Politik und Suchtprävention - quint

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Politik und Suchtprävention –
Eine empirische Auswertung von Reden
in bundesdeutschen Landtagen.
Dr. Jens Kalke (ISD)
Landtag als relevanter Akteur
der Suchtprävention
• Zuständigkeit: Länder und Kommunen
• Bund: Modellprogramme
• weitere Akteure: Krankenkassen,
Stiftungen, Privatwirtschaft
Fragestellungen
• Wie wird in der (Landes-)Politik über das
Thema Suchtprävention diskutiert?
• Welche Schlussfolgerungen können daraus
Praxis und Forschung ziehen?
Methodik (I)
• Auswertung von Plenarprotokollen
• Recherche mit dem Suchbegriff
„Suchtprävention“
• Codierung von Forderungen/Positionen
zur Suchtprävention
• u. a. nach: Ansatz, Maßnahmen &
Zielsetzung
Methodik (II)
• Landtage (8): BY, HB, HH, HE, MV, NI,
NRW, SN
• Zeitraum: 1998-2012 (15 Jahre)
• N = 200 Reden
Beispiel Plenarprotokoll
Beispiel Plenarprotokoll
Beispiel Plenarprotokoll
Limitationen
• Diskussionen in den Fachausschüssen nicht mit
einbezogen.
• Glücksspielsucht-Prävention wurde ausgeklammert.
• Begriffe „Suchtprophylaxe“ und „Suchtvorbeugung“ bei
der Recherche nicht berücksichtigt.
• Keine Überprüfung der Codierung durch andere
Personen.
→ Deshalb haben die Ergebnisse eine begrenzte
Aussagekraft.
Sie sollen vor allem zur Diskussion anregen!
Datengrundlage
• Anzahl Reden: 200
davon:

schwerpunktmäßig Suchtprävention: 42%

eingebettet in Suchtpolitik: 37%

eingebettet in andere Themen: 21%
• Anzahl Redner/innen: 126
• Anzahl Forderungen: 552
Datengrundlage Reden
• nach Bundesländern:
 zwischen 15 (HE) und 37 (MV)
• nach Parteien:
 SPD: 60, CDU: 54, LINKE: 29, GRÜNE: 27, FDP: 14,
andere: 16
• nach Regierungsmehrheit und Opposition:
 55% vs. 45%
→ Fallzahlen häufig zu gering für Subanalysen!
Suchtpräventive Forderungen
(N=552)
• Allgemeine Ausrichtung: 16%
• Strukturen, Finanzen, Personal: 17%
• Präventionsansätze: 18%
• Ziele: 11%
• Evaluation, Dokumentation: 4%
• Konkrete Maßnahmen: 34%
Allgemeine Ausrichtung (N=89)
•
•
•
•
•
•
•
frühe Suchtprävention: 27%
flächendeckende SP: 19%
SP als gesellschaftliche Aufgabe: 18%
vorausschauende SP: 13%
Ächtung aller Drogen: 8%
„Abkehr vom Zeigefinger“: 8%
Abkehr Abschreckungspädagogik: 7%
Strukturen, Finanzen, Personal
(N=96)
•
•
•
•
•
pers./struk./finanz. Verstärkung SP: 45%
koordinierte SP: 35%
Interne Strukturen: 13%
Vernetzung mit Suchthilfe: 4%
Qualifizierung Personal:3%
Beispiel Zitat (1)
• „Für eine erfolgreiche Arbeit brauchen die
Fachkräfte Planungssicherheit. Das heißt, dass
Prävention als ein langfristiger Prozess begriffen
werden muss. ... Um ein Drogenelend wie in
anderen Bundesländern zu verhindern,
benötigen wir ein gesamtpräventives Konzept
für Mecklenburg-Vorpommern sowie eine
koordinierte Vernetzungsstruktur im Land.“
(Seemann, SPD, Mecklenburg-Vorpommern, Mai 2000)
Beispiel Zitat (2)
• „Suchtprävention ist nicht allein die Aufgabe des
Freistaates Sachsen oder eines Haushaltstitels.
Suchtprävention ist die ureigenste Aufgabe
jedes einzelnen Menschen für sich und sein
Umfeld. Es ist auch eine gesellschaftliche
Aufgabe. Wie beachte ich meinen Nachbarn?
Wie gehe ich helfend zur Hand?“
(Strempel, CDU, Sachsen, November 2008)
Beispiel Zitat (3)
• „Unsere Schlussfolgerung ist, dass alle
staatlichen Ebenen, aber auch die Gesellschaft
an sich, gefordert sind. Dabei spielt die
Prävention eine ganz entscheidende Rolle. ….
… Ganz entscheidend ist die Vernetzung aller
Akteure, die sich auf diesem Feld bewegen.“
(Klein, SPD, Niedersachsen, Juni 2010)
Entwicklung
suchtpräventive Forderungen
1998-2002
2003-2007
2008-2012
Allgemeine Ausrichtung
22%
12%
17%
Strukturen, Finanzen, Personal
19%
18%
18%
41%
30%
35%
Präventionsansätze
18%
9%
9%
Ziele
13%
21%
23%
Evaluation, Dokumentation
5%
7%
3%
36%
37%
35%
Konkrete Maßnahmen
22%
33%
30%
N
134
128
148
Suchtpräventive Forderungen
nach Parteien
CDU
SPD
GRÜNE
FDP
LINKE
Allgemeine Ausrichtung
21%
18%
16%
22%
11%
Strukturen, Finanzen, Personal
16%
20%
20%
22%
12%
37%
38%
36%
44%
23%
Präventionsansätze
13%
14%
6%
0%
21%
Ziele
16%
18%
18%
17%
23%
Evaluation, Dokumentation
4%
4%
12%
6%
4%
33%
36%
36%
23%
48%
29%
25%
28%
33%
30%
33
36
14
6
17
Konkrete Maßnahmen
N
Suchtpräventive Forderungen nach
Regierungsmehrheit/Opposition
Regierungsmehrheit
Opposition
Allgemeine Ausrichtung
18%
15%
Strukturen, Finanzen, Personal
15%
23%
33%
38%
Präventionsansätze
20%
18%
Ziele
13%
11%
5%
5%
38%
34%
Konkrete Maßnahmen
29%
28%
N
239
171
Evaluation, Dokumentation
Präventionsansätze (N=101)
•
•
•
•
•
•
Setting Schule: 33%
zielgruppenspezifisch: 21%
Setting Eltern/Familie: 17%
Lebenswelt Kinder/Jugendliche: 16%
Indizierte Prävention: 11%
Setting Sportvereine: 3%
→ keine Unterschiede zwischen den Parteien
feststellbar
Ziele (N=59)
•
•
•
•
•
Stärkung Lebenskompetenz: 59%
Abstinenz: 15%
Punktnüchternheit: 7%
Eigenverantwortlicher Umgang: 12%
Suchtfreie Gesellschaft: 7%
→ keine Unterschiede zwischen den
Parteien feststellbar (niedrige Fallzahl)
Beispiel Zitat (4)
„Meine Damen und Herren, ich meine, wir sind
uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass die
Stärkung junger Menschen in ihren psychischen
und sozialen Kompetenzen für die
Suchtprävention entscheidend ist.“
(Trauernicht, SPD, Niedersachsen, Februar 2001)
Konkrete Maßnahmen (N=186)
• Pädagogische Projekte: 27%
• Aufklärung über Suchtmittel: 13%
→ Verhaltensprävention: 40%
• Nikotinfreie Zonen: 16%
• strenger Jugendschutz: 16%
• Beschränkung der Verfügbarkeit: 12%
• Beschränkung der Werbung: 10%
• Erhöhung von Steuern: 6%
→ Verhältnisprävention: 60%
Entwicklung Verhaltens- und
Verhältnisprävention
1998-2002
2003-2007
2008-2012
Verhaltensprävention
60%
20%
47%
Verhältnisprävention
40%
80%
53%
48
70
68
N
Verhaltens- und
Verhältnisprävention nach Parteien
CDU
SPD
GRÜNE
FDP
LINKE
Verhaltensprävention
40%
38%
35%
63%
42%
Verhältnisprävention
60%
62%
65%
37%
58%
52
64
20
8
24
N
→ auch hier kaum Unterschiede zwischen den Parteien feststellbar!
Namentlich erwähnte Projekte
• Insgesamt: 68 Projekte (von 46 Redner/innen
genannt = ca. 25%)
•
•
•
•
Halt: 20
Be smart – don‘t start: 10
Kinder stark machen: 3
ColumBus: 3
• alle anderen: < 3 Nennungen
Distanz zu Präventionsprojekten?
• „Es engagieren sich in der
Suchtprävention weniger Politiker für
beispielhafte Praktiken als bei
kontroversen Drogenthemen.“
(Bestandsaufnahme der Europäischen Beobachtungsstelle
zur Suchtprävention, E.B.D.D. 2002, Briefing 5)
Zusammenfassung
• es wird eher pauschal über die Ansätze und
Aufgaben der Suchtprävention gesprochen
• Verhaltens- und Verhältnisprävention haben in
etwa die gleiche Bedeutung
• Konkrete Projekte und Ziele von Maßnahmen
werden eher selten benannt
• Effektivität von Maßnahmen spielt eine
untergeordnete Rolle (4%!)
• es findet selten eine parteienpolitische
Kontroverse über den richtigen Weg in der
Suchtprävention statt
Warum ist das so? Thesen
• Suchtprävention genießt in der Bevölkerung ein positives
Image, deshalb kann schon über das Erheben
pauschaler Forderungen Zustimmung und Legitimität
hergestellt werden.
• Über die Wirkungen vieler Präventionsmaßnahmen ist
wenig bekannt, deshalb kann auch wenig konkret
diskutiert werden.
• Der Charakter der politischen Steuerung in diesem
Bereich führt dazu, dass die Politik eher über die
allgemeinen Strukturen/Aufgaben/Ziele von
Suchtprävention diskutiert.
Politische Steuerung in der
Suchtpolitik
• Prävention: „Pauschalsteuerung“
• nur globale politische Vorgaben:
Konzepte, Pläne, Zielvereinbarungen etc.
• Politik beschränkt sich auf Koordination
und Mittelbereitstellung
• Repression: „Detailsteuerung“
• Hilfe/Überlebenshilfe: „Intermediäre
Steuerung“
Steuerung in anderen EU-Staaten
• In den meisten EU-Staaten wird Suchtprävention
wenig koordiniert durchgeführt. Sie erfolgt in der
Regel durch kommunale oder regionale
Institutionen, die recht eigenständig handeln
können und kaum an irgendwelche Standards
gebunden sind.
(Bestandsaufnahme der Europäischen
Beobachtungsstelle zur Suchtprävention,
E.B.D.D. 2002, Briefing 5)
Fragen für die Diskussion (I)
• Müssen Praxis und Forschung stärker die
Politiker/innen über konkrete Inhalte und
Formen der Suchtprävention informieren
und beraten?
• Oder soll alles so belassen werden wie
bisher, weil dies im Umkehrschluss auch
Gestaltungsfreiheit für die
Präventionsarbeit bedeutet?
Fragen für die Diskussion (II)
• Brauchen wir mehr klar beschriebene und
übergreifende Projekte, um die Politik zu
erreichen?
• Zumal der Parteienkonsens eine
langfristige Planung und Durchführung von
Projekten ermöglichen sollte!?
• Es stellt sich auch die Frage, ob die
Suchtprävention eine zielgenauere
politische Steuerung braucht.
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