Humboldt-Universität zu Berlin Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät II Institut für Mathematik Dr. E. Warmuth Geometrisches Begründen und Beweisen Fachdidaktisches Hauptseminar (Wintersemester 2009/2010) Markus Bui [email protected] Jan Ostrzinski [email protected] Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 3 2 Rahmenlehrplan 2.1 Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Innenwinkelsumme eines n-Ecks 2.2.2 Raumdiagonalen im Würfel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 4 5 5 7 3 Geometrische Beweise 3.1 Allgemeiner Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Heuristische Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 9 9 4 Zentrale Begriffe 4.1 Vermuten und Erkunden . . . . . 4.1.1 Gleichschenkliges Dreieck 4.1.2 Eckenparallelen . . . . . . 4.2 Begründen und Beweisen . . . . . 4.2.1 Peripheriewinkel . . . . . 4.2.2 Parallelogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 11 11 12 13 13 15 5 Thesen 17 Literaturverzeichnis 19 2 1 Einleitung Dieses Skript wurde für das fachdidaktische Hauptseminar im Wintersemester 2009/2010 angefertigt. Das Thema dieses Skriptes ist das geometrische Begründen und Beweisen und insbesondere dessen Umsetzung in der Schule. Zunächst wird die Umsetzung des geometrischen Begründens und Beweisens innerhalb des Berliner Rahmenlehrplans von 2006 vorgestellt, um danach zwei exemplarische Beispiele aus der Schule zu behandeln. Im Anschluss daran folgt eine kurze Erläuterung des mathematischen Beweisens und speziell der Erarbeitung geometrischer Beweise, um danach zentrale Begriffe hierfür anhand von vier Beispielen zu erklären. Den Abschluss bildet eine Diskussion der für den Vortrag angefertigten Thesen. 3 2 Rahmenlehrplan Dieser Abschnitt befasst sich mit den Modulen im Rahmenlehrplan, in denen geometrisches Begründen und Beweisen eine zentrale Rolle spielt. Es werden die einzelnen Module, angefangen von der Klassenstufe 7/8 bis hin zum Abiturjahr, bezüglich des geometrischen Begründens und Beweisens vorgestellt. 2.1 Umsetzung P6 7/8: Konstruieren und mit ebenen Figuren argumentieren Dieses Modul beinhaltet das Beweisen und die Verwendung des THALES-Satzes. Außerdem wird der Satze über die Winkelsumme im Dreieck bewiesen und die Eigenschaften von Vierecken mit Symmetrie, den Winkelsätzen oder der Kongruenz begründet. P10 7/8: Ebene Figuren und Körper schätzen, messen und berechnen Zentraler Punkt dieses Moduls ist es, die Formeln für Flächeninhalte und Volumina verschiedener ebener Figuren bzw. Körper zu begründen oder herzuleiten. Solche Figuren sind u. a. Dreiecke, Parallelogramme und Trapeze sowie Prismen und Zylinder. W3 7/8: Geometrische Abbildungen und Symmetrie Sehr nützlich für die Erarbeitung von Beweisstrategien ist dieses Wahlmodul, in dem die Punkt-, Achsen- und Drehsymmetrie von Figuren untersucht wird. Bei späteren geometrischen Problemstellungen kann die Bearbeitung dieses Moduls Ideen liefern, um Symmetrien zu erkennen, die ein Problem vereinfachen. W4 7/8: Geometrisches Begründen und Beweisen Dieses Modul stellt den Mittelpunkt des geometrischen Begründens und Beweisens in der ganzen Schulzeit dar. Hier stehen im Vergleich zu anderen Modulen nicht die Erkenntnis, dass Formeln hergeleitet oder bestätigt werden, im Vordergrund, sondern das Begründen und Beweisen an sich. Hierbei können konkret die Beweisnotwendigkeit, die klare Struktur eines Beweises sowie Beweisstrategien thematisiert werden. Inhalte sind u. a. Begründungen des Umfangs- und Mittelpunktssatzes am Kreis sowie der In- und Umkreiswinkelsatz am Dreieck und die Innenwinkelsumme im n-Eck. Für die Hauptschule ist dieses Modul nicht vorgesehen. P2 9/10: Längen und Flächen bestimmen und berechnen Im Vordergrund dieses Moduls steht der Beweis und das Anwenden des Satzes des PYTHAGORAS. Außerdem spielt beim Problemlösen die Ähnlichkeit von Dreiecken eine Rolle, die z. B. zum Begründen von Eigenschaften zentrischer Streckungen benutzt werden soll. 4 W2 9/10: Flächensätze am rechtwinkligen Dreieck Angelehnt an das Modul P2 9/10 sollen hier der Katheten- und Höhensatz sowie deren Anwendungen beim Problemlösen thematisiert werden. Dieses Modul ist nicht Bestandteil der Hauptschule. WP1 9/10: Kreisgeometrie Wurde das Modul W4 7/8 nicht thematisiert, können in diesem Wahlpflichtmodul verschiedene Sätze am Kreis bewiesen werden. Außerdem beinhaltet dieses Modul das Begründen von Eigenschaften des Sehnen- und Tangentenvierecks. WP6 9/10: Platonische Körper Dieses Modul bietet die Behandlung von Eigenschaften regelmäßiger Polyeder und der PLATONischen Körper an. Es soll zudem der EULERsche Polyedersatz begründet werden. ma-3/MA-3: Analytische Geometrie und lineare Algebra In der Oberstufe spielt geometrisches Begründen und Beweisen hauptsächlich bei der Behandlung des Skalarprodukts eine zentrale Rolle. 2.2 Beispiele Um die Umsetzung des geometrischen Begründens und Beweisens im Berliner Rahmenlehrplan besser zu illustrieren, folgen zwei Beispiele, an denen auch die Beweisnotwendigkeit verdeutlicht werden soll. 2.2.1 Innenwinkelsumme eines n-Ecks Beweisideen Dass die Innenwinkelsumme eines Dreiecks 180◦ beträgt und dass man ein Viereck in zwei Dreiecke zerlegen kann, um wiederum dessen Innenwinkelsumme zu berechnen, ist aus dem Modul P6 7/8 bekannt. Wie aber kann man die Innenwinkelsumme von Polygonen mit beliebig vielen Ecken berechnen? Weiß man, dass Vierecke sich in Dreiecke zerlegen lassen, um deren Innenwinkelsumme zu berechnen, so kann man auch analog andere Vielecke in Dreiecke zerlegen und stellt fest, dass die Anzahl der Teildreiecke in einer festen Beziehung zur Anzahl der Ecken des jeweiligen Vielecks steht. So kann durch diese systematische Betrachtung ein Viereck in zwei, ein Fünfeck in drei und dementsprechend ein n-Eck in n − 2 Dreiecke zerlegt werden. 5 Hieraus folgt, dass sich die Summe der Innenwinkel eines n-Ecks (α1 bis αn ) aus n X (2.1) αi = (n − 2) · 180◦ i=1 ergibt. Dieser „Satz über die Innenwinkelsumme eines n-Ecks“ ist Bestandteil des Moduls W4 7/8. In dieser Klassenstufe sollte jedoch auf den Einsatz des Summenzeichens verzichtet und eine schülergemäße Formulierung verwendet werden. E β5 A α5 β4 α4 D α1 β1 β3 α3 C α2 B β2 Abb. 2.1: Fünfeck mit Hilfslinien und Ergänzungswinkeln Eine weitere Möglichkeit, diesen Satz zu begründen, ist die exemplarische Betrachtung eines Fünfecks, dessen Seiten man gegen den Uhrzeigersinn an einem Ende verlängert (siehe Abb. 2.1). Trägt man nun die Ergänzungswinkel∗ βi = 180◦ − αi [?] von den verlängerten Seiten zu den gegen dem Uhrzeigersinn der ursprünglichen Fünfecksseite folgenden Seiten ein und addiert diese Winkel, so muss sich eine Winkelsumme von 360◦ (Vollwinkel) ergeben, denn das Fünfeck wurde einmal komplett umlaufen: β1 + β2 + β3 + β4 + β5 = 360◦ ⇔ ⇔ ∗ | mit [?] 5 · 180◦ + (−α1 − α2 − α3 − α4 − α5 ) = 2 · 180◦ α1 + α2 + α3 + α4 + α5 = (5 − 2) · 180◦ . Auch in einem nicht-konvexen Fünfeck gilt diese Beziehung, denn ist α ein stumpfer Winkel, so ist der dazugehörige Winkel β negativ, da er dann einen mathematisch negativen Drehsinn besitzt. 6 Für dieses Fünfeck ergibt sich so die Innenwinkelsumme von 3 · 180◦ . Dies kann analog auch für n-Ecke betrachtet werden und mündet somit ebenso in Gleichung (2.1) des oben genannten „Satzes über die Innenwinkelsumme eines n-Ecks“. Erläuterungen In diesem Beispiel entsteht Beweisnotwendigkeit aus dem Verlangen, nicht erst jedes Mal die Vielecke „per Hand“ in Dreiecke zerlegen zu müssen (oder Ähnliches), sondern eine Formel für jedes beliebige Vieleck zu finden. Die Gültigkeit dieser Formel muss jedoch durch einen Beweis nachgewiesen werden. In den betrachteten Fällen kann eine Plausibilitätsbetrachtung durch die Zerlegung beliebiger Vielecke in Dreiecke ausreichen, um die Formel zu begründen – es kann aber auch die zweite, komplexere Variante über die Betrachtung des Vollwinkels angewandt werden. 2.2.2 Raumdiagonalen im Würfel H E G F D A C B Abb. 2.2: Würfel Aufgabenstellung „Stehen die Raumdiagonalen AG und BH des in Abb. 2.2 gezeigten Würfels ABC DE F GH zueinander senkrecht?“ Lösungsweg Damit die genannten Raumdiagonalen zueinander senkrecht stehen, muss sich #„ # „ ? #„ # „ #„ #„ das Skalarprodukt AG · BH = 0 ergeben. Wir nennen AB = #„ a , AD = b und AE = #„ c . Es ergibt sich #„ #„ #„ #„ # „ AG · BH = #„ a + b + #„ c · − #„ a + b + #„ c = − #„ a 2 + b 2 + #„ c 2, da das Skalarprodukt der Mischterme Null ergibt, denn die Hilfsvektoren wurden so gewählt, dass sie senkrecht zueinander stehen. Da die Hilfsvektoren alle gleicher Länge sind, ergibt sich außerdem (a = b = c) ⇒ p #„ a2 = p #„2 p #„2 b = c ⇒ #„ #„ a 2 = b 2 = #„ c2 7 und somit #„ # „ AG · BH = − #„ a 2 + #„ a 2 + #„ a 2 6= 0. Damit ist gezeigt, dass die Raumdiagonalen AG und BH nicht zueinander senkrecht stehen. Erläuterungen Diese Aufgabe aus der Sekundarstufe II ist exemplarisch für die Notwendigkeit des Beweisens, da viele Vermutungen sich auch als falsch erweisen können und deshalb bewiesen oder widerlegt werden müssen. So vermuteten während des Vortrags viele Zuhörer, dass die genannten Diagonalen tatsächlich senkrecht zueinander stehen und wurden eines Besseren belehrt. Zudem kann ein Beweis trotz fehlender Anschauung Sicherheit liefern, denn es ist schwierig nur durch eine Skizze den oben beschriebenen Sachverhalt deutlich zu machen. 8 3 Geometrische Beweise 3.1 Allgemeiner Aufbau Bedingung ⇒ Folgerung Bedingung/Folgerung ⇔ Folgerung/Bedingung Axiom Beweis −−−→ Satz Beweis −−−→ Satz Beweis −−−→ Sätze ... Abb. 3.1: Sätze und Beweise Mathematische Sätze folgen dem in Abb. 3.1 gezeigten Aufbau: Eine Bedingung impliziert eine Folgerung. Im Falle umkehrbarer Sätze dient auch die Folgerung selbst als Bedingung und umgekehrt. Diese so aufgebauten Sätze sind jedoch ohne einen ihre Gültigkeit aufzeigenden Beweis lediglich Behauptungen. Formale Beweise sind streng logische Argumentationen, deren Verlauf lückenlos nachvollziehbar sein muss. Versucht man, mathematische Sätze mit Hilfe anderer Sätze zu beweisen, so stößt man zwangsläufig auf eine obere Grenze – auf grundlegende Axiome, die unbewiesen akzeptiert werden. Unbehelligt von diesen oberen Grenzen können jedoch aus bereits bewiesenen Sätzen andere Sätze entwickelt werden. Um geometrische Beweise besser entwickeln zu können, gibt es verschiedene heuristische Strategien, von denen einige im Folgenden vorgestellt werden. 3.2 Heuristische Strategien Veranschaulichung Mit Veranschaulichung ist gemeint, eine Skizze zum Sachverhalt anzufertigen. Beim Problemlösen sollte dabei der Sachverhalt mathematisiert vereinfacht dargestellt werden. Das heißt, dass man z. B. für einen Skihang den Untergrund als eben modelliert und damit den Hang durch eine Strecke veranschaulichen kann. Umorganisation Hiermit ist gemeint, ein Problem umzustrukturieren, sodass eine andere Sichtweise eingenommen wird. Dies kann häufig durch das Einzeichnen von Hilfslinien geschehen, 9 die z. B. als Symmetrielinien fungieren können oder neue (möglichst leichtere) Figuren entstehen lassen. Analogiebildung Die Analogiebildung bezeichnet die Frage, ob man ein ähnliches Problem schon einmal gelöst hat. Möglicherweise kann man genauso verfahren wie beim letzten Mal oder durch Umorganisation das Problem in die Form von schon gelösten Problemen bringen. Verallgemeinerung/Spezialisierung Spezialisierung meint, dass ein Sachverhalt als Spezialfall eines bereits allgemein bewiesenen Problems angesehen werden kann. Verallgemeinerung hingegen meint, dass man bereits einen Spezialfall bewiesen hat und nun aber einen allgemeineren Fall zeigen soll (z. B. der Kathetensatz nach dem Satz des PYTHAGORAS). Dieser Punkt steht in enger Verbindung mit der Analogiebildung. Weitere Strategien Strategien, die in der Geometrie ebenso der Beweisfindung dienen, sind u. a. der Rückgriff auf schon bewiesene Sätze, das Konzept des geometrischen Ortes und das Vor- und Rückwärtsarbeiten. Dynamische Geometrie-Software eignet sich gut, um beispielsweise Vermutungen aufzustellen und Spezialfälle sowie Konstanten zu erkennen – sie hilft also bei der Anwendung der oben genannten Strategien und demonstriert die Möglichkeiten der Nutzung interaktiver Software in der Schule. Wir haben uns nach einiger Recherche für die kostenlose Software GEOGEBRA entschieden, da sie im Vergleich zu anderen Programmen dieser Art eine freundlichere und einfachere Benutzeroberfläche bietet und auf allen Java-fähigen Betriebssystemen installiert und verwendet werden kann. Außerdem exportiert sie alle Bilder auch als LATEX-Quellcode, der anstelle von herkömmlichen Pixelgrafiken besser in LATEX-Dokumente eingebunden werden kann. Aus den erstellten GEOGEBRA-Dateien können zudem interaktive Java-Applets zum Einbinden auf einer Website erzeugt werden. GEOGEBRA kann unter www.geogebra.org heruntergeladen werden – dort werden auch weitere interessante Beispiele für den Unterricht bereitgestellt. 10 4 Zentrale Begriffe In diesem Abschnitt werden vier zentrale Begriffe des Geometrischen Begründens und Beweisens (Vermuten, Erkunden sowie natürlich Begründen und Beweisen selbst) anhand von Beispielen vorgestellt. 4.1 Vermuten und Erkunden 4.1.1 Gleichschenkliges Dreieck Aufgabenstellung „Welche Figur bilden die Mittelpunkte der Seitenquadrate eines gleichschenkligen Dreiecks?“ Erläuterungen Anhand dieser Aufgabe können verschiedene Vermutungen bezüglich der Gestalt des entstehenden Dreiecks 4(D, E, F ) aufgestellt und mit Hilfe von dynamische GeometrieSoftware weiter untersucht werden. Es sollte sich hierbei erhärten, dass das entstehende Dreieck anscheinend ebenso wie das ursprüngliche Dreieck 4(A, B, C) immer gleichschenklig sein könnte. E D A C B F Abb. 4.1: Figur mit eingezeichneten Hilfslinien Beweisidee Durch das Einzeichnen von Hilfslinien (siehe Abb. 4.1) kann durch Verwendung des Kongruenzsatzes „Seite-Winkel-Seite“ mit den beiden Hilfsdreiecken 4(F, E, A) und 4(D, F, B) die Längengleichheit der beiden Seiten E F und F D gezeigt werden. Die beiden Seiten des jeweiligen Hilfsdreiecks sind jeweils die halben Diagonalen der Seitenquadrate und 11 der eingeschlossene Winkel setzt sich jeweils aus zweimal 45◦ und dem einen Basiswinkel des gleichschenkligen Dreiecks zusammen. 4.1.2 Eckenparallelen Aufgabenstellung „Zeichne durch die Ecken eines Dreiecks die Parallelen zur Gegenseite. Welche Eigenschaften hat die entstehende Figur?“ Erläuterungen Diese Aufgabe ist absichtlich sehr offen gestellt, damit verschiedene Schülerinnen und Schüler auch Teilergebnisse erzielen können, auch wenn sie die gesamte Figur nicht „vollständig“ erkunden können. Diese Aufgabe bietet sich außerdem an, verschiedene Wege für die Begründung gewisser Eigenschaften zu demonstrieren. C B0 A0 A B C0 Abb. 4.2: Skizze zur Aufgabenstellung Das ursprüngliche Dreieck 4(A, B, C) liegt innerhalb des entstehenden Dreiecks 4(A 0 , B 0 , C 0 ) (siehe Abb. 4.2). Die entstehende Figur kann auf viele verschiedene Arten und bzgl. mehrerer Eigenschaften untersucht werden. Einige sollen hier exemplarisch genannt werden: É Die drei entstehenden Teildreiecke 4(A 0 , C, B), 4(C, B 0 , A) und 4(B, A, C 0 ) sind zum ursprünglichen Dreieck kongruent. Dies kann zum Beispiel mit Hilfe von Winkelbeziehungen und Kongruenzsätzen gezeigt werden. Hieraus folgt auch sogleich, dass das entstehende Dreieck den vierfachen Flächeninhalt des ursprünglichen Dreiecks hat. É Das entstehende Dreieck ist dem ursprünglichen Dreieck ähnlich. Dies kann zum Beispiel durch Betrachtung der Winkelbeziehungen und des Ähnlichkeitssatzes „Winkel-Winkel“ gezeigt werden. 12 É Die Punkte des ursprünglichen Dreiecks halbieren die Seiten des entstehenden Dreiecks. Durch Beweisen der Kongruenz der Teildreiecke bzgl. des ursprünglichen Dreiecks kann auch dies nachgewiesen werden. 4.2 Begründen und Beweisen 4.2.1 Peripheriewinkel Aufgabenstellung „AB sei Sehne eines Kreises und C ein weiterer Punkt auf dem Kreis, sodass ein Dreieck 4(A, B, C) entsteht. Begründe, warum der Winkel (A, C, B) bei gegebener Sehne AB für alle Punkte C konstant ist.“ Beweisidee 1 Für diesen Beweis nutzt man folgende Eigenschaft des Sehnenvierecks: „Gegenüberliegende Innenwinkel ergeben zusammen 180◦ .“ Betrachtet man Abb. 4.3 und hält den Punkt C 0 sowie die Sehne AB fest, so kann man leicht sehen, dass der gegenüberliegende Winkel (A, C, B) = γ unabhängig von der Position von Punkt C konstant bleiben muss. C γ B M γ0 A C0 Abb. 4.3: Skizze zu Beweisidee 1 Beweisidee 2 Für diesen Beweis nutzt man hingegen die Innenwinkelsumme von Dreiecken und Eigenschaften gleichschenkliger Dreiecke. Werden Hilfslinien wie in Abb. 4.4 eingezeichnet, so kann man folgende Beziehungen aufstellen: Der Vollwinkel um den Mittelpunkt des Kreises ergibt sich aus den beiden Winkeln an den Spitzen der beiden gleichschenkligen Dreiecke 13 (4(B, C, M ) mit (B, M , C) und 4(C, A, M ) mit (C, M , A)) und dem konstant bleibenden Zentriwinkel µ. 360◦ = 180◦ − 2ϑ1 + 180◦ − 2ϑ2 + µ ⇔ ϑ1 + ϑ2 = µ ⇒ 2 γ= µ 2 Durch wenige Äquivalenzumformungen und der Beziehung (A, C, B) = γ = ϑ1 + ϑ2 kann also gezeigt werden, dass γ im hier abgebildeten Fall, bei dem das Dreieck 4(A, B, C) den Kreismittelpunkt M einschließt, konstant bleibt. Andere Fälle müssten durch kleine Umorganisation der Bezeichnungen analog gezeigt werden – aus Platzgründen wird in dieser Arbeit aber auf deren Betrachtung verzichtet. C ϑ1 ϑ2 γ ϑ1 B M µ ϑ2 A Abb. 4.4: Skizze zu Beweisidee 2 Erläuterungen Begründungen bauen auf einem bestimmten Vorwissen auf. An diesem Beispiel kann man sehen, wie unterschiedlich sich anderes Vorwissen auf die Begründungsstruktur und Beweisführung auswirkt. Beweisidee 1 hat den Vorteil, dass die Beweisführung sehr knapp gehalten werden kann. Im Gegensatz dazu ist Beweisidee 2 zwar etwas komplexer und erfordert zudem auch das Umformen linearer Gleichungen, aber sie stellt dafür eine Beziehung zwischen Peripheriewinkel γ und Zentriwinkel µ her. 14 Beim Planen von Unterricht sollte man also gerade in der Geometrie genau abwägen, in welcher Reihenfolge man die Inhalte anordnet und welche Möglichkeiten sich hieraus ergeben. 4.2.2 Parallelogramm Aufgabenstellung „Welche Figur bilden die Mittelpunkte der Seitenquadrate eines Parallelo#„ gramms, das von den Vektoren #„ a und b aufgespannt wird? Beweisen Sie Ihre Vermutung!“ Beweisidee Hier können wieder mit Hilfe von dynamische Geometrie-Software Vermutungen aufgestellt werden, welcher Art das entstehende Viereck ist. Vermutet man, dass die entstehende Figur ein Quadrat ist, so müssen zwei Eigenschaften nachgewiesen werden: r = s und #„ r ⊥ #„ s (siehe Abb. 4.5). Um die Längengleichheit der beiden Hilfsvektoren #„ r und #„ s zu zeigen, kann man analog zu Abschnitt 4.1.1 verfahren. Es bleibt also nur noch zu zeigen, dass beide Hilfsvektoren zueinander senkrecht stehen. Hierzu drückt man diese Hilfsvektoren der entstehenden Figur #„ #„ a , b und die Vektoren #„ c und d an den Seitenquadraten aus (siehe auch durch die Vektoren #„ Abb. 4.5), wobei c = a und d = b: #„ #„ + #„ a − b + #„ c −d #„ r = 2 und #„ #„ + #„ a + b − #„ c −d #„ s = . 2 ? r #„ s =0 Die beiden Vektoren stehen zueinander senkrecht, wenn sich das Skalarprodukt #„ ergibt (siehe auch Abschnitt 2.2.2). Multiplikation und Umformung ergeben nach Streichen der trivialen Nullsummen: #„ #„ 4 #„ r #„ s = −2 #„ a d + 2 b #„ c #„2 − #„ + c }2 | a {z a=c ⇔ #„ #„ + b 2{z − d }2 | b=d #„ #„ 2 #„ r #„ s = − #„ a d + b #„ c #„ ? #„ Die rechte Seite dieser Gleichung ergibt Null, wenn #„ a d = b #„ c . Hierzu nutzt man eine Eigenschaft des Skalarprodukts Eigenschaft des Skalarprodukts: #„ u #„ v = uv · cos ( ( #„ u , #„ v )) 15 #„ a #„ c #„ b #„ r #„ s #„ d Abb. 4.5: Skizze zur Beweisidee und es gilt weiterhin #„ #„ ad · cos #„ a, d = bc · cos b , #„ c #„ #„ mit ad = bc und #„ a , d = b , #„ c , #„ #„ da sich #„ a , d und b , #„ c jeweils aus den 90◦ eines Seitenquadrats und einem Parallelo #„ #„ #„ #„ grammwinkel a , b zusammensetzen. Es gilt also #„ a d = b #„ c . Somit ist #„ r #„ s =0 und damit auch #„ r ⊥ #„ s. Die entstehende Figur ist also tatsächlich immer ein Quadrat. Erläuterungen Dieses abschließende Beispiel zum Begründen und Beweisen beinhaltet auch die Begriffe Vermuten und Erkunden. Neben dem möglichen Aufstellen von Vermutungen können nämlich auch durch verschiedene Ausgangsvierecke verschiedene Eigenschaften erkundet werden: So ist im Falle eines Quadrats der Flächeninhalt des entstehenden Quadrats doppelt so groß und die Quadrat-Eigenschaften können etwas einfacher nachgewiesen werden. 16 5 Thesen Teil der Aufgabenstellung während des Fachseminars war es, drei Thesen aufzustellen, die am Ende des Vortrags kritisch diskutiert werden können. Diese Thesen und die wichtigsten Argumente aus der Diskussion werden im Folgenden aufgeführt. „Das Modul ‚W4 7/8: Geometrisches Begründen und Beweisen‘ sollte in den Pflichtbereich übernommen werden.“ In der Diskussion gab es eine zumeist befürwortende Einstellung gegenüber dieser These. Ein Kommilitone meinte, dass gerade dem Beweisen als der wohl bedeutendsten Methode der Mathematik ein Extra-Modul gewidmet werden solle, das sich für alle Schüler verbindlich im Pflichtbereich befindet, denn gerade Beweise würden zu wenig im heutigen Mathematikunterricht thematisiert werden. Zudem biete das Modul eine gute Möglichkeit, dynamische Geometrie-Software zu benutzen. Vereinzelt wurde aber auch geäußert, man könne auch aus den Pflichtmodulen genügend Themen herausgreifen und daran die Fertigkeit des Beweisens erlernen und trainieren. „Dynamische Geometrie-Software ersetzt formales Beweisen.“ Dynamische GeometrieSoftware bietet die Möglichkeit, im Unterricht sehr schnell eine Veranschaulichung eines verbal beschriebenen geometrischen Sachverhalts zu erhalten. Außerdem kann durch „Ziehen“ an ausgezeichneten Punkten demonstriert werden, dass z. B. eine bestimmte Größe stets gleich ist oder immer eine Figur mit den gleichen Eigenschaften entsteht. Dass dies aber natürlich noch kein Beweis ist, kam in der Diskussion durch einige Argumente zum Ausdruck. Zum einen wurde auf die Kriterien eines mathematischen Beweises hingewiesen, denn dieser muss in mathematischer Sprache niedergeschrieben und allen Zweifeln erhaben sein. Andererseits deckt dynamische Geometrie-Software immer nur endlich viele Fälle ab und kann damit nicht zweifelsfrei für alle Fälle gelten. Zudem liefert dynamische Geometrie-Software an sich keine Begründung, warum beispielsweise etwas konstant bleibt oder warum sich immer eine besondere Figur bildet. Es gab aber auch die Ansicht, dass gerade in Schularten, in denen der mathematische Beweis sehr selten auftaucht (z. B. in der Hauptschule), wenigstens dynamische Geometrie-Software benutzt werden sollte. Zusammenfassend kann man also sagen, dass die meisten unserer Kommilitonen der Ansicht sind, dynamische Geometrie-Software solle lediglich als Ergänzung und Hilfsmittel (durch das so leichtere Aufstellen von Vermutungen) für das Beweisen dienen. 17 „Beweisen ist eine notwendige Fertigkeit für den Umgang mit Mathematik in der Schule.“ Für die meisten Kommilitonen ist das Beweisen eine notwendige Fertigkeit, denn es ist das auszeichnende Merkmal der Mathematik. Weitere Argumente bestärkten die These, indem sie die Effekte des Beweisens verdeutlichten. Es fördert die Kompetenz des Argumentierens, das logische Denken und dient der Selbstüberzeugung. Zudem trainiert es die Fähigkeit, Dinge auch zu hinterfragen und nicht nur „autoritätshörig“ hinzunehmen. Andererseits gab es aber auch Meinungen, dass in der Schule die oberste Priorität des Mathematikunterrichts darin liegen solle, den Schülern das Rechnen beizubringen. In der Schule ginge das auch ohne Beweis – mit vorgefertigten Kalkülen und Algorithmen. Außerdem sei das Beweisen für viele Schüler sowieso zu schwierig und unverständlich. Das Argument der Unverständlichkeit wurde aber zugleich entkräftet, denn werden Rechenregeln nicht plausibilisiert, so wird Unverständnis für Mathematik in einem noch höheren Maße induziert. Solch ein Unterricht würde verursachen, dass den Schülern die Mathematik nur „eingetrichtert“ werde. 18 Literaturverzeichnis [1] E. Barth u. a. Anschauliche Geometrie 8. Ehrenwirth, 1985. [2] G. Holland. Geometrie in der Sekundarstufe. Herausgegeben von P. Borneleit; P. Kirsche; R. Strehl. Verlag Franzbecker, 2007. [3] M. Neubrand. „Allgemeine Bildung im Mathematikunterricht und im Lehramtstudium“. In: mathematik lehren 33 (1989), Seiten 50–53. [4] Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin. Rahmenlehrplan für die gymnasiale Oberstufe - Mathematik. 2006. [5] Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin. Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I - Mathematik. 2006. [6] H. Winter. Entdeckendes Lernen im Mathematikunterricht. Herausgegeben von E. C. Wittmann. vieweg, 1991. 19