Thermodynamik

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Thermodynamik
Dirk–Gunnar Welsch
2
Inhaltsverzeichnis
1 Grundbegriffe
5
2 Die Temperatur
17
3 Der
3.1
3.2
3.3
erste Hauptsatz
Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Arbeitsterme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
pV T -Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
25
28
35
4 Der
4.1
4.2
4.3
4.4
4.5
zweite Hauptsatz
Der Carnot-Prozeß . . . . . . . . . . . . . .
Nichtexistenz eines perpetuum mobile 2. Art
Der Entropiesatz . . . . . . . . . . . . . . .
Absolute und empirische Temperatur . . . .
Reversible Ersatzprozesse . . . . . . . . . . .
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47
47
50
55
60
62
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67
67
73
78
86
88
94
Nernstsche Wärmetheorem
Unerreichbarkeit des absoluten Nullpunkts . . . . . . .
Thermodynamische Koeffizienten für T → 0 . . . . . . .
Wärmekapazitäten und Entropie . . . . . . . . . . . . .
97
98
99
102
5 Thermodynamische Potentiale
5.1 Die Gibbssche Fundamentalgleichung
5.2 Potentialfunktionen . . . . . . . . . .
5.3 pV T -Systeme . . . . . . . . . . . . .
5.3.1 Ideales Gas . . . . . . . . . .
5.3.2 Van der Waals-Gas . . . . . .
5.3.3 Photonengas . . . . . . . . . .
6 Das
6.1
6.2
6.3
3
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4
INHALTSVERZEICHNIS
7 Veränderliche Teilchenzahlen
107
7.1 Chemische Potentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
7.2 pV T -Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
7.3 Homogene Mischungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
8 Gleichgewicht und Stabilität
8.1 Phasengleichgewicht eines pV T -Systems
8.2 Stabilität eines einfachen pV T -Systems .
8.3 Gibbssche Phasenregel . . . . . . . . . .
8.4 Osmotischer Druck . . . . . . . . . . . .
8.5 Siedepunkt- und Gefrierpunktänderung .
8.6 Chemisches Gleichgewicht . . . . . . . .
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127
132
135
139
142
144
147
9 Phasenübergänge
155
9.1 Phasenübergänge 1. Art . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
9.2 Phasenübergänge höherer Ordnung . . . . . . . . . . . 163
10 Thermodynamik als Feldtheorie
10.1 Konzept . . . . . . . . . . . . . .
10.2 Bilanzgleichungen . . . . . . . . .
10.2.1 Massenbilanz . . . . . . .
10.2.2 Impulsbilanz . . . . . . . .
10.2.3 Energiebilanz . . . . . . .
10.2.4 Entropiebilanz . . . . . . .
10.3 Generalisierte Kräfte und Ströme
10.4 Evolutionsgleichungen . . . . . .
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173
173
175
175
180
182
185
189
193
An Fortschritt glauben, heißt nicht glauben,
daß ein Fortschritt schon geschehen ist.
Franz Kafka
Kapitel 1
Grundbegriffe
System ↔ Umgebung
ΔESU
ΔES
Energie der Wechselwirkung zwischen System und Umgebung (ΔESU )
ist klein gegenüber den inneren Wechselwirkungsenergien (ΔES ), d.h.
hinreichend schwache Kopplung:
ΔESU ΔES
(1.1)
– Abgrenzung ist relativ.1
– Sinnvolle Einteilung gemäß Stärke der Wechselwirkungen.
Thermodynamische Systeme
Thermodynamische Systeme sind makroskopische Systeme, d.h. Systeme mit einer sehr großen Anzahl mikroskopischer Freiheitsgrade. Makroskopische materielle Systeme enthalten eine große Anzahl von atomaren und subatomaren Teilchen (das größenordnungsmäßige Maß ist
üblicherweise die Loschmidtsche Zahl L ≈ 1023).
1
Die Abgrenzung eines physikalischen Systems von der Umgebung muß nicht unbedingt in einer
räumlichen Isolierung bestehen. Wichtig ist nur, daß es abgrenzbar ist.
5
6
KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE
Gegenstand der Thermodynamik
Gegenstand der Thermodynamik ist die Untersuchung makroskopischer
Systemeigenschaften und ihrer (physikalischen) Verknüpfungen.
makroskopisches System
Thermodynamik
phänomenologische Thermodynamik
– Materialabhängige Größen
können nicht weiter bestimmt werden, müssen phänomenologisch (über das
Experiment) eingeführt
werden.
– Unabhängig von mikroskopischen Modellvorstellungen.
– Sehr allgemeine Gültigkeit.
statistische Thermodynamik
– Statistische Interpretation
der Systemeigenschaften.
– Mikroskopische, modellmäßige Berechnung der
Materialabhängigkeiten
(mit Hilfe geeigneter
Mittelungsprozeduren).
7
Zustand eines thermodynamischen Systems
Gesamtheit der makroskopischen Kennzeichen oder Eigenschaften, die
das System zu einem jeweils festen Zeitpunkt aufweist. Die diesen Eigenschaften zuzuordnenden physikalischen Größen heißen Zustandsgrößen oder Zustandsvariablen.
– Fester Zeitpunkt: schließt aus, daß eine Zustandsgröße von der
Vorgeschichte des Systems abhängt, d.h. von dem Weg, den das
System von einem früheren Zeitpunkt bis zum betrachteten Zeitpunkt durchlaufen hat.
Zustandsgrößen müssen durch die Untersuchung (Messung) des
Systems zu einem gegebenen Zeitpunkt ermittelbar sein.
Äußere Zustandsgrößen
Größen, die primär durch die Anordnung der nicht zum System
gehörenden äußeren Objekte (Umgebung) bestimmt werden wie beispielsweise
– Volumen,
– Kraftfelder, deren Quellen sich außerhalb des Systems befinden.
Innere Zustandsgrößen
Größen, die primär durch innere Wechselwirkungen bestimmt werden,
d.h. durch die Dynamik und Verteilung der zum System gehörenden
Mikroobjekte wie beispielsweise
– Dichte, Druck, Temperatur,
– innere Energie, Polarisation, Magnetisierung.
Da die Anordnung und Dynamik der zum System gehörenden Mikroobjekte von derjenigen der äußeren Objekte abhängt, werden die inneren
Größen natürlich auch durch die äußeren Größen bestimmt.
Vollständiger Satz von Zustandsgrößen
Ein kleinstmöglicher Satz von Zustandsgrößen, der zur vollständigen
Charakterisierung des Zustands notwendig ist, heißt vollständiger Satz
von Zustandsgrößen.
8
KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE
– Zustandsgrößen des vollständigen Satzes: unabhängige Zustandsgrößen.2
– Alle anderen Zustandsgrößen: abhängige Zustandsgrößen (die
durch sie repräsentierten Eigenschaften hängen vom Zustand ab,
der seinerseits durch den vollständigen Satz von Zustandsgrößen
festgelegt ist).
– Anzahl der unabhängigen Zustandsgrößen =
Zahl der (makroskopischen) Freiheitsgrade f des thermodynamischen Systems.3
Zustandsraum
Raum, der von einem vollständigen Satz unabhängiger Zustandsvariablen aufgespannt wird.
Zustandsänderung
Prozeß, der das System von einem Zustand zur Zeit t1 in einen Zustand
zur Zeit t2 überführt.
System zum Zeitpunkt t1
System zum Zeitpunkt t2
Zustand (t1)
Zustand (t2)
Zwei Möglichkeiten:
(a) Zustandsänderungen laufen von selbst (d.h. spontan) ab.
2
Die Auswahl eines vollständigen Satzes kann i. allg. recht willkürlich vorgenommen werden und
wird in der Regel durch bestimmte Zweckmäßigkeitskriterien bestimmt.
3
Unabhängig von der Einteilung der Zustandsgrößen in unabhängige und abhängige bleibt die
Anzahl der unabhängigen Zustandsgrößen und damit die Anzahl der (makroskopischen) Freiheitsgrade natürlich immer dieselbe.
9
(b) Zustandsänderungen laufen unter dem Einfluß äußerer Eingriffe
kontrolliert ab.
Kreisprozeß
Anfangs- und Endzustand stimmen überein, d.h., alle Zustandsgrößen
nehmen wieder ihre Ausgangswerte an.
Gleichgewichtszustand
Nach hinreichend langer Zeit geht ein sich selbst überlassenes
System in einen Gleichgewichtszustand über, den es von selbst
(d.h. spontan) nicht wieder verläßt.
Dieser Sachverhalt ist eine Erfahrungstatsache und stellt gewissermaßen ein Grundpostulat der Thermodynamik dar. Entsprechend der Definition eines Gleichgewichtszustands ist also ein Nichtgleichgewichtszustand ein Zustand, den ein sich selbst überlassenes System spontan
verläßt.4
System zum Zeitpunkt t1
System zum Zeitpunkt t2 → ∞
lim Z(t2) = Zequil
t2 →∞
(1.2)
Zwei Möglichkeiten:
(a) Keine Wechselwirkung mit der Umgebung: innerer Gleichgewichtszustand.
4
Solange sich für ein System ein vollständiger Satz identifizierbarer Zustandsgrößen angeben läßt,
befindet sich das System in einem thermodynamischen Zustand, unabhängig davon, ob es sich dabei
um einen Gleichgewichtszustand handelt oder nicht.
10
KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE
(b) Gewisse Wechselwirkungen mit der Umgebung sind vorhanden,
und es stellt sich ein Gleichgewicht zwischen System und Umgebung ein: äußerer Gleichgewichtszustand.
Gleichgewichtszustände sind gegenüber Nichtgleichgewichtszuständen dadurch ausgezeichnet, daß sie durch eine kleinere
Anzahl von Zustandsgrößen vollständig charakterisiert werden
können (kleinerer vollständiger Satz).
Beispiel:
2 Temperaturen
T1
1 Temperatur
T2
T
t→∞
Reversibilität/Irreversibilität
Prozesse
reversible Prozesse
irreversible Prozesse
Ein Prozeß Z1 → Z2 heißt irreversibel (nicht umkehrbar), wenn
bei dem Prozeß Z2 → Z3 = Z1 (wenn also bei einem Kreisprozeß
der Ausgangszustand des Systems wiederhergestellt wird) in der
Umgebung Veränderungen zurückbleiben.
Dementsprechend heißt ein Prozeß reversibel, wenn der Ausgangszustand des Systems ohne bleibende Veränderungen in der Umgebung
wiederhergestellt werden kann.
11
t3 , Z3
t1 , Z1
t2 , Z2
Grundsätzlich laufen alle Prozesse in der Natur mehr oder weniger irreversibel ab. Reversible Prozesse sind nur näherungsweise
realisierbar.
Grenzfall reversibler Prozesse
Im (idealisierten) Grenzfall reversibler Prozesse dürfen nur Gleichgewichtszustände durchlaufen werden. Soll sich ein System während eines
Prozesses zu jedem Zeitpunkt im Gleichgewicht befinden, muß der Prozeß unendlich langsam, d.h. quasistatisch ablaufen, um Dissipation
auf Grund von Relaxation zu verhindern, was in der Praxis natürlich
nicht möglich ist. Trotzdem ist die Untersuchung von reversiblen Prozessen wichtig, weil für solche Prozesse eine Reihe praktisch bedeutsamer Größen (z.B. Wirkungsgrad einer Maschine) optimale (maximale)
Werte annehmen.
Relaxation
Wird ein System durch eine Störung aus einem Gleichgewichtszustand
in einen Nichtgleichgewichtszustand gebracht und sich selbst überlassen, kehrt es (siehe oben) spontan in den Gleichwichtszustand zurück,
den es ohne Eingriffe von außen nicht wieder verläßt. Prozesse dieser
Art werden auch als Relaxationsprozesse bezeichnet. Sie liegen allen
irreversiblen Prozessen zugrunde und bewirken die Auszeichnung einer
Zeitrichtung.5 In vielen Fällen können die durch Relaxationsprozesse
5
Die zunächst für abgeschlossene und mikroskopisch kontrollierbare Systeme formulierten Grund-
12
KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE
bedingten Zustandsänderungen pro Zeiteinheit mittels Exponentialgesetzen wie etwa
dZ
= −γ(Z − Zequil )
(1.3)
dt relax
beschrieben werden (γ - Relaxationsrate, τ = γ −1 - Relaxationszeit)
Störung
Gleichgewichtszustand
Nichtgleichgewichtszustand
Relaxation
Reversible (quasistatische) Prozeßführung
dZ
dZ
dt
dt micr
(1.4)
Durch entsprechende Kontrolle von außen müssen die Prozesse so
geführt werden, daß sie hinreichend langsam ablaufen, und zwar im Vergleich zu den im System ablaufenden mikroskopischen Prozessen, die
die entsprechenden makroskopischen Zustände einstellen“. Ausgehend
”
von einem Gleichgewichstszustand muß also die pro Zeiteinheit vorzunehmende Änderung der äußeren Bedingungen so klein sein, daß, wie
man sagt, die Mikroobjekte der Änderung der äußeren Bedingungen
adiabatisch folgen können, d.h., daß der neue Gleichgewichtszustand
sich gewissermaßen momentan einstellt.6
Irreversible Prozeßführung
dZ
≥
dt
dZ
dt
(1.5)
micr
gleichungen der Physik sind invariant gegenüber Zeitumkehr und kennen folglich keine Irreversibilität. Irreversibilität kommt erst dann ins Spiel, wenn große Anzahlen von Freiheitsgraden zu
berücksichtigen sind und folglich die Systeme mikroskopisch nicht mehr kontrollierbar sind.
6
Die betrachteten Zeitskalen sind folglich makroskopisch determiniert.
13
Beispiel: irreversible Gasexpansion
Schnelles Herausziehen und
Hineinschieben
der Trennwand
(Gas
leistet
keine Arbeit).
NichtgleichgeArbeit ist erforderlich, um
wichtszustand
den Ausgangszustand wiederrelaxiert in den
herzustellen.
GleichgewichtsPhasen
zustand.
Phasen sind in physikalischer und chemischer Hinsicht homogene Bereiche eines thermodynamischen Systems, d.h., die Zustandsgrößen
hängen innerhalb einer Phase nicht vom Ort ab, sondern sind ganzen
Raumbereichen zugeordnet.7
– Schrumpfen die Phasen auf hinreichend kleine Raumbereiche zusammen, die aus makroskopischer Sicht als infinitesimal klein an7
Zwischen zwei verschiedenen Phasen liegen schmale Übergangszonen (Grenzflächen), in denen
sich die Zustandsgrößen räumlich schnell ändern. Die Übergangszonen sind also strenggenommen
inhomogene Teile des Systems. In vielen Fällen können diese Inhomogenitäten näherungsweise mit
dem Modell einer mathematischen Fläche beschrieben werden. Eine Reihe von Zustandsgrößen erleidet dann Sprünge an den Grenzflächen.
14
KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE
gesehen werden können (aus mikroskopischer Sicht jedoch immer
noch hinreichend groß sein müssen), ist eine feldtheoretische Beschreibung angebracht (Abschnitt 10).
Extensive Zustandsgrößen
Extensive Größen sind (für materielle Systeme) der Substanzmenge
(Masse) der Phase, der sie zugeordnet sind, proportional (z.B. Masse,
Volumen, Energie). Sie haben also in einer Phase, die durch Aneinanderfügen zweier gleicher Phasen entsteht, einen doppelt so großen Wert
wie in den Einzelphasen.
Intensive Zustandsgrößen
Intensive Größen sind unabhängig von der Substanzmenge der Phase,
der sie zugeordnet sind (z.B. Temperatur, Druck). Sie haben also in einer Phase, die durch Zusammenfügen zweier gleicher Phasen entsteht,
den gleichen Wert wie in den Einzelphasen. Der Quotient zweier extensiver Größen ist eine intensive Größe (z.B. Volumendichte = M/V ).
Mögliche Wechselwirkungen System ↔ Umgebung
Umgebung
Arbeit
System
Stoff
Wärme
Kann man die Umgebung als ein derart großes System auffassen, daß sich seine Temperatur bei Entnahme einer endlichen
Wärmemenge praktisch nicht ändert, so sagt man, das System
befinde sich in einem Wärmebad (Wärmereservoir, Reservoir).
15
Art der Wechselwirkung
Energieaustausch (Arbeit,
Wärme) und Stoffaustausch
Energieaustausch, aber kein
Stoffaustausch
kein Wärmeaustausch
kein Energieaustausch und
kein Stoffaustausch
Bezeichnung des Systems
offenes System
geschlossenes System
adiabatisch (thermisch) isoliertes
System
abgeschlossenes System
Maßeinheiten für Substanzmengen
Mögliche Einheiten sind natürlich Gramm (g) und Kilogramm (kg).
Oft werden auch molare Größen und Einheiten verwendet.
Definition 1 mol:
1 mol eines homogenen Stoffes besteht aus ebensoviel Einzelteilchen
(Atome, Moleküle) wie 12 g 12C (Kohlenstoff 12). Diese Substanzmenge
bezeichnet man auch als Molmasse.
1 mol =
6.022 · 1023 Teilchen = L
(1.6)
N
mol
(1.7)
L
Wie bereits erwähnt, sind extensive Zustandsgrößen proportional
zur Substanzmenge. Es sei A eine extensive Zustandsgröße eines aus N
Teilchen bestehenden homogenen Stoffes der Masse M. Die auf die Masseneinheit bezogene Zustandsgröße ā = A/M wird auch als spezifische
Größe bezeichnet. Wird das Mol als Maßeinheit für die Substanzmenge
verwendet, so spricht man üblicherweise von molaren Größen. Im Hinblick auf die statistische Thermodynamik werden wir anstelle von nmol
die Teilchenzahl N bevorzugen und als spezifische Größe ā auch die auf
ein Teilchen bezogene Größe A bezeichnen. d.h. ā = A/N .
N Teilchen =
nmol =
16
KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE
Kapitel 2
Die Temperatur
Der Temperaturbegriff schließt zunächst an die Fähigkeit unserer Sinnesorgane an, warm und kalt zu unterscheiden und in diesem Zusammenhang festzustellen, welcher von zwei Körpern (S1 oder S2 in der
folgenden Abbildung) der wärmere bzw. kältere ist. Wir wollen annehmen, daß die beiden Systeme zunächst getrennt und jeweils abgeschlossen sind, sich in Gleichgewichtszuständen befinden und S1 wärmer als
S2 ist. Bringen wir die beiden Systeme miteinander in Kontakt, ohne
daß Stoff- und Arbeitsaustausch möglich sind, so werden in dem vereinigten (abgeschlossenen) Gesamtsystem zunächst irgendwelche Zustandsänderungen ablaufen. Nach hinreichend langer Zeit wird das Gesamtsystem, das sich zunächst in einem Nichtgleichgewichtszustand befindet, in einen Gleichgewichtszustand übergehen.
S1
S2
S1
S2
Ausgangspunkt: System S1 ist wärmer als System S2 (entsprechend den
Eindrücken unserer Sinnesorgane).
Drei denkbare Möglichkeiten für den sich einstellenden Endzustand des
17
18
KAPITEL 2. DIE TEMPERATUR
vereinigten Gesamtsystems:
(a) S1 ist wärmer als S2 .
(b) S1 und S2 sind gleichwarm.
(c) S2 ist wärmer als S1 .
Fall (c) ist noch nie beobachtet worden. Ob Fall (a) oder (b) vorliegt,
hängt offensichtlich von den Eigenschaften der Kontaktfläche ab:
(a) adiabatisch isolierende Wand (näherungsweise realisierbar z.B.
durch Asbestwand),
(b) thermisch leitende Wand.
Thermisches Gleichgewicht:
Gleichgewichtszustand, der sich einstellt, wenn zwei Teilsysteme (eines
abgeschlossenen Gesamtsystems) durch eine thermisch leitende Wand
in (thermischen) Kontakt gebracht werden, so daß Energieaustausch
ohne Arbeitsaustausch und Stoffaustausch möglich wird.
Die Sinnesempfindung gleich warm“ kann nun zahlenwertmäßig
”
quantifiziert werden, indem beiden Systemen (und damit dem Gesamtsystem) die gleiche Zahl, empirische Temperatur T̃ genannt, zugeordnet
wird. Die Temperatur kann festgestellt werden, ohne die Vorgeschichte
des Systems zu kennen. Sie ist also eine Zustandsgröße. Zusammenfassend gilt:
• Von zwei (sich jeweils im Gleichgewicht befindlichen, abgeschlossenen) Systemen S1 und S2 kann stets gesagt werden T̃1 > T̃2 oder
T̃1 < T̃2 oder T̃1 = T̃2 (Anordnungsaxiom)
• Es seien S1, S2 und S3 (sich jeweils im Gleichgewicht befindliche,
abgeschlossene) Systeme. Dann folgt aus T̃1 > T̃2 und T̃2 > T̃3 stets
T̃1 > T̃3 (Transitivität).
• Zwei (sich jeweils im Gleichgewicht befindliche, abgeschlossene)
Systeme S1 und S2 werden in thermischen Kontakt gebracht; das
Gesamtsystem S12 sei abgeschlossen. Dann gilt im thermischen
Gleichgewicht T̃1 = T̃2 = T̃12.
19
• Es sei T̃1 < T̃2 für zwei getrennte (sich jeweils im Gleichgewicht
befindliche, abgeschlossene) Systeme S1 und S2. Dann gilt für die
sich im thermischen Gleichgewicht einstellende Temperatur T̃12:
T̃1 < T̃12 < T̃2 .
Die folgende axiomatische Einführung der Temperatur als eine der
zentralen Zustandsgrößen thermodynamischer Systeme wird auch als
nullter Hauptsatz bezeichnet:
Für jedes thermodynamische System existiert eine intensive
(skalare) Zustandsgröße, die Temperatur genannt wird. Ihre
Gleichheit ist notwendige und hinreichende Voraussetzung für
das thermische Gleichgewicht zweier Systeme oder zweier Teile
des gleichen Systems.
Schlußfolgerung aus dem Hauptsatz:
Zwei Systeme, die sich im thermischen Gleichgewicht mit einem
dritten System befinden, sind auch untereinander im thermischen Gleichgewicht, haben also die gleiche Temperatur.
Dieser Sachverhalt kann als Vorschrift für eine Temperaturmessung
verwendet werden. Wir betrachten zwei Systeme S und S und wollen
annehmen, daß der (Gleichgewichts-)Zustand des Systems S durch bestimmte unabhängige Zustandsgrößen A, Bi beschrieben werden kann
(i = 1, 2, . . .). Da die Temperatur T̃ Zustandsgröße ist, gilt
T̃ = f (A, Bi).
(2.1)
Wir bringen das System S in thermischen Kontakt mit dem System
S . Im thermischen Gleichgewicht besitzen beide Systeme die gleiche
Temperatur:
T̃ = T̃ = f (A, Bi).
(2.2)
Durch die Bedingung (2.2) ist der Zustand des Systems S (und
natürlich auch der Zustand des Systems S ) noch nicht festgelegt. So
kann ein ganzer Satz von Zuständen {A, Bi} derart gefunden werden,
daß alle Zustände zur gleichen Temperatur T̃ gehören. Verbindet man
20
KAPITEL 2. DIE TEMPERATUR
Jede Isotherme
entspricht einer
bestimmten
Temperatur.
B
A
im Zustandsraum [(A, Bi)-Raum] alle diese Punkte, so erhält man eine
(Hyper-)Fläche, die Isotherme,
T̃ = f (A, Bi) = const.
(2.3)
(siehe die Abbildung für den zweidimensionalen Fall).
Empirische Temperaturskala:
Wir wählen das System S als Standardsystem und bringen es bei unterschiedlichen Temperaturen in thermischen Kontakt mit dem System
S , so daß sich unterschiedliche Gleichgewichtstemperaturen einstellen.
Durch bestimmte Regeln ordnen wir dann jeder Isotherme des Systems
S eine bestimmte Zahl zu. Jedem System, daß sich mit dem System
S im thermischen Gleichgewicht befindet, können wir dann die gleiche
Temperatur (gleiche Zahl) zuordnen.
Ist das System S hinreichend klein“ im Vergleich zu einem Sy”
stem S , mit dem es in thermischen Kontakt gebracht wird, so wird
sich der im thermischen Gleichgewicht einstellende Zustand von S (im
Gegensatz zum Zustand von S) hinreichend wenig vom Ausgangszustand unterscheiden. Das System S als Thermometer übernimmt also
die Funktion der Messung der Temperatur des Systems S . Die Forderung , daß das Thermometer klein sein soll im Vergleich zu dem System,
dessen Temperatur gemessen werden soll, sichert nicht nur, daß der Zustand des Letzteren durch die Messung möglichst wenig geändert wird,
sondern auch, daß sich das thermische Gleichgewicht zwischen System
und Thermometer möglichst schnell einstellt.
Konkret kann die Zuordnung der Temperaturzahl zu den Isother(0)
men etwa dadurch geschehen, daß die Bi = Bi festgehalten werden
und folglich
T̃ = T̃ (A)
(2.4)
21
B
B0
T̃1
A1 A2 A3
T̃2 T̃3 T̃4
A
A4
gilt, wobei die Zustandsgröße A die thermometrische Eigenschaft repräsentiert. Die Abhängigkeit der Tempertur T̃ von der thermometrischen Eigenschaft A bestimmt die Temperaturskala. Da mit T̃ auch
eine Funktion von T̃ die Eigenschaft besitzt Temperatur zu sein, kann
willkürlich eine lineare Skala festgelegt werden:
T̃ (A) = c A
(2.5)
(c - Dimensionsfaktor). Entsprechend einer internationalen Konvention wird als Fixpunkt der Tripelpunkt des Wassers gewählt und ihm
(willkürlich) die Temperatur von 273, 16 K (Kelvin) zugeordnet:
T̃tripel = 273, 16 K = c Atripel
(2.6)
(Atripel - Wert der thermometrischen Eigenschaft am Tripelpunkt des
Wassers). Das heißt,
c = 273, 16 K A−1
tripel ,
(2.7)
und folglich gilt
T̃ = 273, 16 K
A
Atripel
.
(2.8)
22
KAPITEL 2. DIE TEMPERATUR
Beispiele für Thermometer:
Thermometrische Eigenschaft
Volumen
Druck
Länge
elektrischer Widerstand
elektrische Spannung
Thermometer
Gasthermometer bei
konstantem Druck
Gasthermometer bei
konstantem Volumen
Flüssigkeit in einer Kapillare
(z.B. Hg -Thermometer)
Widerstandsthermometer
Thermoelement
Auf Grund der Willkür bei der Festlegung der Temperaturskala
werden die Meßwerte, die mit verschiedenen Thermometern registriert
werden, i. allg. erheblich differieren. Die geringsten Unterschiede ergeben sich bei Gasthermometern. Je verdünnter das Gas, d.h., je geringer
der Druck des verwendeten Gases am Tripelpunkt des Wassers ist, desto
geringer werden die Unterschiede zwischen den mit unterschiedlichen
Gasthermometern gemessenen Temperaturen:
p
(V = const.).
(2.9)
T ≡ T̃ = 273, 16 K lim
ptripel→0 ptripel
Im Grenzprozeß verschwindenden Druckes stimmen die gemessenen
Temperaturen für alle Gase überein; man spricht in diesem Zusammenhang von T als der idealen Gastemperatur. Die so festgelegte
Temperaturskala wird auch als Kelvin-Skala bezeichnet.
Die Temperaturmessung mittels empirischer Temperatur erscheint
recht willkürlich, da sie stark substanzabhängig ist. Später werden wir
die absolute thermodynamische Temperatur kennenlernen, die
völlig unabhängig von speziellen Stoffeigenschaften definiert ist. (Abschnitt 4.4). Dabei wird sich zeigen daß ideale Gastemperatur und absolute Temperatur übereinstimmen.
Spezielle Temperatureinheiten:
TCelsius
T
= − 273, 15,
0C
K
TRankin
T
=
1,
8
,
0R
K
(2.10)
(2.11)
23
TRankin
TFahrenheit
= 0
− 459, 67.
0F
R
(2.12)
Celsius-Skala ↔ Kelvin-Skala: Verschiebung des Nullpunktes.
Rankin-Skala ↔ Fahrenheit-Skala: Verschiebung des Nullpunktes.
Rankin-Skala ↔ Kelvin-Skala: kleinere Einheit der Rankin-Skala.
Siedepunkt des Wassers: 373.15 K, 100 0 C, 671.67 0 R, 212 0 F.
24
KAPITEL 2. DIE TEMPERATUR
Kapitel 3
Der erste Hauptsatz
3.1
Energiebilanz
Der erste Hauptsatz der Thermodynamik formuliert die Energiebilanz
in sehr allgemeiner Fassung.
Gesamtenergie eines Systems
innere Energie
äußere Energie
– Kinetische Energie einer
Bewegung des Systems, an
der es als Ganzes teilnimmt.
– Potentielle Energie in
in einem äußeren Kraftfeld.
– Alle Energieformen
der Bewegungen und Wechselwirkungen der zum System
gehörenden (Mikro-)Systeme
untereinander.
Im weiteren:
(a) Stofflich abgeschlossene Systeme betrachten,
25
26
KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ
(b) Energie als innere Energie auffassen.
Formen des Energieaustausches
zwischen System und Umgebung
Wärme
Arbeit
Arbeit: Form des Energieaustausches, bei der das System Arbeit gegen
eine äußere Kraft aus der Umgebung leistet, bzw. eine äußere Kraft am
System Arbeit verrichtet.
Wärme: Form des Energieaustausches ohne Arbeitsverrichtung.
Arbeit und Wärme als die beiden Formen des Energieaustausches in
der Thermodynamik sind nicht gleichwertig.
Arbeit → Wärme: 2 Systeme sind notwendig:
S2
S1
δQ
δW
Wärme → Arbeit: 3 Systeme sind notwendig:
S3
S2
S1
δQ
δW
3.1. ENERGIEBILANZ
27
1. Hauptsatz:
Jedes thermodynamische System besitzt eine extensive (skalare)
Zustandsgröße U , die innere Energie. Sie wächst durch Zufuhr
von Arbeit (δW ) und Wärme (δQ).
dU = δQ + δW
(3.1)
δQ = δW = 0,
(3.2)
Abgeschlossenes System:
dU = 0
;
U = const.
(3.3)
Die innere Energie eines abgeschlossenen thermodynamischen Systems
ist eine Erhaltungsgröße.
Da Wärme und Arbeit Formen des Energieaustausches sind, ist es
sinnlos, von Wärme oder Arbeit eines Systems an sich zu sprechen (am
Energieaustausch sind mindestens zwei Systeme beteiligt). Wärme und
Arbeit sind folglich keine Zustandsgrößen, d.h., δQ und δW sind keine
vollständigen Differentiale.
δQ > 0:
Dem System wird aus der Umgebung Wärme zugeführt.
δW > 0: Am System wird von außen Arbeit verrichtet.
Äquivalente Formulierung der Aussage, daß innere Energie Zustandsgröße ist:
Es ist unmöglich, ein perpetuum mobile 1. Art zu konstruieren, d.h. eine periodisch arbeitende Maschine, die Arbeit abgibt,
ohne Energie in irgendeiner Form aufzunehmen.
Wir betrachten einen Prozeß zwischen zwei Zuständen Z1 und Z2 . Laut
1. Hauptsatz gilt
2
ΔU = U2 − U1 =
dU
1
(3.4)
28
KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ
und wenn Zustand 2 mit Zustand 1 übereinstimmt (Kreisprozeß)
ΔU = U2 − U1 = dU = 0,
(3.5)
so daß
ΔW = 0 wenn ΔQ = 0.
(3.6)
Umgekehrt folgt aus der Unmöglichkeit eines perpetuum mobile 1. Art,
daß die innere Energie eine Zustandsgröße ist. In diesem Fall muß
ΔU = dU = 0
(3.7)
für jeden beliebigen Kreisprozeß gelten. Dies ist aber gleichbedeutend
damit, daß dU vollständiges Differential sein muß, d.h., U muß Zustandsgröße sein.
3.2
Arbeitsterme
Elastische Deformation
Wir betrachten die Massenelemente eines elastisch deformierbaren
Körpers (a) im undeformierten Ausgangszustand und (b) im verschobenen, deformierten Endzustand. Es seien a die Ausgangslagen der
Massenelemente und r die Endlagen der verschobenen und deformierten Massenelemente.
ds
(a)
s
da
a
r
da
dr
(b)
3.2. ARBEITSTERME
29
Gemäß Abbildung gilt
r = a + s,
dr = da + ds,
(3.8)
r(a) ←→ a(r),
(3.9)
∂sk
∂sk
dxk = dak +
dal .
dal = δkl +
(3.10)
∂al
∂al
Der Tensor δkl + ∂sk /∂al vermittelt die Abbildung der Umgebung des
Punktes a auf die Umgebung des Punktes r. Die reine Deformation
wird dabei durch die Änderung des Abstands zwischen den Punkten a
und a + da bei der Verschiebung beschrieben,
∂sk
∂sk
dxk dxk − dak dak = δkl +
δkn +
dal dan − dak dak
∂al
∂an
∂sn ∂sk ∂sk
∂sl
=
+
+
(3.11)
dal dan .
∂an ∂al
∂al ∂an
2ln(ak )
Analoges Vorgehen, wenn ln (xk ) gesucht wird:
∂sk
∂sk
dxl
dak = dxk −
dxl = δkl −
(3.12)
∂xl
∂xl
1 ∂sl
∂sn ∂sk ∂sk
= nl (xk ).
+
−
(3.13)
ln (xk ) =
2 ∂xn ∂xl
∂xl ∂xn
Der symmetrische Tensor =
ln heißt Deformationstensor. Kleine Deformationen:
∂sk (3.14)
∂al 1,
1 ∂sl
1 ∂sl
∂sn
∂sn
ln ≈
≈
,
(3.15)
+
+
2 ∂an ∂al
2 ∂xn ∂xl
Der Deformationstensor ist der symmetrische Anteil des Tensors
∂sk /∂al (bzw. ∂sk /∂xl),
1 ∂sk
∂sl
1 ∂sk
∂sl
∂sk
=
+
+
−
.
(3.16)
∂al
2 ∂al ∂ak
2 ∂al ∂ak
kl
Dkl
30
KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ
Deutung von Dkl :
Dk =
1
2 εkln Dln
=
1
4 εkln
∂sl
∂sn
−
∂an ∂al
= − 12 εkln
D = − 12 ∇ × s,
∂sn
,
∂al
(3.17)
(3.18)
(D)
dsk
= −εklnDl dan = − 12 εklnεlij Dij dan
= 12 (δkiδnj −δkj δni)Dij dan = 12 (Dkj daj −Dik dai ) = Dkj daj , (3.19)
ds(D) = −D × da = 12 (∇ × s) × da.
(3.20)
Der Tensor Dkl beschreibt also eine infinitesimale (starre) Drehung der
Umgebung des Punktes a um die Achse durch a in Richtung −D.
Im deformierten Zustand greifen an der Oberfläche eines herausgegriffenen Massenelements Flächenkräfte (Kräfte pro Flächeneinheit)
an, die Spannungen:
dFs = σ · dA.
(3.21)
dFs
dA
Integration über die Oberfläche des entsprechenden Volumenelements
ΔV liefert die Kraft
←
Fs =
σ · dA =
d3 r σ · ∇ =
d3 r ∇ · σ.
(3.22)
(ΔV )
ΔV
ΔV
Der symmetrische Tensor σ =
σkl heißt elastischer Spannungstensor.
Wir betrachten einen deformierten Zustand mit Spannungsfeld σ und
3.2. ARBEITSTERME
31
Verschiebungsfeld s. Bei einer infinitesimal kleinen Verschiebung wird
von den Oberflächenkräften die Arbeit
←
δW =
ds · σ · dA =
d3r (ds · σ) · ∇
(3.23)
(ΔV )
ΔV
bzw.
d3r (∇ · σ) · ds +
δW =
ΔV
d3r σ : d
(3.24)
ΔV
geleistet.1 Damit ergibt sich als Arbeit pro Volumeneinheit
δw = (∇ · σ) · ds + σ : d,
(3.25)
so daß für homogene Medien
δw = σ : d
(3.26)
folgt und die spezifische Arbeit (Arbeit pro Masseneinheit) δ w̄ = −1δw
= −1 σ : d ist ( - Massendichte).
Speziell für homogene und isotrope Medien gilt:
σ = −pI
;
δw = −p Tr d = −p dkk = −p ∇ · ds.
(3.27)
Damit ergibt sich für die am Volumenelement ΔV geleistete Arbeit
d3 r δw = −p
d3 r ∇ · ds = −p
dA · ds, (3.28)
δW =
ΔV
ΔV
(ΔV )
dV
d.h.:
δW = −p dV
Man beachte, daß kk [gemäß (3.10) zusammen mit (3.14)]
∂sk
−1
kk = ∇ · s ≈ det δkl +
∂al
1
α : β ≡ αkl βkl
(3.29)
(3.30)
32
KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ
die relative Volumenänderung ist.
Magnetisierung:
Um einen nichtmagnetischen Körper zu magnetisieren, wird in der Regel ein Magnetfeld verwendet, dessen Quelle außerhalb des Körpers
liegt. Es ist üblich, ein solches Magnetfeld bei der Definition der inneren Energie des Körpers nicht mitzuzählen.
Gedankliches Vorgehen:
(1) Das angelegte Magnetfeld erteile dem Körper die gewünschte
Magnetisierung.
(2) Die erreichte Magnetisierung denke man sich nunmehr eingefro”
ren“, so daß sie sich bei einer Änderung des Magnetfelds nicht
mehr ändert.
(3) Das Magnetfeld werde entfernt; der Zustand Magnetisierung ist
nun ohne äußeres Magnetfeld vorhanden.
Wir betrachten einen Körper im Magnetfeld H eines Permanentmagneten. Besitzt ein Massenelement das magnetische Moment dm, so
wirkt auf ihn die Kraft
H-Feld
dm
11111
00000
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
Südpol
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
00000
11111
dF = (∇H) · dm = (∇H) · M dV = f dV,
(3.31)
und die bei einer Verschiebung des Massenelements zu leistende Arbeit
pro Volumeneinheit ist
δw1 = −f · dr = −dr · (∇H) · M = −M · dH.
(3.32)
3.2. ARBEITSTERME
33
Wir wollen annehmen, daß sich der Körper anfangs so weit entfernt
von einem Magnetpol befindet, daß er keinem Magnetfeld ausgesetzt
ist. Bei einer Verschiebung in Richtung Magnetpol soll das auf das
Massenelement wirkende Magnetfeld von Null auf H anwachsen. Die
resultierende Gesamtarbeit lautet dann
H
w1 = −
dH · M.
(3.33)
0
Denken wir uns die erreichte Magnetisierung M fixiert, und entfernen
wir den Körper wieder aus dem Magnetfeld, so bedeutet dies die Arbeit
w2 = w − w1
M
M
w
−w1
0
0
(3.34)
w = w1 + w2 = −
dH · M + M · H
0
H
H
=−
d(H · M) +
H · dM + M · H
0
0
H
=
H · dM,
(3.35)
H
Gesamtarbeit:
H
dH = M · H .
w2 = −
H
dH · M = −M ·
H
H
0
d.h., für die Arbeit pro Volumeneinheit, die bei einer Änderung von M
um dM geleistet werden muß, ergibt sich:
δw = H · dM
(3.36)
34
KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ
Dieses Ergebnis ist natürlich nicht nur für die hier speziell betrachtete
Anordnung gültig. Bekanntlich kann
δWmagn =
d3 r H(r) · dB(r)
V
= μ0
V
d3 r H(r) · dH(r) +
V
d3 r H(r) · dM(r).
(3.37)
als Änderung der magnetostatischen Feldenergie bei Anwesenheit eines
Mediums angesehen werden, wobei der erste Term die Energieänderung bei vorgegebener Magnetisierung darstellt, während der zweite
Term die Energieänderung auf Grund einer Magnetisierungsänderung
beschreibt und auf den (auf die Volumeneinheit bezogenen) Arbeitsterm (3.36) führt.
Polarisation:
Analog zu (3.37) gilt im elektrischen Fall
d3 r E(r) · dD(r)
δWel =
V
= ε0
d r E(r) · dE(r) +
3
V
V
d3 r E(r) · dP(r).
(3.38)
Der zweite Term liefert die auf die Volumeneinheit bezogene Arbeit,
die bei einer Änderung von P um dP geleistet werden muß:
δw = E · dP
(3.39)
Allgemeiner Arbeitsterm:
Die Erfahrung zeigt, daß δW bei reversiblen Zustandsänderungen folgende Gestalt besitzt:
δW = −
i
yi dXi
(3.40)
3.3. P V T -SYSTEME
35
Xi – (extensive) Zustandsgrößen,
yi – (intensive) Zustandsgrößen; spielen die Rolle von verallgemeinerten Kräften.
Wenn wir davon ausgehen, daß neben den Xi mindestens noch die Temperatur zu einem vollständigen Satz von Zustandsgrößen gehört, so ist
δW offensichtlich kein vollständiges Differential, da es kein Differential
der Temperatur enthält. Speziell für Kreisprozesse gilt dann i. allg.
δW = 0
(3.41)
Z
y
δW Z2 = Z1
Z2 = Z1
3.3
Z
X
pV T -Systeme
Im einfachsten Fall eines pV T -Systems besteht das thermodynamische System aus einem homogenen und isotropen Körper, der weder durch chemische Reaktionen noch durch Wechselwirkungen mit
äußeren Kraftfeldern beeinflußt wird. Der makroskopische Zustand eines derartigen Systems kann durch die Angabe der Zustandsgrößen
Druck (p), Volumen (V ) und Temperatur (T ) beschrieben werden (wir
verwenden die ideale Gastemperatur). Die Erfahrung besagt, daß ein
vollständiger Satz von Zustandsgrößen bereits durch zwei Zustandsgrößen gebildet wird. Die dritte Zustandsgröße wird dann über die
thermische Zustandsgleichung2
f (p, V, T ) = 0
2
(3.42)
Jedes thermodynamische Sytem (z. B. ein Paramagnet) mit zwei unabhängigen Zustandsgrößen
entspricht einem pV T -System.
36
KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ
festgelegt. Folglich ist die innere Energie eine Funktion von zwei Zustandsgrößen. In der Form
U = U (V, T )
(3.43)
heißt diese Gleichung kalorische Zustandsgleichung. Mit
δW = −p dV
(3.44)
[siehe Eq. (3.27)] lautet der 1. Hauptsatz
dU = δQ − p dV.
(3.45)
Wärmekapazitäten
In der Thermodynamik spielen Wärmekapazitäten eine wichtige Rolle.
Allgemein wird eine Wärmekapizät C über die Gleichung
δQ = C dT
(3.46)
definiert. Da die Wärmemenge δQ auf verschiedene Weise dem Systems
zugeführt bzw. entzogen werden kann, ist die Definition von C nicht
eindeutig. Um bei f makroskopischen Freiheitsgraden die Definition
von C eindeutig zu machen, müssen also noch f − 1 Bedingungen an
die Prozessführung gestellt werden. Wie wir noch sehen werden, bilden
die Temperatur und die Xi oder die Temperatur und die yi jeweils
einen vollständigen Satz von Zustandsgrößen. Üblicherweise werden als
Bedingungen an die Prozeßführung f − 1 Größen aus der Gesamtheit
der 2(f − 1) Größen yi und Xi fixiert. In diesem Sinne kann im Falle
eines pV T -Sytems zwischen CV und Cp unterschieden werden.
CV :
δQ wird dem System bei konstantem Volumen zugeführt.
Cp :
δQ wird dem System bei konstantem Druck zugeführt.
Wir wollen CV und Cp bei gegebener thermischer und kalorischer
Zustandsgleichung berechnen. Der 1. Hauptsatz zusammen mit der kalorischen Zustandsgleichung liefert:
C dT = dU + p dV
∂U
∂U
=
dT +
dV + p dV,
∂T V
∂V T
(3.47)
3.3. P V T -SYSTEME
37
d.h.
C dT =
∂U
∂T
dT +
V
∂U
∂V
+ p dV.
(3.48)
T
CV ergibt sich aus (3.48) für dV = 0:
CV =
∂U
∂T
(3.49)
V
Um Cp zu finden, benutzen wir die thermische Zustandsgleichung in
der Form V = V (p, T ) und schreiben
∂V
∂V
dV =
dp +
dT.
(3.50)
∂p T
∂T p
Wir setzen (3.50) in (3.48) ein und erhalten
∂U
C dT =
dT
∂T V
∂U
∂V
∂V
+
+p
dp +
dT
∂V T
∂p T
∂T p
bzw.
C dT =
∂U
∂T
(3.51)
∂U
∂V
+p
dT
∂V T
∂T p
V
∂V
∂U
+p
dp.
+
∂V T
∂p T
+
(3.52)
Cp ergibt sich dann aus (3.52) für dp = 0 [mit CV gemäß (3.49)]:
Cp = CV +
∂U
∂V
+p
T
∂V
∂T
(3.53)
p
38
KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ
Das heißt, die Differenz der beiden Wärmekapazitäten Cp − CV ist
durch die thermische Zustandsgleichung und die Volumenabhängigkeit
der inneren Energie vollständig festgelegt. Es ist anzumerken, daß CV
und Cp (als Funktionen von Zustandsgrößen) natürlich auch Zustandsgrößen sind.
Wichtige Prozesse
(1) Isothermer Prozeß: T = const.
(2) Isochorer Prozeß: V = const.
(3) Isobarer Prozeß: p = const.
(4) Polytroper Prozeß: C = const.,
speziell adiabatischer (von der Umgebung thermisch isoliert ablaufender) Prozeß: C = 0.
Die Gleichungen für die Prozesse (1) – (3) folgen direkt aus der thermischen Zustandsgleichung.
Polytropenprozeß:
Um die Polytropengleichung in Form einer Differentialgleichung zu erhalten, erinnern wir an die Gleichungen (3.48), (3.49) und (3.53),
∂U
∂U
C dT =
dT +
+ p dV,
(3.54)
∂T V
∂V T
∂U
,
(3.55)
CV =
∂T V
∂U
∂V
Cp − CV =
+p
,
(3.56)
∂V T
∂T p
wobei im vorliegenden Fall C konstant ist. Mit CV und Cp gemäß (3.55)
und (3.56) können wir
∂T
(C − CV ) dT = (Cp − CV )
∂V
dV
p
(3.57)
3.3. P V T -SYSTEME
bzw.
39
dT
Cp − CV
=
dV
C − CV
∂T
∂V
(3.58)
p
schreiben. Diese Gleichung stellt (nach Elimination von p mittels der
thermischen Zustandsgleichung) die Differentialgleichung zur Bestimmung von T als Funktion von V bei einer polytropen Zustandsänderung
dar. Aus T (V ) und der thermischen Zustandsgleichung lassen sich dann
p(V ) und p(T ) berechnen.
Man kann natürlich auch direkt Differentialgleichungen für p(V )
und p(T ) aufstellen. Setzen wir beispielsweise
∂T
∂T
dT =
dV +
dp
(3.59)
∂V p
∂p V
aus der thermischen Zustandsgleichung in (3.57) ein, so erhalten wir
∂T
∂T
∂T
(C −CV )
dV +
dp = (Cp −CV )
dV, (3.60)
∂V p
∂p V
∂V p
woraus
∂T
(C − CV )
∂p
bzw.
∂T
∂p
V
V
∂T
dp = (Cp − C)
∂V
dp
Cp − C
=−
dV
CV − C
∂T
∂V
dV
(3.61)
p
(3.62)
p
mit dem Polytropenkoeffizienten
δ=
Cp − C
CV − C
(3.63)
folgt.3 Speziell für C = 0 ergeben sich die Adiabatengleichungen mit
dem Adiabatenkoeffizienten
Cp
δ=
.
(3.64)
CV
3
Man beachte, daß in (3.62) CV und Cp als Funktionen von p und V und in (3.58) als Funktionen
von T und V aufzufassen sind.
40
KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ
Da bei einem adiabatischen Prozeß δQ = 0 ist, nimmt der 1. Hauptsatz
für diesen Fall die Form
dU = δW
(3.65)
an, d.h., bei adiabatischer Kompression (Expansion) wird die innere
Energie erhöht (erniedrigt).
−10
−5
C 9
CV 7
5
3
1
−1
−3
−5
−7
−9
5
10
δ
Cp
=5
CV
Die obige Abbildung zeigt den Zusammenhang zwischen Wärmekapazität und Polytropenkoeffizient. Der isotherme Prozeß ergibt sich in
der Grenze C → ∞ für δ = 1. Im Bereich zwischen Isotherme und Adiabate ist C negativ. Zuführen von Wärme ist mit einem Absinken der
Temperatur verbunden. Offensichtlich leistet in diesem Fall das System
auf Kosten der inneren Energie mehr Arbeit als ihm Wärme zugeführt
wird.
Klassisches ideales Gas als einfachstes pV T -System
Thermische Zustandsgleichung (Boyle-Mariotte-Gesetz):
pV = N kT
(3.66)
Die Boltzmann-Konstante k als eine universelle Konstante hängt nicht
von der Beschaffenheit der Gasteilchen ab. Mit N = nmol L lautet (3.66)
pV = nmolLkT = nmol RT.
(3.67)
3.3. P V T -SYSTEME
41
Die Konstante
R = Lk = 8, 314 J mol−1 K−1,
(3.68)
heißt universelle Gaskonstante. Oft wird die Gleichung (3.67) auch pro
Mol angegeben:
(3.69)
pvmol = RT
(vmol = V /nmol - Molvolumen).
Kalorische Zustandsgleichung (Gay-Lussac-Gesetz):
U = CV T + const.,
(3.70)
CV = const.
Differenz der Wärmekapazitäten:
Gemäß (3.53) gilt
Cp − CV =
∂U
∂V
+p
T
Aus (3.67) und (3.70) folgt
∂V
Nk
,
=
∂T p
p
∂U
∂V
∂p
∂T
∂V
∂T
=
V
.
(3.71)
Nk
,
V
(3.72)
p
= 0,
(3.73)
T
so daß
Cp − CV = N k
(3.74)
gilt. Das heißt, neben CV ist auch Cp konstant, und somit ist der Polytropenkoeffizient δ [Gleichung (3.63) mit C = const.] ebenfalls konstant. Für die auf ein Teilchen bezogenen spezifischen Wärmekapazitäten c̄V = CV /N und c̄p = Cp/N gilt also
c̄p − c̄V = k.
(3.75)
42
KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ
Während die Differenz c̄p − c̄V eine universelle Konstante ist, hängen
c̄p und c̄V einzeln noch von den (mikroskopischen) Freiheitsgraden fmicr
der Gasteilchen ab:
c̄V = 12 fmicr k
(3.76)
(fmicr = 3 für einatomige Gasteilchen; fmicr = 5 für zweiatomige Gasmoleküle; fmicr = 6 für dreiatomige Gasmoleküle). Die auf die Substanzmengeneinheit bezogenen Wärmekapazitäten werden üblicherweise spezifische Wärmen genannt. Die auf ein Mol bezogenen Wärmekapazitäten cmol = C/nmol heißen auch Molwärmen. Die Differenz der
Molwärmen bei konstantem Druck und konstantem Volumen ist also
(unabhängig von der Beschaffenheit der Teilchen) gleich der universellen Gaskonstanten: cp mol − cV mol = R.
Polytropengleichung:
Die Konstanz des Polytropenkoeffizienten δ [Gleichung (3.63)] gestattet
es, die Polytropengleichung in einfacher Weise zu integrieren. Wir gehen
von der Form (3.62) aus,
∂T
∂T
dp = −δ
dV.
(3.77)
∂p V
∂V p
p
p0
3
(1)
2.5
2
1.5
(4)
1
(3)
0.5
0
(2)
0.5
1
1.5
2
2.5
V
3 V0
(1): Isochore (C = CV , δ = ∞); (2): Adiabate (C = 0, δ = Cp /CV );
(3): Isotherme (|C| = ∞, δ = 1); (4): Isobare (C = Cp , δ = 0).
3.3. P V T -SYSTEME
43
Mit (3.72) folgt
V dp = −δ p dV
;
dV
dp
= −δ
,
p
V
(3.78)
d.h.
ln p = −δ ln V + const.
(3.79)
pV δ = p0V0δ = const.
(3.80)
bzw.
Wegen pV ∼ T (thermische Zustandsgleichung) ergibt sich für die Polytropen im T V -Diagramm
pV V δ−1 ∼ T V δ−1 = const.
(3.81)
und für die Polytropen im p-T -Diagramm
δ
T
= const.,
pV δ ∼ p
p
(3.82)
d.h.
p(1−δ)/δ T = const.
(3.83)
Arbeit des idealen Gases bei einem polytropen Prozeß:
Mit der Zustandsgleichung (3.80) folgt
2
W12 = −
p dV = − const.
1
= − const.
=−
V2
V1
dV
Vδ
1 1−δ
V2 − V11−δ
1−δ
1 p2 V2δ V21−δ − p1V1δ V11−δ ,
1−δ
(3.84)
d.h. [unter Berücksichtigung der thermischen Zustandsgleichung (3.66)
und der Definition (3.63) des Polytropenkoeffizienten]
W12 = −
1
(p2V2 − p1 V1 ) = (CV − C) (T2 − T1) .
1−δ
(3.85)
44
KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ
Speziell für einen adiabatischen Prozeß (C = 0) folgt in Übereinstimmung mit (3.65)
W12 = CV (T2 − T1) = U2 − U1 .
(3.86)
Erwartungsgemäß erhöht adiabatische Kompression (W12 >0) die Temperatur des Gases (T2 − T1 > 0), bzw. anders ausgedrückt, Erwärmung
des Gases ohne Zufuhr von Wärme erfordert Arbeit.
Vergleich mit einem isothermen Prozeß:
2
W12 = −
p dV = −N kT
1
V2
V1
dV
V
V1
V1
= N kT ln
= (Cp − CV ) T ln
.
V2
V2
(3.87)
Isotherme Kompression (V1 > V2 ) erfordert also Arbeit am System
(W12 > 0). Umgekehrt wird bei isothermer Expansion (V1 < V2 ) vom
System Arbeit verrichtet (W12 < 0).
Für einen isothermen Prozeß eines pV T -Systems gilt laut 1. Hauptsatz generell
∂U
dV.
(3.88)
δQ = −δW + dU = −δW +
∂V T
Da für ein ideales Gas die innere Energie nicht vom Volumen abhängt,
gilt für diesen Fall
δQ = −δW,
(3.89)
d.h., die bei einer isothermen Kompression (Expansion) zugeführte (gewonnene) Arbeit wird vollständig als Wärme abgeführt (zugeführt). Im
allgemeinen Fall, wenn die innere Energie auch vom Volumen abhängt,
geschieht nur eine teilweise Umwandlung von Arbeit in Wärme und
umgekehrt.
Gay-Lussac-Experiment:
(Experiment zur Demonstration, daß die innere Energie eines idealen
Gases nicht vom Volumen abhängt.)
δQ = δW = 0
;
dU = 0,
(3.90)
3.3. P V T -SYSTEME
45
adiabatisch isolierende Wand
T
V1
V2
Vakuum
T
V1 + V2
d.h.
U (T1, V1) = U (T2, V1 + V2 ).
(3.91)
Aus dem experimentellen Befund T1 = T2 = T folgt somit
U (T, V1) = U (T, V1 + V2 ).
(3.92)
Da dies für beliebige Volumina V1 und V2 gilt, kann die innere Energie
nicht vom Volumen abhängen: (∂U/∂V )T = 0.
46
KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ
Kapitel 4
Der zweite Hauptsatz
Nach dem 1. Hauptsatz besitzt jedes thermodynamische System eine eindeutige Zustandsgröße, die innere Energie, die sich bei beliebigen Prozessen in abgeschlossenen Systemen nicht ändert. Nach dem
2. Hauptsatz besitzt nun jedes thermodynamische System eine weitere
eindeutige Zustandsgröße, die Entropie, die im Unterschied zur inneren
Energie nur bei reversiblen (quasistatischen) Prozessen in abgeschlossenen Systemen konstant bleibt. Der zweite Hauptsatz wurde im Zusammenhang mit der Analyse von Wärmekraftmaschinen aufgestellt.
Wesentliche Untersuchungen dazu gehen auf eine Arbeit von Carnot1
aus dem Jahre 1824 zurück.
4.1
Der Carnot-Prozeß
Kreisprozesse spielen in der Technik eine fundamentale Rolle. So
können beispielsweise Wärmekraftmaschinen in der Regel durch
Kreisprozesse beschrieben werden, wenn auch nur näherungsweise
durch reversible. Ein wichtiger reversibler Kreisprozeß ist der zwischen
zwei Wärmebädern laufende Carnot-Prozess, wobei bei einem Umlauf
dem Wärmebad der Temperatur T1 die Wärmemenge Q1 (reversibel)
entnommen wird und einem zweiten Wärmebad der niedrigeren Temperatur T2 die Wärmemenge Q2 (reversibel) zugeführt wird. Die Differenz
von zugeführter und abgeführter Wärmemenge wird als Arbeit nach au1
Sadi Carnot (1796 - 1832), französischer Physiker.
47
48
KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ
ßen abgegeben.2 Speziell mit einem pV T -System als Arbeitssubstanz
läßt sich ein Carnot-Prozess in vier Teilschritten realisieren:
(a) isotherme Expansion (T = const. = T1 )
(b) adiabatische Expansion (T1 → T2)
(c) isotherme Kompression (T = const. = T2 )
(d) adiabatische Kompression (T2 → T1)
p
T1
|Q1|
1
|W |
|Q1|
2
|W |
C
T = T1
4
|Q2|
3
T2
|Q2|
T = T2
V
Wir wollen als Arbeitssubstanz (zunächst) ein ideales Gas annehmen [siehe Gleichungen (3.86) und (3.87)]:
V2
1→2
W1 = −N kT1 ln
,
(4.1)
V1
2→3
3→4
4→1
2
Q1 + W1 = 0,
(4.2)
W2 = −CV (T1 − T2) ,
V3
,
W3 = N kT2 ln
V4
(4.3)
Q2 + W3 = 0,
(4.5)
W4 = CV (T1 − T2) .
(4.6)
Beachte, daß sich die innere Energie bei einem Kreisprozeß nicht ändert.
(4.4)
4.1. DER CARNOT-PROZESS
49
Gesamtarbeit:
W = W1 + W2 + W3 + W4
V2
V3
+ N kT2 ln
= −N kT1 ln
V1
V4
(4.7)
Wir wenden die Adiabatengleichung (3.81) an,
T1 V1δ−1 = T2V4δ−1,
T1V2δ−1 = T2V3δ−1,
(4.8)
und finden
V2
V3
=
.
V1
V4
Folglich lautet die Gesamtarbeit
(4.9)
V2
W = −N k (T1 − T2) ln
V1
.
(4.10)
Ist also T1 > T2, dann ist W < 0, d.h., die Carnot-Maschine leistet die
Arbeit −W = |W |. Aus (4.1) und (4.2) ist ersichtlich, daß
V2
(4.11)
Q1 = −W1 = N kT1 ln
V1
gilt. Mit (4.10) und (4.11) lautet der Wirkungsgrad
ηC = −
W
Q1
(4.12)
unserer speziellen Carnot-Maschine (beachte, daß Q1 > 0 ist):
ηC =
T1 − T2
T2
=1−
T1
T1
(4.13)
Schlußfolgerungen:
• Der Wirkungsgrad ηC ist um so größer, je kleiner T2/T1 ist, oder
anders, je größer die Temperaturdifferenz zwischen den beiden
Wärmebädern ist.
50
KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ
• Für T1 = T2 folgt ηC = 0, und es wird keine Arbeit geleistet.
• Es erfolgt keine vollständige Umwandlung von Wärme in Arbeit.
Da der Carnot-Prozeß ein reversibler Kreisprozeß ist, kann er natürlich
auch umgekehrt ablaufen (Wärmepumpe bzw. Kältemaschine).
4.2
Nichtexistenz eines perpetuum mobile 2. Art
Der 1. Hauptsatz erlaubt bekanntlich beliebige Energieumwandlungen,
d.h. insbesondere auch die vollständige Umwandlung von Wärme in
Arbeit bei beliebigen Kreisprozessen:
ΔU = dU = 0 = ΔQ + ΔW ; ΔQ = −ΔW.
(4.14)
Der Carnot-Prozeß mit einem idealen Gas als Arbeitssubstanz hat gezeigt, daß nur dann Arbeit geleistet werden kann, wenn mindestens
zwei Wärmereservoirs beteiligt sind. Diese Aussage ist nun nicht nur
auf das betrachtete Beispiel beschränkt, wie die Erfahrung in Form (der
Planckschen Formulierung) des 2. Hauptsatzes zeigt.3
Es ist unmöglich, ein perpetuum mobile 2. Art zu konstruieren, d.h. eine periodisch arbeitende Maschine, die weiter nichts
bewirkt als Heben einer Last (Arbeitsleistung) und Abkühlung
eines Reservoirs.
Der 2. Hauptsatz stellt im Vergleich zum 1. Hauptsatz eine völlig neue
Qualität dar, denn im Rahmen des 1. Hauptsatzes widerspricht nichts
der Konstruktion eines perpetuum mobile 2. Art.
3
Äquivalente Formulierung nach Clausius: Es ist unmöglich, eine periodisch arbeitende Maschine zu konstruieren, die nichts weiter bewirkt als Entnahme von Wärme aus einem Reservoir und
Zuführen der gleichen Wärmemenge in ein Reservoir höherer Temperatur.
4.2. NICHTEXISTENZ EINES PERPETUUM MOBILE 2. ART 51
Folgerungen aus dem 2. Hauptsatz:
(1)
Alle Carnot-Prozesse, d.h. alle reversiblen Kreisprozessen zwischen zwei Wärmereservoirs, bei denen unter Abgabe von Arbeit nach außen dem Reservoir der höheren Temperatur (T1) eine Wärmemenge entzogen und dem der tieferen Temperatur (T2)
eine (kleinere) Wärmemenge zugeführt wird, besitzen den Wirkungsgrad
η = ηC =
T1 − T2
T2
=1−
.
T1
T1
(4.15)
Der Beweis kann indirekt geführt werden, indem die Annahme gemacht
wird, daß es eine Carnot-Maschine (M) mit ηM > ηC gibt und eine Anordnung wie in der Abbildung betrachtet wird, bei der unsere spezielle
(mit einem idealen Gas arbeitende) Carnot-Maschine (C) als Wärmepumpe dient.
T1
|Q1|
|Q1|
|W |
|W |
M
C
|Q2|
T2
Energiebilanz (1. Hauptsatz) für die Wärmekraftmaschine M:
Q1 + Q2 + W + W = 0,
;
Q1 + Q2 = −(W + W ) = ηM Q1, (4.16)
d.h.
−Q2 = (1 − ηM ) Q1.
(4.17)
Energiebilanz (1. Hauptsatz) für die Wärmepumpe C:4
Q1 − Q2 − W = 0,
4
;
Q1 − Q2 = W = ηC Q1,
Die Vorzeichen von Q2 und W sind durch die Wärmekraftmaschine M festgelegt.
(4.18)
52
KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ
d.h.
−Q2 = − (1 − ηC ) Q1.
(4.19)
Der Vergleich von (4.17) und (4.19) liefert
− (1 − ηC ) Q1 = (1 − ηM ) Q1,
−Q1 =
1 − ηM
Q1 .
1 − ηC
(4.20)
(4.21)
Gemäß (4.16) und (4.18) gilt
−W = ηM Q1 + W = ηM Q1 + ηC Q1,
(4.22)
woraus mit (4.21)
ηM − ηC
Q1
(4.23)
1 − ηC
folgt. Da ηM > ηC angenommen wurde, muß −W > 0 gelten. Die
durch Kombination der Maschinen M und C konstruierte (periodisch
arbeitende) Maschine leistet also Arbeit bei alleiniger Abkühlung des
Wärmereservoirs der Temperatur T1. Da dies im Widerspruch zum 2.
Hauptsatz steht, kann offenbar ηM nicht größer als ηC sein.
Der Wirkungsgrad ηM kann aber auch nicht kleiner als ηC sein.
In diesem Fall könnte man das obige Schema so abwandeln, daß als
Wärmekraftmaschine nunmehr unsere spezielle Carnot-Maschine C
verwendet wird, während die allgemeine Carnot-Maschine M die Funktion einer Wärmepumpe hat. Für ηM < ηC wäre das Ergebnis offensichtlich wieder ein perpetuum mobile 2. Art [in der Gleichung (4.23)
sind ηM und ηC einfach zu vertauschen]. Insgesamt bleibt also nur die
behauptete Möglichkeit η = ηM = ηC .
−W =
(2)
Jeder irreversible Kreisprozeß zwischen zwei Wärmereservoirs besitzt einen Wirkungsgrad η, der kleiner als ηC ist,
η<
T2
T1 − T2
=1−
T1
T1
(4.24)
Der Beweis kann wieder indirekt geführt werden. So kann gezeigt werden, daß η ≥ ηC auf Widersprüche führt. Würde η > ηC gelten, könnte
man eine irreversibel arbeitende Maschine mit einer reversibel arbeitenden Maschine kombinieren und letztere als Wärmepumpe arbeiten
4.2. NICHTEXISTENZ EINES PERPETUUM MOBILE 2. ART 53
lassen. Entsprechend den obigen Überlegungen hätte man dann wieder ein perpetuum mobile 2. Art konstruiert – im Widerspruch zum 2.
Hauptsatz. Würde η = ηC gelten, wäre gemäß (4.21) |Q1 | = |Q1 | und
der Ausgangszustand der kombinierten Maschine wiederhergestellt, ohne Änderungen in der Umgebung zu hinterlassen, was im Widerspruch
zur angenommenen Irreversibilität steht (siehe Abbildung).
T1
|Q1 | = |Q1 |
|Q1|
M
|W |
C
|Q2|
T2
Fazit:
η ≤ ηC =
bzw.
η=−
T1 − T2
,
T1
W
Q1 + Q2
T1 − T2
=
≤ ηC =
,
Q1
Q1
T1
(4.25)
(4.26)
d.h.:
Q1 Q2
+
≤0
T1
T2
(4.27)
Offensichtlich gilt das Gleichheitszeichen für reversible und das Kleinerzeichen für irreversible Prozeßführung.
Im Falle reversibler Prozeßführung heißt die Gleichung
Q1 Q2
+
=0
T1
T2
(4.28)
auch Clausiusscher Wärmesummensatz; Q/T nennt man reduzierte Wärmemenge. Der Clausiussche Wärmesummensatz gilt für
54
KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ
jeden reversiblen Kreisprozeß:
δQ
=0
T
(4.29)
Zum Beweis ersetzen wir einen beliebigen Kreisprozeß durch hinreichend kleine Stücke von Isothermen und Adiabaten. Die beispielsweise
für ein pV T -System vom Kreisprozeß in einem pV -Diagramm eingeschlossene Fläche wird dabei (wie in der Abbildung skizziert) in einzelne Vierecke zerlegt. Jedes dieser Vierecke entspricht einem speziellen
p
Netz von Isothermen und Adiabaten
beliebiger Kreisprozeß
V
Carnot-Prozess, für den der Clausiussche Wärmesummensatz gilt. Wird
über alle durch die stark umrandete Fläche in der Abbildung gegebenen Prozesse summiert, ergibt sich folglich Null. Da sich die Anteile
innerhalb der Fläche wegheben (alle Wärmemengen treten mit umgekehrten Vorzeichen noch einmal auf), bleiben nur die Beiträge von den
Isothermen entlang der gezackten Berandungskurve,
δQn
n
Tn
= 0,
(4.30)
woraus im Grenzprozeß eines immer dichter werdenden Netzes aus Isothermen und Adiabaten die Integralrelation (4.29) wird.
4.3. DER ENTROPIESATZ
4.3
55
Der Entropiesatz
Die Gleichung (4.29) ist offensichtlich die Bedingung dafür, daß δQ/T
ein vollständiges Differential ist, d.h., es existiert eine Zustandsgröße
S, die Entropie, deren vollständiges Differential sich gemäß
dS =
δQrev
T
(4.31)
ergibt, wobei die Bezeichnung δQrev zum Ausdruck bringen soll, daß
der Wärmeaustausch zwischen System und Umgebung auf reversiblem
Wege geschehen muß.
Wir betrachten einen Kreisprozeß unter Beteiligung von zwei infinitesimal benachbarten Zuständen bei gegebener Temperatur T . Beim
Übergang vom ersten zum zweiten Zustand werde die Wärmemenge
δQ aus einem Wärmebad aufgenommen, und beim reversiblen Übergang zurück zum Ausgangszustand werde die Wärmemenge δQrev an
das Wärmebad abgeführt. Mit
T1 = T2 = T,
Q1 = δQ > 0,
Q2 = −δQrev < 0
(4.32)
gilt gemäß (4.27)
δQ δQrev
−
≤ 0,
T
T
bzw. unter Berücksichtigung von (4.31):
dS ≥
δQ
T
(4.33)
(4.34)
Das Gleichheitszeichen gilt für reversiblen und das Größerzeichen für
irreversiblen Wärmeaustausch. Insbesondere finden wir für abgeschlossene Systeme (δQ = 0):
dS ≥ 0
(4.35)
56
KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ
Die Entropie eines abgeschlossenen Systems kann nicht abnehmen. Irreversible Prozesse bewirken, daß die Entropie zunimmt.
Der gefundene Sachverhalt kann wie folgt zusammengefaßt werden
(Sommerfeldsche Formulierung des 2. Hauptsatzes):
Jedes thermodynamische System besitzt eine extensive (skalare)
Zustandsgröße S, die Entropie. Ihre Änderung bei reversiblen
Zustandsänderungen (eines nicht abgeschlossenen Systems) berechnet man, indem man die zugeführte Wärmemenge δQ durch
die Temperatur T (ideale Gastemperatur) dividiert. Bei allen
irreversiblen Zustandsänderungen wird im Innern des Systems
Entropie produziert.
In Formeln:
dS = dSe + dSi
(4.36)
δQ
,
dSe =
T
dSi ≥ 0
Wie bereits gesagt, bedeutet dies für abgeschlossene Systeme
(δQ = δW = 0), daß dS =dSi ≥0 gilt, d.h., die Entropie kann nur zunehmen oder höchstens gleichbleiben (falls nur reversible Prozesse ablaufen). Solange in einem abgeschlossenen System noch Prozesse von allein
ablaufen, wird Entropie produziert, so daß die Entropie des Systems
anwächst. Erst wenn der Gleichgewichtszustand erreicht ist, hört die
Entropieproduktion auf; die Entropie selbst hat dann einen Maximalwert erreicht. Der 2. Hauptsatz charakterisiert also die Richtung dieser
spontanen oder natürlichen Prozesse. Sie verlaufen in abgeschlossenen
Systemen in der Richtung, in der die Entropie zunimmt.
Wärmekraftmaschienen
Man kann den 2. Hauptsatz in der oben gegebenen Entropieformulierung an die Spitze stellen und dann zeigen, daß es kein perpetuum
mobile 2. Art geben kann. Dazu ist es ausreichend zu beweisen, daß bei
jedem (mit Abgabe von Arbeit nach außen verbundenen) Kreisprozeß
4.3. DER ENTROPIESATZ
57
zwischen zwei Wärmereservoirs höchstens der Wirkungsgrad ηC [Gleichung (4.13)] eines Carnot-Prozesses erreicht werden kann.
1. Hauptsatz:
0=
dU =
δQ +
δW,
(4.37)
d.h.
Q1 + Q2 + W = 0
;
−W = Q1 + Q2
(4.38)
δQ
,
T
(4.39)
(Q1 > 0, Q2 < 0, W < 0).
2. Hauptsatz:
0=
d.h.
Q1 Q2
+
≤0
T1
T2
dS ≥
;
T 2 Q2
+
≤ 0.
T 1 Q1
(4.40)
Mit (4.38) ergibt sich für den Wirkungsgrad zunächst
η=−
W
Q1 + Q2
Q2
=
=1+
Q1
Q1
Q1
(4.41)
sowie mit ηC aus (4.13) und der zweiten Ungleichung in (4.40)
η =1−
T 2 Q2
T 2 T 2 Q2
+
+
= ηC +
+
≤ ηC .
T 1 T 1 Q1
T 1 Q1
(4.42)
In Worten, der Wirkungsgrad jeder periodisch arbeitenden Maschine,
die einem Wärmebad eine Wärmemenge entzieht, um Arbeit zu leisten,
und dabei die verbleibende Wärmemenge an ein Wärmebad niedrigerer Temperatur abgibt, kann prinzipiell nicht größer sein als der einer
Carnot-Maschine.
Als nächstes untersuchen wir einen reversiblen Kreisprozeß, bei dem
Wärmezu- und -abfuhr nicht bei konstanten Temperaturen erfolgen.
1 → 2:
2 → 1:
Dem System werde die Wärmemenge Q1 reversibel zugeführt. Die maximale Temperatur sei T1 .
Dem System werde die Wärmemenge Q2 reversibel entzogen.
Die minimale Temperatur sei T2.
58
KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ
T
1
T1
2
1
2
T2
1
2
S2
S1
2
Qrev 1 =
2
δQrev =
1
Qrev 2 =
T dS = T 1 (S2 − S1 ),
(4.43)
T dS = T 2 (S1 − S2 ),
(4.44)
1
1
δQrev =
2
T1
≥ 1,
T1
S
1
2
T2
≤ 1,
T2
;
T2 T 2
−
≤0
T1 T 1
(4.45)
(T 1 , T 2 - mittlere“ Temperaturen). Die Gleichungen (4.43) und (4.44)
”
liefern
T2
Qrev 1 Qrev 2
Qrev 2
+
= 0, ;
=− ,
(4.46)
Qrev 1
T1
T2
T1
und somit folgt für den Wirkungsgrad
ηrev =
T2
Qrev 1 + Qrev 2
T2 T2 T 2
=1−
=1−
+
− ,
Qrev 1
T 1 T1
T1 T 1
ηC
≤0
(4.47)
d.h.
ηrev ≤ ηC .
(4.48)
Sind die Temperaturen während der beiden Halbzyklen nicht konstant,
so ist der beim reversiblen Durchlaufen des Kreisprozesses erreichbare
Wirkungsgrad also immer kleiner als bei einem reversiblen Kreisprozeß zwischen zwei Wärmebädern, deren Temperaturen gerade der maximalen und minimalen Temperatur des betrachteten Kreisprozesses
entsprechen.
4.3. DER ENTROPIESATZ
59
Bei Berücksichtigung von irreversiblen Vorgängen gilt laut 2.
Hauptsatz
δQrev ≥ δQ
;
Qrev 1 ≥ Q1 ,
Qrev 2 ≥ Q2 ,
Qrev 1
−Qrev 2
−Qrev 2 −Q2
≥ 1,
≤ 1, ;
−
≤ 0,
Q1
−Q2
Qrev 1
Q1
und für den Wirkungsgrad ergibt sich
η =1+
Q2
Qrev2 Qrev2 Q2
=1+
−
+
.
Q1
Qrev1 Qrev1 Q1
ηrev
≤0
(4.49)
(4.50)
(4.51)
Zusammen mit (4.48):
η ≤ ηrev ≤ ηC
(4.52)
Wärmepumpen und Kühlmaschinen
Läuft ein Kreisprozeß so, daß einer kälteren Umgebung Wärme entzogen wird und unter Verrichtung von Arbeit am System einer wärmeren Umgebung Wärme zugeführt wird, so funktioniert die entsprechende Maschine als Wärmepumpe bzw. Kühlmaschine. Der 1. Hauptsatz
liefert wieder das bekannte Resultat
(4.53)
dU = 0 ; Q1 + Q2 + W = 0,
wobei jetzt Q1 < 0 und Q2 > 0, W > 0 gilt, und der 2. Hauptsatz
liefert ebenfalls wieder die bekannten Resultate. Sind speziell die beiden
Umgebungstemperaturen konstant, gilt
δQ
Q1 Q2
≤ dS = 0 ;
+
≤ 0.
(4.54)
T
T1
T2
Als Wirkungsgrad wird je nach Verwendungszweck der Maschine
Q1
W
Q2
=
W
ηheat = −
f ür Wärmepumpen,
(4.55)
ηcool
f ür Kühlmaschinen
(4.56)
60
KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ
definiert. Im Falle von Kühlmaschinen wird ηcool auch Kühlkoeffizient
genannt. Es gilt:
1
W
Q1 + Q2
Q1
=−
= −1 −
,
ηcool
Q2
Q2
Q2
1
T1
T 1 Q1
T1
= −1 +
−
+
≥ −1 +
ηcool
T2
T
Q
T2
2 2 ≤0
=
ηcool ≤
T2
.
T1 − T2
(4.57)
(4.58)
(4.59)
Völlig analog läßt sich
T1
(4.60)
T1 − T2
zeigen. Das Gleichheitszeichen gilt wieder im Grenzfall reversibler Prozeßführung.
ηheat ≤
4.4
Absolute und empirische Temperatur
Für eine Carnot-Maschine gilt bekanntlich
T1
|Q1 |
,
=
T2
|Q2 |
(4.61)
wobei unter den Temperaturen T1 und T2 der beiden Wärmebäder die
idealen Gastemperaturen in Kelvin zu verstehen sind. Da der Wirkungsgrad einer solchen Maschine die Eins prinzipiell nicht überschreiten kann, kann die tiefere Temperatur offensichtlich nicht negativ werden. Mit anderen Worten, der Nullpunkt der Kelvin-Skala entspricht
der tiefsten Temperatur (oder dem absoluten Nullpunkt) schlechthin
(siehe dazu auch Kapitel 6). Die Tatsache, das für das Verhältnis der
umgesetzten Wärmemengen |Q2|/|Q1 | = T2/T1 gilt, kann die Temperaturmessung auf die Messung der bei einem Carnot-Prozess umgesetzten Wärmemengen und somit auf die Bestimmung des Wirkungsgrads einer Carnot-Maschine zurückgeführt werden. Fungiert das System, dessen Temperatur T gemessen werden soll als das Reservoir, das
4.4. ABSOLUTE UND EMPIRISCHE TEMPERATUR
61
die Wärmemenge |Q| abgibt (aufnimmt) und ein Vergleichssystem definierter Temperatur Tref als das Reservoir, das die Wärmemenge |Qref |
aufnimmt (abgibt), dann gilt
T
|Q|
=
Tref
|Qref |
;
T =
|Q|
Tref .
|Qref |
(4.62)
Die Bedeutung dieser Messvorschrift besteht in ihrer völligen Unabhängigkeit von jedweden Materialeigenschaften, so dass die Gleichung (3.61) für den Wirkungsgrad einer Carnot-Maschine zusammen
mit der Festlegung der Vergleichstemperatur
Tref = 273, 16 K
(4.63)
als Definitionsgleichung der absoluten oder thermodynamischen
Temperatur angesehen werden kann, und somit absolute Temperatur
und ideale Gastemperatur übereinstimmen.
Messung von Wärmemengen
Einem System, das eine Wärmemenge abgegeben hat, wird eine gleichgroße Energiemenge in einer anderen, der Messung leicht zugänglichen Energieform zugeführt (etwa durch elektrische Heizung). Dazu
sind offensichtlich keine geeichten Thermometer notwendig. Die Benutzung einer Carnot-Maschine zur praktischen Temperaturmessung wäre
natürlich höchst unbequem. Deshalb werden in der Praxis zweckmäßig
konstruierte Thermometer mit einer empirischen Temperaturskala verwendet. Diese läßt sich eindeutig auf die absolute Temperatur umrechnen.
Umrechnung der Temperaturen
Wir betrachten der Einfachheit wegen wieder ein pV T -System. Wie
sich zeigen läßt (Kapitel 5), sind thermische und kalorische Zustandsgleichung nicht unabhängig voneinander vorgebbar. Es gilt [Gleichung
(5.70)]
∂p
∂U
T
=p+
.
(4.64)
∂T V
∂V T
Wir fassen nun p und U als Funktionen der empirischen Temperatur T̃
62
KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ
auf,
∂p
dT̃
∂U
T
=p+
.
(4.65)
∂V T̃
∂ T̃ V dT
Diese Gleichung stellt eine Differentialgleichung zur Bestimmung der
Funktion T = T (T̃ ) dar:
∂p
dT
∂T̃ V
= dT̃
.
(4.66)
∂U
T
p+
∂V T̃
Integration liefert
∂p
T̃
T
∂ T̃ V
.
= dT̃ ln
∂U
T0
p+
T̃0
∂V T̃ (4.67)
Als Bezugspunkt T0 = T (T̃0) kann wieder der Tripelpunkt des Wassers mit T0 = Tref = 273.16 K gewählt werden, wobei T̃0 in der gerade
verwendeten empirischen Temperaturskala gemessen werden muß.
Fazit:
Auf Thermometer mit thermodynamischer Temperaturskala kann verzichtet werden, Thermometer mit empirischer Skala genügen. Nach Bestimmen der Zustandsgleichungen
p = p(T̃ , V ),
U = U (T̃ , V )
(4.68)
kann dann gemäß (4.67) T = T (T̃ ) berechnet werden und dann gemäß
T̃ = T̃ (T ) die empirische Temperatur T̃ zugunsten der absoluten Temperatur T in den Zustandsgleichungen eliminiert werden.
4.5
Reversible Ersatzprozesse
Betrachten wir einen Prozeß zwischen zwei (gehemmten) Gleichgewichtszuständen Z1 und Z2. Die Entropieänderung
ΔS = S2 − S1
(4.69)
4.5. REVERSIBLE ERSATZPROZESSE
63
ist natürlich völlig unabhängig von der Art des durchlaufenen Prozesses. Die Entropieänderung bei einem irreversiblen Prozeß zwischen den
beiden Zuständen kann folglich berechnet werden, indem ein beliebiger
reversibler Prozeß anstatt des tatsächlichen Prozesses betrachtet wird.
Die einzige Bedingung an einen solchen reversiblen Ersatzprozeß ist,
daß Anfangs- und Endzustand mit denen des tatsächlichen Prozesses
übereinstimmen.5
Wie bei jedem reversiblen Prozeß kann die Entropieänderung bei
einem reversiblen Ersatzprozeß durch Kombination des 1. und des 2.
Hauptsatzes für (gehemmte) Gleichgewichtszustände berechnet werden. Speziell im Falle eines pV T -Systems gilt
dU = T dS − p dV
;
dS =
1
p
dU + dV,
T
T
(4.70)
d.h., die Entropie kann als Funktion von U und V aufgefaßt werden (die
hier die Rolle der unabhängigen Zustandsgrößen spielen): S = S(U, V ).
Mittels der kalorischen Zustandsgleichung U = U (T, V ) kann dann die
Entropie als Funktion von T und V dargestellt werden, S = S(T, V ),
und unter Verwendung der thermischen Zustandsgleichung als Funktion
von p und T , S = S(p, T ), bzw. als Funktion von p und V , S = S(p, V ).
Irreversible Gasexpansion
Wir betrachten das in der folgenden Abbildung skizzierte Gay-LussacExperiment. Fassen wir S als Funktion von T und V auf, so folgt mit
Anfangszustand
V
Endzustand
ΔV
den Zustandsgleichungen (3.66) und (3.70) des idealen Gases aus (4.70)
dS =
5
Nk
CV
dT +
dV,
T
V
(4.71)
Um die bei einem irreversiblen Kreisprozeß im Innern des Systems produzierte Entropie zu
berechnen, kann analog verfahren werden, indem eine Zustandsänderung von System und Umgebung
betrachtet wird, wobei das Gesamtsystem als abgeschlossen angenommen werden kann.
64
KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ
d.h.
T2
V2
+ N k ln .
(4.72)
T1
V1
Entsprechend dem experimentellen Befund sind für ein abgeschlossenes
System Anfangs- und Endzustand wie folgt gegeben:
ΔS = CV ln
T1 = T2 ,
V1 = V, V2 = V + ΔV.
Folglich lautet die Entropieänderung
ΔV
ΔS = N k ln 1 +
> 0.
V
(4.73)
(4.74)
Erwartungsgemäß zeigt die Zunahme der Entropie des abgeschlossenen Systems, daß es sich bei dem Prozeß um einen irreversiblen Prozeß
handelt. Die Arbeit, die bei adiabatischer Expansion hätte gewonnen
werden können, ist gewissermaßen verschenkt worden. Die Herstellung
des Ausgangszustands erfordert offensichtlich Arbeit (z.B. isotherme
Kompression) von außen, d.h. bleibende Veränderungen in der Umgebung.
Wärmeleitung
Für das Gesamtsystem gilt
dS ≥ 0,
T1
δQ
(4.75)
(T1 > T2 )
T2
wärmeleitende Wand
dS1 = dSi 1 −
δQ
,
T1
(4.76)
dS2 = dSi 2 +
δQ
.
T2
(4.77)
4.5. REVERSIBLE ERSATZPROZESSE
65
Obwohl das Gesamtsystem in einem Nichtgleichgewichtszustand ist,
können wir annnehmen, daß sich jedes der Teilsysteme (zum betrachteten Zeitpunkt) in einem Gleichgewichtszustand befindet,
dSi 1 = dSi 2 = 0,
und folglich
1
1
−
dS = δQ
T2 T1
(4.78)
(4.79)
gilt, d.h.
T1 − T2
.
(4.80)
T1 T2
Fazit: dS ≥ 0 impliziert daß (für δQ ≥ 0) T1 ≥ T2 , bzw. aus T1 ≥ T2 folgt
dS ≥ 0, d.h. Wärmeleitung (T1 > T2 ) ist als irreversibler Prozeß mit
einer Entropiezunahme verknüpft.
Um die mit dem Temperaturausgleich insgesamt verbundene Entropieänderung zu berechnen, genügt es wieder, den Anfangszustand und
den Endzustand des Systems zu kennen. Wir wollen annehmen, daß die
wärmeleitende Wand zwei ideale Gase in thermischen Kontakt miteinander bringt. Der Anfangszustand sei durch N1, V1 , T1, N2, V2, T2 und
der Endzustand durch N1 , V1, T, N2, V2, T festgelegt. Gemäß (4.72) gilt
für die Entropieänderungen der Teilsysteme
T
,
(4.81)
ΔS1 = (CV )1 ln
T1
T
,
(4.82)
ΔS2 = (CV )2 ln
T2
dS = δQ
und folglich lautet die Entropieänderung des Gesamtsystems
T
T
ΔS = N1 (c̄V )1 ln
+ N2(c̄V )2 ln
≥ 0,
T1
T2
(4.83)
wobei (CV )i = Ni(c̄V )i, i = 1, 2, berücksichtigt wurde.
Um zu sehen, daß ΔS > 0 für T1 = T2 gilt, berechnen wir zunächst
die Temperatur T , die sich im thermischen Gleichgewicht einstellt. Aus
0 = ΔU = N1(c̄V )1 (T − T1 ) + N2 (c̄V )2 (T − T2 )
(4.84)
66
KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ
folgt [für (c̄V )1 = (c̄V )2 = c̄V ]
N1 (T − T1) + N2 (T − T2) = 0,
(4.85)
(N1 + N2 ) T = N1 T1 + N2 T2,
(4.86)
also
N1 T 1 + N2 T 2
N1 + N2
(4.87)
T = n̄1 T1 + n̄2 T2 ,
(4.88)
T =
bzw.
wobei die
Ni
Ni
(4.89)
=
N1 + N2
N
die Teilchenkonzentrationen in den beiden Teilsystemen sind. Wir setzen die Gleichgewichtstemperatur (4.87) in (4.83) ein und erhalten
n̄1 n̄2 T
T
ΔS = N c̄V ln
T1
T2
T
= N c̄V ln
n̄1 n̄2
T1 T2
n̄1 T1 + n̄2 T2
.
(4.90)
= N c̄V ln
T1n̄1 T2n̄2
n̄i =
Erwartungsgemäß gilt
ΔS ≥ 0,
(4.91)
so dass ΔS > 0 gilt wenn T1 = T2 ist. Die Ungleichung (4.91) folgt aus
der Abschätzung
T1n̄1 T2n̄2 = exp(n̄1 ln T1 + n̄2 ln T2)
≤ n̄1 exp(ln T1) + n̄2 exp(ln T2 )
= n̄1T1 + n̄2T2 = T
(4.92)
Obwohl sehr nützlich, versagt das Konzept des reversiblen Ersatzprozesses, wenn beispielsweise im vorliegenden Fall nach dem zeitlichen
und räumlichen Verlauf des Temperaturausgleichs gefragt wird. Um
diese Frage zu beantworten, bedarf es einer feldtheoretischen Beschreibungsweise (Kapitel 10).
Kapitel 5
Thermodynamische
Potentiale
1. Hauptsatz:
δQ + δW = dU
1
1
δQ
= dU − δW.
T
T
T
;
(5.1)
2. Hauptsatz:
dS = dSi +
δQ
,
T
dSi ≥ 0.
(5.2)
Kombination der beiden Hauptsätze:
dS = dSi +
5.1
1
1
dU − δW,
T
T
dSi ≥ 0.
(5.3)
Die Gibbssche Fundamentalgleichung
Wir wenden die Gleichung (5.3) auf reversible Zustandsänderungen an.
In diesem Fall ist dSi = 0, und wir erhalten unter Berücksichtigung von
(3.40) die Gibbssche Fundamentalgleichung:
1
1
dS = dU +
yi dXi
T
T i
67
(5.4)
68
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
Sie stellt eine Beziehung zwischen vollständigen Differentialen dar, so
daß insbesondere die Entropie als Funktion der inneren Energie und
der Zustandsvariablen Xi aufgefaßt werden kann:
S = S(U, {Xi}) ≡ S(U, X1, X2, ...).
Wir vergleichen (5.4) mit
∂S ∂S
dU +
dXi
dS =
∂U {Xi}
∂X
i
U,{Xj |j=i}
i
(5.5)
(5.6)
und finden die Beziehungen
1
=
T
yi
=
T
∂S
∂Xi
∂S
∂U
,
(5.7)
{Xi }
,
i = 1, 2, 3, . . . .
(5.8)
U,{Xj |j=i}
Wir sehen, daß neben S auch T und alle yi als Funktionen von U und
den Xi angesehen werden können, d.h., U und die Xi bilden einen
(speziellen) vollständigen Satz von Zustandsgrößen.
Zustandsgleichungen
Ist S als Funktion von U und den Xi bekannt, können die Zustandsgleichungen des Systems in einfacher Weise abgeleitet werden.
Kalorische Zustandsgleichung:
Aus (5.7) folgt die Gleichung
T = T (U, {Xi}).
(5.9)
Diese Gleichung nach U aufgelöst liefert die kalorische Zustandsgleichung
U = U (T, {Xi}).
(5.10)
Thermische Zustandsgleichungen:
Aus (5.8) folgt, daß
yi = T fi(U, {Xj })
(5.11)
5.1. DIE GIBBSSCHE FUNDAMENTALGLEICHUNG
69
(i = 1, 2, . . .) gilt. Setzen wir die kalorische Zustandsgleichung (5.10) in
die Gleichungen (5.11) ein, erhalten wir die thermischen Zustandsgleichungen des Systems:
yi = T fi [U (T, {Xj }), {Xj }] ≡ yi (T, {Xj }).
(5.12)
Die Anzahl der thermischen Zustandsgleichungen ist offenbar durch
die Anzahl der Arbeitsterme in der Gibbsschen Fundamentalgleichung
bestimmt.
Fazit: Kalorische und thermische Zustandsgleichungen lassen sich durch
einfaches Differenzieren der Entropie S(U, {Xi}) nach den Zustandsvariablen U, {Xi} und anschließende algebraische Umformung gewinnen.
Man bezeichnet deshalb auch S(U, {Xi}) als thermodynamisches
Potential in den Variablen U, {Xi}. Sind umgekehrt die kalorische
und die thermischen Zustandsgleichungen bekannt, können mittels der
Gibbsschen Fundamentalgleichung Entropiedifferenzen bestimmt werden, nicht jedoch die Entropie absolut,
2 1
ΔS = S2 − S1 =
dU +
yi dXi .
(5.13)
1 T
i
Wie die folgende Untersuchung zeigt, sind kalorische und thermische
Zustandsgleichungen nicht unabhängig voneinander vorgebbar.
Zusammenhang zwischen den Zustandsgleichungen:
Aus der kalorischen Zustandsgleichung folgt
∂U ∂U
dU =
dT +
dXi .
∂T {Xi}
∂X
i
T,{X
|j
=
i}
j
i
(5.14)
Wir setzen dU aus (5.14) in die Gibbssche Fundamentalgleichung (5.4)
ein und erhalten
∂U 1
∂U
dS =
dT +
+ yi dXi . (5.15)
T
∂T {Xi}
∂X
i
T,{X
|j
=
i}
j
i
Fassen wir S als Funktion von T und den Xi auf, S = S(T, Xi), so gilt
∂S ∂S
dT +
dXi ,
(5.16)
dS =
∂T {Xi}
∂X
i
T,{Xj |j=i}
i
70
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
und der Vergleich mit (5.15) liefert
∂S
1 ∂U
=
,
∂T {Xi} T ∂T {Xi}
∂S
∂Xi
=
T,{Xj |j=i}
1
T
∂U
∂Xi
(5.17)
+ yi .
(5.18)
T,{Xj |j=i}
Aus (5.17) folgt
1 ∂ 2U
∂ ∂S
=
,
∂Xi ∂T
T ∂Xi∂T
(5.19)
und aus (5.18) folgt
2
1
∂ U
1 ∂U
∂yi
∂ ∂S
.
=− 2
+ yi +
+
∂T ∂Xi
T ∂Xi
T ∂T ∂Xi ∂T
(5.20)
Da dS ein vollständiges Differential ist, muß also
∂ 2S
∂ 2S
=
∂T ∂Xi
∂Xi∂T
(5.21)
gelten. Beziehungen zwischen Zustandsgrößen, die aus der Gleichheit
der gemischten zweiten Ableitungen von Zustandsgrößen (meistens Potentialfunktionen) resultieren, werden auch Maxwell-Beziehungen
genannt. Setzen wir gemäß (5.21) die rechten Seiten von (5.19) und
(5.20) gleich, erhalten wir folgenden Zusammenhang zwischen der kalorischen Zustandsgleichung und den thermischen Zustandsgleichungen:
T
bzw.
∂yi
∂T
=
{Xj }
∂U
∂Xi
∂U
∂Xi
+ yi ,
i = 1, 2, 3, . . .
(5.22)
T,{Xj |j=i}
=T
T,{Xj |j=i}
2
∂ yi
∂T T
.
{Xj }
(5.23)
5.1. DIE GIBBSSCHE FUNDAMENTALGLEICHUNG
71
Fassen wir S als Funktion von T und den Xi auf, so nimmt nach (5.15)
und (5.22) das Differential dS die Form
1
dS =
T
∂U
∂T
dT +
∂yi {Xi }
∂T
i
dXi
{Xj }
(5.24)
an, und (5.13) lautet
2 1 ∂U
∂yi
dT +
dXi . (5.25)
ΔS = S2 − S1 =
T ∂T {Xi}
∂T
1
{Xj }
i
Schlußfolgerungen:
• Die kalorische Zustandsgleichung kann aus den thermischen Zustandsgleichungen und der Temperaturabhängigkeit der inneren
Energie erhalten werden.
• Bei bekannten thermischen Zustandsgleichungen muß zur Berechnung der Entropie die kalorische Zustandsgleichung nicht
vollständig bekannt sein; es genügt, die Temperaturabhängigkeit
der inneren Energie zu kennen.
Wärmekapazitäten
Wir betrachten wieder Gleichgewichtszustände, so daß für die Wärmekapazitäten
C dT = T dS
(5.26)
gilt. Mit (5.24) erhalten wir dann:
C dT =
∂U
∂T
dT + T
{Xi }
∂yi i
∂T
{Xj }
dXi
(5.27)
Je nach den konkreten Prozeßbedingungen können nun die unterschiedlichsten Wärmekapazitäten definiert werden. Wir wollen uns auf zwei
Beispiele beschränken.
72
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
Beispiel 1: Alle Xi werden konstant gehalten.
∂U
.
C{Xi} =
∂T {Xi}
(5.28)
Beispiel 2: Alle yi werden konstant gehalten.
∂yi ∂Xi
∂U
+ T
.
C{yi} =
∂T {Xi}
∂T
∂T
{Xj }
{yj }
i
(5.29)
Die Gleichungen (5.28) und (5.29) zeigen, daß die betrachteten Wärmekapazitäten wie folgt zusammenhängen:
C{yi} − C{Xi} = T
∂yi i
∂T
{Xj }
∂Xi
∂T
{yj }
(5.30)
Thermodynamische Koeffizienten
Neben Wärmekapazitäten werden häufig thermodynamische Koeffizienten zur Systemcharakterisierung herangezogen, wie etwa die relativen Änderungen der durch die thermischen Zustandsgleichungen verknüpften Zustandsgrößen:
1 ∂Xi
1 ∂yj
,
,
(5.31)
Xi ∂T A
yj ∂T A
1 ∂Xi
1 ∂yj
,
.
(5.32)
Xi ∂yj A
yj ∂Xi A
Hier bedeutet A die Gesamtheit der jeweiligen f − 1 Zustandsgrößen,
die bei der Änderung der betrachteten Zustandsgröße festgehalten werden. So wie (auf Grund der Gibbsschen Fundamentalgleichung) zwischen den Wärmekapazitäten bestimmte Beziehungen bestehen, sind
auch die thermodynamischen Koeffizienten durch bestimmte Relationen untereinander (und mit den Wärmekapazitäten) verknüpft. Wir
werden dies an einzelnen Beispielen verdeutlichen.
5.2. POTENTIALFUNKTIONEN
5.2
73
Potentialfunktionen
Wie bereits erwähnt, kann S = S(U, Xi) als thermodynamisches Potential in den Variablen {U, Xi} aufgefaßt werden; Differentiation von S
nach U und den Xi liefert mit 1/T und yi/T gerade die restlichen in
der Gibbsschen Fundamentalgleichung auftretenden Zustandsgrößen.
Werden andere unabhängige Zustandsgrößen als U und die Xi (als
vollständiger Satz) gewählt, ist S offensichtlich kein thermodynamisches Potential mehr. Wir wollen 1/T und die Xi als unabhängige Zustandsgrößen wählen. Das entsprechende Potential kann mittels einer
Legendre-Transformation konstruiert werden. Zu diesem Zweck gehen
wir von der Gibbsschen Fundamentalgleichung (5.4) aus, schreiben
yi
1
dU +
dXi
T
T
i yi
1
U
−Ud
+
dXi
=d
T
T
T
i
dS =
und finden
(5.33)
U
yi
1
d S−
+
dXi .
= −U d
T
T
T
i
Φ(1/T, Xi)
(5.34)
Führen wir die Massieu-Funktion
1
, Xi
Φ
T
=S−
U
U − TS
=−
T
T
(5.35)
ein, so besitzt diese als Funktion von 1/T und den Xi wieder Potentialcharakter; Differentiation von Φ nach 1/T und den Xi liefert die
restlichen in
yi
1
+
dXi
(5.36)
dΦ = −U d
T
T
i
74
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
auftretenden Zustandsgrößen:
∂Φ
−U =
,
∂(1/T ) {Xi}
yi
∂Φ
=
.
T
∂Xi 1/T,{Xj |j=i}
(5.37)
(5.38)
Vorgehen:
• Gleichung (5.7) liefert T = T (U, {Xi}). Sie wird nach U aufgelöst,
um U = U (1/T, {Xi}) zu erhalten.
• U =U (1/T, {Xi}) wird dann in die Definitionsgleichung (5.35) für
Φ eingesetzt:
1
, {Xi}
Φ
T
1
1
1
, {Xi} , {Xi} − U
, {Xi} .
=S U
T
T
T
(5.39)
Mittels Legendre-Transformationen können weitere Potentiale definiert
werden, z.B. Υk (1/T, yk /T, {Xi} ), {Xi} ≡ X1 , X2, . . . , Xk−1, Xk+1, . . .:
yi
1
+
dXi
dΦ = −U d
T
T
i
y yi
yk Xk
1
k
+d
−d
Xk +
dXi ,
= −U d
(5.40)
T
T
T
T
i=k
Υk = Φ −
U yk Xk
U + yk Xk − T S
yk Xk
=S− −
=−
T
T
T
T
−U =
∂Υk
∂(1/T )
,
yk /T,{Xi
(5.42)
}
∂Υk
,
∂(yk /T ) 1/T,{Xi}
yi
∂Υk
=
.
T
∂Xi 1/T,yk /T,{Xj |j=i}
−Xk =
(5.41)
(5.43)
(5.44)
5.2. POTENTIALFUNKTIONEN
75
Analog können – ausgehend von S(U, {Xi}) – Potentiale
Ψk (U, yk /T, {Xi} ) = S − yk Xk /T definiert werden.
Bei unseren bisherigen Überlegungen sind wir von der Entropie S als
Funktion von U und den Xi ausgegangen. Gemäß der Gibbsschen Fundamentalgleichung (5.4) kann natürlich auch von der inneren Energie U
als Funktion von S und den Xi ausgegangen werden, U = U (S, {Xi}).
Offensichtlich ist die innere Energie dann Potential:
dU = T dS −
yi dXi ,
(5.45)
i
T =
−yi =
∂U
∂S
∂U
∂Xi
,
(5.46)
{Xi}
.
(5.47)
S,{Xj |j=i}
Die von der inneren Energie ausgehenden Potentiale und die damit
verbundenen Maxwell-Beziehungen1 spielen in der Praxis eine große
Rolle. Für die innere Energie folgen sie aus
∂ 2U
∂ 2U
=
,
∂Xi∂S
∂S∂Xi
∂ 2U
∂ 2U
=
∂Xi∂Xj
∂Xj ∂Xi
Wir finden
(5.48)
(i = j).
(5.49)
∂T
∂yi
=−
,
∂Xi S,{Xj |j=i}
∂S {Xj }
∂yj
∂yi
=
.
∂Xi S,{Xk |k=i}
∂Xj S,{Xk |k=j}
(5.50)
(5.51)
In vielen Fällen ist die innere Energie als thermodynamisches Potential U = U (S, {Xi}) weniger geeignet, da die unabhängige Variable
S direkten Messungen schwer zugänglich ist und folglich nicht so ohne
1
Für ein thermodynamisches System mit f Freiheitsgraden gibt es offensichtlich
Beziehungen.
f 2
Maxwell-
76
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
weiteres direkt zu kontrollieren ist. Wir wollen T und die Xi als die unabhängigen Zustandsgrößen wählen und das entsprechende Potential
wieder mittels einer Legendre-Transformation konstruieren, indem wir
von (5.45) ausgehen und gemäß (5.46) S als Funktion von T und den
Xi auffassen [S = S(T, Xi)]:
yi dXi ,
dU = T dS −
i
= d(T S) − S dT −
yi dXi ,
(5.52)
yi dXi .
(5.53)
i
d(U − T S) = −S dT −
i
2
Führen wir die freie Energie
F =U −T S
ein, so folgt
dF = −S dT −
yi dXi .
(5.54)
(5.55)
i
Ist umgekehrt die freie Energie als Funktion von T und den Xi bekannt
[F = F (T, Xi)], so können S und die yi gemäß
∂F
−S =
,
(5.56)
∂T {Xi}
∂F
(5.57)
−yi =
∂Xi T,{Xj |j=i}
bestimmt werden. Die freie Energie als Funktion von T und den Xi
besitzt also Potentialcharakter. Gleichsetzen der gemischten zweiten
Ableitungen der freien Energie liefert dann wieder die entsprechenden
Maxwell-Beziehungen:
∂yi
∂S
=
,
(5.58)
∂Xi T,{Xj |j=i}
∂T {Xj }
2
In der statistischen Thermodynamik ist es in der Regel die freie Energie (und nicht die innere
Energie), die als Potential berechnet wird.
5.2. POTENTIALFUNKTIONEN
∂yj
∂Xi
77
=
T,{Xk |k=i}
∂yi
∂Xj
.
(5.59)
T,{Xk |k=j}
Vorgehen:
• Gleichung (5.46) liefert T =T (S, {Xi}). Sie wird nach S aufgelöst,
um S = S(T, {Xi}) zu erhalten.
• S = S(T, {Xi}) wird dann in die Definitionsgleichung (5.54) für
die freie Energie eingesetzt:
F (T, {Xi}) = U [S(T, {Xi}), {Xi}] − T S(T, {Xi}).
(5.60)
Physikalisch stellt die Abnahme (Zunahme) der freien Energie bei isothermen Prozessen gerade die nach außen abgegebene (von außen zugeführte) Arbeit dar,
dF = δW,
(5.61)
und gemäß (5.35) gilt Φ = −F/T .
Aus U (S, {Xi}) bzw. F (T, {Xi}) können mittels Legendre-Transformationen weitere Potentiale konstruiert werden, z.B. Gk (T, yk , {Xi }):
dF = −S dT − d(yk Xk ) + Xk dyk −
yi dXi ,
(5.62)
i=k
d (F + yk Xk ) = −S dT + Xk dyk −
yi dXi ,
(5.63)
i=k
Gk = F + yk Xk = U + yk Xk − T S,
−S =
Xk =
−yi =
∂Gk
∂T
∂Gk
∂yk
∂Gk
∂Xi
(5.64)
yk ,{Xi
,
(5.65)
,
(5.66)
}
T,{Xi }
(5.67)
T,yk ,{Xj |j=i}
78
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
mit der speziellen Maxwell-Beziehung
∂S
∂Xk
=−
.
∂yk T,{Xi}
∂T yk ,{Xi}
(5.68)
Die Abnahme (Zunahme) des Potentials Gk bei isothermen Prozessen
ist die nach außen abgegebene (von außen zugeführte) Arbeit bei konstantem yk :
dGk = δW = −
yi dXi
(5.69)
i=k
[Υk = −Gk /T gemäß (5.41)].
5.3
pV T -Systeme
Wir wollen die Ergebnisse des Abschnitts 5.2 für pV T -Systeme spezifizieren.
Zusammenhang zwischen den Zustandsgleichungen:
Wir wenden die Beziehungen (5.22) [bzw. (5.23)] auf ein pV T -System
an und sehen, daß die kalorische und die thermische Zustandsgleichung
wie folgt miteinander verknüpft sein müssen:
∂U
∂V
=T
T
∂p
∂T
V
− p = T2
∂ p
∂T T
(5.70)
V
Auf Grund dieses universellen Zusammenhangs wird klar, daß für ein
ideales Gas die innere Energie nicht vom Volumen abhängen kann. So
folgt aus der thermischen Zustandsgleichung pV = N kT
∂p
T Nk
T
= p,
(5.71)
=
∂T V
V
was nach (5.70)
bedeutet.
∂U
∂V
=0
T
(5.72)
5.3. P V T -SYSTEME
79
Zusammenhang zwischen Cp und CV :
Wenden wir (5.30) auf ein pV T -System an, so sehen wir, daß die Beziehung (3.53) zwischen Cp und CV in die Form
Cp − CV = T
∂p
∂T
V
∂V
∂T
(5.73)
p
gebracht werden kann. Ist speziell die innere Energie nicht vom Volumen abhängig,
T
∂U
= 0 ; U (T ) =
dT CV + U (T0),
(5.74)
∂V T
T0
gilt gemäß (5.70)
T
so daß sich
∂p
∂T
= p,
(5.75)
V
∂V
Cp − CV = p
∂T
(5.76)
p
ergibt. Speziell für das ideale Gas, d.h. CV = const., pV = N kT , folgen
daraus die bekannten Beziehungen (3.70) und (3.74): U (T ) = CV T +
U (T0), Cp − CV = N k.
Thermodynamische Koeffizienten:
Zur Charakterisierung von pV T -Systemen spielen insbesondere in der
Praxis Kompressibilitäten und Ausdehnungskoeffizienten eine große
Rolle. Beginnen wir mit der Kompressibilität κ:
κ dp = −
dV
.
V
(5.77)
Ähnlich wie im Falle der Wärmekapazität ist die Definition der Kompressibiltät (5.77) nicht eindeutig.
Isotherme Kompressibilität:
1 ∂V
κT = −
.
(5.78)
V ∂p T
80
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
Adiabatische (isentropische) Kompressibilität:
1 ∂V
κS = −
.
V ∂p S
Wir wollen das Verhältnis
κT
=
κS
∂V
∂p
T
∂V
∂p
(5.79)
(5.80)
S
berechnen. Aus der Adiabatengleichung [Gleichung (3.61) bzw. (3.62)
für C = 0] entnehmen wir, daß
∂T
∂p
∂T
= −δ
,
(5.81)
∂p V ∂V S
∂V p
gilt und somit lautet (5.80)
κT
∂T
∂T
∂V
= −δ
,
κS
∂p T ∂V p
∂p V
−1
(5.82)
d.h.:
κT
Cp
=δ=
κS
CV
(5.83)
Das Verhältnis von isobarer und isochorer Wärmekapazität ist also
gleich dem Verhältnis von isothermer und adiabatischer (isentropischer)
Kompressibilität.
Andere wichtige Koeffizienten sind der isobare Ausdehnungskoeffizient
1 ∂V
(5.84)
α=
V ∂T p
und der isochore Druckkoeffizient
1
β=
p
∂p
∂T
,
V
(5.85)
5.3. P V T -SYSTEME
81
und es gilt
α
p
=
β
V
∂V
∂T
p
∂p
∂T
V
p
=−
V
∂V
∂p
,
(5.86)
T
d.h.
α = βκT p .
(5.87)
Wir schreiben (5.73) etwas um:
2
∂V
∂V
∂p
∂p
= −T
,
Cp − CV = T
∂T V ∂T p
∂V T
∂T p
−1/(κT V ) (αV )2
Cp − CV = V T
α2
= V T p2β 2 κT
κT
(5.88)
(5.89)
Da κT > 0 angenommen werden kann,3 muß offensichtlich Cp − CV > 0
gelten.
Die Potentiale U , F , H, G
Innere Energie U (S, V ):
dU = T dS − p dV,
∂U
∂S
∂U
T =
, −p =
∂V
V
∂T
∂p
=−
.
∂V S
∂S V
(5.90)
,
(5.91)
S
(5.92)
Freie Energie F (T, V ):
3
Zum Beweis siehe Kapitel 8.2.
F = U − T S,
(5.93)
dF = −S dT − p dV,
(5.94)
82
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
∂F
∂F
, −p =
,
−S =
∂T V
∂V T
∂S
∂p
=
.
∂V T
∂T V
(5.95)
(5.96)
Enthalpie H(S, p):
H = U + p V,
dH = T dS + V dp,
∂H
∂H
T =
, V =
,
∂S p
∂p S
∂T
∂V
=
.
∂p S
∂S p
(5.97)
(5.98)
(5.99)
(5.100)
Freie Enthalpie G(T, p):
G = H − T S = F + p V = U − T S + p V,
dG = −S dT + V dp,
∂G
∂G
= −S,
= V,
∂T p
∂p T
∂S
∂V
=−
.
∂p T
∂T p
(5.101)
(5.102)
(5.103)
(5.104)
Guggenheim-Quadrat:
SUV HILFT FYSIKERN PEI GROSSEN TATEN!
So wie von der inneren Energie ausgehend die Potentiale U , F ,
H und G eingeführt werden können, können von der Entropie ausgehend die Massieu-Funktionen S(U, V ), Φ(1/T, V ), Ψ(U, p/T ) und
Υ(1/T, p/T ) definiert werden:4
Φ=−
4
F
pV −T S
U +pV −T S
G
U −T S
=− , Ψ=−
, Υ=−
=− .
T
T
T
T
T
(5.105)
Das Potential Υ = −G/T heißt auch Planck-Funktion.
5.3. P V T -SYSTEME
83
+
S
U
F
H
p
V
G
T
−
Die angegebenen Potentiale sind extensive, eindeutige Zustandsfunktionen. Sie lassen sich im Raum der jeweiligen unabhängigen Zustandsgrößen als Flächen darstellen. Ihre Konstruktion erfolgt im Rahmen der phänomenologischen Thermodynamik unter Heranziehung experimenteller Daten. Aufgabe der statistischen Thermodynamik ist es,
die Potentiale aus entsprechenden mikroskopischen Modellannahmen
zu berechnen.
Helmholtz-Differentialgleichung:
Häufig liegen Informationen über ein thermodynamisches System nicht
in Form von Potentialen vor. Gemäß (5.93) und (5.95) genügt die freie
Energie als Potential, F =F (T, V ), bei bekannter kalorischer Zustandsgleichung U = U (T, V ) der Helmholtz-Differentialgleichung
∂F
.
(5.106)
U =F +T S =F −T
∂T V
Daraus läßt sich F (T, V ) bis auf eine willkürliche Funktion des Volumens bestimmen. Multiplikation mit T −2 liefert
U
F
1 ∂F
∂ F
= 2−
=−
,
(5.107)
T2
T
T ∂T V
∂T T V
woraus sofort
F
=−
T
dT
U
+ fF (V )
T2
folgt.5
5
Wegen Φ = −F/T ist damit auch Φ(1/T, V ) bis auf eine Funktion fF (V ) bestimmt.
(5.108)
84
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
Gibbs-Differentialgleichung:
Gemäß (5.101) und (5.103) genügt die freie Enthalpie als Potential, G = G(T, p), bei bekannter Enthalpie H = H(T, p) der GibbsDifferentialgleichung
∂G
H =G+T S = G−T
,
(5.109)
∂T p
woraus in völliger Analogie zu (5.108) G(T, p) bis auf eine willkürliche
Funktion des Druckes bestimmbar ist:6
G
H
(5.110)
= − dT 2 + fG (p).
T
T
Die Kenntnis eines thermodynamischen Potentials (bis auf eine
Konstante) ist ausreichend, um die Thermodynamik des jeweiligen Systems zu kennen (d.h. aus dem Potential zu bestimmen), da die in der
Gibbsschen Fundamentalgleichung auftretenden Zustandsgrößen entweder als unabhängige Zustandsgrößen frei vorgebbar oder als abhängige Zustandsgrößen über Ableitungen des jeweiligen Potentials festgelegt sind. Ist insbesondere ein Potential bekannt, sind alle anderen Potentiale bekannt.
Berechnung thermodynamischer Eigenschaften aus F (T, V ):
Thermische Zustandsgleichung:
∂F
p(T, V ) = −
∂V
.
Kalorische Zustandsgleichung:
U (T, V ) = F + T S = F − T
Wärmekapazitäten:
CV = T
6
∂S
∂T
V
= −T
(5.111)
T
∂F
∂T
∂ 2F
∂T 2
.
(5.112)
V
.
(5.113)
V
Wegen Υ = −G/T ist damit auch Υ(1/T, p/T ) bis auf eine Funktion fG (p) bestimmt.
5.3. P V T -SYSTEME
85
Cp = T
∂S
∂T
,
(5.114)
p
S = S[T, V (T, p)] ;
∂S
∂V
∂S
∂S
=
+
,
∂T p
∂T V
∂V T ∂T p
∂V
∂V
∂S
∂ 2F
Cp = CV + T
= CV − T
,
∂V T ∂T p
∂V ∂T ∂T p
2 ∂p
∂ F
∂p
∂ 2F
∂V
=−
=−
,
∂T p
∂T V
∂V T
∂T ∂V
∂V 2 T
2 2 2 ∂ F
∂ F
.
Cp = CV + T
∂T ∂V
∂V 2 T
(5.115)
Isotherme Kompressibiltät:
∂p
1 ∂V
1
=−
,
κT = −
V ∂p T
V
∂V T
2 ∂ F
1
κT =
.
V
∂V 2 T
(5.116)
(5.117)
(5.118)
(5.119)
(5.120)
Adiabatische Kompressibiltät:
Da κT /κS = Cp /CV gilt [Gleichung (5.83)], kann κS mittels (5.113),
(5.118) und (5.120) ebenfalls durch Ableitungen von F ausgedrückt
werden.
Isochorer Druckkoeffizient:7
∂ 2F
∂F
1 ∂p
1 ∂ 2F
=
β=
=−
.
p ∂T V
p ∂T ∂V
∂T ∂V
∂V T
(5.121)
Isobarer Ausdehnungskoeffizient:
Da α = pβκT gilt [Gleichung (5.87)], kann α mittels (5.111), (5.120)
und (5.121) ebenfalls durch Ableitungen von F ausgedrückt werden.
7
Mit (5.111), (5.120) und (5.121) folgt (5.118) aus (5.89).
86
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
Obwohl die Existenz thermodynamischer Potentiale von fundamentaler Bedeutung ist, kommt diese im Rahmen der phänomenologischen
Thermodynamik nicht voll zur Geltung, da, wie bereits bemerkt, im
Rahmen einer phänomenologischen Betrachtungsweise die Potentiale i.
allg. nicht berechnet werden können, sondern es dafür der statistischen
Thermodynamik bedarf.8 Nur für solche Systeme, deren Zustandsgleichungen hinreichend genau bekannt sind, können die thermodynamischen Potentiale auch berechnet werden. Beispiele für Systeme, für die
das möglich ist, sind das (klassische) ideale Gas, das (klassische) van
der Waals-Gas und das Photonengas (Hohlraumstrahlung).
5.3.1
Ideales Gas
Die Gibbssche Fundamentalgleichung zusammen mit der thermischen
und kalorischen Zustandsgleichung für das (klassische) ideale Gas liefert
dS =
CV
Nk
dT +
dV
T
V
(5.122)
[Gleichung (4.71)], woraus durch Integration
S − S0 = CV ln
T
V
+ N k ln
T0
V0
[Gleichung (4.72)] folgt (CV = const.) bzw.
CV
Nk
T
V
,
S − S0 = ln
T0
V0
und folglich gilt
T
T0
d.h.
T
=
T0
8
CV V
V0
V
V0
N k
(5.123)
(5.124)
= eS−S0 ,
(5.125)
e(S−S0 )/CV .
(5.126)
−N k/CV
Im Rahmen der phänomenologischen Theorie besteht die Bedeutung der Potentiale mehr darin,
Zusammenhänge zwischen Systemeigenschaften aufzudecken sowie Stabilitätsuntersuchungen durchzuführen.
5.3. P V T -SYSTEME
87
Damit kann die innere Energie
U − U0 = CV (T − T0) = CV T0
T
−1
T0
in die Form eines Potentials gebracht werden:
−N k/CV
V
U − U 0 = CV T 0
e(S−S0 )/CV − 1 .
V0
(5.127)
(5.128)
Offensichtlich gilt
V = V0 ,
S = S0
;
U = U0 .
(5.129)
Die freie Energie F = U − T S als Potential ergibt sich aus (5.123)
bzw. (5.124) und (5.127) als
F = CV (T − T0 ) + U0
V
T
+ N k ln
+ S0
−T CV ln
T0
V0
= CV (T − T0) + U0
C
Nk
T V V
−T ln
− T S0 .
T0
V0
(5.130)
Für
T = T0 ,
V = V0
(5.131)
gilt
F = F 0 = U 0 − T 0 S0 .
(5.132)
Anmerkung:
Die angegebenen Potentiale sind strenggenommen nur Differenzen von
Potentialen. Da die verwendeten Zustandsgleichungen in der Grenze
T → 0 auf Divergenzen führen, verlieren sie für tiefe Temperaturen
offensichtlich ihre Gültigkeit (siehe dazu auch Kapitel 6).
88
5.3.2
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
Van der Waals-Gas
Bei idealen Gasen wird von der Wechselwirkung der Gasteilchen untereinander völlig abgesehen. Je nach Art und Stärke der Wechselwirkung
der Gasteilchen untereinander können für reale Gase unterschiedliche
Zustandsgleichungen erwartet werden, was in der Tat auch der Fall
ist. So existieren für reale (klassische) Gase mehr als 150 thermische
Zustandsgleichungen. Die van der Waals-Gleichung
N2
p + 2 a (V − N b) = N kT
V
(5.133)
ist eine der einfachsten und auch illustrativsten (a, b - Konstanten, die
nicht von den Zustandsgrößen abhängen, wohl aber für verschiedene
Gase unterschiedliche Werte annehmen können). So kann die van der
Waals-Gleichung zur qualitativen Beschreibung der Eigenschaften eines
(klassischen) realen Gases selbst beim Übergang in die flüssige Phase
herangezogen werden. Sie unterscheidet sich von der Zustandsgleichung
für ideale Gase durch eine Korrektur N b auf Grund des Eigenvolumens
der Gasteilchen und durch eine Korrektur aN 2 /V 2 auf Grund des sogenannten inneren Drucks, der durch die gegenseitige Anziehung der
Gasteilchen hervorgerufen wird.
Im Falle von Flüssigkeiten weicht die van der Waals-Gleichung stark
von den experimentellen Werten ab. Um sie damit in Übereinstimmung
zu bringen, müssen für verschiedene Temperatur- und Dichtebereiche
unterschiedliche Werte von a und b angenommen werden (d.h., a und
b werden komplizierte Funktionen der Zustandsgrößen). Wie bereits
gesagt, der Wert der van der Waals-Gleichung besteht vor allem darin,
daß sie – entsprechend interpretiert – beim Übergang des Gases in den
flüssigen Zustand qualitativ richtig bleibt.9
Umgeschrieben lautet (5.133)
ab
kT
a
+ b v̄ 2 + v̄ −
=0
(5.134)
v̄ 3 −
p
p
p
9
Die van der Waals-Gleichung ist eine reine Interpolationsformel, die sich im Rahmen der statistischen Thermodynamik nicht aus mikroskopischen Überlegungen herleiten läßt.
5.3. P V T -SYSTEME
89
(v̄ = V /N ). Bei gegebener Temperatur könnten einem Wert von p also drei Werte von v̄ entsprechen. Bei genügend hohen Temperaturen
2
p
pc
1.5
1
C
α
0.5
β
A
X
B
D
v̄f
1
2
3
v̄g
4
v̄
5 v̄c
sind zwei Wurzeln von (5.134) rein imaginär, so daß zu jedem Druck
nur ein spezifisches Volumen gehört. Bei tieferen Temperaturen gibt es
demgegenüber drei Werte des spezifischen Volumens. Davon sind in der
Natur jedoch nur die beiden äußeren Werte (Punkte α und β in der Abbildung) realisiert. Da für einen stabilen Zustand die Kompressibilität
nicht negativ sein darf (Abschnitt 8.2), ist der dem mittleren Wert
entsprechende Zustand absolut instabil und existiert praktisch nicht.
Der Punkt α in der Abbildung entspricht der flüssigen Phase und der
Punkt β der gasförmigen Phase, wobei der Punkt α einem stabilen und
der Punkt β einem metastabilen Zustand entspricht. Durch isotherme
Kompression eines Gases kommt man erfahrungsgemäß auf der theoretischen Kurve nur bis zu einem Punkt B, in dem dann die Kondensation
einsetzt. Im Gleichgewicht existieren die gasförmige Phase (Punkt B)
90
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
und die flüssige Phase (Punkt A) nebeneinander.10 Temperatur und
Druck sind für beide Phasen gleich. Die Koexistenz der beiden Phasen
bei der isothermen Kompression dauert so lange, bis das gesamte Gas
verflüssigt ist.
Die Lage der Geraden AB relativ zur van der Waals-Isotherme wird
in Übereinstimmung mit dem 2. Hauptsatz11 durch die Maxwell-Regel
bestimmt:
Die beiden Flächen in der Abbildung, die durch die van
der Waals-Isotherme und die Gerade AB begrenzt werden, müssen gleich sein.
Betrachten wir einen Zustand X auf der Geraden AB in der Abbildung. Es seien Nf Teilchen in der flüssigen Phase (Volumen Vf ) und
Ng Teilchen in der gasförmigen Phase (Volumen Vg ). Dann gilt wegen
V = Vf + Vg und N = Nf + Ng
v̄ =
Nf Vf
Vf Vg
Ng Vg
+
=
+
= n̄f v̄f + n̄g v̄g ,
N
N
N Nf
N Ng
(5.135)
Nf
Ng
=1−
= 1 − n̄f .
N
N
(5.136)
Nf
,
N
Damit lautet (5.135)
n̄f =
n̄g =
v̄ = n̄f v̄f + (1 − n̄f )v̄g = n̄g v̄g + (1 − n̄g )v̄f ,
(5.137)
woraus sich die relativen Teilchenzahlen n̄g und n̄f als
n̄g =
v̄ − v̄f
,
v̄g − v̄f
n̄f =
v̄g − v̄
v̄g − v̄f
(5.138)
ergeben. Die Anteile von gasförmiger und flüssiger Phase entsprechen
also den Strecken AX und XB in der Abbildung.
Mit steigender Temperatur wird die Differenz zwischen den spezifischen Volumina v̄A ≡ v̄f und v̄B ≡ v̄g immer kleiner und somit die
Strecke AB immer kürzer. Bei einer bestimmten Temperatur fallen die
10
11
Siehe dazu auch Abschnitt 9.1.
Bei einem (gedachten) Kreisprozeß A → B → C → D → A darf keine Arbeit geleistet werden.
5.3. P V T -SYSTEME
91
Punkte A und B zusammen, und die Isobare berührt die van der WaalsIsotherme nur noch in einem Punkt, dem Wendepunkt der Isotherme.
Der Wendepunkt wird auch kritischer Punkt genannt; er entspricht dem
sogenannten kritischen Zustand, bei dem das System aus makroskopischer Sicht einphasig wird. Aus
2 ∂ p
∂p
= 0,
=0
(5.139)
∂v̄ T
∂v̄ 2 T
folgt für das van der Waals-Gas als kritischer Punkt12
a
8a
.
(5.140)
v̄c = 3b, pc =
,
kT
=
c
27b2
27b
Die Größe
kTc
8
(5.141)
= = 2.67
pc v̄c
3
wird auch als kritischer Koeffizient bezeichnet. Er ist für das van der
Waals-Gas offensichtlich stoffunabhängig. In der Praxis ist der kritische Koeffizient für verschiedene Gase verschieden und stets größer als
2.67 (im Mittel etwa 3.7). Führen wir die mit den kritischen Werten
skalierten Zustandsgrößen
V̄ =
v̄
,
v̄c
P=
p
,
pc
T =
T
Tc
(5.142)
ein, so kann die van der Waals-Gleichung (5.133) in die Form
3 (5.143)
P + 2 3V̄ − 1 = 8T
V̄
gebracht werden, in der die Stoffeigenschaften nicht mehr explizit auftreten. Eine Zustandsgleichung der Form (5.143) liefert für korrespondierende Zustände die gleichen Werte der (bezüglich der jeweiligen
kritischen Werte) skalierten Größen.
Wie wir wissen, hängen kalorische und thermische Zustandsgleichung über die Beziehung
∂U
∂p
=T
−p
(5.144)
∂V T
∂T V
12
Da die Gleichung (5.134) im kritischen Zustand nur eine Lösung hat, muß sie die Form
(v̄ − v̄c )3 = 0 haben. Ausmultiplizieren und Vergleich mit (5.134) liefert (5.140).
92
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
p
flüssig
pc
T > Tc
T = Tc
gasförmig
flüssig-gasförmig
T < Tc
v̄c
v̄
[Gleichung (5.70)] miteinander zusammen, d.h. mit (5.133)
∂p
∂U
Nk
aN 2
;
=
= 2 ,
∂T V
V − Nb
∂V T
V
(5.145)
und folglich gilt
aN 2
dU = CV dT + 2 dV,
V
Wegen
∂CV
∂V
T
CV =
∂U
∂T
∂ 2U
∂ 2U
=
=0
=
∂V ∂T
∂T ∂V
.
(5.146)
V
(5.147)
kann CV nur von T abhängen, und die Integration von (5.146) liefert
T
1
1
.
(5.148)
−
dT CV − aN 2
U − U0 =
V
V
0
T0
Wir wollen (in Übereinstimmung mit dem Experiment) CV als nahezu temperaturunabhängig ansehen, so daß die kalorische Zustandsglei-
5.3. P V T -SYSTEME
93
chung
U − U0 = CV (T − T0) − aN 2
1
1
−
V
V0
(5.149)
lautet.
Wir verwenden (5.24) und finden
1 ∂U
Nk
∂p
CV
dS =
dT +
dV. (5.150)
dT +
dV =
T ∂T V
∂T V
T
V − Nb
Die Integration liefert S = S(T, V ) in der Form
T
V −N b
S − S0 = CV ln
+ N k ln
T0
V0 − N b
N k/CV T V −N b
.
= CV ln
T0 V0 −N b
Daraus folgt T = T (S, V ) als
−N k/CV
V −N b
T = T0
e(S−S0 )/CV
V0 −N b
(5.151)
(5.152)
Wir setzen T (S, V ) in die kalorische Zustandsgleichung (5.149) ein und
erhalten die innere Energie als Potential:
−N k/CV
2
V −N b
V
aN
0
U − U 0 = CV T 0
−1 .
e(S−S0 )/CV − 1 −
V0 −N b
V0
V
(5.153)
Mit der kalorischen Zustandsgleichung (5.149) und der Gleichung
(5.151) für die Entropie als Funktion der Temperatur und des Volumens
erhalten wir die freie Energie F = U − T S als Potential in der Form
1
1
F = CV (T − T0 ) − aN 2
+ U0
−
V
V0
T
V −N b
(5.154)
+ S0 .
−T CV ln
+ N k ln
T0
V0 − N b
94
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
Ähnlich wie beim idealen Gas können auch für das van der Waals-Gas
nur Differenzen von Potentialen bestimmt werden.
5.3.3
Photonengas
Als Photonengas (auch Hohlraumstrahlung oder Strahlung eines
schwarzen Körpers genannt) wird das in einem Resonator (Volumen V )
mit perfekt reflektierenden Wänden eingeschlossene elektromagnetische
Strahlungsfeld bezeichnet. Nach hinreichend langer Zeit wird sich ein
Gleichgewichtszustand einstellen, der durch Volumen, Druck und Temperatur charakterisiert werden kann.
Mikroskopisch betrachtet ist das Photonengas ein Kontinuum angeregter elektromagnetischer Wellen mit Frequenzen zwischen 0 und
∞, das sich im thermischen Gleichgewicht mit einem materiellen thermodynamischen System (Wände des Resonators) befindet (Absorption und Reemission von Strahlung seitens der Wände des Resonators,
wobei die Phasen der Wellen völlig zufällig werden). Das Kontinuum elektromagnetischer Wellen ist äquivalent einem Kontinuum von
harmonischen Oszillatoren, deren äquidistanten Energieeigenzuständen
Photonen zugeordnet werden, deren Energien gerade durch die Abstandsenergien ω gegeben sind.
Wie die Erfahrung zeigt, ist die Energiedichte u des Photonengases nur eine Funktion der Temperatur, so daß sich für die kalorische
Zustandsgleichung zunächst
U = u(T )V
(5.155)
ergibt. Die Proportionalität zwischen Druck und Energiedichte gibt
Anlaß zu der thermischen Zustandsgleichung13
p = 13 u(T ).
(5.156)
Im Unterschied zu gewöhnlichen Gasen (d.h. Gasen aus materiellen
Teilchen) tritt die Teilchenzahl als Parameter in den Zustandsgleichungen nicht auf. Offensichtlich kann diese nicht vorgegeben werden, da sie
13
Die Gleichung folgt unmittelbar aus dem (über die Phasen) gemittelten Maxwellschen Spannungstensor.
5.3. P V T -SYSTEME
95
sich erst mit Erreichen des Gleichgewichtszustands und in Abhängigkeit von diesem einstellt. Wir wenden die Beziehung
∂U
∂p
=T
−p
(5.157)
∂V T
∂T V
[Gleichung (5.70)] auf (5.155) und (5.156) an und erhalten
1 du 1
u= T
− u
3 dT
3
;
T
du
= 4u.
dT
(5.158)
Integration liefert das Stefan-Boltzmann-Gesetz
u ∼ T 4,
(5.159)
wobei die Proportionalitätskonstante üblicherweise in der Form 4σ/c
eingeführt wird. Es hat sich gezeigt (und kann im Rahmen der statistischen Thermodynamik auch begründet werden), daß die Gleichung
(5.159) und die folgenden Gleichungen für alle Temperaturen einschließlich T → 0 richtig sind. Mit (5.159) lautet die kalorische Zustandsgleichung:
U=
4σ 4
T V
c
(5.160)
Dementsprechend ergibt sich für die thermische Zustandsgleichung
(5.156):
p=
4σ 4
T
3c
(5.161)
Die Stefan-Boltzmann-Konstante σ kann im Rahmen der phänomenologischen Theorie nur aus dem Experiment bestimmt werden:14
σ = 5.67 × 10−8 Wm−2K−4 .
14
σ = k 4 π 2 /(60c2 3 )
(5.162)
96
KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE
Da das Volumen nicht in die thermische Zustandsgleichung eingeht,
ergibt sich die Besonderheit, daß isobare Prozesse auch isotherme Prozesse sind. Das bedeutet insbesondere, daß kein Cp (sinnvoll) definiert
werden kann, während sich CV auf dem üblichen Wege zu
∂U
16σ 3
CV =
T V
=
(5.163)
∂T V
c
ergibt.
Die Entropie berechnen wir wieder unter Verwendung von (5.13):
1 ∂U
∂p
dS =
dT +
dV
T ∂T V
∂T V
=
16σ 2
16 σ 3
16 σ
T V dT +
T dV =
d(T 3V ),
c
3 c
3 c
(5.164)
16 σ 3
T V.
(5.165)
3 c
Wir eliminieren mittels (5.165) in (5.160) die Temperatur und erhalten
die innere Energie in Potentialform:
S=
4σ
U=
V
c
3cS
16σV
4/3
.
(5.166)
Die freie Energie in Potentialform folgt unmittelbar aus (5.160) und
(5.165):
4σ
(5.167)
F = U − T S = − T 4V.
3c
Kapitel 6
Das Nernstsche
Wärmetheorem
Aus dem 2. Hauptsatz in Verbindung mit dem 1. Hauptsatz folgt bekanntlich die Existenz einer absoluten unteren Temperaturschranke, die
mit dem Nullpunkt der Kelvin-Skala zusammenfällt. Das Nernstsche
Wärmetheorem (auch als 3. Hauptsatz bezeichnet) macht nun Aussagen über das Verhalten thermodynamischer Systeme in der Grenze
T → 0. Sein Anwendungsgebiet sind folglich Prozesse bei tiefen Temperaturen. Wir betrachten die Entropie als Funktion der Temperatur und
f −1 Zustandsvariablen Zk eines ansonst beliebig gewählten vollständigen Satzes, S = S(T, Z1, Z2, . . .).
Bei Annäherung der Temperatur T an den absoluten Nullpunkt
(T →0) hört die Entropie eines beliebigen Gleichgewichtssystems
auf, von irgendwelchen anderen thermodynamischen Zustandsgrößen Zk abzuhängen, und nimmt einen konstanten Wert an.
In Formeln ausgedrückt bedeutet dies
lim S = S0 = const.
T →0
(ΔS = S − S0 ),
lim
T →0
∂S
∂Zk
;
lim ΔS = 0
(6.1)
= 0.
(6.2)
T →0
T,{Zl |l=k}
97
98
KAPITEL 6. DAS NERNSTSCHE WÄRMETHEOREM
S
(1)
Zk
(2)
Zk
(3)
Zk
S0
T
Dem Grenzwert S0 der Entropie kommt offenbar keinerlei physikalische Bedeutung zu, da er nicht von den Zustandsgrößen des Systems
abhängt, also systemunabhängig ist. Er kann demzufolge für Systeme,
die sich für T → 0 im stabilen thermodynamischen Gleichgewicht befinden, Null gesetzt werden.1
6.1
Unerreichbarkeit des absoluten Temperaturnullpunkts
Aus dem Nernstschen Wärmetheorem in obiger Fassung folgt (zusammen mit dem 2. Hauptsatz), daß der absolute Temperaturnullpunkt
nicht erreichbar ist.
Annahme: Nullpunkt sei erreichbar. Dann könnte man einen CarnotProzeß zwischen T1 > 0 und T2 = 0 laufen lassen. Wegen
dS = 0
(6.3)
muß dann
ΔS12 + ΔS23 + ΔS34 + ΔS41 = 0
(6.4)
gelten. Für den vorliegenden Fall ergeben sich die Einzelbeiträge wie
folgt:
Q1
ΔS12 =
, Q1 > 0 (isothermer Prozeß),
(6.5)
T1
1
Es ist sinnvoll, Systemen, die für T →0 noch extrem langlebige metastabilen Zustände einnehmen
können, eine Restentropie S0 > 0 zuzuschreiben.
6.1. UNERREICHBARKEIT DES ABSOLUTEN NULLPUNKTS 99
ΔS23 = 0 (adiabatischer Prozeß),
Q2
T2 →0 T2
ΔS34 = lim
(isothermer Prozeß),
ΔS41 = 0 (adiabatischer Prozeß).
(6.6)
(6.7)
(6.8)
Andererseits muß wegen (6.1) ΔS34 = 0 sein, und folglich muß auch
ΔS12 = 0
(6.9)
sein, was im Widerspruch zu der Annahme Q1 /T1 > 0 steht.2 Es ist
offensichtlich nicht möglich, die Nullisotherme zu erreichen und auf
dieser zu arbeiten.
Die Nichterreichbarkeit des absoluten Nullpunkts (in endlich vielen
Schritten) illustriert auch der in der folgenden Abbildung dargestellte
Prozeß, bei dem mittels isothermen und adiabatischen Prozeßfolgen
schrittweise gekühlt wird.
S
S0
(1)
Zk
(2)
Zk
isotherme Entropiereduktion (Kompression)
adiabatische Kühlung
(Expansion)
T
Endlich viele Schritte bringen das
System nicht zu T = 0.
Umgekehrt kann gezeigt werden, daß aus der Annahme der Unerreichbarkeit des absoluten Temperaturnullpunkts folgt, daß für T → 0
die Entropie nicht von irgendwelchen Zustandsgrößen abhängen kann.
Somit läßt sich das Nernstsche Wärmetheorem auch durch die Feststellung der Unerreichbarkeit des absoluten Temperaturnullpunkts formulieren.
2
Q1 /T > 0 würde ein perpetuum mobile 2. Art implizieren.
100
6.2
KAPITEL 6. DAS NERNSTSCHE WÄRMETHEOREM
Thermodynamische Koeffizienten für
T →0
Das Nernstsche Wärmetheorem gestattet es, Aussagen über das Verhalten von thermodynamischen Koeffizienten in der Grenze T → 0 zu
machen. Betrachten wir die freie Energie F = F (T, Xi). Ihr totales Differential lautet
dF = −S dT −
yi dXi
(6.10)
i
[Gleichung (5.55)], woraus die speziellen Maxwell-Beziehungen
∂S
∂yi
=
(6.11)
∂Xi T,{Xj |j=i}
∂T {Xj }
folgen [Gleichung (5.58)]. Gemäß (6.2) muß für T → 0
∂S
lim
=0
T →0 ∂Xi
T,{Xj |j=i}
(6.12)
gelten, und somit folgt wegen (6.11)
lim
T →0
∂yi
∂T
=0
(6.13)
{Xj }
für alle Zustandsgrößen yi .
Betrachten wir das Potential G = G(T, {yi}), das anstelle der Xi
von den yi abhängt,
G=F+
yi Xi
(6.14)
i
dG = −S dT +
Xi dyi ,
(6.15)
i
so liefern die speziellen Maxwell-Beziehungen
∂S
∂Xi
=−
.
∂yi T,{yj |j=i}
∂T {yj }
(6.16)
6.2. THERMODYNAMISCHE KOEFFIZIENTEN FÜR T → 0
Gemäß (6.2) muß aber auch
∂S
lim
=0
T →0 ∂yi T,{y |j=i}
j
101
(6.17)
gelten, was wegen (6.16)
lim
T →0
∂Xi
∂T
=0
(6.18)
{yj }
zur Folge hat.
Die obigen Überlegungen sind natürlich nicht nur auf die Potentiale
F und G beschränkt. Gehen wir von einem Potential aus, das neben
T von f − 1 Zustandsgrößen Zk abhängt, wobei für die einzelnen Zk
wahlweise Xk bzw. yk gewählt werden kann, so finden wir unschwer:
lim
T →0
∂Zk
∂T
=0
(6.19)
{Zl |l=k}
Beispiel: pV T -System
Die Gleichungen (6.13) und (6.18) auf ein pV T -System angewendet
liefern
∂p
∂V
= lim
= 0,
(6.20)
lim
T →0 ∂T
T →0 ∂T
V
p
so daß der isochore Druckkoeffizient und der isobare Ausdehnungskoeffizient für T → 0 gegen Null streben,
1 ∂p
lim β = lim
= 0,
(6.21)
T →0
T →0 p
∂T V
1 ∂V
= 0,
(6.22)
lim α = lim
T →0
T →0 V
∂T p
vorausgesetzt daß p bzw. V für T → 0 endlich bleibt.
102
6.3
KAPITEL 6. DAS NERNSTSCHE WÄRMETHEOREM
Wärmekapazitäten und Entropieberechnung
Die Entropie sei wieder als Funktion eines vollständigen Satzes von
Zustandsvariablen gegeben, zu denen auch die Temperatur gehört,
S = S(T, {Zk }) (die Zk seien beispielsweise f − 1 Zustandsgrößen aus
der Gesamtheit der Xi und yj ). Für die Wärmekapazität C{Zk } folgt
dann
∂S
.
(6.23)
C{Zk } = T
∂T {Zk }
Offensichtlich muß C{Zk } für T → 0 gegen Null streben,
lim C{Zk } = 0
T →0
(6.24)
und zwar mindestens wie ∼ T , da (∂S/∂T ){Zk} gegen einen endlichen
Wert strebt.
Ist umgekehrt die Wärmekapazität C{Zk } = C{Zk } (T, Zk ) bekannt,
folgt aus (6.23) durch Integration für die Entropie
T
S(T, {Zk }) =
C{Zk } (T , {Zk })
dT + S(0, {Zk }).
T
(6.25)
0
Nach dem 3. Hauptsatz hängt aber S(0, Zk ) nicht von den Zk ab, sondern ist eine Konstante, die wir Null setzen dürfen:
T
S(T, {Zk }) =
C{Zk }(T , {Zk })
dT T
(6.26)
0
Ist also C{Zk } (T, {Zk }) bekannt, ist auch S(T, {Zk }) bekannt. Die wichtige Aufgabe der Entropieberechnung läuft also insbesondere auf das
6.3. WÄRMEKAPAZITÄTEN UND ENTROPIE
103
Problem hinaus, die Temperaturabhängigkeit von Wärmekapazitäten
zu bestimmen. Daraus erklärt sich auch die Tatsache, daß die Untersuchung von Wärmekapazitäten in der Entwicklung der Thermodynamik
einen zentralen Platz einnahm.
Die gewonnenen Ergebnisse erlauben es, die Nichterreichbarkeit des
absoluten Nullpunkts der Temperatur T noch unter einem etwas anderen Aspekt zu betrachten. Für einen Prozeß
(1) (2) S T (1) , {Zk } → S T (2) , {Zk }
(6.27)
in einem abgeschlossenen System gilt nach dem 2. Hauptsatz
(2) (1) ΔS = S T (2) , {Zk } − S T (1) , {Zk } ≥ 0,
d.h.
(2) (1) S T (2) , {Zk } ≥ S T (1) , {Zk } .
(6.28)
(6.29)
Nehmen
an, daß
T (2) = 0 ist, dann muß entsprechend dem 3. Haupt
wir
(2)
satz S T (2) , {Zk } = 0 sein, d.h.
(1) S T (1) , {Zk } ≤ 0.
(6.30)
Andererseits gilt
(1)
T (1)
S T (1) , {Zk } =
(1) C{Zk } T, {Zk }
dT.
T
(6.31)
0
(1) S T (1) , {Zk } ≤ 0 würde dann bedeuten, daß die Wärmekapazität
(1) C{Zk } T (1) , {Zk } negative Werte annehmen (wenn nicht gar verschwinden) müßte, was im Widerspruch zu allen Erfahrungen steht.
Man kann ganz allgemein zeigen (Kapitel 8), daß im Falle (stabiler)
Gleichgewichtszustände C{Zk } (T, {Zk }) > 0 für T > 0 gelten muß, so daß
(1) S T (1) , {Zk } > 0
(6.32)
folgt – im Widerspruch zu (6.30). Das heißt, die gemachte Annahme,
daß der absolute Temperaturnullpunkt erreichbar ist, muß falsch sein.
104
KAPITEL 6. DAS NERNSTSCHE WÄRMETHEOREM
Beispiel: pV T -System
CV = T
∂S
∂T
,
Cp = T
V
T
S(T, V ) =
∂S
∂T
,
(6.33)
p
CV (T , V )
dT ,
T
(6.34)
Cp (T , p)
dT .
T
(6.35)
0
T
S(T, p) =
0
Anmerkung: Sind CV (T, V ) und Cp (T, p) bekannt, sind gemäß (6.34)
und (6.35) sowohl S(T, V ) als auch S(T, p) bekannt. Sind andererseits
S(T, V ) und S(T, p) bekannt, ist die Thermodynamik des Systems bekannt.
Bekanntlich genügen CV und Cp der Gleichung
Cp − CV = T
∂p
∂T
V
∂V
∂T
(6.36)
p
[Gleichung (5.73)]. Während CV und Cp für T → 0 mindestens wie ∼ T
gegen Null streben müssen, strebt die Differenz Cp − CV wegen (6.20)
und (6.36) schneller als ∼ T gegen Null. Über die genaue Form der
Temperaturabhängigkeit der Wärmekapazitäten für kleine Temperaturen lassen sich aus dem 3. Hauptsatz keine Aussagen gewinnen. Um
diese Frage zu beantworten, bedarf es der statistischen Thermodynamik.
Ideales Gas als spezielles pV T -System:
Bekanntlich folgt aus (6.36) mit der thermischen Zustandsgleichung pV
= N kT des (klassischen) idealen Gases – im Widerspruch zum Nernstschen Wärmetheorem – die Beziehung Cp − CV = N k. Diese thermische
Zustandsgleichung kann also nicht für tiefe Temperaturen gelten. Dies
trifft ebenfalls auf die kalorische Zustandsgleichung zu. Wenn wir annehmen, daß die thermische und die kalorische Zustandsgleichung des
6.3. WÄRMEKAPAZITÄTEN UND ENTROPIE
105
idealen Gases bis zum absoluten Nullpunkt hin Gültigkeit haben, so
folgt aus (5.122)
T
S(T, V ) =
CV
V
.
dT
+
N
k
ln
T
V0
(6.37)
0
Da CV = const. gilt, divergiert S für jedes T > 0. Gibt man die Annahme, daß CV konstant ist, auf, so daß das Temperaturintegral nicht
divergiert, hängt S(T, V ) für T → 0 noch von V ab – im Widerspruch
zum 3. Hauptsatz. Die bisher verwendeten Zustandsgleichungen des
idealen Gases werden offensichtlich bei hinreichend niedrigen Temperaturen falsch. Die dann auftretenden Abweichungen, die ihre Ursache
im Quantencharakter der Gasteilchen haben, bezeichnet man auch als
Gasentartung. Im Hinblick auf ihre Berechnung in der statistischen
Thermodynamik ist die Quantenstatistik nötig, um das richtige Verhalten für T → 0 zu ermitteln.
106
KAPITEL 6. DAS NERNSTSCHE WÄRMETHEOREM
Kapitel 7
Systeme mit
veränderlicher
Teilchenzahl
In unseren bisherigen Überlegungen haben wir in der Regel angenommen, daß es sich bei den betrachteten thermodynamischen Systemen
um solche fester Teilchenzahlen bzw. fester Stoffmengen handelt. Demzufolge betrachteten wir die Teilchenzahlen bzw. Stoffmengen als fest
vorgebbare Parameter in den Zustandsgleichungen und Potentialfunktionen. Das muß natürlich nicht der Fall sein, wie die folgenden Beispiele zeigen.
– Das System bestehe aus einer Flüssigkeit mit ihrem gesättigtem
Dampf. Die Teilchenzahlen in den beiden Phasen sind (im Gegensatz zur Gesamtteilchenzahl) variabel. So ändern sie sich beispielsweise bei gegebener Temperatur mit dem Druck (Abschnitt
5.3.2).
– Im System laufen chemische Reaktionen ab. Die Teilchenzahlen
der einzelnen Komponenten von Reaktionspartnern sind variabel,
und die Gesamtteilchenzahl braucht (im Gegensatz zur Gesamtmasse) auch nicht konstant zu sein.
– Ein typisches Beispiel für ein System, bei dem die Anzahl der
Teilchen prinzipiell nicht vorgebbar ist, ist das Photonengas (Ab107
108
KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN
schnitt 5.3.3). Bekanntlich geht die Anzahl der Photonen nicht in
die thermische und kalorische Zustandsgleichung ein.
7.1
Chemische Potentiale
Wir wollen annehmen, daß ein thermodynamisches System aus
N1, N2, . . . (materiellen) Teilchen unterschiedlicher Komponenten oder
Phasen besteht (d.h. für α = β sollen die Nα Teilchen von den Nβ Teilchen unterscheidbar sein). Wir wollen die Teilchenzahlen nicht als fest
vorgegebene Parameter, sondern als unabhängige Zustandsvariablen
betrachten. Damit wird beispielsweise die innere Energie U auch eine Funktion der Teilchenzahlen Nα , und folglich lautet die Gibbssche
Fundamentalgleichung:1
dU = T dS −
yi dXi +
μα dNα
α
i
(7.1)
Offensichtlich ist U = U (S, {Xi}, {Nα }) Potential. Die Größen
μα =
∂U
∂Nα
(7.2)
S,{Xi },{Nβ |β=α}
heißen chemische Potentiale. Analog kann natürlich auch die Entropie als Funktion von U , den Xi und den Nα angesehen werden, wobei
dann
∂S
μα
=
−
(7.3)
T
∂Nα U,{Xi},{Nβ |β=α}
1
Es ist klar, daß sich die innere Energie U eines solchen Systems nicht nur dadurch ändert, daß
das System Wärme aufnimmt und an ihm Arbeit geleistet wird, sondern auch infolge Aufnahme
und Abgabe von Teilchen.
7.1. CHEMISCHE POTENTIALE
109
gilt. Ausgehend von U oder S können dann nach dem bekanntem Schema (Abschnitt 5.2) weitere Potentiale definiert werden. Es ist leicht zu
sehen, daß für ein beliebiges von der inneren Energie bzw. Entropie ausgehendes Potential, das eine Funktion der Teilchenzahlen ist, partielle
Differentiation nach den Teilchenzahlen Nα die chemischen Potentiale
μα bzw. −μα /T liefert.
Es können natürlich auch Potentiale definiert werden, die nicht von
den Teilchenzahlen Nα , sondern von den chemischen Potentialen μα
(oder auch gemischt von gewissen Teilchenzahlen und chemischen Potentialen) abhängen. Betrachten wir beispielsweise die freie Energie
F = U − T S als Potential,
dF = −S dT −
yi dXi +
μα dNα ,
(7.4)
α
i
von der ausgehend das sogenannte großkanonische Potential2
F =F −
μα Nα
(7.5)
α
als Funktion der Temperatur, der Xi und der μα definiert werden kann,
F = F (T, {Xi}, {μα }),
yi dXi −
Nα dμα ,
(7.6)
dF = −S dT −
α
i
∂F
Nα = −
∂μα
.
(7.7)
T,{Xi },{μβ |β=α}
Innere Energie und Entropie sind extensive Zustandsgrößen. Folglich sind die von ihnen ausgehenden Potentiale ebenfalls extensive Zustandsgrößen. Vergrößern wir alle Stoffmengen (Teilchenzahlen) um
einen Faktor λ, so vergrößert sich speziell die innere Energie ebenfalls um diesen Faktor. Wenn wir beispielsweise annehmen, daß die Xi
ebenfalls extensive Zustandsgrößen sind, muß also
U (λS, {λXi }, {λNα }) = λU (S, {Xi }, {Nα})
2
(7.8)
Neben der freien Energie ist das großkanonische Potential eine zentrale Größe in der statistischen
Thermodynamik.
110
KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN
gelten. Die innere Energie und jede andere extensive Zustandsgröße ist
also eine homogene Funktion vom Grad 1 in den extensiven Zustandsgrößen, und der Satz von Euler kann angewendet werden.3 Für unser
Beispiel bedeutet dies
∂U ∂U
S
+
Xi
∂S {Xi},{Nα}
∂Xi S,{Xj |j=i},{Nα}
i
∂U
+
Nα
= U,
(7.9)
∂N
α
S,{X
},{N
|β
=
α}
i
β
α
und folglich ist
U = TS −
yi Xi +
G=F+
yi Xi = U − T S +
i
yi Xi =
F =F −
μα Nα = −
α
μα Nα
(7.11)
α
i
oder auch
(7.10)
α
i
bzw.
μα Nα
yi Xi .
(7.12)
i
Beachte, daß G = G(T, {yi}, {Nα}) die Potentialfunktion ist, die im
Gegensatz zur freien Energie nicht von den Xi als unabhängigen Zustandsgrößen, sondern von den yi abhängt.
Die chemischen Potentiale sind als Differentialquotienten zweier extensiver Größen [siehe (7.2)] intensive Größen. Sie ändern also ihren
Wert nicht, wenn alle Stoffmengen (Teilchenzahlen) um den gleichen
Faktor geändert werden und sind folglich homogene Funktionen vom
Grad 0 in den extensiven Zustandsgrößen. Deswegen können chemische Potentiale nur von Quotienten von Stoffmengen abhängen, also
beispielsweise von Brüchen von TeilchenzahlenNα /Nβ oder vorzugsweise von Konzentrationen n̄α = Nα /N mit N = α Nα als der Gesamtteilchenzahl. Besteht ein (homogenes) System aus K Stoffen, können
demnach maximal K − 1 Konzentrationen vorgegeben werden.
Nehmen wir wieder an, daß die Xi extensive Zustandsgrößen und
somit die yi intensive Zustandsgrößen sind. Die chemischen Potentiale
3
Ist f (λx1 , λx2 , . . .) = λn f (x1 , x2 , . . .), dann gilt
k
xk (∂f /∂xk ) = nf (x1 , x2 , . . .).
7.2. P V T -SYSTEME
111
seien als Funktionen der Temperatur T , der yi und der Teilchenzahlen
Nα gegeben. Dann gilt
μα (T, {yi}, {λNβ }) = μα (T, {yi}, {Nβ }),
und der Eulersche Satz liefert
∂μα
Nβ
= 0.
∂Nβ T,{yi},{Nγ |γ=β}
(7.13)
(7.14)
β
Wir berücksichtigen
∂G
= μβ
∂Nβ T,{yi},{Nγ |γ=β}
∂μβ
∂μα
;
=
∂Nα T,{yi},{Nγ |γ=α}
∂Nβ T,{yi},{Nγ |γ=β}
und finden, daß mit (7.14) auch
∂μβ
Nβ
=0
∂Nα T,{yi},{Nγ |γ=α}
(7.15)
(7.16)
β
gilt.
7.2
pV T -Systeme
Für pV T -Systeme lautet gemäß (7.1) das totale Differential der inneren
Energie U = U (S, V, {Nα})
dU = T dS − p dV +
μα dNα
(7.17)
α
Werden von U ausgehend die entsprechenden Legendre-Transformationen ausgeführt, so ist leicht zu sehen, daß für die Potentiale
F = U − T S,
(7.18)
112
KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN
H = U + pV
(7.19)
G=H −T S
(7.20)
und
eines pV T -Systems gilt:
dF = −S dT − p dV +
μα dNα ,
(7.21)
α
dH = T dS + V dp +
μα dNα ,
(7.22)
α
dG = −S dT + V dp +
μα dNα ,
(7.23)
α
μα =
=
∂U
∂Nα
∂H
∂Nα
=
S,V,{Nβ |β=α}
=
S,p,{Nβ |β=α}
∂F
∂Nα
∂G
∂Nα
T,V,{Nβ |β=α}
.
(7.24)
T,p,{Nβ |β=α}
Wie bereits bemerkt, sind die thermodynamischen Potentiale extensive Zustandsgrößen. Gemäß (7.8) gilt also für ein aus ununterscheidbaren Teilchen bestehendes (einphasiges, einkomponentiges) pV T -System
V
S
U = U (S, V, N ) = U N , N , N
N
N
S V
, , 1 = N ū(s̄, v̄)
(7.25)
=NU
N N
mit den spezifischen Größen
ū =
U
,
N
s̄ =
S
,
N
v̄ =
V
.
N
(7.26)
Analog finden wir
V
F = N F T, , 1
N
= N f¯(T, v̄),
(7.27)
7.2. P V T -SYSTEME
113
S
H=NH
, p, 1 = N h̄(s̄, p),
N
(7.28)
G = N G(T, p, 1) = N ḡ(T, p).
(7.29)
Die Gleichung (7.29) impliziert, daß
μ=
∂G
∂N
= ḡ
(7.30)
T,p
ist und folglich in Übereinstimmung mit (7.11)
G = Nμ
(7.31)
gilt. Berücksichtigen wir die Definition von G, so folgt mit (7.31)
G = N μ = U − T S + pV,
(7.32)
bzw. in Übereinstimmung mit (7.10)
U = T S − pV + μN.
(7.33)
Aus (7.17) und (7.33) ist unschwer zu sehen, daß für die spezifischen
Größen erwartungsgemäß
dū = T ds̄ − p dv̄
(7.34)
gilt. Nach (7.30) ist das chemische Potential eines (aus gleichartigen
Teilchen bestehenden) Körpers nichts anderes als seine spezifische freie
Enthalpie, und es gilt folglich
dμ = dḡ = −s̄ dT + v̄ dp.
(7.35)
Die betrachteten Potentiale U, F, H, G besitzen die Teilchenzahl
als unabhängige Variable. Mittels einer Legendre-Transformation kann
114
KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN
natürlich auch das chemische Potential zu einer unabhängigen Variablen gemacht werden. So ergibt sich gemäß (7.6) das totale Differential
des großkanonischen Potentials
F = F − μN = U − T S − μN
(7.36)
dF = −S dT − p dV − N dμ.
(7.37)
als
Ein Vergleich von (7.36) mit (7.33) liefert in Übereinstimmung mit
(7.12)
F = −p V,
(7.38)
und folglich gilt
∂F
N =−
∂μ
=V
T,V
∂p
∂μ
.
(7.39)
T,V
Entsprechend (7.10) lautet die Verallgemeinerung der Gleichung
(7.33) auf den Fall mehrerer Teilchensorten
μα Nα .
(7.40)
U = T S − pV +
α
Die Verallgemeinerung von (7.31) lautet gemäß (7.11)
G(T, p, {Nα}) =
μβ Nβ
(7.41)
β
und die Gleichungen (7.14) und (7.16) liefern:4
β
4
Nβ
∂μα
∂Nβ
=
T,p,{Nγ |γ=β}
β
Nβ
∂μβ
∂Nα
=0
T,p,{Nγ |γ=α}
(7.42)
Die Gleichung (7.41) und die Gleichungen (7.42) werden auch Gibbs-Duhem-Beziehung bzw.
Gibbs-Margule-Beziehungen genannt.
7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN
115
Die für die freie Enthalpie und die chemischen Potentiale, d.h.
die partiellen Ableitungen der freien Enthalpie nach den Teilchenzahlen, angegebenen Relationen (7.41) und (7.42) gelten für jede extensive Zustandsgröße Z, die eine Funktion von T , p und den Nα ist,
Z = Z(T, p, {Nα}). Da Z eine homogene Funktion vom Grad 1 in den
Teilchenzahlen ist und folglich die partiellen spezifischen Größen
∂Z
z̃α =
(7.43)
∂Nα T,p,{Nβ |β=α}
homogene Funktionen vom Grad 0 in den Teilchenzahlen sind, bedeutet
dies nach dem Eulerschen Satz
Z(T, p, Nα) =
z̃β Nβ
(7.44)
β
und
β
Nβ
∂ z̃α
∂Nβ
=
T,p,{Nγ |γ=β}
β
Nβ
∂ z̃β
∂Nα
= 0.
(7.45)
T,p,{Nγ |γ=α}
Die Gleichungen (7.44) und (7.45) stellen offensichtlich die Verallgemeinerungen der Gleichungen (7.41) und (7.42) dar.
7.3
Homogene Mischungen
Die (von der inneren Energie oder der Entropie ausgehenden) thermodynamischen Potentiale sind bezüglich der einzelnen Teile eines Systems additiv, solange die Wechselwirkung der Teile untereinander vernachlässigt werden kann. Die Potentiale von Gemischen aus mehreren
Stoffen werden deshalb nicht einfach die Summen der Potentiale der
einzelnen Komponenten der Gemische sein, da i. allg. die Komponenten miteinander in Wechselwirkung stehen.
Mischung idealer Gase
Eine Ausnahme sind Gemische idealer Gase, deren Teilchen (definitionsgemäß) nicht miteinander wechselwirken. Die thermodynamischen
116
KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN
Potentiale eines solchen Gemisches sind gleich den Summen der Potentiale der einzelnen zu dem Gemisch gehörenden Gase, als wären die
anderen Gase nicht vorhanden, und jedes Gas hätte das Volumen des
ganzen Gemisches. Nimmt das aus insgesamt N Teilchen bestehende
Gemisch das Volumen V ein, so gilt die thermische Zustandsgleichung
pv̄ = kT,
v̄ =
V
.
N
(7.46)
Entsprechend gilt für die aus Nα Teilchen bestehende α-te Komponente
des Gemisches die thermische Zustandsgleichung
pα v̄α = kT.
(7.47)
Im Falle einer echten Mischung nimmt jede Gaskomponente das
Volumen V ein,
V
v̄α =
,
(7.48)
Nα
und somit lautet (7.47)
pα V = Nα kT
(7.49)
Der Vergleich mit (7.46) liefert
pα = n̄α p,
(7.50)
und folglich gilt
pα = p
(7.51)
α
Multiplikation des Druckes mit der Konzentration der α-ten Komponente ergibt den Partialdruck pα dieser Komponente, und die Summe
der Partialdrucke aller Komponenten ist gleich dem Gesamtdruck.5
5
Die Gleichungen (7.49) und (7.51) heißen auch Daltonsche Gesetze.
7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN
117
Wenn alle Komponenten unter gleichem Druck stehen, können sie
nicht das Volumen V einnehmen, sondern nur ein bestimmtes Teilvolumen Vα (unechte Mischung),
pα = p,
v̄α =
Vα
,
Nα
(7.52)
und (7.47) lautet
(7.53)
pVα = Nα kT
Der Vergleich mit (7.46) liefert
v̄α = v̄,
(7.54)
und es gilt folglich
Vα = V
(7.55)
α
Die spezifischen Volumina aller Komponenten sind gleich (und gleich
dem spezifischen Volumen des Gasgemisches insgesamt), und die Summe der Volumina aller Komponenten ist gleich dem Gesamtvolumen.6
Wir betrachten zwei zunächst räumlich getrennte ideale Gase unterschiedlicher Teilchensorten, die jeweils die gleiche Temperatur und
den gleichen Druck besitzen sollen (unechte Mischung). Anschließende
Diffusion der Gase führt zu einer irreversiblen Vermischung beider. Die
p V1 T
p V2 T
N1
N2
Entropie des Gesamtsystems setzt sich additiv aus den Entropien der
6
Die Gleichungen (7.53) und (7.55) heißen auch Amagatsche Gesetze.
118
KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN
beiden Teilsysteme zusammen. Wir wenden die Gleichung (5.123) auf
die beiden Teilsysteme (mit jeweils fester Teilchenzahl) an und finden
ΔS = S1 (T, V, N1, ) + S2 (T, V, N2)
− S1 (T, V1, N1) − S2 (T, V2, N2)
V
V
= N1 k ln
+ N2k ln
.
V1
V2
(7.56)
Nun gilt wegen (7.54)
V
N
=
,
V1
N1
V
N
=
.
V2
N2
(7.57)
Wir setzen die Relationen (7.57) in (7.56) ein und erhalten als Mischungsentropie den Ausdruck
ΔS = −N k (n̄1 ln n̄1 + n̄2 ln n̄2 ) ,
(7.58)
dessen Verallgemeinerung für mehrere ideale Gase (unterschiedlicher
Teilchensorten) offensichtlich7
ΔS = −N k
n̄α ln n̄α
(7.59)
α
lautet. Es ist leicht zu sehen, daß ΔS > 0 ist, die Mischung also einen
irreversiblen Prozeß darstellt.
Betrachten wir die spezifische Entropie s̄, so können wir die Gleichung (7.59) auch wie folgt schreiben:
n̄α s̄α (T, p) − k
n̄α ln n̄α
s̄(T, p, {n̄α}) =
α
=
α
n̄α s̃α (T, p, n̄α),
(7.60)
α
7
Beachte, daß n̄β = Nβ /N als Wahrscheinlichkeit Pβ interpretiert werden kann, bei einem Griff“
”
in das
Gemisch ein Teilchen der β-ten Sorte zu finden. Die spezifische Mischungsentropie ist folglich
−k β Pβ ln Pβ = −k ln P. Dies ist eine der wenigen Stellen der phänomenologischen Thermodynamik, die einen deutlichen Hinweis auf die Interpretation der Entropie im Rahmen der statistischen
Thermodynamik gibt.
7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN
119
s̃α (T, p, n̄α) = s̄α (T, p) − k ln n̄α
(7.61)
[s̃α (T, p, n̄α) - partielle spezifische Entropie der α-ten Komponente in
der (echten) Mischung, s̄α (T, p) - spezifische Entropie der isolierten αten Komponente (in der unechten Mischung)].
Die spezifische freie Enthalpie der Mischung ergibt sich dann als
n̄α g̃α (T, p, {n̄β }),
(7.62)
ḡ(T, p, {n̄α}) = ū − T s̄ + pv̄ =
α
wobei8
g̃α (T, p, {n̄β }) = g̃α (T, p, n̄α) = ūα + pv̄α − T s̃α (T, p, n̄α)
= ūα + pv̄α − T s̄α (T, p) +kT ln n̄α
(7.63)
ḡα (T,p)
gilt, d.h.
g̃α (T, p, n̄α) = ḡα (T, p) + kT ln n̄α
(7.64)
ḡα (T, p) = ūα + pv̄α − T s̄α (T, p)
(7.65)
mit
als der spezifischen freie Enthalpie der α-ten Komponente vor der Mischung. Wir berücksichtigen (7.41) und erhalten für das chemische Potential der α-ten Komponente der Mischung:
μα (T, p, n̄α) = ḡα (T, p) + kT ln n̄α
(7.66)
Anmerkung: Gleiche Teilchensorten
Im Fall gleicher Teilchensorten gilt [anstelle von (7.56)]
ΔS = S(T, V, N ) − S(T, V1, N1) − S(T, V2, N2)
= N s̄(T, V /N ) − N1 s̄(T, V1/N1 ) − N2 s̄(T, V2/N2 ). (7.67)
Wegen
p = f (T, V /N ) = f (T, V1/N1 ) = f (T, V2/N2 ),
8
Beachte, daß gemäß (7.52) und (7.55) pV = p
β
Vβ gilt.
(7.68)
120
KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN
d.h.
V /N = V1 /N1 = V2 /N2,
(7.69)
liefert somit (7.67)
ΔS = 0.
(7.70)
Wie erwartet, ändert sich in diesem Fall die Entropie nicht. Beachte,
daß die obige Überlegung nicht auf ideale Gase beschränkt ist, sondern
für beliebige pV T -Systeme Gültigkeit hat.
Reale Mischungen
Gemäß (7.44) gilt für eine extensive Zustandsgröße Z = Z(T, p, {Nα})
einer Mischung:
Z(T, p, {Nα}) =
α
Nα z̃α
;
Z
=
z̄ =
n̄α z̃α
N
α
(7.71)
Im Falle einer (echten) Mischung hängen die partiellen spezifischen
Größen z̃α nicht nur von n̄α , sondern i. allg. auch von den Konzentrationen n̄β (β = α) der übrigen Stoffe des Gemisches ab, z̃α = z̃α (T, p, {n̄β }).
Insbesondere setzt sich die innere Energie nicht additiv aus den spezifischen Energien der freien Komponenten, sondern aus den i. allg.
davon verschiedenen, partiellen spezifischen Energien multipliziert mit
den entsprechenden Stoffmengen zusammen.
Tangentenregel:
Gegeben sei ein binäres Gemisch (α = 1, 2), und es sei Z(T, p, N1, N2)
beispielsweise die innere Energie. Gemäß (7.71) kann diese (wie auch
jede andere extensive Zustandsgröße als Funktion der Temperatur, des
Druckes und der Teilchenzahlen) in der Form
U (T, p, N1, N2) = N1 ũ1 + N2 ũ2
(7.72)
bzw.
ū(T, p, N1, N2) = n̄1 ũ1 + n̄2 ũ2
geschrieben werden. Anwendung der Gleichung (7.45) liefert
∂ ũ1
∂ ũ2
N1
+ N2
=0
∂N1 T,p,N2
∂N1 T,p,N2
(7.73)
(7.74)
7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN
121
und nach Division von N1 und N2 durch die (konstante) Gesamtteilchenzahl N
∂ ũ1
∂ ũ2
n̄1
+ n̄2
= 0.
(7.75)
∂ n̄1
∂ n̄1
Da die abhängigen Variablen festgelegt sind, ist klar, wie die partiellen
Ableitungen zu verstehen sind, so daß wir hier, um Schreibarbeit zu
sparen, auf die Angabe der jeweils festgehaltenen Variablen bei den
Ableitungen verzichten können. Die Gültigkeit der Gleichung (7.75)
gestattet, ũ1 und ũ2 mittels der sogenannten Tangentenmethode aus
der gemessenen Konzentrationsabhängigkeit von ū zu bestimmen. Dazu
differenzieren wir ū in (7.73) beispielsweise nach n̄1 . Mit
n̄2 = 1 − n̄1
(7.76)
folgt
∂ ũ1
∂ ũ2
∂ ū
−ũ2 ,
= ũ1 + n̄1
+ n̄2
∂ n̄1
∂
n̄
∂
n̄
1
1
= 0 [siehe (7.75)]
∂ ū
= ũ1 − ũ2 .
∂ n̄1
Mittels (7.73) eliminieren wir ũ1:
ũ1 =
ū − n̄2 ũ2
n̄1
∂ ū
ū − ũ2
=
.
∂ n̄1
n̄1
;
(7.77)
(7.78)
(7.79)
Analog liefert Elimination von ũ2
−
∂ ū
∂ ū
ũ1 − ū
=
=
.
∂ n̄2
∂ n̄1
n̄2
(7.80)
Im Falle idealer Gase sind ũ1 = ū1 und ũ2 = ū2 konzentrationsunabhängig
und ū als Funktion von n̄1 (oder n̄2) ist eine Gerade.
Mischungswärme:
Es sei (mit T und p als konstant vorausgesetzt)
H0(T, p, {Nα}) =
Nα h̄α (T, p)
α
(7.81)
122
KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN
ū
ũ1
ũ2
n̄1
n̄2
1
die Enthalpie des Systems vor der Mischung und
H(T, p, {Nα}) =
Nα h̃α (T, p, {n̄β })
(7.82)
α
die Enthalpie des Systems nach der Mischung, und somit gilt für die
Änderung der Enthalpie
ΔH = H − H0 =
Nα (h̃α − h̄α ),
(7.83)
ΔH =
n̄α (h̃α − h̄α )
N
α
(7.84)
α
d.h.
q̄m = Δh =
stellt die spezifische Mischungswärme dar.9 Das Auftreten von (konzentrationsabhängigen) Mischungswärmen bedeutet offensichtlich Wechselwirkung zwischen den mikroskopischen Teilchen in der Mischung.
Partielle spezifische Wärmen:
Für die Wärmekapazität bei konstantem Druck
∂H
Cp (T, p, {Nα}) =
∂T p,{Nα}
9
(7.85)
Für isobare Prozesse und feste Gesamtstoffmenge des System ist bekanntlich dH = δQ bzw. dh̄
= δ q̄.
7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN
123
gilt mit (7.82)
∂
Cp(T, p, {Nα}) =
Nα h̃α
∂T
α
=
Nα
α
bzw.
c̄p =
c̃pα =
∂ h̃α
∂T
∂ h̃α
∂T
p,{Nβ }
(7.86)
p,{Nβ }
Cp n̄α c̃pα ,
=
N
α
=
p,{Nβ }
∂
∂T
=
∂Cp
∂Nα
∂H
∂Nα
(7.87)
p,T,{Nβ |β=α} p,{N }
β
.
(7.88)
p,T,{Nβ |β=α}
Im Falle einer binären Mischung können die partiellen spezifischen
Wärmen c̃p1 und c̃p2 nach der Tangentenmethode aus c̄p sowie den Konzentrationen n̄1 und n̄2 bestimmt werden.
Aktivitäten und Exzeßgrößen:
Nach (7.66) lautet das chemische Potential der α-ten Komponente einer
idealen Mischung
μ(ideal)
(T, p, n̄α) = ḡα (T, p) + kT ln n̄α ,
α
(7.89)
d.h., es hängt nur von der Konzentration der betrachteten Komponente
und nicht von den Konzentrationen der übrigen Komponenten in der
Mischung ab. Falls die Abweichung von der idealen Mischung nicht
allzu groß ist (was häufig der Fall ist), gilt näherungsweise
μα (T, p, {n̄β }) = ḡα (T, p) + kT ln(fα n̄α )
= ḡα (T, p) + kT ln n̄α + kT ln fα
(7.90)
124
KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN
(d.h. n̄α → fα n̄α ). Die Größen fα n̄α heißen Aktivitäten und die Faktoren
fα = fα (p, T, {n̄β })
(7.91)
Aktivitätskoeffizienten. Die Differenz
(ideal)
= kT ln fα
μ(E)
α = μα − μα
(7.92)
wird chemisches Exzeßpotential genannt. Betrachten wir wieder eine
beliebige extensive Zustandsgröße Z =Z(T, p, {Nα}), für die nach (7.71)
z̄ =
n̄α z̃α
(7.93)
α
gilt. Ganz allgemein wird die Differenz zwischen z̄ der realen Mischung
und z̄ (ideal) der idealen Mischung als spezifische Exzeßgröße z̄ (E) bezeichnet,
(E)
(ideal)
(ideal)
z̄ = z̄ − z̄
=
=
n̄α z̃α − z̃α
n̄α z̃α(E) .
(7.94)
α
α
Offensichtlich ist die spezifische freie Exzeßenthalpie gerade
n̄α g̃α(E) =
n̄α μ(E)
=
kT
n̄α ln fα .
ḡ (E) =
α
α
α
(7.95)
α
(E)
Im Falle einer binären Mischung können μ1
der Tangentenmethode aus
(E)
(E)
und μ2
(E)
ḡ (E) = n̄1 μ1 + n̄2 μ2
wieder nach
(7.96)
und den Konzentrationen n̄1 und n̄2 bestimmt werden. Für die Klassifikation von binären Mischungen wird häufig eine Entwicklung von
ḡ (E) /(n̄1n̄2 ) nach der Differenzkonzentration n̄1 − n̄2 vorgenommen:
ḡ (E)
= kT
Ak (n̄1 − n̄2 )k
n̄1n̄2
(7.97)
k
(n̄1 + n̄2 = 1), wobei die Ak i. allg. Funktionen von Druck und Temperatur sind, Ak = Ak (T, p). Offensichtlich liegt eine ideale Mischung vor,
7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN
125
wenn alle Ak verschwinden.
Symmetrische Mischung:
= 0 wenn k = 0,
Ak
= 0 sonst.
(7.98)
Unsymmetrische Mischung:
A0 = 0 und f ür k ≥ 1 mindestens ein Ak = 0.
(7.99)
Mischungen idealer Gase sind immer stabil. Bei Flüssigkeiten gibt
es einen stetigen Übergang von vollständiger Mischbarkeit bis Nichtmischbarkeit. So ist es möglich, daß bei gegebenem Druck oberhalb
oder unterhalb einer kritischen Entmischungstemperatur (Punkte C in
der Abbildung) zwei Flüssigkeiten in jedem Verhältnis mischbar sind.
Unterhalb bzw. oberhalb der kritischen Temperatur zerfällt dann die
Mischung für bestimmte Konzentrationsverhältnisse in zwei nebeneinT
T
C
A
B
C
n̄1
C
T
n̄1
T
C
C
C
n̄1
n̄1
ander existierende flüssige Phasen (Punkte A und B in der Abbildung).
Die Instabilitätsgebiete (schraffierte Flächen in der Abbildung) werden
auch als Mischungslücken bezeichnet. Es gibt Mischungen, die nur eine obere oder untere kritische Temperatur oder auch zwei kritische
Temperaturen besitzen. Im Fall zweier kritischer Temperaturen kann
126
KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN
die Mischungslücke aus einem Gebiet oder auch aus zwei getrennten
Gebieten bestehen.
Verdünnte Lösungen:
Unter einer verdünnten Lösung wird ein Gemisch verstanden, bei dem
die Konzentration einer Stoffkomponente die Konzentrationen aller anderen Komponenten substantiell überwiegt, z.B.
n̄1 n̄α
(α ≥ 2)
(7.100)
(Komponente 1: Lösungsmittel; Komponenten α: gelöste Stoffe). Es
gilt
(7.101)
f1 ≈ 1 falls n̄α n̄1 (α ≥ 2),
und folglich liefert (7.90) für das Lösungsmittel
μ1 (T, p, n̄1) = ḡ1 (T, p) + kT ln n̄1 ,
(7.102)
während für die gelösten Stoffe (α ≥ 2) zunächst weiterhin
μα (T, p, {n̄β }) = ḡα (T, p) + kT ln(fα n̄α )
(7.103)
gilt. Da die Konzentrationen der gelösten Stoffe klein sind, können die
Aktivitäten nach diesen entwickelt werden, wobei nur Glieder niedriger
Ordnung wesentlich beitragen.
Betrachten wir eine verdünnte binäre Lösung. Entwicklung von f2n̄2
nach n̄2 und Abbruch nach dem ersten Glied liefert
f2 n̄2 =
Bk n̄k2 ≈ B1 n̄2 .
(7.104)
k
Wir setzen dieses (Näherungs-)Ergebnis in (7.103) ein und erhalten
μ2 (T, p, n̄2) = ḡ2 (T, p) + kT ln B1 +kT ln n̄2 ,
ḡ21 (T, p)
μ2 (T, p, n̄2) = ḡ21(T, p) + kT ln n̄2 .
(7.105)
(7.106)
Die chemischen Potentiale von Lösungsmittel und gelöstem Stoff
hängen also in gleicher Weise von den Konzentrationen der jeweiligen
Stoffe ab. Im Unterschied zum Lösungsmittel, für das ḡ1(T, p) nicht
vom gelösten Stoff abhängt, ist ḡ21(T, p) des gelösten Stoffs lösungsmittelabhängig.
Kapitel 8
Gleichgewichts- und
Stabilitätsbedingungen
Bekanntlich kann für ein abgeschlossenes System die Entropie nicht
abnehmen,
dS ≥ 0.
(8.1)
Wenn sich der Gleichgewichtszustand eingestellt hat, gilt dS = 0, und
die Entropie selbst erreicht dann ihren größten Wert
S = Smax .
(8.2)
Wollen wir den Gleichgewichtszustand berechnen, haben wir also eine
Extremalaufgabe mit Nebenbedingungen zu lösen, wobei die Nebenbedingungen (im vorliegenden Fall) sichern, daß das System abgeschlossen
ist.
Betrachten wir als konkretes System ein pV T -System der Gesamtmasse M. Die Nebenbedingungen für die Abgeschlossenheit des Systems sind dann
U = const.,
V = const.,
M = const..
(8.3)
Wir haben hier die Gesamtmasse M anstelle der Gesamtteilchenzahl
N verwendet, da im Falle von chemischen Reaktionen in einem abgeschlossenen (mehrkomponentigen) System die Gesamtteilchenzahl (im
Gegensatz zur Gesamtmasse) nicht notwendigerweise Erhaltungsgröße
ist. Zur Lösung der Extremalaufgabe kann wie folgt verfahren werden.
127
128
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
Nehmen wir an, die Entropie S der Nichtgleichgewichtszustände (im
Sinne von Zuständen des gehemmten Gleichgewichts) des abgeschlossenen Systems ist als Funktion irgendwelcher (Nichtgleichgewichts-)Zustandsgrößen Y1 , Y2, . . . gegeben, S = S({Yi}), wobei die Anzahl dieser
Variablen größer ist als die für den Gleichgewichtszustand. Das abgeschlossene System befindet sich im Gleichgewichtszustand, wenn bei
einer mit
δU = δV = δM = 0
(8.4)
verträglichen, ansonsten beliebigen infinitesimal kleinen Variation der
Variablen Yi (im Sinne von virtuellen Verrückungen)
∂S
δS =
δYi = 0
(8.5)
∂Y
i
i
gilt. Die Gleichgewichtsbedingung
(δS)U,V,M = 0
(8.6)
garantiert zunächst nur die Existenz eines Extremalwerts, sagt aber
noch nichts darüber aus, ob ein Maximum oder ein Minimum vorliegt.
Um diese Frage zu beantworten, muß das Glied 2. Ordnung
∂ 2S
2
1
δYi δYj
(8.7)
δ S=2
∂Y
∂Y
i
j
i,j
in der Entropieänderung am Extremwert untersucht werden. Ein Maximum liegt vor, wenn die Stabilitätsbedingung
(δ 2 S)U,V,M < 0
(8.8)
gilt. Sie garantiert, daß der durch die Gleichgewichtsbedingung festgelegte Gleichgewichtszustand stabil oder zumindest metastabil ist. Metastabile Zustände sind gegenüber infinitesimal kleinen Zustandsänderungen stabil, nicht aber gegenüber beliebigen endlichen Zustandsänderungen. Im Falle eines metastabilen Zustands liegt nur ein relatives
129
Maximum der Entropie vor. Beispiele für metastabile Zustände sind
überhitzte Flüssigkeiten und unterkühlte Dämpfe.
S
A
C
B
ZB
ZA
ZC
Z
A: stabiler Gleichgewichtszustand
B: instabiler Zustand
C: metastabiler Gleichgewichtszustand
Häufig gilt das Interesse nicht abgeschlossenen Systemen, sondern
vielmehr Systemen, die auf unterschiedlichste Weise im Gleichgewicht
mit ihrer Umgebung sind. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dann
die jeweils aus dem 1. und dem 2. Hauptsatz folgende Ungleichung.
Betrachten wir speziell ein stofflich abgeschlossenes pV T -System (der
Gesamtmasse M), das sich nicht notwendigerweise im thermodynamischen Gleichgewicht befinden muß. Dem System soll ein Druck und
eine Temperatur zugeordnet werden können. Daneben werden i. allg.
noch weitere Zustandsgrößen zur Charakterisierung erforderlich sein.
Tauscht das System mit der Umgebung neben Wärme nur Volumenarbeit aus, so liefert die Kombination von erstem und zweitem Hauptsatz
zunächst
T dS ≥ δQ = dU + p dV.
(8.9)
Folgende Situationen für im System ablaufende Prozesse sind denkbar:
Fall (a): Prozesse im abgeschlossenen System
dU = 0,
dV = 0,
dS ≥ 0
(8.10)
(8.11)
130
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
Fall (b): bei konstanter Entropie und konstantem Volumen ablaufende Prozesse
dS = 0,
dV = 0,
dU ≤ 0
Fall (c):
(8.12)
(8.13)
bei konstanter Temperatur und konstantem Volumen ablaufende Prozesse
dT = 0,
U = F + TS
;
dV = 0,
dU = dF + T dS
dF ≤ 0
(8.14)
(8.15)
(8.16)
Fall (d): bei konstanter Entropie und konstantem Druck ablaufende
Prozesse
dS = 0,
U = H − pV
;
dp = 0,
(8.17)
dU = dH − p dV
(8.18)
dH ≤ 0
Fall (e):
(8.19)
bei konstanter Temperatur und konstantem Druck ablaufende Prozesse
dT = 0,
U = G + T S − pV
;
dp = 0,
dU = dG + T dS − p dV
dG ≤ 0
(8.20)
(8.21)
(8.22)
Die Ungleichung (8.11) entspricht der Gleichgewichtsbedingung (8.6)
und der Stabilitätsbedingung (8.8), während die Ungleichungen (8.13),
131
(8.16), (8.19) und (8.22) den Gleichgewichts- und Stabilitätsbedingungen
(δU )S,V,M = 0, (δ 2 U )S,V,M > 0,
(8.23)
(δF )T,V,M = 0,
(δ 2 F )T,V,M > 0,
(8.24)
(δH)S,p,M = 0,
(δ 2 H)S,p,M > 0,
(8.25)
(δG)T,p,M = 0,
(δ 2 G)T,p,M > 0.
(8.26)
entsprechen. Es gibt also keine für alle Gleichgewichtszustände universell gültige Gleichgewichts- und Stabilitätsbedingung. Je nach den
vorgegebenen (experimentellen) Bedingungen kann man jedoch in der
Regel Potentiale finden, die dann gewisse Extremaleigenschaften aufweisen. Unter den oben angegebenen Gleichgewichts- und Stabilitätsbedingungen spielt insbesondere die Bedingung der minimalen freien
Enthalpie eine wichtige Rolle, da durch sie die wichtige Klasse von
Prozessen erfaßt wird, die bei konstanter Temperatur und konstantem
Druck ablaufen.
Um die Gleichgewichts- und Stabilitätsbedingungen konkret anwenden zu können, müssen (virtuelle) Zustandsänderungen vorgenommen werden, die das betrachtete System aus seinem Gleichgewichtszustand herausbringen. Im Vergleich mit Gleichgewichtszuständen sind
für Nichtgleichgewichtszustände bekanntlich zusätzliche unabhängige
Zustandsgrößen erforderlich, mittels derer Nichtgleichgewichtszustände
als Zustände des gehemmten Gleichgewichts aufgefaßt werden können.
Diese zusätzlichen Zustandsgrößen mit den zugeordneten verallgemeinerten Kräften halten das (gehemmte) Gleichgewicht im System aufrecht und verhindern, daß sich der von allen Hemmungen befreite
Gleichgewichtszustand einstellt.
In diesem Sinne können die Zustandsgrößen eines Nichtgleichgewichtszustands als solche für ein Gleichgewichtssystem mit entsprechend erweiterter Gibbsscher Fundamentalgleichung aufgefaßt werden.
So können beispielsweise äußere Felder oder adiabatische Wände, die
zumindest gedanklich die verschiedenen Teile eines Systems mit unterschiedlichen Temperaturen voneinander trennen, zu solchen verallgemeinerten Kräften Anlaß geben. Es seien Y1 , Y2, . . . die (minimal) notwendigen unabhängigen Zustandsgrößen, von denen die Entropie der
betrachteten Nichtgleichgewichtszustände (im Sinne von Zuständen des
132
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
gehemmten Gleichgewichts) abhängt, S = S(Yi), und das abgeschlossene System sei durch Nebenbedingungen fν (Yi) = 0 charakterisiert (ν =
1, 2, . . .). Der Gleichgewichtszustand bestimmt sich dann aus der Forderung
∂S δS =
δYi = 0,
(8.27)
∂Y
i
Y
j
i
wobei die δYi durch die Nebenbedingungen
∂fν δYi = 0
∂Y
i
Yj
i
(8.28)
miteinander verknüpft sind. Das Ergebnis ist ein stabiler Gleichgewichtszustand, wenn
∂ 2S 1
δ2S =
δYi δYj < 0
(8.29)
2 i,j ∂Yi∂Yj Yk
ist. Wir haben es hier mit dem Spezialfall einer negativ definiten quadratischen Form zu tun,
Anm λn λm < 0,
(8.30)
nm
was voraussetzt, daß insbesondere
Ann < 0 ∀ n
(8.31)
Ann Amm − A2mm > 0 ∀ n, m (n = m)
(8.32)
und
gilt.
8.1
Phasengleichgewicht eines pV T -Systems
Betrachten wir zwei Phasen eines pV T -Systems, die zunächst durch
eine (fiktive) Wand voneinander getrennt sind und sich jeweils in einem
8.1. PHASENGLEICHGEWICHT EINES P V T -SYSTEMS
U1 V1 N1
133
U2 V2 N2
Die (fiktive) Trennwand erzwingt einen Zustand
des gehemmten Gleichgewichts des Systems.
Gleichgewichtszustand befinden. Für das abgeschlossene System in der
Abbildung gilt
U = U1 + U2 ,
(8.33)
V = V1 + V2 ,
(8.34)
N = N1 + N2 ,
(8.35)
S = S1 (U1, V1, N1) + S2 (U2, V2, N2).
(8.36)
Offensichtlich kann S = S(U1, V1, N1, U2, V2, N2) als Entropie eines
Nichtgleichgewichtszustands des Gesamtsystems aufgefaßt werden (mit
jedem der beiden Teilsysteme in einem Gleichgewichtszustand). Da das
System abgeschlossen ist, muß [gemäß (8.27)] für den Gleichgewichtszustand
δS =
∂S1
∂S1
∂S1
δU1 +
δV1 +
δN1
∂U1
∂V1
∂N1
+
∂S2
∂S2
∂S2
δU2 +
δV2 +
δN2 = 0
∂U2
∂V2
∂N2
(8.37)
gelten, wobei [gemäß (8.28)] die Nebenbedingungen
δU = δU1 + δU2 = 0,
(8.38)
δV = δV1 + δV2 = 0,
(8.39)
δN = δN1 + δN2 = 0
(8.40)
134
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
erfüllt sein müssen. Wir setzen die Nebenbedingungen (8.38) – (8.40)
in (8.37) ein und erhalten [gemäß (8.6)]
∂S1 ∂S2
∂S1 ∂S2
δU1 +
δV1
−
−
∂U1 ∂U2
∂V1 ∂V2
∂S1
∂S2
δN1 = 0.
+
−
(8.41)
∂N1 ∂N2
Da δU1, δV1 und δN1 beliebig sind, folgt
1
∂S1
∂S2
1
=
=
=
,
T1
∂U1
∂U2
T2
p1
∂S1
∂S2
p2
=
=
=
,
T1
∂V1
∂V2
T2
μ1
∂S1
∂S2
μ2
− =
=
=− ,
T1
∂N1
∂N2
T2
(8.42)
(8.43)
(8.44)
d.h.
T1 = T2 = T
(thermisches Gleichgewicht),
(8.45)
p1 = p2 = p (mechanisches Gleichgewicht),
(8.46)
μ1 = μ2 = μ (chemisches Gleichgewicht).
(8.47)
Das Ergebnis (8.45) – (8.47) finden wir natürlich auch, wenn wir
von
(8.48)
S = S 1 + S2 ,
V = V1 + V2 ,
(8.49)
N = N1 + N2 ,
(8.50)
U = U1(S1, V1, N1) + U2(S2, V2 , N2)
(8.51)
und
anstelle von (8.33) – (8.36) ausgehen und nach dem Minimum von
U (S1, V1, N1, S2, V2 , N2) fragen. Anstelle von (8.41) erhalten wir [gemäß
(8.23)]
∂U1 ∂U2
∂U1 ∂U2
δS1 +
δV1
−
−
∂S1 ∂S2
∂V1
∂V2
∂U1
∂U2
δN1 = 0,
+
−
(8.52)
∂N1 ∂N2
8.2. STABILITÄT EINES EINFACHEN P V T -SYSTEMS
135
und es folgt
∂U1
∂U2
=
= T2 ,
(8.53)
∂S1
∂S2
∂U1
∂U2
−p1 =
=
= −p2,
(8.54)
∂V1
∂V2
∂U1
∂U2
=
= μ2 .
(8.55)
μ1 =
∂N1
∂N2
Die Gleichungen (8.53) – (8.55) können beispielsweise als Bestimmungsgleichungen für S2, V2 und N2 als Funktionen von S1 , V1 und N1 aufgefaßt werden, so daß im Gleichgewicht neben U1 auch U2 durch S1, V1
und N1 festgelegt ist. Das System ist stabil, wenn [gemäß (8.23)]
2
2
1
∂
U
U
∂
1
2
(δ 2U )S,V,N =
(δS1)2
+
2
2
2 ∂S1
∂S2
2
2
2
1 ∂ U1 ∂ 2 U2
1
∂
U
U
∂
1
2
(δV1 )2 +
(δN1)2
+
+
+
2
2
2
2
2 ∂V1
∂V2
2 ∂N1
∂N2
2
2
∂ 2 U2
∂ 2 U2
∂ U1
∂ U1
δS1 δV1 +
δS1δN1
+
+
+
∂S1∂V1 ∂S2∂V2
∂S1∂N1 ∂S2∂N2
2
∂ 2 U2
∂ U1
δV1 δN1 > 0.
+
+
(8.56)
∂V1∂N1 ∂V2∂N2
T1 =
gilt.
8.2
Stabilitätsbedingungen für ein einfaches pV T -System
Die Überlegungen im Abschnitt 8.1 gelten natürlich auch für das
Gleichgewicht zweier beliebiger Teile eines einfachen (d.h. einphasigen
und einkomponentigen) pV T -Systems. In diesem Fall haben wir einfach
U1(S1 , V1, N1) = U (S1, V1 , N1) und U2(S2 , V2, N2) = U (S2, V2 , N2) in den
Gleichungen (8.48) – (8.56) zu setzen [und natürlich die Nebenbedingungen (8.33) – (8.35) zu berücksichtigen]. Erwartungsgemäß bringen
die Gleichgewichtsbedingungen zum Ausdruck, daß sich Temperatur,
Druck und chemisches Potential innerhalb des Systems nicht ändern.
136
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
Aus der Gleichgewichtsbedingung (8.53) ist zu ersehen, daß für jedes
einfache pV T -System
T = f (s1 , v1 ) = f (s2 , v2 )
(8.57)
gelten muß, d.h.
s1 = s2 = s,
v 1 = v 2 = v.
(8.58)
Analoge Schlußfolgerungen lassen sich aus den restlichen Gleichgewichtsbedingungen (8.54) und (8.55) ziehen. Dies bedeutet, daß die
die konkreten Stabilitätsbedingungen beinhaltende Ungleichung (8.56)
im vorliegenden Fall in der Form
1 ∂ 2U
1 ∂ 2U
1 ∂ 2U
2
2
(δS)
+
(δV
)
+
(δN )2
2
2
2
2 ∂S
2 ∂V
2 ∂N
∂ 2U
∂ 2U
∂ 2U
δSδV +
δSδN +
δV δN > 0
+
∂S∂V
∂S∂N
∂V ∂N
(8.59)
geschrieben werden kann. Wir haben es hier mit dem Spezialfall einer
[im Gegensatz zu (8.30)] positiv definiten quadratischen Form zu tun,
so daß in den Ungleichungen (8.31) und (8.32) das Kleinerzeichen durch
das Größerzeichen zu ersetzen ist. Diese dann auf (8.59) angewendet
liefern die folgenden speziellen Stabilitätsbedingungen für ein pV T System:
2 ∂ U
> 0,
(8.60)
∂S 2 V,N
2 ∂ U
> 0,
(8.61)
∂V 2 S,N
2 2
2 2 ∂ U
∂ U
∂ U
−
> 0.
(8.62)
∂S 2 V,N ∂V 2 S,N
∂S∂V N
Die Stabilitätsbedingung (8.60) liefert
2 ∂ U
∂T
=
>0
∂S 2 V,N
∂S V,N
(8.63)
8.2. STABILITÄT EINES EINFACHEN P V T -SYSTEMS
bzw
1
T
∂T
>0
∂S V,N
1/CV
;
1
> 0,
CV
137
(8.64)
d.h.:
(8.65)
CV > 0
Ein stabiler Gleichgewichtszustand erfordert (für T > 0) eine positive
Wärmekapazität bei konstantem Volumen, d.h., Zuführung von Wärme
bei konstantem Volumen führt zu einer Temperaturerhöhung. Die Stabilitätsbedingung (8.61) liefert
2 ∂ U
∂p
=−
>0
(8.66)
∂V 2 S,N
∂V S,N
bzw.
∂p
−V
∂V
1/κS
>0
S,N
;
1
> 0,
κS
(8.67)
d.h.:
(8.68)
κS > 0
Die adiabatische Kompressibilität muß für stabile Gleichgewichtszustände positiv sein. Eine Vergrößerung des Drucks führt bei konstanter Entropie zu einer Verringerung des Volumens. Die Stabilitätsbedingung (8.62) kann zunächst in die Form
∂T
∂p
∂p
∂T
−
+
>0
(8.69)
∂S V,N ∂V S,N
∂V S,N ∂S V,N
bzw.
∂T
∂p
∂S V,N
∂(T, p)
∂S V,N
= − −
∂p
∂(S, V )
∂T
∂V
∂V S,N
S,N
>0
(8.70)
138
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
gebracht werden. Mit
∂T
∂V
S,N
=−
∂S
∂V
T,N
∂S
∂T
(8.71)
V,N
folgt
∂(T, p)
=
∂(S, V )
∂p
∂V
S,N
∂p
+
∂S V,N
(∂p/∂V )T,N
∂S
∂V
T,N
∂S
∂T
V,N
CV /T
(8.72)
und somit gilt
T
∂(T, p)
=−
−
∂(S, V )
CV
∂p
∂V
> 0.
(8.73)
T,N
Wir berücksichtigen die Bedingung (8.65) und finden
∂p
1
∂p
−
> 0 ; −V
>0 ;
> 0,
∂V T,N
∂V T,N
κT
1/κT
(8.74)
d.h.:
(8.75)
κT > 0
Die isotherme Kompressibilität muß für stabile Gleichgewichtszustände
ebenfalls positiv sein. Da
α2
Cp − CV = V T
= V T p2β 2κT
κT
(8.76)
ist [Gleichung (5.89)], muß also
Cp − CV > 0
;
C p > CV
(8.77)
8.3. GIBBSSCHE PHASENREGEL
139
gelten, und folglich muß für Gleichgewichtszustände wegen (8.65) auch
Cp positiv sein:1
(8.78)
Cp > 0
8.3
Gibbssche Phasenregel
Wir wollen das Gleichgewicht in einem System untersuchen, das aus P
Phasen und K Komponenten (Stoffsorten) besteht, wobei wir annehmen wollen, daß keine Stoffumwandlungen (beispielsweise chemische
Reaktionen) zwischen den einzelnen Komponenten erfolgen. Entsprechend den Überlegungen im Abschnitt 8.1 ist zunächst klar, daß das
Gleichgewicht durch eine Temperatur T und einen Druck p charakterisiert wird (thermisches und mechanisches Gleichgewicht). Wir können
deshalb gleich mit der freien Enthalpie beginnen und nach ihrem Minimum fragen.
Wenn wir den Nichtgleichgewichtszustand als Zustand des gehemmten Gleichgewichts (mit vorgegebenen Anzahlen von Komponenten und
Phasen) auffassen, können wir gemäß (7.41) die freie Enthalpie wie folgt
ansetzen:
i i
i
μα Nα ,
(8.79)
G T, p, {Nα} =
α
i
wobei α = 1, 2, . . . , K die Komponenten und i = 1, 2, . . . , P die Phasen
durchnumerieren, und Nαi die Anzahl der Teilchen der α-ten Komponente in der i-ten Phase (chemisches Potential μiα ) ist.2 Es ist zu erwarten, daß im Gleichgewichtszustand die freie Enthalpie von wesentlich
weniger Variablen (Teilchenzahlen) abhängt. Um diesen zu erhalten,
haben wir das Minimum von G in (8.79) unter der Bedingung zu be1
Dies folgt bereits aus κT /κS = Cp /CV und den Bedingungen (8.65), (8.68), and (8.75).
Wenn gleichzeitig zwischen verschiedenen Stoffkomponenten und verschiedenen Phasen zu unterscheiden ist, sollen die unteren Indizes für die Komponenten und die oberen für die Phasen
stehen.
2
140
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
stimmen, daß die Teilchenzahlen der einzelnen Komponenten,
Nα =
P
Nαi
(α = 1, 2, . . . , K),
(8.80)
i=1
fest vorgegeben sind (d.h. δNα = 0). Wir wenden die Methode der
Lagrange-Multiplikatoren an, d.h.
δ G−
λα Nαi = 0,
(8.81)
α
i
∂G −λα δNαi = 0,
i
∂Nα T,p,{N j |β,j=α,i}
α
i
β
i
μα
μiα − λα δNαi = 0,
α
(8.82)
(8.83)
i
woraus das Gleichungssystem
μiα − λα = 0 (α = 1, 2, . . . , K, i = 1, 2, . . . , P )
(8.84)
folgt; ausführlich
μ11 = μ21 = μ31 = · · · = μP1 ,
μ12 = μ22 = μ32 = · · · = μP2 ,
·
·
·
μ1K = μ2K = μ3K = · · · = μPK .
(8.85)
Da die chemischen Potentiale intensive Größen sind, können sie
bekanntlich nur von Verhältnissen von Teilchenzahlen abhängen, d.h.
von Konzentrationen. Jedes der obigen chemischen Potentiale ist eine
Funktion von 2 + (K − 1) unabhängigen Variablen: von p und T sowie
K − 1 Konzentrationen der verschiedenen Komponenten in der jeweiligen Phase (in jeder Phase gibt es K unabhängige Teilchenzahlen für
8.3. GIBBSSCHE PHASENREGEL
141
die verschiedenen Teilchensorten, zwischen denen es K −1 unabhängige
Verhältnisse gibt). Für P Phasen ist die maximal mögliche Anzahl der
unabhängigen Variablen demnach
2 + P (K − 1).
(8.86)
Das Gleichungssystem (8.85) besteht aus
K(P − 1)
(8.87)
Gleichungen. Das Gleichungssystem (8.85) ist also nur lösbar, wenn
K(P − 1) ≤ 2 + P (K − 1)
(8.88)
gilt (Anzahl der Gleichungen darf Anzahl der Unbekannten nicht übersteigen). Nach P aufgelöst, ergibt sich die Gibbssche Phasenregel:
P ≤K+2
(8.89)
In einem System mit K Komponenten können sich also nicht mehr als
K + 2 Phasen im Gleichgewicht befinden. Ist P < 2 + K, so dürfen
f =K +2−P
(8.90)
Variablen beliebig gewählt werden, wobei f gerade die Zahl der thermodynamischen (d.h. makroskopischen) Freiheitsgrade ist (dieser Sachverhalt wird auch als Gibbssche Phasenregel bezeichnet).
Beispiel: 1-komponentiges System
K=1
;
P ≤ K + 2 = 3,
(8.91)
d.h., maximal 3 Phasen sind möglich.
f = K + 2 − P = 3 − P,
(8.92)
P = 1 (1 Phase)
;
f = 2 (2 Freiheitsgrade),
(8.93)
P = 2 (2 Phasen)
;
f = 1 (1 Freiheitsgrad),
(8.94)
P = 3 (3 Phasen)
;
f = 0 (kein Freiheitsgrad).
(8.95)
142
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
8.4
Osmotischer Druck
Die semipermeable Wand in der Abbildung soll für die Lösungsmittelmoleküle (unterer Index 1) durchlässig sein, nicht jedoch für die Moleküle des gelösten Stoffes (unterer Index 2). Im Gleichgewicht stellt
sich in der Lösung ein höherer Druck als im Lösungsmittel ein; die
Druckdifferenz ist der osmotische Druck. Da (neben den Stoffmengen
p2
p1
N11 N21
T
N12 (N22 = 0)
semipermeable Wand
der beiden Komponenten) Temperatur und Volumen fest vorgegeben
sind, finden wir den Gleichgewichtszustand als Minimum der freien
Energie F = F (T, V, N11, N21, N12 , N22)
δF =
∂F
∂F
∂F
∂F
1
2
1
δN
+
δN
+
δN
+
δN22 = 0
1
1
2
1
2
1
2
∂N1
∂N1
∂N2
∂N2
(8.96)
mit den Nebenbedingungen
N11 + N12 = N1 = const.,
(8.97)
N21 = const.,
(8.98)
N22 = 0.
Folglich finden wir
δF =
∂F
∂F
−
1
∂N1
∂N12
δN11 = 0,
(8.99)
d.h.
∂F
∂F
=
∂N11
∂N12
;
μ11 = μ21
(8.100)
8.4. OSMOTISCHER DRUCK
143
oder ausführlicher:3
μ11 (T, p1, n̄11) = μ21 (T, p2)
N11
1
n̄1 = 1
N1 + N21
(8.101)
Beschränken wir uns auf hinreichend verdünnte Lösungen, so gilt gemäß
(7.102) näherungsweise
μ11 (T, p1, n̄11) = ḡ1(T, p1) + kT ln n̄11 .
N21
N21
= − ln 1 + 1 ≈ − 1
N1
N1
lautet (8.102) in der gleichen Näherung
(8.102)
Mit
ln n̄11
μ11 (T, p1, n̄11) = ḡ1 (T, p1) − kT
N21
.
N11
(8.103)
(8.104)
Damit nimmt die Gleichgewichtsbedingung (8.101) die Form
N21
ḡ1 (T, p ) − kT 1 = ḡ1 (T, p2)
N1
1
(8.105)
an. Da sich p2 nur wenig von p1 unterscheiden kann, dürfen wir
2
V1
∂ḡ
1
1
1
ḡ1 (T, p2) ≈ ḡ1 (T, p1) +
−
p
=
ḡ
(T,
p
)
−
pos (8.106)
p
1
∂p1 T N11
−pos
setzen, und (8.105) liefert:
kT N21 = pos V 1
(8.107)
Der osmotische Druck pos von N21 im Volumen V 1 gelösten Teilchen ist
also (in der gemachten Näherung einer hinreichend verdünnten Lösung)
gleich dem Druck von N21 Teilchen eines idealen Gases vom Volumen
V 1 und hängt somit nicht von der Art des gelösten Stoffes und der Art
des Lösungsmittels ab.
3
In (8.101) sind die spezifischen Volumina zu Gunsten der Drücke eliminiert.
144
8.5
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
Siedepunkterhöhung
punkterniedrigung
und
Gefrier-
Wir wollen das Gleichgewicht einer verdünnten Lösung mit dem Dampf
des Lösungsmittels untersuchen, wobei wir annehmen wollen, daß der
gelöste Stoff nicht flüchtig ist. Die Phasengrenzfläche hat gewissermaßen die gleiche Wirkung wie die semipermeable Wand beim osmotischen Druck. Da im Gleichgewicht Temperatur und Druck in beiden
Phasen gleich sein müssen, kann gleich von der freien Enthalpie G =
G(p, T, N11, N21, N12, N22 ) ausgegangen werden und es verbleibt [analog
zu (8.101)] als Gleichgewichtsbedingung die Gleichheit der chemischen
Potentiale [nunmehr jedoch für p1 = p2 = p]:
μ11 (T, p, n̄11)
=
μ21 (T, p)
n̄11
N11
= 1
N1 + N21
(8.108)
Für verdünnte Lösungen erhalten wir in völliger Analogie zur Herleigasförmige Phase: N12 (N22 = 0)
pT
flüssige Phase: N11 , N21
tung der Gleichung (8.105)
ḡ11 (T, p) −
N21
kT 1 = ḡ12 (T, p).
N1
(8.109)
Im Unterschied zu (8.105), wo die spezifischen freien Enthalpien des
Lösungsmittels bei unterschiedlichen Drücken auftreten (unterschieden
durch die oberen Indizes), haben wir es hier mit den spezifischen freien Enthalpien des flüssigen und gasförmigen Lösungsmittels bei gleichen Drücken zu tun (keine obere Indizierung). Für den Fall des reinen
8.5. SIEDEPUNKT- UND GEFRIERPUNKTÄNDERUNG
145
Lösungsmittels geht (8.109) in die bekannte Beziehung des Phasengleichgewichts
ḡ11 (T, p) = ḡ12 (T, p)
(8.110)
über. Wir benennen die Temperatur und den Druck in (8.110) in T1
und p1 um,
ḡ11 (T1, p1) = ḡ12 (T1, p1),
(8.111)
und vergleichen mit (8.109). Dazu entwickeln wir bei T, p und brechen
(wegen N21 /N11 1) mit den linearen Gliedern ab:
1
1
∂ḡ
∂ḡ1
1
(p1 − p) +
(T1 − T )
ḡ11 (T, p) +
∂p T
∂T p
2
2
∂ḡ
∂ḡ1
1
= ḡ12 (T, p) +
(p1 − p) +
(T1 − T ), (8.112)
∂p T
∂T p
d.h.
ḡ11 (T, p) − v̄11 − v̄12 (p − p1 ) + s̄11 − s̄21 (T − T1 ) = ḡ12 (T, p). (8.113)
Wir vergleichen (8.113) mit (8.109) und finden
1
1
N21
2
2
v̄1 − v̄1 Δp − s̄1 − s̄1 ΔT = kT 1
N1
(8.114)
(Δp = p − p1, ΔT = T − T1).
Wir werten die Gleichung (8.114) für die beiden Fälle Δp = 0 und
ΔT = 0 aus.
• Wir setzen in (8.114) Δp = 0 und erhalten
kT N21
ΔT = 2
s̄1 − s̄11 N11
(8.115)
kT 2 N21
ΔT =
q̄12 N11
(8.116)
bzw.
146
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
mit
q12 = T s̄21 − s̄11
(8.117)
als der spezifischen Phasenumwandlungswärme. Für den Übergang flüssig → dampfförmig ist q12 > 0, und folglich gilt ΔT > 0,
d.h., im Vergleich zum reinen Lösungsmittel ergibt sich für die
Lösung eine Siedepunkterhöhung. Die Gleichung (8.116) kann insbesondere benutzt werden, um aus der gemessenen Siedepunkterhöhung das Molekulargewicht M2 = Lm2 des gelösten Stoffes
zu bestimmen (m2 - Masse eines Moleküls des gelösten Stoffes).
Es sei q̄12 → q̄12/m1 die spezifische Phasenumwandlungswärme pro
Gramm des Lösungsmittels (m1 - Masse eines Lösungsmittelmoleküls), und es seien 11 und 12 die Massendichten von Lösungsmittel und gelöstem Stoff in der flüssigen Phase. Mit obigen Größen
folgt aus (8.116)
RT 2 12 1
M2 =
.
(8.118)
q̄12 11 ΔT
Die obigen Überlegungen gelten sinngemäß auch für das Gleichgewicht zwischen flüssiger und fester Phase. Im Falle einer verdünnten Lösung beginnt die Erstarrung mit der Ausscheidung des reinen Lösungsmittels. Beschränken wir uns auf die Ermittlung der
Temperatur der beginnenden Ausscheidung des reinen Lösungsmittels,4 so sind obige Gleichungen anwendbar. Da für den Übergang flüssig → fest q12 < 0 ist, gilt nunmehr ΔT < 0. Im Vergleich zum reinen Lösungsmittel tritt also eine Gefrierpunkterniedrigung ein.5
• Wir setzen in (8.114) ΔT = 0 und erhalten:
kT N21
Δp = 1
v̄1 − v̄12 N11
4
(8.119)
Die Erstarrung der Lösung ist relativ kompliziert, da sie in einem endlichen Temperaturintervall
erfolgt.
5
Die Gleichung (8.116) [bzw. (8.118)] gilt nur für nichtdissoziierende Stoffe. Im Falle von Dissoziation wird eine wesentlich größere Siedepunkterhöhung bzw. Gefrierpunkterniedrigung gemessen.
Es ist klar, daß in diesem Fall keine binäre Lösung mehr vorliegt.
8.6. CHEMISCHES GLEICHGEWICHT
147
Beim Übergang von der flüssigen in die dampfförmige Phase
können wir wegen v̄11 v̄12 näherungsweise
kT N21
Δp = − 2 1
v̄1 N1
(8.120)
schreiben, d.h., es ergibt sich eine Dampfdruckerniedrigung. Beim
Übergang von der flüssigen zur festen Phase kann v11 größer oder
auch kleiner als v12 sein, so daß sowohl Δp > 0 als auch Δp < 0
möglich ist.
8.6
Chemisches Gleichgewicht
Chemische Reaktionen, die in einer Mischung von miteinander reagierenden Stoffen ablaufen, führen schließlich dazu, daß sich ein Gleichgewichtszustand einstellt, in dem sich die Menge eines jeden an den
Reaktionen beteiligten Stoffes nicht mehr ändert. Diesen Fall eines
thermodynamischen Gleichgewichts nennt man chemisches Gleichgewicht. Eine chemische Reaktion verläuft i. allg. in beiden Richtungen. Während vor Erreichen des Gleichgewichts die Reaktion in eine
Richtung überwiegt und sich die Teilchenzahlen der reagierenden Stoffe
ändern, nehmen sie im chemischen Gleichgewicht konstante Werte an.
Gegenstand der Gleichgewichtsthermodynamik ist die Untersuchung
des chemischen Gleichgewichts allein und nicht der Reaktionen dorthin.
Chemische Reaktionen schreibt man gewöhnlich in symbolischer
Form als stöchiometrische Gleichungen,
να Aα = 0,
(8.121)
α
wobei die Aα die chemischen Symbole der reagierenden Stoffe und die
stöchiometrischen Koeffizienten να ganze positive oder negative Zahlen
sind, z.B.
2H2 + O2 ↔ 2H2O
;
−2H2 − O2 + 2H2O = 0,
(8.122)
νH2 = −2, νO2 = −1, νH2 O = 2. Wir wollen annehmen, daß die chemische
Reaktion (8.121) bei konstanter Temperatur und konstantem Druck
148
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
abläuft, so daß im Gleichgewicht [G = G(T, p, {Nα})]
∂G δNα =
μα δNα = 0
δG =
∂N
α
T,p,{N
|β
=
α}
β
α
α
(8.123)
zusammen mit der Nebenbedingung (8.121) gelten muß. Ändert sich
bei der Reaktion die Anzahl der Moleküle des β-ten Stoffes Aβ um ξνβ ,
so muß sich jede Molekülzahl um ξνα ändern, d.h.
;
Nα = Nα(0) + ξνα
δNα = να δξ
(8.124)
(ξ - Reaktionslaufzahl). Damit folgt aus (8.123), da δξ beliebig ist,
να μα = 0
α
(8.125)
als die allgemeinste Form der Gleichgewichtsbedingung für eine chemische Reaktion bei konstantem Druck und konstanter Temperatur. Zu
ihrer Auswertung wird die genaue Kenntnis der chemischen Potentiale
benötigt. Eine Hauptaufgabe der chemischen Thermodynamik besteht
deshalb darin, die chemischen Potentiale (durch geeignete Messungen)
zu bestimmen. Die Änderung der freien Enthalpie bei einem Reaktionsumsatz (ξ = 1) ist
Δḡ =
να μα .
(8.126)
α
Diese Größe wird auch als Affinität bezeichnet. Im Gleichgewicht muß
also die Affinität verschwinden.
Massenwirkungsgesetz
Betrachten wir ideale Mischungen, für die wie im Falle idealer Gase
μα = ḡα (T, p) + kT ln n̄α
[Gleichung (7.66)] gilt, so daß (8.125) die Form
να ḡα (T, p) + kT
να ln n̄α = 0
α
α
(8.127)
(8.128)
8.6. CHEMISCHES GLEICHGEWICHT
149
annimmt. Wir definieren
1 K(T, p) = exp −
να ḡα (T, p)
kT α
(8.129)
und erhalten das Massenwirkungsgesetz
ln K(T, p) =
να ln n̄α
(8.130)
α
bzw.:
n̄ναα = K(T, p)
α
(8.131)
Betrachten wir die Druckabhängigkeit von ln K(T, p) etwas genauer.
Aus (8.129) folgt
∂
ln K(T, p)
∂p
T
∂ḡα (T, p)
1 =−
να
,
kT α
∂p
T
v̄α
(8.132)
d.h.
wobei
∂
ln K(T, p)
∂p
T
=−
1 να v̄α
kT α
να v̄α = Δv̄
(8.133)
(8.134)
α
die bei einem Reaktionsumsatz (ξ = 1) auftretende spezifische Volumenänderung ist. Verwenden wir speziell die thermische Zustandsglei-
150
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
chung des idealen Gases, v̄α = kT /p, so finden wir
∂
να
∂
ln K(T, p) = −
=−
ln p
να
∂p
p
∂p
T
T
α
α
∂
∂
− α να
−
ln p
=
να ln p
=
,
∂p
∂p
T
α
(8.135)
T
d.h.
K(T, p) = K̃(T ) p
−
α
να
(8.136)
wobei K̃(T ) offensichtlich nicht mehr vom Druck abhängt.
Wenden wir uns nunmehr der Temperaturabhängigkeit von
ln K(T, p) zu:
∂
ln K(T, p)
∂T
p
∂ḡα (T, p)
1 1 =
να ḡα (T, p) −
να
kT 2 α
kT α
∂T
p
−s̄α
1 =
να [ḡα (T, p) + T s̄α (T, p)],
(8.137)
kT 2 α
h̄α
d.h.
wobei
∂
ln K(T, p)
∂T
=
p
1 να h̄α
kT 2 α
να h̄α = Δh̄ = Δq̄
(8.138)
(8.139)
α
die bei einem Reaktionsumsatz (ξ=1) zugeführte (endotherme Reaktion) bzw. freiwerdende (exotherme Reaktion) Wärmemenge ist.6
6
Beachte, daß für isobare Reaktionen Δh̄ = Δq̄ gilt.
8.6. CHEMISCHES GLEICHGEWICHT
151
Schlußfolgerungen:
• Wächst K(T, p), dann nehmen gemäß (8.131) die Konzentrationen n̄α der Stoffe zu, die zu positiven stöchiometrischen Koeffizienten gehören, d.h., das Gleichgewicht verschiebt sich zugunsten
der Endstoffe.
• Ist Δv̄ < 0 (d.h., die Endstoffe nehmen ein kleineres Volumen ein
als die Ausgangsstoffe), dann folgt aus (8.133)
∂
ln K(T, p) > 0,
(8.140)
∂p
T
und somit wächst K(T, p) mit zunehmendem Druck, was bedeutet, daß die Konzentrationen der Endstoffe vergrößert werden. Ist
umgekehrt Δv̄ > 0 (d.h., die Ausgangsstoffe nehmen ein kleineres
Volumen ein als die Endstoffe), dann werden die Konzentrationen der Ausgangsstoffe mit wachsendem Druck vergrößert. Für
Δv̄ = 0 ist keine Konzentrationsänderung durch Druckänderung
möglich.
• Ist Δq̄ < 0 (exotherme Reaktion), dann folgt aus (8.138)
∂
ln K(T, p) < 0,
(8.141)
∂T
p
und somit nimmt K(T, p) mit zunehmender Temperatur ab. Eine Temperaturerhöhung verschiebt also das Gleichgewicht zu den
Ausgangsstoffen hin. Ist umgekehrt Δq̄ > 0 (endotherme Reaktion), dann verschiebt eine Temperaturerhöhung das Gleichgewicht
zu den Endstoffen hin.
Wir wollen die Frage der optimalen Konzentrationen der Ausgangsstoffe untersuchen, d.h. derjenigen Konzentrationen, für die im Gleichgewicht maximaler Umsatz (maximales ξ) realisierbar ist. Es sei K (i)
die Anzahl der Ausgangskomponenten, so daß gemäß unserer Konvention
< 0 f ür α ≤ K (i)
να
(8.142)
> 0 f ür α > K (i)
152
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
gilt. Die Ausgangssituation sei durch
Nα(i) = 0 f ür α > K (i)
(8.143)
(i)
festgelegt. Die Teilchenzahlen Nα sollen nun so gewählt werden, daß
bei gegebener (fester) Gesamtteilchenzahl der Ausgangsstoffe, d.h. unter Berücksichtigung der Nebenbedingung
(i)
N =
Nα(i) = const. ; δN (i) = 0,
(8.144)
α
(i)
ξ maximal wird. Dazu ist das Maximum der Funktion ξ = ξ(Nα ) unter der Nebenbedingung (8.144) zu bestimmen, wobei die Funktion ξ
(i)
= ξ(Nα ) ihrerseits aus dem Massenwirkungsgesetz (8.130) bestimmt
werden kann, indem in
Nα
(8.145)
να ln
ln K(T, p) =
N
α
die Ausdrücke
Nα = Nα(i) + ξνα ,
N=
Nα = N (i) +
α
ξνα
(8.146)
α
einzusetzen sind und dann nach ξ umzustellen ist – eine Aufgabe, die
explizit nicht ganz einfach zu lösen ist. Wir gehen deshalb von der
impliziten Darstellung (8.145) aus und bilden
Nα
δ
+λ
να ln
Nα(i) = 0,
(8.147)
N
α
α
woraus zunächst
α
(i)
K
δNα δN
+λ
να
−
να
δNα(i) = 0
Nα
N
α
α=1
folgt. Mit
δNα =
(i)
δNα + να δξ
να δξ
f ür α ≤ K (i)
f ür α > K
(i)
(8.148)
(8.149)
8.6. CHEMISCHES GLEICHGEWICHT
und
δN =
153
να δξ
(8.150)
α
sowie δξ = 0 (Maximum!) erhalten wir
(i)
K
α=1
να
(i)
Nα
+ ξνα
d.h.
+ λ δNα(i) = 0,
να
(i)
+ λ = 0.
(8.151)
(8.152)
Nα + ξνα
Wir formen (8.152) etwas um:
Nα(i) = −να
1
+ξ
λ
K (i)
1
+ξ
=−
να ,
λ
α=1
;
N (i)
(8.153)
(i)
Nα
να
=
K (i)
N (i)
να
(8.154)
α=1
Die Konzentrationen der Ausgangsstoffe sind also proportional zu den
stöchiometrischen Koeffizienten zu wählen, um ξ zu maximieren.
154
KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT
Kapitel 9
Phasenübergänge
Wie wir wissen (Abschnitt 8.1), befinden sich zwei Phasen eines (einkomponentigen) pV T -Systems im Gleichgewicht, wenn die Temperaturen, die Drücke und die chemischen Potentiale in den beiden Phasen
jeweils gleich sind (T1 = T2 ≡ T , p1 = p2 ≡ p, μ1 = μ2 ≡ μ). Wenn die chemischen Potentiale der beiden Phasen als Funktionen von Temperatur
und Druck gegeben sind, dann liefert die Gleichung
μ1 (T, p) = μ2 (T, p)
(9.1)
die Grenzkurve p = p(T ) [bzw. T = T (p)], deren Punkte Zustände des
Phasengleichgewichts darstellen. Die folgende Abbildung zeigt den qualitativen Verlauf der Grenzkurven eines pV T -Systems. Bekanntlich stelp
fest
flüssig
kritischer Punkt
gasförmig
Tripelpunkt
T
155
156
KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE
len die chemischen Potentiale der beiden Phasen die spezifischen freien
Enthalpien der Phasen dar [μ= ḡ, Gleichung (7.30)], die als Funktionen
von Temperatur und Druck Potentialcharakter besitzen. Der Sachverhalt (9.1) kann also auch in der Form
ḡ1 (T, p) = ḡ2 (T, p)
(9.2)
geschrieben werden. Der Unterschied zwischen flüssiger und
dampfförmiger Phase verschwindet im kritischen Punkt [d.h., der
Unterschied zwischen den Funktionen ḡ1(T, p) und ḡ2 (T, p) verschwindet dort]. Die Grenzkurve zweier Phasen kann nur dann in einem
kritischen Punkt enden (d.h., ein kritischer Punkt kann nur dann existieren), wenn der Unterschied zwischen den Phasen rein quantitative
Ursachen hat, wie es für die flüssige und gasförmige Phase der Fall ist.
Beide Phasen unterscheiden sich offensichtlich nur in der Stärke der
Wechselwirkung der Moleküle untereinander, so daß (beim Umfahren
des kritischen Punkts) ein kontinuierlicher Übergang zwischen beiden
Phasen möglich ist. Stattdessen sind Phasen wie Flüssigkeit und
kristalliner Festkörper oder verschiedene kristalline Modifikationen
eines Stoffes qualitativ verschieden, weil sie sich durch ihre innere
Symmetrie unterscheiden. Diese existiert oder existiert nicht und kann
folglich nur plötzlich, aber nicht allmählich erscheinen. In solch einem
Fall kann immer gesagt werden, welche Phase realisiert ist, und ein
kritischer Punkt existiert daher nicht. Die Grenzkurve muß entweder
bis ins Unendliche gehen oder so enden, daß sie die Grenzkurven
anderer Phasen schneidet.
Ehe wir uns dem Verhalten eines pV T -Systems an einem Phasenumwandlungspunkt auf der Grenzkurve genauer zuwenden, ist es zunächst
nützlich, eine gewisse qualitative Klarheit über bestimmte funktionale
Abhängigkeiten der Zustandsgrößen für den Fall nur einer Phase zu
gewinnen. Ihre spezifische freie Enthalpie sei ḡ(T, p). Aus1
2 ∂ ḡ
∂s̄
c̄p
<0
(9.3)
=
−
=
−
∂T 2 p
∂T p
T
1
Siehe die Abschnitte 5.3 and 8.2.
157
(T > 0) ist ersichtlich, daß ḡ (für festes p) eine konkave Funktion von T
sein muß. Desgleichen muß ḡ auch (für festes T ) eine konkave Funktion
von p sein:
2 ∂ ḡ
∂v̄
=
= −v̄ κT < 0.
(9.4)
∂p2 T
∂p T
Aus dem Verlauf von ḡ als einer (für festes T ) konkaven Funktion von
p kann dann v̄ mittels der Beziehung
∂ḡ
(9.5)
v̄ =
∂p T
als Funktion von p (für festes T ) konstruiert werden.
ḡ
v̄
p
p
Es sei f¯(T, v̄) die spezifische freie Energie der betrachteten Phase.
Sie ist (für festes v̄) ebenfalls eine konkave Funktion von T , jedoch (für
festes T ) eine konvexe Funktion von v̄, wie unschwer zu sehen ist:
2 ¯
c̄V
∂s̄
∂ f
< 0,
(9.6)
=
−
=
−
∂T 2 v̄
∂T v̄
T
2 ¯
∂ f
∂p
1
=
−
=
> 0.
(9.7)
∂v̄ 2 T
∂v̄ T
v̄κT
Aus dem Verlauf von f¯ als einer (für festes T ) konvexen Funktion von
v̄, kann dann p mittels der Beziehung
¯
∂f
(9.8)
p=−
∂v̄ T
wiederum als Funktion von v̄ (für festes T ) konstruiert werden.
158
KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE
p
f¯
v̄
9.1
v̄
Phasenübergänge 1. Art
Wir dehnen nunmehr unsere Betrachtungen auf ein Zweiphasensystem
aus, wobei wir annehmen wollen, daß die sich schneidenden Kurven 1
und 2 in der folgenden (linken) Abbildung die spezifischen freien Enthalpien der zwei Phasen als Funktionen des Druckes (bei fester Temperatur) darstellen mögen. Der Schnittpunkt der beiden Kurven bestimmt
ḡ
2
1
v̄
v̄2
v̄1
p0
p
p0
p
dann den Druck p0, bei dem sich (bei gegebener Temperatur T0) die
beiden Phasen im Gleichgewicht miteinander befinden. Bei allen anderen Drücken kann entweder nur die eine oder andere Phase existieren
(und zwar immer die mit der geringeren spezifischen freien Enthalpie
– blaue Kurve). Offensichtlich ist (bei fester Temperatur) ḡ als Funktion von p am Schnittpunkt (d.h. an einem Phasenumwandlungspunkt
gemäß der Grenzkurve) nicht stetig nach p differenzierbar, und somit
zeigt v̄ als Funktion von p (für festes T) bei p0 einen endlichen Sprung.2
2
Dies entspricht genau dem Verhalten, wie wir es bereits im Zusammenhang mit der Van der
Waals-Gleichung im Abschnitt 5.3.2 diskutiert haben.
9.1. PHASENÜBERGÄNGE 1. ART
159
Dieses Verhalten kann natürlich auch aus der spezifischen freien
Energie
f¯ = ḡ − p v̄
(9.9)
des Systems (als Funktion von T und v̄) abgeleitet werden, wie es in
der folgenden Abbildung skizziert ist. Für gegebene Temperatur ist
bei Koexistenz der beiden Phasen der Druck (gemäß der Grenzkurve)
konstant, so daß zwischen v̄1 (Einsetzen der Phasenumwandlung) und
v̄2 (Beendigung der Phasenumwandlung) f¯ als Funktion von v̄ (bei
gegebenem T0) linear abfällt und somit der bekannte Kurvenverlauf für
den Druck als Funktion des spezifischen Volumens folgt.
p
f¯
p0
v̄1
v̄2 v̄
v̄1
v̄2 v̄
Die Überlegungen für die spezifische freie Enthalpie als Funktion
des Druckes (bei fester Temperatur) können sinngemäß auch auf die
spezifische freie Enthalpie als Funktion der Temperatur (bei festem
Druck) angewendet werden, wobei nunmehr zu berücksichtigen ist, daß
∂ḡ
s̄ = −
(9.10)
∂T p
gilt. Wie in der folgenden (rechten) Abbildung skizziert, zeigt die spezifische Entropie einen Sprung beim Phasenübergang. Betrachten wir die
linke Abbildung, die die spezifischen freien Enthalpien zweier Phasen
als Funktion der Temperatur (bei gegebenem Druck p0 ) darstellt. Der
Schnittpunkt der beiden Kurven bestimmt nunmehr die Temperatur
T0, bei der beide Phasen miteinander im Gleichgewicht sind. Bei allen
anderen Temperaturen kann (entsprechend der blau gezeichneten Kurve) nur eine Phase existieren. Offensichtlich ist für T < T0 die Phase 1
160
KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE
ḡ
s̄
1
s̄2
2
T0
s̄1
T
T0
T
und für T > T0 die Phase 2 stabil, und es gilt für T = T0
∂ḡ1
∂ḡ2
∂ḡ1
∂ḡ2
>
; −
<−
,
∂T p
∂T p
∂T p
∂T p
s̄1
s̄2
q̄12 = h̄2 − h̄1 = T0(s̄2 − s̄1 ) > 0
(9.11)
(9.12)
Ein mit einer Temperaturerhöhung (Temperaturerniedrigung) verbundener Übergang von einer Phase in eine andere ist mit einer Zufuhr
(Abgabe) von Wärme, der Übergangswärme oder Umwandlungswärme,
verbunden.
In differentieller Form lautet (9.2)
dḡ1 (T, p) = −s̄1 dT + v̄1 dp
= −s̄2 dT + v̄2 dp = dḡ2 (T, p),
d.h.
(9.13)
dp
s̄2 −s̄1
Δs̄
=
=
dT
v̄2 −v̄1
Δv̄
(9.14)
dp
q̄12
=
dT
T (v̄2 −v̄1)
(9.15)
bzw. (T → T0)
9.1. PHASENÜBERGÄNGE 1. ART
161
Die Clausius-Clapeyron-Gleichung (9.15) gilt ganz allgemein für
alle Phasenumwandlungen, bei denen Umwandlungswärmen auftreten
(z.B. Phasenübergänge flüssig-gasförmig,3 fest-flüssig, fest-gasförmig).
Beim Übergang Flüssigkeit → Dampf gilt
v̄2 > v̄1,
q̄12 > 0
dT
> 0.
dp
(9.16)
Bei einer Druckzunahme erhöht sich also der Siedepunkt. Entsprechend
verschiebt sich der Schmelzpunkt bei einer Druckzunahme zu höheren
oder niedrigeren Temperaturen hin in Abhängigkeit davon, ob das Volumen der flüssigen Phase größer oder kleiner als das der festen Phase
ist.
Beispiel: Übergang flüssig (fest) → dampfförmig
Wir wenden die Formel (9.15) auf den Fall des Gleichgewichts einer
festen oder flüssigen Phase mit der dampfförmigen Phase an. In diesem
Fall kann v̄1 in (9.15) wegen v̄2 v̄1 weggelassen werden. Sehen wir
ferner den Dampf (näherungsweise) als ideales Gas an, so liefert (9.15)
dp
q̄12
q̄12p
dT
T v̄2
kT 2
(9.17)
bzw.
d ln p
q̄12
.
(9.18)
dT
kT 2
Um diese Gleichung weiter auszuwerten, bedarf es der Kenntnis der
Übergangswärme. Wir wollen sie unter den gemachten Annahmen berechnen {h̄ = h̄[T, p(T )]}:
dq̄12
d =
h̄2 − h̄1
dT
dT
dp
dp
∂ h̄1
∂ h̄2
∂ h̄1
∂ h̄2
−
+
−
=
∂T p
∂p T dT
∂T p
∂p T dT
dp
∂ h̄2
∂ h̄1
= (c̄p )2 − (c̄p )1 +
.
(9.19)
−
∂p T
∂p T dT
3
Im Falle des Phasenübergangs flüssig-gasförmig wird die Gleichung (9.15) auch als Dampfdruckformel von Clausius und Clapeyron bezeichnet.
162
KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE
Wir fassen h̄(T, p) nunmehr als h̄ = h̄[p, s̄(T, p)] auf und finden
∂ h̄
∂s̄
∂ h̄
∂ h̄
∂s̄
=
+
= v̄ + T
,
(9.20)
∂p T
∂p s̄
∂s̄ p ∂p T
∂p T
woraus sich mit der [aus ḡ = ḡ(T, p) folgenden] Maxwell-Beziehung
∂s̄
∂v̄
−
=
(9.21)
∂p T
∂T p
∂ h̄
∂v̄
= v̄ − T
(9.22)
∂p T
∂T p
ergibt. Damit nimmt (9.19) die Form
dq̄12
dp
∂(v̄2 − v̄1)
= (c̄p )2 − (c̄p )1 + v̄2 − v̄1 − T
dT
∂T
dT
p
dp
∂v̄2
(c̄p)2 − (c̄p )1 + v̄2 − T
∂T p dT
k dp
(9.23)
(c̄p)2 − (c̄p )1 + v̄2 − T
p dT
0
an, d.h. [Δc̄p = (c̄p )2 − (c̄p )1]
dq̄12
Δc̄p .
dT
(9.24)
Nehmen wir an, daß in der Umgebung einer gewissen Temperatur T (0)
die Differenz der spezifischen Wärmen Δc̄p nahezu konstant ist, so gilt
(zumindest für kleine Temperaturdifferenzen T − T (0) ) näherungsweise
(0)
q̄12 = Δc̄p (T − T (0) ) + q̄12 .
(9.25)
Wir setzen dieses Ergebnis in (9.18) ein und erhalten
(0)
d ln p Δc̄p q̄12 − Δc̄p T (0)
=
+
.
dT
kT
kT 2
(9.26)
9.2. PHASENÜBERGÄNGE HÖHERER ORDNUNG
163
Die Lösung dieser Differentialgleichung lautet
Δc̄p /k
(0)
p
T
q̄12 − Δc̄p T (0) (0)
ln (0) = ln
+
T −T
p
T (0)
kT (0) T
bzw.
p
=
p(0)
9.2
T
T (0)
Δc̄p /k
exp
(0)
q̄12
− Δc̄p T
kT (0)
(0)
1−
(0)
T
T
(9.27)
.
(9.28)
Phasenübergänge höherer Ordnung
Für die bisher betrachteten Phasenübergänge (eines pV T -Systems) gilt,
daß die spezifische freie Enthalpie ḡ stetig von der einen Phase in die
andere übergeht, während ihre Ableitungen am Umwandlungspunkt
Sprünge erfahren, d.h., die Größen
∂ḡ
∂ḡ
s̄ = −
,
v̄ =
(9.29)
∂T p
∂p T
haben verschiedene Werte in den beiden Phasen. Es sind jedoch auch
Phasenumwandlungen bekannt, bei denen nicht nur ḡ, sondern auch die
Ableitungen von ḡ an der Phasengrenzkurve stetig ineinander übergehen. Beispiele sind
– der Übergang vom normalleitenden in den supraleitenden Zustand ohne äußeres Magnetfeld,
– der Übergang von Ordnungs- zu Unordnungszuständen in Legierungen,
– strukturelle Phasenübergänge wie etwa der Übergang von αQuarz zu β-Quarz.
Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Phasenübergängen
höherer Ordnung. Formal kann ein Phasenübergang n-ter Ordnung (eines pV T -Systems) wie folgt definiert werden:
k k k k ∂ ḡ1
∂ ḡ2
∂ ḡ1
∂ ḡ2
=
,
=
(k ≤ n − 1) (9.30)
∂T k p
∂T k p
∂pk T
∂pk T
164
KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE
∂ nḡ1
∂T n
p
=
∂ n ḡ2
∂T n
,
p
∂ nḡ1
∂pn
T
=
∂ nḡ2
∂pn
.
(9.31)
T
Betrachten wir einen Phasenübergang 2. Art etwas genauer. Gemäß
der Definition (9.30) und (9.31) gilt im Falle n = 2
ḡ1 (T, p) = ḡ2 (T, p)
und wegen der Gleichheit der ersten
∂ḡ1
∂ḡ2
=
,
∂T p
∂T p
−s̄1 (T, p) −s̄2 (T, p)
Ableitungen
∂ḡ2
∂ḡ1
=
,
∂p T
∂p T
v̄1 (T, p)
v̄2(T, p)
(9.32)
(9.33)
d.h.:
s̄1 (T, p) = s̄2 (T, p)
(9.34)
v̄1(T, p) = v̄2(T, p)
(9.35)
und:
Aus (9.34) folgt
∂s̄1
∂s̄1
∂s̄2
∂s̄2
dT +
dp =
dT +
dp.
∂T p
∂p T
∂T p
∂p T
(9.36)
Wir berücksichtigen, daß
∂s̄
∂T
=
p
c̄p
T
ist und die Maxwell-Beziehung
∂v̄
∂s̄
=−
= −v̄α
∂p T
∂T p
(9.37)
(9.38)
9.2. PHASENÜBERGÄNGE HÖHERER ORDNUNG
165
gilt, so daß unter Beachtung von (9.35) die Gleichung (9.36) auf die
Form
(c̄p )1
(c̄p )2
dT − v̄α1 dp =
dT − v̄α2 dp
(9.39)
T
T
bzw.
dp
(c̄p )2 − (c̄p )1 = T v̄ (α2 − α1 )
(9.40)
dT
Δα
Δc̄p
gebracht werden kann, d.h.:
dp
Δc̄p
=
dT
T v̄Δα
(9.41)
Die Gleichung (9.41) stellt in gewisser Weise ein Analogon der Clausius-Clapeyron-Gleichung (9.15) für Phasenübergänge 2. Art dar. Die
Gleichung wird auch als 1. Ehrenfestsche Gleichung bezeichnet. In ähnlicher Weise kann aus der Gleichung (9.35) die 2. Ehrenfestsche Gleichung hergeleitet werden. Durch Differentiation folgt zunächst
∂v̄1
∂v̄1
∂v̄2
∂v̄2
dT +
dp =
dT +
dp.
(9.42)
∂T p
∂p T
∂T p
∂p T
Wir drücken die Ableitungen durch α und κT aus und erhalten mit Δα
= α2 − α1 und ΔκT = (κT )2 − (κT )1:
dp
Δα
=
dT
ΔκT
(9.43)
Elimination von dp/dT aus den Gleichungen (9.41) und (9.43) liefert
folgenden Zusammenhang zwischen den Sprüngen von c̄p , α und κT :
ΔκT Δc̄p − T v̄(Δα)2 = 0.
(9.44)
Für einen Phasenübergang 2. Art ist beispielsweise das in der Abbildung dargestellte Sprungverhalten der Wärmekapazität typisch. Es
166
KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE
c̄p
T
ist nicht immer ganz einfach zu entscheiden, ob endliche Sprünge der
Wärmekapazität vorliegen (Phasenumwandlungen 2. Art) oder endliche Sprünge der Entropie (Phasenumwandlungen 1. Art), die sehr klein
sein können. So beobachtet man auch Phasenübergänge mit einem sogenannten λ-Punkt, wie in der folgenden Abbildung skizziert ist (z.B.
Übergang von flüssigem Helium I zum flüssigem Helium II). In diec̄p
T
sem Fall besitzt T als Funktion von s̄ am Phasenumwandlungspunkt
einen horizontalen Wendepunkt. Qualitativ ist das Verhalten von T als
Funktion von s̄ für einen Phasenübergang 1. Art (a) und zweiter Art
(b) sowie eine Phasenumwandlung mit λ-Punkt (c) in der Abbildung
auf Seite 167 dargestellt.
Neben den genannten Nicht-Analyzitäten sind als weitere typische
Merkmale von Phasenübergängen die Ordnungsparameter zu nennen. Die Bezeichnung Ordnungsparameter drückt aus, daß diese Größen
etwas mit dem Wechsel des Ordnungszustandes zu tun haben. In einem
thermodynamischen System existieren stets zwei gegenläufige Tendenzen – die Tendenz zur Unordnung bei höheren Temperaturen und die
9.2. PHASENÜBERGÄNGE HÖHERER ORDNUNG
T
T
(a)
T
(b)
s̄
s̄
167
(c)
s̄
zur Ordnung bei tieferen Temperaturen.
Gas–Flüssigkeit: Wird ein (einkomponentiges) pV T -System beispielsweise bei der kritischen Teilchendichte ncr = N/Vcr, beginnend bei einer
Temperatur oberhalb der kritischen Temperatur, abgekühlt, so zerfällt
es bekanntlich unterhalb der kritischen Temperatur in zwei Phasen,
Flüssigkeit und Gas mit unterschiedlichen Teilchendichten nf = Nf /Vf
und ng = Ng /Vg (bzw. unterschiedlichen spezifischen Volumina). Damit
wird eine neue Variable definiert,
Δn = nf − ng ,
(9.45)
die in der Hochtemperaturphase (T > Tcr) bedeutungslos ist (Δn = 0).
Die Größe Δn ist der Ordnungsparameter des Systems Gas-Flüssigkeit.
Ferromagnet: Unterhalb der Curie-Temperatur zeigt ein Ferromagnet
eine spontane Magnetisierung Ms (d.h. eine nicht durch ein äußeres Magnetfeld induzierte Magnetisierung), die als Ordnungsparameter fungiert.
Mischkristall: Unterhalb einer kritischen Temperatur zerfällt ein aus
zwei Komponenten A und B aufgebauter Mischkristall A1−n̄Bn̄ in zwei
Mischkristalle A1−n̄1 Bn̄1 und A1−n̄2 Bn̄2 mit unterschiedlichen Konzentrationen n̄1 und n̄2 . Die Konzentrationsdifferenz
Δn̄ = n̄1 − n̄2
(9.46)
ist der Ordnungsparameter des Mischkristalls.
Supraleiter: Der supraleitende Zustand zeichnet sich durch eine Energielücke ΔE im 1-Elektronen-Anregungsspektrum aus,
E(k) = [(k) − μ]2 + (ΔE)2,
(9.47)
168
KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE
wobei (k) die 1-Teilchen-Energien des normalleitenden Zustands sind
und μ das chemische Potential ist. Der Ordnungsparamter ist die Energielücke. Oberhalb einer gewissen kritischen Temperatur ist ΔE = 0,
und das System verhält sich normalleitend. Unterhalb dieser Temperatur ist die Energielücke verschieden von Null, und das System zeigt
Supraleitung.
Mit Hilfe der Ordnungsparameter kann folgende Einteilung von
Phasenübergängen vorgenommen werden:
Phasenübergänge 1. Art : Der Ordnungsparameter ändert sich am Umwandlungspunkt unstetig.
Phasenübergänge 2. Art : Der Ordnungsparameter ändert sich am Umwandlungspunkt stetig.
Kontinuierliche Phasenübergänge: Der Ordnungsparameter ändert sich
stetig über einen gewissen Temperaturbereich.
Eine immer wieder gestellte Frage ist, inwieweit sich das Verhalten
physikalischer Größen in der Nähe von Phasenumwandlungspunkten
ganz allgemein behandeln läßt, zumindest im kritischen Bereich. Eine
solche allgemeine Theorie geht auf Landau zurück. Die Idee besteht
darin, beispielsweise das Verhalten der freien Enthalpie im kritischen
Bereich als Funktion des entsprechenden Ordnungsparamters λ darzustellen. Die Beobachtung, daß λ für T − T0 → 0− gegen Null strebt (T0
ist die Temperatur am Phasenumwandlungspunkt), legt für den kritischen Bereich eine Potenzreihenentwicklung von G nach λ nahe. Die
Variable λ ist natürlich keine unabhängige Zustandsgröße, sondern sie
muß durch die Gleichgewichtsbedingung
∂G
∂λ
=0
(9.48)
T,p
festgelegt werden. Bei vorgegebenen Werten von T und p ist der Gleichgewichtswert von λ der, für den G(T, p, λ) minimal wird. Alle Aussagen
der Landau-Theorie sind Konsequenzen der erwähnten Potenzreihenentwicklung und somit in gewissem Sinne universell gültig. Hinsichtlich
der Einzelheiten sei auf die Literatur verwiesen.
9.2. PHASENÜBERGÄNGE HÖHERER ORDNUNG
169
Beispiel: Supraleitung
Wird ein Supraleiter in einem Magnetfeld abgekühlt, kann bei hinreichend tiefen Temperaturen ein Phasenübergang 1. Art beobachtet
werden, der dadurch charakterisiert ist, daß für T < Tc der elektrische
Widerstand de facto verschwindet. Für die aus
ḡ1 (T, H) = ḡ2 (T, H)
(9.49)
resultierende und in der folgenden Abbildung dargestellte Phasengrenzkurve H(T ) ≡ Hc(T ) gilt in guter Näherung4
2 T
Hc (T ) = H0 1 −
.
(9.50)
Tc
Die Phasenumwandlung ist dabei mit einer Umwandlungswärme
H
H0
1
normalleitend (2)
0.8
0.6
0.4
supraleitend (1)
0.2
0
0.2
0.4
0.6
0.8
T
1 Tc
(pro Volumeneinheit) entsprechend der Clausius-Clapeyron-Gleichung
(9.15) verbunden,
dHc
q12
=−
.
(9.51)
dT
T ΔM
Im supraleitenden Zustand verschwindet die magnetische Induktion
(Meißner-Ochsenfeld-Effekt), so daß
M1 = −μ0 H
4
(9.52)
Für festes Volumen entspricht das System einem pV T -System mit den Ersetzungen p → −H
und V → M .
170
KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE
ist, während im normalleitenden Zustand
M2 = (μ − 1)μ0H 0
(9.53)
(für schwach magnetische Materialien) gilt. Folglich ist
ΔM = M2 − M1 = μμ0 Hc μ0 Hc ,
(9.54)
und die Gleichung (9.51) nimmt die Form
dHc
q12
q12
=−
−
dT
μμ0 T Hc
μ0 T Hc
an. Mit (9.50) folgt somit für die Umwandlungswärme
2 2 T
T
q12 2μ0H02
1−
.
Tc
Tc
(9.55)
(9.56)
Aus (9.56) ist ersichtlich, daß für T = Tc die Umwandlungswärme
verschwindet. Das heißt, die Entropie geht (für H = 0) stetig von der
supraleitenden Phase zur normalleitenden Phase über, und es liegt ein
Phasenübergang 2. Ordnung vor. Wir wollen diesen Fall etwas genauer
untersuchen und beginnen mit der spezifischen freien Enthalpien (pro
Volumeneinheit) der beiden Phasen (für zunächst nicht verschwindendes Magnetfeld). Für die supraleitende Phase gilt mit (9.52)
dg1 = −s1 dT − M1 dH = −s1 dT + μ0 HdH
(9.57)
und folglich
(0)
g1 = 12 μ0 H 2 + g1 (T ).
(9.58)
Demgegenüber gilt gemäß (9.53) für die normalleitende Phase
dg2 = −s2 dT − M2 dH −s2 dT
(9.59)
und folglich
(0)
g2 g2 (T ).
(9.60)
Da auf der Grenzkurve g1 = g2 ist, folgt aus (9.58) und (9.59)
(0)
(0)
g1 (T ) − g2 (T ) − 12 μ0 Hc2(T ),
(9.61)
9.2. PHASENÜBERGÄNGE HÖHERER ORDNUNG
171
und somit können wir für die Differenz der spezifischen freien Enthalpien
g1 − g2 12 μ0 H 2 − Hc2 (T )
(9.62)
schreiben. Es ist unschwer zu sehen, daß (9.62) auf die Übergangswärme
(9.56) führt:
∂(g1 − g2 )
q12 = T (s2 − s1) = T
∂T
H
2 2 T
T
dHc
1−
.
(9.63)
= 2μ0H02
−μ0 Hc T
dT
Tc
Tc
Die Differenz der spezifischen Wärmen bei konstantem Magnetfeld berechnet sich zu
2
∂(s1 − s2 )
∂ (g1 − g2 )
c1H − c2H = T
= −T
∂T
∂T 2
H
H
2
2
2
d Hc
dHc
T
2 T
μ0 T
+ Hc
H
−1 .
=
2μ
3
0
0
dT
dT 2
Tc2
Tc
(9.64)
In der Grenze H → 0 und T → Tc folgt aus (9.64) für den Sprung
der spezifischen Wärmen, der mit dem Phasenübergang 2. Ordnung
verknüpft ist,
2 4μ0 H02
dHc ΔcH μ0 T
=
.
(9.65)
dT
Tc
T =Tc
Die als Rutgers-Formel bekannte und experimentell gut bestätigte Gleichung (9.65) verknüpft den Anstieg der Grenzkurve bei H = 0 mit der
Differenz der Wärmekapazitäten (pro Volumeneinheit) an dieser Stelle.5
5
Die Gleichung (9.65) entspricht in gewissem Sinne der Ehrenfestschen Gleichung (9.41).
172
KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE
Kapitel 10
Thermodynamik als
Feldtheorie
10.1
Konzept
Real ablaufende Prozesse in inhomogenen Medien verlangen in der Regel eine Beschreibung in Raum und Zeit, d.h. einen feldtheoretischen
Zugang, bei dem aus den Zustandsgrößen Zustandsfelder werden. Dies
ist insbesondere bei der Behandlung von irreversiblen Prozessen der
Fall, wie etwa Wärmeleitung und Diffusion. Zur feldtheoretischen Beschreibung gelangen wir, indem wir uns das System in viele kleine Teilsysteme zerlegt denken, die vom makroskopischen Standpunkt infinitesimal klein, aus mikroskopischer Sicht jedoch noch hinreichend groß
sind. Hinreichend groß heißt hier, in jedem Teilsystem müssen noch viele Teilchen (Atome, Moleküle) vorhanden sein, so daß die Teilsysteme
noch als thermodynamische Systeme angesehen werden können. Ferner wollen wir annehmen, daß sich jedes dieser Teilsysteme zu jedem
Zeitpunkt im thermodynamischen Gleichgewicht befindet, d.h., es soll
lokal Gleichgewicht herrschen. Mit anderen Worten, die Einstellzeiten
für das Gleichgewicht innerhalb eines jeden Teilsystems sollen kurz sein
im Vergleich zu den Einstellzeiten des Gleichgewichts zwischen benachbarten Teilsystemen. Damit ist klar, daß die so gewonnenen Ergebnisse
nicht für beliebig kleine Ortsauflösung und auch nicht für beliebig kleine Zeitauflösung gültig sein können.
Die Voraussetzung eines lokalen Gleichgewichts ermöglicht es, daß
173
174
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
lokal alle bekannten Beziehungen der Thermodynamik gelten, speziell
die Gibbssche Fundamentalgleichung. Betrachten wir ein K-komponentiges, homogenes und isotropes Gleichgewichtssystem im Volumen ΔV .
Die Gibbssche Fundamentalgleichung lautet
T d(ΔS) = d(ΔU ) + pd(ΔV ) −
μα d(ΔNα ).
(10.1)
α
Mit der Masse ΔMα der α-ten Komponente in ΔV ,
ΔMα = ΔNα m(A)
α
(10.2)
(A)
(mα - Masse eines Atoms bzw. Moleküls der α-ten Komponente) ist
die Gesamtmasse in ΔV
ΔM =
ΔMα .
(10.3)
α
Auf die Gesamtmasse bezogen lautet die Gibbssche Fundamentalgleichung (10.1)
ΔS
μα
ΔU
ΔV
ΔMα
Td
=d
+ pd
−
. (10.4)
d
(A)
ΔM
ΔM
ΔM
ΔM
m
α
α
Wir definieren nun die spezifischen Größen als Funktionen von r in der
Grenze ΔM → 0:
ΔS
→ s̄(r, t),
ΔM
ΔV
→ v̄(r, t),
ΔM
ΔMα
→ ¯α (r, t)
ΔM
(10.5)
(A)
(μα /mα = μ̄α ), so daß die Gibbssche Fundamentalgleichung für die
Zustandsfelder die Form
T (r, t)ds̄(r, t) = dū(r, t) + p(r, t)dv̄(r, t) −
μ̄α (r, t)d¯
α(r, t)
α
(10.6)
annimmt, wobei s̄ als Funktion von ū, v̄ und den ¯α aufgefaßt werden
kann,
(10.7)
s̄ = s̄[ū(r, t), v̄(r, t), {¯
α(r, t)}].
10.2. BILANZGLEICHUNGEN
Folglich gilt
∂s̄(r, t)
∂ ū(r, t)
∂s̄(r, t)
∂v̄(r, t)
175
=
1
,
T (r, t)
(10.8)
=
p(r, t)
,
T (r, t)
(10.9)
v̄,{¯α }
∂s̄(r, t)
∂ ¯α (r, t)
ū,{¯α }
v̄,ū,{¯β |β=α}
=−
μ̄α (r, t)
.
T (r, t)
(10.10)
Die Gleichungen (10.8) – (10.10) bestimmen die nunmehr lokal gültigen Zustandsgleichungen. Die Theorie ist also so aufgebaut, daß die
abhängigen Zustandsfunktionen nur über die unabhängigen Zustandsfunktionen von Raum und Zeit abhängen.
Gemäß (10.6) lautet die zeitliche Änderung der spezifischen Entropie, d.h. die zeitliche Änderung der Entropie (pro Masseneinheit) eines
Massenelements, das sich natürlich auch bewegen kann:
ds̄(r, t)
1 dū(r, t) p(r, t) dv̄(r, t) μ̄α (r, t) d¯
α (r, t)
=
+
−
dt
T (r, t) dt
T (r, t) dt
T (r, t)
dt
α
(10.11)
Eine weitere Auswertung dieser Gleichung erfordert offensichtlich die
Kenntnis und eine Auswertung der Gleichungen für die zeitliche Änderung von ū, v̄ und die ¯α mit dem Ziel, Feldgleichungen für die unabhängigen Zustandsfelder aufzustellen.
10.2
Bilanzgleichungen
10.2.1
Massenbilanz
Wir betrachten ein aus K Massenkomponenten bestehendes System
im Volumen V . Die Masse der α-ten Komponente im Volumen V zum
Zeitpunkt t ist
Mα (t) =
V
d3 r α (r, t).
(10.12)
176
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
Sie kann sich dadurch ändern (dMα ), daß Masse in das Volumen hineinoder herausströmt (deMα ) oder im Volumen Masse dieser Komponente
produziert bzw. vernichtet wird (di Mα ),
dMα = de Mα + di Mα .
(10.13)
Es sei vα (r, t) das Geschwindigkeitsfeld der strömenden α-ten Komponente, d.h. die Geschwindigkeit eines Massenelements dieser Komponente, das sich zur Zeit t gerade am Ort r befindet. Im Zeitintervall
dt strömt dann durch ein Flächenelement dA die Masse
de Mα = −α dA · vα dt
(10.14)
(siehe die Skizze). Die Masse, die dann insgesamt durch die geschlossene
dA
vα dt
Oberfläche des betrachteten Volumens V pro Zeiteinheit strömt, ist also
durch
de Mα
=−
dA · vα α = −
dA · jα
(10.15)
dt
(V )
(V )
gegeben, wobei
jα = jα (r, t) = α (r, t)vα(r, t)
(10.16)
die (Massen-)Stromdichte der α-ten Komponente ist. Wenn qα (r, t) die
(Massen-)Produktionsdichte oder (Massen)-Quelldichte der α-ten Komponente ist, d.h. die pro Zeit- und Volumeneinheit am Ort r zur Zeit t
produzierte bzw. vernichtete Masse dieser Komponente, gilt
di Mα
=
d3 r qα (r, t).
(10.17)
dt
V
Wir kombinieren (10.12), (10.13), (10.15) und (10.17) und erhalten die
globale Massenbilanz der α-ten Komponente:
dMα
de Mα di Mα
=
+
,
dt
dt
dt
(10.18)
10.2. BILANZGLEICHUNGEN
d
dt
177
V
d3r α = −
dA · jα +
= −
(V )
V
V
d3 r qα
d3 r ∇ · jα +
V
d3 r qα .
(10.19)
Da diese Gleichung für jedes Volumen V gelten muß, muß also lokal die
Bilanzgleichung
∂α
+ ∇ · jα = qα
∂t
gelten.
Wir betrachten die Bilanz der Gesamtmasse
M=
Mα .
(10.20)
(10.21)
α
Die Gesamtmassendichte ist
=
α ,
(10.22)
α
und die Gesamtmassenstromdichte ist
j=
jα =
α vα = v,
α
(10.23)
α
wobei v = v(r, t) das Massenmittelpunktsgeschwindigkeitsfeld bedeutet. Da die Gesamtmasse (im Rahmen der betrachteten nichtrelativistischen Beschreibungsweise) als Erhaltungsgröße angesehen werden
kann, verschwindet die Gesamtmassenproduktionsdichte,
qα = 0,
(10.24)
q=
α
und die Gesamtmassenbilanz lautet global
dM
de M
=
dt
dt
(10.25)
178
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
bzw. lokal
∂
+∇·j =0
∂t
(10.26)
(Kontinuitätsgleichung).
Wir führen die substantielle Zeitableitung ein, die sich auf die zeitliche Änderung in einem mit dem Geschwindigkeitsfeld mitgeführten
Massenelement bezieht,
∂
d
=
+ v · ∇,
dt ∂t
(10.27)
und eliminieren [unter Berücksichtigung von (10.23)] in der Kontinuitätsgleichung (10.26) die partielle Zeitableitung:
d
d
− v · ∇ + ∇ · (v) =
+ ∇ · v = 0,
dt
dt
1 d
+ ∇ · v = 0.
dt
(10.28)
(10.29)
Mit v̄ = 1/ anstelle von ergibt sich
1 d
d1
dv̄
1 d
= − − 2
= −
= − ,
dt
dt
dt dt
(10.30)
so daß (10.29) die substantielle Form der Gesamtmassenbilanz annimmt:
dv̄
−∇·v = 0
dt
(10.31)
Kehren wir zur lokalen Massenbilanz der α-ten Komponente der
Konzentration ¯α = α / zurück. Wir berücksichtigen die Kontinuitätsgleichung (10.26) und eliminieren mittels der Reisegleichung“ (10.27)
”
10.2. BILANZGLEICHUNGEN
179
die partielle Zeitableitung:
∂α
∂
∂ ¯α
= ¯α
+
∂t
∂t
∂t
d¯
α
− v · ∇¯
α
= −¯
α ∇ · (v) + dt
d¯
α
= − ∇ · ( ¯
α v).
dt
α
(10.32)
Wir setzen (10.32) in (10.20) ein und erhalten als substantielle Form
der Massenbilanz der α-ten Komponente
∂α
d¯
α
=
− ∇ · (α v) = −∇ · jα + qα
∂t
dt
(10.33)
bzw.
d¯
α
+ ∇ · Jα = qα
dt
(10.34)
mit
Jα = jα − α v
(10.35)
als konduktiver (Massen-)Stromdichte der α-ten Komponente. Als
Stromdichte relativ zu v gibt sie die Menge der α-ten Komponente
an, die pro Zeiteinheit und Flächeneinheit durch die Oberfläche des
mit v bewegten Massenelements in dieses hinein- bzw. aus diesem herausströmt. Die Größe α v wird als konvektive (Massen-)Stromdichte
der α-ten Komponente bezeichnet. Im vorliegenden Fall heißt Jα auch
Diffusionsstromdichte der α-ten Komponente. Offensichtlich gilt [siehe
(10.22) und (10.23)]
Jα =
(jα − α v) =
α vα − v = 0
(10.36)
α
α
α
bzw.
JK = −
K−1
α=1
Jα .
(10.37)
180
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
Die Quelldichten qα in (10.20) bzw. (10.34) bringen zum Ausdruck,
daß die Massen der einzelnen Komponenten durch chemische Reaktionen geändert werden können. Im Falle einer Reaktion mit den stöchiometrischen Koeffizienten να gilt
qα ΔV Δt = να ΔξΔNαm(A)
α
(10.38)
(Δξ - Änderung der Reaktionslaufzahl im Zeitelement Δt; ΔNα - Anzahl der Atome bzw. Moleküle der α-ten Komponente im Volumenele(A)
ment ΔV ; mα - Masse der Atome bzw. Moleküle), d.h.
qα = ωνα α
(10.39)
mit ω = Δξ/Δt → ξ̇ als der Reaktionsgeschwindigkeit, und die Verallgemeinerung auf mehrere chemische Reaktionen lautet
ωr νrα α .
(10.40)
qα =
r
Wir setzen (10.40) in (10.34) ein und erhalten:
10.2.2
d¯
α
+ ∇ · Jα =
ωr νrα α
dt
r
(10.41)
Impulsbilanz
Die Überlegungen zur Bilanz der Masse Mα der α-ten Komponente
können sinngemäß auf jede extensive Zustandsgröße B übertragen werden. Die Dichte von B sei b und die spezifische Größe b̄, wobei
b = b̄
(10.42)
gilt. Ferner sei jB die Stromdichte der Größe B und
JB = jB − bv
(10.43)
10.2. BILANZGLEICHUNGEN
181
die konduktive Stromdichte der Größe sowie qB die Quelldichte. Analog
zu (10.18) lautet die globale Bilanzgleichung der Größe
dB
de B di B
=
+
,
dt
dt
dt
(10.44)
und gemäß (10.20) und (10.34) [zusammen mit (10.35)] lauten lokale
und substantielle Form
∂b
+ ∇ · jB = qB
∂t
(10.45)
und
db̄
+ ∇ · JB = qB .
(10.46)
dt
Die extensiven Größen können natürlich auch vektorielle Größen
sein (B, b, b̄). In diesem Fall stellt die Quelldichte ebenfalls einen Vektor dar (qB ), und die Stromdichten sind Tensoren (j B , J B ), da für jede
Komponente von B ein (vektorieller) Strom existiert. Wir schreiben
die (10.45) und (10.46) entsprechenden Gleichungen in der kompakten
Form
∂b
+ ∇ · j B = qB ,
(10.47)
∂t
db̄
+ ∇ · J B = qB .
(10.48)
dt
Gehen wir nach diesen Vorbemerkungen nun zur Impulsbilanz über.
Der Gesamtimpuls des Systems lautet
3
P(t) =
d r α (r, t)vα(r, t) =
d3r (r, t)v(r, t),
(10.49)
α
V
V
wobei die Gesamtimpulsdichte
p(r, t) = (r, t) v(r, t)
(10.50)
ist, und somit die spezifische Gesamtimpulsdichte einfach durch das
Geschwindigkeitsfeld gegeben ist:
p̄ = p/ = v.
(10.51)
182
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
Somit lautet die substantielle Bilanzgleichung
dv
−∇·τ =f
dt
(10.52)
Der symmetrische Spannungstensor τ ,
τkl = τlk ,
(10.53)
beschreibt definitionsgemäß den pro Zeiteinheit und Flächeneinheit
durch die Oberfläche des Massenelements gehenden Impuls und somit die auf die Flächeneinheit bezogene Kraft, die von der Umgebung
auf die Oberfläche des Massenelements ausgeübt wird. Die Quelldichte auf der rechten Seite der Gleichung (10.52) stellt offensichtlich die
Gesamtkraftdichte der äußeren (in der Regel eingeprägten) Kräfte dar,
f=
fα =
α f̄α .
(10.54)
α
α
Die Gleichung (10.52) ist das Äquivalent der Kontinuumsmechanik zum
2. Newtonschen Axiom der Punktmechanik, angewendet auf die Massenmittelpunktsbewegung.
10.2.3
Energiebilanz
Die Gesamtenergie des betrachteten Systems setzt sich aus der inneren
Energie und der kinetischen Energie, die den Bewegungszustand des
Systems als Ganzes beschreibt, zusammen:
d3 r u(r, t) + 12 (r, t)|v(r, t)|2 ,
(10.55)
E(t) =
V
wobei
e(r, t) = u(r, t) + 12 (r, t)|v(r, t)|2
(10.56)
die Energiedichte und
ē(r, t) = ū(r, t) + 12 |v(r, t)|2
(10.57)
10.2. BILANZGLEICHUNGEN
183
die spezifische Energiedichte ist. Gemäß (10.46) lautet die substantielle
Bilanzgleichung der Gesamtenergie
dē
+ ∇ · JE = qE
dt
(10.58)
Als Quelldichte fungiert hier die gesamte Leistungsdichte der äußeren
Kräfte, d.h.
qE =
vα · fα .
(10.59)
α
Um die kinetische Energie substantiell zu bilanzieren, verfahren wir
wie in der Mechanik üblich:
dv
v · −∇·τ =
fα ,
(10.60)
dt
α
d 1 2
−
(∇
·
τ
)
·
v
=
v
v · fα .
dt 2
α
Da τkl = τlk ist, können wir wie folgt weiter umformen:
∂
∂τkl
∂vl
vl =
(τkl vl ) − τkl
∂xk
∂xk
∂xk
1 ∂vl
∂
∂vk
;
=
(τkl vl ) − τlk
+
∂xk
2 ∂xk ∂xl
mit
1
Vlk = Vkl =
2
∂vl
∂vk
+
∂xk ∂xl
(10.61)
(10.62)
(10.63)
gilt also
(∇ · τ ) · v = ∇ · (τ · v) − τ : V
(10.64)
(V - Tensor der Deformationsgeschwindigkeit). Die Beziehung (10.64)
in die Gleichung(10.61) eingesetzt liefert die substantielle Bilanz der
kinetischen Energie in folgender Form:
d 1 2
v − ∇ · (τ · v) = −τ : V +
v · fα
dt 2
α
(10.65)
184
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
Mit (10.65) läßt sich dann die substantielle Bilanzgleichung der inneren Energie [(10.58) zusammen mit (10.57) und (10.59)] wie folgt
umformen:
dū
dē
d 1 2
=
−
v
dt
dt
dt 2
= −∇ · JE +
vα · fα −∇ · (τ · v)+τ : V −
v · fα , (10.66)
α
α
dū
+ ∇ · (JE +τ · v) = τ : V + (vα − v) · fα
dt
α
=τ :V+
α (vα −v) · f̄α ,
α
Jα
(10.67)
d.h.
dū
+∇·Q=τ :V +
Jα · f̄α
dt
α
(10.68)
mit
Q = JE + τ · v
(10.69)
als konduktiver Stromdichte der inneren Energie, auch Wärmestromdichte genannt (JU = Q). Die Beziehung (10.37) impliziert, daß die
α-Summe in (10.67) in der Form
K
Jα · f̄α =
α=1
geschrieben werden kann.
K−1
α=1
Jα · f̄α − f̄K
(10.70)
10.2. BILANZGLEICHUNGEN
10.2.4
185
Entropiebilanz
Wir wollen annehmen, daß das Differential der Entropie eines homogenen Systems in der Form
dS =
βλ dBλ
(10.71)
λ
vorliegt, wobei die Bλ einen vollständigen Satz von unabhängigen Zustandsgrößen bilden mögen, von denen wir annehmen wollen, daß sie
extensiver Natur sind. Die Zustandsgrößen βλ sind dann durch
∂S
= βλ
∂Bλ
(10.72)
festgelegt. Ist S Potential, liefern die Gleichungen (10.72) gerade die
Zustandsgleichungen des Systems. Wir gehen von der Entropie sowie
den Zustandsgrößen Bλ und βλ des homogenen Systems zu den entsprechenden Zustandsfeldern s̄ = s̄(b̄λ ), b̄λ = b̄λ (r, t) und βλ = βλ (r, t)
des inhomogenen Systems über,
ds̄ =
βλ db̄λ ,
(10.73)
λ
∂s̄
= βλ .
∂ b̄λ
Die Gleichung (10.73) entspricht der Bilanzgleichung
ds̄ db̄λ
=
βλ
dt
dt
(10.74)
(10.75)
λ
[vgl. (10.11)], wobei die b̄λ ihrerseits den Bilanzgleichungen
db̄λ
+ ∇ · JBλ = qBλ
dt
(10.76)
genügen. Wir setzen (10.76) in (10.75) ein, und bringen (10.75) in die
Form der substantiellen Bilanzgleichung für die Entropie. Wir erhalten
zunächst
ds̄ =
(−βλ ∇ · JBλ + βλ qBλ )
(10.77)
dt
λ
186
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
und mit der Umformung
−βλ ∇ · JBλ = −∇ · (βλ JBλ ) + JBλ · ∇βλ
(10.78)
das folgende Ergebnis:
ds̄
+ ∇ · JS = σ
dt
JS =
βλ JBλ
(10.79)
(10.80)
λ
σ ≡ qS =
(βλ qBλ + JBλ ·∇βλ )
(10.81)
λ
Wegen des 2. Hauptsatzes kann die Entropiequelldichte nicht negativ
sein, d.h., es kann zwar Entropie produziert, jedoch nicht vernichtet
werden,
σ ≥ 0.
(10.82)
Wir wenden das Verfahren auf unser Mehrkomponentensystem an
und beginnen mit der Gibbsschen Fundamentalgleichung in substantieller Form
μ̄α d¯
α
(10.83)
T ds̄ = dū + pdv̄ −
α
[Gleichung (10.6)], so daß die Bilanzgleichung
1 dū p dv̄ μ̄α d¯
α
ds̄
=
+
−
dt
T dt T dt
T dt
α
(10.84)
10.2. BILANZGLEICHUNGEN
187
gilt [Gleichung (10.11)]. Wir setzen in diese Gleichung die Bilanzgleichungen (10.31), (10.41) und (10.68) ein und erhalten
ds̄
1
=
dt
T
−∇ · Q + τ : V +
μ̄α
Jα · f̄α
α
p
ωr νrα α
∇·v−
−∇ · Jα +
T
T
α
r
1
p
1
μ̄α ∇ · Jα + ∇ · v
= − ∇·Q+
T
T α
T
1
1 +
τ :V +
Jα · f̄α −
μ̄α ωr νrα α
T
T
α
α
r
Q 1
μ̄α
1 −
= −∇·
μ̄α Jα + Q · ∇ −
Jα ·∇
T
T α
T
T
α
p
1
+ I:V +
τ :V +
Jα · f̄α
T
T
α
1 μ̄α ωr νrα α ,
(10.85)
−
T α r
+
d.h., in der Bilanzgleichung der Entropie in substantieller Form
ds̄
+ ∇ · JS = σ
dt
(10.86)
können
1
JS =
T
Q−
α
μ̄α Jα
(10.87)
188
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
als konduktive Stromdichte der Entropie und
1
1
1 μ̄α f̄α
+ φ:V −
σ =Q·∇ −
Jα · ∇ −
ωr ar
T
T
T
T
T
α
r
(10.88)
als Entropieproduktionsdichte angesehen werden. Für die hier betrachteten isotropen Systeme wie Flüssigkeiten und Gase stellt die Größe
φ = τ + pI
(10.89)
den Reibungstensor dar, und die Größen
ar =
μ̄α νrα α
(10.90)
α
sind die (pro Volumeneinheit definierten) Affinitäten der chemischen
Reaktionen. Wegen der Beziehung (10.37) gilt
K
μ̄α f̄α
Jα · ∇ −
T
T
α=1
K−1
μ̄α − μ̄K f̄α − f̄K
=
−
Jα · ∇
T
T
α=1
.
(10.91)
Die Entropieproduktionsdichte (10.88) gibt Aufschluß über die
Quellen der Irreversibilität und ihre Stärke: Wärmeleitung (Q), Diffusion (Jα ), Reibung (φ) und chemische Reaktionen (ωr ). Aus (10.85)
ist ersichtlich, daß die Zerlegung in die Divergenz eines Vektorfeldes
JS und ein Restfeld σ, wie sie in (10.86) zusammen mit (10.87) und
(10.88) vorgenommen wurde, nicht eindeutig ist. Insbesondere folgt sie
nicht genau dem eingangs angebenen, auf die Gleichungen (10.79) –
(10.81) führenden Schema. So ist der Term (p/T )∇ · v komplett der
Entropieproduktionsdichte zugeschlagen worden, ohne einen Stromanteil abzuspalten. Hier müssen offensichtlich zusätzliche physikalische
Argumente herangezogen werden. Die im vorliegenden Fall getroffene Aufspaltung widerspiegelt die Erfahrungstatsache, daß Reibung ein
irreversibler Vorgang ist, was durch den Reibungstensor in der Entropieproduktionsdichte zum Ausdruck gebracht wird.
10.3. GENERALISIERTE KRÄFTE UND STRÖME
10.3
189
Generalisierte Kräfte und Ströme
Aus der Entropieproduktionsdichte, wie sie etwa in (10.88) [zusammen mit (10.91)] bzw. in der allgemeineren Fassung in (10.81) gegeben
ist, ist ersichtlich, daß sie die Summe von Produkten zweier Größen
ist – der generalisierten Ströme JA und der generalisierten Kräfte FA :
σ=
J A FA ,
A = 1, 2, . . . , L
(10.92)
A
Für unser Mehrkomponentensystem mit der Entropieproduktionsdichte
(10.88) [zusammen mit (10.91)] lesen wir die generalisierten Ströme und
Kräfte wie folgt ab:
generalisierter Strom
Qk
Jα k
φkl
ωr
generalisierte Kraft
1
T
¯
μ̄α − μ̄K
fαk − f¯Kk
∂
+
−
∂xk
T
T
1 ∂vk
∂vl
Vkl
=
+
T
2T ∂xl ∂xk
ar
−
T
∂
∂xk
Effekt
Wärmeleitung
Diffusion
Reibung
chemische
Reaktionen
Bekanntlich hat ein Temperaturgradient einen Wärmestrom zur
Folge, und Diffusionsströme werden beispielsweise durch Gradienten
der chemischen Potentiale verursacht. Es liegt deshalb nahe anzunehmen, daß ganz allgemein die generalisierten Ströme durch die generalisierten Kräfte verursacht werden, d.h., die generalisierten Ströme
190
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
können als Funktionen (allgemeiner als Funktionale) der generalisierten Kräfte aufgefaßt werden:
JA = JA (FB , . . . ) ≡ JA (F1, F2, . . . , FL, . . .).
(10.93)
Daneben hängen sie i. allg. noch von den gewählten unabhängigen Zustandsgrößen (wie Druck und Temperatur) des Systems ab [. . . nach FL
in (10.93)]. In der Regel kann gefordert werden, daß die generalisierten
Ströme mit den generalisierten Kräften verschwinden,
JA (FB , . . .) = 0 für FB = 0,
(B = 1, 2, . . . , L).
(10.94)
Da jeder generalisierte Strom i. allg. von allen generalisierten Kräften
abhängt, sind also auch Kreuzeffekte möglich, bei denen ein Strom JA
durch Kräfte FB (B = A) verursacht wird.
Lineare Ansätze
Die generalisierten Kräfte werden um so kleiner sein, je näher der jeweilige Systemzustand am entsprechenden Gleichgewichtszustand liegt.
Denken wir uns die generalisierten Ströme in Potenzreihen nach den
generalisierten Kräften entwickelt, so wird es in der Nähe von Gleichgewichtszuständen ausreichend sein, sich auf die lineare Näherung zu
beschränken:
JA =
LAB FB
(10.95)
B
Im Rahmen der phänomenologischen Thermodynamik stellen die LAB
vorgegebene Koeffizienten dar (phänomenologische Koeffizienten), und
dementsprechend handelt es sich bei den linearen Gleichungen (10.95)
um phänomenologische Gleichungen (lineare phänomenologische Gleichungen). Die phänomenologischen Koeffizienten (als Funktionen der
jeweils gewählten unabhängigen Zustandsgrößen des Systems) können
als Zustandsgrößen zur Charakterisierung von Systemeigenschaften
aufgefaßt werden, die mit irreversiblen Vorgängen verknüpft sind. Die
linearen Ansätze (10.95) bringen explizit zum Ausdruck, daß jeder generalisierte Strom i. allg. durch alle generalisierten Kräfte verursacht
werden kann (Kreuzeffekte).
10.3. GENERALISIERTE KRÄFTE UND STRÖME
191
Thermodynamisches Gleichgewicht:
JA = 0 ∀A
;
σ = 0.
(10.96)
Ungehemmte Gleichgewichtszustände:
JA = 0 :
FB = 0 jedoch LAB = 0.
(10.97)
Gehemmte Gleichgewichtszustände:
JA = 0 :
FB = 0 jedoch LAB = 0.
(10.98)
Wir setzen (10.95) in (10.92) ein, berücksichtigen (10.82) und erhalten
σ=
LAB FA FB ≥ 0.
(10.99)
A,B
Die Entropieproduktionsdichte ist (in der Näherung der linearen
phänomenologischen Gleichungen) eine positiv-semidefinite quadratische Form in den generalisierten Kräften, so daß speziell gilt:
LAA ≥ 0 ∀A
(10.100)
Onsager-Casimir-Reziprozitätsrelationen:
LAB = A B LBA ,
1 wenn FA → FA
f ür t → −t.
A =
−1 wenn FA → −FA
(10.101)
(10.102)
Curie-Prinzip:
Die linearen Ansätze vermitteln Zusammenhänge von Größen des gleichen Transformationsverhaltens bei Transformationen des Koordinatensystems. Mit anderen Worten, skalare Kräfte können nur skalare
Ströme, vektorielle Kräfte nur vektorielle Ströme und tensorielle Kräfte
nur tensorielle Ströme (der gleichen Stufe) verursachen.
Wir wollen die allgemeinen Überlegungen auf unser Mehrkomponentensystem mit der Entropieproduktionsdichte (10.88) [zusammen
mit (10.91)] und den daraus folgenden generalisierten Kräften und
Strömen anwenden (siehe die Tabelle zu Beginn des Abschnitts).
192
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
(a) Skalare (Ströme ↔ Kräfte):
Tr φ
ar
,
T
(10.103)
Tr V
∇·v
=
.
T
T
(10.104)
←→
ωr
←→
−
Lineare Ansätze:
ωr =
L
r
Tr φ =
r
rr
a ∇·v
r
+ Lrφ
,
−
T
T
a ∇·v
r
+ Lφφ
.
Lφr −
T
T
(10.105)
(10.106)
Eigenschaften der Koeffizienten:
Lrr ≥ 0,
Lrr = Lr r ,
Lφφ ≥ 0,
(10.107)
Lrφ = −Lφr
(10.108)
1
,
T
(10.109)
(t → −t ; ∇·v → −∇·v).
(b) Vektoren (Ströme ↔ Kräfte):
Q
←→
∇
μ̄α − μ̄K f̄α − f̄K
+
.
(10.110)
T
T
Lineare Ansätze (für die hier betrachteten isotropen Medien):
Jα
←→
−∇
K−1
μ̄α − μ̄K f̄α − f̄K
1 Q = LQQ∇ +
+
,
LQα −∇
T
T
T
α=1
(10.111)
K−1
μ̄α − μ̄K f̄α − f̄K
1 Jα = LαQ∇ +
+
.
Lαα −∇
T
T
T
(10.112)
α =1
Eigenschaften der Koeffizienten:
Lαα ≥ 0,
LQQ ≥ 0,
(10.113)
10.4. EVOLUTIONSGLEICHUNGEN
Lαα = Lα α ,
LαQ = LQα .
193
(10.114)
(c) Spurfreier Anteil des Reibungstensors (Ströme ↔ Kräfte):
φ − 13 I Tr φ
←→
V
∇·v
− 13 I
.
T
T
(10.115)
Linearer Ansatz (für die hier betrachteten isotropen Medien):
V
1
1 ∇·v
φ − 3 I Tr φ = Lφφ
− 3I
, Lφφ ≥ 0.
(10.116)
T
T
(d) Vollständiger Reibungstensor:
Aus (10.116) und (10.106) folgt
V
1
1 ∇·v
φ = 3 I Tr φ + Lφφ
− 3I
T
T
∇·v
V
∇·v
a
r
+
+Lφφ
− 13 I
, (10.117)
Lφr −
= 13 I Lφφ
T
T
T
T
r
d.h. [mit (10.89)]
φ = τ + pI = Lφφ
10.4
∇·v 1 V 1
ar
+ 3 Lφφ −Lφφ I
− 3I
Lφr . (10.118)
T
T
T
r
Evolutionsgleichungen
Sind die generalisierten Ströme als Funktionen der generalisierten
Kräfte bekannt, so können sie in die Bilanzgleichungen eingesetzt werden. Das auf diese Weise (unter Berücksichtigung der Zustandsgleichungen) entstehende System gekoppelter Evolutionsgleichungen beschreibt
dann die Dynamik von thermodynamischen Prozessen. In vielen Fällen
reicht es dabei aus, die linearen Ansätze für den Zusammenhang von
Strömen und Kräften zu verwenden.
Wir wollen dies am einfachsten Beispiel einer einkomponentigen
Flüssigkeit illustrieren. Als generalisierte Ströme fungieren in diesem
194
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
Fall offensichtlich nur der Wärmestrom Q und der Reibungstensor φ.
Gemäß (10.111) gilt
Q = LQQ∇
LQQ
1
= − 2 ∇T = −κ ∇T,
T
T
(10.119)
wobei anstelle des Koeffizienten LQ üblicherweise die Wärmeleitfähigkeit
LQQ
κ= 2
(10.120)
T
verwendet wird. Der Reibungstensor ist in (10.118) gegeben. Auch hier
ist es üblich, anstelle der Koeffizienten Lφ und Lφ die Scherviskosität
Lφφ
η=
2T
(10.121)
Lφφ
3T
(10.122)
und die Volumenviskosität
ξ=
zu verwenden, so daß (10.118)
φ = τ + pI = 2ηV + I ξ − 23 η ∇ · v
bzw. ausführlich
φik = τik + pδik = η
∂vk
∂vi
+
∂xk ∂xi
∂vl
+ ξ − 23 η
δik
∂xl
(10.123)
(10.124)
lautet. Wir wollen annehmen, daß κ, η und ξ hinreichend schwach
räumlich variieren, so daß sie näherungsweise als räumlich konstant
angesehen werden können. Damit folgt aus (10.119)
∇ · Q = −κ ΔT
(10.125)
und aus (10.123)
∂ ∂vl
+ ξ − 23 η
∂xk ∂xl
∂
∂vi
∂p
(10.126)
= −
+ ηΔvk + ξ + 13 η
∂xk
∂xk ∂xi
∂τik
∂p
= −
+η
∂xi
∂xk
∂ ∂vi
∂ ∂vk
+
∂xi ∂xk ∂xi ∂xi
10.4. EVOLUTIONSGLEICHUNGEN
195
bzw. in kompakter Form
∇ · τ = −∇p + ηΔv + ξ + 13 η ∇(∇ · v)
(10.127)
Wir setzen (10.127) in die Impulsbilanz (10.52) ein und erhalten die
Navier-Stokes-Gleichung:
dv
= −∇p + ηΔv + ξ + 13 η ∇(∇ · v) + f
dt
(10.128)
Wir setzen (10.123) und (10.125) in die Bilanz (10.68) der inneren
Energie ein und erhalten die Wärmeleitungsgleichung in der allgemeinen Form:
dū
− κ ΔT = −p∇ · v + 2ηV : V + ξ − 23 η (∇ · v)2
dt
(10.129)
Die Gleichungen (10.128) und (10.129) zusammen mit der Kontinuitätsgleichung
∂
+ ∇ · v = 0
∂t
(10.130)
[Gleichung (10.26)] sowie der thermischen Zustandsgleichung
f (p, T, ) = 0
(10.131)
und der kalorischen Zustandsgleichung
ū = ū(T, )
(10.132)
196
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
bilden die Grundgleichungen zur Beschreibung der Evolution eines
1-komponentigen flüssigen pV T -Systems (Hydrodynamik mit Wärmeleitung). Bei bekannter äußerer Kraftdichte und vorgegebenen Randund Anfangsbedingungen liefert die Lösung des Gleichungssystems das
Geschwindigkeitsfeld v(r, t) sowie die (unabhängigen) Zustandsfelder
(r, t) und T (r, t).
Schallausbreitung
In vielen Fällen ist die Volumenviskosität vernachlässigbar, so daß ξ =0
gesetzt werden kann. Ist die Scherviskosität ebenfalls vernachlässigbar,
η = 0, spricht man von einer idealen Flüssigkeit (Gas), und die NavierStokes-Gleichung (10.128) geht in die Euler-Gleichung über,
dv
= −∇p + f.
(10.133)
dt
Wir wollen diese Gleichung auf die Schallausbreitung anwenden und
annehmen, daß keine Volumenkräfte wirksam sind. In diesem Fall lautet
(10.133) [unter Berücksichtigung von (10.27)]
dv
∂v
=
+ v · ∇v = −∇p,
dt
∂t
(10.134)
wobei die Massendichte der Kontinuitätsgleichung (10.130) genügt:
∂
∂
+ ∇ · (v) =
+ v · ∇ + ∇ · v = 0.
(10.135)
∂t
∂t
Wir wollen ferner annehmen, daß – wie es in der Regel der Fall ist –
die Schallausbreitung zu kleinen Abweichungen vom Gleichgewichtszustand des ruhenden Mediums führt,
v(r, t) = 0+v (r, t),
p = p0 +p (r, t),
(r, t) = 0 + (r, t) (10.136)
(p0 = const., 0 = const.), so daß die Euler-Gleichung und die Kontinuitätsgleichung (näherungsweise) in
und
∂v
0
+ ∇p = 0
∂t
(10.137)
∂
+ 0 ∇ · v = 0
∂t
(10.138)
10.4. EVOLUTIONSGLEICHUNGEN
197
übergehen, woraus unschwer zu sehen ist, daß
Δp −
∂ 2
=0
∂t2
(10.139)
gilt. Die mit der Schallausbreitung verbundenen Dichte- und Druckschwankungen erfolgen viel zu schnell, als daß ein Temperaturausgleich
zwischen benachbarten Volumenelementen erfolgen könnte. Das bedeutet, daß die Wärmeleitung vernachlässigt werden kann und adiabatische Zustandsänderungen angenommen werden können, p = p[(r, t)],
und die Taylor-Entwicklung liefert
dp
∂p
=
.
(10.140)
p = vs2 , vs2 =
d =0
∂ s̄
Einsetzen in (10.139) liefert
1 ∂ 2 p
Δp − 2 2 = 0
vs ∂t
(10.141)
Die Druckschwankungen (und natürlich auch die Dichteschwankungen)
genügen einer Wellengleichung – der Wellengleichung für die Schallausbreitung mit vs als der Schallgeschwindigkeit. Gemäß (5.83) zusammen
mit (5.78) und (5.79) gilt
∂v̄
κT
∂v̄
c̄p
=
=
,
(10.142)
δ=
c̄v̄
κs̄
∂p T
∂p s̄
d.h.
∂v̄
∂p
s̄
1
=
δ
∂v̄
∂p
T
;
∂p
∂
=δ
s̄
∂p
∂
.
(10.143)
T
Damit folgt gemäß (10.140) für die Schallgeschwindigkeit
∂p
vs = δ
.
∂ T
(10.144)
198
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
Eines der genauesten Verfahren zur Bestimmung des Verhältnisses der
spezifischen Wärmen bei konstantem Druck und konstantem Volumen
besteht in der Messung der Schallgeschwindigkeit. Aus (10.144) ist ersichtlich, daß dazu noch die Abhängigkeit der Druckes von der Dichte
bei fester Temperatur laut thermischer Zustandsgleichung bekannt sein
muß. Speziell für ein ideales Gas gilt
∂p
N
N
p=
kT ;
kT
(10.145)
=
M
∂ T
M
und somit
vs =
N kT
=
δ
M
δ
RT
.
Mmol
(10.146)
Wärmeleitung
Die Schallausbreitung ist (innerhalb der betrachteten Zeitskala) ein
Beispiel für einen reversiblen Prozeß.1 Ganz anders sieht es im Fall
von Wärmeleitungsprozessen aus. Wir wollen den einfachsten Fall eines ruhenden, kräftefreien Mediums betrachten, d.h.
v = 0,
∂v̄
dv̄
=
= 0.
dt
∂t
(10.147)
Gemäß der kalorischen Zustandsgleichung (10.132) gilt dann
∂T
∂ ū ∂T
∂ ū ∂v̄
dū
=
+
= c̄v̄
,
(10.148)
dt
∂T v̄ ∂t
∂v̄ T ∂t
∂t
und somit geht die Gleichung (10.129) in die Wärmeleitungsgleichung
dū
∂T
− κΔT = c̄v̄
− κΔT = 0
dt
∂t
(10.149)
bzw.
∂T
− λΔT = 0
∂t
1
Die Wellengleichung (10.141) ist invariant bei einer Zeitumkehr.
(10.150)
10.4. EVOLUTIONSGLEICHUNGEN
mit der Temperaturleitzahl
λ=
κ
c̄v̄
199
(10.151)
über,2 wobei im Rahmen ihrer Gültigkeit in der Regel angenommen
werden kann, daß c̄v̄ (und damit auch λ) konstant ist.
Die Wärmeleitungsgleichung kann dann mittels des Separationsansatzes
T (r, t) = f (t)g(r)
(10.152)
gelöst werden. Wir gehen mit diesem Ansatz in die Differentialgleichung
(10.150) und erhalten
f˙(t)g(r) − λf (t)Δg(r) = 0
;
Δg(r)
f˙(t)
=
= α2 ,
λf (t)
g(r)
(10.153)
d.h.
f˙(t) = λα2 f (t)
(10.154)
Δg(r) = α2g(r)
(10.155)
und
mit α als der (komplexwertigen) Separationskonstanten. Aus (10.154)
folgt sofort
2
f (t) ∼ eλα t .
(10.156)
Wenn Lösungen g(r, α) von (10.155) bekannt sind, so können durch
Superposition weitere Lösungen
2
T (r, t) =
β(α)g(r, α)eλα t
(10.157)
α
der Differentialgleichung (10.150) konstruiert werden, wobei die Koeffizienten entsprechend den Rand- und Anfangsbedingungen zu spezifizieren sind.
Beispiel: Räumlich unbegrenztes System
Wir wollen die Temperaturverteilung in einem räumlich unbegrenzten
Medium bei gegebener Anfangsverteilung bestimmen. Beschränken wir
2
Im Gegensatz zur Wellengleichung (10.141) ist die Wärmeleitungsgleichung (10.150) nicht mehr
invariant bei einer Zeitumkehr.
200
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
T (x, 0)
x
uns zunächst auf eine Dimension. Entsprechend (10.157) [zusammen
mit(10.155)] gilt
2
T (x, t) = dα eαx+λα t β(α).
(10.158)
Die Temperaturverteilung zum Zeitnullpunkt (t = 0) ist dann
T (x, 0) = dα eαx β(α).
(10.159)
Wir setzen
α = ik
und stellen T (x, 0) in Form eines Fourier-Integrals dar:
T (x, 0) = dk eikx T (k),
1
dx e−ikx T (x, 0).
T (k) =
2π
Einsetzen von (10.162) in (10.158) liefert
1
2
dx dk e−ik(x −x)−λk t T (x, 0).
T (x, t) =
2π
Für das k-Integral ergibt sich
2
π
−
x)
(x
2
dk e−ik(x −x)−λk t =
exp −
λt
4λt
(10.160)
(10.161)
(10.162)
(10.163)
(10.164)
10.4. EVOLUTIONSGLEICHUNGEN
201
(t ≥ 0), und somit lautet (10.163)
1
(x − x)2
T (x, t) = √
.
dx T (x , 0) exp −
4λt
4πλt
(10.165)
Betrachten wir speziell eine kastenförmige Anfangsverteilung
T (x, 0)
−l
T (x, 0) =
x
l
T0
0
f ür |x| ≤ l,
f ür |x| > l.
Wir setzen (10.166) in (10.165) ein und erhalten
l
2
(x
−
x)
T0
.
dx exp −
T (x, t) = √
4λt
4πλt −l
(10.166)
(10.167)
Im Grenzfall einer δ-artigen Anfangsverteilung,
l → 0,
T0 → ∞,
2lT0 = const.,
(10.168)
geht (10.167) in
1
2lT0
T (x, t) = √
lim
4πλt l→0 2l
über, d.h.
2
−
x)
(x
dx exp −
4λt
−l
l
2lT0
x2
.
T (x, t) = √
exp −
4λt
4πλt
(10.169)
(10.170)
Offensichtlich gilt
U0 = c̄A2lT0
;
2lT0 =
U0
Ac̄V
(10.171)
202
KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE
πT (x, t) 2
2T0
(1)
1.5
1
(2)
0.5
-4
-2
(3)
2
(4)
x
4 l
(A - Querschnittsfläche des betrachteten Raumbereichs der Länge 2l).
Die Kurven in der Abbildung geben die Temperaturverteilung zu den
Zeiten (τ = 4λt/l2) τ = 0.05 (1), τ = 0.5 (2), τ = 1 (3) und τ = 5 (4) an.
Die Verallgemeinerung auf drei Dimensionen ist unschwer vorzunehmen. Aus dem eindimensionalen Fourier-Integral (10.158) [zusammen
mit (10.160)] wird offensichtlich ein dreidimensionales Fourier-Integral.
Dementsprechend geht (10.165) in
2
1
−
r)
(r
T (r, t) = √
(10.172)
d3 r T (r, 0) exp −
3
4λt
( 4πλt)
über.
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