Dr. J. Beushausen Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Grundlagen systemischer Beratung J. Beushausen Systemische Grundlagen 1 Übersicht Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • • • • Systemtheorien in der Sozialarbeit Beobachten Konstruktivismus Einige theoretische Aspekte der Systemtheorie • Bedeutung für die Beratung J. Beushausen Systemische Grundlagen 2 Einführung: Systemtheorien in der Sozialen Arbeit I Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Das systemische Konzept ist im Grunde sozialarbeiterisch, wenn Kontext und soziale Umfeld zentral in die Arbeit einbezogen werden, wenn sich Soziale Arbeit an den Aufträgen der Klienten orientiert und die Ressourcen genutzt werden (siehe J. Herwig-Lempp) J. Beushausen Systemische Grundlagen 3 Einführung: Systemtheorien in der Sozialen Arbeit II Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit In der Sozialen Arbeit haben wir es bei jedem Klientenkontakt mit erkenntnistheoretischen Problemen zu tun. „Das sogenannte `psychosoziale Diagnostizieren´ bzw. jede Problemdefinition können wir als einen Erkenntnisprozess verstehen, bei dem die SozialarbeiterInnen eine bestimmte (...) als problematisch bewertete Wirklichkeit beobachten, beschreiben und erklären.“ (Heiko Kleve) J. Beushausen Systemische Grundlagen 4 Einführung: Systemtheorien in der Sozialen Arbeit III Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • So gesehen war Soziale Arbeit schon immer systemisch. • These von Peter Lüssi (1992, S. 75): „Sozialarbeiter … optimale Sozialarbeit nur leisten (kann), wenn er systemisch denkt und handelt.“ J. Beushausen Systemische Grundlagen 5 Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Es ist zu unterscheiden zwischen: Beobachten Beschreiben Erklären Bewerten Beobachten Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Luhmann: „Beobachten ist das Handhaben einer Unterscheidung zur Bezeichnung der einen und nicht der anderen Seite.“ • Alles wird von einem Beobachter gesagt. • Hierbei trifft ein Beobachter eine Auswahl, er trifft eine Entscheidung. • Aus dem Unterscheiden folgt eine Bezeichnung. J. Beushausen Systemische Grundlagen 7 Beschreiben (Fritz B. Simon) Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Unter „Beschreiben“ versteht Simon den Versuch einer interpretations- und bewertungsfreien Bezeichnung von Phänomenen. • Solch eine Bewertungsfreiheit ist in der Alltagskommunikation so gut wie nie gegeben, da Begriffe Konnotationen tragen, welche die benannten Daten gleichzeitig erklären und bewerten, ohne dass dies (in der Regel) reflektiert wird. J. Beushausen Systemische Grundlagen 8 Erklärung (Simon) Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit „Erklärung“ bezeichnet die Modellierung eines Mechanismus, der das beschriebene Phänomen produziert, bzw. produzieren könnte. Solche Erklärungsprinzipien sagen nicht immer viel über die beschriebenen Phänomene aus, sondern nur, dass ein sozialer Einigungsprozess stattgefunden hat, eine bestimmte Erklärung als gültig und verbindlich anzusehen. Die beschriebenen Phänomene sind de facto auch für alternative Erklärungen offen. J. Beushausen Systemische Grundlagen 9 Bewertung Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Bei der „Bewertung“ urteilt der Beobachter nach seinen subjektiven Kriterien. Diese Kriterien (z.B. moralische, politische, ästhetische) leiten die individuelle und soziale Selektion des Verhaltens. J. Beushausen Systemische Grundlagen 10 Beobachtung II Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Der Beginn ist kein Anfang, sondern genau genommen ein „Schon-begonnen-haben“, also eine Sequenz von Unterscheidungen und Bezeichnungen. Der Anfang ist demnach schon da (VON FOERSTER 1996). • Bei einem Erkenntnisprozess ist die Zuweisung von Ursache und Wirkung eine Interpunktion, die ein Beobachter vornimmt und damit ein Charakteristikum der Beschreibung, nicht jedoch des beobachteten Prozesses. J. Beushausen Systemische Grundlagen 11 Beobachtung erster und zweiter Ordnung Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Die Beobachtung erster Ordnung ist die Beobachtung von Sachverhalten, faktischen Abläufen und von „unbezweifelbaren Tatsachen“. • Aus den Ergebnissen verschiedener Bedeutungszuweisungen entsteht die „Beobachtung, bzw. Wirklichkeit zweiter Ordnung“ (auch Kybernetik zweiter Ordnung). J. Beushausen Systemische Grundlagen 12 Beobachtung Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Ursachen und Wirkungen stehen in einer unauflösbaren Wechselbeziehung. • Der Beobachtungsprozess wird erleichtert, wenn sich der Beobachter in eine „exzentrische Position“ (PETZOLD 1993) begibt und so tut, als ob er außerhalb seines Selbst stünde, um auf diese Weise auf sich und seine Kommunikationspartner zu schauen. J. Beushausen Systemische Grundlagen 13 Der Konstruktivismus Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Bereits EINSTEIN und HEISENBERG zeigten, dass Beobachtungen „relativ“ sind und der Beobachter nur die Ergebnisse seiner Beobachtungen sieht. VON FOERSTER geht über diesen Standpunkt hinaus und zeigt, dass es Beobachtungen ohne einen Beobachter gar nicht gibt. Sein Postulat lautet. „Die Umwelt, die wir wahrnehmen, ist unsere Erfindung.“ (1996) • Wir können eine von uns als unabhängig gedachte Welt prinzipiell nicht erkennen und erzeugen die uns bekannte Welt mit Hilfe mentaler Operationen.“ (Fischer 2000) J. Beushausen Systemische Grundlagen 14 Konstruktivismus Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Der Konstruktivist macht Vorschläge zum sozialen Prozess der Erzeugung von Realitätskonstrukten. • „Wirklichkeitserfahrungen“ erfolgen in einem komplexen, interaktionalen Konstitutionsprozess zwischen Erkennenden (Beobachtern) und Erkanntem, also als Wechselwirkungen zweier Systeme (J. KRIZ 1999). J. Beushausen Systemische Grundlagen 15 Konstruktivismus Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Erkenntnis und Erkenntnisgewinn sind nicht wertfrei, sondern immer von „Erkenntnisinteressen“ bestimmt. (HABERMAS 1981) J. Beushausen Systemische Grundlagen 16 Kritik am Konstruktivismus I Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Ein Handicap des Konstruktivismus ist die Überbetonung kognitiver Aspekte und die Vernachlässigung der Affekte und der Motivationsdynamik. Die Frage, wie Lebewesen Informationen über ihre Umwelt erzeugen und sich orientieren, wird kognitivistisch verkürzt. J. Beushausen Systemische Grundlagen 17 Soziale Konstruktion von Krankheiten und Auffälligkeiten Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Auffälligkeiten (Symptome etc.) sind Merkmale der Beobachtung, nicht der zu beobachtenden Phänomene • Erst durch eine Unterscheidung zu einem System (dem Organismus, dem psychischen oder sozialen System), d.h. durch Kommunikation werden Phänomene sozial festgelegt und zu einer Störung. J. Beushausen Systemische Grundlagen 18 Konstruktion von Krankheiten und Auffälligkeiten II Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Zu einem Symptom wird ein Phänomen erst im Rahmen einer sozialen Konvention. • Simon 1995: Ein Symptom bedarf der kommunikativen Validierung um als „Störung“ oder als „Krankheit“ anerkannt zu werden. J. Beushausen Systemische Grundlagen 19 Konstruktion von Krankheiten und Auffälligkeiten III Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Aus systemtheoretischer Perspektive sind Symptome beobachtbare Ereignisse, Prozesse oder Zustände, die als Zeichen für andere , nicht beobachtbare Ereignisse, Prozesse oder Zustände in einem anderen, nicht transparenten Phänomenbereich einer tatsächlichen oder vermuteten „Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit“ gedeutet werden. J. Beushausen Systemische Grundlagen 20 Konstruktion von Krankheiten und Auffälligkeiten IV Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Es bedarf eines Symptoms oder einer Auffälligkeit um zum Klienten oder Patienten zu werden, bzw. es wird ein Symptom oder eine Auffälligkeit jemanden zugeschrieben. • Dabei gelten in der Regel solche Abweichungen vom „Normalen“ als problematisch (krank etc.), über dessen Schwellenwert in einer gegebenen Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt „Konsens“ herrscht. J. Beushausen Systemische Grundlagen 21 Konstruktion von Krankheiten und Auffälligkeiten V Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Die Bestimmung (z.B. von Gesundheit o. Krankheit) erfolgt in der Kommunikation zwischen dem Individuum und den bewertenden sozialen Umwelten. Dabei ist ein lediglich subjektives Empfinden ein ebenso unzureichendes Kriterien, wie die alleinige Beurteilung von Fachleuten. J. Beushausen Systemische Grundlagen 22 Konstruktion von Krankheiten und Auffälligkeiten VI Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Um zu einer Übereinstimmung in der Bewertung zu kommen, muss das Symptom von den Teilnehmern der gleichen Systemebene, z.B. dem körperlichen zugewiesen werden. Wird das Symptom verschiedenen Ebenen zugewiesen, z.B. vom Klienten dem Körper und dem Sozialarbeiter der Psyche, ist der Kommunikationsprozess gestört. J. Beushausen Systemische Grundlagen 23 Konstruktion von Krankheiten und Auffälligkeiten VII Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Mit dieser Konstruktion erhält das Individuum eine neue Rolle zugeteilt. Mit dieser Attributation sind verschiedenste Erwartungen verbunden. • Bei der Konstituierung von Symptomen macht es Sinn zu fragen, welche Wirklichkeitskonstruktion oder auch Wirklichkeitsillusion macht Sinn, bzw. „mehr Sinn“. Dieser Prozess ist gesteuert durch Kognitionen und immer auch durch Affekte. J. Beushausen Systemische Grundlagen 24 Definition: Systeme Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Systeme werden konstituiert, indem ein Beobachter einen Unterschied zwischen den Elementen konstruiert und eine Grenze zwischen innen (im System) und außen (in der Umwelt) zieht, die gleichzeitig System und Umwelt miteinander verbindet. Ein System ist das, was „zusammensteht“ (VON FOERSTER 1997). Systeme sind keine an sich existierenden Einheiten oder Objekte, sondern sie sind eine bestimmte Betrachtungsweise menschlicher Wirklichkeit. J. Beushausen Systemische Grundlagen 25 Systemtheorie (nach Luhmann) Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Ein System kommt mit den Umwelten nie direkt, sondern über eine „strukturelle Kopplung“ in Kontakt. • Operativ geschlossenen Systeme lassen sich nicht kausal beeinflussen. • Ein anderes System kann nur „angestoßen, gestört“ werden. • Störungen werden intern „verrechnet“. J. Beushausen Systemische Grundlagen 26 Systemtheorie Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Systeme bestimmen selbst, was und wie sie Impulse ( Störungen) verarbeiten. • Änderungen eines Systemmitgliedes verändern das ganze System, jedoch ist die Art der Veränderung kontingent. • Hilfreich für das Verständnis dieser Prozesse sind Chaostheorien. J. Beushausen Systemische Grundlagen 27 Beispiel • Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Beule beim Auto Beule beim Menschen Reparatur: Reparatur: Von außen Von innen durch systemeigene Mechanismen J. Beushausen Systemische Grundlagen 28 Unterscheidung harte und weiche Realität I (Simon 1995) Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Handeln wirkt auf die eine oder andere Weise auf den Handelnden zurück, sie hat jedoch nicht für alle Beteiligten die gleiche Wirkung. Bei einem Ehestreit, bei den Interaktionen Subjekt und Objekt des Geschehens, „Täter“ und „Opfer“ zugleich = „weiche Realität“. J. Beushausen Systemische Grundlagen 29 Unterscheidung harte und weiche Realität II Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Beispielsweise ist eine „härtere Realität“ die Wirkung einer Interaktion eines Menschen mit einer heißen Herdplatte. Ähnlich ist es beim Einsatz von Gewalt eines Erwachsenen gegenüber einem kleinen Kind. Aus der Sicht des Subjekts sind Handlungen eines Anderen durchaus Handlungen im Sinne einer gradlinigen kausalen Machtbeziehung. J. Beushausen Systemische Grundlagen 30 Triviale Maschine (Systeme) Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Ursache-Wirkungsprinzip • Das Innenleben ist bei entsprechender Kenntnis durchschaubar • Maschine ist von außen steuerbar • Maschine ist berechenbar, wiederholbar und eindeutig • Richtig oder falsch • Abweichungen sind Fehler, die korrigiert werden müssen J. Beushausen Systemische Grundlagen 31 Triviale Systeme Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit berechenbar input voraussagbar output vergangenheits- Unabhängig linear J. Beushausen Systemische Grundlagen 32 Nicht-triviale Systeme Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Kognition Beobachtung Geschichte Kommunikation Identität J. Beushausen Systemische Grundlagen 33 Menschen sind nicht-triviale Maschinen - Systeme Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Menschen sind autonom, unberechenbar, unvorhersagbar, eigensinnig, uneindeutig • Instruktive Interaktion ist nicht möglich, • Menschen können nicht gezielt gesteuert werden • Das Steuerungskriterium ist der „Sinn“ J. Beushausen Systemische Grundlagen 34 Menschen sind nicht-triviale Maschinen - Systeme Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Nicht-triviale Maschinen stellen sich als black box da, das Innenleben ist auch bei Wissen nicht durchschaubar • Sie kann mehr Zustände einnehmen als sich berechnen lässt • Sie lässt sich nicht beherrschen • Der Steuernde ist Teil der Maschine, die er steuert (Schaub 2008) J. Beushausen Systemische Grundlagen 35 Menschen sind nicht-triviale Maschinen Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Berater stoßen lediglich Veränderungen an, Aufgabe ist gute Bedingungen für Veränderungsmöglichkeiten bereitstellen. • Bateson 1982: Man kann ein Pferd zu Wasser führen, aber man kann es nicht nicht zum zum Trinken zwingen. Aber selbst wenn es durstig ist, kann es nicht trinken, solange Sie es nicht zum Wasser führen. Das Hinführen ist ihre Sache. J. Beushausen Systemische Grundlagen 36 Kritik Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Auch wenn wir ontologisch davon ausgehen, dass alle Individuen autonom reagieren, macht es Sinn im sozialen Bereich von Machtunterschieden auszugehen, die besonderen Einfluss haben. Wieso wären sonst Unterdrückungsmechanismen, Strafe, Verführungsund Erziehungsstrategien so verbreitet zumindest kurzfristig so erfolgreich. J. Beushausen Systemische Grundlagen 37 Auswirkungen auf die Beratung Beginn der Familientherapie = Kybernetik erster Ordnung Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Nicht die Person ist krank, sondern die Familie • Die Familie ist die Klientin • Das Problem sind die Beziehungen zwischen den Menschen. J. Beushausen Systemische Grundlagen 38 Kybernetik erster Ordnung Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Kybernetik, die Wissenschaft von der Steuerung von Systemen, wie können Maschinen Regel und Steuerungsaufgaben übernehmen (z.B. Thermostat, Input, Output, Zirkularität) • Man sah Familien als Systeme und ihre Kommunikation als Regelkreise, die das Funktionieren der Familie bestimmten. • Zirkularität: In einem Regelkreis kann kein Anfang gemacht werden,Ursache und Wirkung können nicht getrennt werden. • Es ist nicht nützlich nach Schuld zu suchen (Beispiel Ehepaar). J. Beushausen Systemische Grundlagen 39 Kybernetik erster Ordnung Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Idee: Werden die Regelkreise durchschaut, können sie auch beherrscht werden, • Für die Beratung bedeutet dies: Der Berater erkennt und korrigiert die Fehler, • Durch den richtigen Input entsteht ein neues Gleichgewicht (Homöostase). J. Beushausen Systemische Grundlagen 40 Kybernetik zweiter Ordnung Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Die Beschäftigung mit Theorien über Beobachter, die ein System beobachten (ca. ab 1980) gilt als die Kybernetik der Kybernetik oder als Kybernetik zweiter Ordnung. • Die Kybernetik zweiter Ordnung bezieht die kybernetischen Prinzipien als Wissenschaftssystem auf die Kybernetik. Der Beobachter und seine Erkenntnismöglichkeiten werden als Teil des Systemkontextes einbezogen. • Heinz von Foerster: „Objektivität ist die Selbsttäuschung eines Subjektes, dass es Beobachten ohne ein Subjekt geben könnte.“ J. Beushausen Systemische Grundlagen 41 Exkurs: Komplexität Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Als komplex bezeichnet von Foerster eine zusammenhängende Menge von Elementen, wenn auf Grund systemimmanenter Beschränkungen der Verknüpfungskapazität der Elemente nicht mehr jedes Element jederzeit mit jedem verknüpft sein kann. Komplexität bezeichnet für WILLKE (1996) den Grad der Vielschichtigkeit, der Vernetzung und Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes. Komplexität beinhaltet in der Folge einen Selektions- und Unterscheidungszwang. J. Beushausen Systemische Grundlagen 42 Exkurs: Kontingenz Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Kontingenz beinhaltet die nicht vorab festgelegten Handlungs- bzw. Verhaltensmöglichkeiten der Systeme. Der Begriff der Kontingenz bezieht sich auf die einem System in einer bestimmten Situation zur Verfügung stehenden Operationsalternativen und bezeichnet das Maß an Freiheitsgraden der Selbststeuerung. Kontingenz beinhaltet die Möglichkeit, dass etwas auch anders als erwartet ausfallen könnte. Jedes psychische und soziale System erfährt die Kontingenz anderer Systeme als ein Problem mangelnder Erwartungssicherheit; die eigene Kontingenz dagegen erfährt das System als Freiheitsgrade und Alternativspielraum. Dies bedeutet, dass Menschen im Prinzip die Möglichkeit besitzen, unvorhergesehen, offen, variabel, also kontingent zu handeln und ebenso J. Beushausen Systemische kontingent zu reagieren. Grundlagen 43 Das biopsychosoziale Modell Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Die Einheit von Körper (Leib), Seele und sozialem Kontext kann als anthropologische Grundkonstante der Klinischen Sozialarbeit verstanden werden. J. Beushausen Systemische Grundlagen 44 Folgerungen für die Soziale Arbeit: Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Verzicht auf Allmachtsphantasien der Berater und Therapeuten • Leitend ist die Idee, dass kein Mensch nur mächtig oder nur ohnmächtig ist, weil jedes Beziehungssystem Spielräume des Handeln und der Einflussnahme beinhaltet. • Wir wählen einen Blickwinkel, aus dem wir die Welt betrachten. J. Beushausen Systemische Grundlagen 45 Folgerungen für die Soziale Arbeit Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Ein systemisches Theorem besagt, dass „instruktive Interaktion“ nicht möglich ist. Soziale Arbeit kann ihrem Klientel nur Angebote unterbreiten, die abgelehnt, angenommen oder versuchsweise akzeptiert werden kann. Soziale Arbeit gibt lediglich Anstöße (Pertubationen = Störungen). J. Beushausen Systemische Grundlagen 46 Folgerungen aus systemischer Sicht Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Die Klienten sollen angeregt werden, eigene Lösungen zu finden. Der Berater vertritt eine offene, nicht wissende Haltung eines „Experten“ (Levold 1993) für die Aufrechterhaltung eines konstruktiven Gesprächsrahmens. Aufgabe ist, die Wahlmöglichkeiten zu erweitern. • Geht es zunächst um „Schutz“ (z.B. von Kindern oder Jugendlichen) reicht diese Haltung nicht aus. J. Beushausen Systemische Grundlagen 47 Folgerungen für die Soziale Arbeit Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Klienten werden zu Subjekten, • Wertschätzung der Klienten ist die Grundlage, • die Kompetenz autonom zu sein wird grundsätzlich unterstellt. • Es werden Einladungen ausgesprochen • Ressourcenorientierung • Anpassung an die Gegebenheiten der Familie, z.B. musste nicht mehr die gesamte Familie erscheinen J. Beushausen Systemische Grundlagen 48 Folgerungen für die Soziale Arbeit Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Ziele, Erwartungen u.Aufträge sind zu Beginn eher ungeklärt. Die Auftragsklärung u, -entwicklung stellen bereits einen Teil des Hilfeprozesses dar. J. Beushausen Systemische Grundlagen 49 Diagnose Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Es ist zu diskutieren, inwieweit Diagnosen möglich, bzw. sinnvoll sind, wenn davon ausgegangen wird, dass sich Erkenntnisse über Klienten nie okjektivieren lassen und diese nie beobachterunabhängig sind. • Etikettierungen sind aufmerksam zu registrieren und im Sinne von Zuschreibungen eines Beobachters ernst zu nehmen. • Zudem ist zu beachten, ob die Probleme in einer Person oder Familie angesiedelt werden oder in der Interaktion zwischen den beteiligten Personen und ihren Umwelten. • Sind Beschreibungen, Bedeutungen und Bewertungen der Probleme gemeinsam zu erstellen? J. Beushausen Systemische Grundlagen 50 Hypothesenbildung Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Hypothesen bilden ist unumgänglich, in der systemischen Arbeit ist man sich der Vorläufigkeit dessen bewusst. • Es ist zu beachten, ob Hypothesen TäterOpfer-Diochtomien konstruieren und ob sie den Mitgliedern des Problemsystems eher Pathologie und/oder böse Absichten unterstellen. J. Beushausen Systemische Grundlagen 51 Hypothesenbildung II Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Meist werden wir in der Sozialen Arbeit mit mehreren Hypothesen konfrontiert und es gibt mehrere Auftraggeber (Doppelmandat). • Die Leitfrage ist, welche Hypothesen sind nützlich, bzw. sinnvoll einen Zugang zu den Beteiligten zu finden und eine Veränderung (einen Unterschied, der einen Unterschied macht) anzustoßen. J. Beushausen Systemische Grundlagen 52 Reframing Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Methode um den Blick für andere Möglichkeiten zu öffnen. Reframing = dt. „Neurahmung“, Das Problem wird auf einen anderen Kontext bezogen, es wird ein anderer „Sinn“ zugewiesen. J. Beushausen Systemische Grundlagen 53 Folgerungen für die Soziale Arbeit Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Man kann hören, was gesprochen wird, was verstanden wird, kann nur vermutet werden. • Es ist zu klären, wer zum Problemsystem gehört. Die Auswahl ist kontingent, sie könnte auch anders sein. Entsprechend erfolgen die Interventionen. • D.h. die Grenzen eines Systems werden von Beobachtern bestimmt. Diese bestimmen, wer beispielsweise zu einer Familie gehört. J. Beushausen Systemische Grundlagen 54 Theoretische Grundannahmen Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Kleine Veränderungen können weitere (oder auch nicht) Veränderungen nach sich ziehen. • Jeder hat seine eigene Wahrheit. Jede Wahrheit ist subjektiv. • Jedes Verhalten macht „Sinn“, für jedes Verhalten gibt es „Gute Gründe“, selbst wenn man sie nicht nachvollziehen kann. J. Beushausen Systemische Grundlagen 55 Theoretische Grundannahmen Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Der systemische Paradigmenwechsel zeichnet sich dadurch aus, dass Praktiker sich zunehmend von der Idee verabschieden, dass sie wissen können, was die Klienten brauchen. Ziel ist insbesondere zu verstehen, was die Klienten wollen. J. Beushausen Systemische Grundlagen 56 Folgerungen für die Soziale Arbeit Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Der Konstruktivismus und die Kybernetik zweiter Ordnung sensibilisiert die SozialarbeiterInnen für die Notwendigkeit der Reflexion, bzw. der Supervision. • „Denn nur das Helfersystem selbst kann sich beim Unbrauchbarwerden seiner Deutungen bezüglich der professionsspezifischen Wirklichkeit passendere neue Sichtweisen konstruieren.“ (Klewe 2003, systemagazin.de, S. 10) J. Beushausen Systemische Grundlagen 57 Folgerungen für die Soziale Arbeit Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Eine Gefahr liegt in der Verkennung der mit dem eigenen Auftrag verbundenen Wirklichkeitskonstruktion der beteiligten Institutionen. Beispiel: Eine Fachstelle Sucht benötigt zu ihrer Finanzierung abrechenbare ambulante Patienten. J. Beushausen Systemische Grundlagen 58 Folgerung für die Soziale Arbeit Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Es sollte davon ausgegangen werden, dass in der Praxis ein (oft nicht bemerkter oder ausgesprochener) Dissens zwischen den Wirklichkeitsbeschreibungen der Klienten und der Helfer besteht. Dies betrifft meist auch die Ziele. J. Beushausen Systemische Grundlagen 59 Theoretische Grundannahmen Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Metaziel ist die Unterstützung der Selbstwirksamkeit des Klienten. Ihm soll bewusst werden, dass er seine Geschicke selbst steuern und Einfluss auf die Umwelten nehmen kann. Es soll erreicht werden, dass der Klient nicht nur aktuell besser mit seinen Problemen umgehen kann, sondern auch in Zukunft. J. Beushausen Systemische Grundlagen 60 Was macht einen Klienten zum Klienten Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Hilfreich ist die Unterscheidung zwischen: • Besucher: Sie haben kein explizites Problem und kommen zur Beratung, weil sie mitgebracht oder geschickt werden. • Die ambivalente Motivation ist zu thematisieren. J. Beushausen Systemische Grundlagen 61 Was macht einen Klienten zum Klienten II Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Klagende: Sie fühlen sich als ohnmächtige Leidtragende einer Situation. Oft weigern sie sich etwas zu verändern und sind auf der Suche nach Mitklägern oder sie suchen Anteilnahme beim Berater. J. Beushausen Systemische Grundlagen 62 Was macht einen Klienten zum Klienten III Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Ziel ist, dass aus Besuchern und Klagenden Klienten werden. Mit diesen kann ein gemeinsamer Auftrag für den Beratungsprozess ausgehandelt werden. J. Beushausen Systemische Grundlagen 63 Lösungen Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit • Um zu Lösungen zu kommen, ist es hilfreich über Lösungen zu sprechen (statt über Probleme) Lösungen erreicht man leichter, wenn man über sie spricht und sie möglichst konkret formuliert • Glaubt man an Veränderungen, treten sie eher ein J. Beushausen Systemische Grundlagen 64 Verwendete Quellen • • • • • • Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit Bleckwedel, Jan: Systemische Therapie in Aktion, Vu.R Göttingen, 2007 Herwig-Lempp, Johannes u. Schwabe, Mathias: Soziale Arbeit, erschienen in Wirsching, Michael u. Scheib, Peter (Hrsg.), Lehrbuch für Paar- und Familientherapie, Berlin 2002, Springer, S. 475-488, siehe auch www.systemagazin, Herwig-Lempp Herwig-Lempp, Johannes: Beziehungsarbeit ist lernbar. Systemische Ansätze in der Sozialpädagogischen Familienhilfe. www.systemagazin.de, Beiträge, Herwig-Lempp Klewe, Heiko: Soziale Arbeit als konstruktivistische Praxis. Anregungen für ein postmodernes Verständnis von Sozialarbeit, 2003, www.systemagazin.de, Beiträge, Klewe Schaub, Heinz-Alex: Klinische Sozialarbeit, ausgewählte Theorien, Methoden und Arbeitsfelder in Praxis und Forschung, Vu.R Göttingen, 2008 Schlippe von, Arist u.a.: Zugänge zu familiären Wirklichkeiten. Eine Einführung in die Welt der systemischen Familientherapie, Herausgeber: Institut für Familientherapie Weinheim e.V., www.systema.de J. Beushausen Systemische Grundlagen 65