Beckenbodenschwäche, Blasen- und Darminkontinenz, Stuhlentleerungsstörungen Über diese Beschwerden spricht niemand gerne, jedoch sind sie weit verbreitet – Beckenbodenschwäche, Darminkontinenz, Stuhlentleerungsstörungen. Was kaum jemand weiß: Nicht nur Frauen sind von diesen Erkrankungen betroffen. Wer Probleme mit der Blase oder Schmerzen bei der Stuhlentleerung hat, entscheidet sich oftmals dazu, dieses für sich zu behalten und stattdessen still und über Jahre hinweg zu leiden, oder sich damit zu arrangieren und es einfach hinzunehmen. Dabei kann Betroffenen geholfen werden! Beim Medizindialog im März in Bergisch Gladbach informierte Dr. Matthias Brütting, Oberarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach, über die neuen Behandlungsmethoden und die interdisziplinäre Zusammenarbeit am EVK. Was ist Stuhlinkontinenz? Wer von Stuhlinkontinenz betroffen ist, berichtet teilweise von massiven Problemen. Einige Patienten beklagen beim Gang zur Toilette Blutungen im Afterbereich, oftmals begleitet von starken Schmerzen. „Auch wenn es für Betroffene eine unangenehme und teilweise von Scham erfüllte Situation ist: Ein Experte sollte aufgesucht werden. Denn die Schmerzen beim Stuhlgang sind nicht das Einzige. Vielfach sondert sich zusätzlich Eiter ab, es nässt und schmiert. Der Juckreiz steigert die Qual. In nicht wenigen Fällen können Patienten den Stuhl nicht im Darm belassen – er fließt unkontrolliert heraus“, erklärt Dr. med. Matthias Brütting berichtet über die zahlreichen Beschwerden, die bei Stuhlentleerungsstörungen auftreten können. Dr. Matthias Brütting, der an diesem Abend den gynäkologischen Part des Vortrags für den kurzfristig erkrankten Ulrich Bier, Oberarzt der Gynäkologie am EVK, mit übernahm. Ursachen der Stuhlinkontinenz sind vielschichtig. „Hierzu zählen Schädigungen des Schließmuskels durch Geburten, Operationen oder Verletzungen ebenso wie Bindegewebsschwächen und Nervenstörungen“, so Dr. Brütting weiter. Fisteln sowie chronische Entzündungen und Beckensenkungen können weitere Auslöser einer Stuhlinkontinenz sein. Diagnose am EVK Stuhlinkontinenz kann einfach und in der Regel schnell diagnostiziert werden. Neben der konventionellen, proktologischen Untersuchung beim Mediziner und der Dickdarmspiegelung bietet das EVK auch die Schließmuskeldruckmessung an. Zudem besteht die Möglichkeit, die Nervenfunktionen zu überprüfen. Bei der dynamischen Kernspintomographie wird der Darm mit einer Flüssigkeit gefüllt. Hierdurch können die Abläufe im Darm und Afterbereich genau nachverfolgt und mögliche Störungsquellen geortet werden. Fortsetzung auf Seite 8 StippVisite 5 Fortsetzung von Seite 5 Beckenbodenschwäche, Blasen- und Darminkontinenz, Stuhlentleerungsstörungen Konventionelle Therapie der Stuhlinkontinenz Zu den konventionellen Therapieansätzen gehören das Beckenbodentraining sowie das Biofeedback. Ähnlich wie bei Harninkontinenz ist das Beckenbodentraining eine grundlegende Methode, das Gewebe im Afterbereich zu trainieren. Daher sollte dies bereits früh begonnen werden, am besten bereits vor dem tatsächlichen Auftreten der Inkontinenz. Beim sogenannten Biofeedback, einer weiteren Methode der Physikalischen Medizin, kann der Patient den eigentlich unwillkürlich funktionierenden Schließmuskel direkt trainieren und aufbauen. Operative Therapie der Stuhlinkontinenz Am EVK werden mehrere operative Therapiemöglichkeiten bei einer Stuhlinkontinenz in Erwägung gezogen. Dr. Brütting erklärt die unterschiedlichen Möglichkeiten: „Zum einen können wir einen Schließmuskeldefekt manchmal direkt operativ korrigieren. Um den Darmausgang wird ein geschlossenes System mit einem dehnbaren Verschlussband angelegt sowie ein Ventilmechanismus zum Öffnen und Schließen. Der Nachteil hier: Der Patient lebt mit einem Fremdkörper, der in ständiger Bewegung ist und die Gefahr der Wandverletzung und von Infektionen mit sich bringt.“ Eine gute, wenn auch kostenintensive Methode ist die sakrale Nervenstimulation. „Wir implantieren operativ einen kleinen Schrittmacher, der die Nerven im entsprechenden Bereich mit schwachen elektrischen Impulsen stimuliert. Über diese Nerven- 8 StippVisite stimulation werden die beteiligten Muskeln am Darm und Schließmuskel des Afters kontrolliert“, führt Dr. Brütting aus. Vorteil: ein geringes Risiko für den Patienten. „Es erfolgt zunächst in einem kurzen Eingriff die Platzierung der Sonden. Dabei ist die Gefahr, durch den operativen Eingriff etwas zu verletzen oder Komplikationen auszulösen, extrem gering. Der eigentliche Schrittmacher wird erst nach einer Testphase eingesetzt, wenn sichergestellt ist, dass die Therapie erfolgreich sein wird.“ Nachteil sind die hohen Kosten der Therapie. „Die Technik für eine dauerhafte Implantation ist sehr teuer, deshalb wird nach einer positiven Testphase mit der Krankenkasse eine Kostenübernahme individuell abgesprochen“, so Dr. Brütting. Äußerst schmerzhaft – der Vorfall des Rektumprolaps Welche Therapiemöglichkeiten gibt es? Der Vorfall des Rektumprolaps ist für den Patienten unangenehm und sehr schmerzhaft. Mediziner unterscheiden bei dieser Form mehrere Schweregrade. Dr. Rütting: „Bei der stärksten Form tritt der ganze Mastdarm aus dem Anus heraus, der sich nicht wieder von alleine in das Körperinnere zurückzieht, sondern per Hand wieder hineingeschoben werden muss.“ Natürlich treten auch hier Inkontinenz, Nässen und ein Schleimabgang in Form von Blut auf. „Vorherrschend aber ist ansonsten ein stetes Gefühl der inkompletten Stuhlentleerung, das zusammen mit Schmerzen auftritt“, beschreibt Dr. Brütting diesen speziellen Vorfall, von dem Frauen wesentlich häufiger betroffen sind als Männer. Einfache Maßnahmen wie die Stuhlregulation oder die Reposition können die Situation zwar verbessern, „in vielen Fällen kommen die Betroffenen aber nicht um eine Opera- tion herum“, so Dr. Brütting. Ein schonendes Verfahren durch den After ist die sogenannte Trans-STARR-Methode. „Hierbei handelt es sich um eine OP, die über den After durchgeführt wird. Mit einem speziellen Nahtgerät werden an den Wänden des Mastdarmes Anteile der Darmwand entfernt und dadurch eine Straffung des Mastdarmes erreicht.“ „Des Weiteren bieten wir am EVK die laparoskopische Resektionsrektopexie an. Wir operieren durch den Bauchraum und entfernen überschüssige Darmstücke. Mittels eines Nahtgerätes stellen wir die Funktion des Darms wieder her, heben den Beckenboden an und fixieren den Mastdarm in seiner ursprünglichen Lage“, so Dr. Brütting. Folgende Behandlungsziele stehen für Dr. Brütting im Mittelpunkt: „Zunächst einmal wollen wir die Lebensqualität verbessern und die Symptome bekämpfen. Dies soll so risikolos wie möglich geschehen. Zudem wollen wir die Anatomie des Körpers so gut es geht wiederherstellen und Komplikationen für die Betroffenen vermeiden.“ Um diese Ziele zu erreichen, gibt es eine enge Zusammenarbeit der chirurgischen und gynäkologischen Klinik am EVK. „Die verschiedenen gynäkologischen und chirurgischen Therapieansätze ergänzen sich teilweise, bauen gegebenenfalls aufeinander auf und können in gemeinsamen Operationen kombiniert werden“, beschreibt der Viszeralchirurg die Vorteile der Zusammenarbeit. Was ist Harninkontinenz? Wenn von Harninkontinenz die Rede ist, dann bedeutet dies, dass Urin unkontrolliert und unwillkürlich aus der Harnblase austritt. Mediziner unterscheiden zwischen zwei Varianten der Harninkontinenz: Dranginkontinenz und Stress- bzw. Belastungsinkontinenz. Bei der Dranginkontinenz erzeugt der Blasenmuskel durch re- Was sind Senkungsbeschwerden? Oft treten Senkungsbeschwerden in Verbindung mit Harninkontinenz auf, die betroffenen Patienten leiden jedoch unter einem anderen Krankheitsbild. Unter „Senkung“ verstehen Mediziner die Lageveränderung von Gebärmutter und Scheide, nicht selten ist auch die Blase betroffen. Dr. Brütting: „Es gibt drei Grade von Senkungsbeschwerden: Bei Grad 1 tritt der Gebärmutterhals bis in den Scheideneingang ein. Grad 2 bedeutet, dass der Gebärmutterhals bis vor den Scheideneingang rutscht und bei Grad 3 fallen Scheide und Gebärmutter vor. Besonders betroffen sind ältere Frauen.“ Das intensive Gespräch mit dem Patienten ist extrem wichtig, erläutert Dr. Brütting. Bereits hier erhält er wichtige Informationen. flexartige Zuckungen ein Gefühl des Harndrangs. Betroffen sind meistens Frauen. „Hier können wir nur eine medikamentöse Therapie vorschlagen. Es kommt zu sehr häufigem Harndrang, der das Leidensdruck der Betroffenen verstärkt und die Lebensqualität vermindert“, erzählt Dr. Brütting. Bei der Belastungsinkontinenz kommt es, wie der Name schon vermuten lässt, infolge einer körperlichen Belastung dazu, dass Patienten unkontrolliert Urin verlieren. „Ob beim Joggen, Niesen oder sogar Lachen für diese Ausprägung ist typisch, dass die Frauen in den meisten Fällen gar keinen Harndrang verspüren und der Urin meist in kleinen Mengen abgeht. Im Gegensatz zur Dranginkontinenz können wir hier operativ eingreifen“, berichtet Dr. Brütting. Wochen dauern kann und bei der die Heilungschancen gut sind. Bei der Stress- bzw. Belastungsinkontinenz liegt die Ursache meistens woanders. Dr. Brütting: „Der Beckenboden ist geschwächt und führt zu einer Schwächung der Blase. Übergewicht bei Frauen und Männern ist ein weiterer wichtiger Grund: Die zusätzlichen Pfunde belasten nämlich den Beckenboden und können das Problem verstärken.“ Im Laufe der Jahre treten die Genitalorgane herab. Meistens ist das durch Gewebebelastung bei schweren Geburten oder Mehrfachgeburten zurückzuführen, die den Beckenboden überdehnt haben. Der Beckenboden ist eine Muskelplatte, die sich zwischen dem Scham- und Steißbein befindet. Nicht selten passiert es, dass bei fortschreitendem Alter auch die Scheidenwände an Spannkraft verlieren. Fortsetzung auf Seite 12 Chronische Entzündungen und Östrogenmangel sind in den meisten Fällen dafür verantwortlich, dass Patienten mit einer Dranginkontinenz zu kämpfen haben. In diesem Fall wird eine medikamentöse Behandlung angesetzt, die zwischen sechs bis acht StippVisite 9 Fortsetzung von Seite 9 Beckenbodenschwäche, Blasen- und Darminkontinenz, Stuhlentleerungsstörungen Das wiederum hat zur Folge, dass die Muskulatur des Beckenbodens an Kraft einbüßt, die Blase absinkt und der Verschlussmechanismus aussetzt. Patienten, die über Jahre hinweg körperlich schwer gearbeitet haben, haben oft Senkungsbeschwerden, wenn von Natur aus eine Bindegewebsschwäche vorliegt. Ähnlich wie bei der Harninkontinenz spielt Übergewicht auch bei Senkungsbeschwerden eine tragende Rolle. Therapie der Harninkontinenz Wer unter Harninkontinenz leidet oder dieser vorbeugen möchte, sollte immer zuerst an die klassische Beckenboden-Gymnastik denken. Dabei wird die Muskulatur unterhalb der Harnröhre kontinuierlich trainiert. Sind die Muskeln in den entsprechenden Regionen gut trainiert, kann das dazu führen, dass unkontrolliertes Austreten von Urin minimiert oder das Absinken von Organen gestoppt wird. Wenn diese non-opera- Der Andrang war groß an diesem Abend im Gemeindesaal am Quirlsberg in Bergisch Gladbach tive Methode nicht ausreicht, ist eine Operation schließlich die beste Lösung, um das Leiden der Patienten zu mildern. Dr. Brütting: „Wir arbeiten mit einer Methode, die nur mit einem geringen operativen Aufwand verbunden ist. Wir legen den Betroffenen ein Band wie ein Netz um die Harnröhre. Dadurch wird sie „gepolstert“ und schließt bei Druck.“ Therapie der Senkungsbeschwerden Auch bei Senkungsbeschwerden gibt es in der Medizin heutzutage sehr gute Therapiemöglichkeiten. Über einen operativen Eingriff kann das Leiden der Patienten minimiert und den Menschen ein Stück Lebensqualität zurückgegeben werden. Dr. Brütting: „Bei einer Operation heben wir zum Beispiel die Blase an. Wir doppeln das darunter liegende Gewebe und erreichen somit eine höheren Stabilisierungsgrad. Dasselbe praktizieren wir mit der hinteren Scheidenwand.“ Als weitere Möglichkeit kann das sogenannte „Hängematten“-Prinzip eingesetzt werden. Diese Methode sorgt dafür, dass das geschwächte Bindegewebe mithilfe eines hängemattenähnlichen Ihre Ansprechpartner am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach: Kunststoffnetzes gestützt wird. In diesem Bereich arbeiten Gynäkologie und Chirurgie am EVK eng zusammen. Der operative Eingriff erfolgt über die Scheide, das eingeführte Netz gibt schließlich den nötigen Halt der inneren Organe und wird in einer gemeinsam von Chirurgen und GynäkoUlrich Bier Dr. med. Matthias Brütting logen durchgeführten Oberarzt der Gynäkologie Oberarzt Allgemein- und Viszeralchirurgie Bauchspiegelung am Telefon 02202 122-2400 Telefon 02202 122-2300 Kreuzbein befestigt. 12 StippVisite