Filiz Gülal Kulturelle Mittlerin E-Mail:[email protected] 01.03.2012 Kultursensible Pflege bei muslimische Patienten Es gibt viele verschiedene Pflegemethoden in den unterschiedlichen Kulturen. In dieser Arbeit setze ich mich intensiv mit der muslimischen Kultursensiblen Pflege auseinander und will erzielen, dass die Pflegenden mehr Verständnis gegenüber den muslimischen Patienten aufbringen und mehr auf ihre Bedürfnisse eingehen. Biografische orientierte Pflegeplanung muslimischen Patienten: Pflegedürftige muslimische Patienten sind überwiegend Arbeitsmigranten mit geringem Bildungshintergrund. Hinzu kommt, dass insbesondere die Arbeitsmigranten der ersten Generation von chronischen Erkrankungen und Multimorbität im Alter betroffen sind, da sie in ihrem Arbeitsleben in Deutschland erheblich ungünstigeren Bedingungen ausgesetzt waren als deutsche Vergleichsgruppen. Muslimischen Patienten brauchen, wie alle Patienten, eine individuelle, Familien- und ressourcenorientierte sowie gesundheitsfördernde Pflege. Hierzu bietet das Instrument des Pflegeprozesses, wenn es für eine biografische orientierte Pflegeplanung eingesetzt wird, beste Voraussetzung. Viele Muslimen wünschen einen eher familiären Kontakt. Insbesondere in der Aufnahmesituation kann und soll die Pflegeperson von ihren Patienten lernen. Was Muslimen an Informationen zu ihrem Befinden in der Anamnese mitteilen können, hängt stark von ihrer Vorbildung ab. Die Erzählungen von vielen 60-jährigen Türkinnen aus ihrer Kindheit, die in Anatolien gelebt haben, machen dies deutlich, z.B. „In unserem Dorf gab es zwar viele Mädchen, aber keins durfte zur Schule gehen“. Im Umgang mit türkischen Frauen im Alter von 60 bis 70 Jahren zeigt es sich oftmals, dass diese Frauen evtl. keine anatomisch-physiologischen Vorstellungen von ihrem Körper haben. Dies hat Auswirkungen auf ihr Verständnis für Pflegemaßnahmen und damit auf ihre Compliance. So fehlt Muslimen häufig das Verständnis für Erkrankungen, die sich nicht offensichtlich zeigen, wie ein beginnender Diabetes: Warum soll man seine Nahrungsgewohnheiten verändern, wenn doch nichts weh tut? Da Entscheidungen in muslimischen Familien oft nicht vom Patienten allein getroffen werden, sollte man feststellen, wer verantwortlich ist und ggf. warten, bis diese Person anwesend sein kann. Jeder Patient ist ein Individuum mit eigener Geschichte, Persönlichkeit und Weltanschauung. Es gibt daher keine allgemeingültige „Checkliste“ für den Umgang mit muslimischen Patienten. Muslimische Glaubensprizipien: Gesundheit und Krankheit werden im Islam als ganz natürlich angesehen. Die wichtigste Verantwortung des gläubigen Muslims ist dabei, auf Gesundheit und Körper zu achten. Es ist eine islamische Pflicht, eine entsprechende Körperhygiene einzuhalten, ebenso wie erforderliche medizinische Maßnahmen zur Bewahrung oder Wiederherstellung der Gesundheit zu ergreifen. Begründet werden diese Grundsätze dadurch, dass Gesundheit und Körper beide von Gott gegebene, zu schützende Güter sind. Die religiösen Prinzipien sind daher im Notfall, und wenn keine Alternativen vorhanden sind, aufgehoben. Dies beinhaltet beispielsweise die Einnahme sonst verbotener Produkte wie Medikamente, die Alkohol beinhalten, oder die Nichtausübung religiöser Pflichten wie das Fasten zu Ramadan. Dadurch soll das Leiden nicht unnötig verlängert und eine schnelle Genesung herbeigeführt werden. Das tägliche Gebet und die rituelle Reinheit: Das tägliche Gebet stellt eine Pflicht dar, welcher auch bei Krankheit oder Bettlägerigkeit Folge geleistet werden sollte. Dieses Gebet sollte fünf Mal am Tag durchgeführt werden. Das Gebet besteht aus der Rezitation von Koranversen, Bittgebeten und bestimmten körperlichen Bewegungen wie Verbeugen, Knien, Sitzen, Stehen. Ein kranker Muslim kann die von ihm nicht ausführbaren Körperbewegungen auch nur andeuten, zum Beispiel liegend im Bett. Als unrein gelten Blut und Exkremente, wie Urin und Kot. Diese müssen von der Kleidung, der Körperoberfläche und dem Platz, wo der Muslim betet, mit Wasser entfernt werden. Ansonsten darf das Gebet nicht durchgeführt werden. Ebenso darf der Muslim erst dann beten, wenn er selbst rituell rein ist. Dies erfordert das Waschen des Gesichtes, der Arme bis zum Ellenbogen, das Anfeuchten der Haare und das Waschen der Füße. Die Reinheit vergeht mit Verrichtung der Notdurft, nach dem Schlaf, nach einer Blutung. Handlungsvorschläge: Falls der Patient bettlägerig ist, sollte ein Wasserkrug zum Waschen neben das Bett gestellt werden, damit der Patient die rituelle Reinheit herstellen kann. Frühzeitig auf Blutabnahme hinweisen, damit der Patient das Gebet vorher verrichten kann. Bettwäschewechsel auch außerhalb der Routinezeiten ermöglichen. Informationen über die Gebetsrichtungen (Richtung Mekka, Südost) einholen, um diese bei Bedarf an Patienten weiter zu geben. Evtl. einen Gebetsraum einrichten. Wecken für Nacht- oder Morgengebet anbieten. Quelle: Praxis Pflegen 4/2011 Kultursensible Pflege bei Muslimen anhand der Aktivitäten und existenzielle Erfahrungen des täglichen Lebens Kommunizieren: Viele Muslimen mögen den Körperkontakt z.B. wenn sie miteinander kommunizieren, berühren sie sich, indem sie die Hand halten oder den Arm über die Schulter legen. Natürlich sind diese Berührungen nur bei gleichem Geschlecht bedingt. Ältere Muslime werden generell mit Onkel oder Tante angesprochen, wobei auch der Vorname genutzt wird (z.B. ,,Onkel Ismail“), da es eine Frage des Respekts ist. Sich pflegen: Für die Muslimen zählen die Achselhaare und die Haare in dem Intimbereich als unrein, deshalb müssen sie mindestens einmal in der Woche entfernt werden. Auch die Finger-und Zehennägeln zählen zu den wichtigsten Aspekten, da diese nicht länger als die Finger-und Zehenkuppen sein dürfen. Die alltägliche Waschung erfolgt unter fließendem Wasser. Vor und nach jeder Mahlzeit werden die Hände gründlich gewaschen. Essen und trinken: Für gläubige Muslime gelten einige Nahrungsmittel als verboten. Dazu gehören Schweinefleisch und Fleisch von verendeten Tieren, d. h. weder auf natürliche Weise noch durch Schlachtung gestorben. Die Schlachtung muss durch Kehlschnitt durchgeführt werden. Zu den Verboten gehören auch Blut und tierische Produkte vom Schwein wie z.B. Schmalz, Fett oder Gelatine sowie Alkohol. Um eine den islamischen Ernährungsgeboten entsprechende Ernährung zu ermöglichen sollte schon im Speiseplan auf möglich tierische Zusatzstoffe hingewiesen werden. Wenn umsetzbar, könnte Halal-Kost (= erlaubte Kost) angeboten werden, welche aus Fleisch, das beispielsweise von muslimischen Metzgern bezogen wird, besteht. Muslimische Patienten können Medikamente verweigern, die tierische Produkte (z. B. Gelatine in Kapseln, Heparin) oder Alkohol beinhaltet. Generell ist in solchen Fällen darauf hinzuweisen, dass an sich verbotenen Dinge zur Heilung und Therapie erlaubt sind, sofern es keine Alternativen gibt. Bei Vorhandensein von Alternativen sollten diese eingesetzt werden (z. B. Tablettenform statt Kapselform, Heparinaustauschstoffe wie Fondaparinux). Ausscheiden: Nach jedem Toilettengang muss sich der Muslim Intimbereich und After mit Toilettenpapier reinigen und anschließend mit Wasser waschen. Sich kleiden: Da die gläubigen Muslime fünf Mal am Tag beten, müssen die Kleider sauber und gepflegt sein. Bei starker Glaubensgebundenheit tragen Musliminnen ein Kopftuch. Sich als Mann oder Frau fühlen: Der Schambereich ist der Bereich des Körpers, der anderen Menschen nicht gezeigt werden darf und bedeckt werden muss. Bei Männern betrifft dies den Bereich zwischen Bauchnabel und Knie. Bei Frauen, die sich in Anwesenheit von Männern befinden, kann der Schambereich mitunter den ganzen Körper einschließlich der Haare darstellen. Ausnahmen sind in der Regel das Gesicht, die Augen, die Hände und Füße. Sofern Frauen unter sich sind, kann ein Schambereich von den Knien aufwärts bis zu den Ellenbogen und dem Hals bestehen. Dieser Bereich muss vor Ehepartnern sowie bei medizinisch notwendigen Behandlungen und bei Körperpflege nicht bedeckt werden. Die Pflegemaßnahmen sollten möglichst nur durch gleichgeschlechtliche Personen durchgeführt werden. Soziale Bereiche des Lebens sichern: Für Muslime sind Familie, Freunde und Bekannte im Alter sehr wichtig, da sie meistens von ihren Kindern oder von den Verwandten gepflegt werden. In Pflege- oder Krankheitssituationen ist ein Krankenbesuch eine religiöse Pflicht. Mit existenziellen Erfahrungen des Lebens umgehen: Sterbebegleitung bei Muslime kann nur durch Muslime durchgeführt werden, da neben den Sterbenden bis zum letzten Atemzug Versen aus dem Koran gelesen werden müssen und die Worte “Eşhedu en lâ ilâhe illallâh ve eşhedü enne Muhammeden abdühü ve Resûlüh.”( „Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt und ich bezeuge, dass Muhammed s.v. Sein Gesandter ist.“) wiederholt werden müssen. Bei Pflegebedürftigen, die keine Angehörige haben, wäre es ratsam, Mitglied bei einem islamischen Bestattungsdienst zu werden, auch das Pflegeheim kann dabei behilflich sein, indem er sich an die jeweilige Moschee wendet. Die Sterbebegleitung wird bis zur Beerdigung von islamischen Bestattungsdiensten durchgeführt. Der Tod als Ende des Lebens führt den Menschen wieder zu Allah. Niemand kann dem Tod entrinnen, denn er ist das Ende der von Allah gesetzten Zeit auf der Erde. Nach dem Tod warten die Seelen auf das Gericht, in dem darüber entschieden wird, ob ein Leben bei Allah im Paradies sein wird. Jeder Muslim hofft, nach dem Tod und dem Gericht über sein Leben im Jenseits, d.h. im Paradies leben zu dürfen und Allah zu sehen. Natürlich haben auch die älteren Muslime Angst, nicht in das Paradies, sondern in die Hölle zu kommen wenn Allah anders entscheidet, aber die Hoffnung ist dennoch so groß, doch ins Paradies zu kommen. Der Tod als Teil des Lebens verliert dadurch seinen Schrecken. Der Tod ist nicht das Ende, sondern ein Übergang zum Paradies. Nach rituellen Waschungen und Gebeten muss der Verstorbene umgehend beerdigt werden. Dazu wird sein Leichnam, in Leinen gewickelt und seitlich in die Erde gelegt. Der Kopf blickt nach Mekka (Richtung Südost).