Prof. Dr. Klaus Mackscheidt Universität zu Köln Seminar für Finanzwissenschaft Staatstätigkeit und Staatsfinanzen Materialien zur Vorlesung Wintersemester 2007 / 2008 copyright 2007 Universität zu Köln Seminar für Finanzwissenschaft Prof. Dr. Klaus Mackscheidt Nachdruck auch auszugsweise verboten Inhalt: A Theorien des Budgets A.1 Öffentliche Güter ..............................................................3 ............................................................. 3 A.1.1 Unterscheidungsmerkmale zwischen privaten und öffentlichen Gütern...............................................3 A.1.2 Meritorische Güter ..............................................................9 A.1.3 Spektrum der Mischformen von öffentlichen und privaten Gütern ....................................................14 A.2 Die Nachfrage nach öffentlichen Gütern ............................................................15 A.3 Das Angebot an öffentlichen Gütern ............................................................17 A.4 Budgeting by voting ............................................................21 A.4.1 Arrows Unmöglichkeitstheorem („Possibility theorem“) ............................................................21 A.4.2 Die Mehrheitswahl ............................................................21 A.4.3 Andere Wahlverfahren ............................................................23 A.4.4 Zusammenfassende Beurteilung von Wahlverfahren ............................................................26 A.5 Ökonomische Theorie der Politik ............................................................27 A.5.1 Die Wicksellsche Einstimmigkeitsregel (K. Wicksell): ............................................................27 A.5.2 Das Modell von Buchanan/Tullock ............................................................27 A.5.3 Die Theorie der Konkurrenzdemokratie (J. Schumpeter, A. Downs):................................................29 A.5.4 Das Stimmenmaximierungsmodell (K. Häuser) ............................................................29 A.5.5 Das Medianwählermodell (Räumliches Demokratiemodell, A. Downs)............................................31 A.6 Ökonomische Theorie der Bürokratie (Niskanen) ............................................................33 A.6.1 Grundmodelle ............................................................34 A.6.2 Modellvarianten ............................................................36 A.7 Ökonomische Theorie der Kollektive (Buchanan, Olson) ............................................................38 A.7.1 Die optimale Clubgröße (Buchanan) ............................................................38 A.7.2 Die Erklärung der Entstehung von Gruppen (M. Olson) ............................................................40 B Der öffentliche Haushalt ............................................................42 B.1 Definition ............................................................42 B.2 Haushaltsfunktionen und Haushaltsgrundsätze ............................................................42 B.2.1 Haushaltsfunktionen ............................................................42 B.2.2 Haushaltsgrundsätze ............................................................42 B.3 Haushaltskreislauf und Haushaltssystematik ............................................................43 B.3.1 Der Haushaltskreislauf ............................................................43 B.3.2 Die Haushaltssystematik ............................................................44 B.4 Neuere Instrumente der Haushaltsplanung ............................................................44 B.4.1 Die mittelfristige Finanzplanung („Finanzplanung“) ............................................................44 B.4.2 Das PPBS („Planning Programming Budgeting System“) ............................................................45 C Öffentliche Einnahmen ............................................................................................................................. 46 C. 1 Übersicht über die öffentlichen Einnahmen........................................................................................ 46 C. 1.1 Das System der öffentlichen Einnahmen.................................................................................. 46 C. 1.2 Die Steuern: Übersicht und Gliederungsgesichtspunkte........................................................... 48 C.2 Grundprinzipien der Besteuerung..................................................................................................... 53 C. 2.1 Das Äquivalenzprinzip............................................................................................................ 53 C. 2.2 Das Leistungsfähigkeitsprinzip................................................................................................ 54 C. 2.3 Grundsätze der Besteuerung.................................................................................................... 58 C.3 Steuerwirkungen ............................................................................................................................... 59 C. 3.1 Steuerwirkungen im schematischen Ablauf.............................................................................. 59 C. 3.2 Steuerwirkungen - mikroökonomische Analyse........................................................................ 60 C. 3.2.1 Überwälzung.einer Mengensteuer.............................................................................. 61 1) Marktsituation einer vollständigen Konkurrenz..................................................... 61 2) Marktsituation eines Monopols.............................................................................. 64 C. 3.2.2 Gewinnsteuerüberwälzung......................................................................................... 64 1) .... im Polypol mit homogenen Gütern für einen intramaginalen Anbieter.............. 65 2) .... im Monopol ..................................................................................................... 67 3) .... im heterogenen Oligopol: Das Modell der geknickten Nachfragefunktion ........ 68 4) .... bei heterogenen Gütern im Polypol (monopolistische Konkurrenz): Das Modell der doppelt geknickten Nachfragefunktion...................................... 70 C. 3.3 Zusatzlast der Besteuerung..................................................................................................... C 3.3.1 Zusatzlast einer Mengensteuer.................................................................................... 71 71 C 3.3.2 Zusatzlast der Besteuerung des Arbeitseinkommens.................................................... 71 3 A Theorien des Budgets A.1 Öffentliche Güter A.1.1 Unterscheidungsmerkmale zwischen privaten und öffentlichen Gütern Gemeinsamer Konsum (Samuelson 1954) Wenn xi ein privates Gut und yi ein reines öffentliches Gut ist, dann gilt für die Nutzenfunktionen von A und B, daß die individuell bereitgestellten Einheiten des öffentlichen Gutes (yA, yB) von beiden Personen gleichermaßen genutzt werden können, formal: UA = f(xA, yA, yB) und UB = f(xB, yA, yB), wobei die Summierung der individuell bereitgestellten privater Güter (xA + xB = Σxi) ebenso die Gesamtmenge ergibt wie die Summierung der individuell bereitgestellten öffentlichen Güter (yA + yB = Σyi), letztere jedoch nicht die effiziente Menge ist (siehe „A 2. Die Nachfrage nach öffentlichen Gütern“). Ausschlußprinzip (Musgrave 1959) Wer ein öffentliches Gut herstellt - sei es ein Einzelner oder eine Gemeinschaft - kann nicht verhindern, daß alle weitere Menschen auch in den Besitz oder Genuß dieses Gutes kommen. Der Aktive kann die Passiven nicht ausschließen. Folge der Nichtausschließbarkeit vom Konsum bei reinen öffentlichen Gütern ist das Schwarzfahrerverhalten; denn warum sollte jemand aktiv werden, wenn er als Passiver ohne Mühe zum gleichen Ergebnis kommen kann. Nach dem Grad der Ausschließbarkeit wird unterschieden zwischen: 1. reinen öffentlichen Gütern 2. öffentlichen Gütern mit de facto Ausschluß (ungewollt) 3. öffentlichen Gütern mit manipulierbarem Ausschluß Nicht-Rivalitäts-Prinzip (Musgrave 1969) Nichtrivalität im Konsum herrscht, wenn ein weiterer Konsument keine zusätzlichen Kosten verursacht und den Nutzen bisheriger Konsumenten nicht beeinträchtigt. Im Extrem können unendlich viele Personen ein Gut unendlich oft nutzen, ohne daß es zu gegenseitigen Beeinträchtigungen kommt. Nichtrivalität gilt häufig nur für ein abgegrenztes Kollektiv, z.B. die Bürger eines Staates (Landesverteidigung) oder die Bewohner eines Stadtviertels (Parkanlage). Nach dem Ausmaß der Nichtrivalität kann man zwischen reinen öffentlichen Güter und Clubgütern unterscheiden. 4 Einordnung der Güter mit Hilfe der beiden Kriterien „Nicht-Rivalität“ und „Ausschluß“ Ausschluß Ausschluß durchführbar Ausschluß nicht durchführbar privates Gut öffentliches Gut mit Kapazitätsengpaß „Allmendegut“ Rivalität Rivalität gegeben Rivalität nicht gegeben politisch gewolltes („gekorenes“) öffentliches Gut „Mautgut“ reines („geborenes“) öffentliches Gut Unteilbarkeit (Buchanan 1967) Die meisten öffentlichen Güter sind nicht in kleine Einheiten aufspaltbar und deshalb nicht vermarktbar. Selbst die primitivste Versorgungsstufe mit einem öffentlichen Gut erzeugt bereits einen Aufwand, der über die Leistungskapazität eines einzelnen Vorsorgers hinausgeht (z.B. die Verteidigung einer Nation gegen Luftangriffe durch Abfangraketen, oder der Bau eines Deiches: Nur mit dem Deich um den eigenen Hof kann ein Bauer die Flugkatastophe nicht abwenden, andererseits kann er allein nicht die Großdeichanlage bauen, die erst den Schutz für alle bieten würde). Externe Effekte Ein externer Effekt ist eine Veränderung des Nutzens oder der Produktionskosten anderer Wirtschaftssubjekte, der nicht über eine Austauschbeziehung abgegolten wird. Unterscheidung: 1) Externe Effekte, die keinen staatlichen Handlungsbedarf auslösen 2) Externe Effekte, die eine optimale Allokation verhindern; hier ist eine politische Korrektur durch eine „Pigou-Steuer“ oder Subvention möglich 3) Externe Effekte als Kriterium zur Unterscheidung privater und öffentlicher Güter: Wegen externer Effekte fallen tatsächlich empfundene Nachfrage und durch Geld bekundete Nachfrage auseinander. Die Verschleierung der wahren Präferenzen ist umso intensiver, je stärker die externen Effekte sind. Bei einem reinen öffentlichen Gut kommt es zu einer totalen Verschleierung der wahren Präferenzen. 5 Pigou-Steuer zur Internalisierung externer Effekte am Beispiel von Autoabgasen P Ka Kext Nalt Ka + Kext R S Kext Q Ka T 0 Xt Nalt P X Xalt S Q }T p T Ka 0 Xt Xalt X Erläuterung: Nalt = Nachfrage nach Autos; Ka = Kosten eines "alten"Autos ohne Katalysator, Kext = zusätzliche externe Kosten der Benutzung alter Autos (z.B. Kosten der Luftverschmutzung durch Abgase); Xalt = nachgefragte alte Autos bei nicht internalisierten externen Kosten, Xt = „richtige“ Menge nachgefragter alter Autos bei internalisierten externen Kosten Tp = Pigousteuer, die die Kosten Ka anhebt und zur richtigen Nachfragemenge nach alten Autos führt Vermeidung externer Effekte durch Subvention von Katalysatorautos P Nalt vor Subvention Nalt nach S S T Ka X Xt Xalt 0 Erläuterung:Nalt nach S = nach Subvention für Katalysatorautos zurückgegegangene Nachfrage alten Autos mit dem gleichen Mengeneffekt wie bei einer Pigou-Steuer Tp; andere Symbole s.o. nach 6 Grenzkosten von Null Durch die Eigenschaft der Nicht-Rivalität bei öffentlichen Gütern sind die zusätzlichen Kosten der Nutzung weiterer Personen gleich Null: Nach der Grenzkosten = Preis-Regel ergibt sich in der Folge die Forderung, daß für reine öffentlichen Güter kein Preis für die Nutzung erhoben werden sollte. Diese Forderung kann ausgeweitetet werden auf private Güter, wenn die Erhebung eines Preises so hohe Transaktionskosten verursacht, daß der Marktpreis die Grenzkosten der Produktion erheblich übersteigen würde. Fall eines öffentlich bereitgestellten privaten Gutes: Sind die Transaktionskosten der Nutzung des Preismechanismus sehr hoch (Strecke CD), kann aus allokativen Gründen ein privates Gut als öffentliches Gut (P = 0) angeboten werden. Preis, Kosten A D P*Markt zusätzlicher Wohlfahrtsgewinn Transaktionskosten F C } 0 reine Produktionskosten B Qe Wohlfahrtsverlust E Q0 Qm Menge Erläuterung: 0C = reine Produktionskosten P*= 0D = Produktionskosten plus Transaktionskosten = Marktpreis Qe = Marktlösung Q0 = nachgefragte Menge, wenn das Gut öffentlich bereitgestellt wird mit einem kostendeckenden Preis von C und einem Wohlfahrtsgewinn ABE Qm = nachgefragte Menge, wenn das Gut zum Nulltarif bereitgestellt wird einem Wohlfahrtsverlust EFQm. Die Höhe des Wohlfahrtsverlustes EFQm hängt von der Preiselastizität der Nachfrage ab. Je größer die Preiselastizität, desto wichtiger ist eine Rationierung der Nachfrage, um die Wohlfahrtsverluste zu vermeiden. 7 Zusammenfassung der Überlegungen zum Fall eines öffentlich bereitgestellten privaten Gutes: 1. Warum muß man aus wohlfahrtstheoretischer Sicht überlegen, ob man ein privates (also marktfähiges) Gut wie ein öffentliches Gut anbietet? 1.) Weil öffentliche Güter üblicherweise ohne Preis (also zum Nulltarif) angeboten werden. 2.) Dann wird die Nachfrage aber bis zur Sättigungsgrenze ausgedehnt. 3.) Nur in unserem Fall ist öffentliche Bereitstellung vertretbar, da die Wohlfahrtsgewinne die Wohlfahrtsverluste übersteigen. 4.) Zeichne zur Kontrolle ein Gegenmodell mit sehr elastischer Nachfrage und sehr niedrigen Transaktionskosten! 2. Kann man die Falle der Wohlfahrtsverluste vermeiden, in dem man das Angebot rationiert (statt Qm nur Qo) und einen Preis Po festlegt? 1.) Ja, wenn die individuellen Konsumwünsche der durchschnittlichen Nachfrage sehr nahe sind. 2.) Nein, wenn die individuellen Nachfragekurven stark von der Durchschnittsnachfrage abweichen. 3.) Richtet sich der Staat an der Durchschnittsnachfrage aus, so erzeugt im Fall (2) neue Wohlfahrtsverluste. Ergebnis: starke Wohlfahrtsverluste für A, der eine Menge von Gütern bekommt und für sie bezahlt, die er kaum noch als nützlich empfindet; aber auch für B, der vorzeitig auf Gütermengen verzichten muß, für die er noch eine hohe Konsumrente empfangen hätte. P durchschnittliche Nachfragewünsche Po individuelle Nachfrage des B individuelle Nachfrage des A 0 QA Q* Überversorgung des A QB X Unterversorgung des B Erläuterung: QA = von A gewünschte Gütermenge zum Preis Po, QB = von B gewünschte Gütermenge zum Preis Po Q* = durchschnittlich gewünschte Gütermenge zum Preis Po = Überversorgung des A, Unterversorgung des B 8 Ergebnis: Starke Wohlfahrtsverluste für A, der eine Menge von Gütern bekommt und für sie bezahlt, die er kaum noch als nützlich empfindet; aber Wohlfahrtsverluste auch für B, der vorzeitig auf Gütermengen verzichten muß, für die er noch eine höhere Konsumentenrente empfangen hätte. Meritorische Güter Abgrenzung: Entgegen dem Postulat des methodologischen Individualismus versucht der Staat, den Konsum meritorischer Güter zu erhöhen, indem der Marktpreis dieser Güter durch eine Subvention gesenkt wird. Methodologischer Individualismus a) als Norm: Das Individuum ist allein entscheidungsberechtigt. Kein Staat und keine Gruppe soll in die souveränen Entscheidungen des Einzelnen eingreifen. b) als methodisches Prinzip: Gesellschaftliche Tatbestände sind auf Handlungen der Individuen zurückführbar. Es gibt keine von der individuellen Ebene losgelösten gesellschaftlichen Phänomene. Nicht die Kollektive handeln, sondern die Menschen in den Kollektiven. Wirkung einer Meritorisierung (preistheoretische Darstellung) Je größer die Preiselastizität der Nachfrage ist, desto wirksamer wird die Meritorisierung. p A L A’ C D K N’ N x H M Erläuterung: A = Angebot ohne Korrektur, A’= Angebot nach Meritorisierung, N = bekundete Nachfrage, N’ = vom Staat als optimal angesehene Nachfrage H = Konsummenge ohne Korrektur, M = vom Staat gewünschte Konsummenge Rechtfertigung einer Meritorisierung; drei Gründe: 1) verzerrte Präferenzen (= allokative Korrektur) 1 a) - wegen mangelnder Information 1 b) - wegen Irrationalität 2) spezifische Verteilungsziele (= distributive Korrektur) 3) Kuppelproduktion oder externe Effekte (= wohlfahrtstheoretische Korrektur) 9 Zu 1: Die Rechtfertigungsargumente werden von der überwiegenden Zahl der Ökonomen zurückgewiesen: Die Erhaltung der Konsumentensouveränität hat den höheren Rang vor der Meritorisierung. Zu 2: Die Effizienz meritorischer Güter: Die wohlfahrtstheoretische Zurückweisung des verteilungspolitischen (distributiven) Rechtfertigungsargumentes der Meritorisierung: a) Vergleich unter Berücksichtigung eines gleich hohen Transferbetrages Der Wohlfahrtszuwachs einer Mittelverwendung ist bei direkter Geldzahlung zur freien Verwendung („transfer in cash“) größer als bei Meritorisierung eines Gutes („transfer in kind“) Andere Güter E D N S” S S’ • M • L I2 • K 0 I3 • T T” T’ I1 A Meritorisches Gut Erläuterung: T = ursprüngliche Marktlösung, T’ = Nachfragemenge bei Meritorisierung des Angebotes, T’’ = Nachfragemenge bei gleich hohem Transfer zur freien Verwendung I1 = ursprüngliches Nutzenniveau des Transferempfängers, I2 = erreichbares Nutzenniveau bei Meritorisierung, I3 = erreichbares Nutzenniveau bei freiem Transfer 10 b) Vergleich unter Berücksichtigung einer gleich hohen Wohlfahrtssteigerung Der finanzielle Aufwand für eine gewünschte Wohlfahrtssteigerung ist bei direkter Geldzahlung („transfer in cash“) geringer als bei Meritorisierung („transfer in kind“) Andere Güter E D N S'' S S' M • • • N' L • •F I2 I1 L' • T T'' T' A B C Meritorisches Gut DE = NN‘ < LL‘ Erläuterung: T = ursprüngliche Marktlösung, T’ = Nachfragemenge bei Meritorisierung des Angebotes, T’’ = Nachfragemenge bei gleich hohem Transfer zur freien Verwendung I1 = ursprüngliches Nutzenniveau des Transferempfängers, I2 = erreichbares Nutzenniveau bei Meritorisierung und Transfer zur freien Verwendung Strecke LF = Einsparung an Transfermitteln bei Transfer zur freien Verwendung mit dem gleichen individuellen Wohlfahrtseffekt Die Effektivität meritorischer Güter: eine ungewohnte Betrachtung der distributiven Meritorisierung Eine gewünschte Ausweitung des Konsums wird durch eine Meritorisierung des Gutes effektiver erreicht als durch eine Zahlung eines Transfers zur freien Verwendung, weil die Transfermittel im ersten Fall nicht zweckfremd verwendet werden können. Eine Abwägung zwischen Geberpräferenzen (Konsumveränderung) und Nehmerpräferenzen (Nutzenmaximierung) ist notwendig. 11 Graphische Darstellung zur Effektivität meritorischer Güter X Wohlfahrt des Transferempfängers C F • A G• •E Y B X Nutzendiagramm des Transfergebers F' • E' • • G' I3 I I0 I1 2 Y Effizienz w2 w1 • v1 • v2 Zunahme der Effektivität Erläuterung: E (E’) = ursprünglicher Konsum, G (G’) = Konsum bei Meritorisierung, F (F’) = Konsummengen bei freiem Transfer I2 = Nutzenniveau des Gebers bei freiem Transfer, I3 = (höhreres) Nutzenniveau des Gebers bei Meritorisierung w1, v2 bzw. w2,v1 = Kombination von Wohlfahrtsniveaus des Gebers (Effektivität) und Wohlfahrtsniveaus des Nehmers (Effizienz) 12 Zu 3: Meritorisierung wegen erwarteter externer Effekte (Kuppelproduktion eines rein privaten und eines rein öffentlichen Gutes): Das Impfschutzbeispiel K K2 Kosten der Krankheit A K1 D 0% 35% 50% } indiv. Kosten der Impfung 100% Impfschutzquote Erläuterung: 0A = K1 = individuelle Kosten der Impfung K2 = zu erwartende Kosten der Krankheit bei unterschiedlich hoher „Durchimpfung“ der Bevölkerung D = 35 % = optimale Impfschutzquote bei individuellem Kostenkalkül Eine Erhöhung der Impfschutzquote von 35 % auf 50 % durch Subventionierung der Impfkosten K1 ist insbesondere dann der individuellen Lösung überlegen, wenn das Erreichen einer 100 %igen Impfschutzquote gar nicht erforderlich ist, um das Ausbreiten einer Seuche zu vermeiden. Die Meritorisierung läßt sich in diesem Fall rechtfertigen, weil hier nicht das private Gut „persönlicher Impfschutz“ durch Subventionierung gefördert wird (das wäre nach wie vor ein Eingriff in die Konsumentensouveränität), sondern weil durch die Meritorisierung das öffentliche Gut „verbesserte Impfschutzquote“ durchgesetzt werden kann. Es geht also letztlich um die Überwindung der free-rider Haltung, die bei öffentlichen Gütern stets droht und die durch einen positiven Anreiz (= Impfkostensenkung) überwunden werden kann. - Eine andere, vermutlich aber weitaus weniger erfolgreiche Lösung, bestünde in einem Appell an alle Bürger, sich an der Seuchenverhinderung persönlich und sichtbar zu beteiligen, indem man sich in die Impflisten einschreibt. 13 A.1.3 Spektrum der Mischformen von öffentlichen und privaten Gütern 14 A.2 Die Nachfrage nach öffentlichen Gütern Bei öffentlichen Gütern sind individuelle Nachfrage und individuelles Angebot stets gleich dem Gesamtangebot und der Gesamtnachfrage P N1 N2 P b a x0 x1 x2 x1 + x2 X Erläuterung: x1 = Lösung, wenn nur Individuum 2 nachfragt und Individuum 1 „free rider“ ist x2 = Lösung, wenn nur Individuum 1 nachfragt und Indiviuum 2 „free rider“ ist x1 + x2 = Lösung, wenn 1 und 2 unabhängig voneinander nachfragen (Überversorgung) a = externer Effekt der Nachfrage des 2 (Individuum 1 kann umsonst mitkonsumieren), a + b = externer Effekt der Nachfrage des 1 (Individuum 2 kann umsonst mitkonsumieren) Ergebnis: Es zeichnet sich keine vernünftige Lösung ab - Weder die beiden totalen Free-rider Lösungen x1 und x2 sind akzeptabel, noch die Überversorgungslösung x1 + x2 (natürlich ebenfalls nicht xO.) Was ist zu tun? 15 Koordiniertes Nachfragemodell nach Buchanan a) 2-Personen-Modell (Transfermodell) Preis bzw. Kosten B Nachfrage des B nach Transfers Nachfrage des A nach Transfers A R’ S’ T’ Q’ T Q P 0 R S U Menge des öffentlichen Gutes Erläuterung: R = Menge des öffentlichen Gutes bei alleiniger Nachfrage des A, S = Menge des öffentlichen Gutes bei alleiniger Nachfrage des B U = optimale Menge der Bereitstellung des öffentlichen Gutes als Schnittpunkt von Transferangebot und Transfernachfrage Transferangebot und Transfernachfrage = ... ... Angenommen, Individuum A hätte zunächst durch seine Nachfrage (isoliert) die Produktion des reinen öffentlichen Gutes in Höhe von 0R ausgelöst (B wäre dann auch mit der Menge 0R versorgt), wie könnte man jetzt den Versorgungsgrad noch verbessern? A ist an einer weiteren Nachfrage beim herrschenden Preis 0P nicht interessiert, es sei denn, er könnte einen finanziellen Transfer von B bekommen. Der Transferbetrag muß gerade so hoch sein, wie seine jeweilige Nachfrageintensität unter dem Preis liegt. So entsteht die Nachfragekurve RQ’ des A nach Transfers. B kann diese Transferleistungen mit gutem Grund anbieten, denn sein Vorteil aus der Zusatznachfrage (= Zusatzproduktion) des A ist solange gesichert wie seine eigene Nachfrageintensität über den Transferwünschen des A liegt. An der Nachfragekurve des B kann man das ablesen; sie wird also ab R' zur Angebotskurve des B an Transfer in der Form R'S'T. Wo sich Transfernachfragekurve des A und Transferangebotskurve des B schneiden, ist das endgültige Outputgleichgewicht erreicht (der Punkt U). - Ermittle zur Kontrolle, daß der gleiche Versorgungsgrad (Punkt U) entsteht, wenn zunächst B die Menge 0S nachfragt und Transfers von A bekommen muß, um weiterzugehen. (Als Hilfslinie muß man diesmal die Nachfragekurve des B nach Transfers ST'ermitteln). Die Versorgungsmenge 0U mit öffentlichen Gütern stellt eine pareto-optimale Lösung im Vergleich zu 0R oder 0S dar. Warum? 16 b) Mehrpersonenmodell (Variation des Impfschutzbeispiels) K1; K2 K1 + K2 K2 L K1 • Gesamtkosten pro Kopf { 70% 0% 100% Impfschutzquote Erläuterung: 0L = Kosten der Impfung pro Kopf K1 = Impfkosten bei Umlage der Kosten auf alle Bürger, K2 = Kosten der Krankheit, K1 + K2 = Pro-Kopf-Kosten bei kollektiver Impfkostenumlage 70 % - Punkt = Minimum der Gesamtkostenkurve = kostenminimale Impfschutzquote Warum ist die kollektive Lösung unter der Voraussetzung, daß eine hohe Impfschutzquote erreicht werden soll, der individuellen Lösung auf S. 12 überlegen? 17 A.3 Das Angebot an öffentlichen Gütern a) Grenznutzenmodell (Schäffle 1880, Sax 1887, Musgrave 1959) - kardinale Nutzentheorie Ausgleich des Grenznutzens und des Grenzleids öffentlicher Güter zum Finden des optimalen Budgets n Grenznutzen U' Budgetvolumen opt. Budget Grenzleid - dU dT n Erläuterung: U' = Grenznutzen aus öffentlichen Gütern, -dU/dT = Grenzleid des Verzichts auf private Güter durch Steuerzahlung nn = Nettonutzenkurve (U’ - dU/dT) (?) opt. Budget = Budgetvolumen, an dem Grenznutzen und Grenzleid sich gerade ausgleichen Vergleich des Grenznutzens öffentlicher und des Grenznutzens privater Güter zum Finden des optimalen Budgets U'öff U'öff U'priv U'priv opt. Budget t1 BSP (t1) opt. Budget t2 BSP (t2) Erläuterung: BSP (t1) = Bruttosozialprodukt zum Zeitpunkt t1, BSP (t2) = Bruttosozialprodukt zum Zeitpunkt t2, opt. Budget t1 bzw. t2= Menge an öffentlichen Gütern, bei denen ein Ausgleich zwischen dem Grenznutzen privater und öffentlicher Güter vorliegt 18 b) Das optimale Budget (Samuelson/Musgrave) - ordinale Nutzentheorie - Priv. Güter T Priv. Güter insgesamt Priv. Güter des B Priv. Güter des A G • B A a2 0 E Öff. Güter insgesamt U öff. Güter A Private Güter des A a3 A a2 a1 0 E • B Private Güter des B F 0 B b1 b3 b2 E Erläuterung: TU = Transformationskurve zwischen öffentlichen und privaten Gütern, ai = Nutzenniveaus des A, bi = Nutzenniveaus des B, F = Nettotransformationskurve, die die Menge an Gütern angibt, die nach Wahl eines Nutzenniveaus des einen Individuums (hier Indifferenzkurve a2) für das andere Individuum noch zur Verfügung steht, 0E = optimale Menge an öffentlichen Gütern, die für das Individuum B das maximal erreichbare Nutzenniveau (hier b2) bei gegebener Nettotransformationskurve darstellt und A auf seiner gewählten Indifferenzkurve beläßt, 0A, 0B = den Beteiligten nach der Bestimmung einer optimalen Menge an öffentlichen Güten zur Verfügung stehende private Güter 19 Fragen an die Darstellung des optimalen Budgets: b1) Warum gibt es mehrere Optima (wie G) - im Prinzip unendlich viele? b2) Wie unterscheidet sich die Lösung Musgraves von der Samuelsons? c) Das Optimum Optimorum Nutzenindexdiagramm Samuelson NIa NIamax → GI • NIa23 0 NIb14 ↑ NIbmin NIbmax NIb Nutzenindexdiagramm Musgrave NIa GI ? • NIamin 0 NIbmin NIb Erläuterung: NIai = Nutzenniveaus des A, NIbi = Nutzenniveaus des B NIb14 = ein bestimmtes Nutzenniveau des B, NIa23 = ein bestimmtes Nutzenniveau des A GI = gesellschaftliche Indifferenzkurven 21 A.4 Budgeting by voting A.4.1 Arrows Unmöglichkeitstheorem („Possibility theorem“) Arrow hat 1963 den formalen Beweis dafür erbracht, daß kein Wahlverfahren in der Lage ist, gegebene individuelle Wertungen über drei oder mehr Ziele in eindeutiger Weise zu einer kollektiven Wertung zusamenzuschließen. Die fünf Forderungen, die Arrow an faire und kollektiv konsistente Wahlverfahren stellte, lauteten: 1. Es wird über mehr als zwei Alternativen abgestimmt; 2. die Bedingung der kollektive Rationalität („Transitivität“ und „Vollständigkeit“) und des Pareto-Prinzips (bei einer Präferenz x f y und Indifferenz aller anderen Personen x ∼ y, muß im Kollektivergebnis x f y gelten) muß erfüllt sein; 3. die kollektive Entscheidung muß unabhängig von irrelevanten Alternativen sein; 4. keine Wertung darf von vorneherein ausgeschlossen sein (unbeschränkte Entscheidungsfreiheit des einzelnen); 5. niemand darf in der Lage sein, seine Präferenzen durch Ausüben von Zwang oder Manipulation durchzusetzen (Unzulässigkeit einer Diktatur). A.4.2 Die Mehrheitswahl Verfahren: Mindestens drei Personen stimmen über jeweils zwei Alternativen ab. Die Alternative mit den meisten Stimmen gewinnt (Condorcet-Verfahren). Beipiele (Wähler I, II und III ordnen die Alternativen A, B, C nach 1, 2. oder 3. Priorität): Fall 1: Die drei individuellen Präferenzen sollen lauten: I: A > B > C, II: B > C > A, III: C > B > A Wähler I Rangfolge Rang 1 Rang 2 Rang 3 A B C II III B C A C B A Nach Abstimmung ergibt sich folgende Gruppenpräferenz: B gewinnt gegen A, B gewinnt gegen C, C gewinnt gegen A, Gruppenpräferenz: B > C > A 22 Fall 2: Die drei individuelle Präferenzen sollen lauten: I und II wie zuvor, aber III nun C > A > B (Condorcet-Fall, Marquis de Condorcet 1785) Wähler I Rangfolge Rang 1 Rang 2 Rang 3 A B C II III B C A C A B Die Gruppenpräferenz lautet, wenn die Abstimmung mit A gegen B begonnen wird: A gewinnt gegen B, C gewinnt gegen A, also ist die Gruppenpräferenz: C > A > B Die Gruppenpräferenz lautet dagegen, wenn mit A und C begonnen wird: C gewinnt gegen A, B gewinnt gegen C, also ist die Gruppenpräferenz: B > C > A Die Gruppenpräferenz lautet schließlich, wenn mit B und C begonnen wird: B gewinnt gegen C, A gewinnt gegen B, also ist die Gruppenpräferenz: A > B > C. Ergebnis: 1.) Zyklische Gruppenpräferenz: Jede Alternative hat die Chance zu gewinnen; und je nach Abstimmungsreihenfolge gewinnt immer die zuletzt zur Wahl stehende Alternative. Dieses Ergebnis wurde später zu Ehren des Entdeckers als Condorcet-Paradoxon bezeichnet. Verstoß gegen Arrows Forderung der kollektiven Rationalität. 2.) Wer als einziger Wähler weiß, daß im Falle des Vorliegens eines CondorcetParadoxons, die Alternative gewinnt, über die zuletzt abgestimmt wird, kann das Wahlverfahren zu seinen Gunsten manipulieren und die Wahl somit gewinnen. Das Parodoxon bleibt in diesem Fall unsichtbar, und es käme eine (scheinbar) eindeutige Kollektivlösung zustande, aber es wäre ein Verstoß gegen Arrows Bedingung Nr. 5. Die Häufigkeit des Condorcet-Paradoxons Die Statistische Häufigkeit des Condorcet-Paradoxons: Bei drei Personen und drei Alternativen ist die Häufigkeit des Condorcet-Paradoxons 5,56 % aller möglichen Fälle. Bei der Erhöhung der Personen steigt die Häufigkeit langsam, bei der Erhöhung der Alternativen steigt die Häufigkeit jedoch sprunghaft an. Die politische Häufigkeit des Condorcet-Paradoxons: Das Gipfligkeitskriterium (D. Black): Ein Condorcet-Paradoxon kann nicht bei eingipfligen Präferenzen auftreten. Liegen dagegen mehrgipflige Präferenzen vor, dann kann (aber muß nicht) ein Condorcet-Paradoxon vorkommen. Immerhin könnte man der Mehrheitswahl vertrauen, wenn bei Abstimmungen in der Realität der Finanzpolitik stets nur eingipflige Präferenzen vorkommen. Deshalb ist das Kriterium der Gipfligkeit zu prüfen. Eine mehrgipflige Präferenz liegt immer dann vor, wenn extreme Alternativen mittleren Alternativen vorgezogen werden; graphisch: 23 1. Priorität I 2. Priorität II 3. Priorität Alternative III A B C Wähler I Präferenzprofil A > B > C = eingipflig Wähler II Präferenzprofil B > C > A = eingipflig Wähler III Präferenzprofil C > A > B = zweigipflig Ergebnis: Es sind nicht alle Profile eingipflig; der Verdacht auf ein Condorcet-Paradoxon ist berechtigt. Interessante Fragen zur Überprüfung 1.) Kann man die Zweigipfligkeit des Wählers III vermeiden, indem man auf der Abszisse C A B abträgt? Ja, aber ........ prüfe!) 2.) Ist es nicht so, daß im politischen Leben nur eingipflige Präferenzen vorkommen (die ganze Sache also nur theoretisch kompliziert ist?) 3.) Könnte man eventuell doch geäußerte mehrgipflige Präferenzen als politisch-unsinnige Wahlaussagen tabuisieren? - Allerdings ist dies formal ein Verstoß gegen die ArrowBedingung Nr. 4 A.4.3 Andere Wahlverfahren a) Pluralitätswahl (Rangordnungssummenregel, Charles de Borda) Verfahren: Vergabe von Rangziffern für jede zur Wahl stehende Alternative, Addition der Rangziffern zur Ermittlung einer sozialen Rangfolge. Beipiele (Wähler I, II und III entscheiden über Alternativen A, B, C bzw. A, B, C, D, E; zu vergebende Punkte: 3, 2, 1 bzw. 5, 4, 3, 2, 1): Fall 1 (Wiederholung von Fall 1 bei der Mehrheitswahl) Alternativen A B C Wähler I II III 3 2 1 1 3 2 1 2 3 Summe (Borda-Punkte) 5 7 6 Gruppenpräferenz: B > C > A (d.h. dies ist dasselbe Ergebnis wie bei der Mehrheitswahl) 24 Fall 2 (Condorcet-Fall) Wähler I II III Summe 3 2 1 1 3 2 2 1 3 6 6 6 Alternativen A B C Gruppenpräferenz: A = B = C => Aufdecken des Condorcet-Paradoxons durch Gleichrangigkeit aller Alternativen. Insoweit erweist sich die Pluralitätswahl also gegenüber der Mehrheitswahl überlegen, weil das Vorliegen eines Condorcet-Paradoxons stets aufgedeckt wird und das Wahlverfahren insofern strategisch nicht mißbraucht werden kann, aber ... (siehe Fall 3). Fall 3 (Änderung der Gruppenpräferenz bei Wegfall einer Alternative) Wähler Alternativen A B C D E I II III Summe 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 2 1 5 4 3 12 9 11 8 5 Gruppenpräferenz: A > C > B > D > E Fällt Alternative B weg, und werden die Punkte 1 - 4 neu verteilt, ergibt sich eine der ersten widersprechende Präferenz, nämlich C > A > D > E: Wähler Alternativen A C D E I II III Summe 4 3 2 1 4 3 2 1 1 4 3 2 9 10 7 4 Bemerke einen neuen Widerspruch: Obwohl die Präferenzfolgen der Wähler I, II und III sich hinsichtlich der Reihenfolgen von A, C, D, E in beiden Abstimmungen nicht geändert haben, kommt ein unterschiedliches Kollektivergebnis zustande. Es wäre aber in diesem Fall willkürlich, wenn jemand behaupten würde, eine Abstimmung mit fünf Alternativen ist stets die richtige und mit vier Alternativen die falsche. Andererseits, natürlich dürfen sich bei zwei Abstimmungsfolgen die kollektiven Rangfolgen ändern, wenn sich die individuellen Rangfolgen dadurch geändert haben, weil durch den Wegfall einer Alternative die Bewertung der verbleibenden Alternativen neu durchdacht werden muß (d.h. es liegt eine in Bezug auf die neue Reihenfolge relevante Alternative vor). Aber das darf nicht der Fall sein (wie in unserem Beispiel) wenn die wegfallende Alternative irrelevant ist. => Die Pluralitätswahl führt nicht zu einer konsistenten Gruppenpräferenz. 25 Beurteilung der Pluralitätswahl: 1.) Die Pluralitätswahl widerspricht der Forderung Arrows nach der Unabhängigkeit des Wahlergebnisses von irrelevanten Alternativen. 2.) Bei der Pluralitätswahl werden ordinale Präferenzen kardinal aggregiert. Was ist eine irrelevante Alternative? Bei einer irrelevanten Alternative besteht keine Relevanzbeziehung zwischen dieser und einer anderen Alternative (zwei sich charakterlich ergänzende Kandidaten für ein Amt = Relevanzbeziehung; zwei konkurrierende Läufer in einem Wettbewerb = keine Relevanzbeziehung). b) Punktwahl Verfahren: Vergabe von Punkten aus einem zur Verfügung stehenden Pool (z.B. 100 Punkte). Moderne Anwendung des Verfahrens: Budgetspiele Beispiel (Wähler I, II und III entscheiden über die Alternativen A, B, C, D, E; zu vergebende Punktsumme: 100): Alternativen A B C D E I 50 20 15 10 5 II 40 30 20 10 0 III 15 0 40 25 20 Summe 105 50 75 45 25 Gruppenpräferenz: A > C > B > D > E Beurteilung der Punktwahl: Kardinal vorgegebene Präferenzen werden kardinal aggregiert. Kritik: (1) Wenn man z.B. merkt, daß man mit seiner erstbesten Alternative keinerlei Siegmöglichkeiten hat, wären die dort zugewiesenen Punkte verloren; man gibt dann vielleicht gegen die wahre Präferenz der zweitbesten Alternative die Punkte. Das Verfahren ist deshalb strategieanfällig: bei strategischem Wahlverhalten werden vielleicht sogar alle Punkte auf eine Alternative gesetzt, die wahre Präferenz also unter Umständen verschleiert. (2) Das Verfahren ist sehr kostenintensiv, denn muß man sich tatsächlich erst einmal eine kardinale Präferenzskala erarbeiten. Dazu braucht man zumindest neben der Kenntnis der eigenen Wünsche eine Menge sachlicher Informationen darüber, mit welchen Qualitäten und vor allem Quantitäten die Wünsche am besten realisiert werden können. (3) Gerade bei öffentlichen Gütern (mit wenig Erfahrung über Produktionskosten und Leistung) könnte der Wähler schlicht überfordert sein. (4) Trotzdem zeigen die Erfahrungen mit Budgetspielen, daß das Verfahren bei guter Vorbereitung anwendbar ist (siehe dazu Vorlesung Budgettheorie und Budgetpolitik). 26 Zusammenfassende Beurteilung von Wahlverfahren untersuchte Wahlverfahren Mehrheitswahl Pluralitätswahl Punktwahl (1) Fähigkeit, konsistente und eindeutige Ergebnisse zu liefern CondorcetParadoxon trifft zu verletzt keine Verletzung (2) Strategieanfälligkeit schwach (nur in den mittelmäßig, da Grenzfällen des Einfluß auf AlterCondorcetnativenzahl mögParadoxons) lich (3) Minderheitenschutz geringer Schutz angesprochene Kriterien stark, da zur Verschleierung der Präferenzen geradezu eingeladen wird tendenziell stärk- höchstmöglicher erer Schutz Schutz (4) Beherrschbarkeit lediglich Urteile der Anforderung an die Art x > y oder Urteilsfähigkeit x = y (x > z oder y = z) sind gefordert differenziertere Urteilsverkettung gefordert, wie x>y>z (5) Kosten des Verfahrens ständig hohe In- Informationskosten formationskosten; steigen übermäßig Kosten u. U. höher an als Nutzen: Verhinderung der Einrichtung des Gutes relativ günstig Individuum muß in der Lage sein, quantitativ zu bewerten, z. B. 3 x > 1 y > 0,2 z 27 A.5 Ökonomische Theorie der Politik A.5.1 Die Wicksellsche Einstimmigkeitsregel (K. Wicksell): Nach der Wicksellschen Einstimmigkeitsregel sollen Entscheidungen über Staatsausgaben einstimmig gefaßt werden und gleichzeitig mit einer Entscheidung über die Verteilung der Finanzierungslasten erfolgen. Die Einstimmigkeit stellt das Erreichen einer pareto-optimalen Lösung sicher, weil jemand, der sich durch eine Entscheidung wohlfahrtsmäßig verschlechtert wähnen würde, diese durch sein Veto verhindern kann. Erfolgt kein Veto - liegt also Einstimmigkeit vor -, dann darf man davon ausgehen, daß die Entscheidung einige wohlfahrtsmäßig besser gestellt hat, ohne daß jemand anders wohlfahrtsmäßig verschlechtert wurde. A. 5.2 Das Modell von Buchanan/Tullock Buchanan und Tullock haben ein Kostenmodell entwickelt, mit dem für jedes Entscheidungsproblem ein optimales Zustimmungsquorum gefunden werden kann. Der Minderheitenschutz wird in diesem Modell unter ein ökonomisches Kalkül gestellt. Graphik: C D I I M D C 0 1 X 100 Zahl der erforderlichen Ja-Stimmen Erläuterung: D = individuell erwartete Entscheidungsfindungskosten („decision costs“) C = individuell erwartete externe Kosten I = Summe aus D und C: Interdependenzkosten M = Minimum der Interdependenzkostenkurve, individuell optimales Zustimmungsquorum 28 Aussagen über die Verläufe der Kostenkurven: Die Entscheidungsfindungskosten (D) steigen an mit dem Zustimmungserfordernis: Je weniger Personen zustimmen müssen, desto geringer sind die Kosten der Entscheidungsfindung. In größeren Gruppen erreichen die Entscheidungsfindungskosten ein höheren Niveau als in kleineren Gruppen. In homogenen Gruppen steigen sie nur minimal, in heterogenen dafür umso stärker. Besteht eine Gruppe aus mehreren homogenen Untergruppen, weist die Entscheidungsfindungskostenkurve Sprünge auf. Die Funktion der externen Kosten (C) stellt die Kosten dar, die man mittragen muß, wenn andere für das Kollektiv für dieses Individuum eine eben kostenverursachende Entscheidung getroffen haben. Je weniger unser Individuum das verhindern kann, desto größer sind die erwarteten externen Kosten. Umgekehrt fallen diese mit der Anzahl der Entscheidungsteilnehmer. Im Extrem der Einstimmigkeitsregel (100%ige Zustimmung) sind die externen Kosten null. Wie zuvor sind die Kosten in größeren Gruppen höher als in kleineren Gruppen, in homogenen Gruppen sind sie geringer als in heterogenen Gruppen. In gespaltenen Gruppen fallen sie in Sprüngen: Für ein Mitglied einer Mehrheitsgruppe fallen die externen Kosten stark, sobald das Quorum höher ist als die Minderheitengruppe groß ist, für ein Mitglied einer Minderheit erreichen die externen Kosten erst dann ein erträgliches Niveau, wenn ein hohes Zustimmungserfordernis existiert. Die Interdependenzkosten zeigen die Gesamtkosten eines Entscheidungsverfahrens. Sie sind keineswegs immer bei der einfachen Mehrheitsregel minimal, sondern weisen verschiedene Minima in Abhängigkeit von der Präferenzstruktur und der Größe einer Gruppe auf. Interdependenzkosten und Nutzen aus einem öffentlichen Projekt: Das Zustimmungserfordernis sollte immer so gewählt werden, daß die Interdepenzkosten den Nutzen aus einem öffentlichen Gut nicht übersteigen. C+D P P' A 0 0% M 50% Q Q' M' 75% 100% N Erläuterung: (C + D) = Gesamtkostenkurve OA = Kosten, die für den einzelnen entstehen, wenn das zur Diskussion stehende Bedürfnis privat befriedigt wird. 29 Die Gesamtkosten der kollektiven Befriedigung liegen nur teilweise unter den Kosten der privaten Befriedigung. Nehmen wir an, es würde stets gewohnheitsmäßig mit einfacher Mehrheit entschieden, ob ein Bedürfnis privat oder kollektiv zu befriedigen ist. Wenn die Regel der einfachen Mehrheit durch den Punkt M gekennzeichnet ist, würde dieses Bedürfnis nicht kollektiv befriedigt werden, weil die Gesamtkosten über den Einzelkosten der privaten Befriedigung liegen. Trotzdem brächte eine kollektive Befriedigung Vorteile, nämlich dann, wenn durch Mehrheitsregeln im Intervall QQ' darüber entschieden würde. Eine Gesellschaft, die nur zwei Abstimmungsregeln befolgt, die der einfachen Mehrheit (gekennzeichnet durch Punkt M) und der qualifizierten ¾ Mehrheit (Punkt M'), könnte niemals entdecken, daß individuelle Kosten durch kollektive Befriedigung gespart werden können. Das Gedankenexperiment macht deutlich, daß die zufällig oder traditionell verwendeten Verfahren in einem gewissen Umfang mitbestimmen, ob etwas zum öffentlichen oder privaten Gut wird. A. 5.3 Die Theorie der Konkurrenzdemokratie (J. Schumpeter, A. Downs): In der Theorie der Konkurrenzdemokratie werden demokratischer Vorgänge in Analogie zur marktlichen Tauschtheorie analysiert. Die Analogie ist am Entscheidungsraster für öffentliche und private Güter nach Downs nachvollziehbar. Entscheidungsraster für öffentliche und private Güter nach Downs Güter Merkmale Impuls Wettbewerbsregelung Gesellschaftliches Ergebnis Entscheidungsgegenstand private Güter öffentliche Güter Unternehmer zielt auf maximalen Gewinn bessere Produkte anbieten als andere nach einer Erforschung der Konsumentenwünsche optimale Befriedigung durch private Güter einzelne Güter politischer Unternehmer zielt auf Machtansammlung bessere Programme anbieten als andere durch Erkundung des Wählerwillens optimale Befriedigung durch öffentliche Güter Güterbündel 30 A. 5.4 Das Stimmenmaximierungsmodell (K. Häuser 1 ) Nach Häuser werden Stimmen durch Variation von Ausgaben und Einnahmen maximiert bei vollständiger Information der Politiker und Wähler. V dV dT V=V(A) dV dA - dV dT P’ dV dA 0 P Budgetvolumen } T;A Steuern T Ausgaben A dV dT -V=V(T) -V A = Ausgaben bzw. Ausgabenbündel, T = Steuern (taxes) V(A) = Stimmengewinnkurve (Stimmen in Abhängigkeit der Ausgabenhöhe) mit positiven, aber abnehmenden Zuwächsen dV/dA = Grenzstimmengewinne in Abhängigkeit von den Ausgaben -V(T) = Stimmenverlustkurve (Stimmenverluste in Abhängigkeit von der Steuerlast) mit steigenden negativen Zuwächsen, dV/dT = Grenzstimmenverluste in Abhängigkeit von der Steuerlast; -dV/dT = gespiegelte Grenzstimmenverlustkurve P = optimales Budget am Punkt der maximalen Stimmengewinne bzw. am Punkt des Ausgleichs von Grenzstimmengewinn und Grenzstimmenverlust. 1 K. Häuser: Über Ansätze zur Theorie der Staatsausgaben, in: Beiträge zur Theorie der Staatsausgaben, Schriften des Vereins für Socialpolitik, NF Bd. 47, Berlin 1967, S. 59 f. 31 A. 5.5 Das Medianwählermodell (Räumliches Demokratiemodell, A. Downs) Das Medianwählermodell erklärt die Standortwahl politischer Parteien in der repräsentativen Demokratie mit Mehrheitswahlsystem. Gleichverteilte Wählerschaft und zentripedale Kräfte Annahmen: 2 Parteien A und B, Wählerpräferenzen sind mit einem Links-Rechts-Spektrum darstellbar. 1. Schritt: Nur eine Partei bewegt sich Wahlgewinn für Partei A: Nur A bewegt sich und zwar vom Standort A nach A’ Anzahl der Wähler links B A politische Einstellung der Wähler und Parteienstandort rechts A’ Wahlgewinn für Partei B: Nur B bewegt sich und zwar vom Standort B nach B’ Anzahl ’der Wähler links B A rechts polititsche Einstellung der Wähler und Parteienstandort B’ = wonnene Wähler durch Verschiebung des Parteienstandpunktes links-rechts = eindimensionales Spektrum der Wählermeinungen A, B = Parteienpositionen hinzuge- 32 2. Schritt: Beide Parteien bewegen sich. Die Parteien rücken zur Mitte (zum Medianwähler). Diese Tendenz verstärkt sich (sehr), wenn die politsche Wählerschaftverteilung einer (engen) Gauß’schen Normalverteilung gleicht. Ungleichverteilte Wählerschaft und zentrifugale Kräfte Annahmen: Der Standort der Partei wird auch von einem parteiinternen Willensbildungsprozeß bestimmt. Am Rand des Wählerspektrums können sich neue Parteien bilden. B’ = neuer Parteienstandort der Partei B mit großem Zugewinn von Wählern links und gerinParteistandort mit abnehmenden Parteienprofilen Wählerverteilung A B B' gem Verlust von Wählern rechts (schraffierte Flächen). (Partei A könnte sich den Schritt auf das Zentrum hin so leicht nicht erlauben, da Partei A links sehr viele Wähler aufzuweisen hat, die sie mit ihrem nach rechts gerichteten Programm nun nicht mehr anspricht. Vielleicht kann sie sich daher parteiintern mit dem Rechtsruck gar nicht durchsetzen. Drohen könnte aber auch eine Abspaltung der linken Kräfte in Partei A mit der Neugründung einer Links-A-Partei.) Ergebnis: 1) Auf Partei B wirken (wie im ersten Beipiel) zentripedale Kräfte: Mit ihrem Programm rückt sie an den Medianwähler der gesamten Wählerschaft heran. 2) Auf Grund der unhomogenen Wählerverteilung gilt für Partei A genau das Umgekehrte: Hier wirken die zentrifugalen Kräfte stärker. Die Partei A muß den Medianwähler ihrer Parteigefolgschaft stärker beachten als den Medianwähler der gesamten Wählerschaft. 33 Veränderungen des Downsschen Grundmodells Gegenüberstellung der Modellannahmen bei vollständiger Information und bei Ungewißheit A vollkommene Information Motivation Ð Eigennutz politische Rolle Ð politischer Parteienwettbewerb Politiker Regierung ↔ Opposition Verhaltenshypothesen Ð Ð Rationalverhalten: Stimmenmaximierung Ð Funktion Ð Interessenausgleich Ï Funktion Ï Verhaltenshypothesen politische Rolle Ï Motivation B Ungewissheit Eigennutz Ð Ð unverwechselbares Parteienprofil Ð Entstehen von Idologien Ð Ï Wähler mit Präferenzen Überredung und Nutzung von Vermittlern Ó Ô staatliche nichtstaatliche = repräsentative = Lobby Demokratie Ð Budget + Ideologie + ??? Ï Informationsbereitschaft -suche; -Kosten; Wahlbereitschaft Ï passioniert rational kalkulierend nur interessiert loyal uninteressiert apathisch Ï Wählertypologie Ï Eigennutz Ï Eigennutz und ? Programminitiativen Budgetentwürfe (+ opt. Wipol) als Wettbewerber um Programme + öffentl. Ideen Ð im Budget (allg. Politik) mit Grenznutzenausgleich Ï Zustimmung oder Ablehnung der Partei bei Wahlaktselektion von Programmen Ï Kalkulation rationales Verhalten als indiv. Nutzenmaximierender Wähler mit dem Ziel, das beste Programm auszusuchen und mit Pro-Stimmabgabe zu belohnen 34 A. 6 Ökonomische Theorie der Bürokratie (Niskanen) Annahmen: Ein (bürokratisches) Büro ist eine nicht gewinnorientierte Organisation, die durch periodische Zuweisungen oder Beiträge finanziert wird. Bürokraten sind Eigennutzmaximierer, wobei der Nutzen nicht von der Spanne zwischen Erlös und Kosten abhängt, sondern von der Größe des Budgets, das zugewiesen wird. A.6.1 Grundmodelle Grundmodell mit niedriger Nachfrage V c A V1 x • b a d • •e x’ f Output öffentliches Gut Erläuterung: V1 = niedrige Nachfrage nach Büroleistungen, A = Angebot an Büroleistungen x = optimaler Output am Punkt der Gleichheit von marginaler Zahlungsbereitschaft und Grenzkosten des Angebots f = tatsächlicher Output am Punkt, an dem der Gesamtnutzen (Fläche afec) gerade noch etwas größer ist als die Gesamtkosten (Fläche afdb) Bedingung in der Zeichnung: Fläche bxc > Fläche edx Ergebnis: Im Fall mit kleiner Nachfrage (V1) würde eine übliche finanzwissenschaftliche Effizienzanalyse ergeben, daß der Büroleiter sehr tüchtig ist, denn er stiftet mit seinem Büroangebot mehr Gesamtnutzen als er Gesamtkosten erzeugt, dennoch zeigt ein Vergleich mit der Marktlösung im Schnittpunkt x, daß eine Überversorgung mit Büroleistungen und eine relative Ineffizienz vorliegt. Also: af = Angebot an öffentlichen Gütern durch den (redlichen) Bürokraten; aber ax’ = Angebot, wenn die wohlfahrtsmäßig optimale Marktallokation als Vergleichsmaßstab herangezogen werden würde. 35 Grundmodell mit sehr großer Nachfrage V2 g V2 x • h • A b a i Erläuterung: V2 = sehr große Nachfrage nach Büroleistungen, A = Angebot an Büroleistungen, x = optimaler Output am Punkt der Gleichheit von marginaler Zahlungsbereitschaft und Grenzkosten des Angebots, i = Sättigungsmenge, bei der der Grenzwert der Dienstleistung null ist. Bedingung: Gesamtbudget (Fläche aig) übersteigt die Kosten für die Bereitstellung (Fläche aihb). Ergebnis: Auch im Fall mit sehr großer Nachfrage (V2) würde der Büroleiter bei einer Kosten-NutzenAnalyse positiv abschneiden - und das, obwohl er das Angebot bis zur Sättigungsmenge (des Grenznachfragers) von Null ausgedehnt hat (Δ bxg ist immer noch größer als Δ ihx). Er könnte sogar die Kostenkurve bh etwas nach oben verschieben, d.h. seiner Büromannschaft ein höheres Entgelt gewähren, ohne als „verschwenderisch“ zu gelten. Frage: Wie ist dies zusätzlich zu erklären? 36 A. 6.2 Modellvarianten Modellvariante I: Wahl der Budgetgröße im Spannungsfeld zwischen Effizienzziel und Maximierungsziel: der aufgeklärte Büroleiter (seinen Ermessensspielraum subjektiv nutzend) Erläuterung: Geld GK B D MZB • C • A 0 • xE xN E öffentliches Gut x Geld I3 I2 I1 0 xE xM xN öffentliches Gut x GK = Grenzkosten der Dienstleistung, die nur dem Bürokraten bekannt und von ihm manipulierbar sind MZB = marginale Zahlungsbereitschaft, im unteren Diagramm als Konsumentenrente abgetragen I1 bis I3: Indifferenzkurven des Bürokraten xE = pareto-effizienter Output; xN = maximaler Output (Fläche ACB = Fläche EDC); xM = gemäß den Präferenzen des Chefbürokraten gewählter Output 37 Modellvariante II (Rosen/Windisch) DM K N KK WW • • 0 Q* K’ N’ Qbc Output pro Jahr KK’ • WW’ 0 Q* Output pro Jahr Erläuterung: KK = soziale Gesamtkosten, WW = sozialer Nutzen, dieser kann durch Werbung verschoben werden Q* = effiziente Lösung, bei der die Grenzkosten KK’ den Grenznutzen WW’ entsprechen, Qbc = in Abhängigkeit von den Nutzen und Kosten gewählte maximale Lösung, also wiederum Gesamtkosten - statt Grenzkostenkalkül. 38 A.7 Ökonomische Theorie der Kollektive (Buchanan, Olson) Die ökonomische Theorie der Kollektive erklärt die Entstehung und Größe von sozialen Gruppen, die für sich öffentliche bzw. kollektive Güter herstellen. A.7.1 Die optimale Clubgröße (Buchanan) Annahmen des Modells: In Clubs werden öffentliche Güter gegen Übernahme von gleichen Finanzierungsanteilen pro Kopf hergestellt. Es bestehen externe Effekte des Konsums: Mit steigender Mitgliederzahl steigt die Rivalität im Konsum. Modellelemente: 1. Die optimale Mitgliederzahl K N • • S • • T • K N 0 X1 X2 X0 K’ N’ Mitgliederzahl X0 • Mitgliederzahl K’ • N’ 39 Erläuterung: N = individueller Nutzen des einzelnen Mitglieds aus dem Clubgut mit N’ als Grenznutzen; der Nutzen nimmt zuerst zu (mit abnehmenden Raten), um dann bei beginnender Rivalität im Konsum wiederum abzunehmen K = Pro-Kopf-Kosten der Produktion mit K’ als Grenzkosten; die Kosten sinken mit steigender Mitgliederzahl x0 = optimale Clubgröße (Mitgliederzahl) bei Gleichheit von Grenznutzen und Grenzkosten, x1 = minimale Clubgröße, x2 = maximale Clubgröße Für jede mögliche Clubausstattung läßt sich mit Hilfe der Kosten- und Nutzenkurven ein Mitgliederoptimum errechnen. 2. Die optimale Clubausstattung Andererseits läßt sich auch für jede gegebene Anzahl von Clubmitgliedern die optimale Clubausstattung bestimmen. K N K20 N20 N100 K100 mopt100 Clubausstattung Erläuterung: N20, N100 = Nutzen bei niedriger oder höherer Mitgliederzahl K20, K100 = Herstellungskosten pro Kopf bei niedrigerer oder höherer Mitgliederzahl mopt100 = optimale Ausstattung für Mitgliederzahl von 100 (Grenznutzen = Grenzkosten). Das Beispiel zeigt, daß es mit 20 potentiellen Mitgliedern noch nicht zur Clubbildung kommt (K20 > N2o), wohl aber mit 100. 40 3. Das Optimum Optimorum: Die Kombination von Benutzeroptima und Ausstattungsoptima Für jedes Clubgut läßt sich entsprechend seiner Herstellungskosten und Rivalitätseigenschaften eine optimale Mitgliederzahl und Bereitstellungsmenge ermitteln. Ausstattung m Kurve der Benutzeroptima Kurve der Ausstattungsoptima mopt m3 m2 m1 0 M 80 M 100 M 110 Benutzer M Erläuterung: Punkt mopt, M110: Für dieses Clubgut ist die Mitgliederzahl 110 und die Ausstattung mopt diejenige, die den größten Nettonutzen pro Kopf entstehen läßt (Optimum Optimorum) A.7.2 Die Erklärung der Entstehung von Gruppen (M. Olson) Die Entstehung von Gruppen folgt nach Olson folgenden Regeln: 1. Je größer die Gruppe, desto unbedeutender der Beitrag des einzelnen; Folge: Es gibt keine Herausforderung, Kollektive zu bilden. 2. Je homogener die Güter, desto größer die Tendenz zur free-rider Haltung. 3. Je größer die Gruppe, desto geringer die Chance oligopolistischen Wechselspiels; Folge: Es gibt geringe Möglichkeiten, Gleichgesinnte zu verpflichten. 4. Je größer die Gruppe, desto höher die Organisationskosten; Folge: Gründungsbarrieren sind hoch. 41 Es gibt nach Olson folgende Typen von Gruppen: Eine Systematik der Gruppen nach Olson I. Grenzfall einer exklusive marktorientierte Gruppen inklusive, nicht marktorientierte Gruppen (Gruppe = unerwünscht) a) kleine Gruppen: II. Kleine bis mittelgroße Gruppen einer kann aus eigener Kraft das Kollektivgut bereitstellen privilegierte Gruppen zwei oder wenige können dies tun b) mittelgroße Gruppen: nur mehrere zusammen können es tun; sie wissen von ihrem Einfluß! Obligopol mit Preisführerschaft Gruppenbildung durch a) selektive Anreize b) Zwang (= Sonderinteressen) a) mobilisiert III. große Gruppen = latente Gruppen Polypol b) „die vergessenen Gruppen“, die schweigend leiden IV. Grenzfall: reines öffentliches Gut (Gruppe = Nation) Wichtige Ergebnisse: 1. 2. 3. 4. Große Gruppen haben keine Chance, ein Kollektiv zur Wahrnehmung ihrer Interessen errichten zu können. Kleine Gruppen (insbesondere privilegierte) finden sich stets zur Kollektivlösung zusammen. Mittelgroßen (selten auch große) Gruppen gelingt die Gründung und Aufrechterhaltung eines Kollektivs nur, wenn sie selektive Anreize anbieten können oder Mitgliederzwang durchsetzen können. Kleine Gruppenmitglieder beuten (anders als bei Karl Marx) die großen aus. 42 B Der öffentliche Haushalt B.1 Definition Der öffentliche Haushaltsplan (Budget, Etat) ist eine systematische Zusammenstellung der für einen vorher festgelegten Zeitraum geplanten Ausgaben und der dafür vorgesehenen Einnahmen. B.2 Haushaltsfunktionen und Haushaltsgrundsätze B.2.1 Haushaltsfunktionen a) Kontrollfunktion aa) administrative Kontrollfunktion ab) politische Kontrollfunktion b) finanzwirtschaftliche Ordnungsfunktion c) volkswirtschaftliche Lenkungsfunktion d) politische Programmfunktion B.2.2 Haushaltsgrundsätze Vollständigkeit Einheit Öffentlichkeit Non-Affektation Spezialität Genauigkeit Ausgleich Jährlichkeit Vorherigkeit Wahrheit und Klarheit Die Haushaltsgrundsätze stellen die Erfüllung der Haushaltsfunktionen sicher, wobei sich in Einzelfällen auch Konflikte ergeben. Nicht alle Haushaltsgrundsätze haben die gleiche Bedeutung. 43 Gliederungsmöglichkeiten der Haushaltsgrundsätze statisch dynamisch Inhalt Form Vorbereitung Vollständigkeit Einheit Wahrheit + Klarheit Vorherigkeit Durchführung Genauigkeit Spezialität Übergeordnete Kriterien der Finanzpolitik: 1. Non-Affektation 2. Sparsamkeit 3. Öffentlichkeit Î politisches Gleichrangigkeitsprinzip Î ökonomisches (Effizienz) Prinzip Î gesellschaftliches Partizipationsprinzip B.3 Haushaltskreislauf und Haushaltssystematik B.3.1 Der Haushaltskreislauf 1995 1996 1997 1998 1999 2000 Entwurf des Beratung des Vollzug ... 2000er Budgets 2000er ... Entwurf ‘99er ... Entwurf ‘98er ... Entwurf ‘97er ... des Beratung des Vollzug ... ‘99er Budgets des Beratung... des Beratung ... Vollzug ... Vollzug des Kontrolle ... ‘98er Budgets Kontrolle des ‘97er Budgets Kontrolle ... 2001 Kontrolle ... 44 B.3.2 Die Haushaltssystematik Der Haushaltsplan besteht aus den folgenden Teilen: a) Dem Gesamtplan, bestehend aus den Einzelplänen, in denen jeder einzelne Ausgabentitel aufgeführt ist, und den kurzen Übersichten (Haushaltsübersicht, Finanzierungsübersicht und Kreditfinanzierungsplan) b) Den Anlagen mit der Gruppierungsübersicht, der Funktionenübersicht, dem Haushaltsquerschnitt als Kombination der beiden genannten Übersichten, der Übersicht über die durchlaufenden Posten und der Personalübersicht Die Ausgaben sind geordnet 1.) in den Einzelplänen nach dem Organ, dem Ministerium oder dem Aufgabenbereich, zu dem sie gehören (= Bundespräsidialamt, Bundeskanzleramt, Bundestag, Bundesrat, Bundesverfassungsgericht, Bundesrechnungshof, Finanzministerium, Wirtschaftsministerium und alle anderen Ministerien, Bundesschuld, Versorgung, Verteidigungskosten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte, Zivile Verteidigung, Allgemeine Finanzverwaltung) => Orientierung an der politischen Verantwortung (Ministerialprinzip) 2.) in der Gruppierungsübersicht nach volkswirtschaftlichen Kategorien, genannt „Gruppe“ (= Einnahmen aus Steuern, Verwaltungseinnahmen, Einnahmen aus Zuweisungen, Einnahmen aus Schuldenaufnahme, Personalausgaben, Sachausgaben, Zuweisungen und Zuschüsse, Baumaßnahmen, andere Investitionen, Besondere Finanzierungsaufgaben) => Orientierung an volkswirtschaftlichen (Makro)Größen 3.) im Funktionenplan nach der gesellschaftspolitischen „Funktion“, der sie dienen (= Allgemeine Dienste, Bildungswesen, Soziale Sicherung, Gesundheit/Sport/Erholung, Wohnungswesen, Ernährung/Landwirtschaft/Forsten, Energie/Wasserwirtschaft, Verkehr- und Nachrichtenwesen, Wirtschaftsunternehmen, Allgemeine Finanzwirtschaft) => Orientierung an öffentlichen Güterkategorien B.4 Neuere Instrumente der Haushaltsplanung B.4.1 Die mittelfristige Finanzplanung („Finanzplanung“) Vorgehensweise und Ziele: - Planung über 5 Jahre mit jährlicher Anpassung und Fortschreibung - Verdeutlichung von Folgekosten und Akzeleratorwirkungen von Ausgabenprojekten - Verdeutlichung von Deckungsmöglichkeiten für geplante Ausgaben - Erleichterung einer fiscal policy als antizyklische Haushaltspolitik 45 Gesetzliche Verankerung: - 1967 mit dem StabWG eingeführt - 1969 ins Haushaltsgrundsätzegesetz aufgenommen B. 4.2 Das PPBS („Planning Programming Budgeting System“) Das PPBS wurde 1965 durch Präsident Johnson in den USA als Idee eingeführt. Es hat sich nach einigen Versuchen weder in den USA noch in anderen Ländern durchgesetzt. Das Ziel des PPBS ist es, eine outputorientierte (politische) anstelle einer inputorientierten (bürokratischen) Haushaltsplanung zu realisieren. Wichtigste Elemente des PPBS: - Zielbezogenheit: Nationale gesellschaftspolitische Ziele werden in eine Programmstruktur (übergeordnete Programmkategorien mit einzelnen Programmelementen) übersetzt und aus diesem wird ein Finanzplan entwickelt. Es findet eine integrierte Nutzen-Kosten-Analyse und Erfolgskontrolle statt. Größtes Problem: Das größte Problem des PPBS ist der hoher Planungsaufwand durch die Vielzahl an Alternativrechnungen und Rechenschaftsberichte für einzelne Programmkategorien. B.4.3 a) sero base budgeting b) sunset legislation 46 C. Öffentliche Einnahmen C.1 Übersicht über die öffentlichen Einnahmen C.1.1 Das System der öffentlichen Einnahmen Systematische Übersicht über Einnahmearten Die staatliche Finanzierung knüpft immer an die leistungsfähigsten Größen im volkswirtschaftlichen Kreislauf an. Historisch dominierten die Erwerbseinkünfte aus Vermögen über die steuerlichen Einnahmen und die Einnahmen aus Verschuldung. Heute ist es umgekehrt. Überweisungen von anderen Gebietskörperschaften finden innerhalb eines nationalen oder internationalen Finanzausgleichs statt oder resultieren aus freiwilligen internationalen Hilfeleistungen. Unterscheidung zwischen verschiedenen Einnahmearten und Marktnähe der Einnahmearten Einnahmearten lassen sich nach ihrer Marktnähe einordnen. Marktnahe Einnahmen, bei denen der Staat als Marktpartner handelt und sich den Gesetzen des Marktes unterwirft, entsprechen dem Äquivalenzprinzip, marktferne Einnahmen, bei denen der Staat mit Hilfe seiner Hoheitsrechte tätig wird, können anderen Prinzipien als dem Äquivalenzprinzip folgen, z.B. dem Leistungsfähigkeitsprinzip. 47 Überblick über die wichtigsten Einnahmen der Gebietskörperschaften A) Einnahmen des Bundes Ausgabenvolumen (in Mrd DM) 1970 1975 1980 1985 1989 1990 1991 1992 1993 1994 19952) 19963) 88.6 160.0 217.6 259.4 292.9 311.4 406.1 431.2 462.5 478.9 489.5 489.5 Einnahmen aus Steuern Nettokreditaufnahme absolut (in Mrd DM) 87.6 125.0 189.9 236.7 277.9 290.5 354.1 399.5 401.6 439.6 439.0 411.0 absolut (in Mrd DM) 2.0 36.4 26.81) 25.1 15.4 51.6 44.3 24.6 74.2 27.2 44.9 83.0 in % der Ausgaben 98.9 78.1 87.3 91.2 94.9 93.3 87.2 92.6 86.8 91.8 89.7 84.0 Quelle: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank (fortlaufend, Stand: Aug.1997) 1) Der Bund hat die Schulden des Lastenausgleichsfonds ab 1980 mitübernommen 2) und 3) teilweise geschätzte Zahlen in % der Ausgaben 2.3 22,8 12.3 9.7 5.3 16.6 10.9 5.7 16.1 5.7 9.2 17.0 48 B) Einnahmen von Bund, Ländern, Gemeinden und Sondervermögen1) Ausgabenvolumen (in Mrd DM) Einnahmen aus Steuern Nettokreditaufnahme absolut in % der absolut in % der (in Mrd DM) Ausgaben (in Mrd DM) Ausgaben 1970 196.3 154.2 78,6 8.0 4,1 1975 361.5 242.1 67,0 63.5 17,6 1980 510.1 365.0 71,6 54.6 10,7 1985 604.3 437.2 72,3 42.7 7,1 1989 700.8 535.5 76,4 25.8 3,7 1990 749.4 549.7 73,4 123.6 16,5 19912 972.1 661.9 68,1 117.7 12,1 1992 1069.5 731.7 68,4 171.4 16,0 1993 1121.0 749.1 66,8 162.5 14,5 1994 1164.1 786.2 67,5 78.3 6,7 19953) 1198.0 814.2 68,0 98.4 8,2 19964) 1186.0 800.0 67,5 123.3 10.4 Quelle: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank (fortlaufend, Stand: Aug.1997) 1) incl. Bund, Länder, Gemeinden, Fonds "Deutsche Einheit", Kreditabwicklungsfonds, ERP-Sondervermögen 2) ab 1991 einschl. öffentl. Haushalte in Ostdeutschland 3) und 4) teilweise geschätzte Zahlen C.1.2 Die Steuern: Übersicht und Gliederungsgesichtspunkte Definition: Steuern sind Zwangsabgaben ohne Anspruch auf Gegenleistung. Je nach Erkenntnisinteresse können Steuern in unterschiedlicher Weise gegliedert werden. Steuergliederungen Gliederungsvorschlag I: Steuergläubiger als Kriterium Nach Art. 106 GG „Verteilung des Steueraufkommens“ gilt: (1) Jede Gebietskörperschaft verfügt über eigene Steuern: Dem Bund steht das Aufkommen aus den Bundessteuern zu. Dies sind im wesentlichen die Zölle und die Verbrauchsteuern (Ausnahme: die Biersteuer, sie steht den Ländern zu). Hinzukommen einige einzelne Steuern, deren Bedeutung aber nicht zu unterschätzen ist: z.B. der Solidaritätszuschlag und die Versicherungsteuer (als wesentlicher Teil der Kapitalverkehrssteuern). Ländereigene Steuern sind einzelne, aber durchaus ertragstarke Steuern; z.B. die Biersteuer, die Erbschaftsteuer und die Kraftfahrzeugsteuer. Die Gemeinden verfügen traditionellerweise über das Aufkommen der Realsteuern (Grundsteuer und Gewerbesteuer, wobei ein Teil des Aufkommens der Gewerbesteuer jedoch auch in den Steuerverbund fließt) und das Aufkommen der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern (Steuern z.B. auf Hundehaltung, Schankerlaubnis, Vergnügungsstätten, Jagd und Fischerei). (2) Jede Gebietskörperschaft erhält einen Anteil an den Gemeinschaftsteuern (Verbundsteuern). Die Gemeinschaftsteuern sind die Mehrwertsteuer, die Körperschaftsteuer, die Einkommensteuer und die Gewerbesteuer, wie sich aus der Übersicht ergibt: 49 --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Die Steuerverbünde --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Steuer Anteil am Aufkommen Anteil an den Steuereinnahmen (T) der jeweiligen Körperschaft (B, L, G) BEZ = 1,5 % Bund 50,5 % 1. Mehrwertsteuer (seit 1969) 〈 2. Körperschaftsteuerund nicht veranlagte Steuern vom Ertrag 3. Lohn- u. veranlagte Einkommensteuer 4. Gewerbesteuer 〈 TB = 23,6 % B EU = 7,6 % Länder 49,5 % TL = 30,1 % Bund 50 % TB = 50 % Länder 50 % TL = 5,6 % Bund und Länder 1969/70: jeweils 50 % 1995: jeweils 42,5 % TB = 34,5% 〈 〈 B TL = 40 % Gemeinden 1995: 15 % TG = 48,5 % Bund und Länder (als „Gewerbesteuerumlage“) 1969/70: jeweils 20 % 1995: 5 % und 15 % TB = 0,6 % 〈 B TL = 2,0 % Gemeinden 1969/70: 60 % 1995: 80 % TG = 36 % --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------BEZ = Bundesergänzungszuweisungen, EU = Europäische Union Quelle: Finanzbericht 1997, Stand: August 1996; (S. 227, 233, 243) Die Aufteilung der Steuereinnahmen auf die Gebietskörperschaften stellt oft ein Hindernis bei Steuerreformen dar und sorgt für politischen Konfliktstoff in einem föderativen Staat. Aus der Theorie des Föderalismus ergeben sich wichtige Argumente für eine getrennte Zuordnung von Steuern (Trennsystem), weil hier jede Gebietskörperschaft größtmögliche eigene fiskalische Verantwortung trägt. In einem Verbundsystem hingegen kann eine schlechte Haushaltswirtschaft eher verschleiert und von den politisch Verantwortlichen auf andere abgewälzt werden. Gliederungsvorschlag II: Kriterium der „formalen Ausgestaltung“ Verschiedene Gliederungen sind hier möglich. (1) Objekt- bzw. Realsteuer versus Subjekt- bzw. Personalsteuer. Bsp.: Grundsteuer versus Einkommensteuer. Subjekt- bzw. Personalsteuern sind Steuern auf das Einkommen und Vermögen unter Berücksichtigung der persönlichen Einkommensverhältnisse; Objekt- bzw. Realsteuern sind ebenfalls Steuern auf das Einkommen und Vermögen, sie berücksichtigen jedoch die individuellen Einkommensverhältnisse nicht, sondern knüpfen an die sachliche Höhe des Besitzes an. 50 (2) Gliederung nach Steuerobjekten: Vermögen- versus Einnahme- versus Ausgabensteuern: (3) Allgemeine versus zweckgebundene Steuer Eine zweckgebundene Steuer existiert im deutschen Steuersystem nicht: Die letzte Zweckbindung einer Steuer (Mineralölsteuer) wurde 1989 abgeschafft. Gliederungsvorschlag III: Kriterium der Steuerwirkungen (1) Indirekte versus direkte Steuern Vereinfacht wird davon ausgegangen, daß Steuern auf Einkommen und Vermögen direkte Steuern sind (der Steuerschuldner ist auch der Steuerträger) und Steuern auf den Verbrauch von Einkommen und Vermögen indirekte Steuern (der Steuerschuldner ist nicht oder nur teilweise der derjenige, der die Steuer auch trägt). Eine solche Unterscheidung ist jedoch aus finanzwissenschaftlicher Sicht nur nach empirischer Prüfung und nicht per definitionem möglich. Wer eine Steuer trägt, ist eine Frage der Überwälzbarkeit der Steuerlast und damit eine Frage von Marktbedingungen. Bei typischen direkten Steuern (der Einkommensteuer) finden sich ebenso Überwälzungsmöglichkeiten wie bei einer typischen Verbrauchsteuer (z.B. der Mineralölsteuer). (2) Finanzierungssteuern, Lenkungssteuern und Umverteilungssteuern Das Einteilungskriterium ist hier der Zweck der Besteuerung. Besteht der Zweck einer Steuer allein darin, den Staat mit den zur Finanzierung der Staatsausgaben notwendigen Mittel zu versorgen, dann spricht man vom Finanzierungszweck einer Steuer. Wird mit der Besteurung aber eine bestimmte Verhaltensänderung der Besteuerten beabsichtigt, spricht man vom Lenkungszweck der Besteuerung. Sollen mit einer Steuer explizit die Einkommens- und Vermögensunterschiede der Bürger vermindert werden, spricht man vom Umverteilungszweck einer Steuer. 51 Übersicht Steuergliederungen Gliederungsvorschlag I: nach dem Steuergläubiger: (1) Bund, Länder, Gemeinden (2) Steuerverbünde Gliederungsvorschlag II: formale Ausgestaltung (1) Objekt- 9 ⎬ Steuer Real- ⎭ versus 9 ⎬Steuer Personen- ⎭ Subjekt- (2) Gliederung nach Steuerobjekten Vermögen Einnahmen a. Vermögensstand b. Vermögensverkehr c. Vermögenszuwachs a. Ertragsteuer b. Einkommensteuer c. Körperschaftsteuer Ausgaben a. Umsatzsteuer b. spezielle Ausgabensteuer c. Konsumsteuer (3) allgemeine versus zweckgebundene Steuern Gliederungsvorschlag III: nach den Steuerwirkungen (1) direkte versus indirekte Steuern (2) Finanzierungs- versus Lenkungssteuer 52 Die quantitative Bedeutung der wichtigsten Steuern Früheres Bundesgebiet Steuereinnahmen gesamt 1970 1981 1990 Gesamtdeutschland 1991 1992 1993 1994 1995 1996 154,2 370,3 506,6 615,5 681,7 698,0 734,2 765,4 747,0 1. Steuern auf das Einkommen - Lohnsteuer 35,1 116,6 177,6 214,2 247,3 258,0 266,5 282,7 251,3 - veranl. ESt. 16,0 32,9 36,5 41,5 41,5 33,2 25,5 14,0 11,6 - KSt. 8,7 20,2 30,1 31,7 31,2 27,8 19,6 18,1 29,5 - KeSt. 2,0 4,6 10,8 11,4 11,3 22,7 31,5 29,7 25,1 gesamt 61,8 174,3 255,0 298,8 331,3 341,7 343,1 344,5 317,8 in % der St.-einnahmen 40,1 47,1 50,4 48,6 48,6 49,0 46,7 45,0 42,5 2. Steuern auf den Verbrauch MwSt. 26,8 54,3 78,0 98,8 117,3 174,5 195,3 198,5 200,4 Einfuhr USt. 11,3 43,5 69,6 80,9 80,5 41,8 40,4 36,1 36,8 Mineralöl 11,5 22,2 34,6 47,3 55,2 56,3 63,8 64,9 68,3 Kfz 3,8 6,6 8,3 11,0 13,3 14,1 14,2 13,8 13,7 Branntwein 2,2 4,5 4,2 5,6 5,5 5,1 4,9 4,8 5,1 Bier 1,2 1,3 1,4 1,6 1,6 1,8 1,8 1,8 1,7 Tabak 6,5 11,3 17,4 19,6 19,3 19,5 20,3 20,6 20,7 gesamt 63,3 143,7 213,5 264,8 292,7 313,1 340,7 340,5 346,7 in % der St.-einnahmen 41,1 38,8 42,2 43,0 42,9 44,9 46,4 44,5 46,4 3. Steuern auf den Ertrag Grundsteuer 2,7 7,3 8,7 9,9 10,8 11,7 12,7 13,7 14,6 Gewerbesteuer 10,7 26,0 38,8 41,3 44,8 42,3 44,1 42,1 45,9 gesamt 13,4 33,3 47,5 51,2 55,6 54,0 56,8 55,8 60,5 in % der St.-einnahmen 8,7 9,0 9,4 8,3 8,2 7,7 7,7 7,3 8,1 4. Steuern auf das Vermögen VSt. 2,9 4,7 6,3 6,7 6,7 6,8 6,6 7,9 9,0 ErbschaftSt 0,5 1,1 3,0 2,6 3,0 3,0 3,5 3,6 4,0 gesamt 3,4 5,8 9,3 9,3 9,7 9,8 10,1 11,5 13,0 in % der St.-einnahmen 2,2 1,6 1,8 1,5 1,4 1,4 1,4 1,5 1,7 Alle Angaben in Mrd. DM Quelle: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank (fortlaufend, Stand August 1997). 53 C.2 Grundprinzipien der Besteuerung Die beiden Grundprinzipien der Besteuerungen sind das „Äquivalenzprinzip“ und das „Leistungsfähigkeitsprinzip“. - Das Äquivalenzprinzip entspricht dem Prinzip der Gleichheit von Leistung und Gegenleistung, genauer dem der Gleichheit von Grenzleid der Steuerzahlung und Grenznutzen der staatlichen Leistung. - Nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip wird der Bürger, unabhängig von der Menge der in Anspruch genommenen Staatsleistungen und seinem Nutzen daraus, so stark zur Finanzierung der öffentlichen Leistungen herangezogen, wie es seiner absoluten, relativen oder marginalen „ökonomischen Dispositionsfähigkeit“ entspricht. C.2.1 Das Äquivalenzprinzip Übersicht über Anwendungsmöglichkeiten des Äquivalenzprinzips Äquivalenz marktmäßige kostenmäßige nur individuelle totale individuelle partielle nur schematische totale exakte gruppenmäßige partielle totale schematische partielle regionale funktionale Quelle: H. Haller, Die Steuern, a.a.O., Seite 13 ff. Das Äquivalenzprinzip läßt sich in seiner reinen Form als marktmäßige Äquivalenz (Besteuerung entsprechend des individuellen Grenznutzens aus öffentlichen Gütern) total und auch partiell nicht verwirklichen. Tatsächliche Anwendungsmöglichkeiten des Äquivalenzprinzips sind lediglich in verschiedenen Formen der kostenmäßigen Äquivalenz gegeben. Bei der kostenmäßigen Äquivalenz wird eine politisch festgelegte Menge an öffentlichen Leistungen entsprechend ihrer Kosten auf Individuen oder Gruppen umgelegt, und zwar im Ganzen (total) oder in verschiedenen Teilen (partiell) in schematischer oder exakter Weise. Bsp.: Eine Straßenbenutzungsteuer würde eine individuelle schematische kostenmäßige Umlage darstellen, eine Straßenbenutzungsgebühr eine individuelle exakte kostenmäßige Umlage. Früher wurde diesen oder anderen Äquivalenzsteuerideen immer entgegengehalten, daß der technische Aufwand bei der Ermittlung der Inanspruchnahme von öffentlichen Einrichtungen durch die 54 Benutzer viel zu teuer wäre und allein schon deshalb die Anwendung der Äquivalenzbesteuerung scheitern müsse. - In Zukunft ist dies vielleicht anders. Ein Beispiel für totale kostenmäßige gruppenspezifische Äquivalenz stellt die Lastverschiebungswirkung der öffentlichen Schuld dar. Ein Beispiel für partielle kostenmäßige gruppenspezifische Äquivalenz läßt sich in regional (funktional) spezifischer Finanzierung lokaler (funktionaler) öffentlicher Leistungen finden. C.2.2 Das Leistungsfähigkeitsprinzip Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist dem Äquivalenzprinzip diametral entgegengesetzt. Ein Zitat von Heinz Haller (Haller, 1981, S. 14-15) beschreibt die Idee des Leistungsfähigkeitsprinzips und liefert eine Definition: „Von der Vorstellung ausgehend, daß der Staat Leistungen erbringt, die im allgemeinen Interesse liegen, kann man den Beitrag des einzelnen als eine Art von wirtschaftlichem Opfer betrachten, das er für das Ganze, für die Allgemeinheit, auf sich zu nehmen hat. Ein Opfer kann aber nicht nach Vorteilen, die man erlangt, oder nach Kosten, die man verursacht hat, bemessen werden. Vielmehr erscheint ein solcher Betrag für das Ganze völlig abgelöst von Gegenleistungen und fordert eine Entsprechung in einer völlig anderen Richtung: seine Höhe ist so zu bemessen, daß jeder an seinem Opfer zugunsten der Allgemeinheit gleich schwer zu tragen hat. Man kann auch sagen, jeder sei in Anspruch zu nehmen entsprechend seiner Fähigkeit, Opfer zu tragen. ... Das Prinzip der Abgabenbemessung nach der Opferfähigkeit wird als Leistungsfähigkeitsprinzip (ability-to-pay-principle) bezeichnet.“ Dabei ist das Leistungsfähigkeitsprinzip entscheidend bei der Verwirklichung der vertikalen Steuergerechtigkeit. Die unterschiedliche Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen soll demnach so berücksichtigt werden, daß die Steuerpflichtigen mit einer höheren Leistungsfähigkeit auch einer stärkeren Steuerbelastung unterliegen. Über die konkrete Ausgestaltung der Steuerbelastung gibt es verschiedene Auffassungen. Eine dieser Auffassungen kommt in den Opfertheorien zum Ausdruck. Opfertheorien Die grundsätzliche Aussage der Opfertheorien lautet: Das Steueraufkommen soll durch eine Besteuerung erzielt werden, die allen Steuerpflichtigen das gleiche Opfer auferlegt. Dabei wird das Opfer stets durch den aufgrund der Steuererhebung erlittenen Nutzenverlust des Steuerpflichtigen definiert. Im folgenden werden drei Varianten unterschieden, die jeweils den charakteristischen Begriff „das gleiche Opfer“ konkretisieren: 1) Gleiches absolutes Opfer, 2) Gleiches relative Opfer und 3) Realisierung des gleichen Grenznutzens. Zuvor sind aber die den Opfertheorien zugrundeliegenden Annahmen zu nennen: a) Nutzen wird aus Einkommen abgeleitet; b) alle Steuerpflichtige haben identische Nutzenfunktionen; c) Nutzen ist kardinal meßbar; d) Nutzen ist interpersonell vergleichbar; e) der Grenznutzen jeder zusätzlichen Einkommenseinheit ist positiv; f) der Nutzenzuwachs wird aber bei jeder zusätzlichen Einkommenseinheit geringer. Für die grafische Darstellung der Nutzenfunktion in einem Nutzen-Einkommen-Diagramm folgt aus den Annahmen a), e) und f): Die Nutzenfunktion ist eine degressiv ansteigende Funktion des Einkommens. Im folgenden gilt: U für Nutzen, X für Einkommen, X’ für Nettoeinkommen und T für Steuerbetrag. Verdeutlicht werden die Varianten jeweils für die Wohlfahrtsposition eines Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen (mit dem Index R für „reich“) und einem Steuerpflichtigen mit geringem Einkommen (mit dem Index A für „arm“). 55 1) Gleiches absolutes Opfer Gleiches absolute Opfer bedeutet: Gleicher absoluter Nutzenentzug ( ΔU ) bei allen Steuerpflichtigen; also muß für alle Steuerpflichtige gelten: U ( X ) − U ( X − T ) = constant = ΔU . Für die beiden in der Grafik verglichenen Steuerpflichtigen bedeutet diese Variante: ΔU A = ΔU R Aufgrund der hier getroffenen Annahmen folgt aus der Vorschrift „Gleiches absolutes Opfer“, daß der Steuerpflichtige mit höherem Einkommen auch einen (absolut) höheren Steuerbetrag an den Fiskus zu entrichten hat: TR > TA . Der zu zahlende Steuerbetrag nimmt also mit steigendem Einkommen zu. Diese Wirkung kann sowohl mit einem proportionalen als auch mit einem progressiven Steuertarif erreicht werden. Die Vorschrift gleiches absolutes Opfer bestimmt demnach nicht den Steuertariftyp 2) Gleiches relatives Opfer Gleiches relatives Opfer bedeutet: Gleicher relativer (prozentualer) Nutzenentzug ΔU bei allen U Steuerpflichtigen: also muß für alle Steuerpflichtige gelten: U ( X ) −U ( X − T ) = constant . U( X ) Für die beiden in der Grafik verglichenen Steuerpflichtigen bedeutet ΔU A ΔU R = . diese Variante: UA UR Auch bei der Vorschrift „Gleiches relatives Opfer“ gilt: der Steuerpflichtige mit höherem Einkommen muß einen (absolut) höheren Steuerbetrag an den Fiskus entrichten: TR > TA , wobei hier die Steuerzahlung des „Reichen“ noch höher (und folglich die Steuerzahlung des 56 UNIVERSITÄT ZU KÖLN SEMINAR FÜR FINANZWISSENSCHAFT Prof. Dr. K. Mackscheidt Tel.-Nr. (0221) 470 - 2302 / 5656 „Armen“ niedriger) ist als im Fall des gleichen absoluten Opfers. Die Vorschrift „Gleiches relatives Opfer“ hat also eine stärkere Angleichung der Einkommen nach Besteuerung zur Folge als die Vorschrift „Gleiches absolutes Opfer“. Auch diese Wirkung kann sowohl mit einem proportionalen als auch mit einem progressiven Steuertarif erreicht werden. Somit bestimmt auch die Vorschrift gleiches relativen Opfers nicht den Steuertariftyp. 3. Realisierung des gleichen relativen Grenznutzens Diese Variante bedeutet: Nach der Steuerzahlung müssen alle Steuerpflichtige über ein Nettoeinkommen verfügen, aus dem sie einen Grenznutzen in gleicher Höhe erzielen. Bei den oben getroffenen Annahmen bedeutet diese Vorschrift, daß alle Steuerpflichtigen über ein Nettoeinkommen in gleicher Höher verfügen können müssen. Mit den zugrundeliegenden Annahmen bedeutet dies auch, daß sich alle Steuerpflichtigen nach Besteuerung in der gleichen Nutzenposition befinden müssen. Für die beiden in der Grafik verglichenen Steuerpflichtigen bedeutet diese Variante: Der „Reiche“ muß den Steuerbetrag TR an den Fiskus zahlen und der „Arme“ erhält vom Staat einen Transfer in Höhe von TA . Die Vorschrift verlangt die Anwendung des Konzeptes der „Negativen Einkommensteuer“, in dem eine Verbindung von Steuer- und Transfersystem stattfindet. Das Ausmaß an Umverteilung von Einkommen ist bei dieser Nivellierung der Nettoeinkommen natürlich am größten. Beurteilung der Opfertheorien a) Kritik in Bezug auf die Annahmen: Die kardinale Messung des Nutzens sowie die interpersonellen Vergleiche von Nutzen sind in der Praxis nicht möglich. b) Kritik in Bezug auf die Erkenntnisse: - Alleine aus den verschiedenen Varianten des "gerechten" Opfers lassen sich noch keine exakten Vorschriften für die Wahl eines Steuertariftyps ableiten. Nur wenn eine spezielle Nutzenfunktion und eine bestimmte Variante der Opfertheorien vorgegeben werden, läßt sich 57 ein Steuertarif ableiten. Eine numerische Berechnung eines Steuertarifs trifft dann aber noch immer die Kritik des kardinal gemessenen Nutzenindexes. - Es wird stets von gegebenen Bruttoeinkommen ausgegangen. Folglich werden die Effekte der Besteuerung auf die Bereitschaft überhaupt Einkommen zu erzielen, vollkommen vernachlässigt. Durch die Besteuerung verursachte Reaktionen des Steuerpflichtigen in Form eines veränderten Arbeitsangebotes, einer veränderten Ersparnisbildung oder einer veränderter Investitionstätigkeit werden nicht berücksichtigt. Ein Zahlenbeispiel zur Variante 2) Gleiches relatives Opfer (aus: Haller, 1981, S. 81-82) I1 I2 I3 I4 1. Bruttoeinkommen 1.000 2.000 3.000 5.000 in DM 2. Nutzenindex (Annahme: abnehmender Grenznutzen) 3. Nutzenentzug (20% des Nutzenindex) 4. Nutzenindex nach Steuer (Nutzenindex minus Nutzenentzug) 5. Einkommen nach Steuer in DM 6. Steueraufkommen in DM 7. Steuersatz I5 6.000 I6 20.000 100 160 200 240 250 300 20 32 40 48 50 60 80 128 160 192 200 240 800 1.500 2.000 2.800 3.000 5.000 200 500 1.000 2.200 3.000 15.000 20% 25% 33% 44% 50% 75% Graphische Umsetzung des Zahlenbeispiels 58 Die Annahme eines stark abnehmenden Grenznutzens einer zusätzlichen Einkommenseinheit führt in diesem Beispiel zu einem progressiven Steuertarif. Während das Individuum mit dem niedrigsten Einkommen im Durchschnitt 20% des Einkommens als Steuerzahlung an den Fiskus zahlen muß, steigt der Durchschnittssteuersatz mit zunehmendem Einkommen an und beträgt für das Individuum mit dem höchsten Einkommen 75 %. C.2.3 Grundsätze der Besteuerung Überblick Steuerrechtfertigungstheorien 1. Allokationstheoretische Ansätze 1.1 Äquivalenzprinzip 1.2 Theorie der optimalen Besteuerung (Mirrlees 1971) 2. Distributionstheoretische Ansätze 2.1 Opferprinzipien (Leistungsfähigkeitsprinzipien) 2.2 Überschußeinkommensprinzip (Hobson) 2.3 Sozialpolitisches Prinzip (Adolph Wagner) 2.4 Prinzip der kompensatorischen Steuerprogression 3. Stabilitätstheoretische Ansätze 3.1 Keynesscher Ansatz des „fundamentalen psychologischen Gesetzes“ 3.2 Lerners „functional finance“ 3.3 Fiskalpolitischer Ansatz der „built-in-“ und „formula-flexibilty“ 4. Systemischer Ansatz: Allgemeine Grundsätze der gerechten Besteuerung Allgemeine Grundsätze der gerechten Besteuerung Verri (Mediationi 1771) 1. Niemals die Armen besteuern 2. Möglichst geringe Erhebungskosten 3. Gesetzliche Bestimmtheit 4. Keine Störung des Güterumlaufs 5. Keine Erschwerung industrieller Fortschritte Justi (System der Finanzwissenschaft 1766) 1. Die Untertanen müssen imstande sein, die Abgabe zu leisten 2. Abgaben mit gerechter Gleichheit erheben 3. Der Wohlfahrt des Staates und der Untertanen nicht schaden 4. Steuern der Natur des Staates gemäß einrichten 5. Steuern müssen einen sicheren und unbetrüglichen Grund haben 6. Die Entrichtung muß leicht und bequem sein Adam Smith (1776) 1. Grundsatz der Gleichmäßigkeit: Opfer im Verhältnis zu den Fähigkeiten 2. Grundsatz der Bestimmtheit: Steuer gesetzlich exakt hinsichtlich Betrag, Termin etc. 3. Grundsatz der Bequemlichkeit: größtmögliche Bequemlichkeit für den Besteuerten 4. Grundsatz der Wirtschaftlichkeit (Billigkeit): möglichst geringe Erhebungskosten 59 C. 3 Steuerwirkungen In der Steuerwirkungslehre werden die ökonomischen Wirkungen von Steuern untersucht. Dabei läßt sich die Wirkungsanalyse grob in zwei Bereiche unterteilen: Im ersten Bereich gilt es festzustellen, wer letztlich die Last einer Steeur trägt und wie es zu dieser Traglast gekommen ist. Dies ist das Thema der Steuerüberwälzungsanalyse bzw. Inzidenzanalyse. Im zweiten Bereich steht das Interesse an einer effizienten Besteuerung im Mittelpunkt. Dabei gilt es Kriterien und Maße für "Effizienz" festzulegen und zu untersuchen, wie Steuern nach diesen Kriterien und Maßen beurteilt werden können. Inzidenzbegriffe Ökonomische Inzidenz (auch effektive oder materielle Inzidenz) Ermittelt wird hier der Steuerträger, also derjenige auf dessen Schuldenr letztlich die Steuerlast liegen bleibt. Dabei werden sämtliche Anpassungsreaktionen der Besteuerten berücksichtigt. (Bei dieser Analyse findet also auch die Indentifizierung von Zusatzlasten statt). Formale Inzidenz (auch formelle oder gesetzliche Inzidenz) Mit diesem Begriff wird der im Steuergesetz bestimmte Steuerzahler beschrieben. Sobald Steuern überwälzt werden, ist der Steuerzahler nicht mehr in vollem Umfang zugleich Träger der Steuerlast. Eine Überwälzung kann vom Staat durchaus gewünscht sein. Deshalb werden die Begriffe Steuerträger und Steuerdestinatar unterschieden. Steuerdestinatar ist derjenige,der nach den Vorstellungen des Gesetzgebers Träger der Steuerlast sein soll. Inzidenzkonzepte nach Musgrave: - Spezifische Inzidenz; Gemeint ist die Wirkung nach Einführung oder Veränderung einer Steuer, bei Konstanz aller anderen Steuern und bei Konstanz der Staatsausgaben. Die spezifische Inzidenz ist den beiden folgenden Inzidenzbegriffen vorgelagert, denn sie ist als "Vorarbeit" dieser Inzidenzanalysen möglich. - Differenzielle Inzidenz; Gemeint ist die Wirkung nach Einführung oder Veränderung einer Steuer, bei gleichzeitiger Veränderung einer anderen Steuer. Die Staatsausgaben werden als konstant angenommen. - Budgetinzidenz; Gemeint ist hier die Wirkung nach Einführung oder Veränderung einer Steuer, bei gleichzeitiger Veränderung der Staatsausgaben (also Veränderung des Budgets). C.3.1 Steuerwirkungen im schematischen Ablauf Das Steuerwirkungsschema von Schmölders (s.u.) beschreibt die phasenweisen Wirkungen einer Steueränderung in zeitlicher Folge. "Dabei können drei Gruppen von Ausweichreaktionen unterschieden werden, denen ein jeweils geringerer Freiheitsgrad der besteuerten Subjekte entspricht. Diese Gruppen liegen in dem Fall, daß eine neue Steuer eingeführt oder eine bestehende Steuer spürbar verändert wird, zeitlich mehr oder weniger hintereinander, so daß theoretisch ein gewisser Phasenablauf konstruiert werden kann. Aus didaktischen Gründen empfiehlt es sich, die einzelnen Phasen gedanklich streng voneinander zu trennen, obwohl sie in der steuerpolitischen Wirklichkeit ineinander übergehen und auch in ihrer Abfolge nicht eindeutig determiniert sind." (Schmölders/Hansmeyer, 1980, S. 135). 60 Steuerwirkungsschema von G. Schmölders Sequenzanalyse: Änderung oder Einführung einer Steuer I. WAHRNEHMUNGSPHASE II. ZAHLUNGSPHASE III. INZIDENZPHASE abnehmender Freiheitsgrad des Individuums Steueranstoß löst Steuerzahlung gibt Anlaß zu Steuerinzidenz verursacht Signalwirkungen Markt- und Preis wirkungen Einkommenswirkungen Versuch der Steuerausweichung durch: Versuch der Steuerüberwälzung durch: Erduldung, Anpassung oder Aktion: a. zeitliche, räumliche u. sachliche Substitution b. Wahl der Rechtsform c. Kapital- und Steuerflucht d. illegalen Steuerwiderstand a. Vorwälzung b. Rückwälzung c. schräge Überwälzung a. Entzugseffekte b. Konsum- und Spareinschränkung c. Ansporn- oder Grolleffekte in Bezug auf Arbeitsangebot aus Reaktionen: und Investitionen d. Steuerprotest C.3.2 Steuerwirkungen - mikroökonomische Analyse Mikroökonomische Steuerwirkungen sind Mengen- und Preisänderungen auf einzelnen Märkten (Partialanalyse). Im Schmölderschen Steuerwirkungsschema ist hiermit die Zahlungsphase angesprochen. 61 C.3.2.1 Überwälzung einer Mengensteuer (od. auch Stücksteuer) 1) Marktsituation einer vollständigen Konkurrenz Der Produzent wird vom Gesetzgeber zur Zahlung einer Mengensteuer verpflichtet. Für jede verkaufte Mengeneinheit (das ist die Bemessungsgrundlage) muß der Produzent einen bestimmten Betrag (Steuerbetrag pro Stück) an den Fiskus zahlen. (Mengensteuern werden unterschieden von Wertsteuern. Bei Wertsteuern wird der Produzent verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz einer Wertgröße, etwa des Umsatzes, an den Fiskus zu zahlen.) In den folgenden Grafiken wird gezeigt, daß die Möglichkeit der Überwälzung der Steuerlast vom Produzenten (Anbieter) auf den Konsumenten (Nachfrager) von den Preiselastizitäten der Nachfrage und des Angebotes abhängen. In allen Fällen werden folgende Erkenntnisse gewonnen: - Die Höhe des Steueraufkommens. Das Steueraufkommen ergibt sich durch die Multiplikation von Steuersatz mit der nach Steuereinführung auf dem Markt gehandelten Menge. Der Steuersatz kann hierbei auch als Differenz von Brutto- und Nettopreis definiert werden. - Die Traglast der Steuer für Konsumenten und Produzenten. Mit Traglast ist der Verlust an Konsumentenbzw. Produzentenrente gemeint. Die Summe beider Renten muß in der Grafik der Fläche des Steueraufkommens entsprechen. Die Wirkung der Steuer auf Konsumenten und Produzenten wird also als Veränderung der Wohlfahrtsposition beschrieben. Je nach Traglast für die Produzenten und/oder die Konsumenten fällt die Antwort auf die Frage nach der Überwälzbarkeit der Steuer aus. - Die Zusatzlast der Steuer (auch excess burden oder dead weight loss). Die Zusatzlast beschreibt den Wohlfahrtsverlust für Konsumenten und Produzenten, dem keine positiven Wohlfahrtseffekte eines Steueraufkommens gegenüberstehen. Dieser Wohlfahrtsverlust kann auch als Last für die Marktteilnehmer, die über die Last der reinen Steuerzahlung hinausgeht, beschrieben werden. (Vergleiche Kap. C.3.3) - Die Steuervermeidung. Dieser Betrag beschreibt die durch die Reaktion der Marktteilnehmer verursachten geringeren Steuereinnahmen für den Fiskus. Der Betrag folgt aus der Differenz zwischen der gehandelten Marktmenge vor und nach Besteuerung, multipliziert mit dem Steuersatz. a) „Gewöhnliche“ Preiselastizitäten von Angebot und Nachfrage p’ = Preis, wenn Erhöhung mit vollem Steuerbetrag t möglich wäre; pb = (Brutto)Marktpreis nach Steuer, (Preis, an dem sich der Nachfrager orientiert); p0 = Marktpreis vor Steuer; pn = (Netto)Marktpreis (Preis den Produzent erhält); X0 = Gleichgewichtsmenge vor Steuer; X1 = Gleichgewichtsmenge nach Steuer; t = Steuersatz; T = Steueraufkommen. p A' Traglast für Konsumenten t p' pb A t po pn N Traglast für Produzenten X1 X0 X 62 T = t ⋅ X 1 = (p1 − p n ) ⋅ X 1 Traglast für Konsumenten: ( p 1 − p 0 ) ⋅ X 1 Traglast für Produzenten: ( p 0 − p n ) ⋅ X 1 Zusatzlast: 1 2 ⋅ t ⋅ ( X 0 − X 1 ) Steuervermeidung: t ⋅ ( X 0 − X 1 ) = ( p' − p b ) ⋅ ( X 0 − X 1 ) Steueraufkommen: b) Vollkommen unelastische Preiselastizität der Nachfrage p N Steueraufkommen: T = t ⋅ X 0 = ( p1 − p 0 ) ⋅ X 0 A’ p1 ; enspricht hier der Traglast für Konsumenten. A t Also: vollkommene Überwälzung und keine Steuervermeidung pn = p0 X X0 c) Vollkommen elastische Preiselastizität der Nachfrage p Steueraufkommen: T = t ⋅ X 1 = (p 0 − p n ) ⋅ X 1 ; entspricht hier der Traglast für Produzenten. A’ p’ t p1 = p0 A Also: Keine Überwälzung der Steuer möglich. N t Steuervermeidung: pn ( p1 − p 0 ) ⋅ ( X 0 − X 1 ) X1 X0 d) Vollkommen elastische Preiselastizität des Angebotes X 63 p Steueraufkommen: N T = t ⋅ X 1 = (p1 − p 0 ) ⋅ X 1 ; entspricht hier der Traglast für Konsumenten. p1 pn = p0 A’ Also: Vollkommene Überwälzung der Steuer. A Steuervermeidung: t ( p1 − p 0 ) ⋅ ( X 0 − X 1 ) X1 X X0 e) Vollkommen elastische Preiselastizität des Angebotes p Steueraufkommen: A T = t ⋅ X 0 = (p 0 − p n ) ⋅ X 0 ; entspricht hier der Traglast für Produzenten. p0 t p1 = pn Also: Keine Überwälzung möglich und keine Steuervermeidung. N X x0 64 Ergebnis: Möglichkeiten der Überwälzung einer Mengensteuer von Produzenten auf Konsumenten Preiselastizitäten vollkommen unelastisch totale Überwälzung Nachfragefunktion Keine Überwälzung Angebotsfunktion vollkommen elastisch Keine Überwälzung totale Überwälzung Es gilt demnach: 1. Je preisunelastischer die Nachfrage und je preiselastischer das Angebot, desto größer ist die Möglichkeit der Steuerüberwälzung. 2. Je preiselastischer die Nachfrage und je preisunelastischer das Angebot, desto geringer ist die Möglichkeit der Steuerüberwälzung. Oder allgemein: „Der von der Marktseite zu tragende Steueranteil ist um so größer, je unelastischer diese Marktseite reagiert und je elastischer die andere Marktseite reagiert.“ (Homburg, 1997, S. 113) 2) Marktsituation eines Monopols Auch hier werde der Produzent verpflichtet, eine Mengensteuer an den Fiskus zu zahlen. Die Preis-Absatz-Funktion lautet: p( X ) = − aX + b. Angenommen wird eine lineare Gesamtkostenkurve; in der Grafik können deshalb konstante Grenzkostenkurven (K’) eingezeichnet werden. Die Mengensteuer kann auch hier als eine parallele Verschiebung der Grenzkostenkurve dargestellt werden. p p0 pb Steueraufkommen: T = t ⋅ X 1 = ( pb − p n ) ⋅ X 1 t = pb - pn Traglast für Konsumenten: ( pb − p0 ) ⋅ X1 C1 C0 pn Traglast für Monopolisten: ( p0 − pn ) ⋅ X 1 K’1 t K’0 PAF x1 x2 E' x Einem Monopolisten kann nicht die vollständige Überwälzung der Last einer Mengensteuer gelingen. C.3.2.2 Gewinnsteuerüberwälzung Im Vergleich zur Analyse der Mengensteuer kann man nun nicht mehr pauschal den ganzen Markt betrachten, sondern man muß die Position eines Unternehmens im Markt genauer definieren; zu fragen ist also, in welcher Art des Wettbewerbs dieses Unternehmen steht, und ob aus dieser Situation heraus Gewinnsteuern - ebenso wie Mengensteuern - überwälzt werden können. 65 1) Gewinnsteuerüberwälzung intramarginalen Anbieter im Polypol mit homogenen Gütern für einen Im Fall der vollständigen Konkurrenz sind alle Unternehmen gewinnlos, zahlen also keine Gewinnsteuer. Kurzfristig ist es aber möglich, daß gleichzeitig marginale und intramarginale Anbieter auf dem Markt existieren. Der "intramarginale" Anbieter ist dadurch definiert, daß für ihn die totalen Durchschnittskosten im Marktergebnis unterhalb des Marktpreises liegen. Beim gewinnlosen marginalen Anbieter fällt (naheliegenderweise) keine Gewinnsteuer an. Der intramarginale Anbieter hat aufgrund seiner atomistischen Größe keine Möglichkeit, seinen Preis nach Steuern zu erhöhen. TDK = totale Durchschnittskosten 0M = Gleichgewichtsmenge vor und nach Steuer Ergebnis: Der Anbieter hat keine Möglichkeit, die Steuerlast auf den Nachfrager zu überwälzen, denn durch die Besteuerung ändert sich weder der Marktpreis noch die optimale Marktmenge. Langfristige Gewinnsteuerüberwälzung im Polypol Annahmen: a) homogene Güter b) kalkulatorischer/s Unternehmerlohn/Zins/Risiko Eine teilweise Überwälzung der Gewinnsteuer findet statt. Wirkungskette: 1. Vor Gewinnsteuererhebung/erhöhung entspricht der Preis den Durchschnittskosten inklusive den kalkulatorischen Positionen für Unternehmerlohn, Zins und Risiko des marginalen Anbieters. Es gibt jedoch auch "intramarginale" Anbieter, die Gewinn erzielen. 2. Die Gewinnsteuererhebung verursacht eine Erhöhung der totalen Durchschnittskosten aller Anbieter. Für den vormals marginalen Anbieter hat die Gewinnsteuer einen Verlust bei den kalkulatorischen Positionen zur Folge. Der vor Steuer noch intramarginale Anbieter wird (so sei hier angenommen) nun zum marginalen Anbieter. 3. Die den Verlust erleidenden Unternehmen scheiden im Zeitablauf aus dem Markt aus. Folglich sinkt das gesamte Marktangebot und der Marktpreis. Der nach Steuer marginale Anbieter wird im Zeitablauf erneut zum gewinnerzielenden intramarginalen Anbieter. 66 67 2) Gewinnsteuerüberwälzung im Monopol a. Marktebene TDK = totale Durchschnittskosten 0Mc = Gleichgewichtsmenge vor und nach Steuer b. Unternehmensebene (Annahme: lineare Konstenfunktion) Mopt = optimale Menge vor und nach Steuer 68 Gewinnsteuerüberwälzung Cournotschen Preises C im Monopol bei einer Preisbildung unterhalb des Wird ein Monopolist erst durch die Erhebung einer Gewinnsteuer dazu veranlaßt, den Cournotschen Punkt zu realisieren, kommt es faktisch zu einer Überwälzung der Steuer. F = Preis vor Steuer, H = Preis nach Steuer 0B = Gleichgewichtsmenge vor Steuer ohne Gewinnmaximierungskalkül 0A = Gleichgewichtsmenge nach Steuer bei Gewinnmaximierungskalkül FESD = Gewinn vor Steuer HGLC = Gewinn nach Realisierung des Cournotschen Punktes 1 ⋅ HGLC = Steueraufkommen bei 50 %iger Gewinnsteuer 2 3) Gewinnsteuerüberwälzung im heterogenen Oligopol: Das Modell der geknickten Nachfragefunktion (Sweezy) Wie im Fall des Monopols ändert sich auch im Oligopol durch die Steuererhebung nichts an den Optimalbedingungen der Unternehmen, so daß die realisierte Menge durch die Besteuerung nicht verändert wird. 69 0Mopt = Gleichgewichtsmenge vor und nach Steuer Gewinnsteuerüberwälzung im Oligopol bei gemeinsamer Gewinnmaximierung Werden oligopolistische Anbieter durch die Erhebung einer Gewinnsteuer veranlaßt, eine gemeinsame statt einer individuellen Gewinnmaximierung vorzunehmen, kommt es - wie im Fall des nicht-gewinnmaximierenden Monopolisten (s.o.) - zu einer Überwälzung der Steuer. 70 Pi = Preis vor Steuer Pg = Preis nach Steuer Miopt = Angebotsmenge bei individueller Gewinnmaximierung vor Steuer Mgopt = Angebotsmenge bei gemeinsamer Gewinnmaximierung nach Steuer PA0F = geknickte PAF bei Oligopol (vor Steuer) PAmF = PAF bei gemeinsamer Gewinnmaximierung (Monopol) (nach Steuer) 4) Gewinnsteuerüberwälzung bei heterogenen Gütern im Polypol (monopolistische Konkurrenz): Das Modell der doppelt geknickten Nachfragefunktion (Gutenberg) Innerhalb des monopolistischen Spielraums sind Preiserhöhungen bei nur geringem Absatzverlust möglich. Weil die Optimalbedingungen der Unternehmen nicht verändert werden, ist auch hier keine Überwälzung möglich. 71 C.3.3 Zusatzlast der Besteuerung 1) Zusatzlast einer Mengensteuer (im Markt-Preis-Diagramm) P A' N A t grau schraffierte Fläche = Zusatzlast ("excess burden"), die von den Konsumenten getragen wird. schwarz schraffierte Fläche = Zusatzlast der Produzenten. Pb P0 Pa X X1 X0 A' = Angebot nach Steuer X0 = Menge vor Steuer, X1 = Menge nach Steuer 2) Zusatzlast einer Besteuerung des Arbeitseinkommens (im EinkommenArbeitszeit/Freizeit-Modell) Zunächst: Analyse der Wirkung des Arbeitseinkommens auf das Arbeitsangebot eines Individuums im "Einkommen-Arbeitszeit/Freizeit-Modell" (oder auch "Arbeitsangebotsmodell"). Die Annahmen des Modells: - Es wird von gegebenen Präferenzen des Individuums ausgegangen, die sich grafisch durch eine Schar von Indifferenzkurven darstellen lassen. Es wird von positivem, aber degressiv ansteigenden Grenznutzen von zusätzlichem Einkommen und von zusätzlicher Freizeit ausgegangen. Die Indifferenzkurven sind demnach konvexe Funktionen. Die Besteuerung verändert die Präferenzen, also Lage und Steigung der Indifferenzkurven, nicht. - Die Budgetgerade folgt aus der Annahme in Bezug auf den unterstellten Lohnsatz und in Bezug auf die unterstellte Steuer. Es wird hier von einem konstanten Lohnsatz ausgegangen, woraus eine lineare Budgetgerade (Arbeitszeit x Lohnsatz = Bruttoeinkommen) folgt. Verschiedene Steuern verändern diese Budgetgerade auf verschiedene Weisen: 72 0'A = Budgetgerade vor Steuer 0'‘B = Budgetgerade bei Pauschsteuer (Kopfsteuer) 0'C = Budgetgerade bei proportionaler Steuer 0'D = Budgetgerade bei direkt progressiver Steuer 0’E = Budgetgerade bei indirekt progressiver Steuer Eingezeichnet ist ein Bespiel mit einem Arbeitsangebot des Individuums in Höhe von 0’A. Das Beispiel ist so gewählt, daß bei diesem Arbeitsangebot bei allen Steuervarianten ein gleich hohes Steueraufkommen erzielt wird. Generell gilt: Das Steueraufkommen ist immer die Differenz zwischen der Budgetgeraden vor Steuer und der durch die Steuer veränderten Budgetgeraden. Nur bei der Pauschsteuer (Kopfsteuer) ist dieser Abstand unabhängig vom gewählten Arbeitsangebot immer gleich; das Steueraufkommen besteht eben aus einem „pauschalen“ Betrag. Bei allen anderen Steuervarianten ist das Steueraufkommen abhängig von der vom Individuum gewählten Arbeitszeit. Wichtig: Die Besteuerung verändert immer lediglich die Budgetgerade bei unveränderter Indifferenzkurvenschar. Durch die Veränderung der Budgetgeraden kommt die optimale Entscheidung des Individumms nach Besteuerung zustande. - Es handelt sich hier um ein Partialmodell. Andere Einflüsse auf die Steuerwirkung, wie zum Beispiel die Rigiditäten durch Arbeitsverträge, werden hier nicht berücksichtigt. Einkommens- und Substitutionseffekte der Besteuerung von Arbeitseinkommen Aufgrund des folgenden Modells wird die beobachtbare (Gesamt-)Reaktion des Individuums auf die Besteuerung des Arbeitseinkommens in zwei Reaktionen unterteilt. Unterschieden wird die Veränderung des Arbeitsangebotes des Individuums in: 1. die Veränderung aufgrund des durch die Steuer verringerten Nettoeinkommens (also der reduzierten Kaufkraft); diese Reaktion wird als Einkommenseffet (EE) bezeichnet; und 2. die Veränderung aufgrund des durch die Steuer veränderten Lohnsatzes [also der Veränderung des relativen "Preises" (oder der Opportunitätskosten) der Freizeit]; diese Reaktion wird als Substitutionseffekt (SE) bezeichnet. In der Grafik kann die proportionale Steuer auf Arbeitseinkommen durch die eingezeichnete Drehung der Budgetgeraden dargestellt werden. Der (Butto-)Lohnsatz wird proportional (also um einen bestimmten Prozentsatz) reduziert. Der Tangentialpunkt der Budgetgeraden nach Steuer mit einer Indifferenzkurve (aus der gegebenen Indifferenzkurvenschar!) zeigt die optimale Entscheidung des Individuums nach Steuer. Den Einkommenseffekt kann man nun ermitteln, in dem zunächst untersucht wird, wie das Individuum reagiert hätte, wenn bei gleichem Nutzenentzug durch die Besteuerung lediglich pauschal die Kaufkraft reduziert worden wäre. Eine solche pauschale Besteuerung wäre etwa durch eine "Kopfsteuer" denkbar. Grafisch wird eine Pauschsteuer durch die parallele Verschiebung der Budgetgeraden von Steuer dargestellt. Der dann erzielte Tangentialpunkt zeigt für diesen Fall die optimale Entscheidung des Individuums an. Hier ist folgendes Beispiel eingezeichnet: Aufgrund der reduzierten Kaufkraft des durch die Besteuerung verminderten Einkommens erhöht das Individuum sein Arbeitsangebot (von A0 auf A1), um dadurch einen Teil der verminderten Kaufkraft seines (Netto-) Einkommens wieder auszugleichen. Das ist, wenn auch die wahrscheinlichste, aber nicht die theoretisch einzig mögliche Reaktion des Besteuerten. Abhängig von den individuellen Präferenzen ist auch ein unverändertes Arbeitsangebot oder sogar eine Reduktion des Arbeitsangebotes möglich. In diesen Fällen müßte der Tangentialpunkt von Indifferenzkurve und (parallel verschobener) Budgetgeraden nach Pauschsteuer auf dem, oder rechts vom ursprünglichen Arbeitsangebot liegen. 73 Den Substitutionseffekt ermittelt man, in dem die Reaktion des Individuums auf die durch die proportionale Steuer verursachte Veränderung des Lohnsatzes festgestellt wird. Aufgrund der Modellannahmen ist diese Reaktion immer eindeutig: Die Reaktion des Individuums ist immer entgegengesetzt der Preisänderung. Bei einer durch die Besteuerung verursachten Senkung des Lohnsatzes reduziert das Individuum das Arbeitsangebot (hier von A1 auf A2). [Umgekehrt bei einer Senkung der Steuer!]. Das Ausmaß des SE hängt dabei von der Arbeitsangebotselastizität (in der Grafik ausgedrückt durch die Steigung der Indifferenzkurve) ab. EE und SE zusammen ergeben den Gesamteffekt der Besteuerung (hier: Reduktion der Arbeitszeit von A0 auf A2). Die "Effekte" beziehen sich also immer auf das Verhalten des Besteuerten - hier auf die Veränderung des Arbeitsangebotes. Die Darstellung der Zusatzlast 74 Y D E Steueraufkommen F R U S 0 I1 I2 I0 Freizeit C B A G 0' Arbeitszeit 0’A = Arbeitszeit vor Steuer 0’B = Arbeitszeit nach einer proportionalen Steuer (Annahmen hier: SE > EE). 0’C = Arbeitszeit bei einer „lump-sum-tax“ (Pauschalsteuer). Die größere Nähe der Indifferenzkurve I2 im Vergleich zur Indifferenzkurve I1 zum Ursprung zeigt die Zusatzlast der Besteurung des Arbeitseinkommens. Es gilt: Die Zusatzlast ist umso größer, je höher der Substitutionseffekt der proportionalen Steuer ist. 75 Zusatzlast einer linear progressiven Steuer auf das Arbeitseinkommen 0'S = Budgetgerade vor Steuer RR = Budgetgerade bei Pauschsteuer (gleiches Steueraufkommen) 0'U = Budgetgerade bei indirekt-progressiver Steuer 0'A = Arbeitszeit vor Steuer 0'B = Arbeitszeit bei indirekt-progressiver Besteuerung 0'C = Arbeitszeit bei Pauschsteuer RS = Steueraufkommen Die größere Nähe der Indifferenzkurve I2 im Vergleich zur Indifferenzkurve I1 zum Ursprung zeigt die Zusatzlast einer indirekt-progressiven Arbeitseinkommensteuer. 76 Proportionale versus linear progressive Besteuerung des Arbeitseinkommens - Vergleich bei gleichem Nutzenniveau nach Besteuerung 0’Ao = Arbeitszeit vor Steuer 0’B = Arbeitszeit bei linear-progressiver Besteuerung 0’C = Arbeitszeit bei proportionaler Besteuerung Literaturhinweise Andel, N. (1992): Finanzwissenschaft, 3. Aufl., Tübingen. Arnold, V. 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