Wirtschaftstheorie von John M. Keynes

Werbung
Wirtschaft 2
Wirtschaftstheorien
ABU
Markus Bürkli
Wie wird Wohlstand geschaffen?
Angebots- und Nachfrage-Theoretiker wollen im
Grunde genommen das gleiche: die Produktionsgrenze einer Volkswirtschaft ausweiten und damit mehr
Wohlstand schaffen. Sie setzen aber auf andere
Mittel. Ein banales Beispiel aus dem Buch «Principles
of Economics» von N. Gregory Mankiw soll diesen
unterschiedlichen Ansatz verdeutlichen: Nehmen wir
an, eine Volkswirtschaft bestünde bloss aus einem
Kiosk, der Glace verkauft. Er bekommt täglich 12
Stück geliefert; wenn er sie zum Preis von 2.50
Franken verkauft, wird er sie alle los.
Bei diesem Preis sind Angebot und Nachfrage im
Gleichgewicht. Wenn sich nichts ändert, lässt sich die
Produktionsgrenze dieses Kiosks nicht ausweiten: Bei
einem Preis von 3 Franken wird er seine Ware nicht
los, bei einem Preis von 2 Franken ist er vorzeitig
ausverkauft. Will die «Mini-Volkswirtschaft Kiosk»
ihren Wohlstand erhöhen, muss sie deshalb ein
neues Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage
suchen.
Verschiedene Faktoren können dazu führen, dass
sich entweder die Angebots oder die Nachfragekurve
oder beide verschieben und sich ein neues
Gleichgewicht einstellt. Die Nachfrageseite kann sich
verändern, wenn sich das Einkommen der Kunden
des Kiosks erhöht oder wenn es fällt, wenn mögliche
Ersatzprodukte (beispielsweise gefrorenes Joghurt)
billiger oder teurer werden, wenn sich der Geschmack
der Kunden ändert oder ihre Erwartungen für die
Zukunft. (Sie glauben, mehr oder weniger zu
verdienen.)
Die Angebotsseite verändert sich dann, wenn die
Kunden bereit sind, mehr oder weniger für eine Glace
zu bezahlen, wenn die Rohstoffe billiger werden und
die Gewinnmarge erhöht wird, wenn die Produktivität
der Glaceherstellung dank neuer Technologien steigt
oder wenn sich ebenfalls die Zukunftserwartungen der
Anbieter ändern.
Das Beispiel des Glacekiosks zeigt, dass
Veränderungen auf der Angebots- und auf der
Nachfrageseite zu einem neuen Gleichgewicht führen;
d. h., die Produktionsgrenze einer Volkswirtschaft
verschieben. Wie der Staat in diesen Prozess
einzugreifen hat, ist dabei heftig umstritten.
Die Befürworter der Nachfrageanregung sind auch
bekannt als Keynesianer. Der britische Ökonom John
Maynard Keynes hat seine Theorien als Reaktion auf
die Rezession der dreissiger Jahre entwickelt.
Wiederum soll ein einfaches Beispiel, diesmal aus
dem Buch «Peddling Properity» von Paul Krugman,
die These in ihren Grundzügen zeigen:
Eine Gruppe von jungen Ehepaaren hat eine
Babysitting-Genossenschaft gegründet. Um einen
geregelten Ablauf zu sichern, gilt folgendes System:
Es werden Coupons verteilt, jeder dieser Coupons ist
eine Stunde Babysitting «wert». Mit diesen Coupons
können sich die Eltern gegenseitig BabysittingStunden abkaufen.
582634355
John Maynard Keynes
Die Rezession der Babysitter
Eines Tages gerät die Babysitting-Genossenschaft in
Schwierigkeiten.
Aus
zunächst
unerklärlichen
Gründen sind immer weniger Coupons im Umlauf.
Dies hat fatale Folgen: Weil die Eltern fast keine
Coupons mehr verdienen können, beginnen sie, die
wenigen Coupons, die sie noch haben, zu sparen, d.
h. sie verzichten auf einen Kinoabend und hüten ihre
Kinder selbst. Dieses Verhalten führt dazu, dass ein
Teufelskreis in Gang kommt. Noch weniger Coupons
werden in Umlauf gesetzt, niemand hat die
Möglichkeit, seine Couponreserve aufzustocken. Bald
sitzen alle jungen Ehepaare frustriert zu Hause vor
dem TV, die Babysitting-Genossenschaft liegt im
Koma.
Ökonomisch gesprochen hat sich die BabysittingGenossenschaft selbst in eine Rezession hinein
manövriert. Diese selbstverschuldete Rezession ist
einfach zu lösen: Die Genossenschaft stellt jedem
Paar gratis zehn Coupons zur Verfügung. Diese
künstlich erhöhte Nachfrage verbessert den
Austausch, der Spardruck fällt weg, das System
funktioniert wieder tadellos.
Gemäss Keynes war die Depression der dreissiger
Jahre im Prinzip nichts anderes als das Problem der
Babysitting-Genossenschaft
in
viel
grösserem
Massstab.
Als Massnahme dagegen empfahl er deshalb, die
Nachfrage künstlich zu erhöhen. Theoretisch hätte
man dies tun können, indem man einfach wahllos
Geld aus einem Flugzeug abgeworfen hätte. In der
Praxis treten zwei Akteure auf : Die Nationalbank, die
die Geldmenge ausweitet und damit die Zinsen senkt,
d.h., das Geld billiger macht. Und der Staat, der mit
«deficit spending» die Nachfrage anregt, indem er
beispielsweise Strassen bauen und Gebäude
reparieren lässt und dabei ein höheres Defizit in Kauf
nimmt.
Seite 1
Wirtschaft 2
Wirtschaftstheorien
ABU
Technologie eine Erhöhung
Produktivität anzustreben.
Markus Bürkli
der
«Wir sind alle Keynesianer»
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die Theorien von
Keynes zu einem weltweiten Triumphzug an. «Wir
sind jetzt alle Keynesianer», lautet ein berühmt
gewordener Satz von Richard Nixon. Regierungen
jeder Farbe griffen zu nachfrageanregenden
Massnahmen, wenn die Wirtschaft stockte. Inflation
wurde dabei bewusst in Kauf genommen. «Fünf
Prozent Inflation sind mir lieber als fünf Prozent
Arbeitslosigkeit», soll Helmut Schmidt einmal gesagt
haben.
Aus verschiedenen Gründen gerieten die Ideen von
Keynes in den siebziger Jahren zunehmend in Verruf.
Einmal wurde die Inflation zu einem ernsthaften
Problem. In den USA beispielsweise überstieg sie die
10-Prozent-Hürde.
Der
häufige
Griff
zur
keynesianischen Medizin (Staatsverschuldung) hatte
auch den Staat massiv aufgebläht, die Staatsquote,
der
Anteil
der
Staatsausgaben
am
Bruttosozialprodukt, war drastisch angestiegen.
Schliesslich begannen die Menschen die künstlichen
Nachfrage-Ankurbelungen
des
Staates
als
Selbstverständlichkeit vorauszusetzen. Damit verloren
sie aber ihre Wirkung.
Die Folge davon war «Stagflation», das bedeutet
stagnierendes Wirtschaftswachstum mit hoher
Inflation und zunehmender «Sockelarbeitslosigkeit».
Wer hat nun recht? Diese Frage lässt sich nicht
absolut beantworten. In der zweiten Hälfte der
achtziger Jahre herrschte in der Schweiz ein
Bauboom.
Massenhaft
wurden
ungelernte
Arbeitskräfte ins Land geholt und damit eine Industrie
mit tiefer Wertschöpfung aufgebläht, es wurde also
durch eine verfehlte Einwanderungspolitik und
fehlenden
Wettbewerb
eine
strukturschwache
Branche herangezüchtet. Aus Angebotssicht ein
gravierender Fehler, der sich auch prompt rächte. Mit
dem Ende des Booms stiegen auch in der Schweiz
die Arbeitslosenzahlen sprunghaft an. Die hartnäckige
Rezession der neunziger Jahre hingegen führte zu
einer starken Schrumpfung der Bauindustrie. Ende
1996 war deshalb der Bundesrat mit Einwilligung des
Vororts
bereit,
ein
keynesianisches
Ankurbelungsprogramm zu bewilligen.
Weil weder Keynesianer noch Monetaristen die
absolute Wahrheit gepachtet haben, muss stets eine
Analyse der aktuellen Situation ergeben, welche
Massnahmen
richtig
sind.
Die
Keynesianer
verschwanden in den achtziger und neunziger Jahren
von der akademischen und der politischen Bühne.
Derzeit zeichnet sich ein Comeback ab, und das mit
guten Gründen.
Der Siegeszug der Monetaristen
Nun begann die Hochblüte der sogenannten
Monetaristen. Ökonomen wie Milton Friedman und
Robert Lucas beherrschten die akademische Szene
und hatten grossen Einfluss auf Politiker wie Ronald
Reagan und Margaret Thatcher. Im Gegensatz zu den
Keynesianern empfehlen sie Massnahmen, die auf
die Angebotsseite zielen. Konkret bedeutet dies für
die Nationalbank, dass sie ihre Politik nicht den
Konjunkturzyklen anzupassen hat, sondern mit sturen
Geldmengenzielen für eine stabile Währung sorgt.
Der aufgeblähte Staat soll mit Privatisierungen
zurückgebunden werden und seine Kosten in den
Griff bekommen. Dadurch können die Steuern für
Unternehmen gesenkt und die Rahmenbedingungen
verbessert werden. Die Unternehmen selbst
schliesslich müssen mit Restrukturierungen dafür
sorgen, dass ihre Produktivität steigt.
Nehmen
wir
das
Beispiel
der
Schweizer
Bauwirtschaft, um die beiden Ansätze nochmals
aufzuzeigen. Bei Anzeichen einer Rezession wird ein
Keynesianer folgende Ratschläge abgeben: Der
Nationalbank wird er empfehlen, die (Hypo-)Zinsen zu
senken und damit den Anreiz zum Bauen zu erhöhen.
Dem Staat wird er raten, baureife Projekte sofort
auszuführen und Reparaturen nicht auf die lange
Bank zu schieben. Ganz anders der Monetarist: Er
wird der Nationalbank raten, stur an ihren
Geldmengenzielen
festzuhalten,
um
keine
Inflationsgefahr aufkommen zu lassen. Dem Staat
wird er raten, Unternehmen steuerlich zu entlasten
und den Unternehmen wird er raten, mit neuer
582634355
Die letzten Jahrzehnte standen im Zeichen der
Monetaristen. Weltweit wurde privatisiert, dereguliert
und restrukturiert. Entstanden sind zunehmend
effiziente Volkswirtschaften, die ihr Heil im Export
suchen. Nur kann diese Rechnung auf die Dauer nicht
aufgehen. Bisher haben zwar die USA die Rolle des
«Konsumenten in letzter Instanz» gespielt und
Exporte aus Asien und Europa im grossen Stil
aufgesaugt. Doch das amerikanische Handelsdefizit
hat wieder bedrohliche Ausmasse angenommen,
weder wirtschaftlich noch politisch wird sich dieser
Trend aufrechterhalten können.
Das Comeback der Neo-Keynesianer
Bei den Ökonomen hat deshalb ein Umdenken
eingesetzt. Neuerdings attakiert beispielsweise die
«Financial Times» den Präsidenten der Europäischen
Zentralbank, Wim Duisenberg, weil er einen zu hartmonetaristischen Kurs fahren will.
Der Streit zwischen Monetaristen und Keynesianern
ist
oft
mehr
ein
Glaubenskrieg
als
ein
wissenschaftlicher
Streit.
Die
ideologische
Geräuschkulisse täuscht indes darüber hinweg, dass
in der Praxis die Unterschiede gar nicht so wichtig
sind. Die US-Nationalbank beispielsweise hat zwar in
den achtziger Jahren mit einer stark monetaristischen
Linie die Inflation bekämpft (zum Preis einer sehr
hohen Arbeitslosigkeit). Seit Beginn der neunziger
Jahre
hingegen
verzichtet
sie
auf
sture
Geldmengenziele und betreibt eine, keynesianische
Politik - mit sehr grossem Erfolg. Nicht der Glaube
Seite 2
Wirtschaft 2
Wirtschaftstheorien
macht selig. Ein keynesianisch-monetaristischer Mix
ist die beste Waffe im Kampf für die Erhaltung
582634355
ABU
Markus Bürkli
unseres Wohlstandes.
Seite 3
Herunterladen