Text für Einschaltung am Donnerstag, 8

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20 Jahre Symphonieorchester Vorarlberg
Texte zum Programm
Franz Schubert
Symphonie Nr. 5 in B-Dur D 485
Am 16. Juni 1816 notierte Franz Schubert in seinem Tagebuch: „Oh Mozart, unsterblicher
Mozart, wie viele, oh wie unendlich viele wohltätige Abdrücke eines lichteren, besseren
Lebens hast du in unsere Seelen geprägt!“ Im September desselben Jahres schrieb er seine
Fünfte Symphonie.
Die Berufung auf Mozart ist bemerkenswert: Immerhin hatte Schubert als Sängerknabe der
Hofmusikkapelle, als Schüler Salieris, als Musiker eines Liebhaberorchesters nicht nur die
Werke Haydns und Beethovens, sondern auch die anderer Zeitgenossen von Krommer und
Kozeluch bis Rossini kennen gelernt. Doch Mozarts Leben und Schaffen galt ihm stets als
unerreichbares Vorbild.
Es wäre freilich falsch, anzunehmen, Schubert habe sich in seinen sechs Jugendsymphonien
an Mozarts Stil orientiert. In der Symphonie Nr. 5 beispielsweise, erinnert an das Vorbild der
kammermusikalische Klang. Es gibt im Orchester keine Pauken, Trompeten, Klarinetten, nur
eine Flöte – vermutlich aus praktischen Erwägungen, weil für die private Aufführung des
Werks nur eine beschränkte Zahl von Musikern zur Verfügung stand. Aber Schuberts
unkonventionellen formalen und harmonischen Lösungen, seine ausgeprägt persönlichen
Satz-Charaktere und melodischen Ideen sind der klassischen Tradition entwachsen,
signalisieren schon das Zeitalter der Romantik.
Die ersten vier Takte der Symphonie gehören den Holzbläsern allein: Es ist, als würde
anschließend ein Vorhang weggezogen, das Eröffnungs-Allegro kann beginnen. Raffinierte
Mischung unterschiedlicher, für die Zeitgenossen vermutlich kühner Harmonie-Kombinationen
kennzeichnen auch den zweiten Satz (Andante), dem ein Menuett folgt. Es scheint sich – zwar
nicht zitathaft, aber in der Tonartenwahl und motivisch – auf Mozarts g-Moll-Symphonie zu
beziehen, hat jedoch bereits eher Scherzo-Charakter. Das anmutige Finale lässt ahnen, wie
groß Schuberts Sehnsucht nach dem eingangs zitierten „lichteren, besseren Leben“ war.
Franz Schubert hat keine seiner Symphonien in öffentlichen Konzerten gehört; sie wurden in
solchen zu Lebzeiten des Komponisten nie gespielt. Einzig in privatem Kreis wurden die
Jugendsymphonien aufgeführt. Und auch da war Schubert nur selten Zuhörer: Er musste
selbst im Orchester die Bratsche spielen.
Gustav Mahler
Fünf Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“
Die große romantische Volkslied-Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, zwischen 1806 und
1808 herausgegeben von Achim von Arnim und Clemens Brentano, war für das Liedschaffen
Gustav Mahlers bis zur Wende ins 20. Jahrhundert von besonderer Wichtigkeit. In dieser
Sammlung „fand er alles, was seine Seele bewegte“, schrieb der Dirigent Bruno Walter in
seinem Mahler-Porträit: „Natur, Frömmigkeit, Sehnsucht, Liebe, Abschied, Nacht, Tod,
Geisterhaftes, Landsknechtswesen, Jugendfrohsinn, Kinderscherz, krauser Humor – all das
lebte in ihm wie in diesen Dichtungen.“
Mahler hat 24 Lieder nach „Wunderhorn“-Gedichten geschaffen – drei davon hat er in den
Symphonien Nr. 2, 3 und 4 als Vokalsätze verwendet, andere bloß zitathaft, um Stimmungen
deutlich zu machen. Allerdings hat Mahler niemals romantische Poesie beschönigend und
besänftigend vertont: Wo er an Vergangenes, Vertrautes zu erinnern scheint, wirkt seine
kritische Direktheit oftmals irritierend, ist sein Hang zu Ironie und Parodie meist von
schmerzlicher Ehrlichkeit.
„Lob des Hohen Verstandes“ (1896) hieß ursprünglich „Lob der Kritik“ und ist nur scheinbar
eine Tierfabel. Kuckuck und Nachtigall einigen sich auf einen musikalischen Wettstreit, den
der Esel (wegen seiner langen Ohren …) entscheiden soll. Mahler hatte als Komponist und
Theaterkapellmeister 1896 bereits Erfahrungen mit Musikkritikern gemacht …
„Rheinlegendchen“ (1893) als „Tanzliedchen“ konzipiert, ist ein treffendes Beispiel für Mahlers
Fähigkeit kontroversieller Komposition: Die verschlüsselte politische Botschaft des Textes,
wohl nur Zeitgenossen verständlich, und ihre Bitterkeit wird durch die scheinbare Süße der
Musik noch verstärkt.
„Das irdische Leben“ (1893) entstand in Steinbach am Attersee, war ursprünglich für die Vierte
Symphonie vorgesehen, doch hat Mahler diesen Plan dann aufgegeben, als er einen anderen
„Wunderhorn“-Text, nämlich „Das himmlische Leben“, für deren Finalsatz verwendete. Im
„Irdischen Leben“, einer realistisch gemeinten Bauerntragödie, geht es um die quälende
Situation, dass Nahrung faktisch zum Greifen nah und trotzdem unerreichbar sein kann – ein
Thema, das Mahler seit seiner Kindheit immer wieder beschäftigt hat.
„Wo die schönen Trompeten blasen“ (1898), ein balladenhafter Dialog zwischen einem bereits
verstorbenen (wohl gefallenen) Soldaten und seiner trauernden Geliebten, erinnert ebenfalls
an Mahlers Jugend: Im böhmischen Kalischt gab es eine Garnison, und der Knabe war
ständig mit Trompetensignalen und Marschrhythmen, mit Zapfenstreich und Totengedenken
konfrontiert. Impressionen, die in Mahlers Musik immer wieder ein wesentliches Element sind.
„Urlicht“ (1893) war als Lied mit Klavierbegleitung konzipiert und wurde erst später in einer
Orchesterfassung als vierter Satz („Sehr feierlich, aber schlicht“) in die Zweite Symphonie
übernommen.
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 10 Fis-Dur – Adagio (1. Satz)
Als Gustav Mahler am 18. Mai 1911 in Wien starb, waren seine Neunte Symphonie und das
„Lied von der Erde“ zwar vollendet – ihre Uraufführung fand jedoch erst nach dem Tod des
Komponisten unter der Leitung von Bruno Walter in Wien und München statt.
Unvollendet blieb eine Symphonie Nr. 10, die Mahler schon zum Jahreswechsel 1909/10 zu
skizzieren begonnen hatte. In diesen Skizzen gibt es handschriftliche Anmerkungen, die sich
jeder exakten Deutung entziehen, etwa „Erbarmen, oh Gott, warum hast du mich verlassen?“
oder „Leb’ wohl, mein Saitenspiel!“
Komplettiert hat Mahler nur den ersten Satz, ein umfangreiches Adagio. Von den geplanten
weiteren vier Sätzen hinterließ Mahler nur Fragmente. 1924 bat Mahlers Witwe Alma den
Komponisten Ernst Krenek, das Werk zu vervollständigen, doch wollte dieser nur die
Reinschrift der Partitur zum Adagio besorgen. Auch andere Anfragen Alma Mahlers (etwa an
Arnold Schönberg) hatten eine negative Reaktion. Erst Jahrzehnte später unternahm der
englische Musikwissenschaftler Deryck Cooke den Versuch, aus den Fragmenten und
Skizzen eine aufführungsreife Konzertfassung zu erstellen, wozu ihm Alma Mahler kurz vor
ihrem Tod in einem Brief aus dem Jahr 1963 das Recht einräumte.
Das Adagio wurde am 14. Oktober 1924 in Wien als Gustav Mahlers letztes Werk
uraufgeführt; Dirigent war Franz Schalk. Für diesen Satz gilt, was Arnold Schönberg 1913
über Mahlers Neunte Symphonie postulierte: „Dieses Werk ist nicht mehr im Ich-Ton gehalten.
Es bringt sozusagen objektive, fast leidenschaftslose Konstatierungen von einer Schönheit,
die nur dem bermerkbar wird, der sich in geistiger Kühle wohl fühlt.“
Noch einen Schritt weiter geht der Dirigent Michael Gielen, der zum Adagio-Satz treffend
meint: „Es ist wunderbare Musik, in der sich die zwei Stimmen einer Seele im Jenseits
verlieren.“ Tatsächlich wechseln zwei musikalische Charaktere einander ab – ein AdagioGedanke und ein Andante-Gedanke. Dieser gerät zu einem bedrohlichen Scherzo, während
die Erhabenheit des Adagio-Themas davon unberührt zu bleiben scheint. Die Instrumentation
ist radikaler, krasser, eigensinniger als in früheren Symphonien: Mahlers Abschied von der
Welt lässt keinen Zweifel, dass noch manches zu sagen gewesen wäre …
Karl Löbl
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