einem metrisierbaren Raum (nämlich f (X) ⊂ M ) und damit selbst metrisierbar.
Es sei B eine abzählbare Basis der Topologie auf X. Falls U, V ∈ B mit
U ⊂ V , so wählen wir (mit Hilfe des Lemmas von Urysohn) eine stetige
Funktion fU,V : X → [0, 1], die auf U gleich 0 und auf X \ V konstant gleich
1 ist. Wir betrachten nun die Abbildung
Y
f : X → M :=
[0, 1] , x 7→ (fU,V (x)) .
U,V ∈B,U ⊂V
Wir behaupten, dass f eine Einbettung ist. Offensichtlich ist f stetig (da
die einzelnen Komponenten stetig sind).
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
29
Um zu zeigen, dass f ein Homöomorphismus ist, zeigen wir, dass die
induzierte Abbildung f : X → f (X) abgeschlossen ist, d.h. ist C ⊂ X
abgeschlossen, dann auch f (C) ⊂ f (X). (Wir behaupten übrigens nicht,
dass f selbst abgeschlossen ist, also dass f (X) ⊂ M abgeschlossen ist). Sei
dazu φ : D → C ein Netz, so dass das Netz f ◦ φ : D → M gegen einen
Punkt in f (X) konvergiert. Es gibt ein x ∈ X, so dass dieser Punkt gleich
f (x) ist. Wir zeigen, dass x ∈ C. Daraus folgt f (x) ∈ f (C) und damit
enthält f (C) alle seine Randpunkte (als Teilraum von f (X)) und ist damit
abgeschlossen in f (X). Falls aber x ∈
/ C, so gibt es eine offene Basismenge
V ∈ B mit x ∈ V und V ∩ C = ∅. Wegen der Normalität von X (wegen
der Hausdorffeigenschaft von X ist {x} ⊂ X abgeschlossen) existiert nun
noch eine offene Umgebung U von x mit U ⊂ V (eigentlich finden wir offene
trennende Umgebungen U1 , U2 von {x} und X \ V . Wir setzen dann einfach
U := U1 ). Durch eventuelle Verkleinerung von U können wir annehmen, dass
U ∈ B. Das Netz fU,V ◦φ : D → C ist nun konstant gleich 1 (denn C ⊂ X \V )
und kann daher nicht gegen fU,V (x) = 0 konvergieren. Widerspruch.
Die Abbildung f ist schließlich noch injektiv: Falls x, y ∈ X und x 6= y,
so gibt es (wie gerade eben vorgeführt) offene Basismengen U, V ∈ B mit
x ∈ U , y ∈ X \ V und U ⊂ V und dann trennt bereits die Funktion fU,V die
Punkte x und y.
Die Abbildung f ist somit als Homöomorphismus auf ihr Bild nachgewiesen. Als abzählbares Produkt von metrisierbaren Räumen ist M selbst
metrisierbar (siehe Übungsblatt 4, Aufgabe 3). Damit ist alles gezeigt.
Der Metrisierbarkeitssatz von Urysohn setzt das zweite Abzählbarkeitsaxiom voraus. Wir zitieren nun ohne Beweis ein Resultat, dass für beliebige topologische Räume eine notwendige und hinreichende Bedingung für
Metrisierbarkeit angibt.
Definition.
• Es sei X ein topologischer Raum. Eine Menge T von Teilmengen von
X heißt lokalendlich, wenn jeder Punkt in X eine Umgebung besitzt
die nur endlich viele in T enthaltene Mengen trifft.
• Wir nennen einen topologischen Raum X regulär, wenn er Hausdorffsch ist und sich für jeden Punkt x ∈ X und jede abgeschlossene
Menge C ⊂ X mit x ∈
/ C disjunkte Umgebungen von x und C finden
lassen.
Regularität ist also stärker als die Hausdorffeigenschaft und schwächer als
Normalität.
Satz 8.3 (Metrisierbarkeitssatz von Bing-Nagata-Smirnov). Ein topologischer Raum X ist genau dann metrisierbar, wenn er eine Basis B besitzt,
deren Elemente sich auf abzählbar viele lokalendliche Teilmengen von B verteilen.
30
BERNHARD HANKE
9. Der Erweiterungssatz von Tietze
Satz 9.1. Es sei X ein normaler Raum und F ⊂ X eine abgeschlossene
Teilmenge. Ist f : F → R stetig, so existiert eine stetige Fortsetzung g : X →
R von f , d.h. g|F = f . Wir können außerdem erreichen, dass supx∈F f (x) =
supx∈X g(x) und inf x∈F f (x) = inf x∈X g(x).
Die Funktion g wird als Limes einer gleichmäßig konvergenten Funktionenfolge konstruiert.
Definition. Es sei X ein topologischer Raum und (Y, d) ein metrischer
Raum. Eine Folge von Abbildungen (fn )n∈N , fn : X → Y konvergiert
gleichmäßig gegen f : X → Y , falls für alle > 0 ein N ∈ N existiert
mit
d(fn (x), f (x)) < ,
für alle x ∈ X und alle n ≥ N .
Mit dem üblichen /3-Argument beweist man:
Proposition 9.2. Es seien X, Y wie eben und (fn ) eine gleichmäßig gegen
die Funktion f : X → Y konvergente Folge stetiger Abbildungen. Dann ist
auch f stetig.
Wir kommen nun zum Beweis des Satzes von Tietze. Sei zunächst f
beschränkt. Ohne Einschränkung sei 0 ≤ f (x) ≤ 1 für alle x ∈ X und
sup f = 1, inf f = 0. Nach dem Lemma von Urysohn existiert eine stetige
Abbildung g1 : X → [0, 1/3] mit
0, falls x ∈ F und f (x) ≤ 1/3 ,
g1 (x) =
1/3, falls x ∈ F und f (x) ≥ 2/3 .
Wir setzen f1 := f − g1 |F und bemerken, dass 0 ≤ f1 (x) ≤ 2/3 für alle
x ∈ F . Induktiv nehmen wir an, wir haben bereits eine stetige Abbildung
fn : F → R konstruiert mit 0 ≤ fn (x) ≤ (2/3)n für alle x ∈ F . Wir finden
dann eine Funktion gn+1 : X → [0, 1/3 · (2/3)n ], wobei
0, falls x ∈ F und fn (x) ≤ 1/3 · (2/3)n ,
gn+1 (x) =
1/3 · (2/3)n , falls x ∈ F und fn (x) ≥ 2/3 · (2/3)n .
Wir setzen fn+1 := fn − gn+1 |F .
Nach Konstruktion konvergiert die Reihe
∞
X
gn
n=0
stetiger Funktionen gleichmäßig gegen eine Funktion g : X → [0, 1]. Daher
ist g insbesondere stetig. Falls x ∈ F , so gilt nach Konstruktion
fn (x) = f (x) − (g1 (x) + g2 (x) + . . . + gn (x))
und 0 ≤ fn (x) ≤ (2/3)n . Somit gilt g|F = f und die Konstruktion von g ist
beendet. Die Bedingung an die Schranken von g ist ebenfalls erfüllt, denn
0 ≤ g(x) ≤ 1 für alle x ∈ X.
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
31
Es sei nun f unbeschränkt, sagen wir, f ist unbeschränkt in beide Richtungen. Wir wählen einen Homöomorphismus h : (−∞, ∞) → (0, 1) und erweitern die Funktion h ◦ f : F → (0, 1) zu einer stetigen Funktion g : X → [0, 1]
wie eben beschrieben. Wir können nun nicht einfach mit dem Inversen von h
komponieren, da g durchaus die Werte 0 oder 1 annehmen kann. Wir müssen
daher g auf der Menge
C := {x ∈ X | g(x) = 0 oder g(x) = 1}
noch abändern, jedoch ohne dabei g auf F zu ändern. Die Menge C ist
abgeschlossen und wegen g = f auf F gilt C ∩F = ∅. Nach Urysohn existiert
eine stetige Funktion k : X → [0, 1], die auf C konstant gleich 0 und auf F
konstant gleich 1 ist. Wir ersetzen nun g durch die Funktion
1
ge : x 7→ k(x) · g + (1 − k(x)) .
2
Das Bild dieser Funktion liegt in (0, 1) und sie stimmt auf F mit h ◦ f
überein. Daher ist h−1 ◦ ge die gewünschte Erweiterung von f . Die anderen
Fälle (wenn f nur in eine Richtung unbeschränkt ist) behandelt man analog.
10. Homotopie
Definition. Es seien f, g : X → Y zwei stetige Abbildungen zwischen topologischen Räumen X und Y . Wir sagen f ist homotop zu g, falls es eine
stetige Abbildung
H : X × [0, 1] → Y
gibt mit H(−, 0) = f und H(−, 1) = g. In diesem Falle schreiben wir f ' g.
Die folgenden Tatsachen sind leicht zu zeigen:
Proposition 10.1.
• Die Relation f ist homotop zu g“ ist eine
”
Äquivalenzrelation.
• Es seien f, g : X → Y , h : X 0 → X und k : Y → Y 0 stetige
Abbildungen. Gilt f ' g, so auch f ◦ h ' g ◦ h und k ◦ f ' k ◦ g.
Proof. Wir diskutieren nur die Transitivität der Homotopierelation (die anderen Behauptungen sind recht leicht zu zeigen). Es sei H : X × [0, 1] → Y
eine Homotopie von f : X → Y nach g : X → Y und G : X × [0, 1] → Y
eine Homotopie von g : X → Y nach h : X → Y . Wir behaupten, dass dann
H(x, 2t) , falls 0 ≤ t ≤ 1/2
K : X × [0, 1] → Y , (x, t) 7→
G(x, 2t − 1) , falls 1/2 ≤ t ≤ 1
eine Homotopie von f nach h ist. Zu zeigen bleibt nur, dass K wohldefiniert und stetig ist. Wohldefiniertheit ist klar (denn H(−, 1) = G(−, 0)).
Die Stetigkeit gilt wegen der folgenden allgemeinen Tatsache ( stückweise
”
definierte stetige Abbildungen“): Es sei T ein topologischer Raum und (Ti )
eine Überdeckung von T durch endlich viele abgeschlossene Mengen. Sind
dann fi : Ti → S stetige Abbildungen in einen festen topologischen Raum S
32
BERNHARD HANKE
und stimmen für alle i, j die Abbildungen fi und fj auf dem Überlapp Ti ∩Tj
überein, dann ist die Abbildung T → S, t 7→ fi (t), falls t ∈ Ti , stetig.
Beispiel.
• Es sei Y ⊂ Rn eine konvexe Menge (d.h. mit je zwei Punkten x, y ∈ Y
liegt auch die Strecke von x nach y in Y ). Dann sind zwei Abbildungen f, g : X → Y immer homotop, denn sie lassen sich durch eine
lineare Homotopie
H(x, t) := tg(x) + (1 − t)f (x)
verbinden.
• Ist X = {p} ein einpunktiger Raum, so sind Homotopien H :
X × [0, 1] → Y nichts anderes als Wege in Y mit Anfangspunkt
H(p, 0) und Endpunkt H(p, 1). Solche Wege schreiben wir einfacher
als Abbildungen γ : [0, 1] → Y . Ist η : [0, 1] → Y ein weiterer Weg
und gilt γ(1) = η(0), so können wir den zusammengesetzten Weg
γ · η : [0, 1] → Y mit
γ(2t) , 0 ≤ t ≤ 1/2
t 7→
η(1 − 2t) , 1/2 ≤ t ≤ 0
definieren. Wie oben zeigt man die Stetigkeit von γ · η ( erst γ, dann
”
η“).
Definition. Eine stetige Abbildung f : X → Y ist eine Homotopieäquivalenz, falls eine stetige Abbildung g : Y → X existiert mit g ◦ f ' idX
und f ◦ g ' idY . In diesem Fall nennt man g ein Homotopieinverses zu
f . Existiert eine Homotopieäquivalenz X → Y , so nennen wir X und Y
homotopieäquivalent, geschrieben X ' Y .
Die Relation X und Y sind homotopieäquivalent“ definiert eine Äquiva”
lenzrelation auf der Klasse der topologischen Räume. Symmetrie und Reflexivität sind klar. Transitivität sieht man so: Ist f : X → Y eine Abbildung
mit Homotopieinverser g : Y → X und ist h : Y → Z eine Abbildung mit
Homotopieinverser k : Z → Y , so gilt
(gk)(hf ) = g(kh)f ' g ◦ idY ◦ f ' idX
und entsprechend ist (hf )(gk) ' idZ . Die Äquivalenzklassen bezüglich dieser
Äquivalenzrelation nennt man Homotopietypen.
Definition. Ein topologischer Raum heißt kontrahierbar, wenn er homotopieäquivalent zum einpunktigen Raum ist.
Ein Raum X ist offensichtlich genau dann kontrahierbar, wenn die Identität X → X homotop zu einer Abbildung X → X ist, deren Bild aus genau
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
33
einem Punkt besteht. Dabei kann dieser Punkt beliebig in X gewählt werden. Nach dem obigen Beispiel sind also nichtleere konvexe Teilmengen im
Rn immer kontrahierbar.
Der Beweis der folgenden Tatsache ist eine Übung.
Lemma 10.2. Es sei X ein topologischer Raum und Y ein kontrahierbarer
topologischer Raum. Dann sind alle stetigen Abbildungen X → Y homotop.
Proposition 10.3. Die Sphären S n ⊂ Rn+1 sind nicht kontrahierbar.
Wir führen den Beweis an dieser Stelle nur für n = 0, 1 explizit aus. Die
Fälle n ≥ 2 können wir mit den Mitteln dieser Vorlesung leider noch nicht
behandeln.
Proof. Für n = 0 gilt S 0 = {±1} ⊂ R. Angenommen
id : S 0 → S 0
ist homotop zur konstanten Abbildung c : S 0 → S 0 mit Wert −1. Es sei
H : S 0 × [0, 1] → S 0 eine entsprechende Homotopie. Dann definiert aber
H(+1, −) : [0, 1] → S 0 einen Weg von +1 nach −1 und dies widerspricht der
Tatsache, dass S 0 nicht zusammenhängend ist.
Wir zeigen mit Hilfe des Begriffes der Windungszahl, dass S 1 nicht kontrahierbar ist. Angenommen, S 1 sei kontrahierbar. Dann ist die Identität
id : S 1 → S 1 also homotop zu einer konstanten Abbildung S 1 → S 1 . Fassen
wir S 1 als Teilmenge von C \ {0} auf, dann ist die Abbildung
γ1 : S 1 → C \ {0} , x 7→ x
homotop zu einer konstanten Abbildung
γ0 : S 1 → C \ 0 .
Jeder stetigen Abbildung γ : S 1 7→ C\{0} kann man aber eine Windungszahl
Z
1
dz
W (γ) :=
2πi γ z
zuordnen (wir fassen hier γ als geschlossene Kurve in C \ {0} auf) und
man zeigt in der Analysis mit Hilfe des Satzes von Stokes, dass diese Windungszahl sich unter einer Homotopie von γ nicht ändert (und außerdem
ganzzahlig ist). Da aber W (γ1 ) = 1 und W (γ0 ) = 0, kann γ1 nicht homotop
zu γ0 sein.
Definition. Es seien f, g : X → Y stetige Abbildungen und A ⊂ X eine
Teilmenge. Wir nennen f und g homotop relativ zu A, falls es eine Homotopie
H : X × [0, 1] → Y von f nach g gibt mit H(a, t) = H(a, 0) für alle a ∈ A,
t ∈ [0, 1]. Wir schreiben dann f ' g rel A.
Definition. Es sei X ein topologischer Raum und A ⊂ X eine Teilmenge.
Wir nennen A einen Retrakt von X, falls es eine Retraktion r : X → A gibt,
d.h. r ist stetig und r|A = idA . Wir nennen A einen Deformationsretrakt von
34
BERNHARD HANKE
X, falls es eine Retraktion r : X → A gibt, so dass die Abbildung i◦r ' idX .
Dabei ist i : A → X die Inklusion. Weiterhin nennt man A einen starken
Deformationsretrakt von X, falls es eine Retraktion r : X → A gibt mit
idX ' i ◦ r rel A.
Ist A ⊂ X ein Deformationsretrakt, so sind insbesondere A und X homotopieäquivalent. Als homotopieinverses Paar von Abbildungen kann man
die Inklusion i : A ,→ X und eine Retraktion r : X → A mit i ◦ r ' idX
nehmen. Dann ist r ◦ i = idA und i ◦ r ist zur Identität homotop.
Wir erwähnen das folgende nützliche Lemma, das grob besagt, dass wir
Homotopien mit Verklebungen vertauschen dürfen. Es wird in den Übungen
bewiesen.
Lemma 10.4. Es sei X ein topologischer Raum und ∼ eine Äquivalenzrelation auf X. Diese Äquivalenzrelation induziert eine Äquivalenzrelation auf
X × [0, 1] durch
(x, t) ∼ (x0 , t0 ) ⇔ t = t0 , x ∼ x0 .
Dann sind die Räume (X × [0, 1])/ ∼ und (X/ ∼) × [0, 1] kanonisch
homöomorph.
Beispiel. Die Abbildung
γ : I := [0, 1] → S 1 , s 7→ e2πi·s
ist homotop zu einer konstanten Abbildung indem wir γ mit der Homotopie
I × [0, 1] → I , (s, t) 7→ s · t
komponieren. γ ist aber nicht homotop zu einer konstanten Abbildunge relativ zu {0, 1} ⊂ I. Angenommen, H : I × [0, 1] → S 1 wäre so eine Homotopie.
Da H(0, t) = H(1, t) = 1 für alle t, faktorisiert H durch die Abbildung
q : I × [0, 1] → S 1 × [0, 1] , (s, t) 7→ (e2πis , t) .
Diese Abbildung ist eine Identifizierung nach Lemma 10.4 und damit induziert H eine stetige Abbildung S 1 × I → S 1 , die offensichtlich eine Homotopie von der Identität S 1 → S 1 zur konstanten Abbildung S 1 → S 1 , x 7→ 1
darstellt. Dies ist aber nach Proposition 10.3 unmöglich.
Beispiel. Es sei f : X → Y eine stetige Abbildung. Dann ist Y ein starker
Deformationsretrakt des Abbildungszylinders Zf = Y ∪f0 X × [0, 1]. Eine
Deformationsretraktion ist durch die Homotopien
H1 : Y × [0, 1] → Y , (y, t) 7→ y
und
H2 : (X × [0, 1]) × [0, 1] → X × [0, 1] , ((x, s), t) 7→ (x, s(1 − t))
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
35
˙
gegeben. (Wir erhalten dann zunächst eine Homotopie (Y ∪(X
× [0, 1])) ×
[0, 1] → Y . Diese faktorisiert aber offensichtlich durch die Abbildung
˙
(Y ∪(X
× [0, 1]) × [0, 1] → Zf × [0, 1]
und induziert somit wieder nach Lemma 10.4 eine Homotopie Zf × [0, 1] →
Y ).
Definition. Es sei X ein topologischer Raum. Wir definieren dann π0 (X)
als die Menge der Wegekomponenten von X.
Ist ∼ die Äquivalenzrelation, die Punkte identifiziert, falls sie in der gleichen Wegekomponente liegen, so gilt also π0 (X) = X/ ∼.
Proposition 10.5. Es sei f : X → Y eine stetige Abbildung. Dann induziert f eine Abbildung
f∗ : π0 (X) → π0 (Y ) .
Falls f ' g, so gilt f∗ = g∗ . Ist weiterhin Z ein topologischer Raum und
g : Y → Z eine stetige Abbildung, so gilt
(g ◦ f )∗ = g∗ ◦ f∗ .
Außerdem haben wir idX∗ = idπ0 (X) .
Proof. Die Abbildung f bildet Punkte, die sich durch einen Weg verbinden
lassen, wieder auf Punkte ab, die sich durch einen Weg verbinden lassen.
Daher faktorisiert die Komposition
f
X → Y → Y/ ∼
durch X/ ∼ und induziert die gesuchte Abbildung f∗ : π0 (X) → π0 (Y ). Ist
f ' g mit einer Homotopie H : X × [0, 1] → Y , so lassen sich für jedes
x ∈ X die Werte f (x) und g(x) durch den Weg H(x, −) verbinden und
damit stimmen die Kompositionen
f
X → Y → Y/ ∼
und
g
X → Y → Y/ ∼
überein. Dies impliziert f∗ = g∗ . Die anderen Aussagen der Proposition sind
sehr leicht zu zeigen.
Korollar 10.6. Ist f : X → Y eine Homotopieäquivalenz, so ist f∗ :
π0 (X) → π0 (Y ) bijektiv.
Proof. Es sei g : Y → X ein Homotopieinverses zu f . Dann ist
g∗ ◦ f∗ = (g ◦ f )∗ = (idX )∗ = idπ0 (X) .
Die andere Komposition behandelt man analog.
36
BERNHARD HANKE
11. Die Fundamentalgruppe
Lemma 11.1 (Reparametrisierungslemma). Es seien φ1 , φ2 : [0, 1] → [0, 1]
stetige Abbildung, die auf {0, 1} übereinstimmen. Es sei F : P × [0, 1] → Y
eine Homotopie. Setzen wir Gi (p, t) := F (p, φi (t)), so sind die Abbildungen
G1 , G2 : P × [0, 1] → Y homotop relativ zu P × {0, 1}.
Proof. Die gesuchte Homotopie H : (P × [0, 1]) × [0, 1] → Y ist durch
(p, t, s) 7→ F (p, sφ2 (t) + (1 − s)φ1 (t))
gegeben.
Wir wenden dieses Lemma im folgenden für einpunktige Räume P , d.h.
für Wege in Y an.
Es sei X ein topologischer Raum und x0 ∈ X ein festgewählter Punkt
( Basispunkt“); wir sprechen auch von einem punktierten Raum. Wir defi”
nieren nun
π1 (X, x0 )
als die Menge aller geschlossenen Wege γ : [0, 1] → X mit γ(0) = γ(1) = x0
von x0 nach x0 modulo der Äquivalenzrelation
γ1 ∼ γ2 ⇔ γ1 ' γ2 rel {0, 1} ,
d.h. wir identifizieren geschlossene Wege, die sich über geschlossene in x0
basierte Wege ineinander homotopieren lassen. Die durch γ : [0, 1] → X
repräsentierte Klasse in π1 (X, x0 ) bezeichnen wir mit [γ].
Es sei cx0 der konstante Wege in X mit Wert x0 . Ist γ ein Weg in X, so
bezeichnet γ −1 : [0, 1] → X, t 7→ γ(1 − t) den zu γ inversen Weg.
Proposition 11.2. Die Hintereinanderschaltung von Wegen
(γ1 , γ2 ) 7→ γ1 · γ2
induziert eine Gruppenstruktur auf π1 (X, x0 ) mit neutralem Element [cx0 ].
Proof. Ist γ1 ' γ10 rel {0, 1} und γ2 ' γ20 rel {0, 1}, so gilt auch γ1 · γ2 '
γ10 · γ20 rel {0, 1}. Dazu setzt man die entsprechenden Homotopien horizontal
zusammen. Wir erhalten also eine wohldefinierte Verknüpfung auf π1 (X, x0 ).
Das Assoziativgesetz folgt nun aus
γ1 · (γ2 · γ3 ) ' (γ1 · γ2 ) · γ3 rel {0, 1}
(für in x0 basierte Schleifen γ1 , γ2 , γ3 ). Diese Homotopie erhält man aus
dem Reparametrisierungslemma, wobei wir als P einen einpunktigen Raum
wählen, die Homotopie F : P × [0, 1] → Y als γ1 · (γ2 · γ3 ), die Abbildung
φ1 : [0, 1] → [0, 1] als die Identität und die Abbildung φ2 durch

2t, 0 ≤ t ≤ 1/4

t + 1/4, 1/4 ≤ t ≤ 1/2
t 7→

(t + 1)/2, 1/2 ≤ t ≤ 1
definieren. Die Neutralität von [cx0 ] folgt aus
cx0 · γ ' γ ' γ · cx0 rel {0, 1}
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
37
und dies beweist man ganz ähnlich wieder mit dem Reparametrisierungslemma. Die Existienz von Inversen folgt aus
γ −1 · γ ' cx0 ' γ · γ −1 rel {0, 1} .
Hier benutzen wir das Reparametrisierungslemma mit F (p, t) := γ(t),
2t , 0 ≤ t ≤ 1/2
φ1 (t) :=
1 − 2t , 1/2 ≤ t ≤ 1 .
und φ2 (t) := 0.
Wir schreiben die Verknüpfung auf π1 (X, x0 ) ebenfalls als ·, also
[γ1 ] · [γ2 ] := [γ1 · γ2 ] .
Wir nennen die π1 (X, x0 ) mit der soeben eingeführten Gruppenstruktur die
Fundamentalgruppe von (X, x0 ). Ist P = {p} ein einpunktiger Raum, so gilt
offensichtlich
π1 (P, p) = 1 .
Dabei bezeichnet hier und im folgenden 1 die Gruppe mit einem (dem neutralen) Element.
Offensichtlich hängt π1 (X, x0 ) nur von der Wegekomponenten von X ab,
die x0 enthält. Die Abhängigkeit vom Basispunkt x0 ist jedoch subtiler.
Proposition 11.3. Es seien x0 , x1 ∈ X Basispunkte in der gleichen Zusammenhangskomponenten von X. Dann induziert jeder Weg η : [0, 1] → X
von x0 nach x1 einen Isomorphismus
hη : π1 (X, x1 ) ∼
= π1 (X, x0 ) .
Es gilt hη = hη0 , falls η ' η 0 rel {0, 1}.
Proof. Der Isomorphismus ist durch
hη : π1 (X, x1 ) → π1 (X, x0 ) , [γ] 7→ [η · γ · η −1 ]
gegeben (dabei ist γ eine in x1 basierte geschlossene Kurve in X). Wir
können auf der rechten Seite innerhalb der eckigen Klammern auf runde
Klammern verzichten, denn
(η · γ) · η −1 ' η · (γ · η −1 ) rel {0, 1}
wie man ähnlich zu oben mit dem Reparametrisierungslemma zeigt. Zur
Wohldefiniertheit nehmen wir an, [γ 0 ] = [γ]. Man zeigt dann leicht, dass
η · γ · η −1 ' η · γ 0 · η −1 . Ganz ähnlich beweist man, dass hη = hη0 , falls
η ' η 0 rel {0, 1}. Die Tatsache, dass hη ein Homomorphismus ist folgt aus
hη ([γ] · [γ 0 ]) = [η · γ · γ 0 · η −1 ] = [η · γ · η −1 · η · γ 0 · η −1 ] = hη ([γ]) · hη ([γ 0 ]) ,
wobei wir η −1 · η ' cx0 rel {0, 1} benutzt haben. Man zeigt leicht, dass hη−1
ein Inverses zu hη ist.
38
BERNHARD HANKE
Ist η 0 ein anderer (möglicherweise nicht zu η homotoper) Weg von x0
nach x1 , so definiert η · (η 0 )−1 ein Element κ ∈ π1 (X, x0 ) und es gilt für alle
g ∈ π1 (X, x1 ), dass
hη (g) = κ · hη0 (g) · κ−1 .
Somit gilt im allgemeinen hη 6= hη0 , falls π1 (X, x0 ) nicht abelsch ist (dies ist
durchaus möglich wie wir in Kürze sehen werden).
Es seien nun (X, x0 ) und (Y, y0 ) punktierte Räume. Wir nennen eine
stetige Abbildung f : X → Y basispunkterhaltend oder punktiert, falls
f (x0 ) = y0 . Ist f : X → Y eine punktierte Abbildung, so definieren wir
eine Abbildung
f∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 )
durch die Setzung
f∗ ([γ]) := [f ◦ γ] .
Diese Abbildung ist wohldefiniert, denn ist H : [0, 1] × [0, 1] → X eine
Homotopie von γ nach γ 0 relativ {0, 1}, so ist f ◦ H eine Homotopie von f ◦ γ
nach f ◦γ 0 relativ {0, 1}. Indem man die Definition der Gruppenverknüpfung
auf π1 und die Definition des neutralen Elementes einsetzt, erhält man:
Proposition 11.4. Die Abbildung f∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 ) ist ein Gruppenhomomorphismus. Sind f : (X, x0 ) → (Y, y0 ) und g : (Y, y0 ) → (Z, z0 )
punktierte stetige Abbildungen, so gilt
(g ◦ f )∗ = g∗ ◦ f∗ .
Für die (offensichtlich basispunkterhaltende) Abbildung idX : X → X haben
wir
idX ∗ = idπ1 (X,x0 ) .
Sind weiterhin f, g : X → Y punktierte stetige Abbildungen und ist f '
g rel {x0 }, so haben wir
f∗ = g∗ .
Definition. Wir nennen einen topologischen Raum X einfach zusammenhängend, falls X wegzusammenhängend ist und π1 (X, x0 ) = 1 (Gruppe mit einem Element) für ein (und damit nach Proposition 11.3 für alle)
x0 ∈ X.
Proposition 11.5. Ist X zusammenziehbar, so ist X einfach zusammenhängend.
Dass X wegzusammenhängend ist, ist klar. Zum Beweis von π1 (X, x0 ) = 1
sei P = {p} ein einpunktiger Raum und i : P → X und f : X → P ein Paar
von Abbildungen mit i ◦ f ' idX und f ◦ i ' idP (dies ist ohnehin klar).
Wir erhalten induzierte Abbildungen
i∗ : π1 (P, p) → π1 (X, i(p)) , f∗ : (X, i(p)) → (P, p) .
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
39
Offensichtlich ist f ◦ i ' idP rel {p} und somit haben wir mit Proposition
11.4
f∗ ◦ i∗ = (f ◦ i)∗ = (idP )∗ = idπ1 (P,p) .
Da π1 (P, p) = 1, haben wir also bereits eine Hälfte“ der letzten Proposition
”
gezeigt. Dass i∗ ◦ f∗ = idπ1 (X,x0 ) ist jedoch nicht so einfach zu zeigen, da wir
nicht annehmen können, dass i ◦ f ' idX relativ zu x0 (d.h. es könnte sein,
dass der Basispunkt x0 während der Homotopie bewegt werden muss).
Die Aussage von Proposition 11.5 folgt aber (mit Y := P und (X, x0 ), f
wie eben) aus:
Proposition 11.6. Es seien X und Y wegzusammenhängende Räume und
es sei x0 ∈ X ein Basispunkt. Ist f : X → Y eine Homotopieäquivalenz, so
induziert f einen Isomorphismus
f∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, f (x0 )) .
Diese Proposition ist insofern allgemeiner als für den Beweis von Proposition 11.5 benötigt als wir hier nicht einmal annehmen, dass f ein
Homotopieinverses g : Y → X hat mit g(f (x0 )) = x0 . Das heißt, wir
haben nicht einmal einen Kandidaten für eine zu f∗ inverse Abbildung
π1 (Y, f (x0 )) → π1 (X, x0 ).
Proof. Es sei g : Y → X homotopieinvers zu f . Wir setzen y0 := f (x0 ) und
x1 := g(y0 ). Wir erhalten Abbildungen
f∗
g∗
π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 ) → π1 (X, x1 ) .
Die Abbildung g ◦ f ist homotop zu idX , jedoch nicht unbedingt rel {x0 }.
Wir können also nicht unmittelbar folgern, dass g∗ ◦ f∗ = idπ1 (X,x0 ) . Daher
argumentieren wir wie folgt: Es sei
H : X × [0, 1] → X
eine Homotopie von g ◦ f nach idX . Es sei
η : [0, 1] → X
der Weg von x1 nach x0 , den der Punkt x1 während dieser Homotopie beschreibt. Ist nun γ : [0, 1] → X eine in x0 basierte Schleife, so gilt
g∗ ◦ f∗ ([γ]) = hη ([γ])
und da hη : π1 (X, x0 ) → π1 (X, x1 ) ein Isomorphismus ist, folgt, dass auch
g∗ ◦ f∗ ein Isomorphismus ist. Daher ist f∗ injektiv und g∗ surjektiv. Da g :
Y → X ebenfalls eine Homotopieäquivalenz ist, zeigt ein analoges Argument,
dass auch g∗ injektiv ist. Damit ist g∗ ein Isomorphismus. Weil g∗ ◦ f∗ ein
Isomorphismus ist, gilt dies schließlich auch für f∗ .
Beispiel. Wir haben bereits früher gesehen, dass S 1 nicht einfach zusammenhängend ist.
Proposition 11.7. Für n ≥ 2 ist die Sphäre S n einfach zusammenhängend.
40
BERNHARD HANKE
Proof. Es seien U , bzw. V die Sphäre S n ohne Nord, bzw. Südpol. Wir
wählen als Basispunkt in S n einen beliebigen Punkt x ∈ U ∩ V . Ist nun
γ : [0, 1] → S n eine in x basierte Schleife, so ist γ −1 (U ), γ −1 (V ) eine offene Überdeckung von [0, 1]. Es sei λ ∈ R eine Lebesguezahl für diese
Überdeckung. Es sei N ∈ N so groß, dass 1/N < λ. Dann gilt für alle
0 ≤ k ≤ N − 1:
γ([k/N, (k + 1)/N ]) ⊂ U , oder γ([k/N, (k + 1)/N ]) ⊂ V .
Wir finden also endlich viele Zahlen 0 = z0 < z1 < . . . < zl = 1, so dass die
Bilder γ([zi , zi+1 ]) ⊂ S n entweder ganz in U oder ganz in V liegen und zwar
abwechselnd. Insbesondere ist γ(zi ) ∈ U ∩ V für alle i = 0, . . . , l. Es sei ηi
ein Weg in U ∩ V , der x mit γ(zi ) verbindet (i = 1, 2, . . . , l − 1). An dieser
Stelle geht die Voraussetzung n ≥ 2 entscheidend ein - denn nur dann ist
U ∩ V wegzusammenhängend. Wir setzen nun
γi := γ|[zi ,zi+1 ] .
Nach Präkomposition mit einem monoton wachsenden Homöomorphismus
[0, 1] → [zi , zi+1 ] können wir γi als auf [0, 1] definierten Weg auffassen. Es
gilt nun
−1
· γl−1 rel {0, 1}
γ ' γ0 · η1−1 · η1 · γ1 · η2−1 · η2 · . . . · ηl−1
Aber γ0 · η1−1 , η1 · γ1 · η2−1 , etc. sind alle in x basierte Schleifen, die entweder ganz in U oder ganz in V verlaufen. Da U, V ≈ Rn einfach zusammenhängend sind, sind diese Schleifen also alle homotop zur konstanten
Schleife cx relativ {0, 1}. Also gilt in π1 (S n , x):
−1
· γl−1 ] = 1
[γ] = [γ0 · η1−1 ] · [η1 · γ2 · η2−1 ] · . . . · [ηl−1
und dies war zu beweisen.
Die Bezeichnungen π0 und π1 kommen von folgender alternativer Sichtweise auf unsere Definitionen: Wir wählen auf S n ⊂ Rn+1 den festen Basispunkt
p := (1, 0, 0, . . . , 0). Ist (X, x0 ) ein punktierter Raum, so definiert man ganz
allgemein
πn (X, x0 )
als die Menge der basispunkterhaltenden Abbildungen S n → X modulo
der Äquivalenzrelation, die zwei Abbildungen f und g genau dann identifiziert, falls f ' g rel {p}. Man zeigt leicht, dass diese Definition für n = 1
mit der vorherigen übereinstimmt. Falls n = 0, so ist nach dieser Definition π0 (X, x0 ) genau die Menge der Wegzusammenhangskomponenten von X
und zwar unabhängig von der Wahl von x0 . Daher kann man bei π0 auch
auf die Angabe des Basispunktes verzichten. Wir haben weiterhin gesehen,
wie man auf π1 (X, x0 ) eine Gruppenstruktur definiert. Ein ähnliches Vorgehen führt zu Gruppenstrukturen auf πn (X, x0 ) für alle n ≥ 1. Man kann
zeigen, dass diese sogar abelsch ist, falls n ≥ 2. Auf π0 (X) ist jedoch keine
Gruppenstruktur definiert. Die Berechnung der Gruppen πn (X, x0 ) ist ein
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
41
schwieriges und fundamentales Problem der algebraischen Topologie. Beispielsweise sind die Gruppen πn (S 2 , p) nicht für alle n explizit berechnet.
12. Die Sprache der Kategorientheorie
Dieser Abschnitt fasst einige Begriffsbildungen der Kategorientheorie zusammen, die in der Topologie, aber auch in anderen Bereichen der Mathematik immer wieder auftauchen. Wir behandeln hier die Kategorientheorie
also weniger als eigenständige mathematische Disziplin, sondern als Formulierung vereinheitlichender mathematischer Prinzipien.
Definition. Eine Kategorie C besteht aus den folgenden Daten:
• Eine Klasse ob C von Objekten von C.
• Eine Klasse mor C von Morphismen von C.
• Für jeden Morphismus f ∈ mor C zwei eindeutig bestimmte Objekte
dom f , cod f in ob C, genannt Quelle und Ziel ( domain“, codo”
”
main“) von f . Wir schreiben
f
A −→ B
falls, A, B ∈ ob C, f ∈ mor C, dom f = A, cod f = B.
• Eine Operation, die jedem Paar (f, g) von Morphismen aus C mit
cod f = dom g einen Morphismus g ◦ f ∈ mor C, die Komposition
”
von g und f“ zuordnet. Diese hat die Eigenschaften dom(g ◦ f ) =
dom f , cod(g ◦ f ) = cod g. Weiterhin ist diese Operation assoziativ,
d.h. falls f, g, h ∈ mor C, cod f = dom g, cod g = dom h, so haben
wir (h ◦ g) ◦ f = h ◦ (g ◦ f ).
1
A
• Eine Operation, die jedem Objekt A ∈ ob C einen Morphismus A −→
A zuordnet, den Identitätsmorphismus. Diese hat die Eigenschaften
f ◦ 1A = f und 1A ◦ g = g für alle Morphismen f, g ∈ mor C mit
dom f = A und cod g = A.
Wir machen die folgenden Bemerkungen:
• In dieser Definition benutzen wir die Begriffe Klasse“, Operati”
”
on“und das Zeichen ∈ im naiven Sinne, ohne Bezug auf die Mengenlehre. Statt Klasse“ hätte man auch Ansammlung“ schreiben
”
”
können. Insbesondere sind ob C und mor C nicht notwendigerweise
Mengen. Dies wird an den nachfolgenden Beispielen deutlich.
• Wir könnten in der Definition auf die Angabe der Objekte ob C verzichten: Es gibt eine 1 − 1-Beziehung zwischen ob C und der Klasse von Morphismen e ∈ mor C, die die Eigenschaften f ◦ e = f ,
e ◦ g = g für alle f, g ∈ mor C mit cod e = dom f , dom e = cod g
erfüllen: Notwendigerweise gilt nämlich für einen solchen Morphismus dom e = cod e. Und setzen wir A := dom e, so folgt, indem wir in
die erste der beiden obigen Gleichungen f = 1A setzen, dass e = 1A .
Diese Klasse von Morphismen umfasst also genau die Morphismen
42
BERNHARD HANKE
der Form 1A mit A ∈ ob C und steht daher in 1 − 1-Korrespondenz
mit ob C.
f
• Wenn wir C(A, B) für die Klasse der Morphismen A −→ B schreiben,
so sind C(A, B) und C(A0 , B 0 ) disjunkt, falls A 6= A0 oder B 6= B 0 .
• Die Einheitsmorphismen 1A für Objekte A ∈ ob C sind eindeutig
bestimmt: Ist 10A ein weiterer Einheitsmorphismus, so ist 1A = 1A ◦
10A = 10A .
f
Definition. Wir nennen einen Morphismus A −→ B in einer Kategorie
g
C einen Isomorphismus, falls in C ein Morphismus B −→ A existiert mit
f ◦ g = 1B und g ◦ f = 1A . Eine Kategorie C heißt klein, falls ob C und mor C
Mengen sind.
Diese Begriffsbildungen leben von der Fülle an Beispielen in allen Bereichen der Mathematik.
Beispiel.
• Die Kategorie Set der Mengen hat als Objekte alle Mengen (in irf
gendeinem Modell der Mengenlehre), und als Morphismen A −→ B
die Abbildungen f : A → B. Die Verknüpfung f ◦ g ist durch die
übliche Komposition von Abbildungen definiert und ist A ∈ ob Set
eine Menge, so definieren wir 1A als die Identität A → A.
• Wir haben die Kategorien Grp von Gruppen und Gruppenhomomorphismen, Rng von Ringen und Ringhomomorphismen, M odR
von R-Moduln (für einen festen Ring R) und R-linearen Abbildungen, V ectk von k-Vektorräumen (k ein fester Körper) und k-linearen
Abbildungen, etc.
• Wir bezeichnen mit T op die Kategorie der topologischen Räume und
der stetigen Abbildungen und mit M et die Kategorie der metrischen
Räume und der stetigen Abbildungen. Mit KompHaus bezeichnen
wir die Kategorie der kompakten Hausdorffräume und der stetigen
Abbildungen und mit T op∗ die Kategorie der punktierten topologischen Räume und basispunkterhaltenden Abbildungen.
• Ist C eine Kategorie, so bezeichnet C op die zu C entgegengesetzte Kategorie. Diese hat die gleichen Objekte und Morphismen wie C und
die Identitätsmorphismen stimmen überein. Jedoch sind die Zuordnungen dom und cod vertauscht und die Komposition von Morphisf
g
men umgedreht. D.h. sind A −→ B, B −→ C Morphismen in C, so
f
g
sind B −→ A, C −→ B Morphismen in C op und der Morphismus
g ◦ f in C stimmt mit dem Morphismus f ◦ g in C op überein.
• Es sei C eine kleine Kategorie mit nur einem Objekt e und mit der Eigenschaft, dass jeder Morphismus in C ein Isomorphismus ist. Dann
ist insbesondere C durch die Menge mor C und die Verknüpfung ◦
von Morphismen sowie die Identität 1e ∈ mor C eindeutig bestimmt
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
43
und das Tripel (mor C, ◦, 1e ) bildet eine Gruppe. Allgemeiner definieren wir ein Gruppoid als eine kleine Kategorie, in der alle Morphismen Isomorphismen sind. Ein wichtiges Beispiel ist das Fundamentalgruppoid π(X) eines topologischen Raumes X. Dieses hat als
Objekte die Punkte aus X und sind x, y ∈ X Objekte von π(X),
so besteht die Menge von Morphismen x −→ y aus der Menge von
Wegen γ : [0, 1] → X von x nach y, wobei wir γ und γ 0 identifizieren,
falls γ ' γ 0 rel {0, 1}. Man zeigt ganz ähnlich wie in der früheren
Diskussion der Fundamentalgruppe, dass π(X) wirklich ein Gruppoid ist. Das Fundamentalgruppoid vermeidet also die Festlegung
auf einen Basispunkt in X, allerdings erhält man auch nur weniger
algebraische Struktur (nämlich die eines Gruppoides und nicht einer
Gruppe).
• Jede partiell geordnete Menge (P, ≤) können wir als Kategorie interpretieren mit ob C = P und (p → q) ∈ mor C genau dann, falls
p ≤ q. Für Objekte p, q ∈ P gibt es also höchstens einen Morphismus p → q. Für p ∈ P ist der Identitätsmorphismus der Morphismus
p → p. Dieser existiert, da p ≤ p.
• Die Kategorie Rel von Mengen und Relationen hat die selben Objekte wie Set, aber Morphismen A → B sind in dieser Kategorie Relationen zwischen A und B, d.h. Teilmengen von A×B. Sind R ⊂ A×B
S◦R
und S ⊂ B × C Relationen, so ist die Komposition A −→ C die Relation {(a, c) ∈ A × C | ∃b ∈ B mit (a, b) ∈ R, (b, c) ∈ S} zwischen
A und C.
• Es sei C eine Kategorie und ∼ eine Äquivalenzrelation auf mor C, so
dass
– f ∼ g ⇒ dom f = dom g, cod f = cod g.
– Ist f ∼ g und ist k ∈ mor C mit cod f = dom k (bzw. dom f =
cod k), so gilt k ◦ f ∼ k ◦ g (bzw. f ◦ k ∼ g ◦ k).
Dann können wir eine neue Kategorie C/ ∼ definieren mit ob(C/ ∼
) = ob C und mor(C/ ∼) = (mor C)/ ∼. So erhalten wir zum Beispiel
die Homotopiekategorie HT op = T op/ ∼, wobei zwei Morphismen
f und g genau dann äquivalent sind, falls f ' g. Die Kategorie
HT op∗ hat als Objekte die punktierten topologischen Räume und
als Morphismen basispunkterhaltende Homotopieklassen von basispunkterhaltenden stetigen Abbildungen.
Definition. Es seien C und D Kategorien. Ein Funktor F : C → D besteht aus zwei Abbildungen (die beide F genannt werden) ob C → ob D und
mor C → mor D, so dass dom F (f ) = F (dom f ) und cod F (f ) = F (cod f ) für
alle f ∈ mor C, F (1A ) = 1F (A) für alle A ∈ ob C und F (g ◦ f ) = F (g) ◦ F (f )
für alle komponierbaren Morphismen g, f ∈ mor C. Ein Funktor C op → D
heißt oft auch kontravarianter Funktor von C nach D, während ein Funktor
C → D wie oben definiert ein kovarianter Funktor von C nach D ist.
44
BERNHARD HANKE
Beispiel.
• Für die Kategorien Grp, AbGp, Rng, T op, ..., gibt es Funktoren U in
die Kategorie Set, den Vergissfunktor. Ist z.B. G eine Gruppe, so ist
U (G) die unterliegende Menge von G und ist f : G → H ein Gruppenhomomorphismus, so ist U (f ) : U (G) → U (H) die Abbildung f ,
betrachtet als Abbildung zwischen Mengen.
• Es gibt einen Funktor F : Set → Grp, der jeder Menge A die freie
f
•
•
•
•
•
Gruppe über A zuordnet und jeder Abbildung A −→ B den eindeutig bestimmen Gruppenhomomorphismus F (f ) : F (A) → F (B),
der auf der Menge A von Erzeugern mit f übereinstimmt. Die Eindeutigkeit des Gruppenhomomorphismus F (f ) stellt sicher, dass
F (g ◦ f ) = F (g) ◦ F (f ) für Mengenabbildungen f : A → B und
g : B → C.
Der Potenzmengenfunktor P : Set → Set schickt eine Menge A zur
Menge P (A) aller Teilmengen von A. Falls f : A → B eine Abbildung
ist, so ist P (f )(X) := f (X) ⊂ B für alle X ⊂ A. Wir haben auch
einen Funktor P ∗ : Setop → Set mit der gleichen Wirkung auf den
Objekten von Set, jedoch ist P ∗ (f )(Y ) := f −1 (Y ) für alle Y ⊂ B.
P ∗ definiert also einen kontravarianten Funktor von Set nach Set.
Es sei k ein Körper. Dann gibt es einen kontravarianten Funktor ∗ :
V ectk → V ectk , der einem k-Vektorraum V den dualen Vektorraum
V ∗ = homk (V, k) zuordnet und einer linearen Abbildung f : V → W
die lineare Abbildung f ∗ : W ∗ → V ∗ definiert durch f ∗ (φ) := φ ◦ f
für alle φ ∈ homk (V, k).
Es sei Cat die Kategorie, deren Objekte die kleinen Kategorien und
deren Morphismen die Funktoren zwischen ihnen sind. Dabei sei
die Komposition von Funktoren in der offensichtlichen Weise definiert und für eine Kategorie C der Identitätsfunktor 1C durch die
Identitäten auf ob C und mor C gegeben. Dann ist op ein kontravarianter Funktor Cat → Cat: Ist F : C → D ein Funktor, so ist
F op : C op → Dop durch genau die gleichen Daten wie F gegeben.
Sind P und Q partiell geordnete Mengen (die wir wie vorhin erklärt
als Kategorien auffassen), so ist ein Funktor P → Q nichts anderes
als eine ordnungserhaltende Abbildung P → Q.
π0 definiert einen Funktor T op → Set und auch einen Funktor
HT op → Set. π1 definiert einen Funktor T op∗ → Grp und auch
einen Funktor HT op∗ → Grp. Ähnlich definiert das Fundamentalgruppoid π(X) einen Funktor T op → Gpd, wobei Gpd die Kategorie
der Gruppoide und der Funktoren zwischen ihnen ist.
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
45
Definition. Es seien F, G : C → D Funktoren. Eine natürliche Transformation α : F → G ist eine Abbildung
ob C → mor D
A 7→ αA
α
A
so dass F (A) −→
G(A) für alle A ∈ ob C und so dass für jeden Morphismus
f
A −→ B in C das Diagramm
F (f )
F (A) −−−−→ F (B)




αB y
αA y
G(f )
G(A) −−−−→ G(B)
kommutiert. Ist H : C → D ein weiterer Funktor und β : G → H eine
natürliche Transformation, so können wir die Komposition β ◦ α : F → H
bilden, indem wir (β ◦α)A := βA ◦αA setzen. Wir haben auch eine natürliche
1F (A)
Transformation 1F : F → F , wobei (1F )A als F (A) −→ F (A) definiert
wird. Auf diese Weise erhalten wir eine Kategorie [C, D] der Funktoren C →
D und der natürlichen Transformationen zwischen ihnen.
Beispiel.
• Es sei k ein Körper und C = D = V ectk . Die Zuordnungen
V 7→ V ∗∗ , f 7→ f ∗∗ f ür f : V → W linear
definieren einen kovarianten Funktor ∗∗ : C → D und es gibt eine
natürliche Transformation α : 1V ectk → ∗∗ gegeben durch
α
V
V 7→ αV , V −→
V ∗∗ , αV (v) := Auswertung auf v .
Schränken wir α auf die Kategorie f dV ectk der endlichdimensionalen Vektorräume ein, so ist αV ein Isomorphismus für jedes V ∈
ob f dV ectk . Daher definiert α einen Isomorphismus in der Funktorkategorie [f dV ectk , f dV ectk ].
• Wir haben eine natürliche Transformation α : 1Set → P , wobei
P : Set → Set der kovariante Potenzmengenfunktor ist. Dabei setzen
wir αA (a) := {a}. Dies ist wirklich eine natürliche Transformation,
denn ist f : A → B eine Abbildung, so gilt P (f )({a}) = {f (a)} für
alle a ∈ A.
Definition. Es seien C und D Kategorien. Eine Äquivalenz zwischen C und
D ist ein Paar von Funktoren F : C → D, D → C und natürlicher Isomorphismen 1C → G◦F , 1D → F ◦G. Wir schreiben C ' D, falls eine Äquivalenz
zwischen C und D existiert.
46
BERNHARD HANKE
Beispiel. Ist k ein Körper, so ist die Kategorie f dM odk äquivalent zur
op
Kategorie f dM odop
k . Dabei ist der Funktor ∗ : f dM odk → f dM odk sein
eigenes Inverses (bis auf natürlichen Isomorphismus).
13. Überlagerungen
Gruppen dienen der Beschreibung von Symmetrien. Die Fundamentalgruppe eines topologischen Raumes entspricht in vielen Fällen den Symmetrien eines gewissen Überlagerungsraumes“. In den folgenden Abschnitten
”
wird die Klassifikationstheorie der Überlagerungen vorgestellt.
Definition. Es sei p : X → Y eine stetige Abbildung topologischer Räume
und U ⊂ Y eine Teilmenge. Wir sagen, U wird durch p gleichmäßig überlagert, falls es einen diskreten topologischen Raum D und einen Homöomorphismus φ : p−1 (U ) ≈ U × D gibt, so dass mit der Standardprojektion
π : U × D → U auf den ersten Faktor die Abbildungen p und π ◦ φ auf
p−1 (U ) übereinstimmen, d.h. das folgende Diagramm ist kommutativ:
φ
p−1 (U ) −−−−→ U × D




py
πy
U
=
−−−−→
U
Die Abbildung p ist eine Überlagerung, falls jeder Punkt in Y eine Umgebung
besitzt, die durch p gleichmäßig überlagert wird.
Beispielsweise ist
R → S 1 , t 7→ e2πit
eine Überlagerung.
Ist p eine Überlagerung, so ist p ein lokaler Homöomorphismus, d.h. jeder Punkt in X besitzt eine Umgebung U , so dass p|U : U → p(U ) ein
Homöomorphismus ist. Diese letzte Eigenschaft impliziert aber in der Regel
nicht, dass p eine Überlagerung ist wie das Beispiel
(0, 1) → S 1 , t 7→ e2πit
zeigt.
Es sei p : X → Y eine Überlagerung und Y zusammenhängend. Ist für ein
y ∈ Y das Urbild p−1 (y) ⊂ X eine endliche Teilmenge mit d Elemengen, so
gilt dies für alle y ∈ Y , denn y 7→ ](p−1 (y)) ist eine lokalkonstante Funktion
(in dem Sinne, dass jeder Punkt in Y eine Umgebung besitzt, auf der die
Funktion konstant ist), falls p eine Überlagerung ist. Wir nennen dann p eine
d-blättrige Überlagerung. Ansonsten heißt p eine unendliche Überlagerung.
Die fundamentale Eigenschaft von Überlagerungen ist die folgende ein”
deutige Wegeliftungseigenschaft“.
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
47
Proposition 13.1. Es sei p : X → Y eine Überlagerung und γ : [0, 1] → Y
ein Weg. Ist x ∈ X ein Punkt mit p(x) = γ(0), so gibt es einen eindeutig
bestimmten Weg γ
e : [0, 1] → X mit γ
e(0) = x und p ◦ γ
e = γ.
Proof. Wir überdecken Y durch offene Teilmengen, die gleichmäßig durch
p überlagert werden. Die Urbilder dieser Mengen unter γ bilden eine offene Überdeckung von [0, 1]. Wir wählen eine Lebesguezahl λ für diese Überdeckung und n ∈ N so groß, dass 1/n ≤ λ. Da dann für alle
k ∈ {0, 1, . . . , n − 1} das Bild γ([k/n, (k + 1)/n]) ganz in einer Teilmenge
von Y liegt, die gleichmäßig überlagert wird, können wir γ
e induktiv definieren, wobei im k-ten Schritt γ
e am Punkt k/n bestimmt ist und über
[k/n, (k + 1)/n] ausgedehnt werden muss. Dies ist eindeutig möglich, da
γ([k/n, (k + 1)/n]) ⊂ Y gleichmäßig überlagert ist.
Wege sind spezielle Arten von Homotopien. Das folgende Theorem ist
daher eine Verallgemeinerung der eben bewiesenen Proposition.
Satz 13.2 (Homotopie-Liftungstheorem). Es sei p : X → Y eine Überlagerung und
F : W × [0, 1] → Y
eine Homotopie. Weiterhin sei f˜ : W → X eine Liftung von F (−, 0), d.h.
p ◦ fe = F (−, 0). Dann existiert eine Homotopie
Fe : W × [0, 1] → X
mit Fe(−, 0) = fe und p ◦ Fe = F .
Proof. Wir definieren für alle w ∈ W die Abbildung Fe auf {w} × [0, 1]
gemäß der vorhergehenden Proposition. Diese Liftung erfüllt p ◦ Fe = F .
Außerdem ist die Liftung Fe eindeutig (denn die Liftung von Wegen ist eindeutig). Zu zeigen bleibt die Stetigkeit von Fe. Es sei (w, t) ∈ W × [0, 1].
Indem wir die Kompaktheit von [0, 1] und die Existenz einer Lebesguezahl
ausnutzen, finden wir ein n ∈ N, und eine offene Umgebung U ⊂ W von
w, so dass F (U × [k/n, (k + 1)/n]) für alle 0 ≤ k ≤ n − 1 in einer offenen
Teilmenge von Y liegt, die durch p gleichmäßig überdeckt wird. Wir zeigen
induktiv, dass es für alle 0 ≤ k ≤ n eine offene Umgebung Uk von w gibt mit
Uk ⊂ U und Fe stetig auf Uk × [0, k/n]. Wir setzen U0 := U . Angenommen,
Vk ist bereits konstruiert. Wegen Uk ⊂ U liegt dann F (Uk × [k/n, k + 1/n])
in einer offenene Teilmenge T ⊂ Y , die durch p gleichmäßig überdeckt wird.
Sei nun D eine diskrete Menge und φ : p−1 (T ) ≈ T × D wie in Definition 13.
Es sei d ∈ D das eindeutig bestimmte Element mit Fe(w, k/n) ∈ T × {d}. Es
existiert nun eine offene Umgebung Uk+1 von w mit Uk+1 ⊂ Uk und
Fe(Uk+1 × {k/n}) ⊂ T × {d} .
Dies benutzt die Tatsache, dass Fe auf Uk × [0, k/n] bereits als stetig nachgewiesen wurde und dass T × {d} offen in X ist. Nach der Konstruktion von
48
BERNHARD HANKE
Fe (durch Liftung von Wegen) ist aber nun Fe auf Uk+1 × [k/n, (k + 1)/n]
durch die Abbildung
(v, t) 7→ (p|φ−1 (T ×{d}) )−1 ◦ F
gegeben und damit stetig. Somit ist Fe auf Uk+1 × [0, k/n] und auch auf
VU +1 × [k/n, (k + 1)/n] stetig. Da beide Mengen abgeschlossen in Uk+1 ×
[0, (k + 1)/n] sind, folgt die Stetigkeit von Fe auf Uk+1 × [0, (k + 1)/n]. Dieses Theorem hat einige bemerkenswerte Korollare. Es sei dabei immer
p : X → Y eine Überlagerung.
Korollar 13.3. Es seien γ0 , γ1 Wege in Y mit den gleichen Anfangs- und
Endpunkten und mit γ0 ' γ1 rel {0, 1}. Es seien γ
e0 , γ
e1 : [0, 1] → X Liftungen
von γ0 und γ1 mit den gleichen Anfangspunkten. Dann gilt γ
e0 (1) = γ
e1 (1)
und γ
e0 ' γ
e1 rel {0, 1}.
Korollar 13.4. Es sei γ : [0, 1] → Y ein geschlossener Weg, der homotop zu
einem konstanten Weg rel {0, 1} ist. Dann ist jeder Lift γ
e : [0, 1] → X auch
ein geschlossener Weg und homotop zu einem konstanten Weg rel {0, 1}.
Korollar 13.5. Es seien x0 ∈ X ein beliebiger Punkt und y0 := p(x0 ).
Dann ist
p∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 )
injektiv und hat als Bild die Elemente g ∈ π1 (Y, y0 ) mit der folgenden Eigenschaft: g wird durch einen in y0 basierten geschlossenen Weg in Y repräsentiert, der sich zu einem geschlossenen in x0 basierten Weg in X liften
lässt. Die letztgenannte Eigenschaft ist darüberhinaus unabhängig unter Homotopie rel {0, 1} und hängt somit nicht von der speziellen Wahl eines
Repräsentanten von g ab.
Korollar 13.6. Es sei Y ein wegzusammenhängender Raum, der eine wegzusammenhängende nichttriviale Überlagerung p : X → Y besitzt, d.h. p ist
mindestens zweiblättrig. Ist y0 ∈ Y , so gilt π1 (Y, y0 ) 6= 1.
Proof. Es seien x1 , x2 ∈ X zwei verschiedene Punkte über y0 und es sei
γ : [0, 1] → X ein Weg, der x1 mit x2 verbindet. Dann ist p ◦ γ ein geschlossener Weg in Y , der sich nicht zu einem geschlossenen Weg in X liften lässt
(sonst wären alle Lifts geschlossen, aber γ ist ein nichtgeschlossener Lift).
Somit gibt es Elemente in π1 (Y, y0 ), die nicht im Bild von p∗ liegen. Da
1 ∈ π1 (Y, y0 ) sicher im Bild liegt (p∗ ist ja ein Gruppenhomomorphismus),
muss π1 (Y, y0 ) 6= 1 sein.
Da die kanonische Projektion S 2 → RP 2 = S 2 / ∼ eine Überlagerung ist,
folgt aus dem letzten Korollar, dass RP 2 nichttriviale Fundamentalgruppe
hat (bzgl. eines beliebigen Basispunktes). Andererseits ist S 2 einfach zusammenhängend (siehe Proposition 11.7). Insgesamt folgt also
Korollar 13.7. RP 2 ist nicht homöomorph zu S 2 .
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
49
Wir berechnen nun explizit die Fundamentalgruppe des Kreises S 1 . Wir
betrachten dazu wieder die Exponentialabbildung
p : R → S 1 , t 7→ e2πit .
Diese ist eine Überlagerung. Es sei f : [0, 1] → S 1 ein bei 1 ∈ S 1 basierter
geschlossener Weg. Es sei fe : [0, 1] → R die Liftung von f mit fe(0) = 0. Wir
setzen
deg f := fe(1) ∈ Z .
Wie wir bereits bewiesen haben, hängt deg f nur von der Homotopieklasse
von f relativ {0, 1} ab. Daher erhalten wir eine induzierte Abbildung
deg : π1 (S 1 , 1) → Z .
Wir zeigen:
Proposition 13.8. Die Abbildung deg ist ein Gruppenisomorphismus.
Proof. Wir zeigen zunächst, dass deg ein Homomorphismus ist. Seien dazu
f, g : [0, 1] → S 1 bei 1 basierte geschlossene Wege. Es seien fe, ge : [0, 1] → R
die Liftungen von f und von g mit Anfangspunkt 0 ∈ R. Wir setzen n :=
fe(1), m := ge(1). Dann ist die Komposition
fe · (e
g + n) : [0, 1] → R
der eindeutig bestimmte Lift von f ·g mit Anfangspunkt 0 ∈ R. Somit haben
wir
deg(f · g) = (fe · (e
g + n))(1) = m + n = deg(f ) + deg(g) .
Die Abbildung deg ist surjektiv, denn ist γ : [0, 1] → R ein Weg mit Anfang
0 und Ende n ∈ Z, so gilt deg(p◦γ) = n. Die Abbildung deg ist aber auch injektiv: Angenommen f : [0, 1] → S 1 ist ein in 1 basierter geschlossener Weg
mit deg f = 0. Dann gilt fe(1) = 0, d.h. auch fe : [0, 1] → R ist ein geschlossener Weg. Diesen können wir in R relativ {0, 1} auf den konstanten Weg mit
Wert 0 ∈ R zusammenziehen. Komposition einer solchen Homotopie mit p
zeigt, dass [f ] ∈ π1 (S 1 , 1) das neutrale Element repräsentiert.
Es sei nun f : S 1 → S 1 eine Abbildung mit f (1) = 1. Wir können diese
als geschlossenen in 1 basierten Weg [0, 1] → S 1 auffassen. Wir definieren
dann deg f ∈ Z wie eben und nennen diese Zahl den Abbildungsgrad von f .
Man sieht:
Proposition 13.9. Die Abbildung S 1 → S 1 , z 7→ z n hat Abbildungsgrad n
für alle n ∈ Z.
Die Abbildung f : S 1 → S 1 induziert auch eine Abbildung f∗ :
π1 (S 1 , 1) → π1 (S 1 , 1). Identifizieren wir π1 (S 1 , 1) mit Z über den oben diskutieren Isomorphismus, so haben dann:
deg f = f∗ (1) ∈ Z .
Ist f : S 1 → S 1 eine beliebige stetige Abbildung, so induziert f immer noch
eine Abbildung f∗ : π1 (S 1 , 1) → π1 (S 1 , f (1)). Letzte Gruppe ist kanonisch
isomorph zu π1 (S 1 , 1) ∼
= Z, da π1 (S 1 , 1) abelsch ist. Wir erhalten also wieder
50
BERNHARD HANKE
einen wohldefinierten Abbildungsgrad deg f ∈ Z. Man überzeugt sich, dass
dieser nur von der Homotopieklasse von f abhängt (wobei die betrachteten
Homotopien nicht basispunkterhaltend sein brauchen): Ist H : S 1 × [0, 1] →
S 1 eine Homotopie, so bezeichne γ den Weg t 7→ H(1, t). Man überzeugt sich
wie im Beweis von Proposition 11.6, dass für jedes Element g ∈ π1 (S 1 , 1)
gilt:
(H0 )∗ (g) = hγ ((H1 )∗ (g)) .
Nach Identifikation von π1 (S 1 , H0 (1)) und π1 (S 1 , H1 (1)) mit π1 (S 1 , 1) werden also (H0 )∗ (g) und (H1 )∗ (g) auf das gleiche Element abgebildet (hier
benutzen wir wieder, dass π1 (S 1 , 1) abelsch ist). Bezeichnen wir mit [S 1 , S 1 ]
die Menge der Homotopieklassen von Abbildungen S 1 → S 1 , so erhalten wir
also eine kanonische Bijektion
[S 1 , S 1 ] → Z , [f ] 7→ deg f .
Insbesondere trägt [S 1 , S 1 ] eine Gruppenstruktur.
Korollar 13.10 (Fundamentalsatz der Algebra). Es sei P ein nichtkonstantes Polynom mit komplexen Koeffizienten. Dann hat P eine Nullstelle in C.
Proof. Ohne Einschränkung können wir annehmen, dass
P (X) = X n + an−1 X n−1 + . . . + an
mit n > 0. Falsl P keine Nullstellen hat, können wir die Homotopie
P ((1 − t)z/t)
tn P ((1 − t)z/t)
S 1 × [0, 1] → S 1 , F (z, t) :=
= n
|P ((1 − t)z/t)
|t P ((1 − t)z/t)|
betrachten. Da
tn P ((1 − t)z/t) = (1 − t)n z n + an−1 (1 − t)n−1 z n−1 t + . . . + a0 tn ,
ist F auch bei t = 0 definiert und dort stetig. Wir haben F (z, 0) = z n und
F (z, 1) = P (0)/|P (0)|. Daher ist die Abbildung z → z n homotop zu einer
konstanten Abbildung, im Widerspruch (wegen n > 0) zu den Bemerkungen
direkt vor dem Korollar.
Wir wenden uns nun einer Variante des vorhin besprochenen Liftungsproblems zu. Es sei p : X → Y eine Überlagerung, x0 ∈ X ein Punkt und
y0 := p(x0 ). Es sei W ein topologischer Raum und f : W → Y eine stetige Abbildung. Es sei w0 ∈ W ein Punkt mit f (w0 ) = y0 . Existiert dann
eine stetige Abbildung g : W → X, so dass p ◦ g = f und g(w0 ) = x0 ?
Dieses Problem hat nicht in jedem Falle eine Lösung, wie man am Beispiel
p : R → S 1 , t 7→ e2πit , W = S 1 und f : S 1 → S 1 = id sieht. Der folgende Satz gibt aber eine umfassende Antwort. Wir brauchen zunächst einen
neuen Begriff aus der mengentheoretischen Topologie.
Definition. Ein topologischer Raum X heißt lokal wegzusammenhängend,
wenn für jeden Punkt x ∈ X und jede Umgebung U ⊂ X von x eine wegzusammenhängende Umgebung V ⊂ X von x existiert mit V ⊂ U .
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
51
Satz 13.11 (Liftungstheorem). Es sei die Situation wie vor der Definition
gegeben. Darüberhinaus sei W wegzusammenhängend und lokal wegzusammenhängend. Dann existiert eine Lösung g : W → X des Liftungsproblems
genau dann, falls
f∗ (π1 (W, w0 )) ⊂ im(p∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 )) .
In diesem Fall ist die Liftung g sogar eindeutig.
Proof. Die im Theorem beschriebene Bedingung ist notwendig für die Existenz von g, da dann f∗ = p∗ ◦ g∗ wegen der Funktorialität von π1 . Es sei
nun die angegebene Bedingung erfüllt. Wir versuchen g wie folgt zu konstruieren: Es sei w ∈ W beliebig. Da W wegzusammenhängend ist, existiert
ein Weg γ : [0, 1] → W von w0 nach w. Wir definieren g(w) als den Endpunkt des Lifts f]
◦ γ von f ◦ γ mit Anfangspunkt x0 . Als erstes zeigen wir,
dass diese Definition nicht von der Auswahl des Weges γ abhängt. Sei also
γ 0 : [0, 1] → W ein anderer Weg von w0 nach w. Dann ist γ · (γ 0 )−1 ein
geschlossener in w0 basierter Weg. Damit ist auch f ◦ (γ · (γ 0 )−1 ) ein geschlossener in y0 basierter Weg. Nach Voraussetzung liegt er im Bild von
p∗ : π1 (X, x0 ) → π1 (Y, y0 ) und lässt sich daher zu einem geschlossenen Weg
in X mit Anfangspunkt x0 liften. Da dieser Lift Endpunkt x0 hat, muss er
−1
mit der Komposition f]
◦ γ · f^
◦ γ 0 übereinstimmen. Insbesondere gilt also
f]
◦ γ(1) = f^
◦ γ 0 (1) und obige Definition von g ist unabhängig von der Wahl
von γ.
Offensichtlich gilt p ◦ g = f , g(w0 ) = x0 und jede Lösung des Liftungsproblems muss mit dem eben definierten g übereinstimmen (wegen der eindeutigen Wegeliftungseigenschaft). Es bleibt noch zu zeigen, dass das eben
definierte g stetig ist. Sei w ∈ W und y := f (w). Wir wählen eine offene Umgebung U ⊂ Y von y, die durch p gleichmäßig überdeckt wird. Sei
V ⊂ W eine wegzusammenhängende Umgebung von w mit f (V ) ⊂ U . Es sei
γ ein fester Weg in W von w0 nach w. Ist w0 ∈ V , so können wir einen Weg
von w0 nach w0 konstruieren, indem wir γ mit einem kleinen in V gelegenen
Weg γw0 komponieren, der w mit w0 verbindet. Da f (V ) ⊂ U gleichmäßig
überdeckt wird, ist somit g auf V die Komposition von f mit dem Inversen
von p, die U auf die Komponenten von p−1 (U ) abbildet, die g(w) enthält
(denn der Lift der Komposition f ◦ γw0 liegt ganz in dieser Komponente von
p−1 (U )). Damit ist g|V stetig.
Man kann sich an Beispielen überzeugen, dass die Voraussetzung W lokal
”
wegzusammenhängend“ wirklich notwendig ist.
Aus dem eben bewiesenen Satz folgt, dass das Liftungsproblem immer
eindeutig lösbar ist, falls W einfach zusammenhängend und lokal wegzusammenhängend ist.
Definition. Es sei p : X → Y eine Überlagerung. Eine Decktransformation
dieser Überlagerung ist ein Homöomorphismus φ : X → X mit p ◦ φ = p.
52
BERNHARD HANKE
Die Decktransformationen einer Überlagerung bilden eine Gruppe mit der
Komposition als Verknüpfung. Wir nennen diese Gruppe Deck(p).
Korollar 13.12. Es seien p : X → Y eine Überlagerung und x0 , x1 ∈ X
mit p(x0 ) = p(x1 ). Falls X einfach zusammenhängend und lokal wegzusammenhängend ist, so gibt es eine eindeutig bestimmte Decktransformation
φ : X → X mit φ(x0 ) = x1 .
Das letzte Korollar erlaubt eine interessante Folgerung. Es sei wieder p :
X → Y eine Überlagerung und X sei einfach zusammenhängend und lokal
wegzusammenhängend. Sei y0 ∈ Y ein Basispunkt, so dass p−1 (y0 ) nichtleer
ist (dies ist automatisch der Fall, wenn p surjektiv ist). Wir erhalten eine
Abbildung
π1 (Y, y0 ) → Deck(p)
wie folgt: Es sei x0 ∈ X ein Punkt mit p(x0 ) = y0 . Wir betrachten ein
Element g ∈ π1 (Y, y0 ). Es sei γ : [0, 1] → Y ein Repräsentant von g. Der
Endpunkt des Lifts γ
e von γ mit Anfangspunkt x0 ist ein Punkt x1 ∈ X
mit p(x1 ) = y0 . Weiterhin ist x1 unabhängig von der Auswahl eines Repräsentanten von g ∈ π1 (Y, y0 ). Nach dem Korollar gibt es eine eindeutige
Decktransformation ψg ∈ Deck(p) mit ψg (x0 ) = γ̃(1). Wir erhalten eine
wohldefinierte Abbildung
Ψ : π1 (Y, y0 ) → Deck(p) , g 7→ Ψg .
Diese ist ein Gruppenhomomorphismus: Seien g, g 0 ∈ π1 (Y, y0 ) mit Repräsentanten γ, γ 0 : [0, 1] → Y . Es seien γ
e, γ
e0 : [0, 1] → X die Lifts von
γ und γ 0 mit Anfangspunkt x0 . Die Komposition Ψg ◦ γ
e0 ist dann der Lift
0
von γ mit Anfangspunkt Ψg (x0 ) = γ
e(1). Somit ist der komponierte Weg
γ
e · (Ψg ◦ γ
e0 ) der Lift von γ · γ 0 mit Anfangspunkt x0 . Da der Endpunkt dieser
Komposition der Punkt Ψg·g0 (1) = Ψg ◦ γ
e0 )(1) = (Ψg ◦ Ψg0 )(1) ist, gilt nach
dem Eindeutigkeitsteil des letzten Korollares also
Ψg·g0 = Ψg ◦ Ψg0
und dies war zu zeigen. Es ist leicht zu sehen, dass Ψ surjektiv ist und
trivialen Kern hat. Somit gilt
Proposition 13.13. Die eben definierte Abbildung π1 (Y, y0 ) → Deck(p) ist
ein Gruppenisomorphismus.
Wir bemerken, dass diese Abbildung Ψ : π1 (Y, y0 ) → Deck(p) im allgemeinen von der Auswahl des Punktes x0 abhängt.
Wir haben nun einen wichtigen Zusammenhang erkannt: Falls X → Y
eine surjektive Überlagerung ist und X einfach zusammenhängend und lokal wegzusammenhängend ist, so können wir die Fundamentalgruppe von Y
mit den Symmetrien (d.h. den Decktransformationen) der gegebenen Überlagerung identifizieren (nach der Wahl von Basispunkten). Dies motiviert
die folgende Definition:
Definition. Eine Überlagerung p : X → Y heißt universell, falls p surjektiv,
X einfach zusammenhängend und lokal wegzusammenhängend ist.
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
53
Direkt aus dem Liftungstheorem ergibt sich:
Proposition 13.14. Es seien p : X → Y und p0 : X 0 → Y universelle
Überlagerungen. Dann gibt es einen Homöomorphismus φ : X → X 0 mit
p0 ◦ φ = p.
(Man sollte sich klarmachen, warum in der Proposition die Surjektivität
von p und von p0 benötigt werden).
Dieser Homöomorphismus φ ist natürlich nicht eindeutig bestimmt: Für
alle x ∈ X und x0 ∈ X 0 mit p(x) = p0 (x0 ) existiert ein Homöomorphismus φ
der eben genannten Art mit φ(x) = x0 .
Für sehr viele topologische Räume Y existiert eine universelle Überlagerun X → Y . Bevor wir einen allgemeinen Existenzsatz beweisen, veranschaulichen wir noch den Zusammenhang von Decktransformationen und
Fundamentalgruppe an einigen Beispielen. Folgende grundlegende Beobachtung folgt aus unseren Sätzen:
Proposition 13.15. Es sei p : X → Y eine Überlagerung, es sei X wegzusammenhängend und lokal wegzusammenhängend und G sei eine Gruppe
bestehend aus Decktransformationen von X, die die folgende Eigenschaft
hat: Für alle y ∈ Y und x0 , x1 ∈ p−1 (y) existiert ein g ∈ G mit g(x0 ) = x1 .
(Man sagt auch: G operiert transitiv auf p−1 (y)). Dann gilt G = Deck(p).
Es genügt, die geforderte Eigenschaft für einen einzigen Punkt y ∈ Y
zu testen, falls p surjektiv ist. Wir werden später Beispiele sehen, wo die
Decktransformationsgruppe nicht transitiv auf den Fasern operiert. Die in
der letzten Proposition formulierte Bedingung ist also nicht notwendig.
Wählt man p : X → Y als eine universelle Überlagerung, so ergibt sich im
Zusammenspiel mit der Tatsache Deck(p) ∼
= π1 (Y, y0 ) eine effektive Methode
zur Bestimmung der Fundamentalgruppe von Y .
Wir führen noch eine bequeme Sprechweise ein. Es sei X ein topologischer
Raum und
φ : G → Homöo(X)
ein Gruppenhomomorphismus von einer Gruppe G in die Gruppe der
Homöomorphismen von X. Wir sprechen dann auch von einer Wirkung oder
Operation der Gruppe G auf X. Ist g ∈ G, so nennen wir den Homöomorphismus φ(g) : X → X auch oft nur g. Wir definieren eine Äquivalenzrelation
∼ auf X durch
x ∼ y ⇔ ∃g ∈ G mit g(x) = y .
und setzen
X/G := X/ ∼
(mit der Quotiententopologie). Dies ist der Orbitraum der gegebenen Gruppenwirkung von G auf X.
Definition. Es sei φ : G → Homöo(X) eine Gruppenwirkung auf dem
topologischen Raum X. Wir nennen diese Wirkung eigentlich diskontinuierlich, falls jeder Punkt x ∈ X eine Umgebung U besitzt, so dass
54
BERNHARD HANKE
g(U ) ∩ U 6= ∅ ⇒ g = e, wobei e ∈ G das neutrale Element bezeichnet.
Folgende Proposition folgt nun unter anderem aus Proposition 13.15.
Proposition 13.16. Es sei eine eigentlich diskontinuierliche Wirkung einer
Gruppe G auf dem zusammenhängenden und lokal wegzusammenhängenden
Raum X gegeben. Dann ist die kanonische Projektion
p : X → X/G
eine Überlagerung mit Decktransformationsgruppe G.
Beispiel. Wir betrachten die Standardüberlagerung p : S 2 → RP 2 . Da
S 2 einfach zusammenhängend und lokal wegweise zusammenhängend und p
surjektiv ist, handelt es sich um eine universelle Überlagerung. Die Gruppe G := {idS 2 , ψ} mit ψ(x) := −x besteht aus Decktransformationen von
p und operiert transitiv auf den Fasern. Nach Proposition 13.15 gilt also
π1 (RP 2 , x0 ) ∼
= Z/2 für alle x0 ∈ RP 2 .
Wir geben folgende schöne Anwendung der Berechnung der Fundamentalgruppe von RP 2 .
Satz 13.17 (Borsuk-Ulam). Es sei f : S 2 → R2 eine stetige Abbildung.
Dann existiert ein Punkt x ∈ S 2 mit f (x) = f (−x).
Proof. Angenommen, es existiert ein f : S 2 → R2 , für das die angegebene
Folgerung nicht gilt. Dann definiert
φ : S 2 → S 1 , x 7→
f (x) − f (−x)
kf (x) − f (−x)k
eine Abbildung mit der Eigenschaft φ(−x) = −φ(x) für alle x ∈ S 2 . Wir
erhalten somit eine stetige Abbildung φ : RP 2 → S 1 , die das folgende Diagramm kommutativ macht:
φ
S 2 −−−−→ S 1




can.y
t7→t2 y
φ
RP 2 −−−−→ S 1
Es sei nun x0 ∈ RP 2 ein Basispunkt und γ eine in x0 basierte Schleife in RP 2 ,
die den Erzeuger η von π1 (RP 2 , x0 ) ∼
= Z/2 repräsentiert. Die Liftung dieses
2
Weges zu einem Weg in S läuft von einem Punkt in S 2 zum gegenüberliegenden Punkt. Verfolgen wir diese Schleife unter der Komposition von φ und
der rechten vertikalen Abbildung, so folgt, dass φ∗ (η) ein ungerades Vielfaches des Erzeugers von π1 (S 1 , φ(x0 )) ∼
= Z ist (und damit von 0 verschieden).
Da aber jeder Gruppenhomomorphismus Z/2 → Z trivial ist, erhalten wir
einen Widerspruch.
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
55
Wir wenden uns nun der Existenz universeller Überlagerungen zu. Wir
starten mit einer Vorüberlegung: Es sei p : X → Y eine universelle Überlagerung und es sei U ⊂ Y eine wegzusammenhängende offene Teilmenge,
die durch p gleichmäßig überlagert wird. Sei y ∈ U und γ : [0, 1] → Y ein
geschlossener in y basierter Weg, der ganz in U verläuft. Wir wählen einen
Punkt x ∈ p−1 (y). Wir können nun die Schleife γ zu einer geschlossenen
Schleife γ
e an x liften (da die Schleife ganz in U verläuft). Weil X einfach
zusammenhängend ist, ist γ
e ' cx rel {0, 1} und die Komposition so einer
Homotopie mit p zeigt, dass γ ' cy rel {0, 1} in Y . Der von der Inklusionsabbildung i : U ,→ Y induzierte Gruppenhomomorphismus
i∗ : π1 (U, y) → π1 (Y, y)
schickt also alle Elemente auf das neutrale Element. Diese Beobachtung
motiviert die folgende Definition:
Definition. Ein topologischer Raum X heißt semilokal einfach zusammenhängend, falls jeder Punkt x ∈ X eine offene Umgebung U ⊂ X besitzt,
so dass der von der Inklusion U ⊂ X induzierte Gruppenhomomorphismus
π1 (U, x) → π1 (X, x)
trivial ist (d.h. jede in x basierte Schleife, die ganz in U verläuft, kann
in X relativ zu den Endpunkten zu einer konstanten Schleife homotopiert
werden).
Das folgende Resultat liefert eine Art Umkehrung zu obiger Beobachtung.
Satz 13.18. Es sei Y ein wegzusammenhängender und lokal wegzusammenhängender Raum. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:
• Y besitzt eine universelle Überlagerung.
• Y ist semilokal einfach zusammenhängend.
Proof. Eine Richtung haben wir bereits oben gezeigt. Es sei nun Y semilokal
einfach zusammenhängend. Es sei y ∈ Y ein festgewählter Punkt. Wir definieren X als die Menge aller in y startenden Wege in Y , wobei wir zwei Wege
identifizieren, wenn sie relativ Endpunkten homotop sind. (Wir betrachten
in diesem Beweis immer nur Homotopien relativ zu den Endpunkten). Die
Zuordnung γ 7→ γ(1) definiert eine Abbildung
p:X→Y .
Wir werden nun eine Topologie auf X konstruieren, so dass p eine Überlagerung und X einfach zusammenhängend ist. Eine offene Teilmenge N ⊂ Y
heiße gut, falls N wegzusammenhängend ist und jede Schleife an einem
Punkt z ∈ N , die ganz in N verläuft, zur konstanten Schleife cz homotopiert werden kann (in Y ). Nach den Voraussetzungen an Y bilden die guten
Teilmengen eine Basis der Topologie auf Y . Ist N ⊂ Y eine gute Teilmenge
und γ ein Weg in Y von y zu einem Punkt z ∈ N , so sei
N[γ] ⊂ X
56
BERNHARD HANKE
die Menge aller Wege, die zu einer Zusammensetzung γ · α homotop sind,
wobei α ein Weg ist, der ganz in N verläuft und bei z startet. Man überzeugt
sich davon, dass N[γ] wirklich nur von der Homotopieklasse von γ abhängt.
Es ist nun nicht schwer, die folgenden Tatsachen nachzuweisen (beim dritten
Punkt ist wichtig, dass N gut ist):
• Ist β ein Weg in N , der bei z startet, so gilt N[γ·β] = N[γ] .
0 .
• Sind N ⊂ N 0 eine Inklusion von guten Teilmengen, so ist N[γ] ⊂ N[γ]
0
• Sind γ und γ Wege von y nach z ∈ N , wobei N gut in Y ist, so
gilt N[γ] = N[γ 0 ] , falls γ und γ 0 homotop sind (dies haben wir bereits
oben bemerkt) und N[γ] ∩ N[γ 0 ] = ∅ sonst.
Wir erklären nun eine Teilmenge U ⊂ X als offen, falls es für jeden Weg
γ ∈ U eine gute Umgebung von γ(1) ⊂ Y gibt mit
N[γ] ⊂ U .
Offensichtlich sind die leere Menge und ganz X offen, ebenso wie beliebige Vereinigungen offener Mengen. Nach dem zweiten obigen Punkt ist der
Schnitt zweier offener Mengen offen, denn der Schnitt zweier guter Umgebungen eines Punktes z ∈ Y enthält eine gute Umgebung von z. Somit
handelt es sich wirklich um eine Topologie. Weiterhin sieht man mit dem
ersten Punkt, dass alle Mengen der Form N[γ] offen sind. Diese bilden nach
der Definition offener Mengen in X sogar eine Basis der Topologie auf X.
Für alle guten N ⊂ Y und alle Wege von y zu einem Punkt in N ist die
Projektion p : N[γ] → N stetig. Dies folgt daraus, dass die guten Teilmengen
eine Basis der Topologie auf Y bilden und dass für alle guten N ⊂ Y und
alle Wege γ von y zu einem Punkt in N die Projektion p eine Bijektion
N[γ] → N induziert. Eine inverse Abbildung q : N → N[γ] ist dabei wie folgt
definiert: Es sei z ∈ N der Endpunkt von γ. Ist w ∈ N ein Punkt, so sei α ein
Weg in N von z nach w (N ist nach Voraussetzung wegzusammenhängend).
Wir setzen dann q(w) := [γ · α]. Diese Definition ist unabhängig von der
Auswahl von α, denn je zwei Wege von z nach w in N sind in Y homotop (dies benutzt wieder die besondere Eigenschaft guter Teilmengen). Aus
diesen Betrachtungen folgt auch, dass p eine offene Abbildung ist (denn
p(N[γ] ) = N und die N[γ] bilden eine Basis der Topologie auf X). Somit ist
jede Einschränkung p : N[γ] → N sogar ein Homöomorphismus.
Wir behaupten nun, dass jedes gute N ⊂ Y durch p gleichmäßig überdeckt
wird. In der Tat ist p−1 (N ) eine disjunkte (nach dem dritten obigen Punkt)
Vereinigung von Mengen der Form N[γ] , (parametrisiert nach den Homotopieklassen von Wegen γ von y zu einem festgewählten Punkt z ∈ N ) und
alle N[γ] ⊂ X sind offen und p induziert einen Homöomorphismus N[γ] → N
für jede solche Homotopieklasse (dies haben wir im vorigen Absatz gezeigt).
Wir haben somit nachgewiesen, dass p : X → Y wirklich eine Überlagerung
ist. Die Abbildung p ist surjektiv, da X wegzusammenhängend ist.
Zu zeigen bleibt also noch, dass X einfach zusammenhängend und lokal
wegzusammenhängend ist. Der zweite Punkt folgt daraus, dass er für Y gilt
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
57
und p ein lokaler Homöomorphismus ist. Wir wählen nun die Homotopieklasse des konstanten Weges cy als Basispunkt x ∈ X. Es sei [γ] ∈ X beliebig.
Die Abbildung
[0, 1] → X , t 7→ (s 7→ γ(st))
definiert dann eine stetigen Pfad von cy nach γ in X (für die Stetigkeit
beachte man, wieder, dass p ein lokaler Homöomorphismus ist). Der Raum
X ist somit wegzusammenhängend.
Es sei nun γ : [0, 1] → X, t 7→ γt ein geschlossener in x(= [cy ]) basierter Weg in X. Insbesondere ist also [γ1 ] = [cy ]. Komposition mit p (d.h.
Propjektion auf die Enpunkte der Wege in dieser Familie) führt auf einen
geschlossenen Weg η in Y . Nach Konstruktion ist dann γ der eindeutige Lift
von η mit Anfangspunkt x. Es existiert aber noch ein anderer Lift
γ 0 : [0, 1] → X , t 7→ [γt0 ]
wobei γt0 (s) := η(st). Wegen der Eindeutigkeit von Liftungen muss [γ 0 (1)] =
[γ(1)] sein, also ist η = γ1 homotop zu cy relativ zu den Endpunkten, mit
anderen Worten: η ist zusammenziehbar. Damit ist auch der Lift γ zusammenziehbar (durch Liftung einer Homotopie) und dies war zu zeigen.
Wir betrachten die Hawaiianischen Ohrringe
[
1
H :=
S1/n
(1/n, 0) ⊂ R2
n∈N>0
1 (1/n, 0)
S1/n
wobei
ein Kreis mit Mittelpunkt (1/n, 0) und Radius 1/n ist
und H die Teilraumtopologie von R2 trägt. Der Raum H ist wegzusammenhängend, lokal wegzusammenhängend, aber nicht semilokal einfach zusammenhängend. Daher hat H nach dem letzten Satz keine universelle Überlagerung.
Unsere theoretischen Untersuchungen von Überlagerungen können wir
nun mit dem folgenden Klassifikationssatz abschließen. Wir beginnen mit
einer Definition:
Definition. Es seien p : (X, x) → (Y, y) und p0 : (X 0 , x0 ) → (Y, y) Überlagerungen (wobei
wir hier auch Basispunkte über y in X und X 0 fixieren). Diese heißen
äquivalent, falls es einen Homöomorphismus φ : X → X 0 mit p0 ◦ φ = p und
φ(x) = x0 gibt.
Wir haben bereits weiter oben gezeigt, dass universelle Überlagerungen
eines topologischen Raumes Y immer äquivalent sind (nach Wahl von Basispunkten). Wir sprechen dann auch von der“ universellen
”
Überlagerung von Y und bezeichen diese mit Ye → Y .
Satz 13.19 (Klassifikation von Überlagerungen). Es sei Y ein wegzusammenhängender, lokal wegzusammenhängender und semilokal einfach zusammenhängender Raum. Es sei y ∈ Y ein Basispunkt. Dann gibt es eine bijektive Korrespondenz zwischen:
58
BERNHARD HANKE
• (Basispunkterhaltenden) Äquivalenzklassen von (nichtleeren) wegzusammenhängenden Überlagerungen von Y mit festgewähltem Basispunkt über y.
• Untergruppen H ⊂ π1 (Y, y).
Ist p : (X, x) → (Y, y) eine Überlagerung, so ist die entsprechende Untergruppe durch H := p∗ (π1 (X, x)) gegeben.
Proof. Sind die wie eben definierten Untergruppen für zwei Überlagerungen
gleich, so sind die entsprechenden Überlagerungen äquivalent. Dies folgt
direkt aus dem Liftungstheorem. Es sei nun H ⊂ π1 (Y, y) eine Untergruppe.
Wir müssen eine Überlagerung p : X → Y und einen Punkt x ∈ X finden mit
p(x) = y und p∗ (π1 (X, x)) = H. Nach dem vorhin gezeigten Satz existiert
eine universelle Überlagerung π : Ye → Y . Es sei ye ∈ Ye ein Punkt über y.
Nach dieser Festlegung haben wir einen Isomorphismus
Ψ : π1 (Y, y) ∼
= Deck(π)
wie weiter oben definiert. Wir können also vermittels Ψ die Untergruppe
H ⊂ π1 (Y, y) als Untergruppe von Deck(π) auffassen. Insbesondere operiert
H auf Ye . Wir setzen X := Ye /H. Die Abbildung π induziert eine stetige
Abbildung
p:X→Y
Man überzeugt sich leicht, dass es sich um eine Überlagerung handelt (indem
man durch π gleichmäßig überdeckte offene Mengen in Y betrachtet - diese
werden dann durch die Wirkung von Deck(π) einfach permutiert). Es sei
x ∈ X das Bild von ye unter der Projektion Ye → X. Wir behaupten, dass
p∗ (π1 (X, x)) = H. Wie wir weiter oben gesehen haben, stimmt das Bild von
π1 (X, x) unter p∗ mit den geschlossenen in y basierten Wegen γ in Y überein,
die sich zu einem geschlossenen in x basierten Weg in X liften lassen. Dies
bedeutet aber (nach Definition von Ψ) genau, dass der Lift von γ nach Ye
mit Anfang ye einen Endpunkt der Form Ψ(h)(e
y ) hat, wobei h ∈ H. Das
bedeutet aber (nach Definition von Ψ), dass [γ] ∈ H.
Wir untersuchen noch die Rolle des über y ∈ Y gewählten Basispunktes in
X. Ist allgemein p : X → Y eine Überlagerung mit wegzusammenhängendem
X, ist y ∈ Y und x, x0 ∈ p−1 (y), so gilt
p∗ (π1 (X, x)) = g · p∗ (π1 (X, x0 ))g −1
wobei g ∈ π1 (Y, y) durch die Projektion eines (beliebigen) Weges in X von
x nach x0 in X ist. Aus dieser Betrachtung (und aus der Tatsache, das man
geschlossene in y basierte Wege in Y immer zu Wegen in X mit Startpunkt
x liften kann) sowie aus dem Liftungstheorem folgt für den Fall, dass X
zusätzlich lokal wegzusammenhängend ist:
Proposition 13.20. Die folgenden Aussagen sind äquivalent:
• p∗ (π1 (X, x)) ist normal in π1 (Y, y).
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
59
• Für alle Punkte x1 , x2 ∈ p−1 (y) gilt
p∗ (π1 (X, x1 )) = p∗ (π1 (X, x2 )) .
• Für alle Punkte x1 , x2 ∈ p−1 (y) gibt es eine Decktransformation
φ ∈ Deck(p) mit φ(x1 ) = x2 .
Man zeigt darüberhinaus leicht, dass in diesem Falle Deck(p) mit der
Quotientengruppe π1 (Y, y)/p∗ (π1 (X, x)) identifiziert werden kann und dass
X/ Deck(p) zum Raum Y
kanonisch homöomorph ist.
Wenn wir im Klassifikationstheorem auf die Wahl des Basispunktes in
X verzichten würden (und bei Äquivalenzen von Überlagerungen auf die
Erhaltung von Basispunkten), erhielten wir also eine 1 − 1-Korrespondenz
von Äquivalenzklassen von Überlagerungen von Y und Konjugationsklassen
von Untergruppen von π1 (Y, y).
Definition. Eine Überlagerung X → Y heißt regulär, falls p∗ (π1 (X, x)) ⊂
π1 (Y, y) eine normale Untergruppe ist.
Im Sinne der letzten Proposition sind die regulären Überlagerungen (mit
wegzusammenhängendem und lokal wegzusammenhängendem X) also die
Überlagerungen mit maximaler Symmetrie (in dem Sinne, dass die Decktransformationsgruppe transitiv auf den Fasern operiert).
Diese Resultate weisen eine gewisse Analogie zur Galoistheorie aus der
Algebra auf: Ist (Y, y) wegzusammenhängend, lokal wegzusammenhängend
und semilokal einfach zusammenhängend, so entsprechen sich Äquivalenzklassen von wegzusammenhängenden Überlagerungen (mit Basispunkt) und
Untergruppen von π1 (Y, y). Genau die Überlagerungen, die zu normalen Untergruppen gehören, haben dabei ein Maximum an Symmetrie in dem Sinne, dass die Decktransformationsgruppe transitiv auf den Fasern operiert.
Ist K ⊂ L eine Galoissche Körpererweiterung (d.h. endlich, separabel und
normal), so entsprechen sich genau die Zwischenkörper K ⊂ L0 ⊂ L und Untergruppen der Galoisgruppe Gal(L/K). Dabei entspricht H ⊂ Gal(L/K)
dem Fixkörper L0 := LH (also den Elementen in L die durch alle Elemente
aus H fixiert werden). Die normalen Untergruppen liefern dabei Körpererweiterungen, K ⊂ L0 die Galoissch sind (d.h. maximale Symmetrie in dem
Sinne aufweisen, dass K genau der Fixkörper von Gal(L0 /K) ist). Diese
Analogie kann innerhalb der Theorie der Schemata (in der algebraischen
Geometrie) präzisiert werden.
14. Eine Anwendung in der Gruppentheorie
Es sei M eine Menge und W (M ∪ M −1 ) die Menge der Wörter über
der Sympbolmenge M ∪ M −1 := {m, m−1 | m ∈ M }, d.h. Elemente in
W (M ∪ M −1 ) sind Ausdrücke der Form
s1 s2 s3 . . . sk ,
60
BERNHARD HANKE
wobei si ∈ M ∪ M −1 . Wir betrachten das leere Wort als Element von
W (M ∪ M −1 ). Wir bezeichnen zwei Wörter als äquivalent, geschrieben
W1 ∼ W2 , wenn sie durch wiederholtes Entfernen oder Einfügen einer Zeichenkette der Form mm−1 oder m−1 m auseinander hervorgehen. Dies definiert offensichtlich eine Äquivalenzrelation.
Sind W1 und W2 Wörter, so definieren wir das Wort W1 W2 durch Aneinanderfügen. Das Inverse eines Wortes W = s1 s2 s3 . . . sk ist das Wort
−1
−1
W −1 := s−1
k sk−1 . . . s1 ,
wobei wir (m−1 )−1 gleich m setzen.
Diese beiden Operationen sind mit der Äquivalenzrelation auf W (M ∪
M −1 ) verträglich und induzieren entsprechende Operationen auf
F (M ) := W (M ∪ M −1 )/ ∼ ,
die diese Menge zu einer Gruppe machen. Sie heißt die freie Gruppe über
M.
Es ist nicht schwer, die folgende universelle Eigenschaft der freien Gruppe
über M nachzuweisen.
Proposition 14.1. Es sei G eine Gruppe und f : M → G eine Abbildung
(von Mengen). Dann existiert ein eindeutig bestimmter Gruppenhomomorphismus F : F (M ) → G, so dass F |M = f .
Man kann freie Gruppen auch über diese universelle Eigenschaft definieren.
Ist n ∈ N, so ist die freie Gruppe in n Erzeugern Fn definiert als F (M ),
wobei M eine Menge mit n Elementen ist. Diese Sprechweise ist gerechtfertigt, da F (M ) ∼
= F (M 0 ), falls M und M 0 die gleiche Mächtigkeit haben.
Umgekehrt legt auch der Isomorphietyp einer freien Gruppe F (M ) die Kardinalität von M fest (Robinson, A course in the theory of groups, Springer,
2.3.9). Wir erläutern kurz den folgenden Spezialfall.
Proposition 14.2. Sind n, m natürliche Zahlen und ist Fn ∼
= Fm , so gilt
m = n.
Proof. Dies liegt daran, dass die Abelisierung (Fn )ab eine freie abelsche
Gruppe An mit n Erzeugern ist. Und ist n 6= m, so sind An und Am nicht
isomorph (dies sieht man z.B. nach Tensorieren mit Q und der Tatsache,
dass endlich dimensionale Vektorräume mit verschieden langen Basen nicht
isomorph sein können).
Ein Wort W ∈ W (M ∪ M −1 ) heißt reduziert, falls es keine Zeichenkette
der Form mm−1 oder m−1 m enthält.
Proposition 14.3. Jede Äquivalenzklasse von Wörtern aus W (M ∪ M −1 )
enthält ein eindeutig bestimmtes reduziertes Wort.
Proof. Existenz ist klar. Es sei nun R(M ) die Menge der reduzierte Wörter
in W (M ∪ M −1 ). Ist m ∈ M , so definieren wir eine Abbildung
φm : R(M ) → R(M ) ,
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
61
durch
s1 . . . sk 7→ ms1 . . . sk ,
falls s1 6=
m−1
und
s1 . . . sk 7→ s2 . . . sk ,
falls s1 =
Die Abbildung φm ist bijektiv. Die so definierte Funktion
M → Perm(R(M )) lässt sich nach der universellen Eigenschaft eindeutig zu
einem Gruppenhomomorphismus
m−1 .
F (M ) → Perm(R(M )) , g 7→ φg
erweiteren. Das Symbol m−1 geht dann offensichtlich in die Funktion φm−1 :
R(M ) → R(M ) über, die durch
s1 . . . sk 7→ m−1 s1 . . . sk ,
falls s1 6= m und
s1 . . . sk 7→ s2 . . . sk ,
falls s1 = m, gegeben ist. Es seien nun v, w äquivalente reduzierte Wörter.
Ist v = s1 . . . sk mit si ∈ M ∪ M −1 , so haben wir
φ[v] = φs1 . . . φsk
und Anwenden dieser Permutation auf das leere Wort e ergibt
φv (e) = s1 . . . sk = v ,
denn v ist reduziert. Ebenso erhalten wir φ[w] (e) = w. Aber [v] = [w] nach
Voraussetzung. Daraus folgt die Behauptung.
Wir werden mit topologischen Methoden das folgende rein algebraische
Ergebnis beweisen. Dabei heißt eine Gruppe G frei, falls es eine Menge M
gibt, so dass G ∼
= F (M ).
Satz 14.4 (Nielsen-Schreier). Untergruppen freier Gruppen sind frei.
Der Beweis braucht etwas Vorbereitung.
Ein Graph ist ein eindimensionaler geometrischer Simplizialkomplex
(d.h. die maximale Dimension von auftretenden Simplizes ist 1). Die 0dimensionalen Simplizes eines Graphen G nennen wir die Ecken von G und
die eindimensionalen Simplizes die Kanten. Diese Mengen werden mit V (G)
(Vertices) und E(G) (Edges) bezeichnet.
Ein Graph heißt Baum, wenn er zusammenziehbar ist. Ist G ein beliebiger
Graph, so heißt ein Untergraph (also Unterkomplex) T ⊂ G ein maximaler
oder aufspannender Baum, falls T ein Baum ist und alle Ecken von G enthält.
Proposition 14.5. Jeder zusammenhängende Graph enthält einen Spannbaum.
Proof. Wir beweisen allgemeiner: Ist H ⊂ G ein Untergraph, so ist H starker
Deformationsretrakt eines Graphen K ⊂ G, der alle Ecken von G enthält.
Zum Beweis konstruieren wir zunächst eine Folge von Untergraphen
H = H0 ⊂ H1 ⊂ H 2 ⊂ . . . G
62
BERNHARD HANKE
wie folgt: Hi+1 entsteht aus Hi durch Anfügen
S aller Kanten in G, die mindestens eine Ecke in Hi haben. Die Vereinigung i∈N Hi ist ein offener (denn ist
x ∈ Hi , so ist eine Umgebung von x in G in der Menge Hi+1 enthalten) und
abgeschlossener (denn diese Vereinigung ist Unterkomplex) Unterraum von
G und stimmt daher mit G überein, da G ein zusammenhängender Raum
ist.
Wir definieren nun Teilgraphen
H = K0 ⊂ K1 ⊂ . . . ⊂ G
mit der Eigenschaft Ki ⊂ Hi wie folgt: Der Graph Ki+1 entsteht aus Ki ,
indem man für jede Ecke in Hi+1 , die nicht in Ki liegt genau eine Kante
aus Hi+1 einfügt, die diese Ecke mit einer Ecke aus Ki verbindet. Offensichtlich
S enthält Ki+1 alle Ecken aus Hi+1 . Somit enthält der Untergraph
K := i Ki ⊂ G alle Ecken von G. Nach Konstruktion ist Ki ein starker Deformationsrektrakt von Ki+1 . Wir parametrisieren diese Deformationsretraktion von Ki+1 auf Ki mittels eines Zeitparameters im Intervall
[1/(2i+1 ), 1/2i ]. Diese Retraktionen können wir zu einer stetigen Abbildung
Ψ : K × [0, 1] → K
zusammenfügen, indem wir Punkte in Ki+1 \ Ki bis zum Zeitpunkt 1/2i+1
konstant lassen, dann gemäß der obigen Homotopie auf Ki (bis zum Zeitpunkt 1/2i ) retrahieren und dann anschließend wie Punkte aus Ki behandeln. Für die Wohldefiniertheit ist wichtig, dass wir starke Deformationsretraktionen benutzen, d.h. Punkte in Ki wirklich bis zum Zeitpunkt 1/2i
konstant bleiben. Um die Stetigkeit on Ψ zu prüfen, müssen wir (nach
der Definition der Topologie auf Simplizialkomplexen) nur prüfen, dass die
Einschränkung von Ψ auf σ × [0, 1] für alle Simplizes σ ⊂ K stetig ist.
Ist aber e ⊂ K eine Kante, so ist Ψ auf e × [0, 1/2i+1 ] konstant, falls
e ∈ E(Ki+1 ) \ E(Ki ) und anschließend offensichtlich stetig, d.h. Ψ|e×[0,1]
ist insgesamt stetig. Nach Konstruktion ist Ψ eine Deformationsretraktion
von K auf H.
Mit der gleichen Idee wie in diesem Beweis zeigt man: Ist T ⊂ G ein
Spannbaum, so ist jeder Punkt p ∈ T ein starker Deformationsretrakt von
T . Wir erhalten die folgende Beschreibung des Homotopietyps von zusammenhängenden Graphen (ist M eine beliebige Menge, so ist ein Bouquet von
Ṡ
Sphären S 1 über M der Raum M S 1 / ∼, wobei ∼ die disjunkte Vereinigung
der Punkte 1 ∈ S 1 zu einem Punkt identifiziert.
W Die1 Sphären werden also
1
alle an 1 ∈ S verklebt. Dieser Raum wird mit M S bezeichnet.)
Satz 14.6. Es sei G ein zusammenhängender Graph und T ⊂ G ein Spannbaum. Es sei M die Menge der Kanten von G, die nicht in T liegen. Dann ist
G homotopieäquivalent zu einem Bouquet von Sphären S 1 über der Menge
M.
EINFÜHRUNG IN DIE TOPOLOGIE
63
Proof. Wir schreiben
G = T ∪φ
[
˙
m∈M
[0, 1]
Ṡ
wobei φ : m∈M {0, 1} → T die Ecken des Simplex [0, 1], das zum Element
m ∈ M gehört mit den entsprechenden Ecken in T identifiziert (T enthält
ja alle Ecken von G). Ist p ∈ T ein beliebiger Punkt, so ist φ wegen der
Zusammenziehbarkeit von T homotop zu einer konstanten Abbildung cp :
Ṡ
m∈M {0, 1} → T mit Wert p. Wie in Aufgabe 3 auf Blatt 9 sieht man nun,
dass
[
[
˙
˙
T ∪φ
[0, 1] ' T ∪cp
[0, 1]
m∈M
m∈M
letzterer Raum ist aber ein Bouquet von Sphären S 1 über der Menge M ,
das mit T am Punkt p verklebt wurde. Da p ein starker Deformationsretrakt
von T ist, ist dieser Raum homotopieäquivalent zum Bouquet allein.
Wir berechnen nun noch die Fundamentalgruppe eines Bouquets von
Sphären.
Proposition 14.7. Es sei M eine Menge und
_
X :=
S1
M
ein über M parametrisiertes Bouquet von Sphären. Dann ist π1 (X, x) ∼
=
F (M ) (mit einem beliebigen Basispunkt x ∈ X).
Proof. Wir erläutern den Beweis nur für den Fall, dass M zwei Elemente
enthält, der allgemeine Fall geht analog.
Es sei also M = {a, b}. Wir betrachten den Cayley-Graphen G von M .
D.h. die Ecken von M sind die Elemente von F (M ) und zwei Ecken e, f sind
durch eine Kante verbunden, wenn e und f (als Elemente von F (M )) durch
Multiplikation (von rechts) mit a oder b auseinander hervorgehen, d.h. (e, f )
bildet genau dann eine Kante, falls f = ea, f = eb, f = ea−1 oder f = b−1 .
Wir betrachten das neutrale Element als Basipunkt von G, genannt p. Die
Gruppe F (M ) operiert auf G: Ist g ∈ F (M ), so schicken wir eine Ecke e ∈ G
auf die Ecke ge und eine Kante (e, f ) auf die Kante (ge, gf ). Diese Operation
ist eigentlich diskontinuierlich und der Orbitraum kann mit einem Bouquet
von 2 Sphären S 1 identifiziert werden. Wir behaupten nun, dass G ein Baum
ist (daraus folgt, dass G einfach zusammenhängend ist und somit nach den
Propositionen 13.16 und 13.13 die Behauptung der Proposition). Ein Weg
in einem Graphen ist eine Folge von aufeinanderfolgenden Kanten der Form
(e1 , e2 ), (e2 , e3 ), . . . , (ek−1 , ek )
wobei niemals eine Kante sofort wieder zurückgelaufen wird, d,h. ei+1 6= ei−1
für alle i. Ist F ein Graph mit Basipunkt f und lässt sich jede Ecke in F mit
f durch genau einen Weg verbinden, so ist F ein Baum. Dies folgt direkt
aus der Konstruktion in Proposition 14.5.
64
BERNHARD HANKE
Genau diese Eigenschaft trifft aber nach Proposition 14.3 auf den CayleyGraphen einer freien Gruppe zu, denn ein Weg im Cayley-Graphen entspricht einem reduzierten Wort.
Wir brauchen noch:
Lemma 14.8. Es sei G ein Graph und p : F → G eine Überlagerung. Dann
ist auch F ein Graph.
Proof. Wir müssen F die Struktur eines eindimensionalen Simplizialkomplexes geben. Ist V (G) die Eckenmenge von G, so nehmen wir p−1 (V (G))
als Eckenmenge von F . Ist e ⊂ G eine Kante und v ∈ G eine Ecke von e,
so können wir für jeden Lift ve von v die Kante e mit Anfanspunkt ve liften.
Diese Prozedur liefert uns eine Menge von Kanten in F . Der so definierte
geometrische Simplizialkomplex kann mit F identifiziert werden (die Topologie von F stimmt mit der Simplizialkomplextopologie überein, da p ein
lokaler Homöomorphismus ist).
Beweis des Nielsen-Schreier Satzes. Es sei G = F (M ). Ist Y ein über M
parametrisiertes Bouquet von 1-Sphären und y ∈ Y , so gilt
π1 (Y, y) ∼
= F (M ) .
Indem wir jede S 1 in drei 1-Simplizes aufteilen, können wir Y als Graph
auffassen. Der Raum Y ist semilokal einfach zusammenhängend und daher
kann der Klassifikationssatz von Überlagerungen auf Y angewendet werden.
Es sei nun H ⊂ G eine Untergruppe und p : (X, x) → (Y, y) eine Überlagerung mit zusammenhängendem X und
p∗ (π1 (X, x)) = H ⊂ π1 (Y, y) .
Da p∗ injektiv ist, gilt also
π1 (X, x) ∼
=H.
Nach dem Lemma ist X ein zusammenhängender Graph und daher homotopieäquivalent zu einem Bouquet von S 1 en. Daher ist π1 (X, x) (also auch
H) eine freie Gruppe.
Es ist über die hier entwickelte Analogie nicht schwer zu sehen (obwohl
die Aussage zunächst überrascht), dass es für jedes n ∈ N
eine Untergruppe H ⊂ F2 gibt mit H ∼
= Fn .
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