Die Entwicklung des moralischen Urteils Lawrence Kohlberg (1927-1987) Drei Kriterien der (reifen) Moral • Die Internalisierung von Normen, d.h. das Erleben des Sollens oder der normativen Verpflichtung, ohne äußere Kontrolle, Zwänge, Anreize, einer selbst vertretenen Norm zu entsprechen. • Ein Gerechtigkeitsempfinden im Sinne des Verständnisses für Regeln der Verteilung und des Austausch von Gütern bzw. von Belohnungen und Bestrafungen in einem sozialen System. • Die Zurückstellung eigener Bedürfnisse und Interessen gegenüber Anderen auf der Basis einer gegenseitigem Verantwortung, ausgedrückt, im Erleben von Mitgefühl, Schuld oder Ähnlichem bzw. dadurch, dass man einem Anderen hilft oder ihm nicht schadet. Voraussetzungen zur Entwicklung des moralischen Urteils Komponenten zur wechselseitigen Determination der Entwicklung von der Imitation zur Identifikation: • Tendenz, die Eltern oder ein Modell zu imitieren • Emotionale Abhängigkeit durch Bindung an die Eltern • Tendenz, sich den normativen Erwartungen der Eltern anzupassen • Erfahrene Übereinstimmung mit den Eltern • Idealisierung der Eltern oder ihrer Tugenden • vom Status der Eltern abgeleitete Selbstachtung • Fähigkeit, aus der Billigung der Eltern Selbstachtung abzuleiten und somit andere Quellen des Prestigegewinns vorwegzunehmen Niveau A: Präkonventionelles Niveau (die meisten Kinder unter 9 Jahren) Stufe Definition Exemplarische Maxime Stufe 1: Die heteronome Stufe Gut ist der blinde Gehorsam gegenüber "Macht ist Recht!" (eine den Vorschriften und gegenüber Autorität, Strafen zu Nazis zugeschriebene Parole) vermeiden und kein körperliches Leid zu erdulden Befolge die Regeln, um Strafe zu vermeiden Stufe 2: Die Stufe des Individualismus (des Zweck-MittelDenkens und des Austauschs) Gut ist es, eigenen oder anderen Bedürfnissen zu "Eine Hand wäscht die andere!" dienen und im Sinne des konkreten Austauschs (Volksweisheit) fair miteinander umzugehen. (Belohnung und Strafe, Kosten-Nutzen-Orientierung) Niveau B: Konventionelles Niveau (die meisten Jugendlichen und Erwachsenen) Stufe Definition Exemplarische Maxime Stufe 3: Die Stufe gegenseitiger interpersoneller Erwartungen (Beziehungen und interpersoneller Konformität) Gut ist es, eine gute (nette) Rolle zu spielen, sich um andere zu kümmern, sich Partnern gegenüber loyal und zuverlässig zu verhalten und bereit zu sein, Regeln einzuhalten und Erwartungen gerecht zu werden. (Konformität mit anderen, Anerkennung gewinnen) "Was du nicht willst, daß man dir tu, das füg' auch keinem andern zu!" (Die Goldene Regel; vgl. Lukas-Evangelium 6,31) Stufe 4: Die Stufe des sozialen Systems und des Gewissens Gut ist es, seine Pflichten in der Gesellschaft zu erfüllen, die soziale Ordnung aufrecht zu erhalten und für die Wohlfahrt der Gesellschaft Sorge zu tragen. "Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!" (aus der Bekanntmachung, die am 17. 10. 1805 nach der Schlacht bei Jena an die Straßenecken Berlins angeschlagen wurde) Niveau C: Postkonventionelles Niveau (einige Erwachsene über 20 Jahre) Stufe Definition Exemplarische Maxime Stufe 5: Die Stufe des Sozialvertrages Gut ist es, die Grundrechte zu unterstützen sowie die grundsätzlichen Werte und Verträge einer Gesellschaft, auch wenn sie mit den konkreten Regeln und Gesetzen eines gesellschaftlichen Subsystems kollidieren. "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." (Art. 14 II GG) Stufe 6: Die Stufe der universalen ethischen Prinzipien Gut ist es, ethische Prinzipien als maßgebend zu betrachten, denen die ganze Menschheit folgen sollte. "Handle nur nach der Maxime, von der du wollen kannst, daß sie allgemeines Gesetz wird!" (Kants Kategorischer Imperativ) Der Wert des menschlichen Lebens Stufe 1 Orientierung an materiellen Werten, Status, äußerlichen Merkmalen Stufe 2 Bedeutung für die Bedürfnisbefriedigung Stufe 3 Empathie, Zuneigung Stufe 4 Leben ist heilig im Rahmen der moralische oder religiösen Ordnung von Rechten und Pflichten Stufe 5 Bezug zum Wohlergehen der Allgemeinheit und als universelles Menschenrecht Stufe 6 Heiligkeit des Lebens als universeller Wert der Achtung vor dem Individuum Implizite Regeln der einzelnen Stufen Stufe Regel 1 Befolge Regeln, um Strafe zu vermeiden. 2 Verhalte dich konform, um Belohnungen zu bekommen, erwidere Gefälligkeiten 3 Verhalte dich konform, um die Missbilligung und Abneigung der anderen zu vermeiden 4 Verhalte dich konform, um die Kritik durch legitime Autoritäten und daraus folgende Schuldgefühle zu vermeiden. 5 Entsprich den Regeln (Prinzipien), um die Achtung des unvoreingenommenen Zuschauers zu bewahren, der im Sinne des allgemeinen Wohlergehens urteilt. 6 Entsprich den Regeln (Prinzipien), um Selbstverurteilung zu vermeiden. Quellen: • Kohlberg, Lawrence: Die Psychologie der Moralentwicklung. Frankfurt (Main) 1996 • http://www.math.uni-goettingen.de/gesellen/kohl-tab.htm, 29.07.2011 • http://home.t-online.de/home/jneubert/kogmoral.htm, 29.07.2011