Uber die Verteilung der Primzahlen

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Über die Verteilung der Primzahlen
Schon dem jungen Carl Friedrich Gauss drängte sich die Vermutung auf,
dass die Anzahl π(x) aller Primzahlen p unterhalb der positiven Schranke x
dem Gesetz
π(x) log x
lim
= 1
x→∞
x
gehorcht. (Mit log x bezeichnen wir hier und später den natürlichen Logarithmus.) Der Beweis dieses Primzahlsatzes gelang erst ein Jahrhundert
später, und auch heute noch ist der Zugang zu ihm anspruchsvoll. Einen Meilenstein am Wege errichtete Tschebyscheff um 1850 durch die Abschätzung:
Satz 1. Es gibt positive Konstante a und A derart, dass für alle reellen
Zahlen x ≥ 2 gilt
x
x
a
≤ π(x) ≤ A
.
log x
log x
Dieses Resultat von Tschebyscheff und zwei verwandte Ergebnisse sind elementar und im Vergleich mit dem Primzahlsatz leicht zugänglich. Wir werden konkret a = 12 log 2 und A = 6 log 2 begründen. — Die unendlich vielen
Primzahlen sind der Größe nach in natürlicher Reihenfolge p1 = 2, p2 = 3,
p3 = 5, . . . geordnet. Aus Satz 1 erhält man eine Vorstellung von der Größe
der n-ten Primzahl pn :
Satz 2. Es gibt positive Konstante a0 und A0 derart, dass für alle natürlichen
Zahlen n ≥ 2 gilt
a0 · n log n ≤ pn ≤ A0 · n log n .
Es lässt sich leicht feststellen, dass in der Primzahlfolge (pn )n≥1 beliebig
große Lücken pN +1 − pN auftreten. Beispielsweise ist keine der aufeinander
folgenden natürlichen Zahlen
m+
n
Y
pk
(2 ≤ m ≤ pn )
k=1
eine Primzahl, da m und damit auch die Summe durch eines der pk teilbar
ist. Indes treten große Lücken erst spät auf. Dies ergibt sich sofort aus dem
ebenfalls von Tschebyscheff um 1850 bewiesenen
Satz 3. Zu jeder natürliche Zahl n gibt es eine Primzahl p mit n < p ≤ 2n.
(Das Gleichheitszeichen rechts tritt natürlich nur im Fall n = 1 ein.) Der
Satz 3 trägt den irreführenden Namen Bertrandsches Postulat, weil Bertrand
zuvor die dort formulierte Aussage bis n = 3 · 106 nachgeprüft hatte und,
wie Tschebyscheff zeigte, zu Recht annahm, sie sei stets richtig.
1
Abschätzung von π(x) nach oben
Eine gute obere
Abschätzung von π(x) ergibt sich durch den Binomialkoef2n
fizienten n . Er ist der größte Summand in der 2n + 1-gliedrigen Summe
2n
(1 + 1)
=
2n X
2n
m
m=0
.
Da auch die Summe des ersten und letzten Gliedes durch 2n
n beschränkt
ist, gelten die Ungleichungen
22n
2n
≤
≤ 22n .
(1)
2n
n
Durch Interpretation des Binomialkoeffizienten 2n
n-elen als Anzahl der mentigen Teilmengen einer 2n-elementigen Menge sieht man, dass 2n
n eine
natürliche Zahl ist. Schließlich zeigt die Bruchdarstellung
2n
(2n)!
=
(2)
n
n! · n!
zusammen mit der Eindeutigkeit der Zerlegung Q
natürlicher Zahlen als Produkt von Primzahlpotenzen, dass das Produkt n<p≤2n p aller Primzahlen
p, die größer als n und höchstens gleich 2n sind, ein Teiler von 2n
n wird.
Dies ergibt
Y
2n
π(2n)−π(n)
n
≤
p ≤
≤ 22n
n
n<p≤2n
und nach Logarithmieren π(2n) − π(n) ≤ 2n log 2/ log n. Daraus ergibt sich
für die 2-Potenzen die Abschätzung:
π(2k ) ≤ 3 ·
2k
.
k
Zu ihrem Nachweis betrachten wir zunächst die kleinen k:
k=
3 · 2k /k =
π(2k ) =
1
6
1
2
6
2
3
8
4
4
12
6
5
96/5
11
Ist k ≥ 5, so folgt aus der Gültigkeit der Behauptung für k die Abschätzung
π(2k+1 ) ≤ π(2k ) +
2k+1
3 · 2k
2 · 2k
5 · 2k
3 · 2k+1
≤
+
=
≤
,
k
k
k
k
k+1
2
da 5k +5 ≤ 6k gilt. Das ist die Behauptung für k +1 statt k. Nun verwenden
wir die Tatsache, dass die Funktion f (x) := x/ log x eine streng monoton
wachsende bijektive Selbstabbildung des Intervalls e < x < ∞ definiert. Gilt
4 ≤ 2k < x ≤ 2k+1 , so wird
π(x) ≤ π(2k+1 ) ≤ 6 ·
2k
2k
x
≤ 6 log 2 ·
≤ 6 log 2 ·
.
k
k+1
log 2
log x
Offensichtlich aber gilt auch im Intervall 2 ≤ x ≤ 4 diese Abschätzung
π(x) ≤ 6 log 2 ·
x
log x
(3)
Abschätzung von π(x) nach unten
Für die Abschätzung nach
unten wird die kanonische Faktorisierung des
Binomialkoeffizienten 2n
n herangezogen. Wir beginnen mit der kanonischen
Zerlegung der Fakultäten.
Proposition 1. Für jede natürliche Zahl n > 1 und jede Primzahl p ist der
p-Exponent in der kanonischen Zerlegung von n! gegeben durch
∞ X
n
vp (n!) =
.
pm
m=1
Beweis. Es bezeichnet bxc die größte ganze Zahl, welche die reelle Zahl x
nicht übertrifft. Für Indizes m > log n/ log p verschwinden die zugehörigen
Summanden
der Reihe. Sonst sind von den n Faktoren im Produkt n! =
Qn
k
genau
bn/pc Faktoren durch p teilbar: k = 1 · p, 2 · p, . . . bn/pc · p. Von
k=1
diesen enthalten den Faktor p mindestens zweifach genau bn/p2 c Faktoren
k = 1 · p2 , 2 · p2 , . . . , bn/p2 c · p2 . Das geht so weiter: Genau bn/pm c Faktoren,
nämlich die Vielfachen von pm , sind mindestens durch pm teilbar.
Die Primfaktorisierung des Binomialkoeffizienten 2n
n ) lässt sich aufgrund der Formel (2) mittels der Proposition 1 angeben:
∞ Y
X
2n
2n
n
wp
=
p
mit wp =
−2 m
.
(4)
m
n
p
p
m=1
Proposition 2. Für reelle x hat b2xc − 2bxc stets den Wert 0 oder 1.
Beweis. Als Funktion von x besitzt die genannte Differenz die Periode 1.
Daher braucht die Behauptung nur für 0 ≤ x < 1 bewiesen zu werden. Der
zweite Summand verschwindet dann, während der erste Summand im Fall
0 ≤ x < 1/2 verschwindet, dagegen im Fall 1/2 ≤ x < 1 den Wert 1 hat. 3
Jede der runden Klammern in der Summe (4) hat nach Proposition 2 den
Wert 0 oder 1, und für m > log 2n/ log p verschwindet sie. Dies ergibt
log 2n
.
(5)
w(p) ≤
log p
Aus der linken Ungleichung (1) folgt nun durch Logarithmieren
X log 2n X
2n log(2) − log(2n) ≤
log p ≤
log 2n = π(2n) log 2n .
log p
p≤2n
p≤2n
Damit haben wir die untere Abschätzung
π(2n) ≥
2n log 2
− 1.
log(2n)
Aus ihr kann folgende Ungleichung abgeleitet werden:
π(x) ≥
log 2 x
2 log x
für alle x ≥ 2 .
(6)
Die rechte Seite ist als Funktion von x im Intervall 2 ≤ x ≤ e monoton
fallend und im Intervall e ≤ x < ∞ monoton steigend. Bei x = 2 und x = 4
hat sie den Wert 1, bei x = 16 den Wert 2. Daher genügt es, die Behauptung
für x > 16 zu beweisen. Zu jedem x dieser Art gibt es eine natürliche Zahl n,
für die gilt 16 ≤ 2n < x ≤ 2n + 2. Dann gilt
2n
n+1
n−1
7
1
−
=
≥
≥
,
log(2n) log(2n)
log(2n)
4 log 2
log 2
und daraus folgt
π(x) ≥ π(2n) ≥
2n log 2
(n+1) log 2
log 2 x
−1≥
≥
.
log(2n)
log(2n+2)
2 log x
Die Größenordnung der n-ten Primzahl pn
In diesem Teil wird Satz 2 aus Satz 1 hergeleitet und dann wird Satz 3
bewiesen. Wir beginnen mit der unteren Abschätzung in Satz 2. Setzt man
x = pn in Satz 1, so ergibt sich
n = π(pn ) ≤ A
pn
log pn
für alle n ≥ 2 .
Daher und wegen n ≤ pn folgt
pn ≥
1
1
n log pn ≥
n log n (n ≥ 2) .
A
A
4
(7)
Die linke Abschätzung in Satz 2 ist daher mit a0 = 1/A bewiesen. Nun
zur rechten Abschätzung. Durch f (x) := x/ log x wird eine streng monoton steigende und stetig differenzierbare Selbstabbildung des Intervalls
e < x < ∞ gegeben. Wir bezeichnen mit g die Umkehrabbildung von f . Sie
ist bekanntlich ebenfalls streng monoton steigend. Folglich ergibt sich aus
n/a ≥ pn / log pn , der linken Ungleichung von Satz 1,
n
pn
pn = g
≤ g
.
(8)
log pn
a
Wir machen für g den Ansatz g(x) = x log x h(x) mit einer gesuchten Funktion h. Einsetzen von x/ log x statt x ergibt
1
x
x
log log x
x
1 =
· log
·h
=
1−
·h
.
log x
log x
log x
log x
log x
Die unbekannte Funktion h ist daher beschränkt auf e < x < ∞ durch die
e
Ungleichungen 1 < h(x) ≤ (1 − 1/e)−1 = e−1
. Somit folgt aus (8) nunmehr
pn ≤
n n
n
log
h
≤ A0 · n log n
a
a
a
für alle n ≥ 2 .
(9)
Wir wenden uns jetzt dem Nachweis des Bertrandschen Postulates zu.
Proposition 3. Für das Produkt Θ(x) aller Primzahlen p unterhalb der
reellen Zahl x ≥ 1 gilt stets
Y
Θ(x) :=
p < 4x .
p≤x
Beweis. Da die linke Seite auf den Intervallen n ≤ x < n+1 konstant ist und
die rechte Seite strikt monoton wachsend als Funktion von x ist, genügt es,
die Behauptung für natürliche Argumente x = n zu beweisen. Offensichtlich ist Θ(n) < 4n für n = 1, 2, 3. Wir verwenden nun den ganzzahligen
Binomialkoeffizienten
2m+1
2m+1
(m+2)(m+3) . . . (2m+1)
.
=
=
m!
m
m+1
P2m+1 2m+1
In der Entwicklung (1 + 1)2m+1 =
nach der binomischen
j=0
j
Formel tritt er zweimal auf, woraus die Abschätzung 2m+1
< 22m = 4m
m
2m+1
resultiert. Andererseits ist
teilbar durch das Produkt aller Primm
zahlen p in den Grenzen m + 2 ≤ p ≤ 2m + 1. Mithin folgt
Y
p < 4m .
(∗)
m+2≤p≤2m+1
5
Nun wird Proposition 3 durch vollständige Induktion bewiesen. Angenommen n0 > 3 und Θ(n) < 4n für alle n < n0 . Für den Fall, dass n0 gerade
ist, gilt Θ(n0 ) = Θ(n0 − 1) < 4n0 −1 < 4n0 aufgrund der Induktionsvoraussetzung. Ist dagegen n0 = 2m + 1 ungerade, so ist m + 1 < n0 . Also ergibt
sich aus der Induktionsvoraussetzung und der Formel (∗)
Y
Θ(n0 ) = Θ(m + 1) ·
p < 4m+1 · 4m = 4n0 .
m+2≤p≤2m+1
Angenommen es gibt eine natürliche Zahl n, für die keine Primzahl p die
beiden Ungleichungen n < p ≤ 2n erfüllt. Dann ist offensichtlich n ≥ 5
2
und alle Primteiler von 2n
n sind beschränkt durch 3 n. Denn Primzahlen p
2
im Intervall 3 n < p ≤ n haben die Eigenschaft 2n < 3p ≤ p2 . Mithin ist
wp = b2n/pc − 2bn/pc = 2 − 2 = 0. Nach Formel (5) ist der p-Potenz-Beitrag
wp ≤ 2n. — Wir werfen nun einen
der Primteiler p zu 2n
n beschränkt durch p
2
wp
Blick auf Primteiler
mit einem Exponenten wp > 1. Dann
√
√ist p ≤ p ≤ 2n,
also gilt p ≤ 2n. Da die Zahl dieser p natürlich durch 2n beschränkt ist,
gewinnen wir mit der Formel (1) und der Proposition 3 die Abschätzung
22n
≤
2n
Y
wp >1
pwp ·
Y
√
p ≤ (2n)
2n
√
2n
· Θ(2n/3) ≤ (2n)
· 24n/3 .
wp =1
Durch Logarithmieren entsteht daraus
2n log 2 ≤ 3(1 +
√
2n) log(2n) .
Da x 7→ √
x/ log x für x > e monoton wächst, also die Folgen log(2n)/n und
log(2n)/ 2n monoton fallen, ist die letzte Ungleichung für alle größeren
Zahlen n falsch, wenn sie für ein n0 nicht stimmt. Beispielsweise für n0 =
29 = 512 steht links 210 log 2 und rechts die kleinere Zahl 3 · 33 · 10 log 2.
Unter den Primzahlen 7, 13, 23, 43, 83, 163, 317, 631 ist jede folgende
kleiner als das Doppelte der vorhergehenden Primzahl. Daher gibt es auch
unter den natürlichen Zahlen n im Intervall 5 ≤ n ≤ 511 keine der gesuchten
Ausnahmezahlen. Also ist das Bertrandsche Postulat bewiesen.
Literatur
Hardy, G.H., Wright, E.M.: An Introduction to the Theory of Numbers, fourth ed.,
Clarendon Press, Oxford 1962
Leutbecher, A.: Zahlentheorie — Eine Einführung in die Algebra, Springer 1996
Scheid, H.: Zahlentheorie, Wissenschaftsverlag, Mannheim, Wien, Zürich 1991
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6
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