Jahrbuch 2006/2007 | Rohrer, Hermann | Signale aus Zielorganen bestimmen die Differenzierung von Nervenzellen Signale aus Zielorganen bestimmen die Differenzierung von Nervenzellen Signals from target organs control the differentiation of neurons Rohrer, Hermann Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Die Entw icklung des Nervensystems erfordert Mechanismen, w elche die Differenzierung unterschiedlicher Nervenzellen steuern. Im peripheren Nervensystem bestimmen Signale aus innervierten Zielorganen die funktionelle Spezialisierung von Nervenzellen. Faktoren der gp130-Zytokinfamilie sind in vivo für die zielorganabhängige Differenzierung cholinerger sympathischer Neuronen verantw ortlich. Summary Nervous system development depends on mechanisms that control the generation of different neuronal subtypes. In the peripheral nervous system, signals from innervated targets elicit the specialization to different functional neuronal subtypes. The target-dependent cholinergic differentiation of sympathetic neurons is mediated in vivo by members of the gp130-cytokine family. Entstehung unterschiedlicher Nervenzellen im autonomen Nervensystem Die Funktion des Nervensystems basiert auf der Interaktion einer Vielzahl verschiedener Nervenzellen, die w ährend der Entw icklung aus pluripotenten Vorläuferzellen entstehen. Das relativ einfach aufgebaute autonome Nervensystem ist ein klassisches Modell zur Analyse der Entstehung unterschiedlicher Nervenzelltypen. Das autonome Nervensystem besteht aus sympathischen und parasympathischen Neuronen, w elche die Funktionen der inneren Organe ohne bew usste Kontrolle durch das Zentralnervensystem steuern. Die w ichtigsten Zielgew ebe sind Herz, Blutgefäße, Lunge, Knochen, exokrine Drüsen und der Verdauungstrakt. Die verschiedenen Zielorgane w erden durch funktionell unterschiedliche autonome Neuronen und übergeordente Zentren gesteuert. Funktionelle Subtypen sympathischer Nervenzellen lassen sich aufgrund ihrer elektrophysiologischen Eigenschaften, ihrer Zielgew ebe und durch die Expression von Neurotransmittern bzw . Neuropeptiden definieren. Die bislang am besten charakterisierte funktionelle Subpopulation besteht aus Nervenzellen, © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/7 Jahrbuch 2006/2007 | Rohrer, Hermann | Signale aus Zielorganen bestimmen die Differenzierung von Nervenzellen w elche Schw eißdrüsen innervieren [1, 2]. W ährend sympathische Nervenzellen generell Noradrenalin als synaptischen Transmitter (Überträgerstoff) einsetzen, handelt es sich bei der Schw eißdrüseninnervation um so genannte cholinerge sympathische Nervenzellen, die Acetylcholin als Transmitter verw enden. Die Differenzierung dieser Zellen kann durch die Expression von charakteristischen Markergenen verfolgt w erden. Interessanterw eise stellte sich heraus, dass alle cholinergen Eigenschaften, w ie z.B. die Expression des Acetylcholin-produzierenden Enzyms, der Cholinacetyltransferase (ChAT), des Cholin-Transporters (ChT1) und des vesikulären Acetylcholintransporters (VAChT), erst durch die Innervation des Zielgew ebes induziert w erden. Die Schw eißdrüsen w erden bei Maus und Ratte in den ersten postnatalen Tagen durch noradrenerge sympathische Nervenzellaxone innerviert (Abb. 1). Im Verlauf der nächsten Wochen verlieren diese Axone ihre noradrenergen Eigenschaften und w erden funktionell cholinerg. Die Entstehung funktionell verschiedener Nervenzellen in sympathischen Ganglien lässt sich also in zw ei Phasen einteilen: eine frühe Phase, in der noradrenerge sympathische Neuronen entstehen, und in eine späte Phase, in der die Spezialisierung der Nervenzellen durch Signale aus den innervierten Zielgew eben gesteuert w ird. In beiden Phasen spielen extrazelluläre Signale eine entscheidende Rolle. W ährend diejenigen Faktoren, w elche die Entstehung und initiale noradrenerge Differenzierung sympathischer Neuronen induzieren, als osteogene Proteine (BMPs) charakterisiert w erden konnten [3], blieb die Identität der Faktoren, w elche die späte Spezialisierung bew irken, ungeklärt. Durch die selektive Eliminierung des verantw ortlichen Signalw egs konnte jetzt die Identität und physiologische Relevanz dieser Signale für die cholinerge Differenzierung sympathischer Neuronen erstmals in vivo bew iesen w erden [4]. Zie lorga na bhä ngige Diffe re nzie rung sym pa thische r Ne rve nze lle n. Sche m a tische Da rste llung m it nora dre ne rge n sym pa thische n Ne rve nze lle n (bla u) in sym pa thische n Ga nglie n (SYM), de re n Ax one in zwe i Ta ge a lte n (P 2) Mä use n ve rschie de ne Zie lorga ne inne rvie re n, z.B. Blutge fä ße , Schwe ißdrüse n und de n Da rm . Bis zu P 21 diffe re nzie re n se le k tiv die je nige n Ne rve nze lle n, we lche die Schwe ißdrüse n inne rvie re n, zu choline rge n sym pa thische n Ne rve nze lle n a us (rot). Die se r Vorga ng wird durch Fa k tore n a usge löst, we lche von de n Schwe ißdrüse n produzie rt we rde n. Da rge ste llt sind se nsorische Ga nglie n (DR G) und die Inne rva tion sym pa thische r Ne urone n durch Ax one prä ga nglionä re r Ne urone n im R ück e nm a rk (R M). © Ma x -P la nck -Institut für Hirnforschung/R ohre r Molekulare Kontrolle der frühen, noradrenergen Differenzierung sympathischer Nervenzellen Die initiale Entstehung noradrenerger autonomer Nervenzellen w ird durch osteogene Differenzierungsfaktoren © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/7 Jahrbuch 2006/2007 | Rohrer, Hermann | Signale aus Zielorganen bestimmen die Differenzierung von Nervenzellen (BMPs) ausgelöst, die in unmittelbarer Nachbarschaft der sympathischen Ganglienanlagen produziert w erden [5]. Die BMPs induzieren in den Vorläuferzellen die Expression einer Gruppe von Transkriptionsfaktoren (Ascl1, Phox2a/b, Hand2, Gata2/3), w elche direkt oder indirekt die Expression charakteristischer noradrenerger Gene, aber auch den generellen neuronalen Differenzierungsprozess steuern (Abb. 2). Essenziell für die Produktion des noradrenergen Transmitters Noradrenalin sind die Enzyme Tyrosinhydroxylase (TH) und Dopamin-βHydroxylase (DBH). Die Regulation der Expression ist für das DBH-Gen detailliert untersucht w orden, w obei eine direkte Transkriptions-Stimulierung durch Phox2a/b und Hand2 nachgew iesen w urde. Weil eine Eliminierung des Transkriptionsfaktors Hand2 zu einem Verlust noradrenerger, nicht jedoch pan-neuronaler Eigenschaften führt, und zudem die Hand2-Überexpression eine Stimulierung noradrenerger Differenzierung bew irkt, kann gefolgert w erden, dass Hand2 selektiv in die Kontrolle noradrenerger Entw icklung involviert ist [6, 7]. Sche m a tische Da rste llung de r Entste hung nora dre ne rge r Ne rve nze lle n a us Sta m m ze lle n de r Ne ura lle iste (NLZ). Unte r de m Einfluss von e x tra ze llulä re n Diffe re nzie rungsfa k tore n a us de r Fa m ilie de r oste oge ne n P rote ine (BMP s) wird die P roduk tion von Tra nsk riptionsfa k tore n a usge löst (Ascl1, P hox 2a /b, Ha nd2, Ga ta 2/3). Die Ex pre ssion die se r Fa k tore n cha ra k te risie rt die sym pa thische n Vorlä ufe rze lle n und führt zur Ex pre ssion von Ge ne n, die spe zifisch für nora dre ne rge Ze lle n (TH, DBH) sind bzw. ge ne re ll von Ne rve nze lle n e x prim ie rt we rde n (SC G10, NF160). Aus te ilungsfä hige n sym pa thische n Ne urobla ste n e ntste he n schlie ßlich postm itotische sym pa thische Ne rve nze lle n. © Ma x -P la nck -Institut für Hirnforschung/R ohre r Molekulare Kontrolle der späten, cholinergen Differenzierung sympathischer Nervenzellen Nachdem beobachtet w orden w ar, dass noradrenerge sympathische Neuronen einen cholinergen Neurotransmitterphänotyp annehmen können und dass dieser Vorgang für die Entstehung der cholinergen Innervation sympathischer Zielgew ebe in vivo verantw ortlich ist, stellte sich die Frage nach der Identität der dafür verantw ortlichen Faktoren. In vitro w urden der leukemia inhibitory factor (LIF) und die LIF-verw andten Faktoren CNTF, CT-1, OSM, CLC/CLF und Neuropoietin (CT-2) als cholinerge Differenzierungsfaktoren identifiziert [1, 2]. Sie bilden eine Familie strukturverw andter Faktoren, die auch als gp130-Zytokine bezeichnet w erden. Die Bezeichnung gp130-Zytokine beruht darauf, dass alle Zellmembranrezeptoren, die diese Faktoren erkennen, gp130 als signaltransduzierende Untereinheit enthalten. Neben den gp130-Zytokinen w urden w eitere Faktoren identifiziert, die vorw iegend in vitro eine cholinerge Differenzierung in sympathischen Neuronen auslösen. Dazu zählen GDNF-verw andte Faktoren, Activin und NT3 [8]. Da w eder für die gp130-Zytokine, noch für die anderen Faktoren eine Beteiligung in der zielorganinduzierten cholinergen Differenzierung nachgew iesen w erden konnte, blieb die Identität des physiologisch relevanten Faktors unklar. Eine mögliche Erklärung für fehlende Effekte des CNTF- und © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/7 Jahrbuch 2006/2007 | Rohrer, Hermann | Signale aus Zielorganen bestimmen die Differenzierung von Nervenzellen LIF-knockouts stellt die Kompensation durch andere Mitglieder der Familie dar. Aus diesem Grund w urde ein experimenteller Ansatz gew ählt, bei dem durch Eliminierung der gp130-Rezeptor-Untereinheit die W irkung aller Mitglieder der gp130-Zytokinfamilie verhindert w erden kann. Unter Verw endung einer Mauslinie, w elche die Cre-Rekombinase unter der Kontrolle der regulatorischen Regionen des DBH-Gens exprimiert, gelang es nach Kreuzung mit gp130fl/fl Tieren, gp130 selektiv in DBH-exprimierenden sympathischen Neuronen zu eliminieren [4]. Die frühe Expression von DBH führt in den gp130 DBHC re Tieren bereits w ährend der Embryonalentw icklung zum Verlust der gp130-Expression. Jetzt konnte der w ichtigen Frage nachgegangen w erden, w elchen Effekt die Abw esenheit von gp130, mithin die Funktionsblockierung der gp130-Zytokine, in sympathischen Neuronen hat. Die Innervation der Schw eißdrüsen in gp130 DBHC re Tieren w eist einen fast vollständigen Verlust der Expression cholinerger Charaktere auf: Die Expression von VAChT, ChT1 und des Neuropeptids VIP, das in cholinergen Neuronen ko-exprimiert w ird, ist praktisch nicht mehr nachzuw eisen (Abb. 3, [4]). Die Expression pan-neuronaler Marker w ie βIII-Tubulin (Tuj1, Abb. 3) und die TH-Expression (nicht gezeigt) ist dagegen unverändert. Der Verlust der cholinergen Differenzierung der Schw eißdrüseninnervation spiegelt sich auch in einer starken Reduzierung der Zahl cholinerger, VIP-exprimierender Neuronen in sympathischen Ganglien w ider. Dieser starke Rückgang legt nahe, dass der überw iegende Anteil cholinerger sympathischer Neuronen unter dem Einfluss von gp130-Zytokinen cholinerg differenziert. © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/7 Jahrbuch 2006/2007 | Rohrer, Hermann | Signale aus Zielorganen bestimmen die Differenzierung von Nervenzellen Die Inne rva tion de r Schwe ißdrüse n in gp130-de fizie nte n Mä use n we ist k e ine choline rge n Eige nscha fte n a uf. In Ge we be schnitte n a us de r Ha ut von Kontrolltie re n und von gp130 -/- Tie re n (gp130 DBHCre) wurde die Ex pre ssion de s pa nne urona le n Ma rk e rs Tuj1 (β-III-Tubulin), de s Ne urope ptids VIP und de s choline rge n Ma rk e rs VAC hT im m unhistologisch na chge wie se n. Die Ex pre ssion von VIP und VAC hT fe hlt fa st vollstä ndig in de r Schwe ißdrüse ninne rva tion von gp130 -/Tie re n (Einze lfä rbung: F und M; qua ntita tive Ana lyse in de n Ba lk e ndia gra m m e n re chts). Da ge ge n ist die Inne rva tion, na chge wie se n durch Tuj1, in gp130 -/- Tie re n nicht be troffe n (B, E, H, L). In Bild A, D, G und K sind die Fä rbunge n für Tuj1 (grün) und VIP bzw. VAC hT (rot) übe rla ge rt. Die Ze llk e rne sind m itte ls da pi bla u a nge fä rbt. © Ma x -P la nck -Institut für Hirnforschung/R ohre r Nachdem die Bedeutung der gp130-Zytokine durch den gp130-753 knockout gezeigt w orden w ar, stellte sich die w eiter gehende Frage, w elches Mitglied aus der gp130-Familie in vivo verantw ortlich ist. Dazu w urde die Expression der jew eiligen Gene in isolierten Schw eißdrüsen einerseits durch Nachw eis der individuellen RNAs mittels RT-PCR, anderseits durch in situ Hybridisierung untersucht. CNTF, CLC, CLF, CT-1 und NP (CT-2) w urden im Zielgew ebe nachgew iesen und kommen somit als cholinerge Differenzierungsfaktoren in Frage (Abb. 4, [4]). © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/7 Jahrbuch 2006/2007 | Rohrer, Hermann | Signale aus Zielorganen bestimmen die Differenzierung von Nervenzellen Zytok ine x pre ssion in Schwe ißdrüse n. Schwe ißdrüse nge we be (A ) wurde a us Toluidin-ge fä rbte n Ge we be schnitte n durch La se r-Mik rodisse k tion (B) isolie rt. (C) R T-P C R Na chwe is de r Ex pre ssion de r Zytok ine LIF, C NTF, C LC , C T-1 und NP (C T-2) in Schwe ißdrüse nge we be . In E15,5-Em bryos wurde n a lle Zytok ine na chge wie se n, LIF und O SM fe hlte n hinge ge n in P 4 Schwe ißdrüse n. (D, E) Na chwe is de r Ex pre ssion von C LC (D) und C LF (E) durch in situ-Hybridisie rung in Schnitte n von Schwe ißdrüse nge we be (bla u ge fä rbte Ze lle n). (F) Sche m a tische Da rste llung de r Diffe re nzie rung funk tione ll unte rschie dliche r sym pa thische r Ne rve nze lle n durch Fa k tore n a us de n Zie lorga ne n. gp130-Zytok ine induzie re n die choline rge Diffe re nzie rung. W a hrsche inlich wird die funk tione lle Spe zia lisie rung a nde re r ne urona le r Subtype n e be nfa lls durch Fa k tore n a us de n Zie lge we be n be stim m t. © Ma x -P la nck -Institut für Hirnforschung/R ohre r Der Nachw eis der physiologischen Relevanz der gp130-Zytokine für die cholinerge Differenzierung sympathischer Nervenzellen bestätigt das Prinzip, dass Zielorgane die Spezialisierung von Nervenzellen steuern. Dies w ar auch für sensorische Nervenzellen und Motoneuronen deutlich gew orden [9]. Es sollen nun die Faktoren in anderen Zielorganen, w ie z.B. Blutgefäßen, identifiziert w erden, w elche die Differenzierung der innervierenden sympathischen Neuronen steuern. Originalveröffentlichungen Nach Erw eiterungen suchenBilderw eiterungChanneltickerDateilisteHTML- Erw eiterungJobtickerKalendererw eiterungLinkerw eiterungMPG.PuRe-ReferenzMitarbeiter Editor)Personenerw eiterungPublikationserw eiterungTeaser (Employee mit BildTextblockerw eiterungVeranstaltungstickererw eiterungVideoerw eiterungVideolistenerw eiterungYouTubeErw eiterung © 2007 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/7 Jahrbuch 2006/2007 | Rohrer, Hermann | Signale aus Zielorganen bestimmen die Differenzierung von Nervenzellen [1] Burau, K.; Stenull, I.; Huber, K.; Misawa, H.; Berse, B.; Unsicker, K.; Ernsberger, U. c-ret regulates cholinergic properties in mouse sympathetic neurons: evidence from mutant mice. European Journal of Neuroscience 20, 353-362 (2004) [2] Ernsberger, U.; Rohrer, H. Development of the cholinergic neurotransmitter phenotype in postganglionic sympathetic neurons. Cell and Tissue Research 297, 339-361 (1999) [3] Francis, N.J.; Landis, S.C. 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