Visionen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft

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Pressezentrum
Dokument 3346
Sperrfrist:
18.06.2004; 16:30 Uhr
Veranstaltung:
Visionen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft
Eigene Wege im globalen Wettbewerb
Referent/in:
Nickels MdB, Christa
Ort:
Messegelände Kleine Donauhalle, Böfinger Str. 50 (Ulm)
Programm Seite:
105
Agrarpolitik muss wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
im November 2003 wurde nach zweijähriger Arbeit die Erklärung des Zentralkomitees der
Deutschen Katholiken „Agrarpolitik muss wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden.
Plädoyer für eine nachhaltige Landwirtschaft“ mit großer Mehrheit verabschiedet. Der
Entstehungsprozess dieses Papiers war zugleich ein Selbstverständigungsprozess zwischen
den Akteuren und Verbandsvertretern im Zentralkomitee der Katholiken.
Mit Blick auf den Weltgipfel in Johannesburg und der kritischen Bilanz des "Rio+10Prozesses im Rücken hatte das Präsidium des Zentralkomitees am 12. Juni 2002
beschlossen, eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe im Sachbereich 8 "Umwelt und Technik"
einzurichten. Unter meinem Vorsitz sollten zwölf sachkundige Mitglieder Möglichkeiten einer
weiteren Behandlung der Nachhaltigkeitsthematik erarbeiten. Aus diesem ursprünglichen
Ziel wurde weit mehr, nämlich eine Erklärung, die exemplarisch am Beispiel „Landwirtschaft“
versucht, die Erfordernisse einer nachhaltigen Entwicklung zu verdeutlichen und ins
Bewusstsein zu rufen.
Der Weg war nicht einfach und viele Fragen waren zu Beginn des Prozesses noch offen:
Wie kann es gelingen, das Thema Nachhaltigkeit wieder ins Bewusstsein zu rufen, ohne sich
in theoretischen Erörterungen und gut gemeinten ethischen Sonntagsreden zu verlieren?
Wie kann es gelingen, an das vielfältige Engagement von Räten und Verbänden im
Zentralkomitee der deutschen Katholiken anzuknüpfen und einem JohannesburgNachfolgeprozess neuen Schwung zu geben? Angesichts derartiger Fragen waren wir uns in
der Arbeitsgruppe sehr schnell einig, dass das Thema „Landwirtschaft“ ein hervorragendes
Beispiel dafür ist, wie ein gesellschaftlicher Kernbereich nachhaltig umgestaltet werden
muss, um zukunftsfähig zu bleiben und ein gerechtes Zusammenleben der Menschen
weltweit zu ermöglichen.
Wir alle kennen die wirklich brennenden Fragen, die mit dem Thema Landwirtschaft eng
zusammenhängen: die regelmäßig wiederkehrenden Berichte aus dem südlichen Afrika, wo
Millionen von Menschen von Hunger bedroht werden; der mangelnde Zugang zu sauberem
Trinkwasser für Millionen von Menschen wie auch der Raubbau an lebenswichtigen
natürlichen Ressourcen, der die Existenz der Menschheit weltweit bedroht.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Viele Menschen sind aber angesichts dieser Flut von Katastrophenmeldungen wie gelähmt
und schauen deshalb lieber weg, als sich von ihrer Hilflosigkeit überwältigen zu lassen. Als
Christinnen und Christen sind wir deshalb ganz besonders dazu verpflichtet, diesem
Teufelskreis aus Hilflosigkeit und Ignoranz entgegen zu wirken und konkrete
Handlungsoptionen zur Verbesserung der Lebenssituation der Menschen weltweit zu
entwickeln.
Der Erklärung „Agrarpolitik muss wieder Teil der Gesellschaftspolitik werden“, versucht, im
Sinne der Nachhaltigkeit die Verantwortung für eine globale und generationenübergreifende
Gerechtigkeit zu umreißen, ohne die legitimen Belange der heimischen Bäuerinnen und
Bauern zu vernachlässigen.
Natürlich kann der Text kein Ratgeber sein, der gradlinig zur Lösung zu bewältigender
Probleme führen könnte. Aber es ist uns gelungen, wichtige Richtungsentscheidungen zu
treffen, Leitlinien aufzuzeigen und konkrete Handlungsimpulse zu geben.
Bevor ich Ihnen einige zentrale Gedanken der ZdK-Erklärung vorstelle, möchte ich eine, wie
ich meine, wichtige Grundentscheidung, die hinter den Aussagen der Erklärung steht,
erläutern. Ich will diese Grundentscheidung einmal so umschreiben: Gesellschaftliche
Probleme lassen sich nicht allein mit Blick auf naturwissenschaftliche Zahlen und Fakten
lösen. Allein der utilitaristische Blick auf positiven oder negativen Nutzen unseres Handelns
führt noch nicht zu einer dauerhaften Lösung. Vielmehr bedarf es Überlegungen, die auch
ethische Prinzipien wie Gerechtigkeit, Solidarität oder Nachhaltigkeit als Maßstab für ein
richtiges Urteil heranziehen. Nach Überzeugung des ZdK betrifft dies natürlich auch den
Bereich der Landwirtschaft, weshalb der Ausgangspunkt der gesamten Überlegungen zum
Thema Landwirtschaft das ethische Prinzip der Nachhaltigkeit war. Gemäß dieses Prinzips
gilt die Frage nicht allein dem größtmöglichen Nutzen. Entscheidend ist, so zu handeln, dass
alle heute weltweit lebenden und nachfolgenden Generationen dieselben Lebenschancen
vorfinden, wie wir sie haben.
Vor diesem Hintergrund formuliert die Erklärung des Zentralkomitees folgende Leitsätze:
1. These: Die Gestaltung einer nachhaltigen Landwirtschaftspolitik darf nicht als sektorales,
abgeschottetes Politikfeld begriffen werden, sondern muss als Querschnittaufgabe wieder
Teil der Gesellschaftspolitik werden. Dabei müssen wir die Erfahrungen der Landwirtinnen
und Landwirte in ganz besonderer Weise mit einbeziehen.
Landwirtschaftspolitik betrifft in existentieller Weise die langfristige Lebensqualität aller
Bürgerinnen und Bürger. Die Sicherung unserer Ernährung in einem Land mit über 80
Millionen Einwohnern ist ohne eine moderne und leistungsfähige Landwirtschaft nicht
denkbar.
Die Möglichkeiten zur Sicherung einer nachhaltigen Landwirtschaft sind jedoch unter den
derzeitigen Bedingungen gefährdet und es gibt seit längerem Symptome, die auf eine
existentielle Krise der Landwirtschaft hindeuten (Höfesterben, soziale Probleme,
Hofnachfolge, ökologische Probleme). Aus Sicht des ZdK ist es angesichts dieser
offensichtlichen Krise wichtig festzuhalten, dass eine zukunftsfähige Landwirtschaft nur
möglich ist, wenn verschiedene Politikfelder und unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen
kooperieren.
2. These: Das Engagement für eine nachhaltige Entwicklung findet nach Überzeugung des
ZdK im biblischen Schöpfungsglaube seine tiefste Begründung und seine größtmögliche
Motivation.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Im Anschluss an die von mir zu Beginn gemachten Äußerungen zur Bedeutung der
Nachhaltigkeit für die Erklärung hält das ZdK fest, dass der biblische Schöpfungsglaube
Wesentliches für eine Rückbesinnung auf die tragenden Grundwerte auch im Bereich der
Landwirtschaft beitragen kann. Danach beruht die Sonderstellung des Menschen als
Ebenbild Gottes (Gen 1,26) nicht auf einer Geringschätzung seiner kreatürlichen
Eingebundenheit, sondern auf seiner besonderen Verantwortung, die er als sittliches Subjekt
auch für alle seine Mitgeschöpfe übernehmen soll. Nach der Überzeugung des ZdK ist die
katholische Kirche heute auf den Weg der Nachhaltigkeit verwiesen, weil die Nachhaltigkeit
die ethischen Impulse des christlichen Schöpfungsglaubens in die Sprache gegenwärtiger
Gesellschaft, Politik und Wirtschaft übersetzt. Für das ZdK ist die Landwirtschaft ein
exemplarisches Handlungsfeld für die Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips und damit
zugleich der Schöpfungsverantwortung.
3. These: Der Gestaltung einer zukunftsfähigen Landwirtschaft kommt mit Blick auf die
Bekämpfung von Hunger und Armut eine Schlüsselrolle zu.
Der Gipfel der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im Jahre
2002 und die Erfahrungen aus dem Rio+10-Prozess haben deutlich gemacht, dass die
Bekämpfung von Hunger und Armut, sowie der vorsorgende Schutz der Natur zwei unlösbar
zusammenhängende und nur global zu bewältigende Aufgaben darstellen. Darum kommt der
Landwirtschaft bei der Bekämpfung von Hunger und Armut eine Schlüsselrolle zu. Nur wenn
es gelingt, eine verantwortliche gemeinsame Agrarpolitik auch über die Grenzen Europas
hinaus zu gestalten, werden die Menschen in den Ländern der südlichen Erdhalbkugel eine
Chance haben, dass sich ihre Lebensbedingungen nachhaltig verbessern. Die
Neuausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik in Europa ist dazu ein erster wichtiger Schritt,
der jedoch nach Überzeugung des ZdK noch nicht ausreicht.
4 These: Die Weiterentwicklung der Grünen Gentechnik muss sozial und ökologisch
verantwortbar sein, weshalb klare, gesellschaftlich vereinbarte Grenzen gesetzt werden
müssen.
Ursprünglich hatten wir nicht geplant, ein eigenes Kapitel zur Grünen Gentechnik ins Papier
aufzunehmen. Es hat sich aber gezeigt, dass ohne ein solches Kapitel keine Klarheit für das
Zentralkomitee in dieser entscheidenden Frage zu schaffen gewesen wäre.
Die Beurteilung des ZdK in Bezug auf die Chancen und Risken der Grünen Gentechnik ist
nicht allein abhängig von dem positiven oder negativen Nutzen dieser Technik. Vielmehr
müssen auch hier ethische Maßstäbe wie Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit herangezogen
werden. Darum hat sich das ZdK aus der Perspektive der Nachhaltigkeit gefragt, welche
Handlungskriterien im Umgang mit dieser Technik anzuwenden sind.
Wir fordern deshalb bei einer möglichen Anwendung der Gentechnik in Landwirtschaft und
Lebensmittelproduktion die Einhaltung wichtiger Grundsätze:
- Sicherheit: Der Schutz vor Auskreuzen muss gewährleistet werden. Gentechnik darf nur
angewandt werden, wenn ihre Ungefährlichkeit für Gesundheit und Umwelt (bestmöglich)
sichergestellt ist.
- Vorsorge: Dazu gehören u. a. Vorsorgemaßnahmen gegen die Ausweitung der AntibiotikaResistenz und die Kontrolle importierter Lebensmittel durch ein risikoorientiertes
Überwachungskonzept. In jedem Einzelfall ist zu prüfen, welche Sicherheitsvorkehrungen
nötig sind. Ob alternative Techniken besser greifen und weniger Probleme verursachen,
muss vor jedem Einsatz der Grünen Gentechnik nach Ziel-, Folgen- und Alternativbewertung
geklärt werden.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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- Haftung: Landwirte müssen selbst entscheiden können, ob sie mit oder ohne Gentechnik
wirtschaften wollen. Eine strikte Trennung von gentechnisch veränderten und
gentechnikfreien Anbauweisen, Verarbeitungs- und Vermarktungsprozessen ist daher
unabdingbar. Die Kosten dafür dürfen nicht den konventionell oder ökologisch
produzierenden Landwirten auferlegt werden, die GVO-frei wirtschaften wollen. Im
Haftungsrecht ist strikt das Verursacherprinzip bei den Nutzern von GVO anzuwenden. Die
Beweislast liegt bei den Nutzern von gentechnisch veränderten Organismen.
- Kontrolle: Die wissenschaftlichen Grundlagen für ein Monitoring müssen erarbeitet und ein
Kataster angelegt werden.
- Transparenz und Wahlfreiheit: Menschen müssen frei entscheiden können, sich so zu
ernähren, wie sie es für gesund, ökologisch und ethisch unbedenklich halten. Deshalb ist
eine klare und umfassende Kennzeichnung für alle gentechnisch veränderten Lebensmittel
und deren Bestandteile unerlässlich.
Die Weiterentwicklung der Gentechnik muss sozial und ökologisch verantwortbar sein.
Deshalb müssen klare, gesellschaftlich vereinbarte Grenzen gesetzt werden.
Menschenwürde, Ethik, Freiheit der Wahl und Entscheidung sowie der Schutz des
Naturerbes für kommende Generationen sind dabei prioritär. Denn im Sinne der Wahrung
menschlicher Gesundheit, ökologischer Stabilität und einer Autonomie natürlicher
Zusammenhänge muss der Weg der technischen Umgestaltung natürlicher Systeme
kontrollierbar bleiben, damit er die Schwelle zur ökologischen Zerstörung nicht überschreitet.
5. These: Als Besitzer umfangreicher landwirtschaftlicher Nutzflächen sollten die Kirchen
diese Flächen nur solchen landwirtschaftlichen Betrieben zur Verfügung stellen, die gemäß
dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung wirtschaften.
Dazu zählt auch, dass das ZdK aufgrund vieler ungeklärter Fragen bei der Anwendung der
Grünen Gentechnik in der Landwirtschaft den Eigentümern kirchlicher landwirtschaftlicher
Nutzflächen empfiehlt, den Anbau von gentechnisch manipuliertem Saatgut zu untersagen.
6. These: Die Änderung unseres eigenen Lebensstils schafft Handlungsspielräume für die
politische und gesellschaftliche Entwicklung hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und
damit zu einer gerechteren Welt.
Die Nagelprobe für unsere Glaubwürdigkeit als Christen und Kirchen wird sein, dass wir
selbst mit gutem Beispiel auch im Bereich der Nachhaltigkeit voran gehen. Kirchen müssen
helfen, die Herausforderungen unseres Glaubens konkret im Alltag lebbar zu machen.
Im Bereich von Landwirtschaft und Verbraucherverhalten bieten sich unzählige
Möglichkeiten dafür an. So kann in den Kantinen kirchlicher Einrichtungen durch
konsequente Nutzung fair gehandelter und regionaler Produkte ein Zeichen gesetzt werden.
Bildungseinrichtungen, Verbände und Organisiationen sind aufgefordert, zur Förderung des
Umweltbewusstseins beizutragen und einen ökologisch vertretbaren und sozial gerechten
Lebensstil zu unterstützen.
So wurden beispielsweise im Münsterland, unterstützt von der Katholischen
Landfrauenbewegung, Richtlinien für eine umweltverträgliche Produktion von
Speisekartoffeln entwickelt. Seit vier Jahren wird die sogenannte MünsterLandknolle nach
diesen Vorgaben angebaut und von den Erzeugern direkt ab Hof vermarktet.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Meine Damen und Herren,
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir uns als Verbrauchinnen und Verbraucher
wieder eine neue Haltung im Umgang mit unserem täglichen Brot und damit auch einen
neuen Lebensstil aneignen. Denn letztlich steuern wir durch unser eigenes Kaufverhalten
einen Großteil der Entwicklung unserer und der weltweiten Landwirtschaft. Darum ist eine
angemessene Wertschätzung von Lebensmitteln eine notwendige Bedingung für eine
nachhaltige Landwirtschaft.
Als Christinnen und Christen müssen wir bereit sein, exemplarisch Alternativen zu den
konsumfixierten Lebensstilen der letzten Jahrzehnte vorzuleben.
Nach Rio sind eine Vielzahl von ermutigenden Initiativen Pfarrgemeinden und Verbänden
ergriffen worden. An diese Erfahrungen gilt es anzuknüpfen, sie zu intensivieren und planvoll
voranzutreiben, um aus einem „Rio+10-„ einen “Johannesburg+10-Prozess zu machen – für
eine nachhaltige Landwirtschaft.
Ich danke Ihnen.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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