Altern mit Köpfchen - Max-Planck

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FOKUS
DIE WELT IM KOPF
„Was Hänschen nicht lernt,
lernt Hans nimmermehr“ sagt der
Volksmund. Fälschlicherweise.
Altern mit
Köpfchen
Selbst Opa Hans kann es noch
lernen, auch wenn es ihm
chen flankierte Wege, ab und an
ein Mülleimer, gelegentlich ein Getränkeautomat. Navigiert wird mit
zwei Knöpfen – links, rechts, alles
kein Problem. Ein Gehege taucht auf,
doch hinter dem Zaun tummeln sich
nicht Löwen, sondern Elefanten. Dennoch tut man gut daran, sich den
Standort der Dickhäuter einzuprägen.
„Sobald die Testperson das gesuchte
Tier gefunden hat, wird das nächste
Ziel vorgegeben“, erklärt Sabine
Schäfer. „Zehn sind es insgesamt.“
schwerer fällt. Denn das Gehirn
bleibt ein Leben lang wandlungsfähig. Am Forschungsbereich
M
Berliner MAX-PLANCKINSTITUTS
FÜR
FORSCHUNG
BILDUNGS-
untersuchen
MARTIN LÖVDÉN
und
seine Kollegen, wie sich die
Plastizität des Denkorgans im
Laufe der Jahre verändert. Das Ziel: Wege
zu finden, um
den Geist
möglichst
lange fit zu
I LLUSTRATION : G ROSSE V ISION
halten.
artin Lövdén ist 34. Nicht unbedingt das Alter, in dem man
sich über das Altwerden Gedanken
macht. Doch Lövdén tut dies ziemlich
oft – wohl auch, weil er ganz genau
weiß, was ihn erwartet. „So mit 65,
70 wird meine geistige Leistungsfähigkeit langsam nachlassen. Mein
Gedächtnis wird schlechter, meine
Wahrnehmungsgeschwindigkeit verlangsamt sich, und es wird mir
schwerer fallen, etwas Neues zu lernen“, sagt der Vater zweier kleiner
Kinder, wenn er einen Blick in seine
Zukunft wirft. Das sei ein ganz natürlicher Prozess, fügt er hinzu und wirkt
dabei so nüchtern, dass man fast
glauben könnte, er habe sich mit diesem Schicksal bereits abgefunden.
Tatsächlich trifft genau das Gegenteil zu. Martin Lövdén will wissen,
warum sich die Gedächtnisfunktionen im Alter verschlechtern und –
noch wichtiger – wie sich das verhindern oder zumindest verzögern lässt.
Um Antworten auf diese, angesichts
der demografischen Entwicklung
auch gesellschaftspolitisch drängenden Fragen zu finden, hat der
Psychologe am Berliner Max-PlanckInstitut für Bildungsforschung eine
Selbständige Forschergruppe aufgebaut. Dass man etwas gegen das cognitive aging unternehmen kann, steht
für ihn außer Zweifel. „Unser Gehirn
bleibt ein Leben lang entwicklungsfähig, deshalb können auch alte Menschen ihre kognitiven Leistungen
durch Training und Übung noch verbessern“, sagt Lövdéns Kollegin Sabine Schäfer und öffnet die Tür zu
einem kleinen Raum im Keller des
Dahlemer Instituts.
WIRRWARR
IM
VIRTUELLEN IRRGARTEN
F OTOS : N ORBERT M ICHALKE
Entwicklungspsychologie des
Ein Zoobesuch im Dienst der Wissenschaft:
Auf dem Bildschirm erscheint ein Weg, auf
dem der Proband im realistischen Szenario
verschiedene Tiergehege ansteuern muss.
Dort treten die Max-Planck-Forscher seit März den Beweis an – mit
einem „Härtetest für Ältere“, wie
Martin Lövdén es nennt. Als er seine
Forschungsassistentin bittet, das Programm zu starten, huscht ein Lächeln
über sein Gesicht. Es könnte der Tatsache geschuldet sein, dass sich die
Aufgabe auch für einen Mittdreißiger
als ziemlich kniffelig entpuppt. Kurz
gesagt geht es darum, sich in einem
virtuellen Zoo zu orientieren. Der
Proband steigt auf das im Boden installierte Laufband, auf dem Bildschirm
vor ihm erscheint der Eingang des
Tierparks, rechts oben ist das Wort
Löwe eingeblendet. Den König der
Tiere gilt es als Erstes zu finden.
Das Szenario wirkt ziemlich echt:
ordentliche, von kleinen Baumgrüpp-
Die Erfolgsliste der momentanen Testperson ist recht kurz: Neben dem
Löwen steht nur das Känguru darauf – nach gut 20 Minuten Suchmarsch in der virtuellen Realität. Eine
Sitzung dauere normalerweise 50 Minuten, verrät Schäfer und schiebt, wie
es sich für eine gute Psychologin gehört, gleich den passenden Trost hinterher. „Niemand schafft einen Zoo
pro Sitzung, selbst wenn er perfekt
navigiert, geht es rein zeitlich nicht.“
Und das ist Absicht. Die Forscher
des Max-Planck-Instituts haben die
Tierparks gezielt so angelegt, dass
ihre Versuchsteilnehmer mehr als eine
Übungseinheit brauchen, um sich in
dem Wirrwarr von Käfigen und Wegen zurechtzufinden. Drei Sitzungen
gibt es pro Woche, und jedes Mal setzt
der Proband den Parcours exakt an
der Stelle fort, an der er beim letzten
Termin nach Ablauf der Testzeit stehen geblieben ist. „Er weiß also, dass
er übermorgen weitermachen muss
und denkt deshalb vermutlich auch
zu Hause noch über das Labyrinth
nach“, erläutert Martin Lövdén. „Davon versprechen wir uns einen zusätzlichen Trainingseffekt.“
96 Menschen werden insgesamt an
der Studie teilnehmen, die eine Hälfte
sind Studenten zwischen 20 und 30
Jahren, die andere Senioren im Alter
von 60 bis 70. Die Testpersonen müssen das Training 14 Wochen lang ab-
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LONDONER TAXIFAHRERN
INS
HIRN
GEBLICKT
Ihr Hippocampus ist im hinteren Teil (oben) deutlich größer als bei Vergleichspersonen,
die in ihrem Beruf nicht permanent durch das Straßengewirr einer Millionenmetropole
navigieren müssen. Mit diesem Befund hat die englische Neurowissenschaftlerin Eleanor
Maguire vom University College London bereits 1999 belegt, dass der Hippocampus, der
bei der räumlichen Orientierung eine zentrale Rolle spielt, mit seiner Aufgabe wächst.
Die Vergrößerung des hinteren Hippocampus-Teils nahm mit der Zahl der Berufsjahre
sogar noch zu (Grafik rechts oben). Dagegen wurde der vordere Teil des Hippocampus
kleiner (Grafik rechts unten).
solvieren, davor und danach fahren
sie an die Universität Magdeburg zur
Kernspintomografie. Mit diesem bildgebenden Verfahren wollen die Forscher herausfinden, wie sich spezielle
Hirnareale als Reaktion auf das intensive Lernprogramm verändern – und
ob diese Veränderungen bei Älteren
anders aussehen als bei Jungen.
Das besondere Augenmerk der
Wissenschaftler gilt dabei dem Hippocampus, der für Lernen und Gedächtnisbildung wichtigsten Region
des menschlichen Denkorgans. Sämtliche neuen Informationen werden in
diesem kleinen Bereich am unteren
Rand der Hirnrinde verarbeitet. „Außerdem weiß man, dass der Hippocampus plastisch ist“, sagt Sabine
Schäfer und gibt damit ein entscheidendes Stichwort.
Der vom griechischen Wort plastokos („zum Formen geeignet“) abgeleitete Begriff Plastizität beschreibt
eine Eigenschaft, die dem Gehirn
lange Zeit gänzlich abgesprochen
wurde: Wandlungsfähigkeit. Spätestens mit der Pubertät, so dachte man,
sei die Entwicklung des Organs abgeschlossen und fortan würden Nervenzellen, wenn überhaupt, nur noch
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abgebaut. Doch heute steht fest: Das
erwachsene Gehirn verändert sich bis
ins hohe Alter hinein ständig. Schon
ein geringfügiger Wechsel der Lebensumstände kann plastische Umbauprozesse, wie das Sprossen neuer
Nervenzellverbindungen, in Gang
setzen. „Die Plastizität ermöglicht es
uns, unser Verhalten an die Umgebungsbedingungen anzupassen und
neue Dinge zu lernen“, erklärt
Lövdén. „Älteren Menschen fällt das
zwar schwerer, grundsätzlich bleibt
aber auch ihr Gehirn plastisch.“
TRAINING HINTERLÄSST
SPUREN IM GEHIRN
Dementsprechend rechnet der Psychologe fest damit, dass sein Orientierungstraining bei allen Probanden neuronale Spuren hinterlässt. „Wir erwarten
eine Volumenzunahme des Hippocampus, die bei den älteren Probanden
aber geringer ausfallen sollte als bei
den jungen.“ Lövdén nennt drei Mechanismen, durch die diese Vergrößerung zustande kommen kann: „Durch
die Bildung neuer Blutgefäße, neuer
synaptischer Verbindungen – und nicht
zuletzt durch Neurogenese, also die
Produktion neuer Nervenzellen.“
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Hätte er diesen Satz vor zehn Jahren gesagt, wäre er von seinen neurowissenschaftlichen Kollegen wahrscheinlich für unzurechnungsfähig
erklärt worden. Denn damals waren
alle überzeugt: Egal was im Gehirn
passiert – es ist vollkommen ausgeschlossen, dass neue Neuronen
wachsen. Dass man den Begriff Neurogenese heute in den Mund nehmen
darf, ohne seinen wissenschaftlichen
Ruf zu riskieren, liegt nicht zuletzt
an Fernando Nottebohm von der Rockefeller University in New York.
Mitte der 1980er-Jahre fragte
sich der Biologe, warum männliche
Kanarienvögel im Frühjahr ein
ganzes Repertoire von Melodien
besitzen, das sie im Laufe des Sommers aber verlieren – um dann im
nächsten Frühling die Weibchen
mit neuen Liedern zu betören. Nottebohms seinerzeit ziemlich gewagte Erklärung: Nach der Paarungszeit gehen Nervenzellen in
den Gesangszentren der Vögel zunächst unter, um dann im Frühjahr
durch neue Neuronen ersetzt zu
werden. Mittels radioaktiv markierter DNA-Bausteine erbrachte er den
Beweis: Tatsächlich produzierten
die Sangeskünstler im Frühjahr
jede Menge frischer Hirnzellen.
Im Jahr 1998 zeigten schwedische
und amerikanische Neurowissenschaftler, dass es auch im menschlichen Gehirn Neurogenese gibt. Und
zwar im Hippocampus, also dem Areal, das die Forscher des Berliner MaxPlanck-Instituts bei ihren Probanden
mit der Kernspintomografie untersuchen. Fest steht: Diese Region sieht
nicht bei jedem Menschen gleich aus.
So scannte Eleanor Maguire vom University College London 1999 die Gehirne von 16 Londoner Taxifahrern
und stellte fest, dass deren Hippocampus vor allem im hinteren Teil deutlich größer war als bei Vergleichspersonen mit anderen Berufen.
Martin Lövdén erstaunt das nicht:
„Gerade für die räumliche Orientie-
DRIVERS AND BUS DRIVERS :
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C HRISTOPH S CHNEIDER NACH EINER V ORLAGE AUS : M AGUIRE EA, W OOLLETT K, S PIERS HJ. 2006. L ONDON TAXI
A STRUCTURAL MRI AND NEUROPSYCHOLOGICAL ANALYSIS . H IPPOCAMPUS 16:1091-1101.
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rung ist der Hippocampus eine ganz
zentrale Region.“ Und Orientierungsvermögen ist unbedingt vonnöten,
um im gigantischen Straßengewirr
der englischen Hauptstadt den
schnellsten Weg von A nach B zu
finden. Manche cab drivers pauken
jahrelang den Stadtplan, bis sie die
Prüfung für ihren Taxischein endlich
schaffen. Und je mehr Berufsjahre,
desto ausgeprägter die Vergrößerung
des Hippocampus. Eleanor Maguires
Schlussfolgerung: „Der Hippocampus
hat seine Struktur verändert, um die
riesige Menge an Navigationserfahrung aufzunehmen.“
WACHSTUM
RÄTSEL AUF
GIBT
Kann sein, muss aber nicht, meint
Lövdén. „Es wäre ebenso möglich,
dass jemand ein sehr gutes Orientierungsvermögen besitzt und deshalb
Taxifahrer wird, sein Gehirn aber
schon vorher anders aussah.“ Lövdéns
Einwand ist absichtlich ein bisschen
provokativ, vorschnelle Schlussfolgerungen sind nicht sein Ding. Tatsächlich spricht jede Menge dafür, dass
die Veränderungen durch das perma-
nente Training angestoßen werden.
Vergangenes Jahr scannte ein Team
um Bogdan Draganski von der Universität Regensburg die Gehirne von
Medizinstudenten vor der heißen
Lernphase fürs Physikum und nach
Abschluss der berüchtigten Zwischenprüfung, die es an Schwierigkeit mit dem Londoner Taxi-Examen
aufnehmen kann. Resultat der monatelangen Büffelei war: ein vergrößerter Hippocampus.
Doch für Sabine Schäfer hat die
Studie ein Manko: „Man sieht zwar
Wachstum, weiß aber nicht, woher es
kommt.“ Sprießen zusätzliche Blutgefäße? Werden weitere Synapsen
gebildet? Oder entstehen gar neue
Neuronen? Um der Lösung des Rätsels näher zu kommen, wird das
Team am Berliner Institut seine Probanden einer Magnetresonanzspektroskopie unterziehen. Mit diesem
Verfahren lässt sich die Konzentration bestimmter Metaboliten ermitteln.
Im Visier haben die Berliner Wissenschaftler ein Molekül namens N-Acetylaspartat Acid, kurz NAA.
„NAA ist ein Stoffwechselprodukt,
das Hinweise auf die Dichte und
Martin Lövdén (re.) will herausfinden, ob und wie
sich der Hippocampus bei seinen Probanden verändert.
Funktionalität der Nervenzellen
gibt.“ Martin Lövdén formuliert das
etwas vage. Denn darüber, ob sich
die Hirnzellen besser vernetzen oder
ob sich neue Neuronen bilden, gibt
auch das Metaboliten-Mapping mittels
Magnetresonanzspektroskopie
keinen Aufschluss. Trotzdem: Wenn
der Hippocampus durch das Orientierungstraining größer wird, ohne
dass NAA ansteigt, steht mehr oder
minder fest, dass dahinter keine neuronalen Prozesse stecken. „Klar erwarten wir, dass sich bei den Nervenzellen etwas verändert, doch für
den Lerneffekt ist der Aufbau neuer
Kapillaren wahrscheinlich genauso
wichtig“, so Lövdén.
GENVARIANTE FÜR EIN
BESSERES GEDÄCHTNIS
Zehn Tiere muss die Testperson insgesamt aufsuchen. Das Spiel ist bewusst so angelegt,
dass dies selbst bei perfekter Navigation in einer Sitzung nicht zu schaffen ist.
Bis Schäfer und Lövdén erste Antworten auf ihre vielen Fragen bekommen, wird es noch dauern: Frühestens
im März 2008 wird der experimentelle Teil der Studie mit knapp 100
Personen beendet sein. Die sind nicht
nur nach Alter unterteilt, sondern zudem nach ihren Genen. Genauer gesagt nach dem DNA-Abschnitt, der
die Synthese des Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF) kontrolliert.
Aus Tierversuchen weiß man, dass
BDNF und die Plastizität des Hippocampus eng miteinander verknüpft
sind. Das Neurotrophin reguliert in
der so wandlungsfähigen Hirnregion
nicht nur Synapsenwachstum und
-aktivität, es fördert auch ganz kon®
kret die Neurogenese.
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Am Computerbildschirm verfolgen Sabine Schäfer
und die Assistentin Gabriele Faust den Weg des Probanden.
Von dem Gen, das die Expression
von BDNF steuert, gibt es zwei Varianten – Allele, wie Molekularbiologen sagen: val und met. Ungefähr
35 Prozent aller Menschen tragen
mindestens eine met-Version in ihrem Erbgut, der Rest zwei val-Kopien. „Die Doppel-val-Besitzer tun
sich bei verschiedenen kognitiven
Aufgaben ein wenig leichter“, erläutert Martin Lövdén. „Ihre Gedächtnisleistungen sind besser – und
sie haben einen größeren Hippocampus.“ Was nicht zwangsläufig
bedeuten muss, dass das eine mit
dem anderen etwas zu tun hat.
Es ist zwar möglich, dass bei zwei
val-Allelen mehr BDNF hergestellt
wird, das dann im Gehirn wie eine Art
Dünger Synapsen und Nervenzellen
sprießen lässt. Bislang ist das aber nur
eine Theorie. Um sie auf ein experimentelles Fundament zu stellen, ist die
eine Hälfte der Testpersonen vom Genotyp val/val, die andere hat mindestens eine met-Variante. „Auf diese
Weise können wir klären, ob dieser
Faktor die Plastizität beeinflusst“, sagt
Lövdén. Wenn dem so wäre, müsste
die durch das Orientierungstraining
induzierte Vergrößerung des Hippocampus bei den Doppel-val-Trägern
ausgeprägter sein – egal ob sie jung
sind oder alt.
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Heißt das, dass letzten Endes das
Erbgut darüber entscheidet, ob jemand bis ins Greisenalter geistig fit
und lernfähig bleibt? „Ein bisschen
Glück mit den Genen mag vielleicht
dazugehören“, meint der Alternsforscher schmunzelnd. „Viel entscheidender ist aber, dem Gehirn genug
geistiges Futter zu geben.“ Auch
sportliche Betätigung trägt nachweislich zum Erhalt der kognitiven Leistungen bei. „Lebe ein reiches Leben“
lautet Lövdéns Tipp fürs Alter. Mit
reich meint er vor allem ein Umfeld,
das viele verschiedene Anregungen
bietet. „Mentale Stimulation wirkt
dem cognitive aging entgegen.“
SOZIALE AKTIVITÄT
HÄLT GEISTIG FIT
Einen weiteren Faktor haben Martin
Lövdén und Ulman Lindenberger,
Direktor des Forschungsbereichs
Entwicklungspsychologie am MaxPlanck-Institut für Bildungsforschung,
vergangenes Jahr erstmals hieb- und
stichfest belegt: „Der Grad der sozialen
Aktivität zu einem bestimmten Zeitpunkt sagt etwas über die kognitive
Leistungsfähigkeit in der Zukunft aus“,
sagt Lövdén: „Umgekehrt ist das nicht
der Fall.“
Ältere Menschen sind also nicht
dann unternehmungslustiger, wenn
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ihre kognitiven Fähigkeiten größer
sind. Das hänge von der Persönlichkeit
ab, ergänzt Sabine Schäfer: „Schließlich gibt es viele Menschen, die fast
schon dement sind und trotzdem weiterhin regelmäßig zum Kaffeekränzchen gehen“, meint die 30-Jährige und
übt ein bisschen Sozialkritik: „Dass in
unserer Gesellschaft so viele alte Menschen alleine und oft auch ziemlich
einsam leben, ist für ihre geistige Fitness sicherlich alles andere als gut.“
Für seine Forschungsarbeiten erhielt Martin Lövdén 2006 einen der
Sofja Kovalevskaja-Preise, die vom
Bundesministerium für Bildung und
Forschung an herausragende Nachwuchswissenschaftler verliehen werden. „Ohne das Preisgeld von einer
Million Euro wäre unser jetziges Projekt so nicht möglich“, sagt der Psychologe. Nicht zuletzt, weil es sehr
aufwändig war, das Computerspiel
Quake in einen virtuellen Zoobesuch
umzuprogrammieren. Warum gehen
die Psychologen mit ihren Probanden
also nicht einfach in den echten Zoo?
Weil dort der Zufall die Aussagekraft
ihrer wissenschaftlichen Untersuchung beeinträchtigen könnte. „In der
virtuellen Realität haben wir die vollständige experimentelle Kontrolle“,
unterstreicht Sabine Schäfer die Vorteile. „Exakt dieselben Bedingungen
für jede Testperson, das ist ideal.“
Was sich als besonders knifflig entpuppte, war, das Level zu finden, das
für alle Probanden passt. „Zu schwer
wäre demotivierend, zu leicht bringt
nichts“, so Schäfer. „Damit es zu
plastischen Veränderungen kommt,
braucht das Gehirn eine Aufgabe, bei
der es wirklich gefordert wird.“ Auf
der Suche nach dem optimalen Level
haben schon in den Vorstudien Dutzende Menschen am Labyrinth trainiert. Bis heute ungeschlagener Champion ist – man ahnt es vielleicht – ein
Berliner Taxifahrer. Hätten die Forscher nicht einige Hürden umschiffen
können, indem sie ihren Probanden
eine Aufgabe geben, bei der es keine
Laufbänder und virtuellen Realitäten
braucht? „Wir denken, dass eine
räumliche Orientierungsaufgabe perfekt ist“, erläutert Lövdén. „Dazu benötigt man das Faktengedächtnis, es
geht um serielles Lernen – erst links,
dann rechts und dann wieder links –
und darum, immer wieder neue Informationen zu verarbeiten. Alles Dinge,
bei denen der Hippocampus eine entscheidende Rolle spielt.“ Also die Region, in der die Max-Planck-Wissenschaftler mit einer trainingsbedingten
Vergrößerung rechnen.
Weil sie möglichst rasch erfahren
wollen, ob sie mit ihrer Vermutung
richtig liegen, herrscht im Dahlemer
Keller derzeit Hochbetrieb. Getestet
wird parallel in zwei Labors, fünf Tage
die Woche jeweils acht bis zehn Stunden. Zwölf studentische Hilfskräfte
wurden eingestellt. Vor Trainingsbeginn und zwei Wochen danach werden
die Probanden nicht nur zum MRT
nach Magdeburg gefahren, sondern
zudem einer ganzen Reihe von Kognitions- und Gedächtnistests unterzogen.
Solchen, die das Orientierungsvermögen prüfen, und anderen.
HIRNJOGGING – DER WISSENSCHAFTLICHE BEWEIS FEHLT
Denn die Alternsforscher bewegt noch
eine Frage: Wenn ein Mensch eine
bestimmte Gedächtnisaufgabe intensiv übt, profitieren seine kognitiven
Leistungen dann auch in anderen Bereichen? Konkret: Hilft das Orientierungstraining etwa dabei, sich Wortlisten zu merken? „Das herauszufinden,
ist eines der großen Ziele in der Plastizitätsforschung“, sagt Lövdén. Bislang gebe es allerdings keine Belege,
dass ein solcher Transfer stattfindet.
Aus diesem Grund hält der Psychologe von den vor allem in den USA
boomenden Gehirnjogging-Programmen für Senioren nicht allzu viel.
„Die Leute üben eine bestimmte Aufgabe und werden darin auch besser“,
sagt er. „Aber eben nur bei genau dieser Aufgabe.“
Selbst wenn die Werbebroschüren
für Hirnjogging-Programme es oft
versprechen, der wissenschaftliche
Nachweis, dass sich damit das altersbedingte Schwinden der Geistesleistung aufhalten lässt, steht bislang
aus. Und Lövdén glaubt auch nicht,
dass er jemals erbracht wird, weil es
so nicht funktioniere. Letztlich entscheide die Lebensführung über das
Wohl unseres Gehirns. „Wer versucht,
gesund zu bleiben, sich sportlich betätigt, sein Sozialleben pflegt und
mentale Aktivitäten sucht, hat gute
Chancen, lange geistig auf der Höhe
zu bleiben. Und je früher man damit
anfängt, desto besser.“
ULRICH KRAFT
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