Lernen und Gedächtnis Brand und Markowitsch 1 Lernen und Gedächtnis M. Brand und H. J. Markowitsch „Gedächtnis verbindet die zahllosen Einzelphänomene zu einem Ganzen, und wie unser Leib in unzählige Atome zerstieben müsste, wenn nicht die Attraktion der Materie ihn zusammenhielte, so zerfiele ohne die bindende Macht des Gedächtnisses unser Bewusstsein in so viele Splitter, als es Augenblicke zählt.“ (Ewald Hering, 1870). 1 Einführung Das Zitat von Ewald Hering [6] fasst treffend die Einzigartigkeit und die besondere Bedeutung des Gedächtnisses für menschliches Erleben und Verhalten zusammen. Es ermöglicht uns, verschiedene Sinneseindrücke wie optische, akustische oder auch Geruchsempfindungen längerfristig zu speichern und in neuen Situationen zu erinnern. Auch erlaubt uns unser Gedächtnis Fakten zu lernen, beispielsweise in der Schule, und persönliche Erfahrungen gekoppelt mit den entsprechenden Gefühlen einzuspeichern und abzurufen. Wie selbstverständlich können sich die meisten Menschen an ihr letztes Weihnachtsfest erinnern und dabei detailgenau Situationen beschreiben, in denen sie mit Freunden oder Verwandten beisammen waren, gelacht oder auch gestritten haben. In der psychologischen und neurowissenschaftlichen Forschung wird Gedächtnis seit langem nicht als einheitliches Phänomen verstanden, sondern in verschiedene Teilformen untergliedert. Gedächtnisleistungen können hinsichtlich Zeit, Inhalt und entsprechend der beteiligten Prozesse unterteilt werden (Einführung und Überblick in [11]). 2 Zeitliche Einteilung des Gedächtnisses Zunächst kann man Gedächtnis entlang der Zeitachse in Ultrakurzzeit-, Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis unterteilen (vgl. [1]). Das Ultrakurzzeitgedächtnis umfasst eine Zeitspanne von Millisekunden und speichert Wahrnehmungserlebnisse (z.B. Gesehenes oder Gehörtes). Sinneseindrücke werden so für kurze Zeit „festgehalten“, weswegen man die Inhalte des Ultrakurzzeitgedächtnisses auch sensorisches Print (Print = Druck) nennt. Das Kurzzeitgedächtnis wird in der Psychologie – anders als im Alltagssprachgebrauch – auf eine Zeitdauer von Sekunden (in der Regel 20 – 40 Sekunden) bis maximal sehr wenige Minuten reduziert. Im Kurzzeitgedächtnis werden ungefähr sieben plus/ minus zwei Informationseinheiten gespeichert. Ein Beispiel für eine Kurzzeitgedächtnisleistung ist das Wählen einer Telefonnummer, die wir kurz zuvor gehört haben. Anschließend werden die Informationen entweder vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis übertragen oder sie werden nicht weiter verarbeitet und somit „vergessen“. Das Langzeitgedächtnis ist (theoretisch) hinsichtlich der Aufnahmekapazität (Anzahl an gespeicherter Information) und der Dauer der Speicherung unbegrenzt. Das bedeutet, dass wir unser Leben lang neue Informationen aufnehmen und behalten können, ohne dass dadurch bereits gelernte Inhalte gelöscht werden müssen (ähnlich wie bei einem Computer mit scheinbar unendlich großer Festplatte). Zwischen dem Kurzzeit- und dem Langzeitgedächtnis wird eine Art Schnittstelle – das Arbeitsgedächtnis –angenommen. Im Arbeitsgedächtnis (das erst später den Annahmen einer zeitlichen Einteilung des Gedächtnisses hinzugefügt wurde) werden eingegangene Informationen „bearbeitet“ (z.B. kann eine Telefonnummer, die man gehört hat, intern wiederholt werden oder es können Assoziationen zu den Zahlen gebildet werden) und dadurch für eine längerfristige Abspeicherung im Langzeitgedächtnis präpariert. Zudem können auch Informationen aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen und im Arbeitsgedächtnis weiterverarbeitet, d.h. verändert werden. Das Arbeitsgedächtnis operiert hierbei mit zwei unabhängig voneinander agierenden Subsystemen: einer phonologischen Schleife und einem Lernen und Gedächtnis Brand und Markowitsch 2 visuell-räumlichen Notizblock. Die phonologische Schleife bearbeitet auditive (gehörte) Informationen. Der visuell-räumliche Notizblock ist für visuelle (gesehene) Informationen zuständig. Es wird vermutet, dass eine zentrale Steuerungsinstanz die Aufmerksamkeit auf diese Subsysteme lenkt. Zusätzlich füge ein „episodischer Puffer“ die eingehenden Reize und Inhalte aus dem Langzeitgedächtnis, die aktuell abgerufen werden, zu einer kurzfristigen kohärenten Episode zusammen. Eine weitere Einteilung des Gedächtnisses entlang der Zeitachse, die insbesondere bei der Untersuchung von Patienten mit Gedächtnisstörungen von Bedeutung ist (vgl. Beitrag Gedächtnisstörungen von Brand und Markowitsch in diesem Heft), ist die in Neugedächtnis und Altgedächtnis. Bei gesunden Personen kann man einen beliebigen Zeitpunkt festmachen und alles, was die Person bis dahin gelernt hat, ist Inhalt des Altgedächtnisses (z.B. bislang angeeignetes Schulwissen, alle persönlichen Erfahrungen der Vergangenheit). Diejenigen Inhalte, die ab einem beliebigen Zeitpunkt neu gelernt werden, bilden das Neugedächtnis. Entsprechend können auch Gedächtnisstörungen differenziert werden, wobei hierbei meist ein kritisches Ereignis (z.B. ein Unfall mit der Folge eines Schädel-Hirn-Traumas) den Zeitpunkt der Trennung in Neu- und Altgedächtnis darstellt. Liegen die Einbußen primär im Bereich der Neugedächtnisbildung, d.h. hat der Patient Schwierigkeiten neue Informationen zu lernen, bezeichnet man dies als anterograde Amnesie. Ist hingegen vor allem der Abruf von Inhalten des Altgedächtnisses aus der Zeit vor dem kritischen Ereignis betroffen, spricht man von retrograder Amnesie. 3 Inhaltliche Einteilung des Gedächtnisses Wie bereits eingangs beschrieben, umfasst das menschliche Gedächtnis eine Fülle verschiedenartiger Informationen, die entsprechend ihrer inhaltlichen Zugehörigkeit zusammengefasst und von anderen Gedächtnisinhalten differenziert werden können. So ist das Lernen und spätere Ausführen bestimmter Handlungen – beispielsweise Skifahren – eine andere Gedächtnisleistung als zum Beispiel das Lernen von Fakten des allgemeinen Weltgeschehens und Schulwissen. Eine der bekanntesten Gedächtnistheorien zur inhaltlichen Unterteilung des Langzeitgedächtnisses geht auf Endel Tulving zurück (vgl. [16]) und wurde unlängst erweitert [12]. Hier werden fünf Systeme des Langzeitgedächtnisses angenommen, die hierarchisch aufgebaut sind. Die unterste Ebene stellt das prozedurale Gedächtnis dar, in dem motorische Fertigkeiten und Routinehandlungen gespeichert sind. Als Beispiel hierfür sei Fahrradfahren oder Kaffee kochen genannt. Das nächst höhere Gedächtnissystem ist das Primingsystem. Unter Priming wird eine höhere Wiedererkennensleistung von zuvor (unbewusst) Wahrgenommenem verstanden. Wenn wir zum Beispiel eine uns unbekannte Melodie beiläufig im Radio hören und später einige Sequenzen dieser Melodie erneut wahrnehmen, können wir diese Tonsequenzen wiedererkennen und der zuvor gehörten Melodie zuordnen. Das perzeptuelle Gedächtnis umfasst das bewusste Erkennen von Objekten oder Geräuschen alleine aufgrund ihrer wahrnehmbaren Charakteristika. Dabei ist es nicht notwendig (und für manche Patienten mit Gedächtnisstörung auch nicht möglich), das zum Beispiel gesehene Objekt richtig benennen zu können. Nur aufgrund der perzeptuellen Eigenschaften entsteht ein Bekanntheits- und Vertrautheitsgefühl. So kann man eine Frucht, die man schon einmal gesehen hat, von der man jedoch weder weiß, wie sie heißt, noch wie sie schmeckt, als bekannt einordnen. Das semantische Gedächtnis, das auch Wissenssystem genannt wird, beinhaltet das allgemeine Weltwissen und Fakten, die kontextfrei abgespeichert und erinnert werden. Die Tatsache, dass wir wissen, dass London eine Stadt in England ist (auch ohne bereits dort gewesen zu sein) oder dass Chlorophyll maßgeblich an der Photosynthese beteiligt ist, sind Beispiele für das semantische Gedächtnis. Persönliche Erlebnisse unserer Autobiographie sind im episodischen Gedächtnis abgespeichert. Inhalte dieses Gedächtnissystems haben immer einen Raum- und Zeitbezug und werden meist auch emotional bewertet. So könnten wir uns beispielsweise an unsere letzte Geburtstagsfeier Lernen und Gedächtnis Brand und Markowitsch 3 erinnern und dabei angeben, wann sie stattgefunden hat, wo wir gefeiert haben und welche Freunde da waren. Damit zählen weite Teile unserer Autobiographie zu episodischen Gedächtnisinhalten. Davon ausgenommen sind lediglich Fakten unserer Autobiographie, die zwar mit uns selbst zu tun haben, aber keinen Raum- und Zeitbezug des Erlernens aufweisen. Aus diesem Grund werden solche Fakten der eigenen Biographie dem autobiographischsemantischen Gedächtnis zugeordnet. Beispiele hierfür sind das eigene Geburtsdatum oder der Name der Straße, in der wir unseren ersten Wohnsitz hatten. Diese Informationen sind uns zwar bekannt, die meisten Menschen können sich jedoch nicht daran erinnern, wann sie davon erfahren haben bzw. diese Fakten gelernt haben. Abb. 1 fasst die fünf Langzeitgedächtnissysteme [12] nochmals zusammen. - hier etwa Abb. 1 einfügen – 4 Einteilung des Gedächtnisses nach beteiligten Prozessen Auf der Ebene der Gedächtnisprozesse unterscheidet man die Aufnahme von Informationen, die Einspeicherung (Enkodierung), die Konsolidierung (Festigung) und Ablagerung sowie den Abruf (vgl. [9,10]). Da wir von Sinneseindrücken aus der Umwelt und unserem eigenen Körper ständig überflutet werden, muss bereits bei der Aufnahme von Informationen und bei deren Aufbereitung für eine spätere Einspeicherung eine Auswahl getroffen werden. Hierbei wird auf Ebene des Ultrakurzzeitgedächtnisses entschieden, ob es sich für uns um relevante oder irrelevante Information handelt. Bei diesen Auswahlmechanismen spielen vor allem Aufmerksamkeitsprozesse eine wichtige Rolle, die ihrerseits mit emotionalen Bewertungen aufgrund vorheriger Erfahrungen interagieren. Angstbesetzte Reize werden beispielsweise schneller (und stärker) wahrgenommen als neutrale. Die ausgewählte Information kann anschließend eingespeichert werden, wobei wiederum Aufmerksamkeitsprozesse und emotionale Bewertungen die Einspeicherung beeinflussen. Die eingespeicherten Informationen werden im nachfolgenden Prozess der Konsolidierung in bereits bestehende Netzwerke von Gedächtniseinheiten eingebettet und so (sinnvolle) Assoziationen gebildet. Durch die Bildung von Assoziationen zwischen bestehenden Gedächtnisinhalten und dem zu lernenden Material wird das Gelernte längerfristig abgespeichert und kann später erinnert (abgerufen) werden. 5 Neuroanatomie des Gedächtnisses An der Bildung von Gedächtniseinheiten und dem Abruf von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis sind eine Vielzahl von Hirnstrukturen und Faserverbindungen netzwerkartig beteiligt. Streng genommen spielen nahezu alle Regionen im Gehirn für Gedächtnisprozesse eine Rolle. Dennoch gibt es einzelne Strukturen, die für bestimmte Gedächtnisprozesse wichtiger sind als andere. Solche Strukturen werden auch als „Flaschenhalsstrukturen“ bezeichnet (vgl. [2]), was meint, dass eine zu lernende Information durch bestimmte Strukturen verarbeitet werden muss, damit sie abgespeichert und erinnert werden kann. Erkenntnisse über die Bedeutsamkeit einzelner Hirnregionen für Gedächtnis konnten lange Zeit vor allem durch eine genaue Beschreibung von Patienten mit (selektiven) Hirnschäden gewonnen werden, bei denen aufgrund ihrer Läsion einzelne Gedächtnisleistungen beeinträchtigt sind (vgl. Beitrag Gedächtnisstörungen). Erst seit der Entwicklung moderner bildgebender Verfahren, die es erlauben, beim lebenden Menschen die Hirnaktivität während des Lösens bestimmter Aufgaben zu messen (z.B. die Positronenemissionstomographie [PET] oder die funktionelle Magnetresonanztomographie [fMRT]), kann man die an menschlichen Gedächtnisprozessen beteiligten Hirnregionen sichtbar machen (zu Methoden vgl. Beitrag xxx in diesem Heft,). An der Einspeicherung von Inhalten des episodischen und semantischen Gedächtnisses sind insbesondere Strukturen des limbischen Systems maßgeblich beteiligt. Die einzelnen Lernen und Gedächtnis Brand und Markowitsch 4 Strukturen und Faserverbindungen, die funktional als limbisches System zusammengefasst werden, sind anatomisch sowohl dem Telencephalon (Großhirn), dem Diencephalon (Zwischenhirn) als auch dem Mesencephalon (Mittelhirn) zuzuschreiben (eine Einführung in die Neuroanatomie findet sich in Kapitel 2 des Lehrbuchs von Pritzel, Brand und Markowitsch [15]). Die bekanntesten limbischen Strukturen sind die Amygdala (Mandelkern), die hippocampale Formation, der Gyrus cinguli, die Mammillarkörper, das Septum und als Faserverbindung der Fornix (vgl. Abb. 2). Daneben gibt es jedoch einige weitere Strukturen, die ebenfalls zum limbischen System gezählt werden, wie die anterioren Thalamuskerne und als Faserverbindung beispielsweise der mammillothalamische Trakt. Innerhalb des limbischen Systems werden für die Einspeicherung episodischer und semantischer Information zwei Schaltkreise differenziert: der Papezsche Schaltkreis und der basolateral-limbische Schaltkreis (vgl. Abb. 3). Papez selbst nahm an, dass die Strukturen des nach ihm benannten Schaltkreises vor allem an der Verarbeitung und Einspeicherung emotionaler Reize beteiligt seien [13]. Heute geht man jedoch davon aus, dass der Papezsche Schaltkreis für die Enkodierung sämtlicher Inhalte des episodischen und semantischen Gedächtnisses wichtig ist, während der basolateral-limbische Schaltkreis für die Einspeicherung emotionaler Informationen Bedeutung hat. Strukturen oder Faserverbindungen des limbischen Systems bzw. der beiden genannten Schleifen können selektiv oder umfassend geschädigt sein (z.B. bei Patienten mit Temporallappenepilepsie) was in der Folge zu Gedächtnisbeeinträchtigungen führen kann (vgl. Beitrag Gedächtnisstörungen). Des weiteren ist der präfrontale Cortex (das Stirnhirn) insofern an Einspeicherungsprozessen beteiligt, als dass er bei der Organisation des zu lernenden Materials (beispielsweise beim Sortieren von Reizen in bestimmte Kategorien, was die Einspeicherung erleichtert) involviert ist [3]. Da zudem der präfrontale Cortex eng mit Arbeitsgedächtnisleistungen in Zusammenhang gebracht wird und jede Einspeicherungsleistung auch eine Anforderung an das Arbeitsgedächtnis stellt, ist eine Beteiligung des präfrontalen Cortex bei Einspeicherungsprozessen nicht verwunderlich. In einer Reihe von Bildgebungsstudien (Überblick in [3]) konnte zudem gezeigt werden, dass die Einspeicherung von Inhalten umso besser ist, je organisierter und kategorisierter die zu lernenden Reize verarbeitet werden. Eine Kategorisierung von Reizen erleichtert die Verknüpfung mit bereits abgespeicherten Inhalten, so dass schneller und dauerhaft „sinnvolle“ Assoziationen gebildet werden können, was auch einen späteren Abruf erleichtert. Ist die zu lernende Information zusätzlich für das Individuum emotional bedeutsam, werden – wie bereits beschrieben – zusätzliche Hirnregionen (insbesondere die Amygdala [8]) bei der Einspeicherung aktiviert, und Assoziationen im Sinne von gefestigten Nervenzellverbindungen (vgl. unten) gestärkt. - hier etwa Abb. 2 und Abb. 3 einfügen Für die Enkodierung perzeptueller Gedächtnisinhalte werden neocorticale Regionen insbesondere die uni- und polymodalen Regionen des cerebralen Cortex (Großhirnrinde) – angenommen (unimodal = zuständig für eine Sinnesmodalität, z.B. für das Sehen; polymodal = zuständig für die Integration von Sinneseindrücken verschiedener Modalitäten, z.B. einen Vogel sehen sowie seinen Gesang hören und beide Informationen zum Objekt „Vogel“ zu integrieren). Priming ist, ebenso wie das perzeptuelle Gedächtnis, an uni- und polymodale Regionen des cerebralen Cortex gebunden, schließt vermutlich aber auch subcorticale Strukturen (z.B. die superioren Colliculi, Teile des Mittelhirns) mit ein. Für das Erlernen von Prozeduren (prozedurales Gedächtnis) sind die Basalganglien und das Cerebellum (Kleinhirn) sowie prämotorische Regionen des cerebralen Cortex relevant (prämotorisch = vor dem primären motorischen Cortex liegend). Lernen und Gedächtnis Brand und Markowitsch 5 Bei der Konsolidierung und Speicherung von Gedächtniseinheiten des episodischen und semantischen Gedächtnisses sind, wie bei der Einspeicherung auch, limbische Strukturen, insbesondere die hippocampale Formation, bedeutsam. Die Beteiligung limbischer Strukturen an der Konsolidierung und Abspeicherung dieser Information ist jedoch nicht einheitlich: Erstens ist die Bedeutung des limbischen Systems für episodische Inhalte weitaus größer als für semantische, zweitens ist von einem gewissen zeitlichen Gradienten auszugehen, d.h. je länger die Informationsaufnahme zurückliegt, desto geringer ist die Beteiligung dieser Strukturen an der Abspeicherung bzw. dem Abruf [14]. Für beide Systeme gleichermaßen und recht zeitunabhängig wird als maßgeblicher Ablagerungsort von Informationen der cerebrale Cortex gesehen, insbesondere die Assoziationscortices (Regionen der Großhirnrinde, in denen Informationen unterschiedlicher Sinnesmodalitäten, emotionale Aspekte und Erfahrungen integriert werden). Die Ablagerung von Inhalten der anderen drei Langzeitgedächtnissysteme findet räumlich in der Nähe ihrer Einspeicherung statt, d.h. für perzeptuelle Informationen und Priming im Bereich uni- und polymodaler Regionen des cerebralen Cortex und für prozedurale Inhalte im Bereich der Basalganglien, des Cerebellums und prämotorischer Cortexareale. Das Erinnern, also der Abruf von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis, ist wiederum abhängig vom Inhalt des zu Erinnernden. Für episodische und semantische Abrufleistungen ist der präfrontale Cortex und der anteriore Pol des Temporallappens wichtig. Beide Hirngebiete sind über den Fasciculus uncinatus miteinander verbunden, der geschlechtsunabhängig in der rechten Hirnhälfte stärker ausgeprägt ist. Dieser Befund unterstützt die frühere Annahme von Tulving und Mitarbeitern [17], dass für den Abruf (vor allem episodischer Inhalte) die rechte Hirnhälfte wichtiger sei als die linke. Zusammengefasst wurde diese Vermutung im sogenannten HERA-Modell (Hemispheric Encoding Retrieval Asymmetry), das jedoch unlängst zumindest in Teilen revidiert wurde [4]. Zudem sind am Abruf vor allem episodischer Informationen Strukturen des limbischen Systems (insbesondere der rechten Hemisphäre) beteiligt. Der Abruf perzeptueller, prozeduraler sowie geprimter Informationen bezieht wiederum die Regionen der Einspeicherung und der Ablagerung der Inhalte dieser Gedächtnissysteme ein. Einen Überblick über die an den verschiedenen Prozessen der einzelnen Gedächtnissysteme beteiligten Strukturen und Hirnregionen gibt Tabelle 1. - hier etwa Tab. 1 einfügen 6 Zelluläre Grundlagen von Lernen und Gedächtnis und deren Beeinflussung Auf zellulärer Ebene galt lange die Vorstellung von Hebb [5], dass eine Übertragung von Informationen aus dem Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis auf einer zirkulierenden Aktivität von Neuronen in unzähligen Schleifen beruht (vgl. Abb. 4), was letztlich zu strukturellen Änderungen dieser Nervenzellen führe. Durch solche Änderungen, so die Annahme, würden die Verbindungen zwischen Nervenzellen gestärkt. Eine solche Stärkung synaptischer Verbindungen wurde selbst für einfache Verschaltungen zwischen sensorischen Zellen und Motoneuronen beschrieben (vgl. Arbeiten von Eric Kandel, z.B. [7], dem im Jahr 2000 für seine Forschungen im Bereich der zellulären Informationsverarbeitung der Nobelpreis für Medizin verliehen wurde). Die frühen Hebb’schen Vermutungen von sich selbst verstärkenden Nervenzellaktivitäten wurden durch die Entdeckung und Beschreibung der Langzeitpotenzierung (LTP) bei Nervenzellen zunächst bestätigt. Unter Langzeitpotenzierung wird eine länger anhaltende Feuerrate von Nervenzellen verstanden, die auf der postsynaptischen Seite zu einer Kaskade biochemischer Reaktionen führt (insbesondere durch die Aktivierung von sogenannten second messengers) und dadurch beispielsweise die Dichte postsynaptischer Rezeptoren regulieren kann (vgl. [15]). Durch eine erhöhte Dichte postsynaptischer Rezeptoren für bestimmte Transmittersubstanzen (z.B. für Glutamat) wird Lernen und Gedächtnis Brand und Markowitsch 6 die synaptische Verbindung dieser Nervenzellen gestärkt, was eine erneute Erregung wahrscheinlicher macht. Mittlerweile nimmt man an, dass neben der Langzeitpotenzierung als mögliche zelluläre Grundlage für Lernen auch die (gezielte) Unterdrückung von Nervenzellaktivität (Langzeitdepression, LTD) entscheidend sein könnte. - hier etwa Abb. 4 einfügen Neurochemisch spielt bei der Langzeitpotenzierung das glutaminerge System die entscheidende Rolle, wobei dem postsynaptischen glutaminergen NMDA-Rezeptor (NMDA ist die Abkürzung für N-Methyl-D-Aspartat) aufgrund seiner biochemischen Besonderheiten die größte Bedeutung zukommt. Dieser ionotrope (kanalgekoppelte) Rezeptor ist leitfähig für Natrium (Na+), Kalium (K+) und Calcium (Ca++). Zudem ist er nicht nur ligandengesteuert (d.h. abhängig von der Interaktion mit seinem vorrangigen Botenstoff L-Glutamat), sondern auch spannungssensitiv. Diese Eigenschaften machen den NMDA-Rezeptor sehr effizient, da nach Öffnen des Ionenkanals durch den gleichzeitigen Einstrom von Na+ und Ca++ schnell hohe exzitatorische postsynaptische Potentiale entstehen können. Gleichzeitig ist der NMDARezeptor sehr spezifisch, da er sich nur öffnet, wenn zeitgleich L-Glutamat, Glycin und Zink gebunden sind und zusätzlich eine Spannungsänderung an der Membran das Magnesium, das sich im Ruhezustand des Rezeptors im Inneren des Kanals befindet, „heraustreibt“. Seine im aktiven (geöffneten) Zustand große Durchlässigkeit für Ionen, die ein erregendes postsynaptisches Potential hervorrufen können, und seine Spezifität machen den NMDARezeptor für die Langzeitpotenzierung so bedeutsam. In der hippocampalen Formation (besonders in den sogenannten CA1-, CA2- und CA3-Regionen des Hippocampus, vgl. [15]) liegt eine hohe Dichte an NMDA-Rezeptoren vor (CA = cornu ammonis, Ammonshorn). Dies unterstreicht die Relevanz des Hippocampus für Lern- und Gedächtnisvorgänge, da durch eine hohe NMDA-Rezeptordichte die Basis für neuronales Lernen (in Form von Langzeitpotenzierung) besonders gut ist. Die zellulären Grundlagen für Lernen und Gedächtnis können durch viele Faktoren beeinflusst werden, beispielsweise durch die Einnahme psychoaktiver Substanzen wie Alkohol. Akuter Alkoholkonsum modifiziert die Funktionsweise nahezu aller Botenstoffsysteme, wobei für alkoholinduzierte Gedächtnisminderungen besonders die Interaktion mit dem glutaminergen NMDA-Rezeptor sowie die mit dem GABAergen und dem cholinergen System verantwortlich zu sein scheint. Der NMDA-Rezeptor weist zwar keine eigene Bindungsstelle für Alkohol auf, Äthanol dockt aber vermutlich an der Glycinbindungsstelle an, was dazu führt, dass sich der NMDA-Rezeptor nicht öffnen kann, auch wenn sein natürlicher Ligand (L-Glutamat) gebunden ist. Der Rezeptor wird also durch Alkohol gehemmt, was in der Folge zu einer Unterdrückung der Langzeitpotenzierung und damit zu Lern- und Gedächtnisminderungen führen kann. Innerhalb des GABAergen Systems wird durch Alkohol vor allem die Aktivität eines bestimmten GABAergen Rezeptors - des GABAA-Rezeptors - verstärkt. Dieser Rezeptor vermittelt inhibitorische postsynaptische Potentiale, hemmt also die Nervenzellaktivität. Da GABAA-Rezeptoren auch vermehrt in Strukturen des limbischen Systems (hier vor allem Gyrus cinguli und Amygdala, vgl. Abb. 2) vorkommen, werden durch eine alkoholbedingte verstärkte Hemmung der Nervenzellaktivität auch die Lernleistung und – zumindest für episodische Gedächtnisleistungen – die Ablagerung und der Abruf beeinträchtigt. Auch das cholinerge System wird durch akuten Alkoholkonsum verändert und zwar derart, dass die Freisetzung des Transmitters Acetylcholin aus den präsynaptischen Endigungen von Nervenzellen reduziert wird. Acetylcholin ist ein wesentlicher Transmitter des vegetativen Nervensystems und an der Signalübertragung an neuromuskulären Synapsen beteiligt; daneben ist diese Substanz auch in viele Hirnfunktionen integriert. Acetylcholin wird beispielsweise von Strukturen des basalen Vorderhirns als Transmitter verwendet, die zusammen mit Teilen des limbischen Systems in Lernen und Gedächtnis Brand und Markowitsch 7 Einspeicherungsprozesse einbezogen sind (vgl. z.B. basolateral-limbischer Schaltkreis, Abb. 3). Wird die Freisetzung von Acetylcholin durch akuten Alkoholkonsum reduziert, kommt es entsprechend zu Störungen des Informationsflusses in den genannten Hirnregionen und funktionell zu Lernschwierigkeiten. Des weiteren beeinflusst Alkohol andere kognitive und nicht kognitive Funktionen, wie beispielsweise die Steuerung der Willkürmotorik durch seine Wirkungen auf Nervenzellen des Kleinhirns oder eine geänderte Emotionalität (geminderte Angst) durch eine erhöhte GABAerge Aktivität im Gyrus cinguli. Längerfristiger Alkoholkonsum kann zu erheblichen Hirnschäden führen. Dafür sind bestimmte Hirnregionen besonders anfällig, unter anderem der präfrontale Cortex (Stirnhirn), Teile des Diencephalons und das Cerebellum. Auch die verschiedenen Neuronentypen des Gehirns weisen eine unterschiedliche Anfälligkeit für Schäden in Folge eines längerfristigen Alkoholkonsums auf. Abbildung 5 veranschaulicht einen alkoholbedingten Untergang von Purkinjezellen des cerebellären Cortex (Kleinhirnrinde) bei einer Ratte. (Zu weiteren Hirn- und Verhaltensänderungen als Folge von dauerhaftem Alkoholkonsum vgl. auch Beitrag „Gedächtnisstörungen“) - hier etwa Abb. 5 einfügen Neben substanzinduzierten Gedächtnisminderungen, die am Beispiel von Alkohol veranschaulicht werden sollten, zu denen aber auch die Einnahme anderer psychoaktiver Stoffe führen kann (z.B. Cannabis und verschiedene Psychopharmaka wie Valium), gibt es auch Verbesserungen der Gedächtnisleistungen durch die Einnahme bestimmter Substanzen. Ein Beispiel hierfür ist Nikotin, da es die Interaktion zwischen Acetylcholin und dem postsynaptischen nicotinergen Acetylcholinrezeptor verstärkt. Des Weiteren kann eine Vielzahl psychischer und körperlicher Faktoren das Gedächtnis auf allen Ebenen (d.h. alle Systeme und Prozesse betreffend) begünstigen oder mindern. In diesem Zusammenhang ist Stress als wichtiger psychischer Faktor zu nennen, der sowohl das körperliche als auch das psychische Leistungsniveau eines Individuums beeinflussen kann. Leichter und zudem als positiv bewerteter Stress, der als Herausforderung angesehen wird und motivierend wirkt, kann Gedächtnisleistungen und andere kognitive Funktionen verbessern. Dauerhafter oder massiver Stress kann jedoch in erheblichem Ausmaß das Gedächtnis beeinträchtigen bzw. sogar dazu führen, dass Personen – zum Beispiel nach einem traumatischen Ereignis – ihre komplette Autobiographie „vergessen“. Beispiele für solche stressbedingten Gedächtnisverluste werden im zweiten Artikel von Brand und Markowitsch in diesem Heft beschrieben. 7 Anwendung der neurobiologischen Grundlagen von Lernen und Gedächtnis im Schulalltag Wie lassen sich nun die gewonnenen Erkenntnisse über Lernen und Gedächtnis aus neurobiologischer Perspektive auf den Schulalltag übertragen? Wie kann man die Gedächtnisleistungen von Schülern verbessern? Zunächst kann zwischen einer Reduzierung der Anforderungen an das Gedächtnis und einer gezielten Verbesserung einzelner Gedächtnisleistungen unterschieden werden. Beide Ansätze sind für das Vermitteln von Lerninhalten in der Schule wichtig. Es sollte beispielsweise eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die relevanten Inhalte geleistet werden, um die Anforderungen an das Gedächtnis zu verringern und dadurch eine bessere Behaltensleistung für wichtige Informationen zu begünstigen. Durch die Darstellung eines groben Überblicks über den zu lernenden Stoff zu Beginn einer Unterrichtsstunde (z.B. durch eine Übersichtsfolie über die folgenden Themen) werden Schüler auf die Aufnahme der Inhalte vorbereitet. Auch sollte das Ziel der Gesamtstunde definiert und die einzelnen zielführenden Schritte erläutert werden. Das genannte Vorgehen erfüllt zwei Funktionen: erstens verarbeiten Schüler unbewusst (im Lernen und Gedächtnis Brand und Markowitsch 8 Sinne von Priming) bereits die wesentlichen Aspekte, was eine Bahnung für eine spätere tiefe Verarbeitung bedeutet. Zweitens dienen Überblick und Zieldefinition auch als Strukturierung bei der Einspeicherung, was eine tiefere Verarbeitung im Sinne der Bildung geeigneter Assoziationen wahrscheinlicher macht. Bei der Vermittlung neuer Inhalte sollte stets auf bereits vorhandenes Wissen und persönliche Erfahrungen zurückgegriffen werden, um die Bildung sinnvoller Assoziationen zwischen dem zu lernenden Material und den Inhalten des Langzeitgedächtnisses zu erleichtern (vgl. Prinzipien der Einspeicherung). Auch können externe Strukturierungshilfen (z.B. Gliederungen, Übersichtsschemata, vgl. oben) die Organisation des zu Lernenden verbessern und dadurch die Einspeicherung sowie den späteren Abruf begünstigen. Wichtige Inhalte sollten wiederholt werden (z.B. durch gezielte Fragen zum Thema). Dadurch werden bereits bestehende Assoziationen gefestigt (vgl. Konsolidierung) und eine längerfristige Abspeicherung erleichtert. Durch anschauliche Präsentationen (Folien, Tafelbilder) können komplexe Themen zunächst vereinfacht dargestellt werden, um sodann die Aufmerksamkeit auf einzelne Details zu lenken. Eine Visualisierung der Lerninhalte (Schaubilder, Schemata) spricht zudem eine zweite Modalität an, was eine „doppelte“ (auditive und visuelle) Einspeicherung ermöglicht. Ein Medienwechsel (z.B. von Tafel zu Folienpräsentation oder Filmausschnitt) sollte eingesetzt werden, um die Aufmerksamkeit von einer Information auf neue Inhalte gezielt zu richten. Dies erleichtert beispielsweise die Bildung einer kohärenten Episode mit Raum-, Zeit und Situationsbezug („Information XY in der ersten Hälfte der Unterrichtsstunde in einem Filmausschnitt gesehen“), so dass die Information ins episodische Langzeitgedächtnis übertragen wird. Der Kontext der Informationsaufnahme kann später als Abrufhilfe fungieren. Beispielsweise können sich Schüler später daran erinnern, welche Information sie im Film und welche sie auf einer Folie gesehen haben und wie diese Inhalte vom Lehrer kommentiert wurden (Situationsbezug). Bei der Abfrage/ Überprüfung des Gelernten kann der Lehrer, wenn einem Schüler nicht sofort die richtige Antwort einfällt, durch die Gabe von Hinweisreizen (z.B. Stichworte), die sich auf die Situation des Einspeicherns (Kontext der Informationsaufnahme) beziehen, die Erinnerungsleistung des Schülers verbessern. Dadurch wird zugleich die gelernte Information erneut und gefestigt abgespeichert (Prinzip der ReEnkodierung, d.h. die erneute Einspeicherung unter Berücksichtigung der Abrufsituation). Wenngleich der Wechsel von Medien aufmerksamkeits- und gedächtnisförderlich ist, sollte er stets bewusst erfolgen und angekündigt bzw. kommentiert werden. Zu häufige Wechsel der Präsentationsmedien sind hingegen wenig förderlich bzw. sogar gedächtnismindernd, da mit einer erhöhten Interferenz (Überlappung, gegenseitige Beeinflussung) zu rechnen ist und einzelne Informationen nur schwer einer Episode bzw. einem Kontext zugeordnet werden können. Da emotionale bzw. emotional bewertete Inhalte besser eingespeichert und abgerufen werden können, ist es zudem wichtig, einen persönlichen Bezug zu den zu vermittelnden Inhalten herzustellen. Anschauliche Anwendungsbeispiele für den Lernstoff sind dabei hilfreich. Auch die Präsentation der Inhalte bietet Platz für die Einbindung emotionaler Aspekte (z.B. durch die sporadische Hinzunahme einer lustigen Abbildung oder eines kleinen Witzes). Der Lehrer kann zudem mittels der Schilderung des eigenen Bezugs zu den Lerninhalten im Sinne einer emotionalen Bewertung („eigenes Interesse“) die Begeisterung der Schüler wecken bzw. verstärken. Wesentlich ist auch, dass Schüler aufgefordert werden, selbst Bezüge zu ihren eigenen Erfahrungen herzustellen und diese zur Einspeicherung der Lerninhalte zu nutzen. Ebenso führen Diskussionen und Gruppenarbeiten zu spezifischen Themen zu einer tieferen Auseinandersetzung mit den entsprechenden Inhalten. Schwieriger Unterrichtsstoff kann zuerst durch den Einsatz von Lückentexten, Bildern oder Filmen implizit (unbewusst) vermittelt werden, bevor er anschließend explizit besprochen wird. Durch die Mechanismen des Primings (vgl. oben) werden die Schüler (unbewusst) auf Lernen und Gedächtnis Brand und Markowitsch 9 die Inhalte vorbereitet, so dass bei der späteren bewussten Verarbeitung ein Wiedererkennenseffekt eintritt, der die tiefere Verarbeitung der Informationen erleichtert und zu einer besseren längerfristigen Abspeicherung führen kann. Bei der Überprüfung des Gelernten ist zu beachten, dass Stress – insbesondere sozialer Stress – Gedächtnisleistungen mindern kann. Hierbei kann es unter Umständen sogar zu einer Blockade des Gedächtnisses kommen. In einem solchen Fall ist es wichtig, den Stress durch gezielte Interventionen zu reduzieren. Vor einer wichtigen Prüfung kann durch Entspannungsübungen der Stress gemindert und dadurch das Gedächtnis auf die folgenden Abrufanforderungen vorbereitet werden. Schüler, die beispielsweise unter Prüfungsangst leiden, sollten dazu angeleitet werden, selbst mit Entspannungstechniken schon während der Prüfungsvorbereitung zu arbeiten. Diese Anwendungsbeispiele zeigen, dass ein Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Gehirnregionen, Gedächtnissystemen und emotionaler Bewertung dazu beitragen kann, Wissen erfolgreich zu vermitteln. Literatur: [1] Atkinson, R.C. u. Shiffrin, R.M.: Human memory: a proposed system and its control processes. In K.W. Spence u. J.T. Spence (Hrsg.): The psychology of learning and motivation: Advances in research and theory, Vol. 2. Academic Press, New York (1968) S. 89-195 [2] Brand, M. u. Markowitsch, H.J.: The principle of bottleneck structures. In R.H. Kluwe, G. Lüer u. F. Rösler (Hrsg.): Principles of learning and memory. Birkhäuser, Basel (2003) S. 171-184 [3] Fletcher, P.C. u. Henson, R.N.A.: Frontal lobes and human memory: Insights from functional neuroimaging. 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Markowitsch, Physiologische Psychologie, Universität Bielefeld, Postfach 100131, 33501 Bielefeld Lernen und Gedächtnis Brand und Markowitsch 11 Abbildungslegenden Abbildung 1: Die fünf Langzeitgedächtnissysteme (modifiziert nach Abb. 15.7 von Pritzel, Brand und Markowitsch [15]). Abbildung 2: Die wichtigsten Strukturen des limbischen Systems. Abbildung 3: Der Papezsche Schaltkreis (A) und der basolateral-limbische Schaltkreis (B). Die Informationen „zirkulieren“ innerhalb des Papezschen Schaltkreises von der hippocampalen Formation über Fornix zu den Mammillarkörpern (und Septum), von dort aus über den mammillothalamischen Trakt zu den anterioren Kernen des Thalamus, weiter über die superioren thalamischen Pedunculi zum Gyrus cinguli und über das Cingulum zum Subiculum der hippocampalen Formation. Im Gegensatz dazu ist die basolateral-limbische Schleife etwas einfacher aufgebaut: die Informationen zirkulieren von der Amygdala über den ventralen amygdalofugalen Trakt zum mediodorsalen Kern des Thalamus und über die vorderen thalamischen Pedunculi zur Area subcallosa des basalen Vorderhirns, von wo aus sie über die Bandeletta diagonalis zur Amygdala projiziert werden. Abbildung 4: Die Vorstellungen von Hebb zur Übertragung von Informationen vom Kurzzeitins Langzeitgedächtnis. Angenommen wird, dass Reize Nervenzellen aktivieren, die auf einen geschlossenen Kreis von Neuronen projizieren und damit eine zirkulierende Aktivität dieser Nervenzellen herbeiführen. Durch diese, in endlosen Schleifen verlaufende Aktivität werden synaptische Verbindungen zwischen den Nervenzellen und andernorts gestärkt, was eine spätere Erregung durch den gleichen Reiz wahrscheinlicher macht und somit eine Gedächtnisspur stärkt (modifiziert nach Abb. 15.3 von Pritzel, Brand und Markowitsch [15]). Abbildung 5: Beispiel für Zelldegenerationen aufgrund längerfristigen Alkoholkonsums. Gezeigt sind Ausschnitte aus der Kleinhirnrinde einer Ratte, der über längere Zeit hohe Mengen Alkohol verabreicht wurden. Die schwarzen Pfeile zeigen an, wo Zellschäden vorliegen. Teil B ist eine Vergrößerung des Bereichs, der in A durch das Rechteck gekennzeichnet ist. In C ist wiederum ein Ausschnitt von B dargestellt. Auch hier zeigen die Pfeilspitzen auf „Gewebslücken“, die durch das alkoholbedingte Absterben von Nervenzellen (den Purkinjezellen der Kleinhirnrinde) entstehen (Reproduktion der Abb. 5.5 von Pritzel, Brand und Markowitsch [15] mit freundlicher Genehmigung von Autoren und Verlag). Lernen und Gedächtnis Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Brand und Markowitsch 12 Lernen und Gedächtnis Abb. 4 Abb. 5 Brand und Markowitsch 13