Wie beeinflusst der Staat die Wirtschaft ? Wozu braucht man überhaupt einen Staat? Ziele der Staatstätigkeit aus ökonomischer Sicht: Stabile rechtliche und politische Rahmenbedingungen Behebung von Marktversagen (Allokation) Einkommensverteilung Makroökonomische Stabilisierung 2 Stabile rechtliche und politische Rahmenbedingungen Ohne einen Minimalstaat, welcher Eigentumsrechte und die Einhaltung von Verträgen garantiert, könnte die Marktwirtschaft nicht funktionieren. Ultra-Liberale meinen der Staat solle sich darauf beschränken diese Rahmenbedingungen zu garantieren („Nachtwächter“-Staat). 3 Behebung von Marktversagen 1) Monopolistische Marktformen Durch Absprachen der Unternehmen und steigende Skalenerträge in der Produktion können Monopole und Oligopole bzw. Kartelle entstehen. Durch staatliche Intervention kann versucht werden die allokative Effizienz wiederherzustellen. 4 Behebung von Marktversagen 2) Externalitäten Nutzen von Konsumenten oder Gewinn von Unternehmen wird direkt vom Verhalten anderer Wirtschaftssubjekte beeinflusst. Durch ein geeignetes Steuer- und Subventionssystem kann der Staat versuchen die Internalisierung der Externalitäten zu bewirken. 5 Behebung von Marktversagen 3) Öffentliche Güter Nicht-Rivalität und Nicht-Ausschliessbarkeit im Gebrauch. Private Anbieter werden diese Güter nicht, oder nicht in sozial optimaler Menge produzieren. Der Staat kann diese Güter anbieten. 6 Verteilung 1) Distributive Ziele Die aus dem marktwirtschaftlichen Aktivitäten folgende Einkommensverteilung deckt sich nicht unbedingt mit der gesellschaftlich vorherrschenden Vorstellung von “Gerechtigkeit”. Der Staat kann durch öffentliche Einnahmen und Ausgaben die Einkommensverteilung modifizieren. 7 Verteilung 2) Meritorische Güter Ihr Wert wird vom Staat oder der Gesellschaft als “gut” oder “schlecht” beurteilt (z.B. Erziehung, Drogen). Der Staat regelt den Verbrauch dieser Güter und setzt sich so über die rein individualistische Souveränität der Konsumenten hinweg. 8 Makroökonomische Stabilisierung Viele ÖkonomInnen meinen, der Staat solle eingreifen um die konjunkturelle Fluktuationen zu stabilisieren. Eine antizyklische Nachfrage- und Angebotspolitik kann eine stabile wirtschaftliche Entwicklung fördern. In der Praxis ist dies angesichts der Komplexität der modernen Wirtschaft eine schwierige Aufgabe. Die automatischen Stabilisatoren (Arbeitslosenversicherung, progressive Einkommenssteuer) wirken zweifellos stabilisierend. 9 Öffentliche Ausgaben Einteilungen der Ausgaben Nach Gebietskörperschaften (Bund, Kantone, Gemeinden) Nach Funktionen Nach Sachgruppen (volkswirtschaftliche Einteilung) 10 Ausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden nach Funktionen % 1980 in Millionen Franken 1980 1990 1995 1997 1998 % 1999 2000 2001 2002 2002 Allgemeine Verwaltung 6.53% 3 105 6 030 7 267 7 335 7 577 7 796 7 886 8 848 8 818 6.57% Justiz, Polizei, Feuerwehr 5.35% 2 542 4 927 6 431 6 505 6 582 6 543 6 829 7 185 7 514 5.60% Landesverteidigung 8.23% 3 913 6 662 6 337 5 831 5 771 5 401 5 408 5 338 5 162 3.84% Beziehungen zum Ausland 1.42% 674 1 580 2 051 2 042 2 043 2 148 2 273 2 691 2 373 1.77% 19.28% 9 162 16 658 21 228 21 448 21 674 21 970 22 803 24 074 25 786 19.21% 3.11% 1 476 3 121 3 384 3 388 3 637 3 645 3 850 4 170 4 187 3.12% Gesundheit 11.14% 5 296 10 697 14 223 14 563 14 752 15 103 15 636 16 856 18 047 13.44% Soziale Wohlfahrt 14.16% 6 728 13 444 19 853 24 944 24 818 23 142 23 543 24 187 25 411 18.93% Verkehr 12.13% 5 766 9 170 11 436 12 005 13 585 12 073 13 008 14 097 14 671 10.93% Umwelt, Raumordnung 4.86% 2 308 3 699 4 482 4 574 4 724 4 819 4 824 4 938 4 909 3.66% Volkswirtschaft 6.07% 2 885 5 173 5 973 6 111 6 199 6 708 6 717 7 134 7 058 5.26% Finanzen und Steuern 7.72% 3 670 5 446 8 382 8 559 8 915 10 084 10 788 10 448 10 317 7.68% 100.00% 47 524 86 614 111 053 117 309 120 282 119 439 123 569 129 996 134 253 100.00% Bildung Kultur und Freizeit Total 11 Öffentliche Einnahmen Unterscheidung zwischen laufenden Einnahmen und einmaligen Einnahmen (Schuldenaufnahme des Staates). Laufende Einnahmen Steuern Vermögenseinkünfte Gebühren und Beiträge Zuweisungen im Rahmen des Finanzausgleichs 12 Steuern Steuern sind die Haupteinnahmen des Staates. Der Steuerträger ist das Wirtschaftssubjekt, das die Steuern effektiv zahlt. Bei direkten Steuern stimmen Steuerzahler und Steuerträger überein (z.B. Einkommens- oder Vermögenssteuer). Bei indirekten Steuern überwälzt der Steuerzahler die Last auf einen anderen Steuerträger (z.B. Mehrwertsteuer). 13 Steuern Nach dem Äquivalenzprinzip werden diejenigen Wirtschaftssubjekte besteuert, die von einer bestimmten öffentlichen Leistung profitieren. z.B. Steuer auf Motorfahrzeuge zur Finanzierung der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur Nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip wird die Höhe der Steuer, die ein Wirtschaftssubjekt zahlen muss, nach dessen finanzieller Leistungsfähigkeit bemessen. z.B. progressive Einkommenssteuer 14 Steuern in der Schweiz (2001, in Mio. Sfr.) Grundst. Vermögensgewinnst. Erbsch.- u.Schenkungsst. Besitz- u. Aufwandst. Kapitalst. Vermögensst. Vermögensverkehrst. Verrechnungsst.(=Bund) Ertragsst. Verbrauchsst. Einkommensst. 0 10'000 20'000 30'000 40'000 50'000 15 Öffentliches Defizit und öffentliche Schuld Aktuelles Thema in wirtschaftspolitischer Diskussion: Schuldenbremse gegen Staatsverschuldung Referenzwerte in Europäischer Währungsunion: Schuldenquote von 60%, Defizitquote von 3% Stabilität- und Wachstumspakt EU Aber: Wieso ist die Staatsverschuldung ein Problem? Sind Defizite und Schulden immer „schlecht“? 16 Rechnungsabschlüsse von Bund, Kantonen und Gemeinden (in Mio Fr.) Gemeinden 5000 0 -5000 -5000 -5000 1985 1990 1995 2000 Bund 5000 0 0 -10000 1980 Kantone 5000 -10000 1980 1985 1990 1995 2000 -10000 1980 1985 1990 1995 2000 Total 10000 5000 0 -5000 -10000 -15000 -20000 1980 1985 1990 1995 2000 17 Schulden der öffentlichen Haushalte 1980 Gemeinden Staatsschuld in Prozent des BIP 29,8% Zulässige Verschuldung gemäss Maastrichter Verträge: 60% des BIP 41,1% Bund Kantone 60% 29,1% 50% 40% 30% 2000 Gemeinden 20% 18,3% 10% 50,7% Bund Kantone 31,0% 0% 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 provisorisch: 2001, 2002 02 18 Definition von öffentlichem Defizit und und öffentlicher Schuld Wenn die jährlichen öffentlichen Ausgaben grösser als der Einnahmen sind, erwirtschaftet der Staat ein Defizit. Flussgrösse Die öffentliche Schuld ist die gesamte ausstehende Schuld des Staates. Bestandesgrösse Zusammenhang zwischen Schuld und Defizit: SchuldAnfang 2004 + DefizitJahr 2004 = SchuldAnfang 2005 19 Öffentliche Schuld und Schuldenquote Schweiz 1970-2004 Schuld in % BIP Mio. Sfr. 500'000 60 50 400'000 Schuldenquote 40 300'000 nominales BIP 30 200'000 20 100'000 10 öffentliche Schuld 0 0 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04 provisorisch: 2003, 2004 20 21 Defizit und Schulden Schweiz 1980-2004 Defizit in % BIP Schuld in % BIP 2 60 1 50 0 40 -1 30 -2 20 -3 -4 10 -5 0 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04 provisorisch: 2003, 2004 22 Internationaler Vergleich öffentliche Schuld 1990, 1995, 2004 Schuld in % BIP 160 140 120 1990 1995 2004 100 80 60 40 20 0 Schweiz Gross- Deutschland Frankreich britannien USA Japan Italien Quelle: OECD 23 Internationaler Vergleich Defizit 1990, 1995, 2004 Defizit in % BIP Schweiz Gross- Deutschland Frankreich britannien USA Japan Italien 2 0 -2 -4 -6 -8 1990 1995 2004 -10 -12 Quelle: OECD 24 Konjunkturelles und strukturelles Defizit Konjunkturelle Defizite entstehen in Phasen wirtschaftlicher Stagnation/Rezession wegen höheren Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe usw., geringeren Einnahmen, weil Einkommen (Löhne, Gewinn) abnehmen. Strukturelle Defizite ergeben sich unabhängig von der konjunkturellen Situation, wenn ein anhaltendes Ungleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben besteht. 25 Konjunkturverlauf und Defizit Schweiz 1981-2004 Defizit Mrd. Fr. VJV BIP in % 30 25 5 Vorjahresveränderung BIP 4 20 15 3 10 2 5 1 0 Defizit -5 0 -10 -1 -15 -20 -2 81 83 85 87 89 91 93 95 97 99 01 03 26 Ist die öffentliche Schuld ein Problem? Auch für private Unternehmen ist es ökonomisch sinnvoll Schulden zu machen, wenn die zukünftigen Erträge grösser als die Investitionsausgaben inklusive der Zinszahlungen sind. Die öffentliche Schuld muss also nach der Wirkung, die sie auf die Gesamtwirtschaft hat, beurteilt werden. 27 Besonderheiten der öffentlichen Schuld Der Staat wird nicht wie ein normaler Schuldner sterben. So lange die Bezahlung der Zinsen kein Problem darstellt, kann die Verschuldung beibehalten werden. Wenn die Besitzer der Staatsobligationen im Land wohnen, führen die Zinszahlungen nicht zu einer Einkommensverminderung im Land, sondern zu einer Einkommensumverteilung. 28 Grenzen der Staatsverschuldung Wenn sich der Staat immer mehr verschuldet, treibt er den Zinssatz in die Höhe. Die Kreditbereitschaft der privaten Kreditgeber ist nicht unbegrenzt. Eine genaue Angabe der Obergrenze der Verschuldung ist aber schwierig. 29 Der öffentlichen Schuld stehen Werte gegenüber Die realen Werte sind schwer zu quantifizieren (Land, Verkehrsinfrastruktur, Krankenhäuser, Bildungsniveau usw.). Die Vermögenswerte sind Obligationen und Aktien im Besitz des Staates. Wenn wir diese Vermögenswerte von der öffentlichen Schuld abziehen, erhalten wir die Nettoverschuldung. 30 Brutto- und Nettoschuldenquoten 2002 Für Schweiz allein Verschuldung des Bundes. Nach Schätzungen haben Kantone und Gemeinden keine Nettoverschuldung. in % BIP 140 Brutto 120 Netto 100 80 60 29% 40 23% 20 0 Schweiz (Bund) Japan Grossbritannien Frankreich Deutschland USA Italien Quellen: OECD, EFV 31 Inflation, reales Wachstum und öffentliche Schuld Die Inflation verringert den realen Wert der öffentlichen Schuld. Wenn die Inflation 2% und die Schuld 150 Mrd. Sfr. beträgt, nimmt die reale Schuld jährlich um 3 Mrd. Sfr. ab. Das reale Wachstum verringert die Schuldenquote. Wenn das BIP Wachstum 2% beträgt, die Schuldenquote bei 50% liegt und im laufenden Jahr kein Defizit gemacht wird, sinkt die Schuldenquote auf 49%. 32 Inflation, reales Wachstum und öffentliche Schuld Laufende Defizite sind mit einer stabilen Schuldenquote vereinbar. 2% Defizit (Anteil am BIP) 2% Inflation 2% reales Wachstum Defizit 2% von 100 Jahr 1 Jahr 2 reales Wachstum 2% öffentliche Schuld 50 50 + 2 = 52 BIP 100 100 + 2 + 2 = 104 50 / 100 = 0,5 52 / 104 = 0,5 Schuldenquote Inflation 2% 33 Nachfrageeffekte der öffentlichen Schuld Im Gegensatz zu Steuererhöhungen beeinflusst eine Erhöhung der öffentlichen Schuld die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht direkt. Möglicher indirekter Effekte: Falls die Zinsen steigen, können private Investitionen verdrängt werden („crowding out“ Effekt). Der „crowding out“ Effekt ist umso kleiner je geringer die Zinssensibilität der Investoren. 34 Nachfrageeffekte der öffentlichen Schuld Die mit der öffentlichen Schuld finanzierten Mehrausgaben führen nur dann zu einer Zunahme des realen BIPs, wenn die Produktionskapazitäten nicht voll ausgelastet sind. Inflation BIPpotentiell Inflations-Anpassungslinie Jahr 2 Inflations-Anpassungslinie Jahr 1 aggregierte Nachfrage Jahr 2 BIP > BIPpotentiell aggregierte Nachfrage Jahr 1 BIP 35 Nachfrageeffekte der öffentlichen Schuld In einer offenen Volkswirtschaft ist der „crowding out“ Effekt geringer, weil die Kreditnachfrage zum Teil durch das Ausland befriedigt wird und die Zinsen so weniger oder gar nicht steigen. Gleichzeitig geht aber ein Teil der mit der öffentlichen Schuld finanzierten Mehrausgaben ins Ausland (Importe steigen). 36 Angebotseffekte der öffentlichen Schuld Wenn die Verschuldung aufgenommen wird um Investitionen zu finanzieren, die das Wirtschaftswachstum stützen, ist sie zum Vorteil der zukünftigen Generationen. Mit der Wirtschaft wachsen auch die Steuereinnahmen. Die Steuerbelastung muss also in der Zukunft nicht zwingend erhöht werden. 37 Zusammenfassung Öffentliche Schulden sind nicht notwendigerweise schlecht, sondern müssen in ihren Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft analysiert werden: Welche realen Werte und Vermögenswerte stehen der Schuld gegenüber? Steigt mit den Schulden auch die Schuldenquote? Welches Gewicht hat der „crowding-out“ Effekt? Befindet sich die Wirtschaft in einer konjunkturell schwachen Phase? Werden Investitionen oder Konsumausgaben finanziert? 38