Grundlagen der Reibu..

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Grundlagen der Reibungstheorie: Das Coulombsche Reibungsgesetz
Klassische Reibungsmodelle: Theorie von Bowden und Tabor, Modell von Tomlinson
Reibung zwischen Festkörpern ist ein außerordentlich kompliziertes physikalisches Phänomen. Es
umfasst elastische und plastische Deformationen von Oberflächenbereichen der kontaktierenden
Körper, Mikrobrüche und die Wiederherstellung der Kontinuität des Materials, Anregung von
Elektronen und Phononen, chemische Reaktionen und Übertragung von Teilchen von einem Körper zum anderen. Umso erstaunlicher ist es, dass sich ein sehr einfaches „Reibungsgesetz“ formulieren lässt, das für viele Ingenieuranwendungen in erster Näherung reicht: Die Reibungskraft ist
proportional zur Normalkraft und so gut wie unabhängig von der Geschwindigkeit. Die erstaunlichste Eigenschaft der trockenen Reibung besteht darin, dass sie - in erster Näherung - weder von
der scheinbaren Kontaktfläche noch von der Rauhigkeit abhängt. Diese Eigenschaften erlauben
uns, den Begriff des Reibungskoeffizienten zu benutzen. Der Reibungskoeffizient gibt aber nur
eine sehr grobe erste Näherung der Reibungskraft. Diese Erkenntnis schlägt sich manchmal in der
Behauptung nieder, dass der Reibungskoeffizient „nicht existiert“. Einige Ingenieure sind nicht in
der ersten sondern in der zweiten und dritten Näherung interessiert. Der genaue Wert der Reibungskraft und Details ihrer Abhängigkeit von der Geschwindigkeit können eine kritische Rolle
für Ingenieuranwendungen spielen. Steigt die Reibungskraft auch nur leicht mit der Geschwindigkeit, so ist der Reibungsprozess in der Regel stabil. Nimmt sie mit der Geschwindigkeit leicht ab,
so stehen wir vor dem Problem des Quietschens, das viele Industriebranchen verzweifelt zu lösen
versuchen.
Leonardo da Vinci hat als erster die Reibungsgesetze experimentell untersucht und die oben genannten Gesetzmäßigkeiten formuliert, z.B. dass der Reibwiderstand proportional zum Gewicht
und unabhängig von der Kontaktfläche ist. Die letztere Eigenschaft hat er mit Hilfe der im Bild 1
gezeigten Experimente abgeleitet.
Bild 1. Aus einer Schrift von Leonardo da Vinci
Eine sehr genaue quantitative Untersuchung der trockenen Reibung zwischen festen Körpern hat
Charles Augustin Coulomb unternommen. Die trockene Reibung trägt verdient seinen Namen Coulombsche Reibung. Coulomb fasste Ergebnisse seiner Experimente in seinem Reibungsgesetz
FR = μ FN
(1.1)
zusammen, wobei FR die Reibungskraft und FN die Normalkraft sind. Er hat festgestellt, dass der
Reibungskoeffizient μ meistens weder von der Normalkraft FN noch von der Gleitgeschwindigkeit abhängt (solange diese nicht zu groß oder zu klein ist). Der Reibungskoeffizient ist auch von
der Kontaktfläche und von der Oberflächenrauhigkeit unabhängig.
Es war ebenfalls Coulomb, der Abweichungen von diesem einfachen Gesetz feststellte. So hat er
z.B. gefunden, dass die Haftreibungskraft mit der Zeit nach dem Stillstand wächst. In der Tabelle
sind die Daten von Coulomb angeführt. Im Bild 2 ist die Reibkraft über dem Logarithmus der Zeit
1
aufgetragen. In diesen Koordinaten ist das eine Gerade, was durch heutige Theorien gut erklärt
wird. Der Effekt ist technisch relevant. Er macht viel Ärger in Automobil-Aufhängesystemen, wo
die Haftreibung als Losbrechkraft bekannt ist.
FR=A+Bln(t)
Haftreibungskraft als Funktion der Zeit nach
dem Stillstand (C.A. Coulomb)
Haftreibungskraft als Funktion von ln(t/1min):
Experimentelle Daten von der nebenstehenden Tabelle
Bild 2.
Die lineare Abhängigkeit der Reibungskraft von der Normalkraft ist ebenfalls nur annähernd richtig. Der mit guter Genauigkeit linearen Abhängigkeit der Reibkraft von der Normalkraft für zwei
Papieroberflächen (Bild 3) steht eine oft nichtlineare Abhängigkeit für Polymere (Bild 4) gegenüber.
Bild 3
Es ist trotzdem erstaunlich, wie gut dieses Gesetz für sehr viele verschiedene Reibpaarungen erfüllt ist. Es gab viele Versuche, die Universalität und die Einfachheit des Gesetztes zu erklären.
Der eine Versuch war der von Greenwood. Obwohl die Theorie von Greenwood zu einer in guter
Nährung linearen Abhängigkeit der Kontaktfläche von der Normalkraft führt und somit - die gleiche Scherfestigkeit der Kontaktgebiete vorausgesetzt - zur linearen Abhängigkeit der Reibungskraft von der Normalkraft, hängt der Proportionalitätskoeffizient stark von der Geometrie der
Rauhigkeiten ab. Der Reibungskoeffizient wäre demnach sehr verschieden für geschliffene und
polierte Oberflächen, was aber meistens nicht der Fall ist.
2
Bild 4
Theorie von Bowden und Tabor
1949 haben Bowden und Tabor eine einfache Theorie vorgeschlagen, welche die Herkunft der
Gleitreibung zwischen reinen metallischen Oberflächen durch Bildung der Schweißbrücken erklärte. Wenn zwei Körper zusammengedrückt werden, so kommen sie in einigen Bereichen so
nahe aneinander, dass die Atome eines Körpers in Kontakt mit den Atomen des zweiten Körpers
kommen, während es erhebliche Bereiche gibt, in denen die Entfernung so groß ist, dass jegliche
interatomare Wechselwirkungen vernachlässigt werden können. Die Kontaktbereiche nennen wir
Brücken; die Gesamtfläche aller Brücken ist die reale Kontaktfläche A . Die restliche Fläche ist
meistens viel größer als die reale Kontaktfläche, gibt aber beinahe keinen Beitrag zur Gleitreibungskraft.
Wir haben gesehen, dass die reale Kontaktfläche in den meisten praktischen Fällen in guter Näherung abgeschätzt werden kann, indem wir annehmen, dass alle Mikrokontakte plastisch deformiert
sind und die Spannung gleich der Eindruckhärte σ c des Materials ist. Diese Annahme liefert für
die reale Kontaktfläche
A ≈ FN / σ c .
(1.2)
Ist zum Scheren einer Schweißbrücke eine Tangentialspannung τ c erforderlich, so ist die maximale Haftreibung
FH ,max = FN
τc
.
σc
(1.3)
Da die Scherfestigkeit für isotrope plastische Körper ca. 1/2 der Zugfestigkeit beträgt und diese
wiederum ca. 1/3 der Eindringhärte ist, sollte sich in der Regel eine universelle Abhängigkeit
1
1 1
FH ,max ≈ FN ergeben mit einem Reibungskoeffizienten μ ≈ ÷ . Viele Reibungskoeffizienten
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6 5
für nicht geschmierte metallische Paarungen (z.B. Stahl gegen Stahl, Stahl gegen Bronze, Stahl
gegen Grauguss u.a.) haben tatsächlich die Größenordnung μ ∼ 0.16 − 0.2 . Das gilt aber nicht für
3
reine Metalle, bei denen der Reibungskoeffizient typischerweise höher ist und eine Größenordnung von 0.5 bis 0.8 hat. Diese Abweichung ist wahrscheinlich auf die kristalline Anisotropie
reiner Metalle zurückzuführen, wodurch die oben aufgeführten Abschätzungen für plastisch isotrope Medien ungültig werden. Bei großen Drücken kann der Reibungskoeffizient zwischen reinen Metallen noch höhere Werte erreichen, was offenbar mit der plastischen Deformation und der
dadurch verursachten Änderung der Oberflächentopographie zusammenhängt. Die oben angeführte Abschätzung ist auch aus anderen Gesichtspunkten sehr grob. Ein Asperit, der sich schon im
Zustand an der Fließgrenze befindet, hat z.B. eine kleinere Scherfestigkeit als im anfänglich nicht
gespannten Zustand. Bereits die Gleichung (1.2) enthält viele Annahmen, die nicht exakt erfüllt
sind. So ist ein Teil der Asperiten nicht im plastischen Zustand und auch von denen, die im plastischen Zustand sind, ist ein Teil der Kontaktfläche nicht plastisch deformiert. Der plastische Zustand kann weiterhin streng genommen nicht als ein stationärer Zustand angenommen werden:
Wegen des Kriechens erhöht sich die Kontaktfläche mit der Zeit (vergleiche die oben beschriebenen Experimente von Coulomb). Eine genauere Reibungstheorie sollte diese Aspekte in Betracht
ziehen.
Einen beeinduckenden Nachweis zu einer nur schwachen Abhängigkeit der Reibungskraft (und
des Verschleißes) von der Rauhigkeit liefern Experimente mit der Übertragung von radioaktiven
Elementen. Im Bild 5 sind die Ergebnisse eines Experimentes dargestellt, in dem ein radioaktiver
Kupferklotz über eine Kupferplatte gezogen wurde, die in einem Teil eine Rauhigkeit von 25nm
und im anderen Teil eine zwanzigmal größere Rauhigkeit von 500 nm hatte. Diese großen Unterschiede in der Rauhigkeit haben aber beinahe keinen Einfluss auf den Materialtransfer von einem
Körper zum anderen (den man sich durch die anschließende Messung der Radioaktivität veranschaulichen kann). Die Rauhigkeit hat nicht einmal einen Einfluss auf die Größe der Kontaktgebiete. Dies ist auf den ersten Blick nicht verständlich, da die mittlere Fläche eines Mikrokontaktgebietes nach der Greenwoodschen Theorie ca. Rh beträgt, wobei R der mittlere Krümmungsradius und h die mittlere Höhenstreuung (diese Abschätzung gilt auch für plastische Kontakte).
Somit sollte die Kontaktfläche von der Oberflächentopographie abhängen. Die Konstanz der Größe der Kontaktgebiete bedeutet, dass für die glatteren Oberflächen der mittlere Krümmungsradius
sich in genau dergleichen Proportion vergrößert wie sich die Höhenstreuung vermindert. Die Ursachen dafür sind in den Mechanismen des Polierens zu suchen (siehe das Kapitel über den adhäsiven Verschleiß).
Bild 5.
4
Tomlinson-Modell für trockene Reibung
Während die Theorie von Bowden and Tabor höchstwahrscheinlich den richtigen Weg zum Verständnis der trockenen Reibung von Metallen auf der makroskopischen Skala liefert, sind die Gesetzmäßigkeiten und die Mechanismen der Reibung auf der atomaren Skala verschieden von den
eben beschriebenen. In den letzten Jahren standen die Forschungen der atomaren und NanoskalaMechanismen im Zentrum der Reibungsforschung. Das war bedingt zum einen durch die neuen
experimentellen Methoden (Atomkraftmikroskopie, Quartz-Kristall-Mikrowaagen, surface force
apparatus) als auch mit der raschen Entwicklung numerischer Simulationsmethoden.
Eines der populärsten Modelle, das in unzähligen Varianten zur Modellierung von Prozessen auf
der atomaren Skala eingesetzt wird, ist das Tomlinson-Modell [4]. Ungeachtet der Einfachheit,
beschreibt es viele wesentliche Merkmale der trockenen Reibung und wurde in der letzten Zeit
mit verschiedenen Variationen intensiv in der Reibungsphysik ausgenutzt (siehe z.B. [5-8]).
F
Bild 6. Ein Körper in einem periodischen Potential.
Betrachten wir eine eindimensionale Bewegung eines Körpers in einem periodischen Potential in Anwesenheit einer linearen Dämpfung. Die Bewegungsgleichung des Körpers hat die
Form
mx = F − η x − N sin(2π x / a) ,
(1.4)
wobei x die Koordinate des Körpers, m seine Masse, F die auf den Körper wirkende äußere
Kraft, η der Dämpfungskoeffizient, N die Amplitude der periodischen Kraft und a die Wellenlänge des periodischen Potentials sind. Das Modell von Tomlinson beschreibt viele wesentliche Eigenschaften der trockenen Reibung. In der Tat, müssen wir an den Körper eine
bestimmte Mindestkraft anlegen, damit eine makroskopische Bewegung überhaupt beginnen
kann. Diese Mindestkraft wird von uns makroskopisch als Haftreibung empfunden.
a
b
Bild 7. a: Abhängigkeit der momentanen Geschwindigkeit von der (linear mit der Zeit steigenden) Kraft, b: makroskopisches Reibungsgesetz: Abhängigkeit der mittleren Geschwindigkeit von
der Kraft.
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Ist nun der Körper in Bewegung und nehmen wir die Kraft zurück, so wird sich der Körper
im allgemeinen auch bei einer kleineren Kraft als der Haftreibungskraft bewegen, da er einen
Teil der nötigen Energie dank seiner Trägheit aufbringen kann. Makroskopisch bedeutet
dies, dass die Gleitreibung kleiner als die Haftreibung sein kann, was ebenfalls ein sehr oft
auftretendes Merkmal der trockenen Reibung ist. Die statische Reibungskraft im Modell
(1.4) ist gleich N.
Jede makroskopische Bewegung des Körpers in diesem Modell - auch eine gleichmäßige
Bewegung - ist vom mikroskopischen Gesichtspunkt eine Superposition einer Bewegung mit
einer konstanten Geschwindigkeit und von periodischen Schwingungen, wie auf dem Bild 7a
gezeigt. Auf diesem Bild sind Ergebnisse einer numerischen Integration der Gleichung (1.4)
dargestellt. Die tangentiale Kraft änderte sich von Null bis zu einem maximalen Wert größer
als die statische Reibungskraft und nahm danach ab. Die Kurve zeigt die momentane Geschwindigkeit als Funktion der momentanen Kraft. Nachdem die kritische Kraft erreicht wird,
beginnt sich der Körper mit einer endlichen makroskopischen Geschwindigkeit zu bewegen,
die grob linear proportional zur Kraft steigt. Bei der Abnahme der Kraft bleibt der Körper in
Bewegung auch bei Kräften kleiner als Haftreibungskraft. Bei einer kritischen Geschwindigkeit hört die makroskopische Bewegung auf, der Körper macht einige Schwingungen in einem Potentialminimum und kommt zum Stillstand.
Auf der makroskopischen Skala empfinden wir die mikroskopischen Schwingungen nicht.
Die oben beschriebene Bewegung stellt vom makroskopischen Gesichtspunkt einen
quasistationären Reibungsprozess dar. Die Abhängigkeit der mittleren Geschwindigkeit von
der angelegten Kraft wird vom makroskopischen Beobachter als makroskopisches
Reibungsgesetz empfunden (Bild 7b).
Bei großer Dämpfung kann man das Reibungsgesetz analytisch berechnen:
F = N 2 + (η x
)
2
.
Im allgemeinen Fall führen wir in (1.4) neue Variablen ein:
x = ξx , t =τt .
(1.4) nimmt dann die folgende Form an
x′′
x′
mξ 2 = F − ηξ − N sin(2πξ x / a ) ,
τ
τ
(1.5)
(1.6)
(1.7)
oder
x′
N
F
+τ 2
sin(2πξ x / a ) = τ 2
mτ
mξ
mξ
Wir wählen
N
= 1.
2πξ / a = 1 , τ 2
(1.8)
mξ
Die Gleichung (1.7) erhält die Form
a
F
⋅ η x′ + sin( x ) = ,
x′′ +
(1.9)
2π Nm
N
In den neuen Variablen enthält die Gleichung nur zwei Parameter
F
a
(1.10)
κ1 =
⋅ η und κ 2 = .
N
2π Nm
Der Charakter der Bewegung in den dimensionslosen Koordinaten x, t hängt nur von der Lage
des Systems auf der Parameterebene (κ 1 , κ 2 ) ab. Im Bild 7 ist schematisch das Phasenportrait des
Systems dargestellt.
x′′ + ητ 2
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F
N
Fs
Fk
η
2π mN / a
Bild 7.
Die horizontale Linie F / N = 1 stellt die statische Reibungskraft dar. Sie trennt den Bereich, in
dem das ursprünglich unbewegliche System weiterhin unbeweglich bleibt. Die untere Kurve stellt
die kritische (minimale) kinetische Reibungskraft dar. Oberhalb dieser Kraft bleibt das System,
das in Bewegung versetzt wurde, weiterhin in Bewegung. Bei kleineren Kräften kommt das
System zum Stillstand. Zu bemerken ist, dass die Kräfte Fs und Fk nur bei ausreichend kleinen
Dämpfungen im System verschieden sind. Erreicht der Parameter κ 1 =
a
⋅ η einen
2π Nm
kritischen Wert ( ∼ 1 ), so werden beide kritische Werte gleich.
Eine wichtige Eigenschaft des Tomlinson-System bei kleinen Dämpfungen besteht darin, dass es
ein bestimmtes Kräfteintervall gibt, in dem sich das System in einem von zwei Zuständen
befinden kann. Entweder ist es im Ruhezustand oder es ist im Bewegungszustand. Im ersten Fall
ist nur die konservative periodische Kraft von Bedeutung, im zweiten Fall ist die Geschwindigkeit
praktisch proportional zur Kraft (siehe Bild 7a). Das bedeutet, dass in diesem Zustand praktisch
nur die viskosen Kräfte von Bedeutung sind. Wir können von einem „viskosen Zustand“ reden.
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