Mathematische Probleme, SS 2013 Donnerstag 25.4 $Id: dreieck.tex,v 1.9 2013/04/26 11:37:34 hk Exp $ §1 Dreiecke 1.5 Einige spezielle Punkte im Dreieck In der letzten Sitzung haben wir die Konstruktion der vier speziellen Punkte Sm , Sw , Su und Sh beendet. Die Schnittpunkte der Seitenhalbierenden, der Mittelsenkrechten und der Höhen können jetzt nicht völlig beliebig zueinander liegen, es stellt sich heraus das sie immer auf einer gemeinsamen Geraden sind, der sogenannten Euler-Geraden des Dreiecks. Dies wurde 1763 von Leonard Euler entdeckt und scheint das erste Resultat über Dreiecke zu sein das in der Antike nicht bekannt war. Bevor wir den entsprechenden Satz beweisen, müssen wir erst einmal den Randfall eines gleichseitigen Dreiecks aus dem Weg schaffen. In einem gleichseitigen Dreieck ist nach Aufgabe (9.a) stets Sm = Sw = Su = Sh , die vier speziellen Punkte fallen also alle zusammen. In nicht gleichseitigen Dreiecken kann dies nicht auftreten, und wir formulieren den Satz über die Eulergerade daher für nicht gleichseitige Dreiecke. Satz 1.20 (Die Eulergerade eines Dreiecks) Sei ∆ = ABC ein nicht gleichseitiges Dreieck. Dann sind der Schwerpunkt Sm von ∆, der Umkreismittelpunkt Su von ∆ und der Höhenschnittpunkt Sh von ∆ paarweise verschieden und diese Punkte liegen auf einer Geraden e, der sogenannten Eulergeraden des Dreiecks ∆. Auf dieser Geraden liegt Sm zwischen Su und Sh und trennt diese Punkte im Verhältnis 1 : 2, d.h. es gilt |Sm Sh | = 2|Sm Su |. C Sh C Sm b h a Su A B C’ A c/2 C’ c/2 B Beweis: Angenommen es wäre Su = Sm . Dann stimmen die Mittelsenkrechten und die Seitenhalbierenden in ∆ überein, und wir behaupten das dann ∆ bezüglich aller drei Ecken gleichschenklig und somit gleichseitig ist, im Widerspruch zu unserer Annahme. Dies ist leicht zu sehen, bezeichnen wir etwa die gemeinsame Mittelsenkrechte und Seitenhalbierende über AB als h und wenden in den beiden rechts oben gezeigten rechtwinkligen Dreieck jeweils den Satz des Pythagoras Satz 1 an, so ergibt sich a2 = h2 + (c/2)2 = b2 also a = b. Für die beiden anderen Ecken schließt man analog. 6-1 Mathematische Probleme, SS 2013 Donnerstag 25.4 Dieser Widerspruch zeigt Su 6= Sm . Sei e die Verbindunsgerade von Su und Sm und bezeichne S den Punkt auf e so, dass Sm zwischen Su und S liegt und diese Strecke im Verhältnis 1 : 2 teilt, d.h. |Sm S| = 2|Sm Su |, wie oben links eingezeichnet. Dann ist zu zeigen das S der Höhenschnittpunkt von ∆ ist, also auf allen drei Höhen liegt. Sei C 0 der Mittelpunkt der Strecke AB. Nach Satz 12 zerlegt Sm die Strecke CC 0 im Verhältnis 2 : 1, also |Sm C| = 2|Sm C 0 |. Folglich ist 2|Sm C 0 | |Sm C 0 | |Sm C| = = , |Sm S| 2|Sm Su | |Sm Su | d.h. die Seitenpaare Sm C, Sm S und Sm C 0 , Sm Su in den beiden Dreiecken Sm CS und Sm C 0 Su haben dasselbe Verhältnis. Die von diesen beiden eingeschlossenen Winkel in Sm CS und Sm C 0 Su sind ebenfalls gleich, also sind die beiden Dreiecke nach dem Ähnlichkeitssatz Satz 10 ähnlich. Damit sind die Winkel dieser Dreiecke bei C beziehungsweise C 0 gleich und nach dem Stufenwinkelsatz sind SC und Su C 0 parallel. Nun ist Su C 0 senkrecht auf AB, also ist auch SC senkrecht auf AB, d.h. Su C ist die Höhe von ∆ auf AB. Analog gehen auch die Höhen auf den anderen beiden Seiten durch S, d.h. S = Sh ist der Schnittpunkt der Höhen von ∆. Insbesondere ist damit Sh 6= Sm , Su . Der Beweis dieses Satzes liefert uns übrigens einen zweiten Beweis für die Existenz des Höhenschnittpunkts, zumindest in nicht gleichseitigen Dreiecken. 1.6 Einige Sätze über Kreise Im vorigen Abschnitt haben wir den Inkreis und den Umkreis eines Dreiecks behandelt, und jetzt wollen wir noch etwa weiter auf das Zusammespiel zwischen Kreisen und Dreiecken eingehen. Wir beginnen dabei mit dem grundlegenden Satz über Kreise, den sogenannten Satz von Thales der besagt das alle Winkel im Halbkreis Rechte sind. Satz 1.21 (Satz von Thales) Sei AB ein Durchmesser eines Kreises k und C ein Punkt auf k aber nicht auf AB. Dann hat das Dreieck ABC in C einen rechten Winkel. C φ ψ β α A M 6-2 B Mathematische Probleme, SS 2013 Donnerstag 25.4 Beweis: Bezeichne M den Mittelpunkt des Kreises k. Dann sind die beiden Dreiecke AM C und M BC bei M gleichschenklig, also sind nach Aufgabe (9.a) die Winkel α und φ bei A und C in AM C sowie die Winkel β und ψ bei B und C in M BC jeweils gleich, also φ = α und ψ = β. Der Winkel von ABC bei C ist γ = φ + ψ = α + β und da die Winkelsumme in einem Dreieck immer π ist ergibt sich γ = π − (α + β) = π − γ, also γ = π . 2 Damit ist der Satz vollständig bewiesen. Der Satz von Thales beschreibt die Winkel über den Durchmessern eines Kreises, und ergibt insbesondere das alle Winkel über einem solchen Durchmesser gleich sind, nämlich 90◦ . Betrachtet man anstelle eines Durchmessers eine Sekante des Kreises, so müssen die Winkel über dieser Sekante zwar nicht mehr gleich 90◦ sein, aber sie sind zumindest noch alle gleich. Streng genommen tritt hier noch eine kleine Komplikation ein, man muss zwischen Winkeln überhalb und unterhalb der Sekante unterscheiden und erhält den folgenden Satz: Satz 1.22 (Perepheriewinkelsatz) Seien k ein Kreis mit Mittelpunkt M und AB ein Sekante in k die nicht durch M geht. Weiter sei ψ der Mittelpunktswinkel der Sekante AB, d.h. der Winkel des Dreiecks ABM bei M . C C φ φ k k M ψ B B A A θ C’ Perepheriewinkel über AB Perepheriewinkel unter AB (a) Ist C ein Punkt auf k über AB, also auf derselben Seite von AB wie M , und bezeichnet φ den Perepheriewinkel von AB bei C, also den Winkel des Dreiecks ABC bei C, so gilt ψ = 2φ und insbesondere φ < π/2. (b) Ist C 0 ein Punkt auf k unter AB und θ der Perepheriewinkel von AB bei C 0 , so ist φ + θ = π und insbesondere θ > π/2. Beweis: Wir verwenden die folgenden Figuren zum Beweis: 6-3 Mathematische Probleme, SS 2013 Donnerstag 25.4 C C k α β γ k φ M δ ψ α β B B A A θ C’ Teil (a) Teil (b) (a) Die Dreiecke AM C und BM C sind bei M gleichschenklig, also haben sie nach Aufgabe (9.a) bei A und C jeweils denselben Winkel α beziehungsweise bei B und C denselben Winkel β. Weiter bezeichne γ den Winkel von AM C bei M und δ den Winkel von BM C bei M . Dann sind 2α + γ = 2β + δ = π. Da der Perepheriewinkel φ in α und β zerlegt wird, ist φ = α + β und somit ψ = 2π − γ − δ = 2π − (π − 2α) − (π − 2β) = 2(α + β) = 2φ. Wegen 2φ = ψ < π ist damit auch φ < π/2. (b) Bilde die Verbindungsgerade von C 0 und M und nach (a) können wir annehmen das C der andere Schnittpunkt dieser Gerade mit k ist. Nach dem Satz von Thales Satz 21 haben die Dreiecke AC 0 C bei A und C 0 BC bei B rechte Winkel. Mit Aufgabe (7) angewandt auf das Viereck AC 0 BC folgt π 2π = 2 · + θ + φ = π + θ + φ also φ + θ = π 2 und insbesondere ist θ = π − φ > π/2. Fassen wir den Satz von Thales und den Perepheriewinkelsatz zusammen, so sind die Perepheriewinkel bezüglich einer beliebigen Sekante des Kreises unter und über der Sekante jeweils zueinander gleich und durch Vergleich mit einem rechten Winkel kann man auch sehen ob die Winkel unter oder über der Sekante gebildet werden. C C’ φ k φ B Korollar 1.23: Seien k ein Kreis und AB eine Sekante von k. Dann sind alle Perepheriewinkel von k auf derselben Seite von AB einander gleich. A Beweis: Dies folgt aus dem Satz von Thales Satz 21 wenn AB ein Durchmesser von k ist und aus dem Perepheriewinkelsatz Satz 22 wenn AB kein Durchmesser von k ist. 6-4 Mathematische Probleme, SS 2013 Donnerstag 25.4 Wir wollen den Perepheriewinkelsatz auf den Umkreis eines Dreiecks anwenden. Haben wir ein Dreieck ABC und einen weiteren Punkt P , so kann es recht schwer sein zu entscheiden ob der Punkt P auf dem Umkreis k des Dreiecks liegt, der naheliegende Weg macht es erforderlich den Schnittpunkt der Mittelsenkrechten und den Abstand von P zu diesem Punkt zu berechnen. Wir wollen hierfür jetzt ein besser handhabbares Kriterium ausarbeiten in dem zum einen der Mittelpunkt des Umkreises gar nicht vorkommt und zum anderen auch keine Abstände sondern nur Winkel betrachtet werden müssen. Korollar 1.24 (Charakterisierung des Umkreises durch Winkel) Sei ∆ = ABC ein Dreieck mit Winkel γ bei C und bezeichne k seinen Umkreis. Weiter sei P ein Punkt nicht auf der Geraden AB. Dann gelten: (a) Ist P auf derselben Seite von AB wie C so ist P genau dann auf k wenn der Winkel des Dreiecks ABP bei P gleich γ ist. (b) Ist P auf der anderen Seite von AB wie C so ist P genau dann auf k wenn der Winkel des Dreiecks ABP bei P gleich π − γ ist. Beweis: Beachte das AB eine Sekante von k ist und damit gelten die Implikationen von links nach rechts in (a) und (b) nach dem Satz von Thales Satz 21 mit γ = π/2 wenn AB ein Durchmesser von k ist und nach dem Perepheriewinkelsatz Satz 22 wenn AB kein Durchmesser von k ist. Nun zeigen wir die Rückrichtungen in (a) und (b) simultan. Bezeichne k 0 hierzu den Umkreis des Dreiecks ABP . Angenommen es wäre k 6= k 0 . Wegen sin(π − γ) = sin γ haben k und k 0 nach Satz 18 beide den Radius R = |AB|/(2 sin γ), d.h. sind M der Mittelpunkt von k und M 0 der Mittelpunkt von k 0 , so muss M 6= M 0 gelten. M R R B A M’ Andererseits liegen M und M 0 beide auf den beiden Kreisen vom Radius R mit Mittelpunkt A beziehungsweise B, müssen also die beiden verschiedenen Schnittpunkte dieser Kreise sein. Wie oben gezeigt liegen M und M 0 damit auf verschiedenen Seiten von AB, und AB geht weder durch M noch durch M 0 , d.h. AB ist weder ein Durchmesser von k noch ein Durchmesser von k 0 . Andererseits behaupten wir jetzt das M und M 0 6-5 Mathematische Probleme, SS 2013 Donnerstag 25.4 doch auf derselben Seite von AB liegen müssen. Sind wir nämlich in der Situation von (a), so sind die Winkel von ABC in C und von ABP in P beide gleich γ, also liegen M und M 0 nach dem Perepheriewinkelsatz Satz 22 für γ < π/2 beide auf derselben Seite von AB wie P und C und ist γ > π/2 so liegen M und M 0 beide auf der anderen Seite von AB als C und P . Im Fall (b) liegen M und M 0 wieder nach dem Perepheriewinkelsatz für γ < π/2 beide auf derselben Seite von AB wie C und für γ > π/2 beide auf derselben Seite von AB wie P . Damit haben wir einen Widerspruch erhalten. Dieser Widerspruch zeigt k = k 0 und insbesondere liegt P auf k. Wir werden dieses Kriterium anwenden um einen der merkwürdigen“ mit dem Dreieck ” verbundenen Kreise zu behandeln, den sogenannten Feuerbachkreis des Dreiecks. Dieser ist leicht zu definieren. Definition 1.3 (Der Feuerbachkreis eines Dreiecks) Sei ∆ ein Dreieck. Der Feuerbachkreis, oder Neun-Punkte-Kreis, von ∆ ist der Umkreis des Mittendreiecks von ∆, also der Kreis durch die drei Seitenmittelpunkte. C B* ~ C f A* Sh B’ A’ ~ B ~ A A C’ C* B Der Feuerbachkreis wurde von Karl Feuerbach, übrigens ein Lehrer, 1822 in seiner Dissertation untersucht. Der Feuerbachkreis ist zwar auch schon andernorts früher aufgetaucht, aber Feuerbach war der erste der ihn im Rahmen der Dreieckstheorie untersuchte. Der Feuerbachkreis hat einige überraschende Eigenschaften von denen wir hier aber nur eine vorführen wollen, dass er nämlich durch die namensgebenden neun Punkte geht, diese sind die drei Seitenmittelpunkte, die drei Höhenfußpunkte und die drei Mittelpunkte der Verbindungsstrecken der drei Ecken zum Höhenschnittpunkt Sh . In der Literatur finden sie unzählige Beweise für dieses Tatsache, und wir wollen hier den schönen Beweis nach Darij Grinberg aus dem Jahr 2003 wiedergeben. Während Feuerbachs Zugang rechnerisch orientiert ist und mittels trigonometrischer Überlegungen die relevanten Abstände bestimmt, braucht der hier vorgeführte Beweis keine aufwändigen Rechnungen und arbeitet mit einigen einfachen Winkelbestimmungen. 6-6 Mathematische Probleme, SS 2013 Donnerstag 25.4 Satz 1.25 (Der Feuerbachkreis und die neun Punkte) Seien ∆ = ABC ein Dreieck, ∆0 = A0 B 0 C 0 sein Mittendreieck, A∗ der Fußpunkt der Höhe auf BC, B ∗ der Fußpunkt der Höhe auf AC, C ∗ der Fußpunkt der Höhe auf e der Mittelpunkt von ASh , B e der AB, Sh der Schnittpunkt der drei Höhen sowie A e Mittelpunkt von BSh und C der Mittelpunkt von CSh . Dann geht der Feuerbachkreis e B, e C. e f von ∆ durch die neun Punkte A0 , B 0 , C 0 , A∗ , B ∗ , C ∗ , A, Beweis: Dass der Feuerbachkreis f durch die drei Seitenmittelpunkte ist klar. Wir teilen den weiteren Beweis in zwei Schritte auf, und im ersten Schritt zeigen wir das f auch durch die drei Höhenfußpunkte läuft. Wir zeigen zunächt das der Höhenfußpunkt C ∗ auf der Seite AB auch auf f liegt. Da f definitionsgemäß der Umkreis des Mittendreiecks A0 B 0 C 0 ist und die Punkte C 0 und C ∗ auf derselben Seite von A0 B 0 liegen, ist nach unserem eben bewiesenen Korollar 24 nur zu zeigen, dass die beiden Winkel der Dreiecke A0 B 0 C 0 bei C 0 und A0 B 0 C ∗ bei C ∗ gleich sind. Dies tun wir, indem wir einsehen das sie beide gleich dem Winkel γ von ABC bei C sind. C C γ γ B’ B’ A’ P γ A A’ γ B C* C’ 0 0 0 Winkel von A B C bei C A 0 B C* C’ 0 0 ∗ Winkel von A B C bei C ∗ Zunächst ist γ auch der Winkel von B 0 A0 C bei C und nach dem Mittenlemma Lemma 11 ist B 0 A0 C kongruent zu B 0 A0 C 0 , also ist auch der Winkel des Mittendreiecks B 0 A0 C 0 bei C 0 gleich γ. Damit haben wir den Winkel bei C 0 als γ bestimmt, und kommen nun zum Winkek beim Höhenfußpunkt C ∗ . Wieder nach Lemma 11 ist A0 B 0 parallel zu AB, also ist die Höhe CC ∗ auf AB auch senkrecht auf A0 B 0 und ist P der Schnittpunkt von CC ∗ und A0 B 0 , so ist nach dem Strahlensatz |CA| |CC ∗ | = 2, = |CP | |CB 0 | also |CC ∗ | = 2|CP | und P ist der Mittelpunkt von CC ∗ , also auch |CP | = |P C ∗ |. Betrachtung der rechtwinkligen Dreiecke B 0 P C, P A0 C, C ∗ P B 0 und C ∗ A0 P liefert mit dem Satz des Pythagoras Satz 1 |B 0 C| = |B 0 C ∗ | und |A0 C| = |A0 C ∗ |, d.h. die Dreiecke B 0 A0 C und B 0 A0 C ∗ sind kongruent. Insbesondere ist damit auch der Winkel von B 0 A0 C ∗ bei C ∗ gleich γ. Damit sind unsere Winkel bei C 0 und C ∗ tatsächlich 6-7 Mathematische Probleme, SS 2013 Donnerstag 25.4 beide gleich γ, und nach Korollar 24.(a) liegt C ∗ auf dem Umkreis von A0 B 0 C 0 , also auf f . Analog sind dann auch A∗ und B ∗ auf f . Der zweite Beweisschritt folgt dann in der nächsten Sitzung. 6-8