Fachbereichsarbeit

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Beziehungspflege – welche Faktoren
beeinflussen die kongruente Beziehungspflege?
Fachbereichsarbeit
eingereicht bei Mario Wölbitsch
von Sonja Ender
an der psychiatrischen Gesundheits- und
Krankenpflegeschule Rankweil
Abgegeben in Rankweil am 22. Dezember 2009
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ....................................................................................- 2 1
2
3
Begriffsdefinition kongruente Beziehungspflege .......................- 5 1.1
Ziel der kongruenten Beziehungspflege .............................- 5 -
1.2
Definition Beziehung .......................................................- 6 -
Rahmenbedingungen ............................................................- 7 2.1
Bezugspflege..................................................................- 7 -
2.2
Zeit...............................................................................- 7 -
2.3
Organisation ..................................................................- 8 -
Bindungserfahrungen in entwicklungspsychologischer Hinsicht ..- 9 3.1
Auswirkungen von Bindungserfahrungen auf die weitere
Entwicklung ................................................................. - 10 -
3.2
4
Das menschliche Gehirn = das soziale Organ ................... - 12 -
Übertragung – Gegenübertragung ........................................ - 14 4.1
Übertragung ................................................................ - 14 -
4.2
Gegenübertragung ........................................................ - 15 -
4.3
Bedeutung für die Pflege ............................................... - 15 -
5
Schlussteil ........................................................................ - 16 -
6
Literaturübersicht .............................................................. - 19 -
-1-
Vorwort
Beziehung findet immer und überall statt – wenn auch nur flüchtig, bei
einer Begegnung im Stiegenhaus – „es ist nicht möglich in einer
Beziehungssituation eine Nicht-Beziehung zu haben“. (Rüdiger Bauer)
Ich habe in meinen Praktika die Erfahrung gemacht, dass zwischen dem
Wunsch nach Nähe zum Patienten und der Realität des stationären
Alltags häufig ein großer Unterschied ist.
Oft habe ich erlebt, dass Patienten zwar versorgt werden, der
persönliche Kontakt aber auf der Strecke bleibt.
Meiner Meinung nach kommen in der Pflege die Kontaktaufnahme und
die Beziehungsgestaltung zu kurz.
Ich habe mich für dieses Thema entschieden, weil ich der Meinung bin,
dass das Kernthema des pflegerischen Handelns die Begegnung mit
dem Menschen ist.
In
der
traditionellen
Pflege
wurden
Grundregeln
pflegerischen
Verhaltens vermittelt, die eine distanzierte Haltung gegenüber dem
Patienten zu bestärken schienen. Durch die Betrachtung dass der
Mensch
ein
Objekt
zur
Wiederinstandsetzung
ist,
sind
folgende
Pflegemythen entstanden und wurden propagiert:
•
alle Patienten sind gleich
•
der Patient weiß nicht, was er braucht, was ihm hilft – er hat ja
nicht das notwendige medizinische Grundwissen
•
der Patient ist „subjektiv“, der Arzt, die Pflegenden sind „objektiv“
in der Einschätzung seiner Bedürfnisse und in der Bewertung des
Behandlungserfolges
•
das persönliche Leben der Pflegepersonen (Bedürfnisse, Gefühle)
bleibt vor der Türe – sie stören routinierte Abläufe.
-2-
Diese und ähnliche Vorstellungen widersprechen jeder menschlichen
Realität. Auf Grund dessen befinden sich viele Pflegende in einer
ständigen Ambivalenz. Pflegende tragen die gesamte Verantwortung für
den Beziehungsprozess während der Behandlung des Patienten. Daher
sind die Ursachen für Beziehungsbehinderungen auch vor allem bei den
Pflegekräften selbst zu suchen. (vgl. Rüdiger Bauer 2008, S.1)
Auch gegenwärtig kann es in der täglichen Praxis dazu kommen, dass
eine Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen und Erfahrungen
nicht
möglich
ist.
Somit
kann
es
zu
einem
Mangel
an
zwischenmenschlicher Kompetenz kommen, welcher die Bewältigung
der eigenen Angst und Unsicherheit behindert.
Dies kann dazu führen, dass Pflegende die Flucht vor den eigenen
Gefühlen antreten. Es kann zur Aufrechterhaltung einer institutionellen
Struktur kommen, die die persönliche Begegnung von Mensch zu
Mensch auf ein Minimum herabsetzt. (vgl. Rüdiger Bauer 2008, S.2)
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich jedoch ein Wandel
vollzogen. Pflegende besinnen sich zunehmend auf das, was sie als ihre
eigentliche Aufgabe betrachten und suchen nach Möglichkeiten, eine
dem Menschen zugewandte Pflege zu realisieren (Schletting & von der
Heide 1993).
Doch von der Erkenntnis bis zur Umsetzung im pflegerischen Alltag ist
es oft ein schwieriger Weg.
Die Auseinandersetzung mit der Thematik der Beziehungspflege führt
nicht nur zur Aneignung von theoretischem Grundwissen. Vielmehr kann
es zu einer Haltung kommen, die eine bewusstere Gestaltung des
Beziehungsprozesses möglich macht. Dies ermöglicht das frühzeitige
Erkennen
von
Beziehungshindernissen,
Beziehungsarbeit erhöhen kann.
-3-
was
die
Qualität
der
Im
Zuge
meiner
Literaturrecherche
bin
ich
auf
verschiedene
Pflegemodelle und –konzepte gestoßen. Stets stand die Beziehung zum
Patienten im Mittelpunkt.
Ziel meiner Arbeit ist es, die Bedeutung von Beziehung in der Pflege
aufzuzeigen und herauszufinden, welche Faktoren Einfluss auf die
kongruente Beziehungspflege nehmen.
Dieses Thema werde ich in Form einer linearen Erörterung erarbeiten.
Im Rahmen dieser Arbeit werde ich zu Beginn eine Definition von
kongruenter Beziehungspflege anführen.
Im weiteren Verlauf werde ich Rahmenbedingungen und Faktoren
aufzeigen, welche die Beziehung zwischen Pflegeperson und Patient
beeinflussen können.
-4-
1 Begriffsdefinition kongruente
Beziehungspflege
Die kongruente Beziehungspflege ist die bewusste Wahrnehmung und
die
professionelle
Bearbeitung
(Personenwahrnehmung)
Abhängigkeit
zweier
und
oder
und
Klärung
der
interdependenten
mehrerer
Personen)
interpersonalen
(wechselseitige
Aspekte
einer
Pflegeperson-Patient-Beziehung im Pflegeprozess.
Das Konzept der kongruenten Beziehungspflege stützt sich auf die
Pflegetheorie der „Psychodynamischen Pflege“ von Hildegard Peplau und
die „Pflegeprozesstheorien“ von Ida Jean Orlando.
Beide
Theorien
betonen
die
wechselseitige
Beziehung
und
das
prozesshafte Geschehen zwischen Pflegeperson und Patient. (Rüdiger
Bauer 2004, S. 18)
1.1 Ziel der kongruenten Beziehungspflege
In der Beziehung zwischen Pflegeperson und Patient beschreibt R.
Bauer einen dynamisch interaktionellen Prozess, der in fünf Phasen
abläuft.
Das Ziel ist, eine möglichst hohe Kongruenz in der Pflegebeziehung zu
erreichen.
Unter Kongruenz ist das „Selbst-Sein“ zu verstehen, ein Sein, das nicht
darauf angewiesen ist, sich hinter Masken, Rollen oder Fassaden zu
verbergen.
Nach R. Bauer hat die Qualität der Beziehung zwischen Pflegeperson
und Patient einen sehr großen Einfluss auf das Therapieergebnis.
-5-
Wesentlich sind für ihn auch das Bewusstmachen der eigenen Gefühle in
der Pflegebeziehung und die Bearbeitung dieser Gefühle.
„Die Beziehung zu anderen, beginnt bei der Beziehung zu sich selbst.
Diese Beziehung zu sich selbst wird in der Wechselwirkung zu anderen
immer deutlich.“ (R. Bauer)
In der kongruenten Beziehungspflege liegt die Verantwortung für den
Aufbau einer Beziehung bei der Pflegekraft. Die Grundlagen sind die
Fragen
des
Könnens
(z.B.
Berufserfahrung),
des
Sollens
(z.B.
Anforderung der Leitung), des Wollens (was will die Pflegeperson
selbst), und des Dürfens (in welchem organisatorischen Rahmen bewegt
sich die Pflegeperson). (vgl. Psych. Pflege Heute 6/2007, S.316)
1.2 Definition Beziehung
Beziehung, Soziologie: der Grad der Verbundenheit oder Distanz
zwischen Individuen, die in einem sozialen Prozess vereint sind; als
Grundbegriff zur Beschreibung sozialer Systeme von G. Tarde, E.
Dupreel,
L.
von
Wiese
und
A.
Vierkandt
eingeführt.
(vgl.
http://lexikon.meyers.de/meyers/Beziehung)
Ich möchte einleitend darauf hinweisen, dass es sich als schwierig
erwiesen hat, die Faktoren ihrer Gewichtigkeit nach in eine Reihenfolge
zu bringen.
Da die Rahmenbedingungen die Basis darstellen, werde ich diese als
erstes erläutern.
-6-
2 Rahmenbedingungen
Dieser Sammelbegriff beinhaltet Voraussetzungen, welche notwendig
sind, um kongruente Beziehungspflege optimal umsetzen zu können.
2.1 Bezugspflege
Beginnen möchte ich mit dem Pflegesystem der Bezugspflege, welches
als stützender Rahmen für die Umsetzung von Beziehungspflege zu
verstehen ist. Durch die Kontinuität der Pflegeperson und einem
geringen Wechsel an Bezugspersonen wird der Beziehungsaufbau
erleichtert. Des Weiteren bietet die Bezugspflege dadurch mehr Klarheit
und Struktur für den Patienten. Zusätzlich ergibt sich ein weniger
lückenhafter und wahrheitsgetreuerer Informationsfluss, da die Anzahl
der in den Pflegeprozess involvierten Personen minimiert ist.
2.2 Zeit
Ein weiterer, enorm wichtiger Faktor stellt die verfügbare Zeit dar. Denn
das Schaffen einer vertrauensvollen und tragfähigen Beziehung nimmt
Zeit in Anspruch. Zeitmanagement ist heutzutage ein wichtiges Thema,
da Leistungsdruck, Wirtschaftlichkeit und Kostenbewusstsein die Pflege
in ihrer Tätigkeit stark limitieren.
Der Beziehungsprozess ist vom Pflegeprozess nicht abtrennbar. Hier
liegt es an den Pflegedienstleitungen der Krankenhäuser, die nötigen
Organisationsstrukturen zu schaffen, um die Pflegequalität auch im
Hinblick auf die Beziehungsqualität sicherzustellen. (vgl. Rüdiger Bauer
2008, S. 171)
-7-
Immer
wieder
verstecken
sich
Pflegende
hinter
institutionellen
Strukturen, mit dem Argument, dass sie für Beziehungspflege aufgrund
der straffen Zeiteinteilung keine Zeit hätten.
Ich denke, wenn man sich darauf besinnt, den Patientenkontakt
bewusster zu gestalten, kann man auch ohne zusätzlichen Zeitaufwand
einiges erreichen. Das Konzept der kongruenten Beziehungspflege steht
und
fällt
mit
dem
Vorsatz
des
„Wollens“.
Dieser
aktive
Entscheidungsprozess des Wollens sensibilisiert die Pflegeperson für die
Beziehungsarbeit. (vgl. R. Bauer 2008, S. 171)
2.3 Organisation
Des Weiteren darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich
strukturelle Gegebenheiten wie der Personalschlüssel, aber auch die
Möglichkeit sich mit dem Patienten zurückzuziehen, ebenfalls positiv auf
den Beziehungsprozess auswirken.
Ein weiterer limitierender Faktor, der aber meiner Meinung nach stark
beeinflussbar ist, ist der Ausbildungsstand und die Motivation des
Pflegepersonals.
Um
an
diesem
Punkt
anzusetzen,
benötigt
es
genügend Ausbildungsplätze und motiviertes Personal, welches die
Weiterentwicklung nicht scheut.
Daraus lässt sich schließen, dass verschiedene Aspekte Einfluss auf die
Umsetzung der Beziehungspflege nehmen. Das Pflegesystem der
Bezugspflege bietet anhand der patientenorientierten Vorzüge einen
geeigneten Rahmen. Ebenso müssen im Auftrag der Qualitätssicherung
der Faktor Zeitmanagement und das strukturelle Setting berücksichtigt
werden.
-8-
3 Bindungserfahrungen in
entwicklungspsychologischer Hinsicht
Bindung, das heißt die sichere Beziehung zur Mutter, zum Vater oder zu
anderen Bezugspersonen, ist ein grundlegendes menschliches Motiv. Sie
prägt den Menschen bis ins Erwachsenenalter und ist mitverantwortlich
für die Gestaltung aller späteren Beziehungen.
Die Art und Weise und in welcher Intensität ein Mensch in der Lage ist,
in
Beziehung
zu
treten
und
Beziehung
zu
leben,
hängt
von
Beziehungserfahrungen der frühesten Kindheit ab.
Deshalb behaupte ich, dass diese Bindungserfahrungen Einfluss auf die
spätere Beziehungsfähigkeit haben.
Die Bindungstheorie beschreibt in der Psychologie das Bedürfnis des
Menschen, eine enge und von intensiven Gefühlen geprägte Beziehung
zu
Mitmenschen
aufzubauen.
Sie
wurde
von
dem
britischen
Kinderpsychiater John Bowlby und der kanadischen Psychologin Mary
Ainsworth entwickelt.
Ihr Gegenstand ist der Aufbau und die Veränderung enger Beziehungen
im Laufe des Lebens. Sie geht von dem Modell der Bindung der frühen
Mutter-Kind-Beziehung
aus.
Sie
verbindet
ethnologisches,
entwicklungspsychologisches, psychoanalytisches, therapeutisches und
systemisches Denken.
-9-
3.1 Auswirkungen von Bindungserfahrungen auf die
weitere Entwicklung
Durch die Bindungstheorie konnten langfristige Effekte der frühen
Bindungsperson-Kind-Beziehung nachgewiesen werden.
Aus der Qualität der Bindung, die beim „Fremde-Situations“-Test bei
den 18 - 24 Monate alten Kindern festgestellt wurde, lassen sich
folgende Vorhersagen ableiten:
Sicher gebundene Kinder zeigen später adäquateres Sozialverhalten im
Kindergarten und in der Schule, mehr Phantasie und positive Affekte
beim freien Spiel, größere und längere Aufmerksamkeit, höheres
Selbstwertgefühl und weniger depressive Symptome.
In weiterer Folge zeigten sie sich offener und aufgeschlossener für neue
Sozialkontakte mit Erwachsenen und Gleichaltrigen als vermeidende
und oder ambivalent gebundene Kinder.
Auch können frühe Bindungserfahrungen einen neurophysiologischen
Einfluss ausüben. Hierbei konnte ein Einfluss von Bindungserfahrungen
auf die Ausbildung der Rezeptoren des Hormons Oxytocin nachgewiesen
werden, welches wiederum das Bindungsverhalten beeinflusst.
Bindungsstörungen,
insbesondere
die
desorganisiert/desorientierte
Bindung scheinen einen Einfluss auf die Vulnerabilitätsschwelle zu
besitzen, also die Schwelle ab der ein Mensch Belastungen nicht mehr
verarbeiten kann und eine psychische Störung entwickelt.
Aus den Ergebnissen der Bindungsforschung kann also gesagt werden,
dass bestimmte Formen der Interaktion einen positiven wie negativen
Einfluss
auf
die
spätere
Entwicklung
- 10 -
haben
können.
So
haben
Missbrauch oder Vernachlässigung einen besonders negativen Einfluss,
der häufig eine psychische Störung auslösen oder begünstigen kann.
Hingegen gelten aus Sicht der vorhandenen Forschungsergebnisse der
Bindungstheorie stabile längere Bindungen als wichtiger Schutzfaktor
vor psychischen Störungen. Eine solche Bindungsbeziehung kann
offenbar auch die Folgen von traumatischen Erfahrungen, wie sexuellem
Missbrauch oder Misshandlung mildern. In therapeutischen Beziehungen
können
durch
nachholende
Bindungserfahrungen
individuelle
Ressourcen genutzt werden.
(vgl. https://portal.dimdi.de/websearch/servlet/Flow
Controller/Documents-di)
Anhand dieser Forschungsergebnisse lässt sich für die Pflege Folgendes
ableiten:
Da es erwiesen ist, dass Bindungsmuster in den ersten Jahren nach der
Geburt festgelegt und geprägt werden, ist es für Pflegepersonen
unabdingbar, diese im Beziehungsaufbau und in der Beziehungsgestaltung zu berücksichtigen.
Wenn ein Patient in seiner Beziehungsfähigkeit Einschränkungen hat,
bedeutet dies für die Pflege, dass es mehr an Sensibilität und Geduld
benötigt. In meinem Praktikum auf der Jugendpsychiatrie waren
Bindungsstörungen häufig Thema. Für die Pflege bedeutete dies,
stellvertretende Rollen einzunehmen und dem Jugendlichen authentisch
und ehrlich gegenüber zu treten. Allgemein gilt es, die Selbstwirksamkeit
wieder
herzustellen,
d.h.
die
Affektregulierung
des
Patienten zu unterstützen und die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von Beziehungen zu fördern.
- 11 -
3.2 Das menschliche Gehirn = das soziale Organ
Der
nun
folgende
Teil
ist
zusammenhängend
mit
den
eben
beschriebenen Bindungsstörungen zu betrachten.
Denn Bindungsstörungen sind nicht nur als Muster anzusehen, welche
durch Prägung entstanden sind, Bindungserfahrungen führen auch zu
komplexen neuronalen Umstrukturierungen.
Ich behaupte, dass Beziehungserfahrungen nicht nur NervenzellNetzwerke organisieren, sondern auch das subjektive Fühlen und
Denken eines Menschen prägen.
Die Entwicklung von Fühlen, Denken und Handeln verläuft parallel mit
der Entstehung von Nervenzell-Netzwerken des Gehirns.
Diese entstehen durch Verschaltungen, mit denen die über 20 Milliarden
Nervenzellen des Gehirns verknüpft sind. Die Verschaltungen erfolgen
an kleinen Kontaktzonen, den Synapsen, mit Hilfe von Botenstoffen.
Aus der Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt ergibt sich
seelische und geistige Aktivität, welche wiederum jene NervenzellNetzwerke aktiviert, in denen das dazugehörende Wahrnehmungs- oder
Handlungsmuster gespeichert ist.
Gene steuern nicht nur, sie werden auch gesteuert. Die Vorstellung,
dass Gene auf eine starr festgelegte Weise funktionieren und danach
das gesamte Leben programmieren, ist nicht zutreffend. Vielmehr
unterliegen Gene zahlreichen Einflüssen, die ihre Aktivität in hohem
Maße regulieren. Am deutlichsten wurde dies durch Beobachtungen und
Entdeckungen,
die
in
den
letzten
Jahren
neurobiologischen Forschung gemacht wurden.
- 12 -
auf
dem
Gebiet
der
Geistige
Tätigkeit,
aber
zwischenmenschlichen
auch
Beziehungen
Gefühle
haben
und
im
Erlebnisse
Gehirn
in
biologische
Veränderungen zur Folge. Der Grund dafür ist, dass Ereignisse,
Erlebnisse und Lebensstile die Aktivität von Genen steuern, welche
wiederum zu cerebralen Strukturveränderungen führen. (vgl. Joachim
Bauer 2008, S. 7)
Was wir erleben und tun, bezeichnet man als „erfahrungsabhängige
Plastizität“
des
Gehirns.
Mechanismen
der
erfahrungsabhängigen
Plastizität setzen bereits während der Schwangerschaft ein und spielen
in
den
ersten
Beispielsweise
Jahren
die
nach
der
Geburt
eine
Spiegelneurone
zeigen,
dass
beachtliche
nicht
nur
Rolle.
unser
seelisches Empfinden, sondern auch die Neurobiologie unseres Gehirns
ein
auf
zwischenmenschliche
Bindungen
eingestelltes
und
von
Bindungen abhängiges System ist. (vgl. Joachim Bauer 2008, S. 71)
Für die Pflege bedeutet dies, dass man sich immer wieder bewusst
machen muss, dass gegenwärtige Erfahrungen des Patienten mit der
Pflegeperson und/oder einer Pflegesituation gleichbedeutend sind mit
früheren Erfahrungen. Die Pflegeperson kann dem Patienten helfen, die
Bedeutung
der
lebensgeschichtlichen
Erfahrung
und
deren
Zusammenhang mit der unmittelbaren Erfahrung zu erfassen und
auszusprechen.
- 13 -
Übertragung – Gegenübertragung
Die neuronale Struktur stellt auch bei dem nun folgenden Phänomen die
Basis dar, da es hierbei ebenso um frühe Erlebnisse und Erfahrungen in
Zusammenhang mit gegenwärtigen Situationen geht.
Übertragung
und
Gegenübertragung
ist
eine
wissenschaftliche
Erkenntnis aus der analytischen Tiefenpsychologie nach Sigmund Freud
aus dem Jahre 1912.
Dieses Phänomen findet in jeder menschlichen Begegnung in individuell
ausgeprägter Intensität statt.
Ich behaupte deshalb, dass dieses Phänomen auch in der kongruenten
Beziehungspflege zum Tragen kommt.
3.3 Übertragung
Es
ist
eine
allgemeine
und
zudem
wissenschaftlich
unterbaute
Erkenntnis, dass alles an Erleben und Wahrnehmen in Zusammenhang
mit früheren Erfahrungen zu verstehen und zu erklären ist.
Die Annahme, dass eine Pflegeperson ganz neutral eine „graue Wand“
repräsentiere, ist eine Illusion. Selbstverständlich wird die Pflegeperson
vom Patienten als eigenständige Person mit Schwächen und Stärken
erlebt. Es existieren nur wenig andere soziale Situationen, die so sehr
zur zusätzlichen Projektion auffordern, wie dies in der Beziehung
zwischen Patient und Pflegeperson der Fall ist.
Ein einfaches Beispiel kann dies verdeutlichen: Ein Patient, der einen
ungelösten Konflikt mit einem autoritären Vater hat, kann die Tendenz
haben, übertrieben aggressiv zu agieren.
- 14 -
Dieses überaus aggressive Agieren entspricht dem Phänomen der
Übertragung, da die Pflegeperson für diesen den autoritären Vater
darstellt.
3.4 Gegenübertragung
In weiterer Folge kann es zum Phänomen der Gegenübertragung
seitens der Pflegeperson auf den Patienten kommen. Dies resultiert aus
der Tatsache, dass die auf die Pflegeperson übertragene Haltung eine
entsprechende Reaktion hervorruft. Dem oben genannten Beispiel
entsprechend wird die Pflegeperson in die Rolle des autoritären Vaters
gedrängt.
Nun liegt es an der Pflegeperson, dies frühzeitig zu erkennen und
geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Kreislauf der Übertragung
und Gegenübertragung zu durchbrechen.
3.5 Bedeutung für die Pflege
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es grundsätzlich notwendig
ist, dass sich Pflegepersonen der Übertragung und Gegenübertragung
ständig bewusst sind. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit der Korrektur
unangemessener, sich wiederholender und oft in der Intensität zu
starker Gefühle, die mit der Realität nicht übereinstimmen. (vgl. Hans
Strotzka 1994, S.51)
An dieser Stelle ist es von immenser Wichtigkeit zu erwähnen, dass der
Prozess den Anfang auch bei der Pflegeperson haben kann und somit
beim Patienten zur Gegenübertragung führt.
- 15 -
4 Schlussteil
Die Wahl für das Thema meiner Fachbereichsarbeit hatte ich schnell
getroffen, da Beziehungspflege ein zentrales Motiv der psychiatrischen
Arbeit darstellt. Ich habe mich dann mit verschiedenen Pflegetheorien
und Konzepten auseinander gesetzt. In meinen Fokus ist dabei die
kongruente Beziehungspflege nach Rüdiger Bauer gerückt.
Da
ich
während
meiner
Ausbildung
mit
einigen
spannenden
Phänomenen und Themen in Berührung gekommen bin, hat es mich
interessiert,
diese
in
Zusammenhang
mit
Beziehungspflege
zu
betrachten.
Es war für mich sehr aufschlussreich, mich mit Phänomenen wie der
Übertragung und Gegenübertragung eingehender zu beschäftigen. Die
Auseinandersetzung mit diesen hat mich in meiner pflegerischen
Tätigkeit sensibilisiert. Es hat mir dabei geholfen, negative Gefühle als
nicht von meinem Selbst kommend zu identifizieren und zu bearbeiten.
Ebenso war es sehr interessant, sich mit den Bindungstheorien
auseinanderzusetzen. Mir war zwar aus dem Unterricht schon einiges
bekannt, aber vieles war auch neu und beeindruckend für mich. Mit
dem Thema der Neurobiologie hatte ich mich im Vorfeld schon
beschäftigt. Ich fand es deshalb spannend, dies in meine Arbeit zu
integrieren.
Zu den Rahmenbedingungen gibt es zu sagen, dass jede Institution eine
individuelle Lösung benötigt, welche den Pflegepersonen ermöglicht,
ausreichend Zeit für den Beziehungsprozess aufzuwenden.
Institutionen sollten im Rahmen der Qualitätssicherung beachten,
speziell ausgebildetes Pflegepersonal einzustellen bzw. den Mitarbeitern
die Möglichkeit zu bieten, sich diesbezüglich fortzubilden.
- 16 -
Die
wesentliche
Aussage
meiner
Arbeit
ist,
dass
es
einen
Wandlungsprozess gibt, der weg führt vom bloß arztorientierten Wissen
und Handeln, hin zu einer Profession mit eigenem Selbstverständnis.
Ich sehe es als große Chance, dass sich die Pflege über den
eigenverantwortlichen Tätigkeitsbereich selbstständiger repräsentieren
kann.
Pflegende
sollten
Beziehungsprozess
der
sich
darüber
bewusst
wahrscheinlich
sein,
dass
eigenständigste
der
und
eigenverantwortlichste Bereich von Pflege überhaupt ist. Den Menschen
in seiner Ganzheit zu verstehen, ist die Voraussetzung für eine
tragfähige Beziehung. Die Gestaltung des Beziehungsprozesses ist
Aufgabe der Pflege, deshalb ist es unabdingbar, den Menschen nicht nur
als Patienten zu betrachten, sondern als jemanden der durch Erlebnisse,
Ereignisse und Erfahrungen geprägt worden ist. Diese holistische
Wahrnehmung
des
Menschen
ermöglicht
Pflegepersonen,
den
Beziehungsaufbau und die Beziehungsgestaltung zu individualisieren.
Hierfür ebenso notwendig ist eine gezielte Auseinandersetzung mit der
Biographie des Patienten und deren Weitergabe im interdisziplinären
Behandlungsteam.
Pflegepersonen können durch zielgerichtete Beziehungsarbeit die biopsycho-sozialen Aspekte der Erkrankung berücksichtigen. Diese Arbeit
benötigt allem anderen voran ein Ziel und den kongruenten Umgang mit
sich selbst und dem Patienten.
Es ist ebenso wichtig, sich seiner eigenen Gefühle bewusst zu sein und
sich immer wieder selbst zu reflektieren. Denn nur wenn man sich
seiner Selbst bewusst ist, ist kongruente Beziehungspflege möglich.
Hierzu
möchte
ich
erwähnen,
dass
Supervisionen,
Fort-
und
Weiterbildungen, sowie die Zusammenarbeit im Team eine hilfreiche
Unterstützung darstellen.
- 17 -
Für die Pflegepraxis wird durch eine zielgerichtete Beziehungsarbeit im
Pflegeprozess der Problemlösungsprozess erleichtert und gefördert.
(vgl. Rüdiger Bauer, 2008 S. 165)
Die
intensive
Auseinandersetzung
mit
dem
Thema
meiner
Fachbereichsarbeit führte in meiner praktischen Tätigkeit zu einer
bewussteren Beziehungspflege. Es hat mir verdeutlicht, dass es von
enormer Wichtigkeit ist, Problemsituationen immer ganzheitlich - im
Kontext mit früheren Erfahrungen des Patienten - zu betrachten.
„Weil du die Welt bist, werden deine Taten die Welt beeinflussen, in der
du lebst, die Welt deiner Beziehungen. Aber die Schwierigkeit liegt
darin, die Bedeutung der individuellen Transformation zu erkennen. Wir
möchten, dass sich die Gesellschaft um uns herum ändert, aber wir sind
blind und wollen uns selbst nicht ändern.“
Krishnamurti, 100 Jahre
- 18 -
5 Literaturübersicht
Rüdiger Bauer (2004) Beziehungspflege - Professionelle
Beziehungsarbeit für Pflegende, IBICURA Unterostendorf
Joachim Bauer (2008) Das Gedächtnis des Körpers, Piper Verlag
GmbH München
https://portal.dimdi.de/websearch/servlet/Flow
Contoller/Documents-di)
Hans Strotzka (1994) Psychotherapie und Tiefenpsychologie,
Springer Verlag/Wien
Psych. Pflege Heute (6/2007) Georg Thieme Verlag KG
- 19 -
Eigenständigkeitserklärung
Ich erkläre hiermit, dass die vorliegende fachspezifische Arbeit von mir
verfasst wurde und dass ich dazu keine anderen, als die angeführten
Behelfe verwendet habe.
Die Reinschrift habe ich einer Korrektur unterzogen.
Feldkirch, 20.Dezember 2009
Unterschrift
- 20 -
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