Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 2002 · 45:497–506 DOI 10.1007/s00103-002-0418-z Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken M. Kist · Universitätsklinikum Freiburg i.Br. Lebensmittelbedingte Infektionen durch Campylobacter Zusammenfassung Die akute Campylobacterinfektion verläuft als selbstlimitierende Enteritis.Bakteriämie, Endokarditis, Meningitis, Pankreatitis, septischer Abort und neonatale Sepsis sind selten.Die wichtigste postinfektöse Komplikation ist das Guillain-Barré-Syndrom (GBS). Die unkomplizierte Enteritis wird symptomatisch behandelt.Patienten mit schweren Verläufen oder Immunsuppression erhalten Antibiotika.Resistenzentwicklung gegen Chinolone, seltener gegen Makrolide, ist zu berücksichtigen.Ende 2001 war Campylobacter in Deutschland mit 52.256 Meldungen hinter den Salmonellosen (74.671) und vor den Rotaviren (45.759) der zweithäufigste darmpathogene Erreger.Die fehlende Vermehrung in der Umwelt kompensiert Campylobacter durch eine weite Verbreitung in der Natur und den massiven Befall zahlreicher Wirte.Geflügelfleisch, Rohmilch und Oberflächenwasser sind wichtige alimentäre Risikofaktoren für den Menschen.Die Kontrolle der Campylobacterinfektionen wird erschwert durch eine schnelle Ausbreitung in Schlachtgeflügel während Haltung,Transport und Schlachtprozess.Pasteurisierung der Milch ist eine effektive Intervention, während die Kühlung von Lebensmitteln das Überleben von Campylobacter verlängert. Ansätze zur Prävention einer humanen Infektion sind die Quarantänehaltung des Schlachtgeflügels,Verzicht auf das so genannte „Ausdünnen“ der Bestände, Dekontamination der Transportkäfige, das Vorziehen der Schlachtung nicht infizierter Bestände, höchstmögliche Brühtemperaturen der Schlachtkörper, Abkühlung der Körper im Kühlbad, Zusatz antimikrobieller Substanzen zum Prozesswasser und möglicherweise zukünftig eine dekontaminierende Schlussbehandlung.Forschungsbedarf besteht bei der Aufklärung der Pathogenese von Enteritis und GBS.Die zunehmende Resistenzentwicklung gegen antimikrobielle Substanzen erfordert ein interdisziplinäres Überwachungs- und Interventionsprogramm. Schlüsselwörter Thermophile Campylobacter · Lebensmittelinfektionen · Antibiotikaresistenz · Guillain-Barré-Syndrom D ie Campylobacterinfektion ist eine Anthropozoonose mit weltweiter Verbreitung. Kürzlich wurden in einem Kommentar [1] drei „Rätsel“, die mit diesem Bakterium verbunden sind, angesprochen. Es handelt sich dabei um folgende Fragen: ◗ Warum sind Campylobacterinfektionen so häufig? ◗ Woher kommt die auffallende Saisonalität dieser Erkrankungen? ◗ Warum bleibt die Inzidenz der Campylobacterinfektionen konstant hoch, während gleichzeitig die der Salmonellosen zurückgeht? Tatsächlich sind darmpathogene Campylobacter seit ihrer Entdeckung im Jahr 1886 durch Theodor Escherich [2] und, nachdem sie über viele Jahrzehnte in Vergessenheit geraten waren, erst mit der Entwicklung neuer, effektiver Isolierungsnährböden in ihrer Bedeutung erkannt worden [3]. Sie gelten heute als weltweit häufigste bakterielle Ursache der infektiösen Enteritis. Nach amerikanischen Befunden wird diese zu etwa 80% über Lebensmittel übertragen [4]. Neben der Enteritis, der typischen Manifestation der Campylobacteriose, kommen auch durch Campylobacter verursachte extraintestinale Erkrankungen vor. Hierzu zählen vor allem Bakteriämie, Endokarditis, Meningitis, Pankreatitis, septischer Abort und die neonatale Sepsis [5]. Bei den postinfektiösen Komplikationen spielt neben der Arthritis und dem Reiter Syndrom das Guillain-Barré-Syndrom die wichtigste Rolle [6]. Für die eingangs genannten „Rätsel“ schlägt der Autor folgende Lösungen vor: © Springer-Verlag 2002 Prof. Dr. Manfred Kist Konsiliarlaboratorium für Campylobacter/ Aeromonas, Abteilung für Mikrobiologie und Hygiene, Universitätsklinikum Freiburg, Hermann Herder-Straße 11, 79104 Freiburg i.Br., E-Mail: [email protected] Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 6•2002 | 497 Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch Gesundheitsschutz 2002 · 45:497–506 DOI 10.1007/s00103-002-0418-z M. Kist Food-borne Campylobacter infections Abstract Enteritis as the characteristic clinical manifestation of Campylobacter infections is rarely complicated by bacteraemia, endocarditis, meningitis, pankreatitis, and septic abortion. The most serious sequelum is the GuillainBarré syndrome (GBS).Uncomplicated enteritis needs symptomatic treatment only. Severely ill or immunocompromised patients need antimicrobial therapy.In Germany enteropathogenic Campylobacter with 52.256 cases ranked second behind salmonellosis (74.671) in 2001.Campylobacter cannot multiply in the environment.However, this characteristic is compensated by a wide distribution in nature and rapid multiplication in a variety of hosts.Humans are infected mainly over poultry, unpasteurized milk, and untreated drinking water.Control of Campylobacteriosis is difficult due to rapid spread in poultry, during transport, slaughter and processing.Milk pasteurization is an effective intervention, but cool storage of food rather prolongs survival of Campylobacter.Containtment holding of poultry, no intermittend “thinning out”of animals, transport in disinfected crates, slaughtering of Campylobacter-free flocks before Campylobacter-contaminated animals, high temperature scalding, chilling in water, use of decontaminating agents during processing, and probably most effective, decontamination of the final product, are proposed as intervention measures.Besides an interdisciplinary programme for monitoring and controling resistance development, further research should predominately focus on pathogenesis of enteritis and GBS. Keywords Thermophilic Campylobacter · Food-borne infections · Antimicrobial resistance · Guillain-Barré Syndrome 498 | Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken 1. Die allgemeine Häufigkeit von Campylobacterinfektionen ist bedingt durch die weite speziesübergreifende Verbreitung des Bakteriums in der Tierwelt, vor allem auch bei Nutztieren, und das nahezu ubiquitäre Vorkommen in der Umwelt. 2. Die ausgeprägte Saisonalität der Campylobacteriose wird durch die saisonalen Schwankungen der Erregerdichte im Intestinum von Schlachtieren und synchron dazu in der Umwelt verursacht. 3. Die im Vergleich zur Salmonellose konstant hohe Inzidenz der Campylobacterinfektionen wird bedingt durch die geringere Effizienz küchenhygienischer Maßnahmen zur Vermeidung menschlicher Infektionen. Die folgende Übersicht wird sich insbesondere mit den Fragen lebensmittelbedingter Campylobacteriosen, deren klinischen Manifestationen sowie mit den Möglichkeiten der Intervention im Bereich der Lebensmittelproduktion beschäftigen. Inzidenz, Prävalenz, Trends In den letzten Jahren hat die Anzahl der gemeldeten Campylobacterinfektionen in einigen Industrieländern die Zahl der gemeldeten Salmonellosen überschritten. So betrug 1998 die jährliche Campylobacterinzidenz in England/Wales etwa 58.000 Fälle, bei lediglich 20.000 gemeldeten Salmonellosen. Dabei schwankten die mittleren Inzidenzraten ortsabhängig zwischen 54 Fällen (London) und 140 Fällen pro 100.000 Einwohner (Südwest-England). Die höchste Inzidenz wurde bei Knaben unter einem Jahr (214/100.000) beobachtet. Eine zweite Häufung fand sich in der Altersgruppe 25–34 Jahre (140/100.000) [7]. In den USA wurden für 1997 etwa 2,5 Millionen durch Lebensmittel übertragene Campylobacteriosen, aber nur 1,4 Millionen Salmonellosen berechnet [4]. Für das Jahr 2000 betrugen mit einer erweiterten Stichprobe die errechneten Inzidenzraten pro 100.000 Einwohner 15,7 bei Campylobacter- und 14,4 bei Salmonelleninfektionen [8].Auch prospektive Sentinelstudien in Schweden [9] und in den Niederlanden [10] zeigen, dass die Campylobacterinfektionen mit einer mittleren Nachweishäufigkeit von 10% Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 6•2002 bzw. 13% die ersten Plätze weit vor den Salmonellosen (4% bzw. 7%) belegen. Für Deutschland sind verbindliche Meldezahlen für Campylobacter erst seit 2001 mit der Einführung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) verfügbar. Mit Stand vom 2.1.2002 waren insgesamt 52.256 Campylobacterinfektionen gemeldet. Damit belegt Campylobacter hinter den Salmonellosen (74.671) und vor den Rotaviren (45.759) im Gegensatz zu den bisher genannten Ländern in Deutschland lediglich den zweiten Rang unter den meldepflichtigen darmpathogenen Erregern [11]. „Campylobacter sind in Deutschland die zweithäufigsten bakteriellen Enteritiserreger.“ Während die Meldezahlen für Campylobacter in den 90er-Jahren in England und Wales einen stetigen Aufwärtstrend mit einem nur geringen Rückgang zwischen 1998 und 1999 zeigten, sind die Inzidenzraten in den USA seit 1995 eher leicht rückläufig. Für Deutschland können Trends noch nicht ermittelt werden, da bisher gesicherte Vergleichsdaten fehlen. Klinik und Therapie Die akute unkomplizierte Enterokolitis ist die weitaus häufigste klinische Verlaufsform der Campylobacterinfektion (Details bei [5]). Sie ist gekennzeichnet durch ein Prodromalstadium mit Kopfund Rückenschmerzen, Myalgien und subfebrilen Temperaturen, die dann mit zunehmenden Unterbauchkrämpfen in eine akute Durchfallskrankheit mit bis zu 20 wässrigen Stuhlgängen pro 24 Stunden übergeht. Dabei werden in bis zu einem Drittel der Fälle auch wässrigblutige Stühle ausgeschieden. Der Beginn der Durchfallsattacke ist oft von einer Fieberzacke begleitet, die über ein bis zwei Tage anhalten kann. Nach durchschnittlich fünf bis sieben Krankheitstagen tritt klinische Spontanheilung ein, mit einer anschließenden asymptomatischen Ausscheidungsphase von etwa drei weiteren Wochen. Bei immunsupprimierten Patienten kommt es nicht selten zu einer Langzeitausscheidung. Neben der klinisch manifesten Campylobacterenterits kann die Campylobacterinfektion speziell in Entwicklungsländern auch symptomarme bis inapparente Verläufe zeigen [12]. Akute Komplikationen der Campylobacterenteritis sind schwer verlaufende Kolitiden, wie sie auch bei Shigellosen und Salmonellosen beobachtet werden. In sehr seltenen Fällen kann es zur Entwicklung eines toxischen Megakolons kommen. Pseudoappendizitis sowie eine begleitende Pankreatitis und Cholezystitis kommen ebenso vor wie in Einzelfällen eine transiente Transaminasenerhöhung. Die Häufigkeit einer passageren Bakteriämie wird wahrscheinlich unterschätzt. Bei einer Studie in Großbritannien wurde sie bei 1,5 von 1000 Fällen nachgewiesen. Eine diesbezügliche Häufung zeigt sich bei über 65jährigen und bei immunsupprimierten Patienten [13]. Bisher wurden darmpathogene Campylobacter selten als Ursache des fieberhaften Aborts beschrieben. Kürzlich wurde jedoch ein solcher Fall mit letalem Ausgang bei der Mutter mitgeteilt [14]. war dort bei Schlachtgeflügelisolaten aber nicht nachweisbar (1998: 11%, 1999: 8,2%, 2000: 4,5%) [17]. Im Gegensatz dazu betrug in Belgien die Fluorchinolonresistenz bei Broilerisolaten 1998 bereits 44,2% [18]. Resistenzen gegen Makrolide kommen seltener vor. Sie finden sich in der Regel häufiger bei C.-coli-Isolaten als bei C. jejuni. So betrug in Spanien die Makrolidresistenz bei C. coli 34,5%, in England und Wales 21,8%, in Belgien bei Broilern 34,8% und bei Isolaten vom Schwein sogar 67,2%. In einer kürzlich erschienenen Übersicht berichten Engberg et al. über Erythromycinresistenzquoten bei menschlichen Isolaten von 0% bis 11% für C. jejuni und von 0% bis 68,4% für C. coli. Die höchsten Quoten für Chinolonresistenz fanden sich in Taiwan (56,9%), in Thailand (84%) und in Spanien (75–88%). In Thailand wurden auch schon Isolate mit Multiresistenzen gegen Chinolone, Makrolide, Ampicillin, Tetrazykline und Clindamycin beobachtet [19]. Pathogenese der Enteritis „Bei Campylobacter wird eine zunehmende Resistenzentwicklung gegen Chinolone beobachtet.“ Die Behandlung einer unkomplizierten Campylobacterenteritis beschränkt sich auf symptomatische Maßnahmen und besteht in erster Linie in ausreichender Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution. Bei protrahierten oder rezidivierenden fieberhaften Verläufen sowie bei immunsupprimierten Patienten ist eine antimikrobielle Chemotherapie für fünf bis sieben Tage angezeigt. Mittel der ersten Wahl ist Erythromycinstearat (2x 500 mg/d).Alternative Chemotherapeutika sind Fluorchinolone (2 × 250 mg/d), Amoxillin (3 × 500–1000 mg/d) oder Tetrazyclin (3 × 250 mg/d). Bei der Auswahl der Therapeutika ist auch die zunehmende Resistenzentwicklung besonders gegen Chinolone aber auch, vor allem bei C. coli, gegen Makrolide zu berücksichtigen.Die Resistenz gegen Fluorchinolone lag 1997/98 in Spanien bei 75% [15], in England und Wales dagegen nur bei 10,7% [16]. In Nordirland wurde zwischen 1998 und 2000 bei menschlichen Isolaten ein Resistenzanstieg von 9 auf 17,4% beobachtet. Eine entsprechende Entwicklung Die Gesamtsequenzierung des Campylobacter-jejuni-NCTC11168-Genoms (1600–1700 kb) [20] hat zu ersten Fortschritten im Verständnis der Pathogenitätsfaktoren des Erregers geführt. Es zeigte sich zunächst, dass das Genom keine Homologien zu bekannten „klassischen“ Virulenzfaktoren anderer darmpathogener Erreger wie z. B. choleraähnlichen Toxinen, Adhäsinen, Invasinen oder Typ-III-Sekretionssystemen trägt. Dennoch scheinen nach bisher vorliegenden Befunden für die Pathogenese Faktoren wie die chemotaktisch gesteuerte Motilität, die Fähigkeit zur Adhäsion und Invasion, die Bildung von Toxinen, die Variabilität der Oberflächenantigene sowie die Verarbeitung von Umgebungsstressfaktoren, eine Rolle zu spielen.Weiterhin wurden Anhaltspunkte für das Vorliegen eines mikrobiellen Typ-III- und ein Typ-IV-Sekretionssystems gefunden. Eine ausführliche Übersicht zur Pathogenese der Enteritis und weiterführende Literatur findet sich bei [21]. Motilität ist für die Bakterien eine unabdingbare Voraussetzung, um den viskösen Darmschleim zu durchdringen, in Kontakt zur Darmschleimhaut zu gelangen und in Kolonkrypten vorzudringen [22]. Die monopolare Geißel des spi- ralförmigen Bakteriums besteht aus den nicht umscheideten Flagellin-Untereinheiten A und B, die durch die Gene flaA und flaB kodiert werden [23]. Beide Flagelline sind hochgradig variabel. Geißellose Mutanten konnten im Maustiermodell nicht kolonisieren [24]. Die Motilität unterliegt wahrscheinlich einer chemotaktischen Regulation, wobei Muzine, LSerin und L-Fucose eine positive und Gallensäuren eine negative Chemotaxis bewirken [25].DieAdhärenz des Erregers an das Darmepithel sowie die Fähigkeit zur Zellinvasion sind weitere Eigenschaften,die mit der Pathogenität von Campylobacter-jejuni-Stämmen korreliert werden. Die ersten Adhäsine, die identifiziert wurden, waren mit der Geißel assoziiert [24]. Als weitere Adhäsine wurden die Proteine PEB1 und CadF identifiziert, wobei Letzteres eine Bindung an die Interzellularsubstanz Fibronektin vermittelt [26, 27]. Defektmutanten können frisch geschlüpfte Küken nicht mehr besiedeln. Die Invasivität von Campylobacterjejuni-Stämmen in der Zellkultur erfordert wahrscheinlich die mikrobielle Denovo-Synthese mehrerer invasionsassoziierter Proteine sowie eine wirtszelleigene Signaltransduktion [28]. Unter den Invasionsproteinen scheint dabei dem CiaB-Protein eine Schlüsselfunktion zuzukommen. Von Letzterem wird diskutiert, ob es zu einem mikrobiellen TypIII-Sekretionssystem gehört, das möglicherweise den Geißelapparat als Sekretionshilfe benutzt. Ein weiteres potenzielles, invasionsassoziiertes und plasmidkodiertes Typ-IV-Sekretionssystem wurde kürzlich beschrieben [29]. Die Aufnahme des Erregers in enterale Wirtszellen erfolgt vermutlich über einen Mikrotubulus-abhängigen Mechanismus [30]. Bei Campylobacter jejuni sind in der Vergangenheit eine ganze Reihe von putativen Toxinen beschrieben worden [31]. Allerdings konnte bisher mit Ausnahme des so genannten Cytolethal-Distending-Toxin (CDT) keines molekulargenetisch charakterisiert werden [32]. Das CDT wird durch das cdtABC-Gen kodiert und ist wahrscheinlich als Komplex aus drei Untereinheiten toxisch aktiv [33]. Man vermutet, dass die toxische Wirkung auf einer Blockade des Zellzyklus in der G2-Phase beruht; unter anderem wird die Zellreifung von Kryptenzellen zu funktionstüchtigen Villus-Epithelzellen inhibiert. Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 6•2002 | 499 Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken Campylobacter jejuni kann vermutlich auch auf wechselnde Umgebungstemperaturen reagieren (Geflügeldarm (42°C), Menschen (37°C) oder Umwelt (<20°C)). Hierzu bedient es sich Temperaturregulationsproteine und Hitzeschockproteine. Verschiedene Regulationsproteine (GroESL, DnaJ, Dank, ClpB) wurden bei Campylobacter jejuni bereits nachgewiesen. DnaJ-Defektmutanten können den Kükendarm nicht mehr kolonisieren [34]. Die äußere Membran besteht bei Campylobacter jejuni wie bei anderen gramnegativen Bakterien aus Lipopolysacchariden (LPS). Allerdings werden im Regelfall nur Lipooligosaccharide (LOS) und seltener komplette LPS gefunden [35]. Die LOS sind genetisch hochgradig variabel, was z. B. die Serotypisierung auf der Basis hitzestabiler OAntigene außerordentlich erschwert [36]. Schließlich sind sowohl die Oberflächenpolysaccharide als auch die Geißel von Campylobacter jejuni auffällig sialynisiert. Dies verleiht ihnen eine hochgradige Ähnlichkeit zu Gangliosiden tierischer Nervenzellen, was eine Rolle bei der Pathogenese des GuillainBarré-Syndroms zu spielen scheint. Folgekrankheiten der Enteritis Folgekrankheiten der Campylobacterinfektion sind die reaktive Arthritis und das Guillain-Barré-Syndrom. Die reaktive Arthritis wird in weniger als 1% der Enteritis-Fälle etwa ein bis zwei Wochen nach Krankheitsbeginn beobachtet. Betroffen sind vor allem HLA-B27-positive Patienten, besonders häufig sind die Kniegelenke involviert [37]. Die reaktive Arthritis geht nicht selten mit einer Konjunktivitis, in etwa 20% mit einem kompletten Reitersyndrom einher [38]. Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist zwar eine seltene Folgekrankheit der Campylobacterenteritis, wegen des potenziell lebensbedrohlichen Verlaufs und der möglichen Spätfolgen hat es jedoch die größte medizinische Bedeutung. Das GBS ist gekennzeichnet durch eine symmetrisch aufsteigende Paralyse, häufig begleitet von sensorischen Ausfällen. Die oberen Extremitäten und die Hirnnerven sind in wechselnder Intensität betroffen, wobei sich relativ kurzfristig eine respiratorische Insuffizienz mit Beatmungspflicht entwickeln kann. 500 | Vier charakteristische Verläufe des GBS werden unterschieden (Übersicht bei [39]): 1. die akute inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (AIDP) mit multifokalen axonalen Läsionen und Degenerationen der Myelinscheiden, Areflexie und distal oder proximal betonten Paralysen mit wechselnden Sensibilitätsstörungen, 2. die akute motorische axonale Neuropathie (AMAN) mit ausschließlich motorischen Ausfällen, 3. die akute motorische und sensorische axonale Neuropathie (AMSAN) mit großer Ähnlichkeit zur AMANVerlaufsform, jedoch mit sensibler Beteiligung, und schließlich 4. das Miller-Fisher-Syndrom (MFS) mit den drei Kardinalsymptomen „Ophthalmoplegie, zerebelläre Ataxie und Areflexie“. Dem GBS gehen in 32–75% der Fälle fieberhafte Infektionen voraus (Übersicht bei [40]).Etwa ein Drittel der vorangehenden Infektionen werden wohl durch Campylobacter verursacht.In den Niederlanden wurden in einer Fallkontrollstudie Campylobacter, Cytomegalie-Virus, Epstein-Barr-Virus und Mycoplasma pneumoniae in jeweils 32,13,10 und 5% der Fälle als Ursache für die Infektionen,die dem GBS vorangingen, ermittelt [41]. „Als seltene Komplikationen einer Campylobacterenteritis können das Guillain-BarréSyndrom sowie reaktive Arthritiden auftreten.“ Die Häufigkeit mit der das GB-Syndrom nach einer Campylobacterenteritis auftritt, liegt generell bei 1:1058 bzw. nach einer Infektion mit einem Campylobacterstamm des Serovars PEN O:19 bei 1:158 [40].In einer eigenen prospektiven Studie wurden unter 945 Campylobacterfällen allein zwei Fälle von GBS,ein Fall von MFS und ein Fall von isolierter Fazialisparese beobachtet. Die Erkrankungen traten innerhalb von zwei Wochen nach Beginn der akuten Diarrhöe auf [42]. Eine Zusammenfassung der GBS-Fälle, die weltweit zwischen 1982 und 1991 auftraten und die einen gesicherten Zusammenhang mit einer Campylobacterinfektion zeigen, findet sich bei Mishu und Blaser [43]. Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 6•2002 Ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten des GBS und einer vorangehenden Infektion mit Campylobacterstämmen des Serovars PEN O:19 wurde erstmals 1993 in Japan beobachtet [44]. Eine entsprechende Korrelation konnte jedoch in einer englischen Fallkontrollstudie nicht bestätigt werden [45]. In Afrika fand sich ein vergleichbarer Zusammenhang, allerdings nach Infektion mit dem Serovar PEN O:41 [46]. Untersuchungen in den Niederlanden und Belgien ergaben dagegen ein eher heterogenes Stammspektrum mit einer geringen, nicht signifikanten Häufung der Serovare PEN O:2 und O:4 [47]. Schon früh war aufgefallen, dass bei einem beträchtlichen Anteil von Patienten, die an einer Campylobacter-assoziierten GBS erkrankten,Antikörper nachgewiesen werden konnten, die mit sog.„Gangliosiden“ reagieren. Ganglioside gehören zur Proteinfamilie der Sialinsäure-substituierten Glycospingolipide, die besonders im Nervengewebe und dort vor allem in den axonalen Myelinscheiden angereichert sind.Am häufigsten werden bei GBS-Patienten Antikörper gegen das Gangliosid GM1 gefunden (Übersicht bei [39]). Allerdings finden sich nur bei etwa der Hälfte dieser Patienten auch Hinweise auf eine durchgemachte Campylobacterinfektion [48]. Neben Anti-GM1-Antikörpern finden sich auch solche gegen GM1b und GM1a sowie gegen N-acetylgalactosaminyl-GD1a [49, 50]. Im Gegensatz zur eher vieldeutigen Immunreaktion beim GBS besteht beim MFS anscheinend ein hochsignifikanter Zusammenhang mit dem Nachweis von Antikörpern gegen das Gangliosid GQ1b [51]. Die äußere Membran von C. jejuni enthält sowohl LOS als auch LPS [52], die im Gegensatz zu vielen anderen Bakterienarten teilweise mit Sialinsäureresten substituiert sind [53]. Sialinsubstituierte LOS von Campylobacter besitzen eine sehr weitgehende strukturelle Ähnlichkeit zu den sialynisierten Gangliosiden, was ein auffälliges Mimikry zwischen beiden Molekülen bedingt [54] und als wesentlicher Faktor der Pathogenese des Campylobacter-assoziierten axonal betonten Form des GBS angesehen wird [55]. Quellen und Übertragungswege C. jejuni und C. coli sind in der Natur nahezu ubiquitär verbreitet. Sie kolonisieren als enterale Kommensalen ein brei- tes Spektrum von Wild- und Haustieren wie freilebende Vögel und Säugetiere aber auch Nutztiere, vor allem Geflügel und mit geringerer Prävalenz Milchrinder und Schweine. Haushunde und Katzen sind ebenfalls betroffen. Das Wachstumsoptimum der thermophilen Campylobacterarten liegt zwischen 42 und 43°C und ist damit optimal an die Körpertemperatur von Vögeln adaptiert [56]. Während in der Summe C. jejuni dominiert, kommt bei Schweinen überwiegend C. coli vor. „Die Campylobacteriose des Menschen ist vor allem eine nahrungsmittelbedingte Infektion.“ Neben berufsbedingten Infektionsquellen, die insbesondere Milchbauern, Arbeiter in der Geflügelhaltung und -schlachtung sowie Mitarbeiter in Schlachthöfen betreffen, sind infizierte, kontaminierte Tiere und Tierprodukte, vor allem Rohmilch und Geflügelfleisch, aber auch kontaminierte Oberflächenwasser die häufigsten Ursachen für das Auftreten sporadischer Campylobacterinfektion des Menschen [5]. Wasser, Milch und Geflügel sind auch die Hauptursachen für campylobacterbedingte Krankheitsausbrüche [57]. Geflügel Die Bedeutung von Geflügel als Ursache der menschlichen Campylobacterinfektion ist ausführlich bei [58] referiert und mit zahlreichen Zitaten belegt. Geflügelund Geflügelfleisch sind häufig mit Campylobacter, überwiegend mit C. jejuni kolonisiert bzw. kontaminiert. In den 90er-Jahren betrug die Kontaminationsrate bei frischem Hähnchenfleisch in England und Wales, den Niederlanden und den USA zwischen 80–90%, in Schweden, Finnland und Norwegen wurden durchweg geringere Prävalenzen gefunden [58]. Bei einer kürzlich publizierten US-amerikanischen Untersuchung von Schlachtfleisch waren 70,7% des verkaufsfertigen Hähnchenfleisches kontaminiert, während bei Truthahnfleisch in 14%, bei Schweinefleisch in 1,7% und bei Rindfleisch in 0,5% der Proben Campylobacter nachgewiesen wurden [59]. In Frankreich waren 17,5% der Geflügelfleischproben aus dem Supermarkt Campylobacterpositiv, bei einer gleichzeitigen fäkalen Trägerrate bei den lebenden Tieren von 43,2% [60]. In Deutschland wurden bei Untersuchungen von Geflügelschlachtkörpern Kontaminationsraten von 33% bzw. 46% ermittelt [61, 62]. Eine große Zweijahresstudie in Dänemark ergab eine Campylobacterdurchseuchung des Geflügels unmittelbar vor der Schlachtung von 42,5% mit einem saisonalen Gipfel im Juli, August und September [63]. Für die jeweilige Keimbelastung der verkaufsfertigen Schlachtkörper werden unterschiedliche Werte angegeben: Während für englische Schlachthähnchen Koloniezahlen zwischen 106 (ausgenommene Tiere) und 107 (nicht ausgenommene Tiere) und für amerikanische Produkte Koloniezahlen von 104 – 105 angegeben werden [58], fanden niederländische Untersucher in Frischgeflügel 10 – 5500 und in Gefriergeflügel meist weniger als zehn Campylobacter pro Schlachtkörper [64]. Der Anteil menschlicher Campylobacterinfektionen, der auf kontaminiertes Geflügelfleisch zurückzuführen ist, ist nach wie vor nicht definiert. Zwar wurde die kausale Rolle dieses alimentären Risikofaktors anhand von Ausbrüchen [65, 66, 67] sowie in Fallkontrollstudien [58] gesichert, gerade Letztere ergaben jedoch auch Hinweise auf andere signifikante Risikofaktoren wie Genuss von Rohmilch, Grillwürsten oder unbehandeltem Oberflächenwasser sowie Kontakt zu Hunden und Katzen.Weitere Hinweise in beide Richtungen ergeben sich aus der vergleichenden Typisierung von Isolaten aus Geflügel und Mensch. Neben Isolaten mit identischen Merkmalen fanden sich in beiden Gruppen auch eine große Anzahl nicht identischer Stämme [68, 69]. Die vertikale Übertragung scheint bei Campylobacter praktisch keine Rolle zu spielen, denn Küken sind in der ersten Lebenswoche nur sehr selten kolonisiert [70]. Die meisten Herden werden im Alter zwischen drei und sechs Wochen mit Campylobacter besiedelt. Wahrscheinliche Risikofaktoren sind dabei das Tränkewasser, seltener Futtermittel, Einschleppung durch Personal aus anderen Bereichen des landwirtschaftlichen Betriebs sowie Nagetiere, Insekten und Wildvögel [58]. Eine kürzlich durchgeführte Längsschnittstudie an 100 englischen Broilerherden zeigte, dass nach vier Wochen 40% und nach sieben Wochen über 90% der Herden infiziert waren. Als Hauptrisikofaktoren wurden dabei reparaturbedürftige Stallungen, unzureichende Desinfektion der Tränken sowie die nicht sachgerechte Benutzung der Desinfektionsmatten zur Stiefeldesinfektion identifiziert [71]. Auch das „Ausdünnen“ der Bestände durch Entnahme schlachtreifer Tierchargen scheint eine deutlichen Zunahme in der Durchseuchung zu bedingen [72]. Kürzlich durchgeführte Durchseuchungsstudien an US-amerikanischen und französischen Broilerbeständen ergaben, dass 87,5%, bzw. 79,2 und 42,7% der Herden infiziert waren, wobei in der französischen Studie die höchsten Prävalenzen im Sommer und Herbst gefunden wurden [60, 73, 74]. Interessanterweise gibt es Hinweise darauf, dass gerade ökologisch gehaltene Broilerbestände besonders häufig Campylobacterkontaminationen tragen. Untersuchungen zeigten, dass Bestände aus konventioneller Käfighaltung mit 36,7% am seltensten, Bestände in ökologischer Freilandhaltung dagegen zu 100%, d. h. am häufigsten infiziert waren. Herden in extensiver Bodenhaltung nahmen mit 49,2% eine Mittelstellung ein [75]. Stressfaktoren wie Futterentzug vor der Schlachtung, Einfangen und Transport sowie Kreuzinfektionen durch kontaminierte Transportkäfige führen dann zur Infektion weiterer Tiere sowie zur Erhöhung der individuellen Campylobacterkontamination [58, 76]. Der Schlachtvorgang und die Verarbeitung der Schlachtkörper trägt ebenfalls zur Campylobacterverbreitung bei: So erfolgt eine Übertragung durch das Brühbad (besonders bei reduzierten Temperaturen um 50°C), auch kommt es beim Rupfen und insbesondere bei der Eviszeration nochmals zu einer massiven Kontamination der Haut. Schließlich begünstigt das Abkühlen des Schlachtkörpers mittels Luft noch mehr als das Abkühlen in Wasser die Keimverbreitung [58]. Newell et al. konnten durch Stammtypisierung (flatyping) zeigen, dass ursprünglich fäkale Campylobacterisolate am Endprodukt als Kontaminanten nachweisbar waren. Auch überlebten bestimmte Typen die Maßnahmen zur intraprozessualen Keimreduktion besser als andere und konnten somit sowohl den Schlachthof als auch nachfolgende Schlachtchargen infizieren. In einigen Fällen konnte eine Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 6•2002 | 501 Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken Infektion primär negativer Schlachtchargen durch kontaminierte Transportkäfige nachgewiesen werden [77]. Insgesamt erscheint es außerordentlich schwierig, sowohl die primäre Infektion der Bestände als auch Kreuzkontaminationen mit Campylobacter während des Schlachtprozesses zu vermeiden, bzw. den Bakterieneintrag durch keimreduzierende Maßnahmen, wie Chlorieren des Prozesswassers, die Behandlung der Schlachtkörper mit organischen Säuren oder Tri-Natriumphosphat wirksam zu eliminieren [58]. Corry [58] schlägt deshalb als wirksamste lebensmittelhygienische Intervention eine Schlussbestrahlung des fertigen Produkts vor. Alternativ kann aus diesen Befunden allerdings auch abgeleitet werden, dass alles Mögliche getan werden muss, um die primäre Infektion der Bestände zu minimieren, das Infektionsrisiko beim Transport durch einwandfreie Transportkäfige und kurze Verweilzeiten zu reduzieren und grundsätzlich campylobacterfreie Bestände vor infizierten Beständen zu schlachten. In Island ist es zudem gelungen, die Inzidenz der humanen Campylobacteriosen ganz entscheidend dadurch zu senken, dass infizierte Chargen tiefgefroren und erst nach einer Wartezeit für den Handel freigegeben wurden [78]. und 1990 auftraten, eine durchschnittliche Erkrankungsrate von 45% ermittelt, wobei überwiegend Kleinkinder (70%) betroffen waren [87]. Interessanterweise scheinen ältere Individuen oder gewohnheitsmäßige Rohmilchtrinker ein deutlich geringeres Risiko zu haben, symptomatisch an einer milchbedingten Campylobacterinfektion zu erkranken, was für eine „stille Feiung“ durch chronischen Rohmilchverzehr spricht [88]. Ein schützender Effekt ist auch bei täglichem Umgang mit landwirtschaftlichen Nutztieren zu beobachten [89]. In eine vergleichbare Richtung weist eine Fallkontrollstudie über fünf Jahre in Süddeutschland: Hier ist das Rohmilch-assozierte Campylobactererkrankungsrisiko in städtischen Bereichen durchweg höher als in ländlichen Gebieten, in denen gewohnheitsmäßiger Rohmilchgenuss viel weiter verbreitet ist [42]. Insgesamt ist Rohmilch ein bedeutender Risikofaktor sowohl für sporadische Infektionen als auch für Ausbrüche. Die wichtigsten Interventionsmaßnahmen sind wahrscheinlich Verbesserungen der Melkhygiene. Noch wirksamer ist aber wohl die Vermeidung von Rohmilch, die sich offensichtlich auch im Bereich der Infektionen durch enterohämorrhagische E. coli zu bewähren scheint. Wasser Milch In Rohmilchsammelproben wurden Campylobacter mit einer Häufigkeit zwischen 1,4% und 9,2% nachgewiesen [79, 80, 81]. Mit wenigen Ausnahmen ist die Kontamination der Milch fäkalen Ursprungs, in Einzelfällen kann beim Tier allerdings auch eine Mastitis vorliegen [82]. Rohmilch konnte in Fallkontrollstudien als Risikofaktor identifiziert [42, 83] und als Ursache von zahlreichen Ausbrüchen nachgewiesen werden. Kürzlich gelang dieser Nachweis auch durch molekulargenetische Typisierung der Campylobacterisolate [84]. Bereits 1983 wurde über einen der ersten großen Ausbrüche in der Schweiz anlässlich eines Volkslaufs berichtet, bei dem über 500 Personen nach Genuss eines Rohmilchgetränks erkrankten [85]. In einer Studie wurde die infektiöse Dosis in Milch mit 500 KBE (koloniebildende Einheiten) bestimmt [86]. In den USA wurden bei der Analyse von 20 milchbedingten Ausbrüchen mit 458 Erkrankten, die zwischen 1981 502 | Das Vorkommen von Campylobacter spp. in Wasser,Abwasser und in der Umwelt wurde kürzlich von Jones ausführlich referiert und mit zahlreichen Zitaten belegt [90]. Aufgrund der nahezu ubiquitären Verbreitung von Campylobacter in der Tierwelt ist ein Eintrag vor allem in Oberflächenwasser zwingend zu erwarten. So findet sich Campylobacter in Wasserläufen vor allem unterhalb des Einzugsbereichs landwirtschaftlicher Betriebe oder Weideflächen. In Flüssen und Seen sind die Erreger in der kühlen Jahreszeit regelmäßig in hohen Keimzahlen, bei höheren Temperaturen und verstärkter UV-Einstrahlung in geringeren Keimzahlen nachweisbar. Besonders hohe Belastungen treten in Zierteichen und anderen Wasserflächen in Parks auf, die häufig stark durch Wassergeflügel frequentiert sind [90]. Thermotolerante Campylobacter können in ruhigem Wasser über 60 Tage kultiviert werden, und ein weiteres Überleben in Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 6•2002 der „viable but not culturable form“ ist nicht auszuschließen [91]. Die Rolle von in der Regel unbehandeltem Trinkwasser als Ursache sporadischer Campylobacterinfektionen ist in verschiedenen Fallkontrollstudien belegt worden [89]. In zwei Übersichtsarbeiten wurde zudem über insgesamt 16 wasserbedingte Campylobacterioseausbrüche zwischen 1978 und 1997 berichtet [92, 93]. Meist waren Einzelwasserversorgungen betroffen. Bei einer Untersuchung einer großen kommunalen französischen Wasserversorgung waren keine thermophilen Campylobacter nachweisbar [94]. Prinzipiell ist jedoch auch die Kontamination von Trinkwasserströmen mit Campylobacter nicht ausgeschlossen, wie kürzlich nachgewiesen werden konnte. „Die Rolle von unbehandeltem Trinkwasser als Ursache sporadischer Campylobacterinfektionen ist belegt.“ In diesem Fall wurde durch vergleichende Typisierung ein Milchviehbetrieb im Wasserschutzgebiet als Kontaminationsquelle identifiziert [95]. Campylobacter kommt außer in Trinkwasser auch in Badegewässern vor. So wurde der Erreger bei Untersuchungen in England sowohl in Süßwasserbadeseen als auch im Meerwasser in Strandnähe sowie an feuchten und trockenen Sandstränden nachgewiesen [96]. Abwässer insbesondere aus dem Einzugsbereich landwirtschaftlicher Betriebe enthalten Campylobacter spp. nahezu regelmäßig. Bei der mechanisch-biologischen Klärung und durch die Klärschlammfaulung werden Reduktionen der Keimzahl bis zu 99% erreicht, dennoch wird noch eine erhebliche Bakterienlast in die Vorfluter abgegeben [90]. Weitere epidemiologische Risikofaktoren Reisen Campylobacter gilt als häufigster Erreger der Reisediarrhoe. So zeigte z. B. die Untersuchung österreichischer Touristen, die mit Diarrhoe aus Südeuropa oder Asien zurückkehrten, dass diese überwiegend mit Campylobacter infiziert waren [97]. Wie in Fallkontrollstudien in Süddeutschland, Norwegen und der Schweiz übereinstimmend nachgewiesen wurde, sind Durchfallerkrankungen, die zwei bis drei Wochen nach Reisen in südliche Länder auftreten, signifikant mit dem Vorliegen von Campylobacterinfektionen korreliert [42, 98, 99]. Haustiere Über menschliche Campylobacterinfektionen, die wahrscheinlich über den Kontakt mit erkrankten jungen Hunden und Katzen erworben wurden, ist immer wieder berichtet worden [100, 101]. Kürzlich konnte erstmals durch einen molekulargenetischen Vergleich der Isolate bei Mensch und Tier die Übertragung einer septisch verlaufenen Campylobacteriose von einem Hundewelpen auf ein drei Monate altes Baby bewiesen werden [102]. AIDS In einer prospektiven Studie wurde C. jejuni als häufigster Durchfallerreger bei AIDS-Patienten mit einer CD4-Zahl <50/µl und chronischer Diarrhoe nachgewiesen [103]. Übertragung von Mensch zu Mensch Nach den bisherigen epidemiologischen Befunden spielt die Übertragung von Mensch zu Mensch eine geringe Rolle, obwohl eine solche auch vereinzelt beobachtet wurden [104]. Labordiagnostik Die Labordiagnostik der enteralen Campylobacterinfektion ist bei Nachamkin [105] und bei Kist et al. [106] ausführlich dargestellt und wird deswegen hier nur verkürzt referiert. Zur Isolierung von thermophilen Campylobacter im akuten Stadium der Enteritis wird die Direktkultur von Stuhlproben auf Spezialnährböden empfohlen. Hierfür sind bluthaltige Medien mit Antibiotikazusätzen wie auch blutfreie Nährböden wie z. B. der Aktivkohle-CefoperazonDesoxycholat-Agar (CCDA) oder eine Kombination beider bestens geeignet. Die Kulturen werden bei 37°C in mikroaerober Atmosphäre (5–7% O2) für 44 Stunden inkubiert. Mit der Filtrationsmethode, die auf der extremen Motilität von Campylobacter basiert, welche das Bakterium schneller als andere Darmbakterien einen 0,65-µm-Cellulosefilter passieren lässt, können bei Verwendung antibiotikafreier Blutagar-Nährböden seltene Campylobacter spp. wie C. upsaliensis isoliert werden, allerdings mit einer im Vergleich zur Direktkultur deutlich geringeren Sensitivität. Flüssige Anreicherungskulturen (nicht indiziert im akuten Krankheitsstadium) sind hilfreich, wenn geringe Keimzahlen ausgeschieden werden. Sie sind somit in allen GBS-Fällen, bei denen 20 Tage nach Beginn der Diarrhöe um 31% höhere Isolierungsraten als in der Direktkultur erreicht wurden, angezeigt. Bei speziellen Fragestellungen, wie bei der Untersuchung kulturell negativer Stühle von GBS-Patienten, können auch Nukleinsäure-Amplifikations-Tests eingesetzt werden [107]. Identifizierung, Differenzierung und molekulare Typisierungsmethoden Die Gattungen Campylobacter und Arcobacter aus der Familie der Campylobacteriaceae sind nahe verwandt mit Flexispira spp., Helicobacter spp. und Wolinella spp.und gehören zur rRNA-Superfamilie VI oder der Epsilon-Subdivision der Alpha-Protobakterien [108].Die Identifizierung der thermophilen Campylobacter spp. erfolgt mit biochemischen Methoden, nötigenfalls ergänzt durch die speziesspezifische PCR (Polymerasekettenreaktion) und die GanzzellfettsäurenGaschromatographie [109]. Die serologische Typisierung der thermophilen Campylobacter spp. ist bis heute problematisch geblieben,weil geeignete Antiseren nur mit großem Aufwand hergestellt werden können und die praktische Anwendbarkeit durch die Phasenvariabilität der LOS-Antigene stark beeinträchtigt wird [20].Molekulare Typisierungssysteme, vor allem die PCR-RFLP (Restriktionsfragment-Längen-Polymorphismus) des flaA-Gens und die PFGE (PulsedField-Gel-Elektrophorese) sind deshalb zunehmend wichtig geworden.Die wichtigsten molekularen Typisierungstechniken wurden kürzlich in der Übersicht dargestellt und bewertet [110]. Perspektiven Eingangs wurden die Fragen gestellt: Warum sind Campylobacteriosen so häufig? Was bedingt die ausgeprägte Sai- sonalität der Infektion? Warum gehen die menschlichen Salmonellosen stärker zurück als die Campylobacterinfektionen? Fasst man die epidemiologischen Befunde zusammen, so erscheint Campylobacter als „Hans Dampf in allen Gassen“, d. h. seine sehr weite Verbreitung bei Wild- und Haustieren sowie in der Umwelt sichert den Bestand der Art. Der Selektionsnachteil einer fehlenden Vermehrungsmöglichkeit in der Umwelt wird durch eine massive Vermehrung in zahlreichen Wirten ausgeglichen, die ihrerseits große Keimzahlen in die Umwelt freisetzen, bzw. als kontaminierte Lebensmittel zum Verzehr kommen. Die Saisonalität der Bakterienlast bei Tieren und der Umwelt geht einher mit einer entsprechenden Kinetik menschlicher Infektionen, wobei nicht klar ist, ob die Temperatur und UV-abhängige Überlebensfähigkeit des Erregers in der Umwelt die Durchseuchung der tierischen Wirte moduliert oder umgekehrt, ob sich ein wechselnder Befall tierischer Wirte in der Umweltbelastung reflektiert. Die im Vergleich zur Salmonellose geringeren Erfolge bei der Kontrolle der Campylobacterinfektionen haben eine Reihe von wahrscheinlichen Gründen: Nutztierbestände, vor allem Schlachtgeflügel, sind, begünstigt durch eine schnelle horizontale Ausbreitung der Erreger, sehr häufig mit thermophilen Campylobacter spp. infiziert, wobei die infizierten Tiere zumindest zeitweise hohe Keimzahlen ausscheiden.Während des Transports und des Schlachtprozesses kommt es einerseits zu einer nur geringen Reduktion der ursprünglichen Bakterienlast und andererseits zu einer weiteren Verbreitung durch Kreuzkontamination. Eine sekundäre Vermehrung auf den Fertigprodukten findet nach bisherigen Befunden zwar nicht statt, dem wirkt jedoch eine niedrige minimale Infektionsdosis entgegen. Ähnliches gilt auch für das Infektionsvehikel Milch, die in der Regel sekundär fäkal verunreinigt werden kann. Es ist bisher ungeklärt, ob durch eine weitere Verbesserung der Melkhygiene diese eher geringfügigen Verunreinigungen vermeidbar sind. Allerdings kann durch die Pasteurisierung wirksam Abhilfe geschaffen werden. Küchenhygienische Maßnahmen, wie Kühlung, die z. B. die sekundäre Vermehrung von Salmonellen wirksam verhindern, bewirken bei Campylobacter eher längere Überle- Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 6•2002 | 503 Leitthema: Lebensmittel und Infektionsrisiken bensraten. Weiterhin hat sich gezeigt, dass Campylobacter auf Arbeitsflächen langfristig überleben und der einfachen Behandlung mit Wasser und Detergenzien widerstehen können [111]. Schließlich spielt die Verbreitung über das ubiquitäre Lebensmittel Wasser bei Campylobacter eine größere Rolle als bei Salmonellen. Sinnvolle Ansätze zur Prävention der humanen Campylobacterinfektion sind nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand eine möglichst weitgehende Quarantänehaltung der Schlachtgeflügelbestände, um einen Infektionseintrag zu vermeiden oder zumindest zeitlich zu verzögern. Hinzu kommen das Vermeiden des „Ausdünnens“ der Bestände, wirksame Dekontaminationen der Transportkäfige, das Vorziehen der Schlachtung nicht infizierter Bestände, höchstmögliche Brühtemperaturen, Abkühlung der Schlachtkörper im Kühlbad, Zusatz antimikrobieller Substanzen zum Prozesswasser und zukünftig eine dekontaminierende Schlussbehandlung der Endprodukte. Weiterhin ist die Vermeidung von Rohmilch und von unbehandeltem Oberflächenwasser als Trinkwasser eine wichtige Interventionsmaßnahme. Eine Impfung gegen Campylobacter wäre sinnvoll, scheitert vorerst jedoch an der antigenetischen Vielfalt der Erreger und an den nicht bekannten Auswirkungen insbesondere hinsichtlich einer Begünstigung der Folgekrankheit GBS [112]. Dringender Forschungsbedarf besteht, auch im Hinblick auf die Entwicklung einer wirksamen Impfung, bezüglich der weiteren Aufklärung der Virulenzfaktoren des Erregers,der Pathogenese von Enteritis und GBS sowie der Analyse der Immunantwort, die offenbar zumindest vorübergehend vor einer symptomatischen Reinfektion schützen kann [113]. Im Bereich der Diagnostik sind sensitivere Nachweisverfahren erforderlich,besonders zur Abklärung des Verdachtes auf das Vorliegen eines Campylobacter bedingten GBS. Dies schließt auch die Entwicklung verlässlicher serologischer Verfahren ein.Die zunehmende Resistenzentwicklung gegen antimikrobielle Substanzen sollte schließlich Anlass für ein Überwachungsund Interventionsprogramm sein, das bundesweit und in europäischer Vernetzung interdisziplinär von der Humanund der Veterinärmedizin getragen wird. 504 | Literatur 1. Jones K (2001) The Campylobacter coundrum. Trends in Microbiology; 9:365–366 2. 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