Thermodynamik Dirk–Gunnar Welsch 2 Inhaltsverzeichnis 1 Grundbegriffe 5 2 Die Temperatur 17 3 Der 3.1 3.2 3.3 erste Hauptsatz Energiebilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsterme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . pV T -Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 25 28 35 4 Der 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 zweite Hauptsatz Der Carnot-Prozeß . . . . . . . . . . . . . . Nichtexistenz eines perpetuum mobile 2. Art Der Entropiesatz . . . . . . . . . . . . . . . Absolute und empirische Temperatur . . . . Reversible Ersatzprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . 47 47 50 55 60 62 . . . . . . 67 67 73 78 86 88 94 Nernstsche Wärmetheorem Unerreichbarkeit des absoluten Nullpunkts . . . . . . . Thermodynamische Koeffizienten für T → 0 . . . . . . . Wärmekapazitäten und Entropie . . . . . . . . . . . . . 97 98 99 102 5 Thermodynamische Potentiale 5.1 Die Gibbssche Fundamentalgleichung 5.2 Potentialfunktionen . . . . . . . . . . 5.3 pV T -Systeme . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Ideales Gas . . . . . . . . . . 5.3.2 Van der Waals-Gas . . . . . . 5.3.3 Photonengas . . . . . . . . . . 6 Das 6.1 6.2 6.3 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 INHALTSVERZEICHNIS 7 Veränderliche Teilchenzahlen 107 7.1 Chemische Potentiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 7.2 pV T -Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 7.3 Homogene Mischungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 8 Gleichgewicht und Stabilität 8.1 Phasengleichgewicht eines pV T -Systems 8.2 Stabilität eines einfachen pV T -Systems . 8.3 Gibbssche Phasenregel . . . . . . . . . . 8.4 Osmotischer Druck . . . . . . . . . . . . 8.5 Siedepunkt- und Gefrierpunktänderung . 8.6 Chemisches Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 132 135 139 142 144 147 9 Phasenübergänge 155 9.1 Phasenübergänge 1. Art . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 9.2 Phasenübergänge höherer Ordnung . . . . . . . . . . . 163 10 Thermodynamik als Feldtheorie 10.1 Konzept . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Bilanzgleichungen . . . . . . . . . 10.2.1 Massenbilanz . . . . . . . 10.2.2 Impulsbilanz . . . . . . . . 10.2.3 Energiebilanz . . . . . . . 10.2.4 Entropiebilanz . . . . . . . 10.3 Generalisierte Kräfte und Ströme 10.4 Evolutionsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 173 175 175 180 182 185 189 193 An Fortschritt glauben, heißt nicht glauben, daß ein Fortschritt schon geschehen ist. Franz Kafka Kapitel 1 Grundbegriffe System ↔ Umgebung ΔESU ΔES Energie der Wechselwirkung zwischen System und Umgebung (ΔESU ) ist klein gegenüber den inneren Wechselwirkungsenergien (ΔES ), d.h. hinreichend schwache Kopplung: ΔESU ΔES (1.1) – Abgrenzung ist relativ.1 – Sinnvolle Einteilung gemäß Stärke der Wechselwirkungen. Thermodynamische Systeme Thermodynamische Systeme sind makroskopische Systeme, d.h. Systeme mit einer sehr großen Anzahl mikroskopischer Freiheitsgrade. Makroskopische materielle Systeme enthalten eine große Anzahl von atomaren und subatomaren Teilchen (das größenordnungsmäßige Maß ist üblicherweise die Loschmidtsche Zahl L ≈ 1023). 1 Die Abgrenzung eines physikalischen Systems von der Umgebung muß nicht unbedingt in einer räumlichen Isolierung bestehen. Wichtig ist nur, daß es abgrenzbar ist. 5 6 KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE Gegenstand der Thermodynamik Gegenstand der Thermodynamik ist die Untersuchung makroskopischer Systemeigenschaften und ihrer (physikalischen) Verknüpfungen. makroskopisches System Thermodynamik phänomenologische Thermodynamik – Materialabhängige Größen können nicht weiter bestimmt werden, müssen phänomenologisch (über das Experiment) eingeführt werden. – Unabhängig von mikroskopischen Modellvorstellungen. – Sehr allgemeine Gültigkeit. statistische Thermodynamik – Statistische Interpretation der Systemeigenschaften. – Mikroskopische, modellmäßige Berechnung der Materialabhängigkeiten (mit Hilfe geeigneter Mittelungsprozeduren). 7 Zustand eines thermodynamischen Systems Gesamtheit der makroskopischen Kennzeichen oder Eigenschaften, die das System zu einem jeweils festen Zeitpunkt aufweist. Die diesen Eigenschaften zuzuordnenden physikalischen Größen heißen Zustandsgrößen oder Zustandsvariablen. – Fester Zeitpunkt: schließt aus, daß eine Zustandsgröße von der Vorgeschichte des Systems abhängt, d.h. von dem Weg, den das System von einem früheren Zeitpunkt bis zum betrachteten Zeitpunkt durchlaufen hat. Zustandsgrößen müssen durch die Untersuchung (Messung) des Systems zu einem gegebenen Zeitpunkt ermittelbar sein. Äußere Zustandsgrößen Größen, die primär durch die Anordnung der nicht zum System gehörenden äußeren Objekte (Umgebung) bestimmt werden wie beispielsweise – Volumen, – Kraftfelder, deren Quellen sich außerhalb des Systems befinden. Innere Zustandsgrößen Größen, die primär durch innere Wechselwirkungen bestimmt werden, d.h. durch die Dynamik und Verteilung der zum System gehörenden Mikroobjekte wie beispielsweise – Dichte, Druck, Temperatur, – innere Energie, Polarisation, Magnetisierung. Da die Anordnung und Dynamik der zum System gehörenden Mikroobjekte von derjenigen der äußeren Objekte abhängt, werden die inneren Größen natürlich auch durch die äußeren Größen bestimmt. Vollständiger Satz von Zustandsgrößen Ein kleinstmöglicher Satz von Zustandsgrößen, der zur vollständigen Charakterisierung des Zustands notwendig ist, heißt vollständiger Satz von Zustandsgrößen. 8 KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE – Zustandsgrößen des vollständigen Satzes: unabhängige Zustandsgrößen.2 – Alle anderen Zustandsgrößen: abhängige Zustandsgrößen (die durch sie repräsentierten Eigenschaften hängen vom Zustand ab, der seinerseits durch den vollständigen Satz von Zustandsgrößen festgelegt ist). – Anzahl der unabhängigen Zustandsgrößen = Zahl der (makroskopischen) Freiheitsgrade f des thermodynamischen Systems.3 Zustandsraum Raum, der von einem vollständigen Satz unabhängiger Zustandsvariablen aufgespannt wird. Zustandsänderung Prozeß, der das System von einem Zustand zur Zeit t1 in einen Zustand zur Zeit t2 überführt. System zum Zeitpunkt t1 System zum Zeitpunkt t2 Zustand (t1) Zustand (t2) Zwei Möglichkeiten: (a) Zustandsänderungen laufen von selbst (d.h. spontan) ab. 2 Die Auswahl eines vollständigen Satzes kann i. allg. recht willkürlich vorgenommen werden und wird in der Regel durch bestimmte Zweckmäßigkeitskriterien bestimmt. 3 Unabhängig von der Einteilung der Zustandsgrößen in unabhängige und abhängige bleibt die Anzahl der unabhängigen Zustandsgrößen und damit die Anzahl der (makroskopischen) Freiheitsgrade natürlich immer dieselbe. 9 (b) Zustandsänderungen laufen unter dem Einfluß äußerer Eingriffe kontrolliert ab. Kreisprozeß Anfangs- und Endzustand stimmen überein, d.h., alle Zustandsgrößen nehmen wieder ihre Ausgangswerte an. Gleichgewichtszustand Nach hinreichend langer Zeit geht ein sich selbst überlassenes System in einen Gleichgewichtszustand über, den es von selbst (d.h. spontan) nicht wieder verläßt. Dieser Sachverhalt ist eine Erfahrungstatsache und stellt gewissermaßen ein Grundpostulat der Thermodynamik dar. Entsprechend der Definition eines Gleichgewichtszustands ist also ein Nichtgleichgewichtszustand ein Zustand, den ein sich selbst überlassenes System spontan verläßt.4 System zum Zeitpunkt t1 System zum Zeitpunkt t2 → ∞ lim Z(t2) = Zequil t2 →∞ (1.2) Zwei Möglichkeiten: (a) Keine Wechselwirkung mit der Umgebung: innerer Gleichgewichtszustand. 4 Solange sich für ein System ein vollständiger Satz identifizierbarer Zustandsgrößen angeben läßt, befindet sich das System in einem thermodynamischen Zustand, unabhängig davon, ob es sich dabei um einen Gleichgewichtszustand handelt oder nicht. 10 KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE (b) Gewisse Wechselwirkungen mit der Umgebung sind vorhanden, und es stellt sich ein Gleichgewicht zwischen System und Umgebung ein: äußerer Gleichgewichtszustand. Gleichgewichtszustände sind gegenüber Nichtgleichgewichtszuständen dadurch ausgezeichnet, daß sie durch eine kleinere Anzahl von Zustandsgrößen vollständig charakterisiert werden können (kleinerer vollständiger Satz). Beispiel: 2 Temperaturen T1 1 Temperatur T2 T t→∞ Reversibilität/Irreversibilität Prozesse reversible Prozesse irreversible Prozesse Ein Prozeß Z1 → Z2 heißt irreversibel (nicht umkehrbar), wenn bei dem Prozeß Z2 → Z3 = Z1 (wenn also bei einem Kreisprozeß der Ausgangszustand des Systems wiederhergestellt wird) in der Umgebung Veränderungen zurückbleiben. Dementsprechend heißt ein Prozeß reversibel, wenn der Ausgangszustand des Systems ohne bleibende Veränderungen in der Umgebung wiederhergestellt werden kann. 11 t3 , Z3 t1 , Z1 t2 , Z2 Grundsätzlich laufen alle Prozesse in der Natur mehr oder weniger irreversibel ab. Reversible Prozesse sind nur näherungsweise realisierbar. Grenzfall reversibler Prozesse Im (idealisierten) Grenzfall reversibler Prozesse dürfen nur Gleichgewichtszustände durchlaufen werden. Soll sich ein System während eines Prozesses zu jedem Zeitpunkt im Gleichgewicht befinden, muß der Prozeß unendlich langsam, d.h. quasistatisch ablaufen, um Dissipation auf Grund von Relaxation zu verhindern, was in der Praxis natürlich nicht möglich ist. Trotzdem ist die Untersuchung von reversiblen Prozessen wichtig, weil für solche Prozesse eine Reihe praktisch bedeutsamer Größen (z.B. Wirkungsgrad einer Maschine) optimale (maximale) Werte annehmen. Relaxation Wird ein System durch eine Störung aus einem Gleichgewichtszustand in einen Nichtgleichgewichtszustand gebracht und sich selbst überlassen, kehrt es (siehe oben) spontan in den Gleichwichtszustand zurück, den es ohne Eingriffe von außen nicht wieder verläßt. Prozesse dieser Art werden auch als Relaxationsprozesse bezeichnet. Sie liegen allen irreversiblen Prozessen zugrunde und bewirken die Auszeichnung einer Zeitrichtung.5 In vielen Fällen können die durch Relaxationsprozesse 5 Die zunächst für abgeschlossene und mikroskopisch kontrollierbare Systeme formulierten Grund- 12 KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE bedingten Zustandsänderungen pro Zeiteinheit mittels Exponentialgesetzen wie etwa dZ = −γ(Z − Zequil ) (1.3) dt relax beschrieben werden (γ - Relaxationsrate, τ = γ −1 - Relaxationszeit) Störung Gleichgewichtszustand Nichtgleichgewichtszustand Relaxation Reversible (quasistatische) Prozeßführung dZ dZ dt dt micr (1.4) Durch entsprechende Kontrolle von außen müssen die Prozesse so geführt werden, daß sie hinreichend langsam ablaufen, und zwar im Vergleich zu den im System ablaufenden mikroskopischen Prozessen, die die entsprechenden makroskopischen Zustände einstellen“. Ausgehend ” von einem Gleichgewichstszustand muß also die pro Zeiteinheit vorzunehmende Änderung der äußeren Bedingungen so klein sein, daß, wie man sagt, die Mikroobjekte der Änderung der äußeren Bedingungen adiabatisch folgen können, d.h., daß der neue Gleichgewichtszustand sich gewissermaßen momentan einstellt.6 Irreversible Prozeßführung dZ ≥ dt dZ dt (1.5) micr gleichungen der Physik sind invariant gegenüber Zeitumkehr und kennen folglich keine Irreversibilität. Irreversibilität kommt erst dann ins Spiel, wenn große Anzahlen von Freiheitsgraden zu berücksichtigen sind und folglich die Systeme mikroskopisch nicht mehr kontrollierbar sind. 6 Die betrachteten Zeitskalen sind folglich makroskopisch determiniert. 13 Beispiel: irreversible Gasexpansion Schnelles Herausziehen und Hineinschieben der Trennwand (Gas leistet keine Arbeit). NichtgleichgeArbeit ist erforderlich, um wichtszustand den Ausgangszustand wiederrelaxiert in den herzustellen. GleichgewichtsPhasen zustand. Phasen sind in physikalischer und chemischer Hinsicht homogene Bereiche eines thermodynamischen Systems, d.h., die Zustandsgrößen hängen innerhalb einer Phase nicht vom Ort ab, sondern sind ganzen Raumbereichen zugeordnet.7 – Schrumpfen die Phasen auf hinreichend kleine Raumbereiche zusammen, die aus makroskopischer Sicht als infinitesimal klein an7 Zwischen zwei verschiedenen Phasen liegen schmale Übergangszonen (Grenzflächen), in denen sich die Zustandsgrößen räumlich schnell ändern. Die Übergangszonen sind also strenggenommen inhomogene Teile des Systems. In vielen Fällen können diese Inhomogenitäten näherungsweise mit dem Modell einer mathematischen Fläche beschrieben werden. Eine Reihe von Zustandsgrößen erleidet dann Sprünge an den Grenzflächen. 14 KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE gesehen werden können (aus mikroskopischer Sicht jedoch immer noch hinreichend groß sein müssen), ist eine feldtheoretische Beschreibung angebracht (Abschnitt 10). Extensive Zustandsgrößen Extensive Größen sind (für materielle Systeme) der Substanzmenge (Masse) der Phase, der sie zugeordnet sind, proportional (z.B. Masse, Volumen, Energie). Sie haben also in einer Phase, die durch Aneinanderfügen zweier gleicher Phasen entsteht, einen doppelt so großen Wert wie in den Einzelphasen. Intensive Zustandsgrößen Intensive Größen sind unabhängig von der Substanzmenge der Phase, der sie zugeordnet sind (z.B. Temperatur, Druck). Sie haben also in einer Phase, die durch Zusammenfügen zweier gleicher Phasen entsteht, den gleichen Wert wie in den Einzelphasen. Der Quotient zweier extensiver Größen ist eine intensive Größe (z.B. Volumendichte = M/V ). Mögliche Wechselwirkungen System ↔ Umgebung Umgebung Arbeit System Stoff Wärme Kann man die Umgebung als ein derart großes System auffassen, daß sich seine Temperatur bei Entnahme einer endlichen Wärmemenge praktisch nicht ändert, so sagt man, das System befinde sich in einem Wärmebad (Wärmereservoir, Reservoir). 15 Art der Wechselwirkung Energieaustausch (Arbeit, Wärme) und Stoffaustausch Energieaustausch, aber kein Stoffaustausch kein Wärmeaustausch kein Energieaustausch und kein Stoffaustausch Bezeichnung des Systems offenes System geschlossenes System adiabatisch (thermisch) isoliertes System abgeschlossenes System Maßeinheiten für Substanzmengen Mögliche Einheiten sind natürlich Gramm (g) und Kilogramm (kg). Oft werden auch molare Größen und Einheiten verwendet. Definition 1 mol: 1 mol eines homogenen Stoffes besteht aus ebensoviel Einzelteilchen (Atome, Moleküle) wie 12 g 12C (Kohlenstoff 12). Diese Substanzmenge bezeichnet man auch als Molmasse. 1 mol = 6.022 · 1023 Teilchen = L (1.6) N mol (1.7) L Wie bereits erwähnt, sind extensive Zustandsgrößen proportional zur Substanzmenge. Es sei A eine extensive Zustandsgröße eines aus N Teilchen bestehenden homogenen Stoffes der Masse M. Die auf die Masseneinheit bezogene Zustandsgröße ā = A/M wird auch als spezifische Größe bezeichnet. Wird das Mol als Maßeinheit für die Substanzmenge verwendet, so spricht man üblicherweise von molaren Größen. Im Hinblick auf die statistische Thermodynamik werden wir anstelle von nmol die Teilchenzahl N bevorzugen und als spezifische Größe ā auch die auf ein Teilchen bezogene Größe A bezeichnen. d.h. ā = A/N . N Teilchen = nmol = 16 KAPITEL 1. GRUNDBEGRIFFE Kapitel 2 Die Temperatur Der Temperaturbegriff schließt zunächst an die Fähigkeit unserer Sinnesorgane an, warm und kalt zu unterscheiden und in diesem Zusammenhang festzustellen, welcher von zwei Körpern (S1 oder S2 in der folgenden Abbildung) der wärmere bzw. kältere ist. Wir wollen annehmen, daß die beiden Systeme zunächst getrennt und jeweils abgeschlossen sind, sich in Gleichgewichtszuständen befinden und S1 wärmer als S2 ist. Bringen wir die beiden Systeme miteinander in Kontakt, ohne daß Stoff- und Arbeitsaustausch möglich sind, so werden in dem vereinigten (abgeschlossenen) Gesamtsystem zunächst irgendwelche Zustandsänderungen ablaufen. Nach hinreichend langer Zeit wird das Gesamtsystem, das sich zunächst in einem Nichtgleichgewichtszustand befindet, in einen Gleichgewichtszustand übergehen. S1 S2 S1 S2 Ausgangspunkt: System S1 ist wärmer als System S2 (entsprechend den Eindrücken unserer Sinnesorgane). Drei denkbare Möglichkeiten für den sich einstellenden Endzustand des 17 18 KAPITEL 2. DIE TEMPERATUR vereinigten Gesamtsystems: (a) S1 ist wärmer als S2 . (b) S1 und S2 sind gleichwarm. (c) S2 ist wärmer als S1 . Fall (c) ist noch nie beobachtet worden. Ob Fall (a) oder (b) vorliegt, hängt offensichtlich von den Eigenschaften der Kontaktfläche ab: (a) adiabatisch isolierende Wand (näherungsweise realisierbar z.B. durch Asbestwand), (b) thermisch leitende Wand. Thermisches Gleichgewicht: Gleichgewichtszustand, der sich einstellt, wenn zwei Teilsysteme (eines abgeschlossenen Gesamtsystems) durch eine thermisch leitende Wand in (thermischen) Kontakt gebracht werden, so daß Energieaustausch ohne Arbeitsaustausch und Stoffaustausch möglich wird. Die Sinnesempfindung gleich warm“ kann nun zahlenwertmäßig ” quantifiziert werden, indem beiden Systemen (und damit dem Gesamtsystem) die gleiche Zahl, empirische Temperatur T̃ genannt, zugeordnet wird. Die Temperatur kann festgestellt werden, ohne die Vorgeschichte des Systems zu kennen. Sie ist also eine Zustandsgröße. Zusammenfassend gilt: • Von zwei (sich jeweils im Gleichgewicht befindlichen, abgeschlossenen) Systemen S1 und S2 kann stets gesagt werden T̃1 > T̃2 oder T̃1 < T̃2 oder T̃1 = T̃2 (Anordnungsaxiom) • Es seien S1, S2 und S3 (sich jeweils im Gleichgewicht befindliche, abgeschlossene) Systeme. Dann folgt aus T̃1 > T̃2 und T̃2 > T̃3 stets T̃1 > T̃3 (Transitivität). • Zwei (sich jeweils im Gleichgewicht befindliche, abgeschlossene) Systeme S1 und S2 werden in thermischen Kontakt gebracht; das Gesamtsystem S12 sei abgeschlossen. Dann gilt im thermischen Gleichgewicht T̃1 = T̃2 = T̃12. 19 • Es sei T̃1 < T̃2 für zwei getrennte (sich jeweils im Gleichgewicht befindliche, abgeschlossene) Systeme S1 und S2. Dann gilt für die sich im thermischen Gleichgewicht einstellende Temperatur T̃12: T̃1 < T̃12 < T̃2 . Die folgende axiomatische Einführung der Temperatur als eine der zentralen Zustandsgrößen thermodynamischer Systeme wird auch als nullter Hauptsatz bezeichnet: Für jedes thermodynamische System existiert eine intensive (skalare) Zustandsgröße, die Temperatur genannt wird. Ihre Gleichheit ist notwendige und hinreichende Voraussetzung für das thermische Gleichgewicht zweier Systeme oder zweier Teile des gleichen Systems. Schlußfolgerung aus dem Hauptsatz: Zwei Systeme, die sich im thermischen Gleichgewicht mit einem dritten System befinden, sind auch untereinander im thermischen Gleichgewicht, haben also die gleiche Temperatur. Dieser Sachverhalt kann als Vorschrift für eine Temperaturmessung verwendet werden. Wir betrachten zwei Systeme S und S und wollen annehmen, daß der (Gleichgewichts-)Zustand des Systems S durch bestimmte unabhängige Zustandsgrößen A, Bi beschrieben werden kann (i = 1, 2, . . .). Da die Temperatur T̃ Zustandsgröße ist, gilt T̃ = f (A, Bi). (2.1) Wir bringen das System S in thermischen Kontakt mit dem System S . Im thermischen Gleichgewicht besitzen beide Systeme die gleiche Temperatur: T̃ = T̃ = f (A, Bi). (2.2) Durch die Bedingung (2.2) ist der Zustand des Systems S (und natürlich auch der Zustand des Systems S ) noch nicht festgelegt. So kann ein ganzer Satz von Zuständen {A, Bi} derart gefunden werden, daß alle Zustände zur gleichen Temperatur T̃ gehören. Verbindet man 20 KAPITEL 2. DIE TEMPERATUR Jede Isotherme entspricht einer bestimmten Temperatur. B A im Zustandsraum [(A, Bi)-Raum] alle diese Punkte, so erhält man eine (Hyper-)Fläche, die Isotherme, T̃ = f (A, Bi) = const. (2.3) (siehe die Abbildung für den zweidimensionalen Fall). Empirische Temperaturskala: Wir wählen das System S als Standardsystem und bringen es bei unterschiedlichen Temperaturen in thermischen Kontakt mit dem System S , so daß sich unterschiedliche Gleichgewichtstemperaturen einstellen. Durch bestimmte Regeln ordnen wir dann jeder Isotherme des Systems S eine bestimmte Zahl zu. Jedem System, daß sich mit dem System S im thermischen Gleichgewicht befindet, können wir dann die gleiche Temperatur (gleiche Zahl) zuordnen. Ist das System S hinreichend klein“ im Vergleich zu einem Sy” stem S , mit dem es in thermischen Kontakt gebracht wird, so wird sich der im thermischen Gleichgewicht einstellende Zustand von S (im Gegensatz zum Zustand von S) hinreichend wenig vom Ausgangszustand unterscheiden. Das System S als Thermometer übernimmt also die Funktion der Messung der Temperatur des Systems S . Die Forderung , daß das Thermometer klein sein soll im Vergleich zu dem System, dessen Temperatur gemessen werden soll, sichert nicht nur, daß der Zustand des Letzteren durch die Messung möglichst wenig geändert wird, sondern auch, daß sich das thermische Gleichgewicht zwischen System und Thermometer möglichst schnell einstellt. Konkret kann die Zuordnung der Temperaturzahl zu den Isother(0) men etwa dadurch geschehen, daß die Bi = Bi festgehalten werden und folglich T̃ = T̃ (A) (2.4) 21 B B0 T̃1 A1 A2 A3 T̃2 T̃3 T̃4 A A4 gilt, wobei die Zustandsgröße A die thermometrische Eigenschaft repräsentiert. Die Abhängigkeit der Tempertur T̃ von der thermometrischen Eigenschaft A bestimmt die Temperaturskala. Da mit T̃ auch eine Funktion von T̃ die Eigenschaft besitzt Temperatur zu sein, kann willkürlich eine lineare Skala festgelegt werden: T̃ (A) = c A (2.5) (c - Dimensionsfaktor). Entsprechend einer internationalen Konvention wird als Fixpunkt der Tripelpunkt des Wassers gewählt und ihm (willkürlich) die Temperatur von 273, 16 K (Kelvin) zugeordnet: T̃tripel = 273, 16 K = c Atripel (2.6) (Atripel - Wert der thermometrischen Eigenschaft am Tripelpunkt des Wassers). Das heißt, c = 273, 16 K A−1 tripel , (2.7) und folglich gilt T̃ = 273, 16 K A Atripel . (2.8) 22 KAPITEL 2. DIE TEMPERATUR Beispiele für Thermometer: Thermometrische Eigenschaft Volumen Druck Länge elektrischer Widerstand elektrische Spannung Thermometer Gasthermometer bei konstantem Druck Gasthermometer bei konstantem Volumen Flüssigkeit in einer Kapillare (z.B. Hg -Thermometer) Widerstandsthermometer Thermoelement Auf Grund der Willkür bei der Festlegung der Temperaturskala werden die Meßwerte, die mit verschiedenen Thermometern registriert werden, i. allg. erheblich differieren. Die geringsten Unterschiede ergeben sich bei Gasthermometern. Je verdünnter das Gas, d.h., je geringer der Druck des verwendeten Gases am Tripelpunkt des Wassers ist, desto geringer werden die Unterschiede zwischen den mit unterschiedlichen Gasthermometern gemessenen Temperaturen: p (V = const.). (2.9) T ≡ T̃ = 273, 16 K lim ptripel→0 ptripel Im Grenzprozeß verschwindenden Druckes stimmen die gemessenen Temperaturen für alle Gase überein; man spricht in diesem Zusammenhang von T als der idealen Gastemperatur. Die so festgelegte Temperaturskala wird auch als Kelvin-Skala bezeichnet. Die Temperaturmessung mittels empirischer Temperatur erscheint recht willkürlich, da sie stark substanzabhängig ist. Später werden wir die absolute thermodynamische Temperatur kennenlernen, die völlig unabhängig von speziellen Stoffeigenschaften definiert ist. (Abschnitt 4.4). Dabei wird sich zeigen daß ideale Gastemperatur und absolute Temperatur übereinstimmen. Spezielle Temperatureinheiten: TCelsius T = − 273, 15, 0C K TRankin T = 1, 8 , 0R K (2.10) (2.11) 23 TRankin TFahrenheit = 0 − 459, 67. 0F R (2.12) Celsius-Skala ↔ Kelvin-Skala: Verschiebung des Nullpunktes. Rankin-Skala ↔ Fahrenheit-Skala: Verschiebung des Nullpunktes. Rankin-Skala ↔ Kelvin-Skala: kleinere Einheit der Rankin-Skala. Siedepunkt des Wassers: 373.15 K, 100 0 C, 671.67 0 R, 212 0 F. 24 KAPITEL 2. DIE TEMPERATUR Kapitel 3 Der erste Hauptsatz 3.1 Energiebilanz Der erste Hauptsatz der Thermodynamik formuliert die Energiebilanz in sehr allgemeiner Fassung. Gesamtenergie eines Systems innere Energie äußere Energie – Kinetische Energie einer Bewegung des Systems, an der es als Ganzes teilnimmt. – Potentielle Energie in in einem äußeren Kraftfeld. – Alle Energieformen der Bewegungen und Wechselwirkungen der zum System gehörenden (Mikro-)Systeme untereinander. Im weiteren: (a) Stofflich abgeschlossene Systeme betrachten, 25 26 KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ (b) Energie als innere Energie auffassen. Formen des Energieaustausches zwischen System und Umgebung Wärme Arbeit Arbeit: Form des Energieaustausches, bei der das System Arbeit gegen eine äußere Kraft aus der Umgebung leistet, bzw. eine äußere Kraft am System Arbeit verrichtet. Wärme: Form des Energieaustausches ohne Arbeitsverrichtung. Arbeit und Wärme als die beiden Formen des Energieaustausches in der Thermodynamik sind nicht gleichwertig. Arbeit → Wärme: 2 Systeme sind notwendig: S2 S1 δQ δW Wärme → Arbeit: 3 Systeme sind notwendig: S3 S2 S1 δQ δW 3.1. ENERGIEBILANZ 27 1. Hauptsatz: Jedes thermodynamische System besitzt eine extensive (skalare) Zustandsgröße U , die innere Energie. Sie wächst durch Zufuhr von Arbeit (δW ) und Wärme (δQ). dU = δQ + δW (3.1) δQ = δW = 0, (3.2) Abgeschlossenes System: dU = 0 ; U = const. (3.3) Die innere Energie eines abgeschlossenen thermodynamischen Systems ist eine Erhaltungsgröße. Da Wärme und Arbeit Formen des Energieaustausches sind, ist es sinnlos, von Wärme oder Arbeit eines Systems an sich zu sprechen (am Energieaustausch sind mindestens zwei Systeme beteiligt). Wärme und Arbeit sind folglich keine Zustandsgrößen, d.h., δQ und δW sind keine vollständigen Differentiale. δQ > 0: Dem System wird aus der Umgebung Wärme zugeführt. δW > 0: Am System wird von außen Arbeit verrichtet. Äquivalente Formulierung der Aussage, daß innere Energie Zustandsgröße ist: Es ist unmöglich, ein perpetuum mobile 1. Art zu konstruieren, d.h. eine periodisch arbeitende Maschine, die Arbeit abgibt, ohne Energie in irgendeiner Form aufzunehmen. Wir betrachten einen Prozeß zwischen zwei Zuständen Z1 und Z2 . Laut 1. Hauptsatz gilt 2 ΔU = U2 − U1 = dU 1 (3.4) 28 KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ und wenn Zustand 2 mit Zustand 1 übereinstimmt (Kreisprozeß) ΔU = U2 − U1 = dU = 0, (3.5) so daß ΔW = 0 wenn ΔQ = 0. (3.6) Umgekehrt folgt aus der Unmöglichkeit eines perpetuum mobile 1. Art, daß die innere Energie eine Zustandsgröße ist. In diesem Fall muß ΔU = dU = 0 (3.7) für jeden beliebigen Kreisprozeß gelten. Dies ist aber gleichbedeutend damit, daß dU vollständiges Differential sein muß, d.h., U muß Zustandsgröße sein. 3.2 Arbeitsterme Elastische Deformation Wir betrachten die Massenelemente eines elastisch deformierbaren Körpers (a) im undeformierten Ausgangszustand und (b) im verschobenen, deformierten Endzustand. Es seien a die Ausgangslagen der Massenelemente und r die Endlagen der verschobenen und deformierten Massenelemente. ds (a) s da a r da dr (b) 3.2. ARBEITSTERME 29 Gemäß Abbildung gilt r = a + s, dr = da + ds, (3.8) r(a) ←→ a(r), (3.9) ∂sk ∂sk dxk = dak + dal . dal = δkl + (3.10) ∂al ∂al Der Tensor δkl + ∂sk /∂al vermittelt die Abbildung der Umgebung des Punktes a auf die Umgebung des Punktes r. Die reine Deformation wird dabei durch die Änderung des Abstands zwischen den Punkten a und a + da bei der Verschiebung beschrieben, ∂sk ∂sk dxk dxk − dak dak = δkl + δkn + dal dan − dak dak ∂al ∂an ∂sn ∂sk ∂sk ∂sl = + + (3.11) dal dan . ∂an ∂al ∂al ∂an 2ln(ak ) Analoges Vorgehen, wenn ln (xk ) gesucht wird: ∂sk ∂sk dxl dak = dxk − dxl = δkl − (3.12) ∂xl ∂xl 1 ∂sl ∂sn ∂sk ∂sk = nl (xk ). + − (3.13) ln (xk ) = 2 ∂xn ∂xl ∂xl ∂xn Der symmetrische Tensor = ln heißt Deformationstensor. Kleine Deformationen: ∂sk (3.14) ∂al 1, 1 ∂sl 1 ∂sl ∂sn ∂sn ln ≈ ≈ , (3.15) + + 2 ∂an ∂al 2 ∂xn ∂xl Der Deformationstensor ist der symmetrische Anteil des Tensors ∂sk /∂al (bzw. ∂sk /∂xl), 1 ∂sk ∂sl 1 ∂sk ∂sl ∂sk = + + − . (3.16) ∂al 2 ∂al ∂ak 2 ∂al ∂ak kl Dkl 30 KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ Deutung von Dkl : Dk = 1 2 εkln Dln = 1 4 εkln ∂sl ∂sn − ∂an ∂al = − 12 εkln D = − 12 ∇ × s, ∂sn , ∂al (3.17) (3.18) (D) dsk = −εklnDl dan = − 12 εklnεlij Dij dan = 12 (δkiδnj −δkj δni)Dij dan = 12 (Dkj daj −Dik dai ) = Dkj daj , (3.19) ds(D) = −D × da = 12 (∇ × s) × da. (3.20) Der Tensor Dkl beschreibt also eine infinitesimale (starre) Drehung der Umgebung des Punktes a um die Achse durch a in Richtung −D. Im deformierten Zustand greifen an der Oberfläche eines herausgegriffenen Massenelements Flächenkräfte (Kräfte pro Flächeneinheit) an, die Spannungen: dFs = σ · dA. (3.21) dFs dA Integration über die Oberfläche des entsprechenden Volumenelements ΔV liefert die Kraft ← Fs = σ · dA = d3 r σ · ∇ = d3 r ∇ · σ. (3.22) (ΔV ) ΔV ΔV Der symmetrische Tensor σ = σkl heißt elastischer Spannungstensor. Wir betrachten einen deformierten Zustand mit Spannungsfeld σ und 3.2. ARBEITSTERME 31 Verschiebungsfeld s. Bei einer infinitesimal kleinen Verschiebung wird von den Oberflächenkräften die Arbeit ← δW = ds · σ · dA = d3r (ds · σ) · ∇ (3.23) (ΔV ) ΔV bzw. d3r (∇ · σ) · ds + δW = ΔV d3r σ : d (3.24) ΔV geleistet.1 Damit ergibt sich als Arbeit pro Volumeneinheit δw = (∇ · σ) · ds + σ : d, (3.25) so daß für homogene Medien δw = σ : d (3.26) folgt und die spezifische Arbeit (Arbeit pro Masseneinheit) δ w̄ = −1δw = −1 σ : d ist ( - Massendichte). Speziell für homogene und isotrope Medien gilt: σ = −pI ; δw = −p Tr d = −p dkk = −p ∇ · ds. (3.27) Damit ergibt sich für die am Volumenelement ΔV geleistete Arbeit d3 r δw = −p d3 r ∇ · ds = −p dA · ds, (3.28) δW = ΔV ΔV (ΔV ) dV d.h.: δW = −p dV Man beachte, daß kk [gemäß (3.10) zusammen mit (3.14)] ∂sk −1 kk = ∇ · s ≈ det δkl + ∂al 1 α : β ≡ αkl βkl (3.29) (3.30) 32 KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ die relative Volumenänderung ist. Magnetisierung: Um einen nichtmagnetischen Körper zu magnetisieren, wird in der Regel ein Magnetfeld verwendet, dessen Quelle außerhalb des Körpers liegt. Es ist üblich, ein solches Magnetfeld bei der Definition der inneren Energie des Körpers nicht mitzuzählen. Gedankliches Vorgehen: (1) Das angelegte Magnetfeld erteile dem Körper die gewünschte Magnetisierung. (2) Die erreichte Magnetisierung denke man sich nunmehr eingefro” ren“, so daß sie sich bei einer Änderung des Magnetfelds nicht mehr ändert. (3) Das Magnetfeld werde entfernt; der Zustand Magnetisierung ist nun ohne äußeres Magnetfeld vorhanden. Wir betrachten einen Körper im Magnetfeld H eines Permanentmagneten. Besitzt ein Massenelement das magnetische Moment dm, so wirkt auf ihn die Kraft H-Feld dm 11111 00000 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 Südpol 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 00000 11111 dF = (∇H) · dm = (∇H) · M dV = f dV, (3.31) und die bei einer Verschiebung des Massenelements zu leistende Arbeit pro Volumeneinheit ist δw1 = −f · dr = −dr · (∇H) · M = −M · dH. (3.32) 3.2. ARBEITSTERME 33 Wir wollen annehmen, daß sich der Körper anfangs so weit entfernt von einem Magnetpol befindet, daß er keinem Magnetfeld ausgesetzt ist. Bei einer Verschiebung in Richtung Magnetpol soll das auf das Massenelement wirkende Magnetfeld von Null auf H anwachsen. Die resultierende Gesamtarbeit lautet dann H w1 = − dH · M. (3.33) 0 Denken wir uns die erreichte Magnetisierung M fixiert, und entfernen wir den Körper wieder aus dem Magnetfeld, so bedeutet dies die Arbeit w2 = w − w1 M M w −w1 0 0 (3.34) w = w1 + w2 = − dH · M + M · H 0 H H =− d(H · M) + H · dM + M · H 0 0 H = H · dM, (3.35) H Gesamtarbeit: H dH = M · H . w2 = − H dH · M = −M · H H 0 d.h., für die Arbeit pro Volumeneinheit, die bei einer Änderung von M um dM geleistet werden muß, ergibt sich: δw = H · dM (3.36) 34 KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ Dieses Ergebnis ist natürlich nicht nur für die hier speziell betrachtete Anordnung gültig. Bekanntlich kann δWmagn = d3 r H(r) · dB(r) V = μ0 V d3 r H(r) · dH(r) + V d3 r H(r) · dM(r). (3.37) als Änderung der magnetostatischen Feldenergie bei Anwesenheit eines Mediums angesehen werden, wobei der erste Term die Energieänderung bei vorgegebener Magnetisierung darstellt, während der zweite Term die Energieänderung auf Grund einer Magnetisierungsänderung beschreibt und auf den (auf die Volumeneinheit bezogenen) Arbeitsterm (3.36) führt. Polarisation: Analog zu (3.37) gilt im elektrischen Fall d3 r E(r) · dD(r) δWel = V = ε0 d r E(r) · dE(r) + 3 V V d3 r E(r) · dP(r). (3.38) Der zweite Term liefert die auf die Volumeneinheit bezogene Arbeit, die bei einer Änderung von P um dP geleistet werden muß: δw = E · dP (3.39) Allgemeiner Arbeitsterm: Die Erfahrung zeigt, daß δW bei reversiblen Zustandsänderungen folgende Gestalt besitzt: δW = − i yi dXi (3.40) 3.3. P V T -SYSTEME 35 Xi – (extensive) Zustandsgrößen, yi – (intensive) Zustandsgrößen; spielen die Rolle von verallgemeinerten Kräften. Wenn wir davon ausgehen, daß neben den Xi mindestens noch die Temperatur zu einem vollständigen Satz von Zustandsgrößen gehört, so ist δW offensichtlich kein vollständiges Differential, da es kein Differential der Temperatur enthält. Speziell für Kreisprozesse gilt dann i. allg. δW = 0 (3.41) Z y δW Z2 = Z1 Z2 = Z1 3.3 Z X pV T -Systeme Im einfachsten Fall eines pV T -Systems besteht das thermodynamische System aus einem homogenen und isotropen Körper, der weder durch chemische Reaktionen noch durch Wechselwirkungen mit äußeren Kraftfeldern beeinflußt wird. Der makroskopische Zustand eines derartigen Systems kann durch die Angabe der Zustandsgrößen Druck (p), Volumen (V ) und Temperatur (T ) beschrieben werden (wir verwenden die ideale Gastemperatur). Die Erfahrung besagt, daß ein vollständiger Satz von Zustandsgrößen bereits durch zwei Zustandsgrößen gebildet wird. Die dritte Zustandsgröße wird dann über die thermische Zustandsgleichung2 f (p, V, T ) = 0 2 (3.42) Jedes thermodynamische Sytem (z. B. ein Paramagnet) mit zwei unabhängigen Zustandsgrößen entspricht einem pV T -System. 36 KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ festgelegt. Folglich ist die innere Energie eine Funktion von zwei Zustandsgrößen. In der Form U = U (V, T ) (3.43) heißt diese Gleichung kalorische Zustandsgleichung. Mit δW = −p dV (3.44) [siehe Eq. (3.27)] lautet der 1. Hauptsatz dU = δQ − p dV. (3.45) Wärmekapazitäten In der Thermodynamik spielen Wärmekapazitäten eine wichtige Rolle. Allgemein wird eine Wärmekapizät C über die Gleichung δQ = C dT (3.46) definiert. Da die Wärmemenge δQ auf verschiedene Weise dem Systems zugeführt bzw. entzogen werden kann, ist die Definition von C nicht eindeutig. Um bei f makroskopischen Freiheitsgraden die Definition von C eindeutig zu machen, müssen also noch f − 1 Bedingungen an die Prozessführung gestellt werden. Wie wir noch sehen werden, bilden die Temperatur und die Xi oder die Temperatur und die yi jeweils einen vollständigen Satz von Zustandsgrößen. Üblicherweise werden als Bedingungen an die Prozeßführung f − 1 Größen aus der Gesamtheit der 2(f − 1) Größen yi und Xi fixiert. In diesem Sinne kann im Falle eines pV T -Sytems zwischen CV und Cp unterschieden werden. CV : δQ wird dem System bei konstantem Volumen zugeführt. Cp : δQ wird dem System bei konstantem Druck zugeführt. Wir wollen CV und Cp bei gegebener thermischer und kalorischer Zustandsgleichung berechnen. Der 1. Hauptsatz zusammen mit der kalorischen Zustandsgleichung liefert: C dT = dU + p dV ∂U ∂U = dT + dV + p dV, ∂T V ∂V T (3.47) 3.3. P V T -SYSTEME 37 d.h. C dT = ∂U ∂T dT + V ∂U ∂V + p dV. (3.48) T CV ergibt sich aus (3.48) für dV = 0: CV = ∂U ∂T (3.49) V Um Cp zu finden, benutzen wir die thermische Zustandsgleichung in der Form V = V (p, T ) und schreiben ∂V ∂V dV = dp + dT. (3.50) ∂p T ∂T p Wir setzen (3.50) in (3.48) ein und erhalten ∂U C dT = dT ∂T V ∂U ∂V ∂V + +p dp + dT ∂V T ∂p T ∂T p bzw. C dT = ∂U ∂T (3.51) ∂U ∂V +p dT ∂V T ∂T p V ∂V ∂U +p dp. + ∂V T ∂p T + (3.52) Cp ergibt sich dann aus (3.52) für dp = 0 [mit CV gemäß (3.49)]: Cp = CV + ∂U ∂V +p T ∂V ∂T (3.53) p 38 KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ Das heißt, die Differenz der beiden Wärmekapazitäten Cp − CV ist durch die thermische Zustandsgleichung und die Volumenabhängigkeit der inneren Energie vollständig festgelegt. Es ist anzumerken, daß CV und Cp (als Funktionen von Zustandsgrößen) natürlich auch Zustandsgrößen sind. Wichtige Prozesse (1) Isothermer Prozeß: T = const. (2) Isochorer Prozeß: V = const. (3) Isobarer Prozeß: p = const. (4) Polytroper Prozeß: C = const., speziell adiabatischer (von der Umgebung thermisch isoliert ablaufender) Prozeß: C = 0. Die Gleichungen für die Prozesse (1) – (3) folgen direkt aus der thermischen Zustandsgleichung. Polytropenprozeß: Um die Polytropengleichung in Form einer Differentialgleichung zu erhalten, erinnern wir an die Gleichungen (3.48), (3.49) und (3.53), ∂U ∂U C dT = dT + + p dV, (3.54) ∂T V ∂V T ∂U , (3.55) CV = ∂T V ∂U ∂V Cp − CV = +p , (3.56) ∂V T ∂T p wobei im vorliegenden Fall C konstant ist. Mit CV und Cp gemäß (3.55) und (3.56) können wir ∂T (C − CV ) dT = (Cp − CV ) ∂V dV p (3.57) 3.3. P V T -SYSTEME bzw. 39 dT Cp − CV = dV C − CV ∂T ∂V (3.58) p schreiben. Diese Gleichung stellt (nach Elimination von p mittels der thermischen Zustandsgleichung) die Differentialgleichung zur Bestimmung von T als Funktion von V bei einer polytropen Zustandsänderung dar. Aus T (V ) und der thermischen Zustandsgleichung lassen sich dann p(V ) und p(T ) berechnen. Man kann natürlich auch direkt Differentialgleichungen für p(V ) und p(T ) aufstellen. Setzen wir beispielsweise ∂T ∂T dT = dV + dp (3.59) ∂V p ∂p V aus der thermischen Zustandsgleichung in (3.57) ein, so erhalten wir ∂T ∂T ∂T (C −CV ) dV + dp = (Cp −CV ) dV, (3.60) ∂V p ∂p V ∂V p woraus ∂T (C − CV ) ∂p bzw. ∂T ∂p V V ∂T dp = (Cp − C) ∂V dp Cp − C =− dV CV − C ∂T ∂V dV (3.61) p (3.62) p mit dem Polytropenkoeffizienten δ= Cp − C CV − C (3.63) folgt.3 Speziell für C = 0 ergeben sich die Adiabatengleichungen mit dem Adiabatenkoeffizienten Cp δ= . (3.64) CV 3 Man beachte, daß in (3.62) CV und Cp als Funktionen von p und V und in (3.58) als Funktionen von T und V aufzufassen sind. 40 KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ Da bei einem adiabatischen Prozeß δQ = 0 ist, nimmt der 1. Hauptsatz für diesen Fall die Form dU = δW (3.65) an, d.h., bei adiabatischer Kompression (Expansion) wird die innere Energie erhöht (erniedrigt). −10 −5 C 9 CV 7 5 3 1 −1 −3 −5 −7 −9 5 10 δ Cp =5 CV Die obige Abbildung zeigt den Zusammenhang zwischen Wärmekapazität und Polytropenkoeffizient. Der isotherme Prozeß ergibt sich in der Grenze C → ∞ für δ = 1. Im Bereich zwischen Isotherme und Adiabate ist C negativ. Zuführen von Wärme ist mit einem Absinken der Temperatur verbunden. Offensichtlich leistet in diesem Fall das System auf Kosten der inneren Energie mehr Arbeit als ihm Wärme zugeführt wird. Klassisches ideales Gas als einfachstes pV T -System Thermische Zustandsgleichung (Boyle-Mariotte-Gesetz): pV = N kT (3.66) Die Boltzmann-Konstante k als eine universelle Konstante hängt nicht von der Beschaffenheit der Gasteilchen ab. Mit N = nmol L lautet (3.66) pV = nmolLkT = nmol RT. (3.67) 3.3. P V T -SYSTEME 41 Die Konstante R = Lk = 8, 314 J mol−1 K−1, (3.68) heißt universelle Gaskonstante. Oft wird die Gleichung (3.67) auch pro Mol angegeben: (3.69) pvmol = RT (vmol = V /nmol - Molvolumen). Kalorische Zustandsgleichung (Gay-Lussac-Gesetz): U = CV T + const., (3.70) CV = const. Differenz der Wärmekapazitäten: Gemäß (3.53) gilt Cp − CV = ∂U ∂V +p T Aus (3.67) und (3.70) folgt ∂V Nk , = ∂T p p ∂U ∂V ∂p ∂T ∂V ∂T = V . (3.71) Nk , V (3.72) p = 0, (3.73) T so daß Cp − CV = N k (3.74) gilt. Das heißt, neben CV ist auch Cp konstant, und somit ist der Polytropenkoeffizient δ [Gleichung (3.63) mit C = const.] ebenfalls konstant. Für die auf ein Teilchen bezogenen spezifischen Wärmekapazitäten c̄V = CV /N und c̄p = Cp/N gilt also c̄p − c̄V = k. (3.75) 42 KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ Während die Differenz c̄p − c̄V eine universelle Konstante ist, hängen c̄p und c̄V einzeln noch von den (mikroskopischen) Freiheitsgraden fmicr der Gasteilchen ab: c̄V = 12 fmicr k (3.76) (fmicr = 3 für einatomige Gasteilchen; fmicr = 5 für zweiatomige Gasmoleküle; fmicr = 6 für dreiatomige Gasmoleküle). Die auf die Substanzmengeneinheit bezogenen Wärmekapazitäten werden üblicherweise spezifische Wärmen genannt. Die auf ein Mol bezogenen Wärmekapazitäten cmol = C/nmol heißen auch Molwärmen. Die Differenz der Molwärmen bei konstantem Druck und konstantem Volumen ist also (unabhängig von der Beschaffenheit der Teilchen) gleich der universellen Gaskonstanten: cp mol − cV mol = R. Polytropengleichung: Die Konstanz des Polytropenkoeffizienten δ [Gleichung (3.63)] gestattet es, die Polytropengleichung in einfacher Weise zu integrieren. Wir gehen von der Form (3.62) aus, ∂T ∂T dp = −δ dV. (3.77) ∂p V ∂V p p p0 3 (1) 2.5 2 1.5 (4) 1 (3) 0.5 0 (2) 0.5 1 1.5 2 2.5 V 3 V0 (1): Isochore (C = CV , δ = ∞); (2): Adiabate (C = 0, δ = Cp /CV ); (3): Isotherme (|C| = ∞, δ = 1); (4): Isobare (C = Cp , δ = 0). 3.3. P V T -SYSTEME 43 Mit (3.72) folgt V dp = −δ p dV ; dV dp = −δ , p V (3.78) d.h. ln p = −δ ln V + const. (3.79) pV δ = p0V0δ = const. (3.80) bzw. Wegen pV ∼ T (thermische Zustandsgleichung) ergibt sich für die Polytropen im T V -Diagramm pV V δ−1 ∼ T V δ−1 = const. (3.81) und für die Polytropen im p-T -Diagramm δ T = const., pV δ ∼ p p (3.82) d.h. p(1−δ)/δ T = const. (3.83) Arbeit des idealen Gases bei einem polytropen Prozeß: Mit der Zustandsgleichung (3.80) folgt 2 W12 = − p dV = − const. 1 = − const. =− V2 V1 dV Vδ 1 1−δ V2 − V11−δ 1−δ 1 p2 V2δ V21−δ − p1V1δ V11−δ , 1−δ (3.84) d.h. [unter Berücksichtigung der thermischen Zustandsgleichung (3.66) und der Definition (3.63) des Polytropenkoeffizienten] W12 = − 1 (p2V2 − p1 V1 ) = (CV − C) (T2 − T1) . 1−δ (3.85) 44 KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ Speziell für einen adiabatischen Prozeß (C = 0) folgt in Übereinstimmung mit (3.65) W12 = CV (T2 − T1) = U2 − U1 . (3.86) Erwartungsgemäß erhöht adiabatische Kompression (W12 >0) die Temperatur des Gases (T2 − T1 > 0), bzw. anders ausgedrückt, Erwärmung des Gases ohne Zufuhr von Wärme erfordert Arbeit. Vergleich mit einem isothermen Prozeß: 2 W12 = − p dV = −N kT 1 V2 V1 dV V V1 V1 = N kT ln = (Cp − CV ) T ln . V2 V2 (3.87) Isotherme Kompression (V1 > V2 ) erfordert also Arbeit am System (W12 > 0). Umgekehrt wird bei isothermer Expansion (V1 < V2 ) vom System Arbeit verrichtet (W12 < 0). Für einen isothermen Prozeß eines pV T -Systems gilt laut 1. Hauptsatz generell ∂U dV. (3.88) δQ = −δW + dU = −δW + ∂V T Da für ein ideales Gas die innere Energie nicht vom Volumen abhängt, gilt für diesen Fall δQ = −δW, (3.89) d.h., die bei einer isothermen Kompression (Expansion) zugeführte (gewonnene) Arbeit wird vollständig als Wärme abgeführt (zugeführt). Im allgemeinen Fall, wenn die innere Energie auch vom Volumen abhängt, geschieht nur eine teilweise Umwandlung von Arbeit in Wärme und umgekehrt. Gay-Lussac-Experiment: (Experiment zur Demonstration, daß die innere Energie eines idealen Gases nicht vom Volumen abhängt.) δQ = δW = 0 ; dU = 0, (3.90) 3.3. P V T -SYSTEME 45 adiabatisch isolierende Wand T V1 V2 Vakuum T V1 + V2 d.h. U (T1, V1) = U (T2, V1 + V2 ). (3.91) Aus dem experimentellen Befund T1 = T2 = T folgt somit U (T, V1) = U (T, V1 + V2 ). (3.92) Da dies für beliebige Volumina V1 und V2 gilt, kann die innere Energie nicht vom Volumen abhängen: (∂U/∂V )T = 0. 46 KAPITEL 3. DER ERSTE HAUPTSATZ Kapitel 4 Der zweite Hauptsatz Nach dem 1. Hauptsatz besitzt jedes thermodynamische System eine eindeutige Zustandsgröße, die innere Energie, die sich bei beliebigen Prozessen in abgeschlossenen Systemen nicht ändert. Nach dem 2. Hauptsatz besitzt nun jedes thermodynamische System eine weitere eindeutige Zustandsgröße, die Entropie, die im Unterschied zur inneren Energie nur bei reversiblen (quasistatischen) Prozessen in abgeschlossenen Systemen konstant bleibt. Der zweite Hauptsatz wurde im Zusammenhang mit der Analyse von Wärmekraftmaschinen aufgestellt. Wesentliche Untersuchungen dazu gehen auf eine Arbeit von Carnot1 aus dem Jahre 1824 zurück. 4.1 Der Carnot-Prozeß Kreisprozesse spielen in der Technik eine fundamentale Rolle. So können beispielsweise Wärmekraftmaschinen in der Regel durch Kreisprozesse beschrieben werden, wenn auch nur näherungsweise durch reversible. Ein wichtiger reversibler Kreisprozeß ist der zwischen zwei Wärmebädern laufende Carnot-Prozess, wobei bei einem Umlauf dem Wärmebad der Temperatur T1 die Wärmemenge Q1 (reversibel) entnommen wird und einem zweiten Wärmebad der niedrigeren Temperatur T2 die Wärmemenge Q2 (reversibel) zugeführt wird. Die Differenz von zugeführter und abgeführter Wärmemenge wird als Arbeit nach au1 Sadi Carnot (1796 - 1832), französischer Physiker. 47 48 KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ ßen abgegeben.2 Speziell mit einem pV T -System als Arbeitssubstanz läßt sich ein Carnot-Prozess in vier Teilschritten realisieren: (a) isotherme Expansion (T = const. = T1 ) (b) adiabatische Expansion (T1 → T2) (c) isotherme Kompression (T = const. = T2 ) (d) adiabatische Kompression (T2 → T1) p T1 |Q1| 1 |W | |Q1| 2 |W | C T = T1 4 |Q2| 3 T2 |Q2| T = T2 V Wir wollen als Arbeitssubstanz (zunächst) ein ideales Gas annehmen [siehe Gleichungen (3.86) und (3.87)]: V2 1→2 W1 = −N kT1 ln , (4.1) V1 2→3 3→4 4→1 2 Q1 + W1 = 0, (4.2) W2 = −CV (T1 − T2) , V3 , W3 = N kT2 ln V4 (4.3) Q2 + W3 = 0, (4.5) W4 = CV (T1 − T2) . (4.6) Beachte, daß sich die innere Energie bei einem Kreisprozeß nicht ändert. (4.4) 4.1. DER CARNOT-PROZESS 49 Gesamtarbeit: W = W1 + W2 + W3 + W4 V2 V3 + N kT2 ln = −N kT1 ln V1 V4 (4.7) Wir wenden die Adiabatengleichung (3.81) an, T1 V1δ−1 = T2V4δ−1, T1V2δ−1 = T2V3δ−1, (4.8) und finden V2 V3 = . V1 V4 Folglich lautet die Gesamtarbeit (4.9) V2 W = −N k (T1 − T2) ln V1 . (4.10) Ist also T1 > T2, dann ist W < 0, d.h., die Carnot-Maschine leistet die Arbeit −W = |W |. Aus (4.1) und (4.2) ist ersichtlich, daß V2 (4.11) Q1 = −W1 = N kT1 ln V1 gilt. Mit (4.10) und (4.11) lautet der Wirkungsgrad ηC = − W Q1 (4.12) unserer speziellen Carnot-Maschine (beachte, daß Q1 > 0 ist): ηC = T1 − T2 T2 =1− T1 T1 (4.13) Schlußfolgerungen: • Der Wirkungsgrad ηC ist um so größer, je kleiner T2/T1 ist, oder anders, je größer die Temperaturdifferenz zwischen den beiden Wärmebädern ist. 50 KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ • Für T1 = T2 folgt ηC = 0, und es wird keine Arbeit geleistet. • Es erfolgt keine vollständige Umwandlung von Wärme in Arbeit. Da der Carnot-Prozeß ein reversibler Kreisprozeß ist, kann er natürlich auch umgekehrt ablaufen (Wärmepumpe bzw. Kältemaschine). 4.2 Nichtexistenz eines perpetuum mobile 2. Art Der 1. Hauptsatz erlaubt bekanntlich beliebige Energieumwandlungen, d.h. insbesondere auch die vollständige Umwandlung von Wärme in Arbeit bei beliebigen Kreisprozessen: ΔU = dU = 0 = ΔQ + ΔW ; ΔQ = −ΔW. (4.14) Der Carnot-Prozeß mit einem idealen Gas als Arbeitssubstanz hat gezeigt, daß nur dann Arbeit geleistet werden kann, wenn mindestens zwei Wärmereservoirs beteiligt sind. Diese Aussage ist nun nicht nur auf das betrachtete Beispiel beschränkt, wie die Erfahrung in Form (der Planckschen Formulierung) des 2. Hauptsatzes zeigt.3 Es ist unmöglich, ein perpetuum mobile 2. Art zu konstruieren, d.h. eine periodisch arbeitende Maschine, die weiter nichts bewirkt als Heben einer Last (Arbeitsleistung) und Abkühlung eines Reservoirs. Der 2. Hauptsatz stellt im Vergleich zum 1. Hauptsatz eine völlig neue Qualität dar, denn im Rahmen des 1. Hauptsatzes widerspricht nichts der Konstruktion eines perpetuum mobile 2. Art. 3 Äquivalente Formulierung nach Clausius: Es ist unmöglich, eine periodisch arbeitende Maschine zu konstruieren, die nichts weiter bewirkt als Entnahme von Wärme aus einem Reservoir und Zuführen der gleichen Wärmemenge in ein Reservoir höherer Temperatur. 4.2. NICHTEXISTENZ EINES PERPETUUM MOBILE 2. ART 51 Folgerungen aus dem 2. Hauptsatz: (1) Alle Carnot-Prozesse, d.h. alle reversiblen Kreisprozessen zwischen zwei Wärmereservoirs, bei denen unter Abgabe von Arbeit nach außen dem Reservoir der höheren Temperatur (T1) eine Wärmemenge entzogen und dem der tieferen Temperatur (T2) eine (kleinere) Wärmemenge zugeführt wird, besitzen den Wirkungsgrad η = ηC = T1 − T2 T2 =1− . T1 T1 (4.15) Der Beweis kann indirekt geführt werden, indem die Annahme gemacht wird, daß es eine Carnot-Maschine (M) mit ηM > ηC gibt und eine Anordnung wie in der Abbildung betrachtet wird, bei der unsere spezielle (mit einem idealen Gas arbeitende) Carnot-Maschine (C) als Wärmepumpe dient. T1 |Q1| |Q1| |W | |W | M C |Q2| T2 Energiebilanz (1. Hauptsatz) für die Wärmekraftmaschine M: Q1 + Q2 + W + W = 0, ; Q1 + Q2 = −(W + W ) = ηM Q1, (4.16) d.h. −Q2 = (1 − ηM ) Q1. (4.17) Energiebilanz (1. Hauptsatz) für die Wärmepumpe C:4 Q1 − Q2 − W = 0, 4 ; Q1 − Q2 = W = ηC Q1, Die Vorzeichen von Q2 und W sind durch die Wärmekraftmaschine M festgelegt. (4.18) 52 KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ d.h. −Q2 = − (1 − ηC ) Q1. (4.19) Der Vergleich von (4.17) und (4.19) liefert − (1 − ηC ) Q1 = (1 − ηM ) Q1, −Q1 = 1 − ηM Q1 . 1 − ηC (4.20) (4.21) Gemäß (4.16) und (4.18) gilt −W = ηM Q1 + W = ηM Q1 + ηC Q1, (4.22) woraus mit (4.21) ηM − ηC Q1 (4.23) 1 − ηC folgt. Da ηM > ηC angenommen wurde, muß −W > 0 gelten. Die durch Kombination der Maschinen M und C konstruierte (periodisch arbeitende) Maschine leistet also Arbeit bei alleiniger Abkühlung des Wärmereservoirs der Temperatur T1. Da dies im Widerspruch zum 2. Hauptsatz steht, kann offenbar ηM nicht größer als ηC sein. Der Wirkungsgrad ηM kann aber auch nicht kleiner als ηC sein. In diesem Fall könnte man das obige Schema so abwandeln, daß als Wärmekraftmaschine nunmehr unsere spezielle Carnot-Maschine C verwendet wird, während die allgemeine Carnot-Maschine M die Funktion einer Wärmepumpe hat. Für ηM < ηC wäre das Ergebnis offensichtlich wieder ein perpetuum mobile 2. Art [in der Gleichung (4.23) sind ηM und ηC einfach zu vertauschen]. Insgesamt bleibt also nur die behauptete Möglichkeit η = ηM = ηC . −W = (2) Jeder irreversible Kreisprozeß zwischen zwei Wärmereservoirs besitzt einen Wirkungsgrad η, der kleiner als ηC ist, η< T2 T1 − T2 =1− T1 T1 (4.24) Der Beweis kann wieder indirekt geführt werden. So kann gezeigt werden, daß η ≥ ηC auf Widersprüche führt. Würde η > ηC gelten, könnte man eine irreversibel arbeitende Maschine mit einer reversibel arbeitenden Maschine kombinieren und letztere als Wärmepumpe arbeiten 4.2. NICHTEXISTENZ EINES PERPETUUM MOBILE 2. ART 53 lassen. Entsprechend den obigen Überlegungen hätte man dann wieder ein perpetuum mobile 2. Art konstruiert – im Widerspruch zum 2. Hauptsatz. Würde η = ηC gelten, wäre gemäß (4.21) |Q1 | = |Q1 | und der Ausgangszustand der kombinierten Maschine wiederhergestellt, ohne Änderungen in der Umgebung zu hinterlassen, was im Widerspruch zur angenommenen Irreversibilität steht (siehe Abbildung). T1 |Q1 | = |Q1 | |Q1| M |W | C |Q2| T2 Fazit: η ≤ ηC = bzw. η=− T1 − T2 , T1 W Q1 + Q2 T1 − T2 = ≤ ηC = , Q1 Q1 T1 (4.25) (4.26) d.h.: Q1 Q2 + ≤0 T1 T2 (4.27) Offensichtlich gilt das Gleichheitszeichen für reversible und das Kleinerzeichen für irreversible Prozeßführung. Im Falle reversibler Prozeßführung heißt die Gleichung Q1 Q2 + =0 T1 T2 (4.28) auch Clausiusscher Wärmesummensatz; Q/T nennt man reduzierte Wärmemenge. Der Clausiussche Wärmesummensatz gilt für 54 KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ jeden reversiblen Kreisprozeß: δQ =0 T (4.29) Zum Beweis ersetzen wir einen beliebigen Kreisprozeß durch hinreichend kleine Stücke von Isothermen und Adiabaten. Die beispielsweise für ein pV T -System vom Kreisprozeß in einem pV -Diagramm eingeschlossene Fläche wird dabei (wie in der Abbildung skizziert) in einzelne Vierecke zerlegt. Jedes dieser Vierecke entspricht einem speziellen p Netz von Isothermen und Adiabaten beliebiger Kreisprozeß V Carnot-Prozess, für den der Clausiussche Wärmesummensatz gilt. Wird über alle durch die stark umrandete Fläche in der Abbildung gegebenen Prozesse summiert, ergibt sich folglich Null. Da sich die Anteile innerhalb der Fläche wegheben (alle Wärmemengen treten mit umgekehrten Vorzeichen noch einmal auf), bleiben nur die Beiträge von den Isothermen entlang der gezackten Berandungskurve, δQn n Tn = 0, (4.30) woraus im Grenzprozeß eines immer dichter werdenden Netzes aus Isothermen und Adiabaten die Integralrelation (4.29) wird. 4.3. DER ENTROPIESATZ 4.3 55 Der Entropiesatz Die Gleichung (4.29) ist offensichtlich die Bedingung dafür, daß δQ/T ein vollständiges Differential ist, d.h., es existiert eine Zustandsgröße S, die Entropie, deren vollständiges Differential sich gemäß dS = δQrev T (4.31) ergibt, wobei die Bezeichnung δQrev zum Ausdruck bringen soll, daß der Wärmeaustausch zwischen System und Umgebung auf reversiblem Wege geschehen muß. Wir betrachten einen Kreisprozeß unter Beteiligung von zwei infinitesimal benachbarten Zuständen bei gegebener Temperatur T . Beim Übergang vom ersten zum zweiten Zustand werde die Wärmemenge δQ aus einem Wärmebad aufgenommen, und beim reversiblen Übergang zurück zum Ausgangszustand werde die Wärmemenge δQrev an das Wärmebad abgeführt. Mit T1 = T2 = T, Q1 = δQ > 0, Q2 = −δQrev < 0 (4.32) gilt gemäß (4.27) δQ δQrev − ≤ 0, T T bzw. unter Berücksichtigung von (4.31): dS ≥ δQ T (4.33) (4.34) Das Gleichheitszeichen gilt für reversiblen und das Größerzeichen für irreversiblen Wärmeaustausch. Insbesondere finden wir für abgeschlossene Systeme (δQ = 0): dS ≥ 0 (4.35) 56 KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ Die Entropie eines abgeschlossenen Systems kann nicht abnehmen. Irreversible Prozesse bewirken, daß die Entropie zunimmt. Der gefundene Sachverhalt kann wie folgt zusammengefaßt werden (Sommerfeldsche Formulierung des 2. Hauptsatzes): Jedes thermodynamische System besitzt eine extensive (skalare) Zustandsgröße S, die Entropie. Ihre Änderung bei reversiblen Zustandsänderungen (eines nicht abgeschlossenen Systems) berechnet man, indem man die zugeführte Wärmemenge δQ durch die Temperatur T (ideale Gastemperatur) dividiert. Bei allen irreversiblen Zustandsänderungen wird im Innern des Systems Entropie produziert. In Formeln: dS = dSe + dSi (4.36) δQ , dSe = T dSi ≥ 0 Wie bereits gesagt, bedeutet dies für abgeschlossene Systeme (δQ = δW = 0), daß dS =dSi ≥0 gilt, d.h., die Entropie kann nur zunehmen oder höchstens gleichbleiben (falls nur reversible Prozesse ablaufen). Solange in einem abgeschlossenen System noch Prozesse von allein ablaufen, wird Entropie produziert, so daß die Entropie des Systems anwächst. Erst wenn der Gleichgewichtszustand erreicht ist, hört die Entropieproduktion auf; die Entropie selbst hat dann einen Maximalwert erreicht. Der 2. Hauptsatz charakterisiert also die Richtung dieser spontanen oder natürlichen Prozesse. Sie verlaufen in abgeschlossenen Systemen in der Richtung, in der die Entropie zunimmt. Wärmekraftmaschienen Man kann den 2. Hauptsatz in der oben gegebenen Entropieformulierung an die Spitze stellen und dann zeigen, daß es kein perpetuum mobile 2. Art geben kann. Dazu ist es ausreichend zu beweisen, daß bei jedem (mit Abgabe von Arbeit nach außen verbundenen) Kreisprozeß 4.3. DER ENTROPIESATZ 57 zwischen zwei Wärmereservoirs höchstens der Wirkungsgrad ηC [Gleichung (4.13)] eines Carnot-Prozesses erreicht werden kann. 1. Hauptsatz: 0= dU = δQ + δW, (4.37) d.h. Q1 + Q2 + W = 0 ; −W = Q1 + Q2 (4.38) δQ , T (4.39) (Q1 > 0, Q2 < 0, W < 0). 2. Hauptsatz: 0= d.h. Q1 Q2 + ≤0 T1 T2 dS ≥ ; T 2 Q2 + ≤ 0. T 1 Q1 (4.40) Mit (4.38) ergibt sich für den Wirkungsgrad zunächst η=− W Q1 + Q2 Q2 = =1+ Q1 Q1 Q1 (4.41) sowie mit ηC aus (4.13) und der zweiten Ungleichung in (4.40) η =1− T 2 Q2 T 2 T 2 Q2 + + = ηC + + ≤ ηC . T 1 T 1 Q1 T 1 Q1 (4.42) In Worten, der Wirkungsgrad jeder periodisch arbeitenden Maschine, die einem Wärmebad eine Wärmemenge entzieht, um Arbeit zu leisten, und dabei die verbleibende Wärmemenge an ein Wärmebad niedrigerer Temperatur abgibt, kann prinzipiell nicht größer sein als der einer Carnot-Maschine. Als nächstes untersuchen wir einen reversiblen Kreisprozeß, bei dem Wärmezu- und -abfuhr nicht bei konstanten Temperaturen erfolgen. 1 → 2: 2 → 1: Dem System werde die Wärmemenge Q1 reversibel zugeführt. Die maximale Temperatur sei T1 . Dem System werde die Wärmemenge Q2 reversibel entzogen. Die minimale Temperatur sei T2. 58 KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ T 1 T1 2 1 2 T2 1 2 S2 S1 2 Qrev 1 = 2 δQrev = 1 Qrev 2 = T dS = T 1 (S2 − S1 ), (4.43) T dS = T 2 (S1 − S2 ), (4.44) 1 1 δQrev = 2 T1 ≥ 1, T1 S 1 2 T2 ≤ 1, T2 ; T2 T 2 − ≤0 T1 T 1 (4.45) (T 1 , T 2 - mittlere“ Temperaturen). Die Gleichungen (4.43) und (4.44) ” liefern T2 Qrev 1 Qrev 2 Qrev 2 + = 0, ; =− , (4.46) Qrev 1 T1 T2 T1 und somit folgt für den Wirkungsgrad ηrev = T2 Qrev 1 + Qrev 2 T2 T2 T 2 =1− =1− + − , Qrev 1 T 1 T1 T1 T 1 ηC ≤0 (4.47) d.h. ηrev ≤ ηC . (4.48) Sind die Temperaturen während der beiden Halbzyklen nicht konstant, so ist der beim reversiblen Durchlaufen des Kreisprozesses erreichbare Wirkungsgrad also immer kleiner als bei einem reversiblen Kreisprozeß zwischen zwei Wärmebädern, deren Temperaturen gerade der maximalen und minimalen Temperatur des betrachteten Kreisprozesses entsprechen. 4.3. DER ENTROPIESATZ 59 Bei Berücksichtigung von irreversiblen Vorgängen gilt laut 2. Hauptsatz δQrev ≥ δQ ; Qrev 1 ≥ Q1 , Qrev 2 ≥ Q2 , Qrev 1 −Qrev 2 −Qrev 2 −Q2 ≥ 1, ≤ 1, ; − ≤ 0, Q1 −Q2 Qrev 1 Q1 und für den Wirkungsgrad ergibt sich η =1+ Q2 Qrev2 Qrev2 Q2 =1+ − + . Q1 Qrev1 Qrev1 Q1 ηrev ≤0 (4.49) (4.50) (4.51) Zusammen mit (4.48): η ≤ ηrev ≤ ηC (4.52) Wärmepumpen und Kühlmaschinen Läuft ein Kreisprozeß so, daß einer kälteren Umgebung Wärme entzogen wird und unter Verrichtung von Arbeit am System einer wärmeren Umgebung Wärme zugeführt wird, so funktioniert die entsprechende Maschine als Wärmepumpe bzw. Kühlmaschine. Der 1. Hauptsatz liefert wieder das bekannte Resultat (4.53) dU = 0 ; Q1 + Q2 + W = 0, wobei jetzt Q1 < 0 und Q2 > 0, W > 0 gilt, und der 2. Hauptsatz liefert ebenfalls wieder die bekannten Resultate. Sind speziell die beiden Umgebungstemperaturen konstant, gilt δQ Q1 Q2 ≤ dS = 0 ; + ≤ 0. (4.54) T T1 T2 Als Wirkungsgrad wird je nach Verwendungszweck der Maschine Q1 W Q2 = W ηheat = − f ür Wärmepumpen, (4.55) ηcool f ür Kühlmaschinen (4.56) 60 KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ definiert. Im Falle von Kühlmaschinen wird ηcool auch Kühlkoeffizient genannt. Es gilt: 1 W Q1 + Q2 Q1 =− = −1 − , ηcool Q2 Q2 Q2 1 T1 T 1 Q1 T1 = −1 + − + ≥ −1 + ηcool T2 T Q T2 2 2 ≤0 = ηcool ≤ T2 . T1 − T2 (4.57) (4.58) (4.59) Völlig analog läßt sich T1 (4.60) T1 − T2 zeigen. Das Gleichheitszeichen gilt wieder im Grenzfall reversibler Prozeßführung. ηheat ≤ 4.4 Absolute und empirische Temperatur Für eine Carnot-Maschine gilt bekanntlich T1 |Q1 | , = T2 |Q2 | (4.61) wobei unter den Temperaturen T1 und T2 der beiden Wärmebäder die idealen Gastemperaturen in Kelvin zu verstehen sind. Da der Wirkungsgrad einer solchen Maschine die Eins prinzipiell nicht überschreiten kann, kann die tiefere Temperatur offensichtlich nicht negativ werden. Mit anderen Worten, der Nullpunkt der Kelvin-Skala entspricht der tiefsten Temperatur (oder dem absoluten Nullpunkt) schlechthin (siehe dazu auch Kapitel 6). Die Tatsache, das für das Verhältnis der umgesetzten Wärmemengen |Q2|/|Q1 | = T2/T1 gilt, kann die Temperaturmessung auf die Messung der bei einem Carnot-Prozess umgesetzten Wärmemengen und somit auf die Bestimmung des Wirkungsgrads einer Carnot-Maschine zurückgeführt werden. Fungiert das System, dessen Temperatur T gemessen werden soll als das Reservoir, das 4.4. ABSOLUTE UND EMPIRISCHE TEMPERATUR 61 die Wärmemenge |Q| abgibt (aufnimmt) und ein Vergleichssystem definierter Temperatur Tref als das Reservoir, das die Wärmemenge |Qref | aufnimmt (abgibt), dann gilt T |Q| = Tref |Qref | ; T = |Q| Tref . |Qref | (4.62) Die Bedeutung dieser Messvorschrift besteht in ihrer völligen Unabhängigkeit von jedweden Materialeigenschaften, so dass die Gleichung (3.61) für den Wirkungsgrad einer Carnot-Maschine zusammen mit der Festlegung der Vergleichstemperatur Tref = 273, 16 K (4.63) als Definitionsgleichung der absoluten oder thermodynamischen Temperatur angesehen werden kann, und somit absolute Temperatur und ideale Gastemperatur übereinstimmen. Messung von Wärmemengen Einem System, das eine Wärmemenge abgegeben hat, wird eine gleichgroße Energiemenge in einer anderen, der Messung leicht zugänglichen Energieform zugeführt (etwa durch elektrische Heizung). Dazu sind offensichtlich keine geeichten Thermometer notwendig. Die Benutzung einer Carnot-Maschine zur praktischen Temperaturmessung wäre natürlich höchst unbequem. Deshalb werden in der Praxis zweckmäßig konstruierte Thermometer mit einer empirischen Temperaturskala verwendet. Diese läßt sich eindeutig auf die absolute Temperatur umrechnen. Umrechnung der Temperaturen Wir betrachten der Einfachheit wegen wieder ein pV T -System. Wie sich zeigen läßt (Kapitel 5), sind thermische und kalorische Zustandsgleichung nicht unabhängig voneinander vorgebbar. Es gilt [Gleichung (5.70)] ∂p ∂U T =p+ . (4.64) ∂T V ∂V T Wir fassen nun p und U als Funktionen der empirischen Temperatur T̃ 62 KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ auf, ∂p dT̃ ∂U T =p+ . (4.65) ∂V T̃ ∂ T̃ V dT Diese Gleichung stellt eine Differentialgleichung zur Bestimmung der Funktion T = T (T̃ ) dar: ∂p dT ∂T̃ V = dT̃ . (4.66) ∂U T p+ ∂V T̃ Integration liefert ∂p T̃ T ∂ T̃ V . = dT̃ ln ∂U T0 p+ T̃0 ∂V T̃ (4.67) Als Bezugspunkt T0 = T (T̃0) kann wieder der Tripelpunkt des Wassers mit T0 = Tref = 273.16 K gewählt werden, wobei T̃0 in der gerade verwendeten empirischen Temperaturskala gemessen werden muß. Fazit: Auf Thermometer mit thermodynamischer Temperaturskala kann verzichtet werden, Thermometer mit empirischer Skala genügen. Nach Bestimmen der Zustandsgleichungen p = p(T̃ , V ), U = U (T̃ , V ) (4.68) kann dann gemäß (4.67) T = T (T̃ ) berechnet werden und dann gemäß T̃ = T̃ (T ) die empirische Temperatur T̃ zugunsten der absoluten Temperatur T in den Zustandsgleichungen eliminiert werden. 4.5 Reversible Ersatzprozesse Betrachten wir einen Prozeß zwischen zwei (gehemmten) Gleichgewichtszuständen Z1 und Z2. Die Entropieänderung ΔS = S2 − S1 (4.69) 4.5. REVERSIBLE ERSATZPROZESSE 63 ist natürlich völlig unabhängig von der Art des durchlaufenen Prozesses. Die Entropieänderung bei einem irreversiblen Prozeß zwischen den beiden Zuständen kann folglich berechnet werden, indem ein beliebiger reversibler Prozeß anstatt des tatsächlichen Prozesses betrachtet wird. Die einzige Bedingung an einen solchen reversiblen Ersatzprozeß ist, daß Anfangs- und Endzustand mit denen des tatsächlichen Prozesses übereinstimmen.5 Wie bei jedem reversiblen Prozeß kann die Entropieänderung bei einem reversiblen Ersatzprozeß durch Kombination des 1. und des 2. Hauptsatzes für (gehemmte) Gleichgewichtszustände berechnet werden. Speziell im Falle eines pV T -Systems gilt dU = T dS − p dV ; dS = 1 p dU + dV, T T (4.70) d.h., die Entropie kann als Funktion von U und V aufgefaßt werden (die hier die Rolle der unabhängigen Zustandsgrößen spielen): S = S(U, V ). Mittels der kalorischen Zustandsgleichung U = U (T, V ) kann dann die Entropie als Funktion von T und V dargestellt werden, S = S(T, V ), und unter Verwendung der thermischen Zustandsgleichung als Funktion von p und T , S = S(p, T ), bzw. als Funktion von p und V , S = S(p, V ). Irreversible Gasexpansion Wir betrachten das in der folgenden Abbildung skizzierte Gay-LussacExperiment. Fassen wir S als Funktion von T und V auf, so folgt mit Anfangszustand V Endzustand ΔV den Zustandsgleichungen (3.66) und (3.70) des idealen Gases aus (4.70) dS = 5 Nk CV dT + dV, T V (4.71) Um die bei einem irreversiblen Kreisprozeß im Innern des Systems produzierte Entropie zu berechnen, kann analog verfahren werden, indem eine Zustandsänderung von System und Umgebung betrachtet wird, wobei das Gesamtsystem als abgeschlossen angenommen werden kann. 64 KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ d.h. T2 V2 + N k ln . (4.72) T1 V1 Entsprechend dem experimentellen Befund sind für ein abgeschlossenes System Anfangs- und Endzustand wie folgt gegeben: ΔS = CV ln T1 = T2 , V1 = V, V2 = V + ΔV. Folglich lautet die Entropieänderung ΔV ΔS = N k ln 1 + > 0. V (4.73) (4.74) Erwartungsgemäß zeigt die Zunahme der Entropie des abgeschlossenen Systems, daß es sich bei dem Prozeß um einen irreversiblen Prozeß handelt. Die Arbeit, die bei adiabatischer Expansion hätte gewonnen werden können, ist gewissermaßen verschenkt worden. Die Herstellung des Ausgangszustands erfordert offensichtlich Arbeit (z.B. isotherme Kompression) von außen, d.h. bleibende Veränderungen in der Umgebung. Wärmeleitung Für das Gesamtsystem gilt dS ≥ 0, T1 δQ (4.75) (T1 > T2 ) T2 wärmeleitende Wand dS1 = dSi 1 − δQ , T1 (4.76) dS2 = dSi 2 + δQ . T2 (4.77) 4.5. REVERSIBLE ERSATZPROZESSE 65 Obwohl das Gesamtsystem in einem Nichtgleichgewichtszustand ist, können wir annnehmen, daß sich jedes der Teilsysteme (zum betrachteten Zeitpunkt) in einem Gleichgewichtszustand befindet, dSi 1 = dSi 2 = 0, und folglich 1 1 − dS = δQ T2 T1 (4.78) (4.79) gilt, d.h. T1 − T2 . (4.80) T1 T2 Fazit: dS ≥ 0 impliziert daß (für δQ ≥ 0) T1 ≥ T2 , bzw. aus T1 ≥ T2 folgt dS ≥ 0, d.h. Wärmeleitung (T1 > T2 ) ist als irreversibler Prozeß mit einer Entropiezunahme verknüpft. Um die mit dem Temperaturausgleich insgesamt verbundene Entropieänderung zu berechnen, genügt es wieder, den Anfangszustand und den Endzustand des Systems zu kennen. Wir wollen annehmen, daß die wärmeleitende Wand zwei ideale Gase in thermischen Kontakt miteinander bringt. Der Anfangszustand sei durch N1, V1 , T1, N2, V2, T2 und der Endzustand durch N1 , V1, T, N2, V2, T festgelegt. Gemäß (4.72) gilt für die Entropieänderungen der Teilsysteme T , (4.81) ΔS1 = (CV )1 ln T1 T , (4.82) ΔS2 = (CV )2 ln T2 dS = δQ und folglich lautet die Entropieänderung des Gesamtsystems T T ΔS = N1 (c̄V )1 ln + N2(c̄V )2 ln ≥ 0, T1 T2 (4.83) wobei (CV )i = Ni(c̄V )i, i = 1, 2, berücksichtigt wurde. Um zu sehen, daß ΔS > 0 für T1 = T2 gilt, berechnen wir zunächst die Temperatur T , die sich im thermischen Gleichgewicht einstellt. Aus 0 = ΔU = N1(c̄V )1 (T − T1 ) + N2 (c̄V )2 (T − T2 ) (4.84) 66 KAPITEL 4. DER ZWEITE HAUPTSATZ folgt [für (c̄V )1 = (c̄V )2 = c̄V ] N1 (T − T1) + N2 (T − T2) = 0, (4.85) (N1 + N2 ) T = N1 T1 + N2 T2, (4.86) also N1 T 1 + N2 T 2 N1 + N2 (4.87) T = n̄1 T1 + n̄2 T2 , (4.88) T = bzw. wobei die Ni Ni (4.89) = N1 + N2 N die Teilchenkonzentrationen in den beiden Teilsystemen sind. Wir setzen die Gleichgewichtstemperatur (4.87) in (4.83) ein und erhalten n̄1 n̄2 T T ΔS = N c̄V ln T1 T2 T = N c̄V ln n̄1 n̄2 T1 T2 n̄1 T1 + n̄2 T2 . (4.90) = N c̄V ln T1n̄1 T2n̄2 n̄i = Erwartungsgemäß gilt ΔS ≥ 0, (4.91) so dass ΔS > 0 gilt wenn T1 = T2 ist. Die Ungleichung (4.91) folgt aus der Abschätzung T1n̄1 T2n̄2 = exp(n̄1 ln T1 + n̄2 ln T2) ≤ n̄1 exp(ln T1) + n̄2 exp(ln T2 ) = n̄1T1 + n̄2T2 = T (4.92) Obwohl sehr nützlich, versagt das Konzept des reversiblen Ersatzprozesses, wenn beispielsweise im vorliegenden Fall nach dem zeitlichen und räumlichen Verlauf des Temperaturausgleichs gefragt wird. Um diese Frage zu beantworten, bedarf es einer feldtheoretischen Beschreibungsweise (Kapitel 10). Kapitel 5 Thermodynamische Potentiale 1. Hauptsatz: δQ + δW = dU 1 1 δQ = dU − δW. T T T ; (5.1) 2. Hauptsatz: dS = dSi + δQ , T dSi ≥ 0. (5.2) Kombination der beiden Hauptsätze: dS = dSi + 5.1 1 1 dU − δW, T T dSi ≥ 0. (5.3) Die Gibbssche Fundamentalgleichung Wir wenden die Gleichung (5.3) auf reversible Zustandsänderungen an. In diesem Fall ist dSi = 0, und wir erhalten unter Berücksichtigung von (3.40) die Gibbssche Fundamentalgleichung: 1 1 dS = dU + yi dXi T T i 67 (5.4) 68 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE Sie stellt eine Beziehung zwischen vollständigen Differentialen dar, so daß insbesondere die Entropie als Funktion der inneren Energie und der Zustandsvariablen Xi aufgefaßt werden kann: S = S(U, {Xi}) ≡ S(U, X1, X2, ...). Wir vergleichen (5.4) mit ∂S ∂S dU + dXi dS = ∂U {Xi} ∂X i U,{Xj |j=i} i (5.5) (5.6) und finden die Beziehungen 1 = T yi = T ∂S ∂Xi ∂S ∂U , (5.7) {Xi } , i = 1, 2, 3, . . . . (5.8) U,{Xj |j=i} Wir sehen, daß neben S auch T und alle yi als Funktionen von U und den Xi angesehen werden können, d.h., U und die Xi bilden einen (speziellen) vollständigen Satz von Zustandsgrößen. Zustandsgleichungen Ist S als Funktion von U und den Xi bekannt, können die Zustandsgleichungen des Systems in einfacher Weise abgeleitet werden. Kalorische Zustandsgleichung: Aus (5.7) folgt die Gleichung T = T (U, {Xi}). (5.9) Diese Gleichung nach U aufgelöst liefert die kalorische Zustandsgleichung U = U (T, {Xi}). (5.10) Thermische Zustandsgleichungen: Aus (5.8) folgt, daß yi = T fi(U, {Xj }) (5.11) 5.1. DIE GIBBSSCHE FUNDAMENTALGLEICHUNG 69 (i = 1, 2, . . .) gilt. Setzen wir die kalorische Zustandsgleichung (5.10) in die Gleichungen (5.11) ein, erhalten wir die thermischen Zustandsgleichungen des Systems: yi = T fi [U (T, {Xj }), {Xj }] ≡ yi (T, {Xj }). (5.12) Die Anzahl der thermischen Zustandsgleichungen ist offenbar durch die Anzahl der Arbeitsterme in der Gibbsschen Fundamentalgleichung bestimmt. Fazit: Kalorische und thermische Zustandsgleichungen lassen sich durch einfaches Differenzieren der Entropie S(U, {Xi}) nach den Zustandsvariablen U, {Xi} und anschließende algebraische Umformung gewinnen. Man bezeichnet deshalb auch S(U, {Xi}) als thermodynamisches Potential in den Variablen U, {Xi}. Sind umgekehrt die kalorische und die thermischen Zustandsgleichungen bekannt, können mittels der Gibbsschen Fundamentalgleichung Entropiedifferenzen bestimmt werden, nicht jedoch die Entropie absolut, 2 1 ΔS = S2 − S1 = dU + yi dXi . (5.13) 1 T i Wie die folgende Untersuchung zeigt, sind kalorische und thermische Zustandsgleichungen nicht unabhängig voneinander vorgebbar. Zusammenhang zwischen den Zustandsgleichungen: Aus der kalorischen Zustandsgleichung folgt ∂U ∂U dU = dT + dXi . ∂T {Xi} ∂X i T,{X |j = i} j i (5.14) Wir setzen dU aus (5.14) in die Gibbssche Fundamentalgleichung (5.4) ein und erhalten ∂U 1 ∂U dS = dT + + yi dXi . (5.15) T ∂T {Xi} ∂X i T,{X |j = i} j i Fassen wir S als Funktion von T und den Xi auf, S = S(T, Xi), so gilt ∂S ∂S dT + dXi , (5.16) dS = ∂T {Xi} ∂X i T,{Xj |j=i} i 70 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE und der Vergleich mit (5.15) liefert ∂S 1 ∂U = , ∂T {Xi} T ∂T {Xi} ∂S ∂Xi = T,{Xj |j=i} 1 T ∂U ∂Xi (5.17) + yi . (5.18) T,{Xj |j=i} Aus (5.17) folgt 1 ∂ 2U ∂ ∂S = , ∂Xi ∂T T ∂Xi∂T (5.19) und aus (5.18) folgt 2 1 ∂ U 1 ∂U ∂yi ∂ ∂S . =− 2 + yi + + ∂T ∂Xi T ∂Xi T ∂T ∂Xi ∂T (5.20) Da dS ein vollständiges Differential ist, muß also ∂ 2S ∂ 2S = ∂T ∂Xi ∂Xi∂T (5.21) gelten. Beziehungen zwischen Zustandsgrößen, die aus der Gleichheit der gemischten zweiten Ableitungen von Zustandsgrößen (meistens Potentialfunktionen) resultieren, werden auch Maxwell-Beziehungen genannt. Setzen wir gemäß (5.21) die rechten Seiten von (5.19) und (5.20) gleich, erhalten wir folgenden Zusammenhang zwischen der kalorischen Zustandsgleichung und den thermischen Zustandsgleichungen: T bzw. ∂yi ∂T = {Xj } ∂U ∂Xi ∂U ∂Xi + yi , i = 1, 2, 3, . . . (5.22) T,{Xj |j=i} =T T,{Xj |j=i} 2 ∂ yi ∂T T . {Xj } (5.23) 5.1. DIE GIBBSSCHE FUNDAMENTALGLEICHUNG 71 Fassen wir S als Funktion von T und den Xi auf, so nimmt nach (5.15) und (5.22) das Differential dS die Form 1 dS = T ∂U ∂T dT + ∂yi {Xi } ∂T i dXi {Xj } (5.24) an, und (5.13) lautet 2 1 ∂U ∂yi dT + dXi . (5.25) ΔS = S2 − S1 = T ∂T {Xi} ∂T 1 {Xj } i Schlußfolgerungen: • Die kalorische Zustandsgleichung kann aus den thermischen Zustandsgleichungen und der Temperaturabhängigkeit der inneren Energie erhalten werden. • Bei bekannten thermischen Zustandsgleichungen muß zur Berechnung der Entropie die kalorische Zustandsgleichung nicht vollständig bekannt sein; es genügt, die Temperaturabhängigkeit der inneren Energie zu kennen. Wärmekapazitäten Wir betrachten wieder Gleichgewichtszustände, so daß für die Wärmekapazitäten C dT = T dS (5.26) gilt. Mit (5.24) erhalten wir dann: C dT = ∂U ∂T dT + T {Xi } ∂yi i ∂T {Xj } dXi (5.27) Je nach den konkreten Prozeßbedingungen können nun die unterschiedlichsten Wärmekapazitäten definiert werden. Wir wollen uns auf zwei Beispiele beschränken. 72 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE Beispiel 1: Alle Xi werden konstant gehalten. ∂U . C{Xi} = ∂T {Xi} (5.28) Beispiel 2: Alle yi werden konstant gehalten. ∂yi ∂Xi ∂U + T . C{yi} = ∂T {Xi} ∂T ∂T {Xj } {yj } i (5.29) Die Gleichungen (5.28) und (5.29) zeigen, daß die betrachteten Wärmekapazitäten wie folgt zusammenhängen: C{yi} − C{Xi} = T ∂yi i ∂T {Xj } ∂Xi ∂T {yj } (5.30) Thermodynamische Koeffizienten Neben Wärmekapazitäten werden häufig thermodynamische Koeffizienten zur Systemcharakterisierung herangezogen, wie etwa die relativen Änderungen der durch die thermischen Zustandsgleichungen verknüpften Zustandsgrößen: 1 ∂Xi 1 ∂yj , , (5.31) Xi ∂T A yj ∂T A 1 ∂Xi 1 ∂yj , . (5.32) Xi ∂yj A yj ∂Xi A Hier bedeutet A die Gesamtheit der jeweiligen f − 1 Zustandsgrößen, die bei der Änderung der betrachteten Zustandsgröße festgehalten werden. So wie (auf Grund der Gibbsschen Fundamentalgleichung) zwischen den Wärmekapazitäten bestimmte Beziehungen bestehen, sind auch die thermodynamischen Koeffizienten durch bestimmte Relationen untereinander (und mit den Wärmekapazitäten) verknüpft. Wir werden dies an einzelnen Beispielen verdeutlichen. 5.2. POTENTIALFUNKTIONEN 5.2 73 Potentialfunktionen Wie bereits erwähnt, kann S = S(U, Xi) als thermodynamisches Potential in den Variablen {U, Xi} aufgefaßt werden; Differentiation von S nach U und den Xi liefert mit 1/T und yi/T gerade die restlichen in der Gibbsschen Fundamentalgleichung auftretenden Zustandsgrößen. Werden andere unabhängige Zustandsgrößen als U und die Xi (als vollständiger Satz) gewählt, ist S offensichtlich kein thermodynamisches Potential mehr. Wir wollen 1/T und die Xi als unabhängige Zustandsgrößen wählen. Das entsprechende Potential kann mittels einer Legendre-Transformation konstruiert werden. Zu diesem Zweck gehen wir von der Gibbsschen Fundamentalgleichung (5.4) aus, schreiben yi 1 dU + dXi T T i yi 1 U −Ud + dXi =d T T T i dS = und finden (5.33) U yi 1 d S− + dXi . = −U d T T T i Φ(1/T, Xi) (5.34) Führen wir die Massieu-Funktion 1 , Xi Φ T =S− U U − TS =− T T (5.35) ein, so besitzt diese als Funktion von 1/T und den Xi wieder Potentialcharakter; Differentiation von Φ nach 1/T und den Xi liefert die restlichen in yi 1 + dXi (5.36) dΦ = −U d T T i 74 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE auftretenden Zustandsgrößen: ∂Φ −U = , ∂(1/T ) {Xi} yi ∂Φ = . T ∂Xi 1/T,{Xj |j=i} (5.37) (5.38) Vorgehen: • Gleichung (5.7) liefert T = T (U, {Xi}). Sie wird nach U aufgelöst, um U = U (1/T, {Xi}) zu erhalten. • U =U (1/T, {Xi}) wird dann in die Definitionsgleichung (5.35) für Φ eingesetzt: 1 , {Xi} Φ T 1 1 1 , {Xi} , {Xi} − U , {Xi} . =S U T T T (5.39) Mittels Legendre-Transformationen können weitere Potentiale definiert werden, z.B. Υk (1/T, yk /T, {Xi} ), {Xi} ≡ X1 , X2, . . . , Xk−1, Xk+1, . . .: yi 1 + dXi dΦ = −U d T T i y yi yk Xk 1 k +d −d Xk + dXi , = −U d (5.40) T T T T i=k Υk = Φ − U yk Xk U + yk Xk − T S yk Xk =S− − =− T T T T −U = ∂Υk ∂(1/T ) , yk /T,{Xi (5.42) } ∂Υk , ∂(yk /T ) 1/T,{Xi} yi ∂Υk = . T ∂Xi 1/T,yk /T,{Xj |j=i} −Xk = (5.41) (5.43) (5.44) 5.2. POTENTIALFUNKTIONEN 75 Analog können – ausgehend von S(U, {Xi}) – Potentiale Ψk (U, yk /T, {Xi} ) = S − yk Xk /T definiert werden. Bei unseren bisherigen Überlegungen sind wir von der Entropie S als Funktion von U und den Xi ausgegangen. Gemäß der Gibbsschen Fundamentalgleichung (5.4) kann natürlich auch von der inneren Energie U als Funktion von S und den Xi ausgegangen werden, U = U (S, {Xi}). Offensichtlich ist die innere Energie dann Potential: dU = T dS − yi dXi , (5.45) i T = −yi = ∂U ∂S ∂U ∂Xi , (5.46) {Xi} . (5.47) S,{Xj |j=i} Die von der inneren Energie ausgehenden Potentiale und die damit verbundenen Maxwell-Beziehungen1 spielen in der Praxis eine große Rolle. Für die innere Energie folgen sie aus ∂ 2U ∂ 2U = , ∂Xi∂S ∂S∂Xi ∂ 2U ∂ 2U = ∂Xi∂Xj ∂Xj ∂Xi Wir finden (5.48) (i = j). (5.49) ∂T ∂yi =− , ∂Xi S,{Xj |j=i} ∂S {Xj } ∂yj ∂yi = . ∂Xi S,{Xk |k=i} ∂Xj S,{Xk |k=j} (5.50) (5.51) In vielen Fällen ist die innere Energie als thermodynamisches Potential U = U (S, {Xi}) weniger geeignet, da die unabhängige Variable S direkten Messungen schwer zugänglich ist und folglich nicht so ohne 1 Für ein thermodynamisches System mit f Freiheitsgraden gibt es offensichtlich Beziehungen. f 2 Maxwell- 76 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE weiteres direkt zu kontrollieren ist. Wir wollen T und die Xi als die unabhängigen Zustandsgrößen wählen und das entsprechende Potential wieder mittels einer Legendre-Transformation konstruieren, indem wir von (5.45) ausgehen und gemäß (5.46) S als Funktion von T und den Xi auffassen [S = S(T, Xi)]: yi dXi , dU = T dS − i = d(T S) − S dT − yi dXi , (5.52) yi dXi . (5.53) i d(U − T S) = −S dT − i 2 Führen wir die freie Energie F =U −T S ein, so folgt dF = −S dT − yi dXi . (5.54) (5.55) i Ist umgekehrt die freie Energie als Funktion von T und den Xi bekannt [F = F (T, Xi)], so können S und die yi gemäß ∂F −S = , (5.56) ∂T {Xi} ∂F (5.57) −yi = ∂Xi T,{Xj |j=i} bestimmt werden. Die freie Energie als Funktion von T und den Xi besitzt also Potentialcharakter. Gleichsetzen der gemischten zweiten Ableitungen der freien Energie liefert dann wieder die entsprechenden Maxwell-Beziehungen: ∂yi ∂S = , (5.58) ∂Xi T,{Xj |j=i} ∂T {Xj } 2 In der statistischen Thermodynamik ist es in der Regel die freie Energie (und nicht die innere Energie), die als Potential berechnet wird. 5.2. POTENTIALFUNKTIONEN ∂yj ∂Xi 77 = T,{Xk |k=i} ∂yi ∂Xj . (5.59) T,{Xk |k=j} Vorgehen: • Gleichung (5.46) liefert T =T (S, {Xi}). Sie wird nach S aufgelöst, um S = S(T, {Xi}) zu erhalten. • S = S(T, {Xi}) wird dann in die Definitionsgleichung (5.54) für die freie Energie eingesetzt: F (T, {Xi}) = U [S(T, {Xi}), {Xi}] − T S(T, {Xi}). (5.60) Physikalisch stellt die Abnahme (Zunahme) der freien Energie bei isothermen Prozessen gerade die nach außen abgegebene (von außen zugeführte) Arbeit dar, dF = δW, (5.61) und gemäß (5.35) gilt Φ = −F/T . Aus U (S, {Xi}) bzw. F (T, {Xi}) können mittels Legendre-Transformationen weitere Potentiale konstruiert werden, z.B. Gk (T, yk , {Xi }): dF = −S dT − d(yk Xk ) + Xk dyk − yi dXi , (5.62) i=k d (F + yk Xk ) = −S dT + Xk dyk − yi dXi , (5.63) i=k Gk = F + yk Xk = U + yk Xk − T S, −S = Xk = −yi = ∂Gk ∂T ∂Gk ∂yk ∂Gk ∂Xi (5.64) yk ,{Xi , (5.65) , (5.66) } T,{Xi } (5.67) T,yk ,{Xj |j=i} 78 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE mit der speziellen Maxwell-Beziehung ∂S ∂Xk =− . ∂yk T,{Xi} ∂T yk ,{Xi} (5.68) Die Abnahme (Zunahme) des Potentials Gk bei isothermen Prozessen ist die nach außen abgegebene (von außen zugeführte) Arbeit bei konstantem yk : dGk = δW = − yi dXi (5.69) i=k [Υk = −Gk /T gemäß (5.41)]. 5.3 pV T -Systeme Wir wollen die Ergebnisse des Abschnitts 5.2 für pV T -Systeme spezifizieren. Zusammenhang zwischen den Zustandsgleichungen: Wir wenden die Beziehungen (5.22) [bzw. (5.23)] auf ein pV T -System an und sehen, daß die kalorische und die thermische Zustandsgleichung wie folgt miteinander verknüpft sein müssen: ∂U ∂V =T T ∂p ∂T V − p = T2 ∂ p ∂T T (5.70) V Auf Grund dieses universellen Zusammenhangs wird klar, daß für ein ideales Gas die innere Energie nicht vom Volumen abhängen kann. So folgt aus der thermischen Zustandsgleichung pV = N kT ∂p T Nk T = p, (5.71) = ∂T V V was nach (5.70) bedeutet. ∂U ∂V =0 T (5.72) 5.3. P V T -SYSTEME 79 Zusammenhang zwischen Cp und CV : Wenden wir (5.30) auf ein pV T -System an, so sehen wir, daß die Beziehung (3.53) zwischen Cp und CV in die Form Cp − CV = T ∂p ∂T V ∂V ∂T (5.73) p gebracht werden kann. Ist speziell die innere Energie nicht vom Volumen abhängig, T ∂U = 0 ; U (T ) = dT CV + U (T0), (5.74) ∂V T T0 gilt gemäß (5.70) T so daß sich ∂p ∂T = p, (5.75) V ∂V Cp − CV = p ∂T (5.76) p ergibt. Speziell für das ideale Gas, d.h. CV = const., pV = N kT , folgen daraus die bekannten Beziehungen (3.70) und (3.74): U (T ) = CV T + U (T0), Cp − CV = N k. Thermodynamische Koeffizienten: Zur Charakterisierung von pV T -Systemen spielen insbesondere in der Praxis Kompressibilitäten und Ausdehnungskoeffizienten eine große Rolle. Beginnen wir mit der Kompressibilität κ: κ dp = − dV . V (5.77) Ähnlich wie im Falle der Wärmekapazität ist die Definition der Kompressibiltät (5.77) nicht eindeutig. Isotherme Kompressibilität: 1 ∂V κT = − . (5.78) V ∂p T 80 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE Adiabatische (isentropische) Kompressibilität: 1 ∂V κS = − . V ∂p S Wir wollen das Verhältnis κT = κS ∂V ∂p T ∂V ∂p (5.79) (5.80) S berechnen. Aus der Adiabatengleichung [Gleichung (3.61) bzw. (3.62) für C = 0] entnehmen wir, daß ∂T ∂p ∂T = −δ , (5.81) ∂p V ∂V S ∂V p gilt und somit lautet (5.80) κT ∂T ∂T ∂V = −δ , κS ∂p T ∂V p ∂p V −1 (5.82) d.h.: κT Cp =δ= κS CV (5.83) Das Verhältnis von isobarer und isochorer Wärmekapazität ist also gleich dem Verhältnis von isothermer und adiabatischer (isentropischer) Kompressibilität. Andere wichtige Koeffizienten sind der isobare Ausdehnungskoeffizient 1 ∂V (5.84) α= V ∂T p und der isochore Druckkoeffizient 1 β= p ∂p ∂T , V (5.85) 5.3. P V T -SYSTEME 81 und es gilt α p = β V ∂V ∂T p ∂p ∂T V p =− V ∂V ∂p , (5.86) T d.h. α = βκT p . (5.87) Wir schreiben (5.73) etwas um: 2 ∂V ∂V ∂p ∂p = −T , Cp − CV = T ∂T V ∂T p ∂V T ∂T p −1/(κT V ) (αV )2 Cp − CV = V T α2 = V T p2β 2 κT κT (5.88) (5.89) Da κT > 0 angenommen werden kann,3 muß offensichtlich Cp − CV > 0 gelten. Die Potentiale U , F , H, G Innere Energie U (S, V ): dU = T dS − p dV, ∂U ∂S ∂U T = , −p = ∂V V ∂T ∂p =− . ∂V S ∂S V (5.90) , (5.91) S (5.92) Freie Energie F (T, V ): 3 Zum Beweis siehe Kapitel 8.2. F = U − T S, (5.93) dF = −S dT − p dV, (5.94) 82 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE ∂F ∂F , −p = , −S = ∂T V ∂V T ∂S ∂p = . ∂V T ∂T V (5.95) (5.96) Enthalpie H(S, p): H = U + p V, dH = T dS + V dp, ∂H ∂H T = , V = , ∂S p ∂p S ∂T ∂V = . ∂p S ∂S p (5.97) (5.98) (5.99) (5.100) Freie Enthalpie G(T, p): G = H − T S = F + p V = U − T S + p V, dG = −S dT + V dp, ∂G ∂G = −S, = V, ∂T p ∂p T ∂S ∂V =− . ∂p T ∂T p (5.101) (5.102) (5.103) (5.104) Guggenheim-Quadrat: SUV HILFT FYSIKERN PEI GROSSEN TATEN! So wie von der inneren Energie ausgehend die Potentiale U , F , H und G eingeführt werden können, können von der Entropie ausgehend die Massieu-Funktionen S(U, V ), Φ(1/T, V ), Ψ(U, p/T ) und Υ(1/T, p/T ) definiert werden:4 Φ=− 4 F pV −T S U +pV −T S G U −T S =− , Ψ=− , Υ=− =− . T T T T T (5.105) Das Potential Υ = −G/T heißt auch Planck-Funktion. 5.3. P V T -SYSTEME 83 + S U F H p V G T − Die angegebenen Potentiale sind extensive, eindeutige Zustandsfunktionen. Sie lassen sich im Raum der jeweiligen unabhängigen Zustandsgrößen als Flächen darstellen. Ihre Konstruktion erfolgt im Rahmen der phänomenologischen Thermodynamik unter Heranziehung experimenteller Daten. Aufgabe der statistischen Thermodynamik ist es, die Potentiale aus entsprechenden mikroskopischen Modellannahmen zu berechnen. Helmholtz-Differentialgleichung: Häufig liegen Informationen über ein thermodynamisches System nicht in Form von Potentialen vor. Gemäß (5.93) und (5.95) genügt die freie Energie als Potential, F =F (T, V ), bei bekannter kalorischer Zustandsgleichung U = U (T, V ) der Helmholtz-Differentialgleichung ∂F . (5.106) U =F +T S =F −T ∂T V Daraus läßt sich F (T, V ) bis auf eine willkürliche Funktion des Volumens bestimmen. Multiplikation mit T −2 liefert U F 1 ∂F ∂ F = 2− =− , (5.107) T2 T T ∂T V ∂T T V woraus sofort F =− T dT U + fF (V ) T2 folgt.5 5 Wegen Φ = −F/T ist damit auch Φ(1/T, V ) bis auf eine Funktion fF (V ) bestimmt. (5.108) 84 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE Gibbs-Differentialgleichung: Gemäß (5.101) und (5.103) genügt die freie Enthalpie als Potential, G = G(T, p), bei bekannter Enthalpie H = H(T, p) der GibbsDifferentialgleichung ∂G H =G+T S = G−T , (5.109) ∂T p woraus in völliger Analogie zu (5.108) G(T, p) bis auf eine willkürliche Funktion des Druckes bestimmbar ist:6 G H (5.110) = − dT 2 + fG (p). T T Die Kenntnis eines thermodynamischen Potentials (bis auf eine Konstante) ist ausreichend, um die Thermodynamik des jeweiligen Systems zu kennen (d.h. aus dem Potential zu bestimmen), da die in der Gibbsschen Fundamentalgleichung auftretenden Zustandsgrößen entweder als unabhängige Zustandsgrößen frei vorgebbar oder als abhängige Zustandsgrößen über Ableitungen des jeweiligen Potentials festgelegt sind. Ist insbesondere ein Potential bekannt, sind alle anderen Potentiale bekannt. Berechnung thermodynamischer Eigenschaften aus F (T, V ): Thermische Zustandsgleichung: ∂F p(T, V ) = − ∂V . Kalorische Zustandsgleichung: U (T, V ) = F + T S = F − T Wärmekapazitäten: CV = T 6 ∂S ∂T V = −T (5.111) T ∂F ∂T ∂ 2F ∂T 2 . (5.112) V . (5.113) V Wegen Υ = −G/T ist damit auch Υ(1/T, p/T ) bis auf eine Funktion fG (p) bestimmt. 5.3. P V T -SYSTEME 85 Cp = T ∂S ∂T , (5.114) p S = S[T, V (T, p)] ; ∂S ∂V ∂S ∂S = + , ∂T p ∂T V ∂V T ∂T p ∂V ∂V ∂S ∂ 2F Cp = CV + T = CV − T , ∂V T ∂T p ∂V ∂T ∂T p 2 ∂p ∂ F ∂p ∂ 2F ∂V =− =− , ∂T p ∂T V ∂V T ∂T ∂V ∂V 2 T 2 2 2 ∂ F ∂ F . Cp = CV + T ∂T ∂V ∂V 2 T (5.115) Isotherme Kompressibiltät: ∂p 1 ∂V 1 =− , κT = − V ∂p T V ∂V T 2 ∂ F 1 κT = . V ∂V 2 T (5.116) (5.117) (5.118) (5.119) (5.120) Adiabatische Kompressibiltät: Da κT /κS = Cp /CV gilt [Gleichung (5.83)], kann κS mittels (5.113), (5.118) und (5.120) ebenfalls durch Ableitungen von F ausgedrückt werden. Isochorer Druckkoeffizient:7 ∂ 2F ∂F 1 ∂p 1 ∂ 2F = β= =− . p ∂T V p ∂T ∂V ∂T ∂V ∂V T (5.121) Isobarer Ausdehnungskoeffizient: Da α = pβκT gilt [Gleichung (5.87)], kann α mittels (5.111), (5.120) und (5.121) ebenfalls durch Ableitungen von F ausgedrückt werden. 7 Mit (5.111), (5.120) und (5.121) folgt (5.118) aus (5.89). 86 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE Obwohl die Existenz thermodynamischer Potentiale von fundamentaler Bedeutung ist, kommt diese im Rahmen der phänomenologischen Thermodynamik nicht voll zur Geltung, da, wie bereits bemerkt, im Rahmen einer phänomenologischen Betrachtungsweise die Potentiale i. allg. nicht berechnet werden können, sondern es dafür der statistischen Thermodynamik bedarf.8 Nur für solche Systeme, deren Zustandsgleichungen hinreichend genau bekannt sind, können die thermodynamischen Potentiale auch berechnet werden. Beispiele für Systeme, für die das möglich ist, sind das (klassische) ideale Gas, das (klassische) van der Waals-Gas und das Photonengas (Hohlraumstrahlung). 5.3.1 Ideales Gas Die Gibbssche Fundamentalgleichung zusammen mit der thermischen und kalorischen Zustandsgleichung für das (klassische) ideale Gas liefert dS = CV Nk dT + dV T V (5.122) [Gleichung (4.71)], woraus durch Integration S − S0 = CV ln T V + N k ln T0 V0 [Gleichung (4.72)] folgt (CV = const.) bzw. CV Nk T V , S − S0 = ln T0 V0 und folglich gilt T T0 d.h. T = T0 8 CV V V0 V V0 N k (5.123) (5.124) = eS−S0 , (5.125) e(S−S0 )/CV . (5.126) −N k/CV Im Rahmen der phänomenologischen Theorie besteht die Bedeutung der Potentiale mehr darin, Zusammenhänge zwischen Systemeigenschaften aufzudecken sowie Stabilitätsuntersuchungen durchzuführen. 5.3. P V T -SYSTEME 87 Damit kann die innere Energie U − U0 = CV (T − T0) = CV T0 T −1 T0 in die Form eines Potentials gebracht werden: −N k/CV V U − U 0 = CV T 0 e(S−S0 )/CV − 1 . V0 (5.127) (5.128) Offensichtlich gilt V = V0 , S = S0 ; U = U0 . (5.129) Die freie Energie F = U − T S als Potential ergibt sich aus (5.123) bzw. (5.124) und (5.127) als F = CV (T − T0 ) + U0 V T + N k ln + S0 −T CV ln T0 V0 = CV (T − T0) + U0 C Nk T V V −T ln − T S0 . T0 V0 (5.130) Für T = T0 , V = V0 (5.131) gilt F = F 0 = U 0 − T 0 S0 . (5.132) Anmerkung: Die angegebenen Potentiale sind strenggenommen nur Differenzen von Potentialen. Da die verwendeten Zustandsgleichungen in der Grenze T → 0 auf Divergenzen führen, verlieren sie für tiefe Temperaturen offensichtlich ihre Gültigkeit (siehe dazu auch Kapitel 6). 88 5.3.2 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE Van der Waals-Gas Bei idealen Gasen wird von der Wechselwirkung der Gasteilchen untereinander völlig abgesehen. Je nach Art und Stärke der Wechselwirkung der Gasteilchen untereinander können für reale Gase unterschiedliche Zustandsgleichungen erwartet werden, was in der Tat auch der Fall ist. So existieren für reale (klassische) Gase mehr als 150 thermische Zustandsgleichungen. Die van der Waals-Gleichung N2 p + 2 a (V − N b) = N kT V (5.133) ist eine der einfachsten und auch illustrativsten (a, b - Konstanten, die nicht von den Zustandsgrößen abhängen, wohl aber für verschiedene Gase unterschiedliche Werte annehmen können). So kann die van der Waals-Gleichung zur qualitativen Beschreibung der Eigenschaften eines (klassischen) realen Gases selbst beim Übergang in die flüssige Phase herangezogen werden. Sie unterscheidet sich von der Zustandsgleichung für ideale Gase durch eine Korrektur N b auf Grund des Eigenvolumens der Gasteilchen und durch eine Korrektur aN 2 /V 2 auf Grund des sogenannten inneren Drucks, der durch die gegenseitige Anziehung der Gasteilchen hervorgerufen wird. Im Falle von Flüssigkeiten weicht die van der Waals-Gleichung stark von den experimentellen Werten ab. Um sie damit in Übereinstimmung zu bringen, müssen für verschiedene Temperatur- und Dichtebereiche unterschiedliche Werte von a und b angenommen werden (d.h., a und b werden komplizierte Funktionen der Zustandsgrößen). Wie bereits gesagt, der Wert der van der Waals-Gleichung besteht vor allem darin, daß sie – entsprechend interpretiert – beim Übergang des Gases in den flüssigen Zustand qualitativ richtig bleibt.9 Umgeschrieben lautet (5.133) ab kT a + b v̄ 2 + v̄ − =0 (5.134) v̄ 3 − p p p 9 Die van der Waals-Gleichung ist eine reine Interpolationsformel, die sich im Rahmen der statistischen Thermodynamik nicht aus mikroskopischen Überlegungen herleiten läßt. 5.3. P V T -SYSTEME 89 (v̄ = V /N ). Bei gegebener Temperatur könnten einem Wert von p also drei Werte von v̄ entsprechen. Bei genügend hohen Temperaturen 2 p pc 1.5 1 C α 0.5 β A X B D v̄f 1 2 3 v̄g 4 v̄ 5 v̄c sind zwei Wurzeln von (5.134) rein imaginär, so daß zu jedem Druck nur ein spezifisches Volumen gehört. Bei tieferen Temperaturen gibt es demgegenüber drei Werte des spezifischen Volumens. Davon sind in der Natur jedoch nur die beiden äußeren Werte (Punkte α und β in der Abbildung) realisiert. Da für einen stabilen Zustand die Kompressibilität nicht negativ sein darf (Abschnitt 8.2), ist der dem mittleren Wert entsprechende Zustand absolut instabil und existiert praktisch nicht. Der Punkt α in der Abbildung entspricht der flüssigen Phase und der Punkt β der gasförmigen Phase, wobei der Punkt α einem stabilen und der Punkt β einem metastabilen Zustand entspricht. Durch isotherme Kompression eines Gases kommt man erfahrungsgemäß auf der theoretischen Kurve nur bis zu einem Punkt B, in dem dann die Kondensation einsetzt. Im Gleichgewicht existieren die gasförmige Phase (Punkt B) 90 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE und die flüssige Phase (Punkt A) nebeneinander.10 Temperatur und Druck sind für beide Phasen gleich. Die Koexistenz der beiden Phasen bei der isothermen Kompression dauert so lange, bis das gesamte Gas verflüssigt ist. Die Lage der Geraden AB relativ zur van der Waals-Isotherme wird in Übereinstimmung mit dem 2. Hauptsatz11 durch die Maxwell-Regel bestimmt: Die beiden Flächen in der Abbildung, die durch die van der Waals-Isotherme und die Gerade AB begrenzt werden, müssen gleich sein. Betrachten wir einen Zustand X auf der Geraden AB in der Abbildung. Es seien Nf Teilchen in der flüssigen Phase (Volumen Vf ) und Ng Teilchen in der gasförmigen Phase (Volumen Vg ). Dann gilt wegen V = Vf + Vg und N = Nf + Ng v̄ = Nf Vf Vf Vg Ng Vg + = + = n̄f v̄f + n̄g v̄g , N N N Nf N Ng (5.135) Nf Ng =1− = 1 − n̄f . N N (5.136) Nf , N Damit lautet (5.135) n̄f = n̄g = v̄ = n̄f v̄f + (1 − n̄f )v̄g = n̄g v̄g + (1 − n̄g )v̄f , (5.137) woraus sich die relativen Teilchenzahlen n̄g und n̄f als n̄g = v̄ − v̄f , v̄g − v̄f n̄f = v̄g − v̄ v̄g − v̄f (5.138) ergeben. Die Anteile von gasförmiger und flüssiger Phase entsprechen also den Strecken AX und XB in der Abbildung. Mit steigender Temperatur wird die Differenz zwischen den spezifischen Volumina v̄A ≡ v̄f und v̄B ≡ v̄g immer kleiner und somit die Strecke AB immer kürzer. Bei einer bestimmten Temperatur fallen die 10 11 Siehe dazu auch Abschnitt 9.1. Bei einem (gedachten) Kreisprozeß A → B → C → D → A darf keine Arbeit geleistet werden. 5.3. P V T -SYSTEME 91 Punkte A und B zusammen, und die Isobare berührt die van der WaalsIsotherme nur noch in einem Punkt, dem Wendepunkt der Isotherme. Der Wendepunkt wird auch kritischer Punkt genannt; er entspricht dem sogenannten kritischen Zustand, bei dem das System aus makroskopischer Sicht einphasig wird. Aus 2 ∂ p ∂p = 0, =0 (5.139) ∂v̄ T ∂v̄ 2 T folgt für das van der Waals-Gas als kritischer Punkt12 a 8a . (5.140) v̄c = 3b, pc = , kT = c 27b2 27b Die Größe kTc 8 (5.141) = = 2.67 pc v̄c 3 wird auch als kritischer Koeffizient bezeichnet. Er ist für das van der Waals-Gas offensichtlich stoffunabhängig. In der Praxis ist der kritische Koeffizient für verschiedene Gase verschieden und stets größer als 2.67 (im Mittel etwa 3.7). Führen wir die mit den kritischen Werten skalierten Zustandsgrößen V̄ = v̄ , v̄c P= p , pc T = T Tc (5.142) ein, so kann die van der Waals-Gleichung (5.133) in die Form 3 (5.143) P + 2 3V̄ − 1 = 8T V̄ gebracht werden, in der die Stoffeigenschaften nicht mehr explizit auftreten. Eine Zustandsgleichung der Form (5.143) liefert für korrespondierende Zustände die gleichen Werte der (bezüglich der jeweiligen kritischen Werte) skalierten Größen. Wie wir wissen, hängen kalorische und thermische Zustandsgleichung über die Beziehung ∂U ∂p =T −p (5.144) ∂V T ∂T V 12 Da die Gleichung (5.134) im kritischen Zustand nur eine Lösung hat, muß sie die Form (v̄ − v̄c )3 = 0 haben. Ausmultiplizieren und Vergleich mit (5.134) liefert (5.140). 92 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE p flüssig pc T > Tc T = Tc gasförmig flüssig-gasförmig T < Tc v̄c v̄ [Gleichung (5.70)] miteinander zusammen, d.h. mit (5.133) ∂p ∂U Nk aN 2 ; = = 2 , ∂T V V − Nb ∂V T V (5.145) und folglich gilt aN 2 dU = CV dT + 2 dV, V Wegen ∂CV ∂V T CV = ∂U ∂T ∂ 2U ∂ 2U = =0 = ∂V ∂T ∂T ∂V . (5.146) V (5.147) kann CV nur von T abhängen, und die Integration von (5.146) liefert T 1 1 . (5.148) − dT CV − aN 2 U − U0 = V V 0 T0 Wir wollen (in Übereinstimmung mit dem Experiment) CV als nahezu temperaturunabhängig ansehen, so daß die kalorische Zustandsglei- 5.3. P V T -SYSTEME 93 chung U − U0 = CV (T − T0) − aN 2 1 1 − V V0 (5.149) lautet. Wir verwenden (5.24) und finden 1 ∂U Nk ∂p CV dS = dT + dV. (5.150) dT + dV = T ∂T V ∂T V T V − Nb Die Integration liefert S = S(T, V ) in der Form T V −N b S − S0 = CV ln + N k ln T0 V0 − N b N k/CV T V −N b . = CV ln T0 V0 −N b Daraus folgt T = T (S, V ) als −N k/CV V −N b T = T0 e(S−S0 )/CV V0 −N b (5.151) (5.152) Wir setzen T (S, V ) in die kalorische Zustandsgleichung (5.149) ein und erhalten die innere Energie als Potential: −N k/CV 2 V −N b V aN 0 U − U 0 = CV T 0 −1 . e(S−S0 )/CV − 1 − V0 −N b V0 V (5.153) Mit der kalorischen Zustandsgleichung (5.149) und der Gleichung (5.151) für die Entropie als Funktion der Temperatur und des Volumens erhalten wir die freie Energie F = U − T S als Potential in der Form 1 1 F = CV (T − T0 ) − aN 2 + U0 − V V0 T V −N b (5.154) + S0 . −T CV ln + N k ln T0 V0 − N b 94 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE Ähnlich wie beim idealen Gas können auch für das van der Waals-Gas nur Differenzen von Potentialen bestimmt werden. 5.3.3 Photonengas Als Photonengas (auch Hohlraumstrahlung oder Strahlung eines schwarzen Körpers genannt) wird das in einem Resonator (Volumen V ) mit perfekt reflektierenden Wänden eingeschlossene elektromagnetische Strahlungsfeld bezeichnet. Nach hinreichend langer Zeit wird sich ein Gleichgewichtszustand einstellen, der durch Volumen, Druck und Temperatur charakterisiert werden kann. Mikroskopisch betrachtet ist das Photonengas ein Kontinuum angeregter elektromagnetischer Wellen mit Frequenzen zwischen 0 und ∞, das sich im thermischen Gleichgewicht mit einem materiellen thermodynamischen System (Wände des Resonators) befindet (Absorption und Reemission von Strahlung seitens der Wände des Resonators, wobei die Phasen der Wellen völlig zufällig werden). Das Kontinuum elektromagnetischer Wellen ist äquivalent einem Kontinuum von harmonischen Oszillatoren, deren äquidistanten Energieeigenzuständen Photonen zugeordnet werden, deren Energien gerade durch die Abstandsenergien ω gegeben sind. Wie die Erfahrung zeigt, ist die Energiedichte u des Photonengases nur eine Funktion der Temperatur, so daß sich für die kalorische Zustandsgleichung zunächst U = u(T )V (5.155) ergibt. Die Proportionalität zwischen Druck und Energiedichte gibt Anlaß zu der thermischen Zustandsgleichung13 p = 13 u(T ). (5.156) Im Unterschied zu gewöhnlichen Gasen (d.h. Gasen aus materiellen Teilchen) tritt die Teilchenzahl als Parameter in den Zustandsgleichungen nicht auf. Offensichtlich kann diese nicht vorgegeben werden, da sie 13 Die Gleichung folgt unmittelbar aus dem (über die Phasen) gemittelten Maxwellschen Spannungstensor. 5.3. P V T -SYSTEME 95 sich erst mit Erreichen des Gleichgewichtszustands und in Abhängigkeit von diesem einstellt. Wir wenden die Beziehung ∂U ∂p =T −p (5.157) ∂V T ∂T V [Gleichung (5.70)] auf (5.155) und (5.156) an und erhalten 1 du 1 u= T − u 3 dT 3 ; T du = 4u. dT (5.158) Integration liefert das Stefan-Boltzmann-Gesetz u ∼ T 4, (5.159) wobei die Proportionalitätskonstante üblicherweise in der Form 4σ/c eingeführt wird. Es hat sich gezeigt (und kann im Rahmen der statistischen Thermodynamik auch begründet werden), daß die Gleichung (5.159) und die folgenden Gleichungen für alle Temperaturen einschließlich T → 0 richtig sind. Mit (5.159) lautet die kalorische Zustandsgleichung: U= 4σ 4 T V c (5.160) Dementsprechend ergibt sich für die thermische Zustandsgleichung (5.156): p= 4σ 4 T 3c (5.161) Die Stefan-Boltzmann-Konstante σ kann im Rahmen der phänomenologischen Theorie nur aus dem Experiment bestimmt werden:14 σ = 5.67 × 10−8 Wm−2K−4 . 14 σ = k 4 π 2 /(60c2 3 ) (5.162) 96 KAPITEL 5. THERMODYNAMISCHE POTENTIALE Da das Volumen nicht in die thermische Zustandsgleichung eingeht, ergibt sich die Besonderheit, daß isobare Prozesse auch isotherme Prozesse sind. Das bedeutet insbesondere, daß kein Cp (sinnvoll) definiert werden kann, während sich CV auf dem üblichen Wege zu ∂U 16σ 3 CV = T V = (5.163) ∂T V c ergibt. Die Entropie berechnen wir wieder unter Verwendung von (5.13): 1 ∂U ∂p dS = dT + dV T ∂T V ∂T V = 16σ 2 16 σ 3 16 σ T V dT + T dV = d(T 3V ), c 3 c 3 c (5.164) 16 σ 3 T V. (5.165) 3 c Wir eliminieren mittels (5.165) in (5.160) die Temperatur und erhalten die innere Energie in Potentialform: S= 4σ U= V c 3cS 16σV 4/3 . (5.166) Die freie Energie in Potentialform folgt unmittelbar aus (5.160) und (5.165): 4σ (5.167) F = U − T S = − T 4V. 3c Kapitel 6 Das Nernstsche Wärmetheorem Aus dem 2. Hauptsatz in Verbindung mit dem 1. Hauptsatz folgt bekanntlich die Existenz einer absoluten unteren Temperaturschranke, die mit dem Nullpunkt der Kelvin-Skala zusammenfällt. Das Nernstsche Wärmetheorem (auch als 3. Hauptsatz bezeichnet) macht nun Aussagen über das Verhalten thermodynamischer Systeme in der Grenze T → 0. Sein Anwendungsgebiet sind folglich Prozesse bei tiefen Temperaturen. Wir betrachten die Entropie als Funktion der Temperatur und f −1 Zustandsvariablen Zk eines ansonst beliebig gewählten vollständigen Satzes, S = S(T, Z1, Z2, . . .). Bei Annäherung der Temperatur T an den absoluten Nullpunkt (T →0) hört die Entropie eines beliebigen Gleichgewichtssystems auf, von irgendwelchen anderen thermodynamischen Zustandsgrößen Zk abzuhängen, und nimmt einen konstanten Wert an. In Formeln ausgedrückt bedeutet dies lim S = S0 = const. T →0 (ΔS = S − S0 ), lim T →0 ∂S ∂Zk ; lim ΔS = 0 (6.1) = 0. (6.2) T →0 T,{Zl |l=k} 97 98 KAPITEL 6. DAS NERNSTSCHE WÄRMETHEOREM S (1) Zk (2) Zk (3) Zk S0 T Dem Grenzwert S0 der Entropie kommt offenbar keinerlei physikalische Bedeutung zu, da er nicht von den Zustandsgrößen des Systems abhängt, also systemunabhängig ist. Er kann demzufolge für Systeme, die sich für T → 0 im stabilen thermodynamischen Gleichgewicht befinden, Null gesetzt werden.1 6.1 Unerreichbarkeit des absoluten Temperaturnullpunkts Aus dem Nernstschen Wärmetheorem in obiger Fassung folgt (zusammen mit dem 2. Hauptsatz), daß der absolute Temperaturnullpunkt nicht erreichbar ist. Annahme: Nullpunkt sei erreichbar. Dann könnte man einen CarnotProzeß zwischen T1 > 0 und T2 = 0 laufen lassen. Wegen dS = 0 (6.3) muß dann ΔS12 + ΔS23 + ΔS34 + ΔS41 = 0 (6.4) gelten. Für den vorliegenden Fall ergeben sich die Einzelbeiträge wie folgt: Q1 ΔS12 = , Q1 > 0 (isothermer Prozeß), (6.5) T1 1 Es ist sinnvoll, Systemen, die für T →0 noch extrem langlebige metastabilen Zustände einnehmen können, eine Restentropie S0 > 0 zuzuschreiben. 6.1. UNERREICHBARKEIT DES ABSOLUTEN NULLPUNKTS 99 ΔS23 = 0 (adiabatischer Prozeß), Q2 T2 →0 T2 ΔS34 = lim (isothermer Prozeß), ΔS41 = 0 (adiabatischer Prozeß). (6.6) (6.7) (6.8) Andererseits muß wegen (6.1) ΔS34 = 0 sein, und folglich muß auch ΔS12 = 0 (6.9) sein, was im Widerspruch zu der Annahme Q1 /T1 > 0 steht.2 Es ist offensichtlich nicht möglich, die Nullisotherme zu erreichen und auf dieser zu arbeiten. Die Nichterreichbarkeit des absoluten Nullpunkts (in endlich vielen Schritten) illustriert auch der in der folgenden Abbildung dargestellte Prozeß, bei dem mittels isothermen und adiabatischen Prozeßfolgen schrittweise gekühlt wird. S S0 (1) Zk (2) Zk isotherme Entropiereduktion (Kompression) adiabatische Kühlung (Expansion) T Endlich viele Schritte bringen das System nicht zu T = 0. Umgekehrt kann gezeigt werden, daß aus der Annahme der Unerreichbarkeit des absoluten Temperaturnullpunkts folgt, daß für T → 0 die Entropie nicht von irgendwelchen Zustandsgrößen abhängen kann. Somit läßt sich das Nernstsche Wärmetheorem auch durch die Feststellung der Unerreichbarkeit des absoluten Temperaturnullpunkts formulieren. 2 Q1 /T > 0 würde ein perpetuum mobile 2. Art implizieren. 100 6.2 KAPITEL 6. DAS NERNSTSCHE WÄRMETHEOREM Thermodynamische Koeffizienten für T →0 Das Nernstsche Wärmetheorem gestattet es, Aussagen über das Verhalten von thermodynamischen Koeffizienten in der Grenze T → 0 zu machen. Betrachten wir die freie Energie F = F (T, Xi). Ihr totales Differential lautet dF = −S dT − yi dXi (6.10) i [Gleichung (5.55)], woraus die speziellen Maxwell-Beziehungen ∂S ∂yi = (6.11) ∂Xi T,{Xj |j=i} ∂T {Xj } folgen [Gleichung (5.58)]. Gemäß (6.2) muß für T → 0 ∂S lim =0 T →0 ∂Xi T,{Xj |j=i} (6.12) gelten, und somit folgt wegen (6.11) lim T →0 ∂yi ∂T =0 (6.13) {Xj } für alle Zustandsgrößen yi . Betrachten wir das Potential G = G(T, {yi}), das anstelle der Xi von den yi abhängt, G=F+ yi Xi (6.14) i dG = −S dT + Xi dyi , (6.15) i so liefern die speziellen Maxwell-Beziehungen ∂S ∂Xi =− . ∂yi T,{yj |j=i} ∂T {yj } (6.16) 6.2. THERMODYNAMISCHE KOEFFIZIENTEN FÜR T → 0 Gemäß (6.2) muß aber auch ∂S lim =0 T →0 ∂yi T,{y |j=i} j 101 (6.17) gelten, was wegen (6.16) lim T →0 ∂Xi ∂T =0 (6.18) {yj } zur Folge hat. Die obigen Überlegungen sind natürlich nicht nur auf die Potentiale F und G beschränkt. Gehen wir von einem Potential aus, das neben T von f − 1 Zustandsgrößen Zk abhängt, wobei für die einzelnen Zk wahlweise Xk bzw. yk gewählt werden kann, so finden wir unschwer: lim T →0 ∂Zk ∂T =0 (6.19) {Zl |l=k} Beispiel: pV T -System Die Gleichungen (6.13) und (6.18) auf ein pV T -System angewendet liefern ∂p ∂V = lim = 0, (6.20) lim T →0 ∂T T →0 ∂T V p so daß der isochore Druckkoeffizient und der isobare Ausdehnungskoeffizient für T → 0 gegen Null streben, 1 ∂p lim β = lim = 0, (6.21) T →0 T →0 p ∂T V 1 ∂V = 0, (6.22) lim α = lim T →0 T →0 V ∂T p vorausgesetzt daß p bzw. V für T → 0 endlich bleibt. 102 6.3 KAPITEL 6. DAS NERNSTSCHE WÄRMETHEOREM Wärmekapazitäten und Entropieberechnung Die Entropie sei wieder als Funktion eines vollständigen Satzes von Zustandsvariablen gegeben, zu denen auch die Temperatur gehört, S = S(T, {Zk }) (die Zk seien beispielsweise f − 1 Zustandsgrößen aus der Gesamtheit der Xi und yj ). Für die Wärmekapazität C{Zk } folgt dann ∂S . (6.23) C{Zk } = T ∂T {Zk } Offensichtlich muß C{Zk } für T → 0 gegen Null streben, lim C{Zk } = 0 T →0 (6.24) und zwar mindestens wie ∼ T , da (∂S/∂T ){Zk} gegen einen endlichen Wert strebt. Ist umgekehrt die Wärmekapazität C{Zk } = C{Zk } (T, Zk ) bekannt, folgt aus (6.23) durch Integration für die Entropie T S(T, {Zk }) = C{Zk } (T , {Zk }) dT + S(0, {Zk }). T (6.25) 0 Nach dem 3. Hauptsatz hängt aber S(0, Zk ) nicht von den Zk ab, sondern ist eine Konstante, die wir Null setzen dürfen: T S(T, {Zk }) = C{Zk }(T , {Zk }) dT T (6.26) 0 Ist also C{Zk } (T, {Zk }) bekannt, ist auch S(T, {Zk }) bekannt. Die wichtige Aufgabe der Entropieberechnung läuft also insbesondere auf das 6.3. WÄRMEKAPAZITÄTEN UND ENTROPIE 103 Problem hinaus, die Temperaturabhängigkeit von Wärmekapazitäten zu bestimmen. Daraus erklärt sich auch die Tatsache, daß die Untersuchung von Wärmekapazitäten in der Entwicklung der Thermodynamik einen zentralen Platz einnahm. Die gewonnenen Ergebnisse erlauben es, die Nichterreichbarkeit des absoluten Nullpunkts der Temperatur T noch unter einem etwas anderen Aspekt zu betrachten. Für einen Prozeß (1) (2) S T (1) , {Zk } → S T (2) , {Zk } (6.27) in einem abgeschlossenen System gilt nach dem 2. Hauptsatz (2) (1) ΔS = S T (2) , {Zk } − S T (1) , {Zk } ≥ 0, d.h. (2) (1) S T (2) , {Zk } ≥ S T (1) , {Zk } . (6.28) (6.29) Nehmen an, daß T (2) = 0 ist, dann muß entsprechend dem 3. Haupt wir (2) satz S T (2) , {Zk } = 0 sein, d.h. (1) S T (1) , {Zk } ≤ 0. (6.30) Andererseits gilt (1) T (1) S T (1) , {Zk } = (1) C{Zk } T, {Zk } dT. T (6.31) 0 (1) S T (1) , {Zk } ≤ 0 würde dann bedeuten, daß die Wärmekapazität (1) C{Zk } T (1) , {Zk } negative Werte annehmen (wenn nicht gar verschwinden) müßte, was im Widerspruch zu allen Erfahrungen steht. Man kann ganz allgemein zeigen (Kapitel 8), daß im Falle (stabiler) Gleichgewichtszustände C{Zk } (T, {Zk }) > 0 für T > 0 gelten muß, so daß (1) S T (1) , {Zk } > 0 (6.32) folgt – im Widerspruch zu (6.30). Das heißt, die gemachte Annahme, daß der absolute Temperaturnullpunkt erreichbar ist, muß falsch sein. 104 KAPITEL 6. DAS NERNSTSCHE WÄRMETHEOREM Beispiel: pV T -System CV = T ∂S ∂T , Cp = T V T S(T, V ) = ∂S ∂T , (6.33) p CV (T , V ) dT , T (6.34) Cp (T , p) dT . T (6.35) 0 T S(T, p) = 0 Anmerkung: Sind CV (T, V ) und Cp (T, p) bekannt, sind gemäß (6.34) und (6.35) sowohl S(T, V ) als auch S(T, p) bekannt. Sind andererseits S(T, V ) und S(T, p) bekannt, ist die Thermodynamik des Systems bekannt. Bekanntlich genügen CV und Cp der Gleichung Cp − CV = T ∂p ∂T V ∂V ∂T (6.36) p [Gleichung (5.73)]. Während CV und Cp für T → 0 mindestens wie ∼ T gegen Null streben müssen, strebt die Differenz Cp − CV wegen (6.20) und (6.36) schneller als ∼ T gegen Null. Über die genaue Form der Temperaturabhängigkeit der Wärmekapazitäten für kleine Temperaturen lassen sich aus dem 3. Hauptsatz keine Aussagen gewinnen. Um diese Frage zu beantworten, bedarf es der statistischen Thermodynamik. Ideales Gas als spezielles pV T -System: Bekanntlich folgt aus (6.36) mit der thermischen Zustandsgleichung pV = N kT des (klassischen) idealen Gases – im Widerspruch zum Nernstschen Wärmetheorem – die Beziehung Cp − CV = N k. Diese thermische Zustandsgleichung kann also nicht für tiefe Temperaturen gelten. Dies trifft ebenfalls auf die kalorische Zustandsgleichung zu. Wenn wir annehmen, daß die thermische und die kalorische Zustandsgleichung des 6.3. WÄRMEKAPAZITÄTEN UND ENTROPIE 105 idealen Gases bis zum absoluten Nullpunkt hin Gültigkeit haben, so folgt aus (5.122) T S(T, V ) = CV V . dT + N k ln T V0 (6.37) 0 Da CV = const. gilt, divergiert S für jedes T > 0. Gibt man die Annahme, daß CV konstant ist, auf, so daß das Temperaturintegral nicht divergiert, hängt S(T, V ) für T → 0 noch von V ab – im Widerspruch zum 3. Hauptsatz. Die bisher verwendeten Zustandsgleichungen des idealen Gases werden offensichtlich bei hinreichend niedrigen Temperaturen falsch. Die dann auftretenden Abweichungen, die ihre Ursache im Quantencharakter der Gasteilchen haben, bezeichnet man auch als Gasentartung. Im Hinblick auf ihre Berechnung in der statistischen Thermodynamik ist die Quantenstatistik nötig, um das richtige Verhalten für T → 0 zu ermitteln. 106 KAPITEL 6. DAS NERNSTSCHE WÄRMETHEOREM Kapitel 7 Systeme mit veränderlicher Teilchenzahl In unseren bisherigen Überlegungen haben wir in der Regel angenommen, daß es sich bei den betrachteten thermodynamischen Systemen um solche fester Teilchenzahlen bzw. fester Stoffmengen handelt. Demzufolge betrachteten wir die Teilchenzahlen bzw. Stoffmengen als fest vorgebbare Parameter in den Zustandsgleichungen und Potentialfunktionen. Das muß natürlich nicht der Fall sein, wie die folgenden Beispiele zeigen. – Das System bestehe aus einer Flüssigkeit mit ihrem gesättigtem Dampf. Die Teilchenzahlen in den beiden Phasen sind (im Gegensatz zur Gesamtteilchenzahl) variabel. So ändern sie sich beispielsweise bei gegebener Temperatur mit dem Druck (Abschnitt 5.3.2). – Im System laufen chemische Reaktionen ab. Die Teilchenzahlen der einzelnen Komponenten von Reaktionspartnern sind variabel, und die Gesamtteilchenzahl braucht (im Gegensatz zur Gesamtmasse) auch nicht konstant zu sein. – Ein typisches Beispiel für ein System, bei dem die Anzahl der Teilchen prinzipiell nicht vorgebbar ist, ist das Photonengas (Ab107 108 KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN schnitt 5.3.3). Bekanntlich geht die Anzahl der Photonen nicht in die thermische und kalorische Zustandsgleichung ein. 7.1 Chemische Potentiale Wir wollen annehmen, daß ein thermodynamisches System aus N1, N2, . . . (materiellen) Teilchen unterschiedlicher Komponenten oder Phasen besteht (d.h. für α = β sollen die Nα Teilchen von den Nβ Teilchen unterscheidbar sein). Wir wollen die Teilchenzahlen nicht als fest vorgegebene Parameter, sondern als unabhängige Zustandsvariablen betrachten. Damit wird beispielsweise die innere Energie U auch eine Funktion der Teilchenzahlen Nα , und folglich lautet die Gibbssche Fundamentalgleichung:1 dU = T dS − yi dXi + μα dNα α i (7.1) Offensichtlich ist U = U (S, {Xi}, {Nα }) Potential. Die Größen μα = ∂U ∂Nα (7.2) S,{Xi },{Nβ |β=α} heißen chemische Potentiale. Analog kann natürlich auch die Entropie als Funktion von U , den Xi und den Nα angesehen werden, wobei dann ∂S μα = − (7.3) T ∂Nα U,{Xi},{Nβ |β=α} 1 Es ist klar, daß sich die innere Energie U eines solchen Systems nicht nur dadurch ändert, daß das System Wärme aufnimmt und an ihm Arbeit geleistet wird, sondern auch infolge Aufnahme und Abgabe von Teilchen. 7.1. CHEMISCHE POTENTIALE 109 gilt. Ausgehend von U oder S können dann nach dem bekanntem Schema (Abschnitt 5.2) weitere Potentiale definiert werden. Es ist leicht zu sehen, daß für ein beliebiges von der inneren Energie bzw. Entropie ausgehendes Potential, das eine Funktion der Teilchenzahlen ist, partielle Differentiation nach den Teilchenzahlen Nα die chemischen Potentiale μα bzw. −μα /T liefert. Es können natürlich auch Potentiale definiert werden, die nicht von den Teilchenzahlen Nα , sondern von den chemischen Potentialen μα (oder auch gemischt von gewissen Teilchenzahlen und chemischen Potentialen) abhängen. Betrachten wir beispielsweise die freie Energie F = U − T S als Potential, dF = −S dT − yi dXi + μα dNα , (7.4) α i von der ausgehend das sogenannte großkanonische Potential2 F =F − μα Nα (7.5) α als Funktion der Temperatur, der Xi und der μα definiert werden kann, F = F (T, {Xi}, {μα }), yi dXi − Nα dμα , (7.6) dF = −S dT − α i ∂F Nα = − ∂μα . (7.7) T,{Xi },{μβ |β=α} Innere Energie und Entropie sind extensive Zustandsgrößen. Folglich sind die von ihnen ausgehenden Potentiale ebenfalls extensive Zustandsgrößen. Vergrößern wir alle Stoffmengen (Teilchenzahlen) um einen Faktor λ, so vergrößert sich speziell die innere Energie ebenfalls um diesen Faktor. Wenn wir beispielsweise annehmen, daß die Xi ebenfalls extensive Zustandsgrößen sind, muß also U (λS, {λXi }, {λNα }) = λU (S, {Xi }, {Nα}) 2 (7.8) Neben der freien Energie ist das großkanonische Potential eine zentrale Größe in der statistischen Thermodynamik. 110 KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN gelten. Die innere Energie und jede andere extensive Zustandsgröße ist also eine homogene Funktion vom Grad 1 in den extensiven Zustandsgrößen, und der Satz von Euler kann angewendet werden.3 Für unser Beispiel bedeutet dies ∂U ∂U S + Xi ∂S {Xi},{Nα} ∂Xi S,{Xj |j=i},{Nα} i ∂U + Nα = U, (7.9) ∂N α S,{X },{N |β = α} i β α und folglich ist U = TS − yi Xi + G=F+ yi Xi = U − T S + i yi Xi = F =F − μα Nα = − α μα Nα (7.11) α i oder auch (7.10) α i bzw. μα Nα yi Xi . (7.12) i Beachte, daß G = G(T, {yi}, {Nα}) die Potentialfunktion ist, die im Gegensatz zur freien Energie nicht von den Xi als unabhängigen Zustandsgrößen, sondern von den yi abhängt. Die chemischen Potentiale sind als Differentialquotienten zweier extensiver Größen [siehe (7.2)] intensive Größen. Sie ändern also ihren Wert nicht, wenn alle Stoffmengen (Teilchenzahlen) um den gleichen Faktor geändert werden und sind folglich homogene Funktionen vom Grad 0 in den extensiven Zustandsgrößen. Deswegen können chemische Potentiale nur von Quotienten von Stoffmengen abhängen, also beispielsweise von Brüchen von TeilchenzahlenNα /Nβ oder vorzugsweise von Konzentrationen n̄α = Nα /N mit N = α Nα als der Gesamtteilchenzahl. Besteht ein (homogenes) System aus K Stoffen, können demnach maximal K − 1 Konzentrationen vorgegeben werden. Nehmen wir wieder an, daß die Xi extensive Zustandsgrößen und somit die yi intensive Zustandsgrößen sind. Die chemischen Potentiale 3 Ist f (λx1 , λx2 , . . .) = λn f (x1 , x2 , . . .), dann gilt k xk (∂f /∂xk ) = nf (x1 , x2 , . . .). 7.2. P V T -SYSTEME 111 seien als Funktionen der Temperatur T , der yi und der Teilchenzahlen Nα gegeben. Dann gilt μα (T, {yi}, {λNβ }) = μα (T, {yi}, {Nβ }), und der Eulersche Satz liefert ∂μα Nβ = 0. ∂Nβ T,{yi},{Nγ |γ=β} (7.13) (7.14) β Wir berücksichtigen ∂G = μβ ∂Nβ T,{yi},{Nγ |γ=β} ∂μβ ∂μα ; = ∂Nα T,{yi},{Nγ |γ=α} ∂Nβ T,{yi},{Nγ |γ=β} und finden, daß mit (7.14) auch ∂μβ Nβ =0 ∂Nα T,{yi},{Nγ |γ=α} (7.15) (7.16) β gilt. 7.2 pV T -Systeme Für pV T -Systeme lautet gemäß (7.1) das totale Differential der inneren Energie U = U (S, V, {Nα}) dU = T dS − p dV + μα dNα (7.17) α Werden von U ausgehend die entsprechenden Legendre-Transformationen ausgeführt, so ist leicht zu sehen, daß für die Potentiale F = U − T S, (7.18) 112 KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN H = U + pV (7.19) G=H −T S (7.20) und eines pV T -Systems gilt: dF = −S dT − p dV + μα dNα , (7.21) α dH = T dS + V dp + μα dNα , (7.22) α dG = −S dT + V dp + μα dNα , (7.23) α μα = = ∂U ∂Nα ∂H ∂Nα = S,V,{Nβ |β=α} = S,p,{Nβ |β=α} ∂F ∂Nα ∂G ∂Nα T,V,{Nβ |β=α} . (7.24) T,p,{Nβ |β=α} Wie bereits bemerkt, sind die thermodynamischen Potentiale extensive Zustandsgrößen. Gemäß (7.8) gilt also für ein aus ununterscheidbaren Teilchen bestehendes (einphasiges, einkomponentiges) pV T -System V S U = U (S, V, N ) = U N , N , N N N S V , , 1 = N ū(s̄, v̄) (7.25) =NU N N mit den spezifischen Größen ū = U , N s̄ = S , N v̄ = V . N (7.26) Analog finden wir V F = N F T, , 1 N = N f¯(T, v̄), (7.27) 7.2. P V T -SYSTEME 113 S H=NH , p, 1 = N h̄(s̄, p), N (7.28) G = N G(T, p, 1) = N ḡ(T, p). (7.29) Die Gleichung (7.29) impliziert, daß μ= ∂G ∂N = ḡ (7.30) T,p ist und folglich in Übereinstimmung mit (7.11) G = Nμ (7.31) gilt. Berücksichtigen wir die Definition von G, so folgt mit (7.31) G = N μ = U − T S + pV, (7.32) bzw. in Übereinstimmung mit (7.10) U = T S − pV + μN. (7.33) Aus (7.17) und (7.33) ist unschwer zu sehen, daß für die spezifischen Größen erwartungsgemäß dū = T ds̄ − p dv̄ (7.34) gilt. Nach (7.30) ist das chemische Potential eines (aus gleichartigen Teilchen bestehenden) Körpers nichts anderes als seine spezifische freie Enthalpie, und es gilt folglich dμ = dḡ = −s̄ dT + v̄ dp. (7.35) Die betrachteten Potentiale U, F, H, G besitzen die Teilchenzahl als unabhängige Variable. Mittels einer Legendre-Transformation kann 114 KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN natürlich auch das chemische Potential zu einer unabhängigen Variablen gemacht werden. So ergibt sich gemäß (7.6) das totale Differential des großkanonischen Potentials F = F − μN = U − T S − μN (7.36) dF = −S dT − p dV − N dμ. (7.37) als Ein Vergleich von (7.36) mit (7.33) liefert in Übereinstimmung mit (7.12) F = −p V, (7.38) und folglich gilt ∂F N =− ∂μ =V T,V ∂p ∂μ . (7.39) T,V Entsprechend (7.10) lautet die Verallgemeinerung der Gleichung (7.33) auf den Fall mehrerer Teilchensorten μα Nα . (7.40) U = T S − pV + α Die Verallgemeinerung von (7.31) lautet gemäß (7.11) G(T, p, {Nα}) = μβ Nβ (7.41) β und die Gleichungen (7.14) und (7.16) liefern:4 β 4 Nβ ∂μα ∂Nβ = T,p,{Nγ |γ=β} β Nβ ∂μβ ∂Nα =0 T,p,{Nγ |γ=α} (7.42) Die Gleichung (7.41) und die Gleichungen (7.42) werden auch Gibbs-Duhem-Beziehung bzw. Gibbs-Margule-Beziehungen genannt. 7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN 115 Die für die freie Enthalpie und die chemischen Potentiale, d.h. die partiellen Ableitungen der freien Enthalpie nach den Teilchenzahlen, angegebenen Relationen (7.41) und (7.42) gelten für jede extensive Zustandsgröße Z, die eine Funktion von T , p und den Nα ist, Z = Z(T, p, {Nα}). Da Z eine homogene Funktion vom Grad 1 in den Teilchenzahlen ist und folglich die partiellen spezifischen Größen ∂Z z̃α = (7.43) ∂Nα T,p,{Nβ |β=α} homogene Funktionen vom Grad 0 in den Teilchenzahlen sind, bedeutet dies nach dem Eulerschen Satz Z(T, p, Nα) = z̃β Nβ (7.44) β und β Nβ ∂ z̃α ∂Nβ = T,p,{Nγ |γ=β} β Nβ ∂ z̃β ∂Nα = 0. (7.45) T,p,{Nγ |γ=α} Die Gleichungen (7.44) und (7.45) stellen offensichtlich die Verallgemeinerungen der Gleichungen (7.41) und (7.42) dar. 7.3 Homogene Mischungen Die (von der inneren Energie oder der Entropie ausgehenden) thermodynamischen Potentiale sind bezüglich der einzelnen Teile eines Systems additiv, solange die Wechselwirkung der Teile untereinander vernachlässigt werden kann. Die Potentiale von Gemischen aus mehreren Stoffen werden deshalb nicht einfach die Summen der Potentiale der einzelnen Komponenten der Gemische sein, da i. allg. die Komponenten miteinander in Wechselwirkung stehen. Mischung idealer Gase Eine Ausnahme sind Gemische idealer Gase, deren Teilchen (definitionsgemäß) nicht miteinander wechselwirken. Die thermodynamischen 116 KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN Potentiale eines solchen Gemisches sind gleich den Summen der Potentiale der einzelnen zu dem Gemisch gehörenden Gase, als wären die anderen Gase nicht vorhanden, und jedes Gas hätte das Volumen des ganzen Gemisches. Nimmt das aus insgesamt N Teilchen bestehende Gemisch das Volumen V ein, so gilt die thermische Zustandsgleichung pv̄ = kT, v̄ = V . N (7.46) Entsprechend gilt für die aus Nα Teilchen bestehende α-te Komponente des Gemisches die thermische Zustandsgleichung pα v̄α = kT. (7.47) Im Falle einer echten Mischung nimmt jede Gaskomponente das Volumen V ein, V v̄α = , (7.48) Nα und somit lautet (7.47) pα V = Nα kT (7.49) Der Vergleich mit (7.46) liefert pα = n̄α p, (7.50) und folglich gilt pα = p (7.51) α Multiplikation des Druckes mit der Konzentration der α-ten Komponente ergibt den Partialdruck pα dieser Komponente, und die Summe der Partialdrucke aller Komponenten ist gleich dem Gesamtdruck.5 5 Die Gleichungen (7.49) und (7.51) heißen auch Daltonsche Gesetze. 7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN 117 Wenn alle Komponenten unter gleichem Druck stehen, können sie nicht das Volumen V einnehmen, sondern nur ein bestimmtes Teilvolumen Vα (unechte Mischung), pα = p, v̄α = Vα , Nα (7.52) und (7.47) lautet (7.53) pVα = Nα kT Der Vergleich mit (7.46) liefert v̄α = v̄, (7.54) und es gilt folglich Vα = V (7.55) α Die spezifischen Volumina aller Komponenten sind gleich (und gleich dem spezifischen Volumen des Gasgemisches insgesamt), und die Summe der Volumina aller Komponenten ist gleich dem Gesamtvolumen.6 Wir betrachten zwei zunächst räumlich getrennte ideale Gase unterschiedlicher Teilchensorten, die jeweils die gleiche Temperatur und den gleichen Druck besitzen sollen (unechte Mischung). Anschließende Diffusion der Gase führt zu einer irreversiblen Vermischung beider. Die p V1 T p V2 T N1 N2 Entropie des Gesamtsystems setzt sich additiv aus den Entropien der 6 Die Gleichungen (7.53) und (7.55) heißen auch Amagatsche Gesetze. 118 KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN beiden Teilsysteme zusammen. Wir wenden die Gleichung (5.123) auf die beiden Teilsysteme (mit jeweils fester Teilchenzahl) an und finden ΔS = S1 (T, V, N1, ) + S2 (T, V, N2) − S1 (T, V1, N1) − S2 (T, V2, N2) V V = N1 k ln + N2k ln . V1 V2 (7.56) Nun gilt wegen (7.54) V N = , V1 N1 V N = . V2 N2 (7.57) Wir setzen die Relationen (7.57) in (7.56) ein und erhalten als Mischungsentropie den Ausdruck ΔS = −N k (n̄1 ln n̄1 + n̄2 ln n̄2 ) , (7.58) dessen Verallgemeinerung für mehrere ideale Gase (unterschiedlicher Teilchensorten) offensichtlich7 ΔS = −N k n̄α ln n̄α (7.59) α lautet. Es ist leicht zu sehen, daß ΔS > 0 ist, die Mischung also einen irreversiblen Prozeß darstellt. Betrachten wir die spezifische Entropie s̄, so können wir die Gleichung (7.59) auch wie folgt schreiben: n̄α s̄α (T, p) − k n̄α ln n̄α s̄(T, p, {n̄α}) = α = α n̄α s̃α (T, p, n̄α), (7.60) α 7 Beachte, daß n̄β = Nβ /N als Wahrscheinlichkeit Pβ interpretiert werden kann, bei einem Griff“ ” in das Gemisch ein Teilchen der β-ten Sorte zu finden. Die spezifische Mischungsentropie ist folglich −k β Pβ ln Pβ = −k ln P. Dies ist eine der wenigen Stellen der phänomenologischen Thermodynamik, die einen deutlichen Hinweis auf die Interpretation der Entropie im Rahmen der statistischen Thermodynamik gibt. 7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN 119 s̃α (T, p, n̄α) = s̄α (T, p) − k ln n̄α (7.61) [s̃α (T, p, n̄α) - partielle spezifische Entropie der α-ten Komponente in der (echten) Mischung, s̄α (T, p) - spezifische Entropie der isolierten αten Komponente (in der unechten Mischung)]. Die spezifische freie Enthalpie der Mischung ergibt sich dann als n̄α g̃α (T, p, {n̄β }), (7.62) ḡ(T, p, {n̄α}) = ū − T s̄ + pv̄ = α wobei8 g̃α (T, p, {n̄β }) = g̃α (T, p, n̄α) = ūα + pv̄α − T s̃α (T, p, n̄α) = ūα + pv̄α − T s̄α (T, p) +kT ln n̄α (7.63) ḡα (T,p) gilt, d.h. g̃α (T, p, n̄α) = ḡα (T, p) + kT ln n̄α (7.64) ḡα (T, p) = ūα + pv̄α − T s̄α (T, p) (7.65) mit als der spezifischen freie Enthalpie der α-ten Komponente vor der Mischung. Wir berücksichtigen (7.41) und erhalten für das chemische Potential der α-ten Komponente der Mischung: μα (T, p, n̄α) = ḡα (T, p) + kT ln n̄α (7.66) Anmerkung: Gleiche Teilchensorten Im Fall gleicher Teilchensorten gilt [anstelle von (7.56)] ΔS = S(T, V, N ) − S(T, V1, N1) − S(T, V2, N2) = N s̄(T, V /N ) − N1 s̄(T, V1/N1 ) − N2 s̄(T, V2/N2 ). (7.67) Wegen p = f (T, V /N ) = f (T, V1/N1 ) = f (T, V2/N2 ), 8 Beachte, daß gemäß (7.52) und (7.55) pV = p β Vβ gilt. (7.68) 120 KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN d.h. V /N = V1 /N1 = V2 /N2, (7.69) liefert somit (7.67) ΔS = 0. (7.70) Wie erwartet, ändert sich in diesem Fall die Entropie nicht. Beachte, daß die obige Überlegung nicht auf ideale Gase beschränkt ist, sondern für beliebige pV T -Systeme Gültigkeit hat. Reale Mischungen Gemäß (7.44) gilt für eine extensive Zustandsgröße Z = Z(T, p, {Nα}) einer Mischung: Z(T, p, {Nα}) = α Nα z̃α ; Z = z̄ = n̄α z̃α N α (7.71) Im Falle einer (echten) Mischung hängen die partiellen spezifischen Größen z̃α nicht nur von n̄α , sondern i. allg. auch von den Konzentrationen n̄β (β = α) der übrigen Stoffe des Gemisches ab, z̃α = z̃α (T, p, {n̄β }). Insbesondere setzt sich die innere Energie nicht additiv aus den spezifischen Energien der freien Komponenten, sondern aus den i. allg. davon verschiedenen, partiellen spezifischen Energien multipliziert mit den entsprechenden Stoffmengen zusammen. Tangentenregel: Gegeben sei ein binäres Gemisch (α = 1, 2), und es sei Z(T, p, N1, N2) beispielsweise die innere Energie. Gemäß (7.71) kann diese (wie auch jede andere extensive Zustandsgröße als Funktion der Temperatur, des Druckes und der Teilchenzahlen) in der Form U (T, p, N1, N2) = N1 ũ1 + N2 ũ2 (7.72) bzw. ū(T, p, N1, N2) = n̄1 ũ1 + n̄2 ũ2 geschrieben werden. Anwendung der Gleichung (7.45) liefert ∂ ũ1 ∂ ũ2 N1 + N2 =0 ∂N1 T,p,N2 ∂N1 T,p,N2 (7.73) (7.74) 7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN 121 und nach Division von N1 und N2 durch die (konstante) Gesamtteilchenzahl N ∂ ũ1 ∂ ũ2 n̄1 + n̄2 = 0. (7.75) ∂ n̄1 ∂ n̄1 Da die abhängigen Variablen festgelegt sind, ist klar, wie die partiellen Ableitungen zu verstehen sind, so daß wir hier, um Schreibarbeit zu sparen, auf die Angabe der jeweils festgehaltenen Variablen bei den Ableitungen verzichten können. Die Gültigkeit der Gleichung (7.75) gestattet, ũ1 und ũ2 mittels der sogenannten Tangentenmethode aus der gemessenen Konzentrationsabhängigkeit von ū zu bestimmen. Dazu differenzieren wir ū in (7.73) beispielsweise nach n̄1 . Mit n̄2 = 1 − n̄1 (7.76) folgt ∂ ũ1 ∂ ũ2 ∂ ū −ũ2 , = ũ1 + n̄1 + n̄2 ∂ n̄1 ∂ n̄ ∂ n̄ 1 1 = 0 [siehe (7.75)] ∂ ū = ũ1 − ũ2 . ∂ n̄1 Mittels (7.73) eliminieren wir ũ1: ũ1 = ū − n̄2 ũ2 n̄1 ∂ ū ū − ũ2 = . ∂ n̄1 n̄1 ; (7.77) (7.78) (7.79) Analog liefert Elimination von ũ2 − ∂ ū ∂ ū ũ1 − ū = = . ∂ n̄2 ∂ n̄1 n̄2 (7.80) Im Falle idealer Gase sind ũ1 = ū1 und ũ2 = ū2 konzentrationsunabhängig und ū als Funktion von n̄1 (oder n̄2) ist eine Gerade. Mischungswärme: Es sei (mit T und p als konstant vorausgesetzt) H0(T, p, {Nα}) = Nα h̄α (T, p) α (7.81) 122 KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN ū ũ1 ũ2 n̄1 n̄2 1 die Enthalpie des Systems vor der Mischung und H(T, p, {Nα}) = Nα h̃α (T, p, {n̄β }) (7.82) α die Enthalpie des Systems nach der Mischung, und somit gilt für die Änderung der Enthalpie ΔH = H − H0 = Nα (h̃α − h̄α ), (7.83) ΔH = n̄α (h̃α − h̄α ) N α (7.84) α d.h. q̄m = Δh = stellt die spezifische Mischungswärme dar.9 Das Auftreten von (konzentrationsabhängigen) Mischungswärmen bedeutet offensichtlich Wechselwirkung zwischen den mikroskopischen Teilchen in der Mischung. Partielle spezifische Wärmen: Für die Wärmekapazität bei konstantem Druck ∂H Cp (T, p, {Nα}) = ∂T p,{Nα} 9 (7.85) Für isobare Prozesse und feste Gesamtstoffmenge des System ist bekanntlich dH = δQ bzw. dh̄ = δ q̄. 7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN 123 gilt mit (7.82) ∂ Cp(T, p, {Nα}) = Nα h̃α ∂T α = Nα α bzw. c̄p = c̃pα = ∂ h̃α ∂T ∂ h̃α ∂T p,{Nβ } (7.86) p,{Nβ } Cp n̄α c̃pα , = N α = p,{Nβ } ∂ ∂T = ∂Cp ∂Nα ∂H ∂Nα (7.87) p,T,{Nβ |β=α} p,{N } β . (7.88) p,T,{Nβ |β=α} Im Falle einer binären Mischung können die partiellen spezifischen Wärmen c̃p1 und c̃p2 nach der Tangentenmethode aus c̄p sowie den Konzentrationen n̄1 und n̄2 bestimmt werden. Aktivitäten und Exzeßgrößen: Nach (7.66) lautet das chemische Potential der α-ten Komponente einer idealen Mischung μ(ideal) (T, p, n̄α) = ḡα (T, p) + kT ln n̄α , α (7.89) d.h., es hängt nur von der Konzentration der betrachteten Komponente und nicht von den Konzentrationen der übrigen Komponenten in der Mischung ab. Falls die Abweichung von der idealen Mischung nicht allzu groß ist (was häufig der Fall ist), gilt näherungsweise μα (T, p, {n̄β }) = ḡα (T, p) + kT ln(fα n̄α ) = ḡα (T, p) + kT ln n̄α + kT ln fα (7.90) 124 KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN (d.h. n̄α → fα n̄α ). Die Größen fα n̄α heißen Aktivitäten und die Faktoren fα = fα (p, T, {n̄β }) (7.91) Aktivitätskoeffizienten. Die Differenz (ideal) = kT ln fα μ(E) α = μα − μα (7.92) wird chemisches Exzeßpotential genannt. Betrachten wir wieder eine beliebige extensive Zustandsgröße Z =Z(T, p, {Nα}), für die nach (7.71) z̄ = n̄α z̃α (7.93) α gilt. Ganz allgemein wird die Differenz zwischen z̄ der realen Mischung und z̄ (ideal) der idealen Mischung als spezifische Exzeßgröße z̄ (E) bezeichnet, (E) (ideal) (ideal) z̄ = z̄ − z̄ = = n̄α z̃α − z̃α n̄α z̃α(E) . (7.94) α α Offensichtlich ist die spezifische freie Exzeßenthalpie gerade n̄α g̃α(E) = n̄α μ(E) = kT n̄α ln fα . ḡ (E) = α α α (7.95) α (E) Im Falle einer binären Mischung können μ1 der Tangentenmethode aus (E) (E) und μ2 (E) ḡ (E) = n̄1 μ1 + n̄2 μ2 wieder nach (7.96) und den Konzentrationen n̄1 und n̄2 bestimmt werden. Für die Klassifikation von binären Mischungen wird häufig eine Entwicklung von ḡ (E) /(n̄1n̄2 ) nach der Differenzkonzentration n̄1 − n̄2 vorgenommen: ḡ (E) = kT Ak (n̄1 − n̄2 )k n̄1n̄2 (7.97) k (n̄1 + n̄2 = 1), wobei die Ak i. allg. Funktionen von Druck und Temperatur sind, Ak = Ak (T, p). Offensichtlich liegt eine ideale Mischung vor, 7.3. HOMOGENE MISCHUNGEN 125 wenn alle Ak verschwinden. Symmetrische Mischung: = 0 wenn k = 0, Ak = 0 sonst. (7.98) Unsymmetrische Mischung: A0 = 0 und f ür k ≥ 1 mindestens ein Ak = 0. (7.99) Mischungen idealer Gase sind immer stabil. Bei Flüssigkeiten gibt es einen stetigen Übergang von vollständiger Mischbarkeit bis Nichtmischbarkeit. So ist es möglich, daß bei gegebenem Druck oberhalb oder unterhalb einer kritischen Entmischungstemperatur (Punkte C in der Abbildung) zwei Flüssigkeiten in jedem Verhältnis mischbar sind. Unterhalb bzw. oberhalb der kritischen Temperatur zerfällt dann die Mischung für bestimmte Konzentrationsverhältnisse in zwei nebeneinT T C A B C n̄1 C T n̄1 T C C C n̄1 n̄1 ander existierende flüssige Phasen (Punkte A und B in der Abbildung). Die Instabilitätsgebiete (schraffierte Flächen in der Abbildung) werden auch als Mischungslücken bezeichnet. Es gibt Mischungen, die nur eine obere oder untere kritische Temperatur oder auch zwei kritische Temperaturen besitzen. Im Fall zweier kritischer Temperaturen kann 126 KAPITEL 7. VERÄNDERLICHE TEILCHENZAHLEN die Mischungslücke aus einem Gebiet oder auch aus zwei getrennten Gebieten bestehen. Verdünnte Lösungen: Unter einer verdünnten Lösung wird ein Gemisch verstanden, bei dem die Konzentration einer Stoffkomponente die Konzentrationen aller anderen Komponenten substantiell überwiegt, z.B. n̄1 n̄α (α ≥ 2) (7.100) (Komponente 1: Lösungsmittel; Komponenten α: gelöste Stoffe). Es gilt (7.101) f1 ≈ 1 falls n̄α n̄1 (α ≥ 2), und folglich liefert (7.90) für das Lösungsmittel μ1 (T, p, n̄1) = ḡ1 (T, p) + kT ln n̄1 , (7.102) während für die gelösten Stoffe (α ≥ 2) zunächst weiterhin μα (T, p, {n̄β }) = ḡα (T, p) + kT ln(fα n̄α ) (7.103) gilt. Da die Konzentrationen der gelösten Stoffe klein sind, können die Aktivitäten nach diesen entwickelt werden, wobei nur Glieder niedriger Ordnung wesentlich beitragen. Betrachten wir eine verdünnte binäre Lösung. Entwicklung von f2n̄2 nach n̄2 und Abbruch nach dem ersten Glied liefert f2 n̄2 = Bk n̄k2 ≈ B1 n̄2 . (7.104) k Wir setzen dieses (Näherungs-)Ergebnis in (7.103) ein und erhalten μ2 (T, p, n̄2) = ḡ2 (T, p) + kT ln B1 +kT ln n̄2 , ḡ21 (T, p) μ2 (T, p, n̄2) = ḡ21(T, p) + kT ln n̄2 . (7.105) (7.106) Die chemischen Potentiale von Lösungsmittel und gelöstem Stoff hängen also in gleicher Weise von den Konzentrationen der jeweiligen Stoffe ab. Im Unterschied zum Lösungsmittel, für das ḡ1(T, p) nicht vom gelösten Stoff abhängt, ist ḡ21(T, p) des gelösten Stoffs lösungsmittelabhängig. Kapitel 8 Gleichgewichts- und Stabilitätsbedingungen Bekanntlich kann für ein abgeschlossenes System die Entropie nicht abnehmen, dS ≥ 0. (8.1) Wenn sich der Gleichgewichtszustand eingestellt hat, gilt dS = 0, und die Entropie selbst erreicht dann ihren größten Wert S = Smax . (8.2) Wollen wir den Gleichgewichtszustand berechnen, haben wir also eine Extremalaufgabe mit Nebenbedingungen zu lösen, wobei die Nebenbedingungen (im vorliegenden Fall) sichern, daß das System abgeschlossen ist. Betrachten wir als konkretes System ein pV T -System der Gesamtmasse M. Die Nebenbedingungen für die Abgeschlossenheit des Systems sind dann U = const., V = const., M = const.. (8.3) Wir haben hier die Gesamtmasse M anstelle der Gesamtteilchenzahl N verwendet, da im Falle von chemischen Reaktionen in einem abgeschlossenen (mehrkomponentigen) System die Gesamtteilchenzahl (im Gegensatz zur Gesamtmasse) nicht notwendigerweise Erhaltungsgröße ist. Zur Lösung der Extremalaufgabe kann wie folgt verfahren werden. 127 128 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT Nehmen wir an, die Entropie S der Nichtgleichgewichtszustände (im Sinne von Zuständen des gehemmten Gleichgewichts) des abgeschlossenen Systems ist als Funktion irgendwelcher (Nichtgleichgewichts-)Zustandsgrößen Y1 , Y2, . . . gegeben, S = S({Yi}), wobei die Anzahl dieser Variablen größer ist als die für den Gleichgewichtszustand. Das abgeschlossene System befindet sich im Gleichgewichtszustand, wenn bei einer mit δU = δV = δM = 0 (8.4) verträglichen, ansonsten beliebigen infinitesimal kleinen Variation der Variablen Yi (im Sinne von virtuellen Verrückungen) ∂S δS = δYi = 0 (8.5) ∂Y i i gilt. Die Gleichgewichtsbedingung (δS)U,V,M = 0 (8.6) garantiert zunächst nur die Existenz eines Extremalwerts, sagt aber noch nichts darüber aus, ob ein Maximum oder ein Minimum vorliegt. Um diese Frage zu beantworten, muß das Glied 2. Ordnung ∂ 2S 2 1 δYi δYj (8.7) δ S=2 ∂Y ∂Y i j i,j in der Entropieänderung am Extremwert untersucht werden. Ein Maximum liegt vor, wenn die Stabilitätsbedingung (δ 2 S)U,V,M < 0 (8.8) gilt. Sie garantiert, daß der durch die Gleichgewichtsbedingung festgelegte Gleichgewichtszustand stabil oder zumindest metastabil ist. Metastabile Zustände sind gegenüber infinitesimal kleinen Zustandsänderungen stabil, nicht aber gegenüber beliebigen endlichen Zustandsänderungen. Im Falle eines metastabilen Zustands liegt nur ein relatives 129 Maximum der Entropie vor. Beispiele für metastabile Zustände sind überhitzte Flüssigkeiten und unterkühlte Dämpfe. S A C B ZB ZA ZC Z A: stabiler Gleichgewichtszustand B: instabiler Zustand C: metastabiler Gleichgewichtszustand Häufig gilt das Interesse nicht abgeschlossenen Systemen, sondern vielmehr Systemen, die auf unterschiedlichste Weise im Gleichgewicht mit ihrer Umgebung sind. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dann die jeweils aus dem 1. und dem 2. Hauptsatz folgende Ungleichung. Betrachten wir speziell ein stofflich abgeschlossenes pV T -System (der Gesamtmasse M), das sich nicht notwendigerweise im thermodynamischen Gleichgewicht befinden muß. Dem System soll ein Druck und eine Temperatur zugeordnet werden können. Daneben werden i. allg. noch weitere Zustandsgrößen zur Charakterisierung erforderlich sein. Tauscht das System mit der Umgebung neben Wärme nur Volumenarbeit aus, so liefert die Kombination von erstem und zweitem Hauptsatz zunächst T dS ≥ δQ = dU + p dV. (8.9) Folgende Situationen für im System ablaufende Prozesse sind denkbar: Fall (a): Prozesse im abgeschlossenen System dU = 0, dV = 0, dS ≥ 0 (8.10) (8.11) 130 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT Fall (b): bei konstanter Entropie und konstantem Volumen ablaufende Prozesse dS = 0, dV = 0, dU ≤ 0 Fall (c): (8.12) (8.13) bei konstanter Temperatur und konstantem Volumen ablaufende Prozesse dT = 0, U = F + TS ; dV = 0, dU = dF + T dS dF ≤ 0 (8.14) (8.15) (8.16) Fall (d): bei konstanter Entropie und konstantem Druck ablaufende Prozesse dS = 0, U = H − pV ; dp = 0, (8.17) dU = dH − p dV (8.18) dH ≤ 0 Fall (e): (8.19) bei konstanter Temperatur und konstantem Druck ablaufende Prozesse dT = 0, U = G + T S − pV ; dp = 0, dU = dG + T dS − p dV dG ≤ 0 (8.20) (8.21) (8.22) Die Ungleichung (8.11) entspricht der Gleichgewichtsbedingung (8.6) und der Stabilitätsbedingung (8.8), während die Ungleichungen (8.13), 131 (8.16), (8.19) und (8.22) den Gleichgewichts- und Stabilitätsbedingungen (δU )S,V,M = 0, (δ 2 U )S,V,M > 0, (8.23) (δF )T,V,M = 0, (δ 2 F )T,V,M > 0, (8.24) (δH)S,p,M = 0, (δ 2 H)S,p,M > 0, (8.25) (δG)T,p,M = 0, (δ 2 G)T,p,M > 0. (8.26) entsprechen. Es gibt also keine für alle Gleichgewichtszustände universell gültige Gleichgewichts- und Stabilitätsbedingung. Je nach den vorgegebenen (experimentellen) Bedingungen kann man jedoch in der Regel Potentiale finden, die dann gewisse Extremaleigenschaften aufweisen. Unter den oben angegebenen Gleichgewichts- und Stabilitätsbedingungen spielt insbesondere die Bedingung der minimalen freien Enthalpie eine wichtige Rolle, da durch sie die wichtige Klasse von Prozessen erfaßt wird, die bei konstanter Temperatur und konstantem Druck ablaufen. Um die Gleichgewichts- und Stabilitätsbedingungen konkret anwenden zu können, müssen (virtuelle) Zustandsänderungen vorgenommen werden, die das betrachtete System aus seinem Gleichgewichtszustand herausbringen. Im Vergleich mit Gleichgewichtszuständen sind für Nichtgleichgewichtszustände bekanntlich zusätzliche unabhängige Zustandsgrößen erforderlich, mittels derer Nichtgleichgewichtszustände als Zustände des gehemmten Gleichgewichts aufgefaßt werden können. Diese zusätzlichen Zustandsgrößen mit den zugeordneten verallgemeinerten Kräften halten das (gehemmte) Gleichgewicht im System aufrecht und verhindern, daß sich der von allen Hemmungen befreite Gleichgewichtszustand einstellt. In diesem Sinne können die Zustandsgrößen eines Nichtgleichgewichtszustands als solche für ein Gleichgewichtssystem mit entsprechend erweiterter Gibbsscher Fundamentalgleichung aufgefaßt werden. So können beispielsweise äußere Felder oder adiabatische Wände, die zumindest gedanklich die verschiedenen Teile eines Systems mit unterschiedlichen Temperaturen voneinander trennen, zu solchen verallgemeinerten Kräften Anlaß geben. Es seien Y1 , Y2, . . . die (minimal) notwendigen unabhängigen Zustandsgrößen, von denen die Entropie der betrachteten Nichtgleichgewichtszustände (im Sinne von Zuständen des 132 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT gehemmten Gleichgewichts) abhängt, S = S(Yi), und das abgeschlossene System sei durch Nebenbedingungen fν (Yi) = 0 charakterisiert (ν = 1, 2, . . .). Der Gleichgewichtszustand bestimmt sich dann aus der Forderung ∂S δS = δYi = 0, (8.27) ∂Y i Y j i wobei die δYi durch die Nebenbedingungen ∂fν δYi = 0 ∂Y i Yj i (8.28) miteinander verknüpft sind. Das Ergebnis ist ein stabiler Gleichgewichtszustand, wenn ∂ 2S 1 δ2S = δYi δYj < 0 (8.29) 2 i,j ∂Yi∂Yj Yk ist. Wir haben es hier mit dem Spezialfall einer negativ definiten quadratischen Form zu tun, Anm λn λm < 0, (8.30) nm was voraussetzt, daß insbesondere Ann < 0 ∀ n (8.31) Ann Amm − A2mm > 0 ∀ n, m (n = m) (8.32) und gilt. 8.1 Phasengleichgewicht eines pV T -Systems Betrachten wir zwei Phasen eines pV T -Systems, die zunächst durch eine (fiktive) Wand voneinander getrennt sind und sich jeweils in einem 8.1. PHASENGLEICHGEWICHT EINES P V T -SYSTEMS U1 V1 N1 133 U2 V2 N2 Die (fiktive) Trennwand erzwingt einen Zustand des gehemmten Gleichgewichts des Systems. Gleichgewichtszustand befinden. Für das abgeschlossene System in der Abbildung gilt U = U1 + U2 , (8.33) V = V1 + V2 , (8.34) N = N1 + N2 , (8.35) S = S1 (U1, V1, N1) + S2 (U2, V2, N2). (8.36) Offensichtlich kann S = S(U1, V1, N1, U2, V2, N2) als Entropie eines Nichtgleichgewichtszustands des Gesamtsystems aufgefaßt werden (mit jedem der beiden Teilsysteme in einem Gleichgewichtszustand). Da das System abgeschlossen ist, muß [gemäß (8.27)] für den Gleichgewichtszustand δS = ∂S1 ∂S1 ∂S1 δU1 + δV1 + δN1 ∂U1 ∂V1 ∂N1 + ∂S2 ∂S2 ∂S2 δU2 + δV2 + δN2 = 0 ∂U2 ∂V2 ∂N2 (8.37) gelten, wobei [gemäß (8.28)] die Nebenbedingungen δU = δU1 + δU2 = 0, (8.38) δV = δV1 + δV2 = 0, (8.39) δN = δN1 + δN2 = 0 (8.40) 134 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT erfüllt sein müssen. Wir setzen die Nebenbedingungen (8.38) – (8.40) in (8.37) ein und erhalten [gemäß (8.6)] ∂S1 ∂S2 ∂S1 ∂S2 δU1 + δV1 − − ∂U1 ∂U2 ∂V1 ∂V2 ∂S1 ∂S2 δN1 = 0. + − (8.41) ∂N1 ∂N2 Da δU1, δV1 und δN1 beliebig sind, folgt 1 ∂S1 ∂S2 1 = = = , T1 ∂U1 ∂U2 T2 p1 ∂S1 ∂S2 p2 = = = , T1 ∂V1 ∂V2 T2 μ1 ∂S1 ∂S2 μ2 − = = =− , T1 ∂N1 ∂N2 T2 (8.42) (8.43) (8.44) d.h. T1 = T2 = T (thermisches Gleichgewicht), (8.45) p1 = p2 = p (mechanisches Gleichgewicht), (8.46) μ1 = μ2 = μ (chemisches Gleichgewicht). (8.47) Das Ergebnis (8.45) – (8.47) finden wir natürlich auch, wenn wir von (8.48) S = S 1 + S2 , V = V1 + V2 , (8.49) N = N1 + N2 , (8.50) U = U1(S1, V1, N1) + U2(S2, V2 , N2) (8.51) und anstelle von (8.33) – (8.36) ausgehen und nach dem Minimum von U (S1, V1, N1, S2, V2 , N2) fragen. Anstelle von (8.41) erhalten wir [gemäß (8.23)] ∂U1 ∂U2 ∂U1 ∂U2 δS1 + δV1 − − ∂S1 ∂S2 ∂V1 ∂V2 ∂U1 ∂U2 δN1 = 0, + − (8.52) ∂N1 ∂N2 8.2. STABILITÄT EINES EINFACHEN P V T -SYSTEMS 135 und es folgt ∂U1 ∂U2 = = T2 , (8.53) ∂S1 ∂S2 ∂U1 ∂U2 −p1 = = = −p2, (8.54) ∂V1 ∂V2 ∂U1 ∂U2 = = μ2 . (8.55) μ1 = ∂N1 ∂N2 Die Gleichungen (8.53) – (8.55) können beispielsweise als Bestimmungsgleichungen für S2, V2 und N2 als Funktionen von S1 , V1 und N1 aufgefaßt werden, so daß im Gleichgewicht neben U1 auch U2 durch S1, V1 und N1 festgelegt ist. Das System ist stabil, wenn [gemäß (8.23)] 2 2 1 ∂ U U ∂ 1 2 (δ 2U )S,V,N = (δS1)2 + 2 2 2 ∂S1 ∂S2 2 2 2 1 ∂ U1 ∂ 2 U2 1 ∂ U U ∂ 1 2 (δV1 )2 + (δN1)2 + + + 2 2 2 2 2 ∂V1 ∂V2 2 ∂N1 ∂N2 2 2 ∂ 2 U2 ∂ 2 U2 ∂ U1 ∂ U1 δS1 δV1 + δS1δN1 + + + ∂S1∂V1 ∂S2∂V2 ∂S1∂N1 ∂S2∂N2 2 ∂ 2 U2 ∂ U1 δV1 δN1 > 0. + + (8.56) ∂V1∂N1 ∂V2∂N2 T1 = gilt. 8.2 Stabilitätsbedingungen für ein einfaches pV T -System Die Überlegungen im Abschnitt 8.1 gelten natürlich auch für das Gleichgewicht zweier beliebiger Teile eines einfachen (d.h. einphasigen und einkomponentigen) pV T -Systems. In diesem Fall haben wir einfach U1(S1 , V1, N1) = U (S1, V1 , N1) und U2(S2 , V2, N2) = U (S2, V2 , N2) in den Gleichungen (8.48) – (8.56) zu setzen [und natürlich die Nebenbedingungen (8.33) – (8.35) zu berücksichtigen]. Erwartungsgemäß bringen die Gleichgewichtsbedingungen zum Ausdruck, daß sich Temperatur, Druck und chemisches Potential innerhalb des Systems nicht ändern. 136 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT Aus der Gleichgewichtsbedingung (8.53) ist zu ersehen, daß für jedes einfache pV T -System T = f (s1 , v1 ) = f (s2 , v2 ) (8.57) gelten muß, d.h. s1 = s2 = s, v 1 = v 2 = v. (8.58) Analoge Schlußfolgerungen lassen sich aus den restlichen Gleichgewichtsbedingungen (8.54) und (8.55) ziehen. Dies bedeutet, daß die die konkreten Stabilitätsbedingungen beinhaltende Ungleichung (8.56) im vorliegenden Fall in der Form 1 ∂ 2U 1 ∂ 2U 1 ∂ 2U 2 2 (δS) + (δV ) + (δN )2 2 2 2 2 ∂S 2 ∂V 2 ∂N ∂ 2U ∂ 2U ∂ 2U δSδV + δSδN + δV δN > 0 + ∂S∂V ∂S∂N ∂V ∂N (8.59) geschrieben werden kann. Wir haben es hier mit dem Spezialfall einer [im Gegensatz zu (8.30)] positiv definiten quadratischen Form zu tun, so daß in den Ungleichungen (8.31) und (8.32) das Kleinerzeichen durch das Größerzeichen zu ersetzen ist. Diese dann auf (8.59) angewendet liefern die folgenden speziellen Stabilitätsbedingungen für ein pV T System: 2 ∂ U > 0, (8.60) ∂S 2 V,N 2 ∂ U > 0, (8.61) ∂V 2 S,N 2 2 2 2 ∂ U ∂ U ∂ U − > 0. (8.62) ∂S 2 V,N ∂V 2 S,N ∂S∂V N Die Stabilitätsbedingung (8.60) liefert 2 ∂ U ∂T = >0 ∂S 2 V,N ∂S V,N (8.63) 8.2. STABILITÄT EINES EINFACHEN P V T -SYSTEMS bzw 1 T ∂T >0 ∂S V,N 1/CV ; 1 > 0, CV 137 (8.64) d.h.: (8.65) CV > 0 Ein stabiler Gleichgewichtszustand erfordert (für T > 0) eine positive Wärmekapazität bei konstantem Volumen, d.h., Zuführung von Wärme bei konstantem Volumen führt zu einer Temperaturerhöhung. Die Stabilitätsbedingung (8.61) liefert 2 ∂ U ∂p =− >0 (8.66) ∂V 2 S,N ∂V S,N bzw. ∂p −V ∂V 1/κS >0 S,N ; 1 > 0, κS (8.67) d.h.: (8.68) κS > 0 Die adiabatische Kompressibilität muß für stabile Gleichgewichtszustände positiv sein. Eine Vergrößerung des Drucks führt bei konstanter Entropie zu einer Verringerung des Volumens. Die Stabilitätsbedingung (8.62) kann zunächst in die Form ∂T ∂p ∂p ∂T − + >0 (8.69) ∂S V,N ∂V S,N ∂V S,N ∂S V,N bzw. ∂T ∂p ∂S V,N ∂(T, p) ∂S V,N = − − ∂p ∂(S, V ) ∂T ∂V ∂V S,N S,N >0 (8.70) 138 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT gebracht werden. Mit ∂T ∂V S,N =− ∂S ∂V T,N ∂S ∂T (8.71) V,N folgt ∂(T, p) = ∂(S, V ) ∂p ∂V S,N ∂p + ∂S V,N (∂p/∂V )T,N ∂S ∂V T,N ∂S ∂T V,N CV /T (8.72) und somit gilt T ∂(T, p) =− − ∂(S, V ) CV ∂p ∂V > 0. (8.73) T,N Wir berücksichtigen die Bedingung (8.65) und finden ∂p 1 ∂p − > 0 ; −V >0 ; > 0, ∂V T,N ∂V T,N κT 1/κT (8.74) d.h.: (8.75) κT > 0 Die isotherme Kompressibilität muß für stabile Gleichgewichtszustände ebenfalls positiv sein. Da α2 Cp − CV = V T = V T p2β 2κT κT (8.76) ist [Gleichung (5.89)], muß also Cp − CV > 0 ; C p > CV (8.77) 8.3. GIBBSSCHE PHASENREGEL 139 gelten, und folglich muß für Gleichgewichtszustände wegen (8.65) auch Cp positiv sein:1 (8.78) Cp > 0 8.3 Gibbssche Phasenregel Wir wollen das Gleichgewicht in einem System untersuchen, das aus P Phasen und K Komponenten (Stoffsorten) besteht, wobei wir annehmen wollen, daß keine Stoffumwandlungen (beispielsweise chemische Reaktionen) zwischen den einzelnen Komponenten erfolgen. Entsprechend den Überlegungen im Abschnitt 8.1 ist zunächst klar, daß das Gleichgewicht durch eine Temperatur T und einen Druck p charakterisiert wird (thermisches und mechanisches Gleichgewicht). Wir können deshalb gleich mit der freien Enthalpie beginnen und nach ihrem Minimum fragen. Wenn wir den Nichtgleichgewichtszustand als Zustand des gehemmten Gleichgewichts (mit vorgegebenen Anzahlen von Komponenten und Phasen) auffassen, können wir gemäß (7.41) die freie Enthalpie wie folgt ansetzen: i i i μα Nα , (8.79) G T, p, {Nα} = α i wobei α = 1, 2, . . . , K die Komponenten und i = 1, 2, . . . , P die Phasen durchnumerieren, und Nαi die Anzahl der Teilchen der α-ten Komponente in der i-ten Phase (chemisches Potential μiα ) ist.2 Es ist zu erwarten, daß im Gleichgewichtszustand die freie Enthalpie von wesentlich weniger Variablen (Teilchenzahlen) abhängt. Um diesen zu erhalten, haben wir das Minimum von G in (8.79) unter der Bedingung zu be1 Dies folgt bereits aus κT /κS = Cp /CV und den Bedingungen (8.65), (8.68), and (8.75). Wenn gleichzeitig zwischen verschiedenen Stoffkomponenten und verschiedenen Phasen zu unterscheiden ist, sollen die unteren Indizes für die Komponenten und die oberen für die Phasen stehen. 2 140 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT stimmen, daß die Teilchenzahlen der einzelnen Komponenten, Nα = P Nαi (α = 1, 2, . . . , K), (8.80) i=1 fest vorgegeben sind (d.h. δNα = 0). Wir wenden die Methode der Lagrange-Multiplikatoren an, d.h. δ G− λα Nαi = 0, (8.81) α i ∂G −λα δNαi = 0, i ∂Nα T,p,{N j |β,j=α,i} α i β i μα μiα − λα δNαi = 0, α (8.82) (8.83) i woraus das Gleichungssystem μiα − λα = 0 (α = 1, 2, . . . , K, i = 1, 2, . . . , P ) (8.84) folgt; ausführlich μ11 = μ21 = μ31 = · · · = μP1 , μ12 = μ22 = μ32 = · · · = μP2 , · · · μ1K = μ2K = μ3K = · · · = μPK . (8.85) Da die chemischen Potentiale intensive Größen sind, können sie bekanntlich nur von Verhältnissen von Teilchenzahlen abhängen, d.h. von Konzentrationen. Jedes der obigen chemischen Potentiale ist eine Funktion von 2 + (K − 1) unabhängigen Variablen: von p und T sowie K − 1 Konzentrationen der verschiedenen Komponenten in der jeweiligen Phase (in jeder Phase gibt es K unabhängige Teilchenzahlen für 8.3. GIBBSSCHE PHASENREGEL 141 die verschiedenen Teilchensorten, zwischen denen es K −1 unabhängige Verhältnisse gibt). Für P Phasen ist die maximal mögliche Anzahl der unabhängigen Variablen demnach 2 + P (K − 1). (8.86) Das Gleichungssystem (8.85) besteht aus K(P − 1) (8.87) Gleichungen. Das Gleichungssystem (8.85) ist also nur lösbar, wenn K(P − 1) ≤ 2 + P (K − 1) (8.88) gilt (Anzahl der Gleichungen darf Anzahl der Unbekannten nicht übersteigen). Nach P aufgelöst, ergibt sich die Gibbssche Phasenregel: P ≤K+2 (8.89) In einem System mit K Komponenten können sich also nicht mehr als K + 2 Phasen im Gleichgewicht befinden. Ist P < 2 + K, so dürfen f =K +2−P (8.90) Variablen beliebig gewählt werden, wobei f gerade die Zahl der thermodynamischen (d.h. makroskopischen) Freiheitsgrade ist (dieser Sachverhalt wird auch als Gibbssche Phasenregel bezeichnet). Beispiel: 1-komponentiges System K=1 ; P ≤ K + 2 = 3, (8.91) d.h., maximal 3 Phasen sind möglich. f = K + 2 − P = 3 − P, (8.92) P = 1 (1 Phase) ; f = 2 (2 Freiheitsgrade), (8.93) P = 2 (2 Phasen) ; f = 1 (1 Freiheitsgrad), (8.94) P = 3 (3 Phasen) ; f = 0 (kein Freiheitsgrad). (8.95) 142 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT 8.4 Osmotischer Druck Die semipermeable Wand in der Abbildung soll für die Lösungsmittelmoleküle (unterer Index 1) durchlässig sein, nicht jedoch für die Moleküle des gelösten Stoffes (unterer Index 2). Im Gleichgewicht stellt sich in der Lösung ein höherer Druck als im Lösungsmittel ein; die Druckdifferenz ist der osmotische Druck. Da (neben den Stoffmengen p2 p1 N11 N21 T N12 (N22 = 0) semipermeable Wand der beiden Komponenten) Temperatur und Volumen fest vorgegeben sind, finden wir den Gleichgewichtszustand als Minimum der freien Energie F = F (T, V, N11, N21, N12 , N22) δF = ∂F ∂F ∂F ∂F 1 2 1 δN + δN + δN + δN22 = 0 1 1 2 1 2 1 2 ∂N1 ∂N1 ∂N2 ∂N2 (8.96) mit den Nebenbedingungen N11 + N12 = N1 = const., (8.97) N21 = const., (8.98) N22 = 0. Folglich finden wir δF = ∂F ∂F − 1 ∂N1 ∂N12 δN11 = 0, (8.99) d.h. ∂F ∂F = ∂N11 ∂N12 ; μ11 = μ21 (8.100) 8.4. OSMOTISCHER DRUCK 143 oder ausführlicher:3 μ11 (T, p1, n̄11) = μ21 (T, p2) N11 1 n̄1 = 1 N1 + N21 (8.101) Beschränken wir uns auf hinreichend verdünnte Lösungen, so gilt gemäß (7.102) näherungsweise μ11 (T, p1, n̄11) = ḡ1(T, p1) + kT ln n̄11 . N21 N21 = − ln 1 + 1 ≈ − 1 N1 N1 lautet (8.102) in der gleichen Näherung (8.102) Mit ln n̄11 μ11 (T, p1, n̄11) = ḡ1 (T, p1) − kT N21 . N11 (8.103) (8.104) Damit nimmt die Gleichgewichtsbedingung (8.101) die Form N21 ḡ1 (T, p ) − kT 1 = ḡ1 (T, p2) N1 1 (8.105) an. Da sich p2 nur wenig von p1 unterscheiden kann, dürfen wir 2 V1 ∂ḡ 1 1 1 ḡ1 (T, p2) ≈ ḡ1 (T, p1) + − p = ḡ (T, p ) − pos (8.106) p 1 ∂p1 T N11 −pos setzen, und (8.105) liefert: kT N21 = pos V 1 (8.107) Der osmotische Druck pos von N21 im Volumen V 1 gelösten Teilchen ist also (in der gemachten Näherung einer hinreichend verdünnten Lösung) gleich dem Druck von N21 Teilchen eines idealen Gases vom Volumen V 1 und hängt somit nicht von der Art des gelösten Stoffes und der Art des Lösungsmittels ab. 3 In (8.101) sind die spezifischen Volumina zu Gunsten der Drücke eliminiert. 144 8.5 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT Siedepunkterhöhung punkterniedrigung und Gefrier- Wir wollen das Gleichgewicht einer verdünnten Lösung mit dem Dampf des Lösungsmittels untersuchen, wobei wir annehmen wollen, daß der gelöste Stoff nicht flüchtig ist. Die Phasengrenzfläche hat gewissermaßen die gleiche Wirkung wie die semipermeable Wand beim osmotischen Druck. Da im Gleichgewicht Temperatur und Druck in beiden Phasen gleich sein müssen, kann gleich von der freien Enthalpie G = G(p, T, N11, N21, N12, N22 ) ausgegangen werden und es verbleibt [analog zu (8.101)] als Gleichgewichtsbedingung die Gleichheit der chemischen Potentiale [nunmehr jedoch für p1 = p2 = p]: μ11 (T, p, n̄11) = μ21 (T, p) n̄11 N11 = 1 N1 + N21 (8.108) Für verdünnte Lösungen erhalten wir in völliger Analogie zur Herleigasförmige Phase: N12 (N22 = 0) pT flüssige Phase: N11 , N21 tung der Gleichung (8.105) ḡ11 (T, p) − N21 kT 1 = ḡ12 (T, p). N1 (8.109) Im Unterschied zu (8.105), wo die spezifischen freien Enthalpien des Lösungsmittels bei unterschiedlichen Drücken auftreten (unterschieden durch die oberen Indizes), haben wir es hier mit den spezifischen freien Enthalpien des flüssigen und gasförmigen Lösungsmittels bei gleichen Drücken zu tun (keine obere Indizierung). Für den Fall des reinen 8.5. SIEDEPUNKT- UND GEFRIERPUNKTÄNDERUNG 145 Lösungsmittels geht (8.109) in die bekannte Beziehung des Phasengleichgewichts ḡ11 (T, p) = ḡ12 (T, p) (8.110) über. Wir benennen die Temperatur und den Druck in (8.110) in T1 und p1 um, ḡ11 (T1, p1) = ḡ12 (T1, p1), (8.111) und vergleichen mit (8.109). Dazu entwickeln wir bei T, p und brechen (wegen N21 /N11 1) mit den linearen Gliedern ab: 1 1 ∂ḡ ∂ḡ1 1 (p1 − p) + (T1 − T ) ḡ11 (T, p) + ∂p T ∂T p 2 2 ∂ḡ ∂ḡ1 1 = ḡ12 (T, p) + (p1 − p) + (T1 − T ), (8.112) ∂p T ∂T p d.h. ḡ11 (T, p) − v̄11 − v̄12 (p − p1 ) + s̄11 − s̄21 (T − T1 ) = ḡ12 (T, p). (8.113) Wir vergleichen (8.113) mit (8.109) und finden 1 1 N21 2 2 v̄1 − v̄1 Δp − s̄1 − s̄1 ΔT = kT 1 N1 (8.114) (Δp = p − p1, ΔT = T − T1). Wir werten die Gleichung (8.114) für die beiden Fälle Δp = 0 und ΔT = 0 aus. • Wir setzen in (8.114) Δp = 0 und erhalten kT N21 ΔT = 2 s̄1 − s̄11 N11 (8.115) kT 2 N21 ΔT = q̄12 N11 (8.116) bzw. 146 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT mit q12 = T s̄21 − s̄11 (8.117) als der spezifischen Phasenumwandlungswärme. Für den Übergang flüssig → dampfförmig ist q12 > 0, und folglich gilt ΔT > 0, d.h., im Vergleich zum reinen Lösungsmittel ergibt sich für die Lösung eine Siedepunkterhöhung. Die Gleichung (8.116) kann insbesondere benutzt werden, um aus der gemessenen Siedepunkterhöhung das Molekulargewicht M2 = Lm2 des gelösten Stoffes zu bestimmen (m2 - Masse eines Moleküls des gelösten Stoffes). Es sei q̄12 → q̄12/m1 die spezifische Phasenumwandlungswärme pro Gramm des Lösungsmittels (m1 - Masse eines Lösungsmittelmoleküls), und es seien 11 und 12 die Massendichten von Lösungsmittel und gelöstem Stoff in der flüssigen Phase. Mit obigen Größen folgt aus (8.116) RT 2 12 1 M2 = . (8.118) q̄12 11 ΔT Die obigen Überlegungen gelten sinngemäß auch für das Gleichgewicht zwischen flüssiger und fester Phase. Im Falle einer verdünnten Lösung beginnt die Erstarrung mit der Ausscheidung des reinen Lösungsmittels. Beschränken wir uns auf die Ermittlung der Temperatur der beginnenden Ausscheidung des reinen Lösungsmittels,4 so sind obige Gleichungen anwendbar. Da für den Übergang flüssig → fest q12 < 0 ist, gilt nunmehr ΔT < 0. Im Vergleich zum reinen Lösungsmittel tritt also eine Gefrierpunkterniedrigung ein.5 • Wir setzen in (8.114) ΔT = 0 und erhalten: kT N21 Δp = 1 v̄1 − v̄12 N11 4 (8.119) Die Erstarrung der Lösung ist relativ kompliziert, da sie in einem endlichen Temperaturintervall erfolgt. 5 Die Gleichung (8.116) [bzw. (8.118)] gilt nur für nichtdissoziierende Stoffe. Im Falle von Dissoziation wird eine wesentlich größere Siedepunkterhöhung bzw. Gefrierpunkterniedrigung gemessen. Es ist klar, daß in diesem Fall keine binäre Lösung mehr vorliegt. 8.6. CHEMISCHES GLEICHGEWICHT 147 Beim Übergang von der flüssigen in die dampfförmige Phase können wir wegen v̄11 v̄12 näherungsweise kT N21 Δp = − 2 1 v̄1 N1 (8.120) schreiben, d.h., es ergibt sich eine Dampfdruckerniedrigung. Beim Übergang von der flüssigen zur festen Phase kann v11 größer oder auch kleiner als v12 sein, so daß sowohl Δp > 0 als auch Δp < 0 möglich ist. 8.6 Chemisches Gleichgewicht Chemische Reaktionen, die in einer Mischung von miteinander reagierenden Stoffen ablaufen, führen schließlich dazu, daß sich ein Gleichgewichtszustand einstellt, in dem sich die Menge eines jeden an den Reaktionen beteiligten Stoffes nicht mehr ändert. Diesen Fall eines thermodynamischen Gleichgewichts nennt man chemisches Gleichgewicht. Eine chemische Reaktion verläuft i. allg. in beiden Richtungen. Während vor Erreichen des Gleichgewichts die Reaktion in eine Richtung überwiegt und sich die Teilchenzahlen der reagierenden Stoffe ändern, nehmen sie im chemischen Gleichgewicht konstante Werte an. Gegenstand der Gleichgewichtsthermodynamik ist die Untersuchung des chemischen Gleichgewichts allein und nicht der Reaktionen dorthin. Chemische Reaktionen schreibt man gewöhnlich in symbolischer Form als stöchiometrische Gleichungen, να Aα = 0, (8.121) α wobei die Aα die chemischen Symbole der reagierenden Stoffe und die stöchiometrischen Koeffizienten να ganze positive oder negative Zahlen sind, z.B. 2H2 + O2 ↔ 2H2O ; −2H2 − O2 + 2H2O = 0, (8.122) νH2 = −2, νO2 = −1, νH2 O = 2. Wir wollen annehmen, daß die chemische Reaktion (8.121) bei konstanter Temperatur und konstantem Druck 148 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT abläuft, so daß im Gleichgewicht [G = G(T, p, {Nα})] ∂G δNα = μα δNα = 0 δG = ∂N α T,p,{N |β = α} β α α (8.123) zusammen mit der Nebenbedingung (8.121) gelten muß. Ändert sich bei der Reaktion die Anzahl der Moleküle des β-ten Stoffes Aβ um ξνβ , so muß sich jede Molekülzahl um ξνα ändern, d.h. ; Nα = Nα(0) + ξνα δNα = να δξ (8.124) (ξ - Reaktionslaufzahl). Damit folgt aus (8.123), da δξ beliebig ist, να μα = 0 α (8.125) als die allgemeinste Form der Gleichgewichtsbedingung für eine chemische Reaktion bei konstantem Druck und konstanter Temperatur. Zu ihrer Auswertung wird die genaue Kenntnis der chemischen Potentiale benötigt. Eine Hauptaufgabe der chemischen Thermodynamik besteht deshalb darin, die chemischen Potentiale (durch geeignete Messungen) zu bestimmen. Die Änderung der freien Enthalpie bei einem Reaktionsumsatz (ξ = 1) ist Δḡ = να μα . (8.126) α Diese Größe wird auch als Affinität bezeichnet. Im Gleichgewicht muß also die Affinität verschwinden. Massenwirkungsgesetz Betrachten wir ideale Mischungen, für die wie im Falle idealer Gase μα = ḡα (T, p) + kT ln n̄α [Gleichung (7.66)] gilt, so daß (8.125) die Form να ḡα (T, p) + kT να ln n̄α = 0 α α (8.127) (8.128) 8.6. CHEMISCHES GLEICHGEWICHT 149 annimmt. Wir definieren 1 K(T, p) = exp − να ḡα (T, p) kT α (8.129) und erhalten das Massenwirkungsgesetz ln K(T, p) = να ln n̄α (8.130) α bzw.: n̄ναα = K(T, p) α (8.131) Betrachten wir die Druckabhängigkeit von ln K(T, p) etwas genauer. Aus (8.129) folgt ∂ ln K(T, p) ∂p T ∂ḡα (T, p) 1 =− να , kT α ∂p T v̄α (8.132) d.h. wobei ∂ ln K(T, p) ∂p T =− 1 να v̄α kT α να v̄α = Δv̄ (8.133) (8.134) α die bei einem Reaktionsumsatz (ξ = 1) auftretende spezifische Volumenänderung ist. Verwenden wir speziell die thermische Zustandsglei- 150 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT chung des idealen Gases, v̄α = kT /p, so finden wir ∂ να ∂ ln K(T, p) = − =− ln p να ∂p p ∂p T T α α ∂ ∂ − α να − ln p = να ln p = , ∂p ∂p T α (8.135) T d.h. K(T, p) = K̃(T ) p − α να (8.136) wobei K̃(T ) offensichtlich nicht mehr vom Druck abhängt. Wenden wir uns nunmehr der Temperaturabhängigkeit von ln K(T, p) zu: ∂ ln K(T, p) ∂T p ∂ḡα (T, p) 1 1 = να ḡα (T, p) − να kT 2 α kT α ∂T p −s̄α 1 = να [ḡα (T, p) + T s̄α (T, p)], (8.137) kT 2 α h̄α d.h. wobei ∂ ln K(T, p) ∂T = p 1 να h̄α kT 2 α να h̄α = Δh̄ = Δq̄ (8.138) (8.139) α die bei einem Reaktionsumsatz (ξ=1) zugeführte (endotherme Reaktion) bzw. freiwerdende (exotherme Reaktion) Wärmemenge ist.6 6 Beachte, daß für isobare Reaktionen Δh̄ = Δq̄ gilt. 8.6. CHEMISCHES GLEICHGEWICHT 151 Schlußfolgerungen: • Wächst K(T, p), dann nehmen gemäß (8.131) die Konzentrationen n̄α der Stoffe zu, die zu positiven stöchiometrischen Koeffizienten gehören, d.h., das Gleichgewicht verschiebt sich zugunsten der Endstoffe. • Ist Δv̄ < 0 (d.h., die Endstoffe nehmen ein kleineres Volumen ein als die Ausgangsstoffe), dann folgt aus (8.133) ∂ ln K(T, p) > 0, (8.140) ∂p T und somit wächst K(T, p) mit zunehmendem Druck, was bedeutet, daß die Konzentrationen der Endstoffe vergrößert werden. Ist umgekehrt Δv̄ > 0 (d.h., die Ausgangsstoffe nehmen ein kleineres Volumen ein als die Endstoffe), dann werden die Konzentrationen der Ausgangsstoffe mit wachsendem Druck vergrößert. Für Δv̄ = 0 ist keine Konzentrationsänderung durch Druckänderung möglich. • Ist Δq̄ < 0 (exotherme Reaktion), dann folgt aus (8.138) ∂ ln K(T, p) < 0, (8.141) ∂T p und somit nimmt K(T, p) mit zunehmender Temperatur ab. Eine Temperaturerhöhung verschiebt also das Gleichgewicht zu den Ausgangsstoffen hin. Ist umgekehrt Δq̄ > 0 (endotherme Reaktion), dann verschiebt eine Temperaturerhöhung das Gleichgewicht zu den Endstoffen hin. Wir wollen die Frage der optimalen Konzentrationen der Ausgangsstoffe untersuchen, d.h. derjenigen Konzentrationen, für die im Gleichgewicht maximaler Umsatz (maximales ξ) realisierbar ist. Es sei K (i) die Anzahl der Ausgangskomponenten, so daß gemäß unserer Konvention < 0 f ür α ≤ K (i) να (8.142) > 0 f ür α > K (i) 152 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT gilt. Die Ausgangssituation sei durch Nα(i) = 0 f ür α > K (i) (8.143) (i) festgelegt. Die Teilchenzahlen Nα sollen nun so gewählt werden, daß bei gegebener (fester) Gesamtteilchenzahl der Ausgangsstoffe, d.h. unter Berücksichtigung der Nebenbedingung (i) N = Nα(i) = const. ; δN (i) = 0, (8.144) α (i) ξ maximal wird. Dazu ist das Maximum der Funktion ξ = ξ(Nα ) unter der Nebenbedingung (8.144) zu bestimmen, wobei die Funktion ξ (i) = ξ(Nα ) ihrerseits aus dem Massenwirkungsgesetz (8.130) bestimmt werden kann, indem in Nα (8.145) να ln ln K(T, p) = N α die Ausdrücke Nα = Nα(i) + ξνα , N= Nα = N (i) + α ξνα (8.146) α einzusetzen sind und dann nach ξ umzustellen ist – eine Aufgabe, die explizit nicht ganz einfach zu lösen ist. Wir gehen deshalb von der impliziten Darstellung (8.145) aus und bilden Nα δ +λ να ln Nα(i) = 0, (8.147) N α α woraus zunächst α (i) K δNα δN +λ να − να δNα(i) = 0 Nα N α α=1 folgt. Mit δNα = (i) δNα + να δξ να δξ f ür α ≤ K (i) f ür α > K (i) (8.148) (8.149) 8.6. CHEMISCHES GLEICHGEWICHT und δN = 153 να δξ (8.150) α sowie δξ = 0 (Maximum!) erhalten wir (i) K α=1 να (i) Nα + ξνα d.h. + λ δNα(i) = 0, να (i) + λ = 0. (8.151) (8.152) Nα + ξνα Wir formen (8.152) etwas um: Nα(i) = −να 1 +ξ λ K (i) 1 +ξ =− να , λ α=1 ; N (i) (8.153) (i) Nα να = K (i) N (i) να (8.154) α=1 Die Konzentrationen der Ausgangsstoffe sind also proportional zu den stöchiometrischen Koeffizienten zu wählen, um ξ zu maximieren. 154 KAPITEL 8. GLEICHGEWICHT UND STABILITÄT Kapitel 9 Phasenübergänge Wie wir wissen (Abschnitt 8.1), befinden sich zwei Phasen eines (einkomponentigen) pV T -Systems im Gleichgewicht, wenn die Temperaturen, die Drücke und die chemischen Potentiale in den beiden Phasen jeweils gleich sind (T1 = T2 ≡ T , p1 = p2 ≡ p, μ1 = μ2 ≡ μ). Wenn die chemischen Potentiale der beiden Phasen als Funktionen von Temperatur und Druck gegeben sind, dann liefert die Gleichung μ1 (T, p) = μ2 (T, p) (9.1) die Grenzkurve p = p(T ) [bzw. T = T (p)], deren Punkte Zustände des Phasengleichgewichts darstellen. Die folgende Abbildung zeigt den qualitativen Verlauf der Grenzkurven eines pV T -Systems. Bekanntlich stelp fest flüssig kritischer Punkt gasförmig Tripelpunkt T 155 156 KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE len die chemischen Potentiale der beiden Phasen die spezifischen freien Enthalpien der Phasen dar [μ= ḡ, Gleichung (7.30)], die als Funktionen von Temperatur und Druck Potentialcharakter besitzen. Der Sachverhalt (9.1) kann also auch in der Form ḡ1 (T, p) = ḡ2 (T, p) (9.2) geschrieben werden. Der Unterschied zwischen flüssiger und dampfförmiger Phase verschwindet im kritischen Punkt [d.h., der Unterschied zwischen den Funktionen ḡ1(T, p) und ḡ2 (T, p) verschwindet dort]. Die Grenzkurve zweier Phasen kann nur dann in einem kritischen Punkt enden (d.h., ein kritischer Punkt kann nur dann existieren), wenn der Unterschied zwischen den Phasen rein quantitative Ursachen hat, wie es für die flüssige und gasförmige Phase der Fall ist. Beide Phasen unterscheiden sich offensichtlich nur in der Stärke der Wechselwirkung der Moleküle untereinander, so daß (beim Umfahren des kritischen Punkts) ein kontinuierlicher Übergang zwischen beiden Phasen möglich ist. Stattdessen sind Phasen wie Flüssigkeit und kristalliner Festkörper oder verschiedene kristalline Modifikationen eines Stoffes qualitativ verschieden, weil sie sich durch ihre innere Symmetrie unterscheiden. Diese existiert oder existiert nicht und kann folglich nur plötzlich, aber nicht allmählich erscheinen. In solch einem Fall kann immer gesagt werden, welche Phase realisiert ist, und ein kritischer Punkt existiert daher nicht. Die Grenzkurve muß entweder bis ins Unendliche gehen oder so enden, daß sie die Grenzkurven anderer Phasen schneidet. Ehe wir uns dem Verhalten eines pV T -Systems an einem Phasenumwandlungspunkt auf der Grenzkurve genauer zuwenden, ist es zunächst nützlich, eine gewisse qualitative Klarheit über bestimmte funktionale Abhängigkeiten der Zustandsgrößen für den Fall nur einer Phase zu gewinnen. Ihre spezifische freie Enthalpie sei ḡ(T, p). Aus1 2 ∂ ḡ ∂s̄ c̄p <0 (9.3) = − = − ∂T 2 p ∂T p T 1 Siehe die Abschnitte 5.3 and 8.2. 157 (T > 0) ist ersichtlich, daß ḡ (für festes p) eine konkave Funktion von T sein muß. Desgleichen muß ḡ auch (für festes T ) eine konkave Funktion von p sein: 2 ∂ ḡ ∂v̄ = = −v̄ κT < 0. (9.4) ∂p2 T ∂p T Aus dem Verlauf von ḡ als einer (für festes T ) konkaven Funktion von p kann dann v̄ mittels der Beziehung ∂ḡ (9.5) v̄ = ∂p T als Funktion von p (für festes T ) konstruiert werden. ḡ v̄ p p Es sei f¯(T, v̄) die spezifische freie Energie der betrachteten Phase. Sie ist (für festes v̄) ebenfalls eine konkave Funktion von T , jedoch (für festes T ) eine konvexe Funktion von v̄, wie unschwer zu sehen ist: 2 ¯ c̄V ∂s̄ ∂ f < 0, (9.6) = − = − ∂T 2 v̄ ∂T v̄ T 2 ¯ ∂ f ∂p 1 = − = > 0. (9.7) ∂v̄ 2 T ∂v̄ T v̄κT Aus dem Verlauf von f¯ als einer (für festes T ) konvexen Funktion von v̄, kann dann p mittels der Beziehung ¯ ∂f (9.8) p=− ∂v̄ T wiederum als Funktion von v̄ (für festes T ) konstruiert werden. 158 KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE p f¯ v̄ 9.1 v̄ Phasenübergänge 1. Art Wir dehnen nunmehr unsere Betrachtungen auf ein Zweiphasensystem aus, wobei wir annehmen wollen, daß die sich schneidenden Kurven 1 und 2 in der folgenden (linken) Abbildung die spezifischen freien Enthalpien der zwei Phasen als Funktionen des Druckes (bei fester Temperatur) darstellen mögen. Der Schnittpunkt der beiden Kurven bestimmt ḡ 2 1 v̄ v̄2 v̄1 p0 p p0 p dann den Druck p0, bei dem sich (bei gegebener Temperatur T0) die beiden Phasen im Gleichgewicht miteinander befinden. Bei allen anderen Drücken kann entweder nur die eine oder andere Phase existieren (und zwar immer die mit der geringeren spezifischen freien Enthalpie – blaue Kurve). Offensichtlich ist (bei fester Temperatur) ḡ als Funktion von p am Schnittpunkt (d.h. an einem Phasenumwandlungspunkt gemäß der Grenzkurve) nicht stetig nach p differenzierbar, und somit zeigt v̄ als Funktion von p (für festes T) bei p0 einen endlichen Sprung.2 2 Dies entspricht genau dem Verhalten, wie wir es bereits im Zusammenhang mit der Van der Waals-Gleichung im Abschnitt 5.3.2 diskutiert haben. 9.1. PHASENÜBERGÄNGE 1. ART 159 Dieses Verhalten kann natürlich auch aus der spezifischen freien Energie f¯ = ḡ − p v̄ (9.9) des Systems (als Funktion von T und v̄) abgeleitet werden, wie es in der folgenden Abbildung skizziert ist. Für gegebene Temperatur ist bei Koexistenz der beiden Phasen der Druck (gemäß der Grenzkurve) konstant, so daß zwischen v̄1 (Einsetzen der Phasenumwandlung) und v̄2 (Beendigung der Phasenumwandlung) f¯ als Funktion von v̄ (bei gegebenem T0) linear abfällt und somit der bekannte Kurvenverlauf für den Druck als Funktion des spezifischen Volumens folgt. p f¯ p0 v̄1 v̄2 v̄ v̄1 v̄2 v̄ Die Überlegungen für die spezifische freie Enthalpie als Funktion des Druckes (bei fester Temperatur) können sinngemäß auch auf die spezifische freie Enthalpie als Funktion der Temperatur (bei festem Druck) angewendet werden, wobei nunmehr zu berücksichtigen ist, daß ∂ḡ s̄ = − (9.10) ∂T p gilt. Wie in der folgenden (rechten) Abbildung skizziert, zeigt die spezifische Entropie einen Sprung beim Phasenübergang. Betrachten wir die linke Abbildung, die die spezifischen freien Enthalpien zweier Phasen als Funktion der Temperatur (bei gegebenem Druck p0 ) darstellt. Der Schnittpunkt der beiden Kurven bestimmt nunmehr die Temperatur T0, bei der beide Phasen miteinander im Gleichgewicht sind. Bei allen anderen Temperaturen kann (entsprechend der blau gezeichneten Kurve) nur eine Phase existieren. Offensichtlich ist für T < T0 die Phase 1 160 KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE ḡ s̄ 1 s̄2 2 T0 s̄1 T T0 T und für T > T0 die Phase 2 stabil, und es gilt für T = T0 ∂ḡ1 ∂ḡ2 ∂ḡ1 ∂ḡ2 > ; − <− , ∂T p ∂T p ∂T p ∂T p s̄1 s̄2 q̄12 = h̄2 − h̄1 = T0(s̄2 − s̄1 ) > 0 (9.11) (9.12) Ein mit einer Temperaturerhöhung (Temperaturerniedrigung) verbundener Übergang von einer Phase in eine andere ist mit einer Zufuhr (Abgabe) von Wärme, der Übergangswärme oder Umwandlungswärme, verbunden. In differentieller Form lautet (9.2) dḡ1 (T, p) = −s̄1 dT + v̄1 dp = −s̄2 dT + v̄2 dp = dḡ2 (T, p), d.h. (9.13) dp s̄2 −s̄1 Δs̄ = = dT v̄2 −v̄1 Δv̄ (9.14) dp q̄12 = dT T (v̄2 −v̄1) (9.15) bzw. (T → T0) 9.1. PHASENÜBERGÄNGE 1. ART 161 Die Clausius-Clapeyron-Gleichung (9.15) gilt ganz allgemein für alle Phasenumwandlungen, bei denen Umwandlungswärmen auftreten (z.B. Phasenübergänge flüssig-gasförmig,3 fest-flüssig, fest-gasförmig). Beim Übergang Flüssigkeit → Dampf gilt v̄2 > v̄1, q̄12 > 0 dT > 0. dp (9.16) Bei einer Druckzunahme erhöht sich also der Siedepunkt. Entsprechend verschiebt sich der Schmelzpunkt bei einer Druckzunahme zu höheren oder niedrigeren Temperaturen hin in Abhängigkeit davon, ob das Volumen der flüssigen Phase größer oder kleiner als das der festen Phase ist. Beispiel: Übergang flüssig (fest) → dampfförmig Wir wenden die Formel (9.15) auf den Fall des Gleichgewichts einer festen oder flüssigen Phase mit der dampfförmigen Phase an. In diesem Fall kann v̄1 in (9.15) wegen v̄2 v̄1 weggelassen werden. Sehen wir ferner den Dampf (näherungsweise) als ideales Gas an, so liefert (9.15) dp q̄12 q̄12p dT T v̄2 kT 2 (9.17) bzw. d ln p q̄12 . (9.18) dT kT 2 Um diese Gleichung weiter auszuwerten, bedarf es der Kenntnis der Übergangswärme. Wir wollen sie unter den gemachten Annahmen berechnen {h̄ = h̄[T, p(T )]}: dq̄12 d = h̄2 − h̄1 dT dT dp dp ∂ h̄1 ∂ h̄2 ∂ h̄1 ∂ h̄2 − + − = ∂T p ∂p T dT ∂T p ∂p T dT dp ∂ h̄2 ∂ h̄1 = (c̄p )2 − (c̄p )1 + . (9.19) − ∂p T ∂p T dT 3 Im Falle des Phasenübergangs flüssig-gasförmig wird die Gleichung (9.15) auch als Dampfdruckformel von Clausius und Clapeyron bezeichnet. 162 KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE Wir fassen h̄(T, p) nunmehr als h̄ = h̄[p, s̄(T, p)] auf und finden ∂ h̄ ∂s̄ ∂ h̄ ∂ h̄ ∂s̄ = + = v̄ + T , (9.20) ∂p T ∂p s̄ ∂s̄ p ∂p T ∂p T woraus sich mit der [aus ḡ = ḡ(T, p) folgenden] Maxwell-Beziehung ∂s̄ ∂v̄ − = (9.21) ∂p T ∂T p ∂ h̄ ∂v̄ = v̄ − T (9.22) ∂p T ∂T p ergibt. Damit nimmt (9.19) die Form dq̄12 dp ∂(v̄2 − v̄1) = (c̄p )2 − (c̄p )1 + v̄2 − v̄1 − T dT ∂T dT p dp ∂v̄2 (c̄p)2 − (c̄p )1 + v̄2 − T ∂T p dT k dp (9.23) (c̄p)2 − (c̄p )1 + v̄2 − T p dT 0 an, d.h. [Δc̄p = (c̄p )2 − (c̄p )1] dq̄12 Δc̄p . dT (9.24) Nehmen wir an, daß in der Umgebung einer gewissen Temperatur T (0) die Differenz der spezifischen Wärmen Δc̄p nahezu konstant ist, so gilt (zumindest für kleine Temperaturdifferenzen T − T (0) ) näherungsweise (0) q̄12 = Δc̄p (T − T (0) ) + q̄12 . (9.25) Wir setzen dieses Ergebnis in (9.18) ein und erhalten (0) d ln p Δc̄p q̄12 − Δc̄p T (0) = + . dT kT kT 2 (9.26) 9.2. PHASENÜBERGÄNGE HÖHERER ORDNUNG 163 Die Lösung dieser Differentialgleichung lautet Δc̄p /k (0) p T q̄12 − Δc̄p T (0) (0) ln (0) = ln + T −T p T (0) kT (0) T bzw. p = p(0) 9.2 T T (0) Δc̄p /k exp (0) q̄12 − Δc̄p T kT (0) (0) 1− (0) T T (9.27) . (9.28) Phasenübergänge höherer Ordnung Für die bisher betrachteten Phasenübergänge (eines pV T -Systems) gilt, daß die spezifische freie Enthalpie ḡ stetig von der einen Phase in die andere übergeht, während ihre Ableitungen am Umwandlungspunkt Sprünge erfahren, d.h., die Größen ∂ḡ ∂ḡ s̄ = − , v̄ = (9.29) ∂T p ∂p T haben verschiedene Werte in den beiden Phasen. Es sind jedoch auch Phasenumwandlungen bekannt, bei denen nicht nur ḡ, sondern auch die Ableitungen von ḡ an der Phasengrenzkurve stetig ineinander übergehen. Beispiele sind – der Übergang vom normalleitenden in den supraleitenden Zustand ohne äußeres Magnetfeld, – der Übergang von Ordnungs- zu Unordnungszuständen in Legierungen, – strukturelle Phasenübergänge wie etwa der Übergang von αQuarz zu β-Quarz. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Phasenübergängen höherer Ordnung. Formal kann ein Phasenübergang n-ter Ordnung (eines pV T -Systems) wie folgt definiert werden: k k k k ∂ ḡ1 ∂ ḡ2 ∂ ḡ1 ∂ ḡ2 = , = (k ≤ n − 1) (9.30) ∂T k p ∂T k p ∂pk T ∂pk T 164 KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE ∂ nḡ1 ∂T n p = ∂ n ḡ2 ∂T n , p ∂ nḡ1 ∂pn T = ∂ nḡ2 ∂pn . (9.31) T Betrachten wir einen Phasenübergang 2. Art etwas genauer. Gemäß der Definition (9.30) und (9.31) gilt im Falle n = 2 ḡ1 (T, p) = ḡ2 (T, p) und wegen der Gleichheit der ersten ∂ḡ1 ∂ḡ2 = , ∂T p ∂T p −s̄1 (T, p) −s̄2 (T, p) Ableitungen ∂ḡ2 ∂ḡ1 = , ∂p T ∂p T v̄1 (T, p) v̄2(T, p) (9.32) (9.33) d.h.: s̄1 (T, p) = s̄2 (T, p) (9.34) v̄1(T, p) = v̄2(T, p) (9.35) und: Aus (9.34) folgt ∂s̄1 ∂s̄1 ∂s̄2 ∂s̄2 dT + dp = dT + dp. ∂T p ∂p T ∂T p ∂p T (9.36) Wir berücksichtigen, daß ∂s̄ ∂T = p c̄p T ist und die Maxwell-Beziehung ∂v̄ ∂s̄ =− = −v̄α ∂p T ∂T p (9.37) (9.38) 9.2. PHASENÜBERGÄNGE HÖHERER ORDNUNG 165 gilt, so daß unter Beachtung von (9.35) die Gleichung (9.36) auf die Form (c̄p )1 (c̄p )2 dT − v̄α1 dp = dT − v̄α2 dp (9.39) T T bzw. dp (c̄p )2 − (c̄p )1 = T v̄ (α2 − α1 ) (9.40) dT Δα Δc̄p gebracht werden kann, d.h.: dp Δc̄p = dT T v̄Δα (9.41) Die Gleichung (9.41) stellt in gewisser Weise ein Analogon der Clausius-Clapeyron-Gleichung (9.15) für Phasenübergänge 2. Art dar. Die Gleichung wird auch als 1. Ehrenfestsche Gleichung bezeichnet. In ähnlicher Weise kann aus der Gleichung (9.35) die 2. Ehrenfestsche Gleichung hergeleitet werden. Durch Differentiation folgt zunächst ∂v̄1 ∂v̄1 ∂v̄2 ∂v̄2 dT + dp = dT + dp. (9.42) ∂T p ∂p T ∂T p ∂p T Wir drücken die Ableitungen durch α und κT aus und erhalten mit Δα = α2 − α1 und ΔκT = (κT )2 − (κT )1: dp Δα = dT ΔκT (9.43) Elimination von dp/dT aus den Gleichungen (9.41) und (9.43) liefert folgenden Zusammenhang zwischen den Sprüngen von c̄p , α und κT : ΔκT Δc̄p − T v̄(Δα)2 = 0. (9.44) Für einen Phasenübergang 2. Art ist beispielsweise das in der Abbildung dargestellte Sprungverhalten der Wärmekapazität typisch. Es 166 KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE c̄p T ist nicht immer ganz einfach zu entscheiden, ob endliche Sprünge der Wärmekapazität vorliegen (Phasenumwandlungen 2. Art) oder endliche Sprünge der Entropie (Phasenumwandlungen 1. Art), die sehr klein sein können. So beobachtet man auch Phasenübergänge mit einem sogenannten λ-Punkt, wie in der folgenden Abbildung skizziert ist (z.B. Übergang von flüssigem Helium I zum flüssigem Helium II). In diec̄p T sem Fall besitzt T als Funktion von s̄ am Phasenumwandlungspunkt einen horizontalen Wendepunkt. Qualitativ ist das Verhalten von T als Funktion von s̄ für einen Phasenübergang 1. Art (a) und zweiter Art (b) sowie eine Phasenumwandlung mit λ-Punkt (c) in der Abbildung auf Seite 167 dargestellt. Neben den genannten Nicht-Analyzitäten sind als weitere typische Merkmale von Phasenübergängen die Ordnungsparameter zu nennen. Die Bezeichnung Ordnungsparameter drückt aus, daß diese Größen etwas mit dem Wechsel des Ordnungszustandes zu tun haben. In einem thermodynamischen System existieren stets zwei gegenläufige Tendenzen – die Tendenz zur Unordnung bei höheren Temperaturen und die 9.2. PHASENÜBERGÄNGE HÖHERER ORDNUNG T T (a) T (b) s̄ s̄ 167 (c) s̄ zur Ordnung bei tieferen Temperaturen. Gas–Flüssigkeit: Wird ein (einkomponentiges) pV T -System beispielsweise bei der kritischen Teilchendichte ncr = N/Vcr, beginnend bei einer Temperatur oberhalb der kritischen Temperatur, abgekühlt, so zerfällt es bekanntlich unterhalb der kritischen Temperatur in zwei Phasen, Flüssigkeit und Gas mit unterschiedlichen Teilchendichten nf = Nf /Vf und ng = Ng /Vg (bzw. unterschiedlichen spezifischen Volumina). Damit wird eine neue Variable definiert, Δn = nf − ng , (9.45) die in der Hochtemperaturphase (T > Tcr) bedeutungslos ist (Δn = 0). Die Größe Δn ist der Ordnungsparameter des Systems Gas-Flüssigkeit. Ferromagnet: Unterhalb der Curie-Temperatur zeigt ein Ferromagnet eine spontane Magnetisierung Ms (d.h. eine nicht durch ein äußeres Magnetfeld induzierte Magnetisierung), die als Ordnungsparameter fungiert. Mischkristall: Unterhalb einer kritischen Temperatur zerfällt ein aus zwei Komponenten A und B aufgebauter Mischkristall A1−n̄Bn̄ in zwei Mischkristalle A1−n̄1 Bn̄1 und A1−n̄2 Bn̄2 mit unterschiedlichen Konzentrationen n̄1 und n̄2 . Die Konzentrationsdifferenz Δn̄ = n̄1 − n̄2 (9.46) ist der Ordnungsparameter des Mischkristalls. Supraleiter: Der supraleitende Zustand zeichnet sich durch eine Energielücke ΔE im 1-Elektronen-Anregungsspektrum aus, E(k) = [(k) − μ]2 + (ΔE)2, (9.47) 168 KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE wobei (k) die 1-Teilchen-Energien des normalleitenden Zustands sind und μ das chemische Potential ist. Der Ordnungsparamter ist die Energielücke. Oberhalb einer gewissen kritischen Temperatur ist ΔE = 0, und das System verhält sich normalleitend. Unterhalb dieser Temperatur ist die Energielücke verschieden von Null, und das System zeigt Supraleitung. Mit Hilfe der Ordnungsparameter kann folgende Einteilung von Phasenübergängen vorgenommen werden: Phasenübergänge 1. Art : Der Ordnungsparameter ändert sich am Umwandlungspunkt unstetig. Phasenübergänge 2. Art : Der Ordnungsparameter ändert sich am Umwandlungspunkt stetig. Kontinuierliche Phasenübergänge: Der Ordnungsparameter ändert sich stetig über einen gewissen Temperaturbereich. Eine immer wieder gestellte Frage ist, inwieweit sich das Verhalten physikalischer Größen in der Nähe von Phasenumwandlungspunkten ganz allgemein behandeln läßt, zumindest im kritischen Bereich. Eine solche allgemeine Theorie geht auf Landau zurück. Die Idee besteht darin, beispielsweise das Verhalten der freien Enthalpie im kritischen Bereich als Funktion des entsprechenden Ordnungsparamters λ darzustellen. Die Beobachtung, daß λ für T − T0 → 0− gegen Null strebt (T0 ist die Temperatur am Phasenumwandlungspunkt), legt für den kritischen Bereich eine Potenzreihenentwicklung von G nach λ nahe. Die Variable λ ist natürlich keine unabhängige Zustandsgröße, sondern sie muß durch die Gleichgewichtsbedingung ∂G ∂λ =0 (9.48) T,p festgelegt werden. Bei vorgegebenen Werten von T und p ist der Gleichgewichtswert von λ der, für den G(T, p, λ) minimal wird. Alle Aussagen der Landau-Theorie sind Konsequenzen der erwähnten Potenzreihenentwicklung und somit in gewissem Sinne universell gültig. Hinsichtlich der Einzelheiten sei auf die Literatur verwiesen. 9.2. PHASENÜBERGÄNGE HÖHERER ORDNUNG 169 Beispiel: Supraleitung Wird ein Supraleiter in einem Magnetfeld abgekühlt, kann bei hinreichend tiefen Temperaturen ein Phasenübergang 1. Art beobachtet werden, der dadurch charakterisiert ist, daß für T < Tc der elektrische Widerstand de facto verschwindet. Für die aus ḡ1 (T, H) = ḡ2 (T, H) (9.49) resultierende und in der folgenden Abbildung dargestellte Phasengrenzkurve H(T ) ≡ Hc(T ) gilt in guter Näherung4 2 T Hc (T ) = H0 1 − . (9.50) Tc Die Phasenumwandlung ist dabei mit einer Umwandlungswärme H H0 1 normalleitend (2) 0.8 0.6 0.4 supraleitend (1) 0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 T 1 Tc (pro Volumeneinheit) entsprechend der Clausius-Clapeyron-Gleichung (9.15) verbunden, dHc q12 =− . (9.51) dT T ΔM Im supraleitenden Zustand verschwindet die magnetische Induktion (Meißner-Ochsenfeld-Effekt), so daß M1 = −μ0 H 4 (9.52) Für festes Volumen entspricht das System einem pV T -System mit den Ersetzungen p → −H und V → M . 170 KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE ist, während im normalleitenden Zustand M2 = (μ − 1)μ0H 0 (9.53) (für schwach magnetische Materialien) gilt. Folglich ist ΔM = M2 − M1 = μμ0 Hc μ0 Hc , (9.54) und die Gleichung (9.51) nimmt die Form dHc q12 q12 =− − dT μμ0 T Hc μ0 T Hc an. Mit (9.50) folgt somit für die Umwandlungswärme 2 2 T T q12 2μ0H02 1− . Tc Tc (9.55) (9.56) Aus (9.56) ist ersichtlich, daß für T = Tc die Umwandlungswärme verschwindet. Das heißt, die Entropie geht (für H = 0) stetig von der supraleitenden Phase zur normalleitenden Phase über, und es liegt ein Phasenübergang 2. Ordnung vor. Wir wollen diesen Fall etwas genauer untersuchen und beginnen mit der spezifischen freien Enthalpien (pro Volumeneinheit) der beiden Phasen (für zunächst nicht verschwindendes Magnetfeld). Für die supraleitende Phase gilt mit (9.52) dg1 = −s1 dT − M1 dH = −s1 dT + μ0 HdH (9.57) und folglich (0) g1 = 12 μ0 H 2 + g1 (T ). (9.58) Demgegenüber gilt gemäß (9.53) für die normalleitende Phase dg2 = −s2 dT − M2 dH −s2 dT (9.59) und folglich (0) g2 g2 (T ). (9.60) Da auf der Grenzkurve g1 = g2 ist, folgt aus (9.58) und (9.59) (0) (0) g1 (T ) − g2 (T ) − 12 μ0 Hc2(T ), (9.61) 9.2. PHASENÜBERGÄNGE HÖHERER ORDNUNG 171 und somit können wir für die Differenz der spezifischen freien Enthalpien g1 − g2 12 μ0 H 2 − Hc2 (T ) (9.62) schreiben. Es ist unschwer zu sehen, daß (9.62) auf die Übergangswärme (9.56) führt: ∂(g1 − g2 ) q12 = T (s2 − s1) = T ∂T H 2 2 T T dHc 1− . (9.63) = 2μ0H02 −μ0 Hc T dT Tc Tc Die Differenz der spezifischen Wärmen bei konstantem Magnetfeld berechnet sich zu 2 ∂(s1 − s2 ) ∂ (g1 − g2 ) c1H − c2H = T = −T ∂T ∂T 2 H H 2 2 2 d Hc dHc T 2 T μ0 T + Hc H −1 . = 2μ 3 0 0 dT dT 2 Tc2 Tc (9.64) In der Grenze H → 0 und T → Tc folgt aus (9.64) für den Sprung der spezifischen Wärmen, der mit dem Phasenübergang 2. Ordnung verknüpft ist, 2 4μ0 H02 dHc ΔcH μ0 T = . (9.65) dT Tc T =Tc Die als Rutgers-Formel bekannte und experimentell gut bestätigte Gleichung (9.65) verknüpft den Anstieg der Grenzkurve bei H = 0 mit der Differenz der Wärmekapazitäten (pro Volumeneinheit) an dieser Stelle.5 5 Die Gleichung (9.65) entspricht in gewissem Sinne der Ehrenfestschen Gleichung (9.41). 172 KAPITEL 9. PHASENÜBERGÄNGE Kapitel 10 Thermodynamik als Feldtheorie 10.1 Konzept Real ablaufende Prozesse in inhomogenen Medien verlangen in der Regel eine Beschreibung in Raum und Zeit, d.h. einen feldtheoretischen Zugang, bei dem aus den Zustandsgrößen Zustandsfelder werden. Dies ist insbesondere bei der Behandlung von irreversiblen Prozessen der Fall, wie etwa Wärmeleitung und Diffusion. Zur feldtheoretischen Beschreibung gelangen wir, indem wir uns das System in viele kleine Teilsysteme zerlegt denken, die vom makroskopischen Standpunkt infinitesimal klein, aus mikroskopischer Sicht jedoch noch hinreichend groß sind. Hinreichend groß heißt hier, in jedem Teilsystem müssen noch viele Teilchen (Atome, Moleküle) vorhanden sein, so daß die Teilsysteme noch als thermodynamische Systeme angesehen werden können. Ferner wollen wir annehmen, daß sich jedes dieser Teilsysteme zu jedem Zeitpunkt im thermodynamischen Gleichgewicht befindet, d.h., es soll lokal Gleichgewicht herrschen. Mit anderen Worten, die Einstellzeiten für das Gleichgewicht innerhalb eines jeden Teilsystems sollen kurz sein im Vergleich zu den Einstellzeiten des Gleichgewichts zwischen benachbarten Teilsystemen. Damit ist klar, daß die so gewonnenen Ergebnisse nicht für beliebig kleine Ortsauflösung und auch nicht für beliebig kleine Zeitauflösung gültig sein können. Die Voraussetzung eines lokalen Gleichgewichts ermöglicht es, daß 173 174 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE lokal alle bekannten Beziehungen der Thermodynamik gelten, speziell die Gibbssche Fundamentalgleichung. Betrachten wir ein K-komponentiges, homogenes und isotropes Gleichgewichtssystem im Volumen ΔV . Die Gibbssche Fundamentalgleichung lautet T d(ΔS) = d(ΔU ) + pd(ΔV ) − μα d(ΔNα ). (10.1) α Mit der Masse ΔMα der α-ten Komponente in ΔV , ΔMα = ΔNα m(A) α (10.2) (A) (mα - Masse eines Atoms bzw. Moleküls der α-ten Komponente) ist die Gesamtmasse in ΔV ΔM = ΔMα . (10.3) α Auf die Gesamtmasse bezogen lautet die Gibbssche Fundamentalgleichung (10.1) ΔS μα ΔU ΔV ΔMα Td =d + pd − . (10.4) d (A) ΔM ΔM ΔM ΔM m α α Wir definieren nun die spezifischen Größen als Funktionen von r in der Grenze ΔM → 0: ΔS → s̄(r, t), ΔM ΔV → v̄(r, t), ΔM ΔMα → ¯α (r, t) ΔM (10.5) (A) (μα /mα = μ̄α ), so daß die Gibbssche Fundamentalgleichung für die Zustandsfelder die Form T (r, t)ds̄(r, t) = dū(r, t) + p(r, t)dv̄(r, t) − μ̄α (r, t)d¯ α(r, t) α (10.6) annimmt, wobei s̄ als Funktion von ū, v̄ und den ¯α aufgefaßt werden kann, (10.7) s̄ = s̄[ū(r, t), v̄(r, t), {¯ α(r, t)}]. 10.2. BILANZGLEICHUNGEN Folglich gilt ∂s̄(r, t) ∂ ū(r, t) ∂s̄(r, t) ∂v̄(r, t) 175 = 1 , T (r, t) (10.8) = p(r, t) , T (r, t) (10.9) v̄,{¯α } ∂s̄(r, t) ∂ ¯α (r, t) ū,{¯α } v̄,ū,{¯β |β=α} =− μ̄α (r, t) . T (r, t) (10.10) Die Gleichungen (10.8) – (10.10) bestimmen die nunmehr lokal gültigen Zustandsgleichungen. Die Theorie ist also so aufgebaut, daß die abhängigen Zustandsfunktionen nur über die unabhängigen Zustandsfunktionen von Raum und Zeit abhängen. Gemäß (10.6) lautet die zeitliche Änderung der spezifischen Entropie, d.h. die zeitliche Änderung der Entropie (pro Masseneinheit) eines Massenelements, das sich natürlich auch bewegen kann: ds̄(r, t) 1 dū(r, t) p(r, t) dv̄(r, t) μ̄α (r, t) d¯ α (r, t) = + − dt T (r, t) dt T (r, t) dt T (r, t) dt α (10.11) Eine weitere Auswertung dieser Gleichung erfordert offensichtlich die Kenntnis und eine Auswertung der Gleichungen für die zeitliche Änderung von ū, v̄ und die ¯α mit dem Ziel, Feldgleichungen für die unabhängigen Zustandsfelder aufzustellen. 10.2 Bilanzgleichungen 10.2.1 Massenbilanz Wir betrachten ein aus K Massenkomponenten bestehendes System im Volumen V . Die Masse der α-ten Komponente im Volumen V zum Zeitpunkt t ist Mα (t) = V d3 r α (r, t). (10.12) 176 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE Sie kann sich dadurch ändern (dMα ), daß Masse in das Volumen hineinoder herausströmt (deMα ) oder im Volumen Masse dieser Komponente produziert bzw. vernichtet wird (di Mα ), dMα = de Mα + di Mα . (10.13) Es sei vα (r, t) das Geschwindigkeitsfeld der strömenden α-ten Komponente, d.h. die Geschwindigkeit eines Massenelements dieser Komponente, das sich zur Zeit t gerade am Ort r befindet. Im Zeitintervall dt strömt dann durch ein Flächenelement dA die Masse de Mα = −α dA · vα dt (10.14) (siehe die Skizze). Die Masse, die dann insgesamt durch die geschlossene dA vα dt Oberfläche des betrachteten Volumens V pro Zeiteinheit strömt, ist also durch de Mα =− dA · vα α = − dA · jα (10.15) dt (V ) (V ) gegeben, wobei jα = jα (r, t) = α (r, t)vα(r, t) (10.16) die (Massen-)Stromdichte der α-ten Komponente ist. Wenn qα (r, t) die (Massen-)Produktionsdichte oder (Massen)-Quelldichte der α-ten Komponente ist, d.h. die pro Zeit- und Volumeneinheit am Ort r zur Zeit t produzierte bzw. vernichtete Masse dieser Komponente, gilt di Mα = d3 r qα (r, t). (10.17) dt V Wir kombinieren (10.12), (10.13), (10.15) und (10.17) und erhalten die globale Massenbilanz der α-ten Komponente: dMα de Mα di Mα = + , dt dt dt (10.18) 10.2. BILANZGLEICHUNGEN d dt 177 V d3r α = − dA · jα + = − (V ) V V d3 r qα d3 r ∇ · jα + V d3 r qα . (10.19) Da diese Gleichung für jedes Volumen V gelten muß, muß also lokal die Bilanzgleichung ∂α + ∇ · jα = qα ∂t gelten. Wir betrachten die Bilanz der Gesamtmasse M= Mα . (10.20) (10.21) α Die Gesamtmassendichte ist = α , (10.22) α und die Gesamtmassenstromdichte ist j= jα = α vα = v, α (10.23) α wobei v = v(r, t) das Massenmittelpunktsgeschwindigkeitsfeld bedeutet. Da die Gesamtmasse (im Rahmen der betrachteten nichtrelativistischen Beschreibungsweise) als Erhaltungsgröße angesehen werden kann, verschwindet die Gesamtmassenproduktionsdichte, qα = 0, (10.24) q= α und die Gesamtmassenbilanz lautet global dM de M = dt dt (10.25) 178 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE bzw. lokal ∂ +∇·j =0 ∂t (10.26) (Kontinuitätsgleichung). Wir führen die substantielle Zeitableitung ein, die sich auf die zeitliche Änderung in einem mit dem Geschwindigkeitsfeld mitgeführten Massenelement bezieht, ∂ d = + v · ∇, dt ∂t (10.27) und eliminieren [unter Berücksichtigung von (10.23)] in der Kontinuitätsgleichung (10.26) die partielle Zeitableitung: d d − v · ∇ + ∇ · (v) = + ∇ · v = 0, dt dt 1 d + ∇ · v = 0. dt (10.28) (10.29) Mit v̄ = 1/ anstelle von ergibt sich 1 d d1 dv̄ 1 d = − − 2 = − = − , dt dt dt dt (10.30) so daß (10.29) die substantielle Form der Gesamtmassenbilanz annimmt: dv̄ −∇·v = 0 dt (10.31) Kehren wir zur lokalen Massenbilanz der α-ten Komponente der Konzentration ¯α = α / zurück. Wir berücksichtigen die Kontinuitätsgleichung (10.26) und eliminieren mittels der Reisegleichung“ (10.27) ” 10.2. BILANZGLEICHUNGEN 179 die partielle Zeitableitung: ∂α ∂ ∂ ¯α = ¯α + ∂t ∂t ∂t d¯ α − v · ∇¯ α = −¯ α ∇ · (v) + dt d¯ α = − ∇ · ( ¯ α v). dt α (10.32) Wir setzen (10.32) in (10.20) ein und erhalten als substantielle Form der Massenbilanz der α-ten Komponente ∂α d¯ α = − ∇ · (α v) = −∇ · jα + qα ∂t dt (10.33) bzw. d¯ α + ∇ · Jα = qα dt (10.34) mit Jα = jα − α v (10.35) als konduktiver (Massen-)Stromdichte der α-ten Komponente. Als Stromdichte relativ zu v gibt sie die Menge der α-ten Komponente an, die pro Zeiteinheit und Flächeneinheit durch die Oberfläche des mit v bewegten Massenelements in dieses hinein- bzw. aus diesem herausströmt. Die Größe α v wird als konvektive (Massen-)Stromdichte der α-ten Komponente bezeichnet. Im vorliegenden Fall heißt Jα auch Diffusionsstromdichte der α-ten Komponente. Offensichtlich gilt [siehe (10.22) und (10.23)] Jα = (jα − α v) = α vα − v = 0 (10.36) α α α bzw. JK = − K−1 α=1 Jα . (10.37) 180 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE Die Quelldichten qα in (10.20) bzw. (10.34) bringen zum Ausdruck, daß die Massen der einzelnen Komponenten durch chemische Reaktionen geändert werden können. Im Falle einer Reaktion mit den stöchiometrischen Koeffizienten να gilt qα ΔV Δt = να ΔξΔNαm(A) α (10.38) (Δξ - Änderung der Reaktionslaufzahl im Zeitelement Δt; ΔNα - Anzahl der Atome bzw. Moleküle der α-ten Komponente im Volumenele(A) ment ΔV ; mα - Masse der Atome bzw. Moleküle), d.h. qα = ωνα α (10.39) mit ω = Δξ/Δt → ξ̇ als der Reaktionsgeschwindigkeit, und die Verallgemeinerung auf mehrere chemische Reaktionen lautet ωr νrα α . (10.40) qα = r Wir setzen (10.40) in (10.34) ein und erhalten: 10.2.2 d¯ α + ∇ · Jα = ωr νrα α dt r (10.41) Impulsbilanz Die Überlegungen zur Bilanz der Masse Mα der α-ten Komponente können sinngemäß auf jede extensive Zustandsgröße B übertragen werden. Die Dichte von B sei b und die spezifische Größe b̄, wobei b = b̄ (10.42) gilt. Ferner sei jB die Stromdichte der Größe B und JB = jB − bv (10.43) 10.2. BILANZGLEICHUNGEN 181 die konduktive Stromdichte der Größe sowie qB die Quelldichte. Analog zu (10.18) lautet die globale Bilanzgleichung der Größe dB de B di B = + , dt dt dt (10.44) und gemäß (10.20) und (10.34) [zusammen mit (10.35)] lauten lokale und substantielle Form ∂b + ∇ · jB = qB ∂t (10.45) und db̄ + ∇ · JB = qB . (10.46) dt Die extensiven Größen können natürlich auch vektorielle Größen sein (B, b, b̄). In diesem Fall stellt die Quelldichte ebenfalls einen Vektor dar (qB ), und die Stromdichten sind Tensoren (j B , J B ), da für jede Komponente von B ein (vektorieller) Strom existiert. Wir schreiben die (10.45) und (10.46) entsprechenden Gleichungen in der kompakten Form ∂b + ∇ · j B = qB , (10.47) ∂t db̄ + ∇ · J B = qB . (10.48) dt Gehen wir nach diesen Vorbemerkungen nun zur Impulsbilanz über. Der Gesamtimpuls des Systems lautet 3 P(t) = d r α (r, t)vα(r, t) = d3r (r, t)v(r, t), (10.49) α V V wobei die Gesamtimpulsdichte p(r, t) = (r, t) v(r, t) (10.50) ist, und somit die spezifische Gesamtimpulsdichte einfach durch das Geschwindigkeitsfeld gegeben ist: p̄ = p/ = v. (10.51) 182 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE Somit lautet die substantielle Bilanzgleichung dv −∇·τ =f dt (10.52) Der symmetrische Spannungstensor τ , τkl = τlk , (10.53) beschreibt definitionsgemäß den pro Zeiteinheit und Flächeneinheit durch die Oberfläche des Massenelements gehenden Impuls und somit die auf die Flächeneinheit bezogene Kraft, die von der Umgebung auf die Oberfläche des Massenelements ausgeübt wird. Die Quelldichte auf der rechten Seite der Gleichung (10.52) stellt offensichtlich die Gesamtkraftdichte der äußeren (in der Regel eingeprägten) Kräfte dar, f= fα = α f̄α . (10.54) α α Die Gleichung (10.52) ist das Äquivalent der Kontinuumsmechanik zum 2. Newtonschen Axiom der Punktmechanik, angewendet auf die Massenmittelpunktsbewegung. 10.2.3 Energiebilanz Die Gesamtenergie des betrachteten Systems setzt sich aus der inneren Energie und der kinetischen Energie, die den Bewegungszustand des Systems als Ganzes beschreibt, zusammen: d3 r u(r, t) + 12 (r, t)|v(r, t)|2 , (10.55) E(t) = V wobei e(r, t) = u(r, t) + 12 (r, t)|v(r, t)|2 (10.56) die Energiedichte und ē(r, t) = ū(r, t) + 12 |v(r, t)|2 (10.57) 10.2. BILANZGLEICHUNGEN 183 die spezifische Energiedichte ist. Gemäß (10.46) lautet die substantielle Bilanzgleichung der Gesamtenergie dē + ∇ · JE = qE dt (10.58) Als Quelldichte fungiert hier die gesamte Leistungsdichte der äußeren Kräfte, d.h. qE = vα · fα . (10.59) α Um die kinetische Energie substantiell zu bilanzieren, verfahren wir wie in der Mechanik üblich: dv v · −∇·τ = fα , (10.60) dt α d 1 2 − (∇ · τ ) · v = v v · fα . dt 2 α Da τkl = τlk ist, können wir wie folgt weiter umformen: ∂ ∂τkl ∂vl vl = (τkl vl ) − τkl ∂xk ∂xk ∂xk 1 ∂vl ∂ ∂vk ; = (τkl vl ) − τlk + ∂xk 2 ∂xk ∂xl mit 1 Vlk = Vkl = 2 ∂vl ∂vk + ∂xk ∂xl (10.61) (10.62) (10.63) gilt also (∇ · τ ) · v = ∇ · (τ · v) − τ : V (10.64) (V - Tensor der Deformationsgeschwindigkeit). Die Beziehung (10.64) in die Gleichung(10.61) eingesetzt liefert die substantielle Bilanz der kinetischen Energie in folgender Form: d 1 2 v − ∇ · (τ · v) = −τ : V + v · fα dt 2 α (10.65) 184 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE Mit (10.65) läßt sich dann die substantielle Bilanzgleichung der inneren Energie [(10.58) zusammen mit (10.57) und (10.59)] wie folgt umformen: dū dē d 1 2 = − v dt dt dt 2 = −∇ · JE + vα · fα −∇ · (τ · v)+τ : V − v · fα , (10.66) α α dū + ∇ · (JE +τ · v) = τ : V + (vα − v) · fα dt α =τ :V+ α (vα −v) · f̄α , α Jα (10.67) d.h. dū +∇·Q=τ :V + Jα · f̄α dt α (10.68) mit Q = JE + τ · v (10.69) als konduktiver Stromdichte der inneren Energie, auch Wärmestromdichte genannt (JU = Q). Die Beziehung (10.37) impliziert, daß die α-Summe in (10.67) in der Form K Jα · f̄α = α=1 geschrieben werden kann. K−1 α=1 Jα · f̄α − f̄K (10.70) 10.2. BILANZGLEICHUNGEN 10.2.4 185 Entropiebilanz Wir wollen annehmen, daß das Differential der Entropie eines homogenen Systems in der Form dS = βλ dBλ (10.71) λ vorliegt, wobei die Bλ einen vollständigen Satz von unabhängigen Zustandsgrößen bilden mögen, von denen wir annehmen wollen, daß sie extensiver Natur sind. Die Zustandsgrößen βλ sind dann durch ∂S = βλ ∂Bλ (10.72) festgelegt. Ist S Potential, liefern die Gleichungen (10.72) gerade die Zustandsgleichungen des Systems. Wir gehen von der Entropie sowie den Zustandsgrößen Bλ und βλ des homogenen Systems zu den entsprechenden Zustandsfeldern s̄ = s̄(b̄λ ), b̄λ = b̄λ (r, t) und βλ = βλ (r, t) des inhomogenen Systems über, ds̄ = βλ db̄λ , (10.73) λ ∂s̄ = βλ . ∂ b̄λ Die Gleichung (10.73) entspricht der Bilanzgleichung ds̄ db̄λ = βλ dt dt (10.74) (10.75) λ [vgl. (10.11)], wobei die b̄λ ihrerseits den Bilanzgleichungen db̄λ + ∇ · JBλ = qBλ dt (10.76) genügen. Wir setzen (10.76) in (10.75) ein, und bringen (10.75) in die Form der substantiellen Bilanzgleichung für die Entropie. Wir erhalten zunächst ds̄ = (−βλ ∇ · JBλ + βλ qBλ ) (10.77) dt λ 186 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE und mit der Umformung −βλ ∇ · JBλ = −∇ · (βλ JBλ ) + JBλ · ∇βλ (10.78) das folgende Ergebnis: ds̄ + ∇ · JS = σ dt JS = βλ JBλ (10.79) (10.80) λ σ ≡ qS = (βλ qBλ + JBλ ·∇βλ ) (10.81) λ Wegen des 2. Hauptsatzes kann die Entropiequelldichte nicht negativ sein, d.h., es kann zwar Entropie produziert, jedoch nicht vernichtet werden, σ ≥ 0. (10.82) Wir wenden das Verfahren auf unser Mehrkomponentensystem an und beginnen mit der Gibbsschen Fundamentalgleichung in substantieller Form μ̄α d¯ α (10.83) T ds̄ = dū + pdv̄ − α [Gleichung (10.6)], so daß die Bilanzgleichung 1 dū p dv̄ μ̄α d¯ α ds̄ = + − dt T dt T dt T dt α (10.84) 10.2. BILANZGLEICHUNGEN 187 gilt [Gleichung (10.11)]. Wir setzen in diese Gleichung die Bilanzgleichungen (10.31), (10.41) und (10.68) ein und erhalten ds̄ 1 = dt T −∇ · Q + τ : V + μ̄α Jα · f̄α α p ωr νrα α ∇·v− −∇ · Jα + T T α r 1 p 1 μ̄α ∇ · Jα + ∇ · v = − ∇·Q+ T T α T 1 1 + τ :V + Jα · f̄α − μ̄α ωr νrα α T T α α r Q 1 μ̄α 1 − = −∇· μ̄α Jα + Q · ∇ − Jα ·∇ T T α T T α p 1 + I:V + τ :V + Jα · f̄α T T α 1 μ̄α ωr νrα α , (10.85) − T α r + d.h., in der Bilanzgleichung der Entropie in substantieller Form ds̄ + ∇ · JS = σ dt (10.86) können 1 JS = T Q− α μ̄α Jα (10.87) 188 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE als konduktive Stromdichte der Entropie und 1 1 1 μ̄α f̄α + φ:V − σ =Q·∇ − Jα · ∇ − ωr ar T T T T T α r (10.88) als Entropieproduktionsdichte angesehen werden. Für die hier betrachteten isotropen Systeme wie Flüssigkeiten und Gase stellt die Größe φ = τ + pI (10.89) den Reibungstensor dar, und die Größen ar = μ̄α νrα α (10.90) α sind die (pro Volumeneinheit definierten) Affinitäten der chemischen Reaktionen. Wegen der Beziehung (10.37) gilt K μ̄α f̄α Jα · ∇ − T T α=1 K−1 μ̄α − μ̄K f̄α − f̄K = − Jα · ∇ T T α=1 . (10.91) Die Entropieproduktionsdichte (10.88) gibt Aufschluß über die Quellen der Irreversibilität und ihre Stärke: Wärmeleitung (Q), Diffusion (Jα ), Reibung (φ) und chemische Reaktionen (ωr ). Aus (10.85) ist ersichtlich, daß die Zerlegung in die Divergenz eines Vektorfeldes JS und ein Restfeld σ, wie sie in (10.86) zusammen mit (10.87) und (10.88) vorgenommen wurde, nicht eindeutig ist. Insbesondere folgt sie nicht genau dem eingangs angebenen, auf die Gleichungen (10.79) – (10.81) führenden Schema. So ist der Term (p/T )∇ · v komplett der Entropieproduktionsdichte zugeschlagen worden, ohne einen Stromanteil abzuspalten. Hier müssen offensichtlich zusätzliche physikalische Argumente herangezogen werden. Die im vorliegenden Fall getroffene Aufspaltung widerspiegelt die Erfahrungstatsache, daß Reibung ein irreversibler Vorgang ist, was durch den Reibungstensor in der Entropieproduktionsdichte zum Ausdruck gebracht wird. 10.3. GENERALISIERTE KRÄFTE UND STRÖME 10.3 189 Generalisierte Kräfte und Ströme Aus der Entropieproduktionsdichte, wie sie etwa in (10.88) [zusammen mit (10.91)] bzw. in der allgemeineren Fassung in (10.81) gegeben ist, ist ersichtlich, daß sie die Summe von Produkten zweier Größen ist – der generalisierten Ströme JA und der generalisierten Kräfte FA : σ= J A FA , A = 1, 2, . . . , L (10.92) A Für unser Mehrkomponentensystem mit der Entropieproduktionsdichte (10.88) [zusammen mit (10.91)] lesen wir die generalisierten Ströme und Kräfte wie folgt ab: generalisierter Strom Qk Jα k φkl ωr generalisierte Kraft 1 T ¯ μ̄α − μ̄K fαk − f¯Kk ∂ + − ∂xk T T 1 ∂vk ∂vl Vkl = + T 2T ∂xl ∂xk ar − T ∂ ∂xk Effekt Wärmeleitung Diffusion Reibung chemische Reaktionen Bekanntlich hat ein Temperaturgradient einen Wärmestrom zur Folge, und Diffusionsströme werden beispielsweise durch Gradienten der chemischen Potentiale verursacht. Es liegt deshalb nahe anzunehmen, daß ganz allgemein die generalisierten Ströme durch die generalisierten Kräfte verursacht werden, d.h., die generalisierten Ströme 190 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE können als Funktionen (allgemeiner als Funktionale) der generalisierten Kräfte aufgefaßt werden: JA = JA (FB , . . . ) ≡ JA (F1, F2, . . . , FL, . . .). (10.93) Daneben hängen sie i. allg. noch von den gewählten unabhängigen Zustandsgrößen (wie Druck und Temperatur) des Systems ab [. . . nach FL in (10.93)]. In der Regel kann gefordert werden, daß die generalisierten Ströme mit den generalisierten Kräften verschwinden, JA (FB , . . .) = 0 für FB = 0, (B = 1, 2, . . . , L). (10.94) Da jeder generalisierte Strom i. allg. von allen generalisierten Kräften abhängt, sind also auch Kreuzeffekte möglich, bei denen ein Strom JA durch Kräfte FB (B = A) verursacht wird. Lineare Ansätze Die generalisierten Kräfte werden um so kleiner sein, je näher der jeweilige Systemzustand am entsprechenden Gleichgewichtszustand liegt. Denken wir uns die generalisierten Ströme in Potenzreihen nach den generalisierten Kräften entwickelt, so wird es in der Nähe von Gleichgewichtszuständen ausreichend sein, sich auf die lineare Näherung zu beschränken: JA = LAB FB (10.95) B Im Rahmen der phänomenologischen Thermodynamik stellen die LAB vorgegebene Koeffizienten dar (phänomenologische Koeffizienten), und dementsprechend handelt es sich bei den linearen Gleichungen (10.95) um phänomenologische Gleichungen (lineare phänomenologische Gleichungen). Die phänomenologischen Koeffizienten (als Funktionen der jeweils gewählten unabhängigen Zustandsgrößen des Systems) können als Zustandsgrößen zur Charakterisierung von Systemeigenschaften aufgefaßt werden, die mit irreversiblen Vorgängen verknüpft sind. Die linearen Ansätze (10.95) bringen explizit zum Ausdruck, daß jeder generalisierte Strom i. allg. durch alle generalisierten Kräfte verursacht werden kann (Kreuzeffekte). 10.3. GENERALISIERTE KRÄFTE UND STRÖME 191 Thermodynamisches Gleichgewicht: JA = 0 ∀A ; σ = 0. (10.96) Ungehemmte Gleichgewichtszustände: JA = 0 : FB = 0 jedoch LAB = 0. (10.97) Gehemmte Gleichgewichtszustände: JA = 0 : FB = 0 jedoch LAB = 0. (10.98) Wir setzen (10.95) in (10.92) ein, berücksichtigen (10.82) und erhalten σ= LAB FA FB ≥ 0. (10.99) A,B Die Entropieproduktionsdichte ist (in der Näherung der linearen phänomenologischen Gleichungen) eine positiv-semidefinite quadratische Form in den generalisierten Kräften, so daß speziell gilt: LAA ≥ 0 ∀A (10.100) Onsager-Casimir-Reziprozitätsrelationen: LAB = A B LBA , 1 wenn FA → FA f ür t → −t. A = −1 wenn FA → −FA (10.101) (10.102) Curie-Prinzip: Die linearen Ansätze vermitteln Zusammenhänge von Größen des gleichen Transformationsverhaltens bei Transformationen des Koordinatensystems. Mit anderen Worten, skalare Kräfte können nur skalare Ströme, vektorielle Kräfte nur vektorielle Ströme und tensorielle Kräfte nur tensorielle Ströme (der gleichen Stufe) verursachen. Wir wollen die allgemeinen Überlegungen auf unser Mehrkomponentensystem mit der Entropieproduktionsdichte (10.88) [zusammen mit (10.91)] und den daraus folgenden generalisierten Kräften und Strömen anwenden (siehe die Tabelle zu Beginn des Abschnitts). 192 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE (a) Skalare (Ströme ↔ Kräfte): Tr φ ar , T (10.103) Tr V ∇·v = . T T (10.104) ←→ ωr ←→ − Lineare Ansätze: ωr = L r Tr φ = r rr a ∇·v r + Lrφ , − T T a ∇·v r + Lφφ . Lφr − T T (10.105) (10.106) Eigenschaften der Koeffizienten: Lrr ≥ 0, Lrr = Lr r , Lφφ ≥ 0, (10.107) Lrφ = −Lφr (10.108) 1 , T (10.109) (t → −t ; ∇·v → −∇·v). (b) Vektoren (Ströme ↔ Kräfte): Q ←→ ∇ μ̄α − μ̄K f̄α − f̄K + . (10.110) T T Lineare Ansätze (für die hier betrachteten isotropen Medien): Jα ←→ −∇ K−1 μ̄α − μ̄K f̄α − f̄K 1 Q = LQQ∇ + + , LQα −∇ T T T α=1 (10.111) K−1 μ̄α − μ̄K f̄α − f̄K 1 Jα = LαQ∇ + + . Lαα −∇ T T T (10.112) α =1 Eigenschaften der Koeffizienten: Lαα ≥ 0, LQQ ≥ 0, (10.113) 10.4. EVOLUTIONSGLEICHUNGEN Lαα = Lα α , LαQ = LQα . 193 (10.114) (c) Spurfreier Anteil des Reibungstensors (Ströme ↔ Kräfte): φ − 13 I Tr φ ←→ V ∇·v − 13 I . T T (10.115) Linearer Ansatz (für die hier betrachteten isotropen Medien): V 1 1 ∇·v φ − 3 I Tr φ = Lφφ − 3I , Lφφ ≥ 0. (10.116) T T (d) Vollständiger Reibungstensor: Aus (10.116) und (10.106) folgt V 1 1 ∇·v φ = 3 I Tr φ + Lφφ − 3I T T ∇·v V ∇·v a r + +Lφφ − 13 I , (10.117) Lφr − = 13 I Lφφ T T T T r d.h. [mit (10.89)] φ = τ + pI = Lφφ 10.4 ∇·v 1 V 1 ar + 3 Lφφ −Lφφ I − 3I Lφr . (10.118) T T T r Evolutionsgleichungen Sind die generalisierten Ströme als Funktionen der generalisierten Kräfte bekannt, so können sie in die Bilanzgleichungen eingesetzt werden. Das auf diese Weise (unter Berücksichtigung der Zustandsgleichungen) entstehende System gekoppelter Evolutionsgleichungen beschreibt dann die Dynamik von thermodynamischen Prozessen. In vielen Fällen reicht es dabei aus, die linearen Ansätze für den Zusammenhang von Strömen und Kräften zu verwenden. Wir wollen dies am einfachsten Beispiel einer einkomponentigen Flüssigkeit illustrieren. Als generalisierte Ströme fungieren in diesem 194 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE Fall offensichtlich nur der Wärmestrom Q und der Reibungstensor φ. Gemäß (10.111) gilt Q = LQQ∇ LQQ 1 = − 2 ∇T = −κ ∇T, T T (10.119) wobei anstelle des Koeffizienten LQ üblicherweise die Wärmeleitfähigkeit LQQ κ= 2 (10.120) T verwendet wird. Der Reibungstensor ist in (10.118) gegeben. Auch hier ist es üblich, anstelle der Koeffizienten Lφ und Lφ die Scherviskosität Lφφ η= 2T (10.121) Lφφ 3T (10.122) und die Volumenviskosität ξ= zu verwenden, so daß (10.118) φ = τ + pI = 2ηV + I ξ − 23 η ∇ · v bzw. ausführlich φik = τik + pδik = η ∂vk ∂vi + ∂xk ∂xi ∂vl + ξ − 23 η δik ∂xl (10.123) (10.124) lautet. Wir wollen annehmen, daß κ, η und ξ hinreichend schwach räumlich variieren, so daß sie näherungsweise als räumlich konstant angesehen werden können. Damit folgt aus (10.119) ∇ · Q = −κ ΔT (10.125) und aus (10.123) ∂ ∂vl + ξ − 23 η ∂xk ∂xl ∂ ∂vi ∂p (10.126) = − + ηΔvk + ξ + 13 η ∂xk ∂xk ∂xi ∂τik ∂p = − +η ∂xi ∂xk ∂ ∂vi ∂ ∂vk + ∂xi ∂xk ∂xi ∂xi 10.4. EVOLUTIONSGLEICHUNGEN 195 bzw. in kompakter Form ∇ · τ = −∇p + ηΔv + ξ + 13 η ∇(∇ · v) (10.127) Wir setzen (10.127) in die Impulsbilanz (10.52) ein und erhalten die Navier-Stokes-Gleichung: dv = −∇p + ηΔv + ξ + 13 η ∇(∇ · v) + f dt (10.128) Wir setzen (10.123) und (10.125) in die Bilanz (10.68) der inneren Energie ein und erhalten die Wärmeleitungsgleichung in der allgemeinen Form: dū − κ ΔT = −p∇ · v + 2ηV : V + ξ − 23 η (∇ · v)2 dt (10.129) Die Gleichungen (10.128) und (10.129) zusammen mit der Kontinuitätsgleichung ∂ + ∇ · v = 0 ∂t (10.130) [Gleichung (10.26)] sowie der thermischen Zustandsgleichung f (p, T, ) = 0 (10.131) und der kalorischen Zustandsgleichung ū = ū(T, ) (10.132) 196 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE bilden die Grundgleichungen zur Beschreibung der Evolution eines 1-komponentigen flüssigen pV T -Systems (Hydrodynamik mit Wärmeleitung). Bei bekannter äußerer Kraftdichte und vorgegebenen Randund Anfangsbedingungen liefert die Lösung des Gleichungssystems das Geschwindigkeitsfeld v(r, t) sowie die (unabhängigen) Zustandsfelder (r, t) und T (r, t). Schallausbreitung In vielen Fällen ist die Volumenviskosität vernachlässigbar, so daß ξ =0 gesetzt werden kann. Ist die Scherviskosität ebenfalls vernachlässigbar, η = 0, spricht man von einer idealen Flüssigkeit (Gas), und die NavierStokes-Gleichung (10.128) geht in die Euler-Gleichung über, dv = −∇p + f. (10.133) dt Wir wollen diese Gleichung auf die Schallausbreitung anwenden und annehmen, daß keine Volumenkräfte wirksam sind. In diesem Fall lautet (10.133) [unter Berücksichtigung von (10.27)] dv ∂v = + v · ∇v = −∇p, dt ∂t (10.134) wobei die Massendichte der Kontinuitätsgleichung (10.130) genügt: ∂ ∂ + ∇ · (v) = + v · ∇ + ∇ · v = 0. (10.135) ∂t ∂t Wir wollen ferner annehmen, daß – wie es in der Regel der Fall ist – die Schallausbreitung zu kleinen Abweichungen vom Gleichgewichtszustand des ruhenden Mediums führt, v(r, t) = 0+v (r, t), p = p0 +p (r, t), (r, t) = 0 + (r, t) (10.136) (p0 = const., 0 = const.), so daß die Euler-Gleichung und die Kontinuitätsgleichung (näherungsweise) in und ∂v 0 + ∇p = 0 ∂t (10.137) ∂ + 0 ∇ · v = 0 ∂t (10.138) 10.4. EVOLUTIONSGLEICHUNGEN 197 übergehen, woraus unschwer zu sehen ist, daß Δp − ∂ 2 =0 ∂t2 (10.139) gilt. Die mit der Schallausbreitung verbundenen Dichte- und Druckschwankungen erfolgen viel zu schnell, als daß ein Temperaturausgleich zwischen benachbarten Volumenelementen erfolgen könnte. Das bedeutet, daß die Wärmeleitung vernachlässigt werden kann und adiabatische Zustandsänderungen angenommen werden können, p = p[(r, t)], und die Taylor-Entwicklung liefert dp ∂p = . (10.140) p = vs2 , vs2 = d =0 ∂ s̄ Einsetzen in (10.139) liefert 1 ∂ 2 p Δp − 2 2 = 0 vs ∂t (10.141) Die Druckschwankungen (und natürlich auch die Dichteschwankungen) genügen einer Wellengleichung – der Wellengleichung für die Schallausbreitung mit vs als der Schallgeschwindigkeit. Gemäß (5.83) zusammen mit (5.78) und (5.79) gilt ∂v̄ κT ∂v̄ c̄p = = , (10.142) δ= c̄v̄ κs̄ ∂p T ∂p s̄ d.h. ∂v̄ ∂p s̄ 1 = δ ∂v̄ ∂p T ; ∂p ∂ =δ s̄ ∂p ∂ . (10.143) T Damit folgt gemäß (10.140) für die Schallgeschwindigkeit ∂p vs = δ . ∂ T (10.144) 198 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE Eines der genauesten Verfahren zur Bestimmung des Verhältnisses der spezifischen Wärmen bei konstantem Druck und konstantem Volumen besteht in der Messung der Schallgeschwindigkeit. Aus (10.144) ist ersichtlich, daß dazu noch die Abhängigkeit der Druckes von der Dichte bei fester Temperatur laut thermischer Zustandsgleichung bekannt sein muß. Speziell für ein ideales Gas gilt ∂p N N p= kT ; kT (10.145) = M ∂ T M und somit vs = N kT = δ M δ RT . Mmol (10.146) Wärmeleitung Die Schallausbreitung ist (innerhalb der betrachteten Zeitskala) ein Beispiel für einen reversiblen Prozeß.1 Ganz anders sieht es im Fall von Wärmeleitungsprozessen aus. Wir wollen den einfachsten Fall eines ruhenden, kräftefreien Mediums betrachten, d.h. v = 0, ∂v̄ dv̄ = = 0. dt ∂t (10.147) Gemäß der kalorischen Zustandsgleichung (10.132) gilt dann ∂T ∂ ū ∂T ∂ ū ∂v̄ dū = + = c̄v̄ , (10.148) dt ∂T v̄ ∂t ∂v̄ T ∂t ∂t und somit geht die Gleichung (10.129) in die Wärmeleitungsgleichung dū ∂T − κΔT = c̄v̄ − κΔT = 0 dt ∂t (10.149) bzw. ∂T − λΔT = 0 ∂t 1 Die Wellengleichung (10.141) ist invariant bei einer Zeitumkehr. (10.150) 10.4. EVOLUTIONSGLEICHUNGEN mit der Temperaturleitzahl λ= κ c̄v̄ 199 (10.151) über,2 wobei im Rahmen ihrer Gültigkeit in der Regel angenommen werden kann, daß c̄v̄ (und damit auch λ) konstant ist. Die Wärmeleitungsgleichung kann dann mittels des Separationsansatzes T (r, t) = f (t)g(r) (10.152) gelöst werden. Wir gehen mit diesem Ansatz in die Differentialgleichung (10.150) und erhalten f˙(t)g(r) − λf (t)Δg(r) = 0 ; Δg(r) f˙(t) = = α2 , λf (t) g(r) (10.153) d.h. f˙(t) = λα2 f (t) (10.154) Δg(r) = α2g(r) (10.155) und mit α als der (komplexwertigen) Separationskonstanten. Aus (10.154) folgt sofort 2 f (t) ∼ eλα t . (10.156) Wenn Lösungen g(r, α) von (10.155) bekannt sind, so können durch Superposition weitere Lösungen 2 T (r, t) = β(α)g(r, α)eλα t (10.157) α der Differentialgleichung (10.150) konstruiert werden, wobei die Koeffizienten entsprechend den Rand- und Anfangsbedingungen zu spezifizieren sind. Beispiel: Räumlich unbegrenztes System Wir wollen die Temperaturverteilung in einem räumlich unbegrenzten Medium bei gegebener Anfangsverteilung bestimmen. Beschränken wir 2 Im Gegensatz zur Wellengleichung (10.141) ist die Wärmeleitungsgleichung (10.150) nicht mehr invariant bei einer Zeitumkehr. 200 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE T (x, 0) x uns zunächst auf eine Dimension. Entsprechend (10.157) [zusammen mit(10.155)] gilt 2 T (x, t) = dα eαx+λα t β(α). (10.158) Die Temperaturverteilung zum Zeitnullpunkt (t = 0) ist dann T (x, 0) = dα eαx β(α). (10.159) Wir setzen α = ik und stellen T (x, 0) in Form eines Fourier-Integrals dar: T (x, 0) = dk eikx T (k), 1 dx e−ikx T (x, 0). T (k) = 2π Einsetzen von (10.162) in (10.158) liefert 1 2 dx dk e−ik(x −x)−λk t T (x, 0). T (x, t) = 2π Für das k-Integral ergibt sich 2 π − x) (x 2 dk e−ik(x −x)−λk t = exp − λt 4λt (10.160) (10.161) (10.162) (10.163) (10.164) 10.4. EVOLUTIONSGLEICHUNGEN 201 (t ≥ 0), und somit lautet (10.163) 1 (x − x)2 T (x, t) = √ . dx T (x , 0) exp − 4λt 4πλt (10.165) Betrachten wir speziell eine kastenförmige Anfangsverteilung T (x, 0) −l T (x, 0) = x l T0 0 f ür |x| ≤ l, f ür |x| > l. Wir setzen (10.166) in (10.165) ein und erhalten l 2 (x − x) T0 . dx exp − T (x, t) = √ 4λt 4πλt −l (10.166) (10.167) Im Grenzfall einer δ-artigen Anfangsverteilung, l → 0, T0 → ∞, 2lT0 = const., (10.168) geht (10.167) in 1 2lT0 T (x, t) = √ lim 4πλt l→0 2l über, d.h. 2 − x) (x dx exp − 4λt −l l 2lT0 x2 . T (x, t) = √ exp − 4λt 4πλt (10.169) (10.170) Offensichtlich gilt U0 = c̄A2lT0 ; 2lT0 = U0 Ac̄V (10.171) 202 KAPITEL 10. THERMODYNAMIK ALS FELDTHEORIE πT (x, t) 2 2T0 (1) 1.5 1 (2) 0.5 -4 -2 (3) 2 (4) x 4 l (A - Querschnittsfläche des betrachteten Raumbereichs der Länge 2l). Die Kurven in der Abbildung geben die Temperaturverteilung zu den Zeiten (τ = 4λt/l2) τ = 0.05 (1), τ = 0.5 (2), τ = 1 (3) und τ = 5 (4) an. Die Verallgemeinerung auf drei Dimensionen ist unschwer vorzunehmen. Aus dem eindimensionalen Fourier-Integral (10.158) [zusammen mit (10.160)] wird offensichtlich ein dreidimensionales Fourier-Integral. Dementsprechend geht (10.165) in 2 1 − r) (r T (r, t) = √ (10.172) d3 r T (r, 0) exp − 3 4λt ( 4πλt) über.