Substanzgebundene Abhängigkeitserkrankungen PD Dr. med. P. Franke Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen LVR Klinikum Düsseldorf Kliniken der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf (Ärztl. Dir.: Univ.-Prof. Dr. W. Gaebel) Version 12/2011 „…Angenommen, es müsste bei der Versorgung von Patientengespart werden … Nennen Sie bitte 3 Krankheiten, bei denen man am ehesten Geld einsparen kann…“ Alkoholismus: Depressionen: Schizophrenie: 54 % 30 % 27 % (Vgl. je 17 % Diabetes mellitus und Rheumatismus) Angermeyer et al. 2005; Mann & Kiefer, 2009 Volkswirtschaftliche Kosten durch Alkoholkonsum (1) Produktionsausfälle durch alkoholbedingte Erkrankungen und Fehlen am Arbeitsplatz (ca. 92.000 Fälle/Jahr) (2) Ausgaben im Gesundheitswesen für alkoholbedingte Erkrankungen und Unfälle (3) Erhöhte Sterblichkeit durch alkoholbedingte Erkrankungen und Unfälle (42.000 Fälle/Jahr) (4) Soziale Folgekosten für durch Alkoholkonsum geschädigte Familien (5) Frühzeitige Berentung (ca. 6500 Fälle/ Jahr) Geschätzter volkswirtschaftlicher Schaden durch alkoholbezogene Morbidität und Mortalität in D: 20 Milliarden € pro Jahr (Bergmann & Horch, 2003) Substanzgebundene Abhängigkeitserkrankungen I. Diagnostik und allgemeine Therapieprinzipien II. Neurobiologische Grundlagen III. Klinik der alkoholbezogenen Störungen IV. Klinische Behandlung der Opiatabhängigkeit Franke: Vorlesung - Abhängigkeitserkrankungen Substanzgebundene Abhängigkeitserkrankungen I. Diagnostik und allgemeine Therapieprinzipien II. Neurobiologische Grundlagen III. Klinik der alkoholbezogenen Störungen IV. Klinische Behandlung der Opiatabhängigkeit I. Allgemeine Einführung: Diagnostik und Therapie von „Suchterkrankungen“ 1. „Suchterkrankungen“ 2. Epidemiologie von Substanzmissbrauch und -abhängigkeit 3. Therapeutische Grundprinzipien der Behandlung suchtkranker Menschen ICD-10 Diagnostik und Klassifikation – Erläuterungen I Akute Intoxikation x.0 substanzspezifisch, z.B. Enthemmung, Affektlabilität, verwaschene Sprache, Enge, lichtstarre Pupillen Schädlicher Gebrauch/ Missbrauch x.1 Körperliche und/oder psychische Schäden Abhängigkeit x.2 • Starkes Verlangen • Verminderte Kontrolle • körperliche Entzugssymptome • Toleranzentwicklung • Vernachlässigung von Pflichten • Körperliche und/oder psychische Schäden ICD-10 Diagnostik und Klassifikation – Erläuterungen II Entzugssyndrom x.3 Delirium substanzspezifisch, z.B. mit Krampfanfällen, Muskelschmerzen Vorw. optische Halluzinationen x.4 Psychotische Störung x.5 Amnestisches Syndrom/ Demenz Vorw. akustische Halluzinationen / DD Schizophrenie Andauernde Beeinträchtigung des Kurzund Langzeitgedächtnisses, Zeitgitterstörungen, Merkfähigkeitsstörung 2. Epidemiologie von Substanzmißbrauch und Abhängigkeit Häufigkeit von problematischem Alkoholkonsum Riskanter Konsum 10,4 Mio. Menschen Missbrauch 5,0 Mio. Menschen Abhängigkeit 2,5 Mio. Menschen in Behandlung ca. 150 000 Menschen ? 60-70 %: hausärztliche Behandlung Suchtmedizinisch-psychiatrische Behandlung Ab wann wird Alkoholkonsum riskant ? 1 l Bier 0,7l Wein 0,04l Schnaps = 40g Alkohol = 65g Alkohol = 10g Alkohol Riskanter Alkoholkonsum: Frauen: > 20 g Alkohol/Tag = 1 Drink/Tag = 7 Drinks/Woche (140g/Woche) Männer: > 30 - 40 g Alkohol/Tag = 2 Drinks/Tag = 14 DrinksWoche (280g/Woche) bei regelmäßigem Konsum: deutlich erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen Alkoholbedingte Folgeerkrankungen I Neuropsychiatrische Folgeerkrankungen Alkoholinduzierte Psychosen Gedächtnisstörungen bis zur Demenz Persönlichkeitsveränderungen Nervenschädigungen Internistische (körperliche) Folgeerkrankungen Lebererkrankungen (Fettleber, Hepatitis, Zirrhose) Magenerkrankungen (Krampfadern an der Speiseröhre, Magengeschwüre) Bauchspeicheldrüsenerkrankungen (akute und chronische Entzündungen) erhöhtes Risiko für Krebserkrankungen Alkoholbedingte Folgeerkrankungen II Muskelabbau, Muskelschwäche Impotenz Störungen des Immunsystems erhöhtes Missbildungsrisiko bei Schwangeren Für die meisten körperlichen Alkoholfolgeerkrankungen sind bisher keine spezifischen Behandlungsmöglichkeiten bekannt …daher ist es wichtig problematischen Alkoholkonsum frühzeitig zu erkennen… Erkennen einer Alkoholproblematik (Screening) Klinische Zeichen Alkoholgeruch gerötete Konjunktiven aufgedunsenes Gesicht Tremor Gangunsicherheit erhöhte Schweißneigung Habitus (Muskelatrophie der Beine, Kontrast zum Bauch) erhöhte Reizbarkeit, Störung der Impulskontrolle (Fremdanamnese !) Laborparameter Gamma-Glutamyl-Transferase (-GT) Mikrokorpuskuläres Volumen der Erythrozyten (MCV) Carbohydrate deficient transferrin (CDT) Selbstbeurteilungsfragebögen CAGE (> 1) AUDIT (> 8) Screeningfragebogen Alkohol: CAGE 1. Haben Sie jemals das Gefühl gehabt, Sie müßten Ihren Alkoholkonsum vermindern ? 2. Haben andere Personen Sie dadurch verärgert, dass diese Ihr Trinkverhalten kritisiert haben ? 3. Haben Sie jemals Schuldgefühle wegen Ihres Alkoholkonsums gehabt ? 4. Haben Sie jemals als erstes am Morgen ein alkoholisches Getränk getrunken, um Ihre Nerven zu beruhigen ? Schwellenwert: > 1 Screening-Fragebogen Alkohol: AUDIT Babor et al. 1989 Wie oft trinken Sie alkoholische Getränke ? Wieviele alkoholische Getränke trinken Sie pro Tag ? Wie oft trinken Sie 6 oder mehr alkoholische Getränke pro Tag ? Wie oft hatten Sie im letzten Jahr das Gefühl, Sie könnten nicht aufhören zu trinken, wenn Sie Angefangen haben ? 0 1 2 3 4 nie 1 x Monat oder seltener 2 x Monat 3 x Monat 3-4 x Monat oder öfter 1-2 3-4 5-6 7-9 nie weniger als 1 x Monat 1 x Monat 1 x Woche nie weniger als 1 x Monat 1 x Monat 1 x Woche 10 oder mehr fast täglich fast täglich Screening-Fragebogen Alkohol: AUDIT (Forts.) Babor et al. 1989 Wieoft konnten Sie im letzten Jahr nicht das tun, was von Ihnen erwartet wurde, weil Sie Alkohol getrunken haben ? Wie oft brauchen Sie morgens ein alkoholisches Getränk, weil Sie vorher stark getrunken haben ? Wie oft haben Sie im letzten Jahr Gewissensbisse gehabt oder sich schuldig gefühlt ? Wie oft hatten Sie sich im letzten Jahr nicht an Ereignisse aus der Nacht zuvor erinnern Können, weil Sie Alkohol getrunken hatten ? 0 1 2 3 4 nie weniger als 1 x Monat 1 x Monat 1 x Woche fast täglich nie weniger als 1 x Monat 1 x Monat 1 x Woche fast täglich nie weniger als 1 x Monat 1 x Monat 1 x Woche fast täglich nie weniger als 1 x Monat 1 x Monat 1 x Woche fast täglich Screening-Fragebogen Alkohol: AUDIT (Forts.) Babor et al. 1989 Haben Sie sich oder einen anderen schon einmal verletzt, weil Sie Alkohol Getrunken hatten ? Hat Ihnen ein Verwandter, Freund oder Arzt geraten, Ihren Alkoholkonsum zu verringern ? 0 1 nein Ja, aber nicht im letzten Jahr nie weniger als 1 x Monat Schwellenwert: > 8 2 3 4 Ja, im letzten Jahr 1 x Monat 1 x Woche fast täglich Verschiedene Schweregrade problematischen Alkoholkonsums riskanter Alkoholkonsum Frauen: mehr als 20 g Alkohol/Tag Männer: mehr als 30-40 g Alkohol/Tag Alkoholmissbrauch Körperliche und/oder psychische Schäden Alkohol abhängigkeit • Starkes Verlangen • Verminderte Kontrolle • körperliche Entzugssymptome • Toleranzentwicklung • Vernachlässigung von Pflichten • Körperliche und/oder psychische Schäden Epidemiologie: Illegale Drogen, Medikamente und Nikotin Quelle: IFT München, 2004: 18-59 jährige Personen in Deutschland Illegale Drogen Riskanter Konsum Missbrauch ? MediCannabis kamente* ? ? Nikotin 13,1 Mio. ( > 6 Zig./die) 300.000 140.000 ? 240.000 1,9 Mio. 14.300 2.000 ? (alle, außer THC) Abhängigkeit 175.000 4,3 Mio. (nur Opiate) in Behandlung 74.600 ? * =Schmerzmittel, Schlaf- und Beruhigungsmittel, Anregungsmittel, Appetitzügler Allgemeine Therapieprinzipien bei substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen Motivation und Stadien der Veränderungsbereitschaft bei Suchterkrankungen Absichtsbildung Besinnung Absichtslosigkeit Vorbesinnung Vorbereitung Handlungsbereitschaft nach: Prochaska & DiClemente, 1982 Handlung Rückfall Aufrechterhaltung Ausstieg Veränderte Therapiestrategien bei problematischem Alkoholkonsum 1. Frühe Diagnosestellung wichtig, um weiteren Schaden zu vermeiden 2. Rückfallprävention entscheidend für den Langzeitverlauf 3. Interdisziplinäre suchtmedizinische Behandlung 4. Medikamentöse Behandlung – auch außerhalb des Entzugs 5. „Niedrigschwellige“ Therapie, Akzeptanz von Abwehr, schrittweise Entwicklung suchtfreier Ziele Hierarchie der Ziele und Inhalte einer niedrigschwelligen Therapie bei Suchterkrankungen 1. Überlebenssicherung/ Schadensminderung „harm reduction“ 2. Stabilisierung Behandlung von Folgeschäden und Begleiterkrankungen Gelegenheit zur Reflexion der eigenen Situation Aufklärung über „safer use“ Klärung der aktuell bestehenden sozialen, juristischen und ökonomischen Probleme Motivation zur Aufnahme weiterführender therapeutischer Maßnahmen 3. Abstinenzorientierung Substitution (Beigebrauchs-) Entzugsbehandlung 4. Abstinenz Rückfallprävention Rehabilitation Allgemeine Voraussetzungen in der Behandlung suchtkranker Menschen Interdisziplinäres spezialisiertes Team • Bereitschaft Sachkenntnis zu erwerben • Strukturierte Vorgehensweise, Supervision • Schriftliche Vereinbarungen treffen • Konsequenzen vor Behandlungsbeginn klar festlegen Bereitschaft mit suchtkranken Menschen vorbehaltlos zu arbeiten • Vorurteilsfreie, aber kritische Grundhaltung • Distanz wahren Vernetzung mit dem regionalen Drogenhilfesystem • Eigene Grenzen (oder die der Institution) erkennen Substanzgebundene Abhängigkeitserkrankungen I. Diagnostik und allgemeine Therapieprinzipien II. Neurobiologische Grundlagen III. Klinik der alkoholbezogenen Störungen IV. Klinische Behandlung der Opiatabhängigkeit II. Neurobiologische Grundlagen von Suchterkrankungen 1. Drogenwirkung 2. Mesolimbisch-mesokortikales Belohnungssystem 3. Tiermodelle zu positiven und negativen Verstärkern bei Abhängigkeitserkrankungen Affektive Reaktion nach Drogeneinnahme Zeitpunkt des Drogen-Erstkonsums 100 Ausprägung des primären Drogeneffekts a-Prozeß 0 Ausprägung der affektiven Nachwirkungen -100 b-Prozeß Drogenwirkung Zeit Neurochemische Korrelate: Vermehrte Sekretion von Glucocorticoiden Aktivierung limbischer CRF Systeme Affektive Reaktion nach Drogeneinnahme Intermittierender Drogenkonsum: Sensitisierung 100 Ausprägung des primären Drogeneffekts a-Prozeß 0 Ausprägung der affektiven Nachwirkungen b-Prozeß Drogenwirkung -100 Neurochemische Korrelate: Verstärkte dopaminerge und opioiderge Neurotransmission Zeit Affektive Reaktion nach Drogeneinnahme Chronischer Drogenkonsum: Gegenregulation („Counteradaptation“) 100 Ausprägung des primären Drogeneffekts a-Prozeß 0 Ausprägung der affektiven Nachwirkungen -100 b-Prozeß Drogenwirkung Zeit Neurochemische Korrelate: Verminderte dopaminerge, opioiderge und serotoninerge Neurotransmission Veränderung des „hedonic set point“ Affektive Reaktion nach Drogeneinnahme Abstinenz nach chronischem Drogenkonsum: Vulnerabilität 100 Ausprägung des primären Drogeneffekts 0 Ausprägung der affektiven Nachwirkungen Drogenwirkung -100 Zeit Gegenregulations- und Sensitisierungs -Phänomene : Erleichterte Motivation auf drogenassoziierte Reize Neuroanatomisches Korrelat bei Abhängigkeitserkrankungen: Mesolimbisch-mesokortikales Belohnungssystem Aufgaben: Identifikation relevanter Stimuli Antizipation positiver Stimuli Mechanismus: Aktivierung durch Ausschüttung von Dopamin Aktivierung des Mesolimbisch-mesokortikalen Belohnungssystems: Dopaminausschüttung Drogen: Opiate, Alkohol, Kokain, Nikotin Natürliche Stimuli: Essen, Trinken, Sexualität „Suchtgedächtnis“: Erinnerung an Drogenwirkung Drogenrituale negative Erfahrung des Entzugs Ventrales Tegmentum Präfrontaler Cortex Ncl. accumbens Dopaminerge Neurone Psychologische Modelle zu substanzgebundener Abhängigkeit: Tiermodelle für positive Verstärker I. Operante Konditionierung : z.B. Selbstverabreichung von Morphin Morphin Verhalten wird durch seine Folgen kontrolliert: belohnende Aspekte der Morphinwirkung führen zu Dosissteigerung Psychologische Modelle zu substanzgebundener Abhängigkeit: Tiermodelle für positive Verstärker II. Klassische Konditionierung : z.B. konditionierte Platzpräferenz Morphin Verhalten wird durch seine Folgen kontrolliert: Einfluß der Umgebungsbedingungen auf das Verhalten Positive Verstärkermechanismen sind für die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung entscheidend Psychologische Modelle zu substanzgebundener Abhängigkeit: Tiermodelle für negative Verstärker Morphin morphinabhängiges Tier + Naloxon (Opiat Antagonist) Entzugserscheinungen Hebelbetätigung Morphinapplikation akute Morphinwirkung Vermeidung eines aversiven Stimulus/negativer Konsequenzen (Entzugserscheinungen), um Opiatwirkung aufrecht zu erhalten. Für die Aufrechterhaltung einer Abhängigkeitserkrankung spielen sowohl positive als auch negative Verstärkermechanismen eine wichtige Rolle Welche Risikofaktoren für die Entstehung von Abhängigkeitserkrankungen gibt es ? Genetische Risikofaktoren Individuelle Faktoren Umweltfaktoren Männliches Geschlecht Frühes Ersterkrankungsalter Komorbidität mit antisozialer Persönlichkeitsstörung Schweregrad der Abhängigkeit Persönlichkeit/ Temperament „Risikobereitschaft“ Belastende Lebensereignisse Einfluß soziales Umfeld Erziehungsmilieu Risikoberufe Vermeidung negativer Konsequenzen (Entzug) Drogensuchendes Verhalten „Drogenhunger“ Sensitisierung und Konditionierung • Genetische Faktoren • belastende Ereignisse Positive Verstärkerwirkung • Euphorie • Angst- und Spannungsreduktion • Leistungssteigerung DROGE • • • • Verfügbarkeit von Drogen Persönlichkeitsfaktoren Einflüsse von „peer groups“ Kultureller Kontext Substanzgebundene Abhängigkeitserkrankungen I. Diagnostik und allgemeine Therapieprinzipien II. Neurobiologische Grundlagen III. Klinik der alkoholbezogenen Störungen IV. Klinische Behandlung der Opiatabhängigkeit Psychiatrische Erkrankungen und Folgeschäden bei Alkoholabhängigkeit Akute Alkoholintoxikation („einfacher Rausch“) Entzugssyndrom Alkoholhalluzinose Wernicke Enzephalopathie/ Korsakow-Syndrom Akute Alkoholintoxikation: „einfacher Rausch“ (ICD-10 F 10.0) Psychopathologischer Befund (PPB): Bewußtseinsstörungen (Somnolenz bis Koma) Gehobene Stimmungslage/ Gereiztheit Gesteigerter Antrieb und Psychomotorik Dysphorie Dysarthrie Koordinations- und Aufmerksamkeitsstörungen gestörte Wahrnehmung und Urteilskraft Alkohol-Entzugssyndrom (ICD-10: F10.3) Komplikation 1: Delirium tremens Vegetative EntzugsErscheinungen: • Tachykardie, • Hypertonie, • Schwitzen, • Tremor Desorientiertheit Optische Halluzinationen Angst, Dysphorie, Reizbarkeit Schreckhaftigkeit Komplikation 2: Zerebraler Krampfanfall Alkoholhalluzinose (ICD-10: F 10.5) Psychopathologischer Befund: wach und orientiert (!) akustische Halluzinationen Angst, Dysphorie, Reizbarkeit Innere Unruhe psychomotorische Erregung Differentialdiagnose: Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis Hirnmorphologische Veränderungen bei Alkoholabhängigkeit: Großhirnatrophien: 30-50 % Psychopathologisch: distanzloses Verhalten verflachter Affekt kognitive Defizite Korsakow-Syndrom: 3-12 % Psychopathologisch: Bewußtseinsstörung Desorientiertheit Störung des Alt- und Neugedächtnisses Konfabulationen Komorbidität von Abhängigkeitserkrankungen Angst- und Panikstörungen: 1/3 Männer 2/3 Frauen Affektive Störungen: Suizidversuche/Suizide: 50 % bzw. 15 % 11-15 % bzw. 2-4 % Persönlichkeitstörungen: bis zu 50% Schizophrenie: 10 – 40 % Somatische Begleiterkrankungen: Neurologisch Hepatologisch Gastrointestinal Kardiologisch Substanzgebundene Abhängigkeitserkrankungen I. Diagnostik und allgemeine Therapieprinzipien II. Neurobiologische Grundlagen III. Klinik der alkoholbezogenen Störungen IV. Klinische Behandlung der Opiatabhängigkeit Opiate direkte Wirkung über zentrale und periphere Opioid-Rezeptoren ( Applikation: oral inhalieren intranasal ) i.v./ i.m Heroin + + + Morphin + + + Codein Tbl., Saft Methadon Lösung Buprenorphin + sublingual Euphorie, Entspannung, Angstlösend, Sedierung Opiate: ICD-10 Diagnostik und Klassifikation F 11.0 Akute Intoxikation Leitsymptom: Miosis, Atemdepression F 11.1 Missbrauch geringe Datenlage; schneller Übergang in Abhängigkeit F 11.2 Abhängigkeit einhergehend mit gesundheitlichen und sozialen Folgeschäden F 11.3 Entzugssyndrom Leitsymptom: Mydriasis kein Delirium F 11.5 Psychotische Störung F 11.6 Amnesie/ Demenz seltener im Vgl. zu Alkoholabhängigkeit Nein ! Zentrale Wirkungen der Opioide Organsystem ZNS Organregion limbisches System Wirkung Euphorie Anxiolyse Sedierung Analgesie Atemzentrum Atemdepression Hustenzentrum Hustendämpfung Kern N. oculomotorius Miosis Kern N. vagus Bradykardie Klinische Stadien des Opiatentzugs Auftreten der Symptomatik in Std. nach letzter Einnahme von: Stadium Symptome HEROIN METHADON 0 Craving, Angst 4 12 I Gähnen, Schwitzen Tränenfluß, Rhinorrhö „Yen-Schlaf“ 8 32 - 48 II Mydriasis, Piloerektion Tremor, Muskelzucken, Hitze- und Kälteschauer Knochen/ Muskelschmerzen III IV 12 > 48 RR und Temp.-Erhöhung Tachykardie, Unruhe 18-24 > 48 Fieber, Erbrechen, Diarrhoe Muskelkrämpfe 24-36 > 48 Exemplarische Abbildung einer Methadon-gestützten Entgiftungsbehandlung Methadon-Dosis 40 Entzugssymptomatik 30 20 10 7 14 21 Tage Therapiebausteine einer qualifiziert-homologen Opiat-Entzugsbehandlung Vor Therapiebeginn: Festgelegte Rahmenbedingungen der Behandlung Aufnahmebedingung: „niedrigschwellig“ Opioid-gestützte Behandlung (Methadon/Buprenorphin) Diagnostik und ggf. Therapie begleitender psychiatrischer Störungen Linderung der Entzugssymptome (medikamentös und alternative Verfahren) Erarbeitung von Weiterbehandlungsmöglichkeiten Ärztl. Visiten und strukturierter Tagesablauf mit Begleittherapien Behandlungsmöglichkeiten und -ziele nach der Entzugsbehandlung Abstinenzorientierte Therapien stationäre Behandlung (z.B. Entwöhnungstherapie = Reha) ambulante Behandlung mit Opiat-Antagonisten ambulante Rehabilitationsmaßnahme Weiterbehandlung der psychiatrischen Komorbidität (stationär, teilstationär oder ambulant) Teilnahme an Selbsthilfegruppen für ehemalige Abhängige Substitution mit Opioiden (Methadon/Buprenorphin): vorübergehend (bis weitere Therapiemaßnahmen möglich) langfristig (1-2 Jahre), zur Schadensbegrenzung und Überlebenssicherung Substanzgebundene Abhängigkeitserkrankungen I. Diagnostik und allgemeine Therapieprinzipien II. Neurobiologische Grundlagen III. Klinik der alkoholbezogenen Störungen IV. Klinische Behandlung der Opiatabhängigkeit V. Sonstige illegale Drogen Franke: Vorlesung WS 2010/11 - Abhängigkeitserkrankungen Kokain Applikation: inhalieren Wirkungsweise: intranasal i.v. Blockade der Dopamin-, Noradrenalinund Serotonin Wiederaufnahme Inhibition des Dopamin-Transporters Sympathomimetisch: Antriebssteigernd reduziertes Schlafbedürfnis, „Wachheit“, Innere Unruhe, paranoides Erleben Amphetamine („speed“, „ice“) Applikation: oral Wirkungsweise: inhalieren intranasal i.v. Dopaminfreisetzung (Blockade der Dopamin-, Noradrenalinund Serotonin Wiederaufnahme) Sympathomimetisch: weniger stark im Vgl. zu Kokain Cannabis (Haschisch, Marihuana) Applikation: Wirkungsweise: oral inhalieren über periphere und zentrale Cannabinoid-Rezeptoren Sedierend, appetitsteigernd, Bewußtseinsverschiebung, psychotisches Erleben, Ängste Ecstasy (MDMA - Methylen-Dioxy-Methamphetamin) Applikation: Wirkungsweise: oral i.v. serotonerg Dopaminfreisetzung Direkte Wirkung auf Temperatur-Regulation Antriebssteigernd, Euphorie, psychomotorische Unruhe, psychotisches Erleben, Ängste Phenylcyclidin -PCP („angel dust“) Applikation: oral Wirkungsweise: inhalieren intranasal i.v. Antagonist am NDMA-Rezeptor (N-Methyl-D-Aspartat) Halluzinogen LSD (Lysergsäure-Diäthylamid) Applikation: Wirkungsweise: oral i.v. serotonerg Halluzinogen Exkurs: nicht-substanzgebundene Süchte „Internetsucht“ „Erstbeschreiber“: Ivan Goldberg, New York, 1995 nicht-stoffgebundene Sucht ( Missbrauch psychotroper Substanzen) ähnlich: Internet-, Arbeits-, Sammelsucht, u.a. Aktivitäten im Internet: In Zusammenschau mit sozialem Umfeld, Schule, Freizeitverhalten und psychischen Zustand des Individuums zu betrachten Diagnostik und Klassifikation der Internetsucht Diagnose fehlt in internationalen Klassifikationssystemen (ICD-10/ DSM-IV) Sonderform einer Zwangsstörung ? (Ansprechen auf SSRIs ?) unspezifische Form einer Impulskontrollstörung ? (ICD-10: F63.0: pathologisches Glücksspiel – Abnorme Gewohnheiten/ Störung der Impulskontrolle) eigene Erkrankungsentität ? Ausdruck einer anderen psychiatrischen Grunderkrankung ? Sonderform einer Suchterkrankung ? nach: Weinstein & Lejoyeux, Am J Drug Alcohol Abuse, 2010 Merkmale und Kriterien einer Computerspiel- und Internetsucht Einengung des Verhaltens: Regulation negativer Gefühlszustände: dominiert das Denken, Fühlen, Verhalten „Kick“, Erregung, Form inadäquater Stressbewältigung Toleranzentwicklung: Gewünschter Effekt kann nur noch durch extreme Mediennutzung erzielt werden Entzugserscheinungen: Unruhe, Nervosität, Aggressivität Kontrollverlust: ohne zeitliche und inhaltliche Kontrolle Rückfall: nach Abstinenz erneut exzessiver Konsum Anhaltender Konsum trotz schädlicher Folgen: negative Folgen für Schule, Hobby, Freunde nach: Grüsser & Thalemann, 2006 Essentielle diagnostische Komponenten (1) Verlust des Zeitgefühls während Internetnutzung (2) Entzugssymptome, wenn Internetzugang verwehrt (z.B. Wut, innere Anspannung, Niedergeschlagenheit) (3) Toleranzentwicklung (z.B. gesteigerter Bedarf an PC-Zubehör, Drang stets neue Softwareprodukte zu erwerben) (4) Negative Konsequenzen (Verleugnen, verschlechterte schulische Leistungen, soziale Isolation, Ermüdung) Problem: fehlende reliable und valide Messinstrumente, daher inkonsistente Ergebnisse im internationalen Vergleich Block, Am J Psychiatry, 2008 Diagnostische Instrumente Young‘s Internet Addiction Scale (IAT): UK, USA, Finnland, Korea Chen Internet Addiction Scale (CIAS): Taiwan Questionnaire of Experiences Related to Internet (QERI): Spanien Compulsive Internet Use Scale (CIUS): Niederlande Problematic Internet Use Questionnaire (PIUQ): Ungarn nach: Weinstein & Lejoyeux, Am J Drug Alcohol Abuse, 2010 Epidemiologie der Mediennutzung Jugendlicher 14-19 Jährige Mädchen Jungen eigener Computer: 72% 77% eigener Internetzugang: 54% 55% eigene Spielekonsole: 43% 56% regelmäßige Internetnutzer: 60,1% 97,5% durchschnittlich ca. 140 Minuten PC/Internet/die; 100 Minuten TV/die JIM, 2009; van Eimeren & Frees, 2009 Subtypen der Internetsucht exzessive Beschäftigung mit Computerspielen („World of Warcraft“ u.a.) Beschäftigung mit sexuellen Motiven im Internet („Cybersex“)/ Kombination: Internet- und Sexsucht exzessives e-mailen/Tätigkeit in Internet Foren und blogs nach: Weinstein & Lejoyeux, Am J Drug Alcohol Abuse, 2010 Gründe für exzessive Internetnutzung - oft dysfunktionale oder nicht-zufriedenstellende soziale Beziehungen - Flucht in Parallelwelten (insbesondere bei Beschäftigung mit PC-Spielen) zur Steigerung des Selbstwertgefühls - (inadäquate) Stress-Coping Strategie - Forum, um soziale Kontakte zu erweitern, soziale Unterstützung zu erhalten - das Internet als „Übungsplattform“ für das „richtige Leben“ nach: Weinstein & Lejoyeux, Am J Drug Alcohol Abuse, 2010 Geschätzte Häufigkeit von Internetsucht in Deutschland Mädchen Jungen süchtig: 0,3% 3% gefährdet: 0,5% 4,7% Internationale Vergleichszahlen: 1.5 – 8.2 % (IAT) Rehbein, 2009; Grüsser & Thalemann, 2006 Psychiatrische Komorbidität Affektive Störungen (z.B. Depressionen, Hypomanie, Dysthymie) Angsterkrankungen (z.B. generalisierte Angststörung, Soziale Phobie) Persönlichkeitsstörungen (z.B. emotional-instabile Persönlichkeitsstörung) Aufmerksamkeitsstörung (ADHD) Ursache und Wirkung von exzessiver Internetnutzung unklar Differentielle Alterseffekte ? nach: Weinstein & Lejoyeux, Am J Drug Alcohol Abuse, 2010 Behandlungsmöglichkeiten neurobiologischen Mechanismen der exzessiven Internetnutzung unklar bislang keine gesichert wirksamen psychotherapeutischen Behandlungsmethoden: Verhaltenstherapie, Familientherapie, Beratungsgespräche bei gesicherter psychiatrischer Komorbidität richtet sich die psychotherapeutische und psychopharmakologische Behandlung nach den Leitlinien der Behandlung der Grunderkrankung nach: Weinstein & Lejoyeux, Am J Drug Alcohol Abuse, 2010 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit