UmwR_WiSe_2016_Grundlagen_gesamt_16-11-04

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RiBVerwG Helmut Petz
Wintersemester 2015/16
UMWELTRECHT
Pflichtveranstaltung im Schwerpunktbereich 8
A.
GRUNDLAGEN DES UMWELTRECHTS
I.
Einführung: Probleme des Umweltschutzes und Umweltpolitik
Mensch lebt in und von der Umwelt => ist auf Umweltressourcen existenziell
angewiesen (Essen, Trinken, Wohnen; Mobilität etc.)
=> Schutz der Umweltgüter = "Schicksalsfrage der Menschheit" (Breuer, 1981)
 Umweltprobleme:
kein neues Phänomen (Meteoriteneinschläge; Vulkanausbrüche; Eiszeiten); aber
neue Qualität

zunehmend anthropogene Umweltveränderungen (Umweltverschmutzung;
Umwelt- und Flächenverbrauch; Treibhausgase)

nicht mehr nur singuläre, lokal begrenzte Störfälle (Seveso; Ölpest),
sondern globale Umweltschäden (z.B. Ozonschicht; Klimawandel);
Akteure und Wirkungen überschreiten nationalstaatlichen Aktionsrahmen;
nicht Störfall, sondern „Normalbetrieb“ erzeugt Umweltprobleme

nicht mehr nur Beeinträchtigung einzelner Umweltmedien, sondern
medienübergreifende Beeinträchtigungen und Veränderungen (Klimawandel
-> Veränderungen der Vegetation -> Bodenerosion -> Versteppung)

komplexe Wirkungsgefüge (Studie „Global 2000“)
=> einerseits Abmilderung der Wirkungen schädigender Ereignisse durch
kompensatorische Kapazitäten der Natur,
=> andererseits kaum kalkulierbarer "Point of No Return"
=> Moderner Umweltschutz: Übergang von punktueller Schadensabwehr zur
integralen Umweltvorsorge und -pflege
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2
 Umweltschutz und Umweltpolitik:
Begriffe „Umweltschutz“ und „Umweltpolitik“ vor 1970 nicht etabliert
Trend ging sogar in die entgegengesetzte Richtung: Umweltverbrauch als
Geschäftsmodell (z.B. Mineralölkonzerne)
erst langsam einsetzender Erkenntnisprozess, dass Umweltressourcen und
natürliche Lebensgrundlagen nicht unbegrenzt
=> Sorge um natürliche Lebensgrundlagen als politisches Problem
1971: Umweltprogramm BReg.
Def. Umweltpolitik:= Gesamtheit aller Maßnahmen, die notwendig sind,

um dem Menschen eine Umwelt zu sichern, die er für seine Gesundheit und ein
menschenwürdiges Dasein braucht

um Boden, Luft und Wasser, Pflanzen- und Tierwelt vor nachteiligen
Wirkungen menschlicher Eingriffe zu schützen und

um Schäden oder Nachteile aus menschlichen Eingriffen zu beseitigen
 Bestandsaufnahme:

einerseits wichtige Erfolge (z.B. emissionsarme Autos und Flugzeuge;
hervorragende Filteranlagen; Verzicht auf FCKW; "Energiewende")

andererseits werden Erfolge durch vermehrte Inanspruchnahme von
Umweltgütern (z.B. Steigerung von Produktion, Konsum und Verkehr;
Wohlstandsteilhabe weiter Teile der Erdbevölkerung) häufig wieder zunichte
gemacht
 aktuelle Herausforderungen:

Internationalisierung und Globalisierung des Umweltschutzes (z.B. bei CO2Ausstoß und Klimaschutz) als Reaktion auf Globalisierung der Akteure und
beeinträchtigende Wirkungen
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3

II.
Umweltschutz als Querschnittsaufgabe: Umweltbeeinträchtigungen berühren
nahezu alle Lebensbereiche => Verankerung des Umweltschutzes in allen
relevanten Lebensbereichen (z.B. Verkehr, Industrie, Bauen; Energieerzeugung;
Landwirtschaft)
Begriff, Ziel und Struktur des Umweltrechts
Rechtsstaat => staatlicher Umweltschutz verwirklicht sich im Recht
umweltrechtliche Zielvorgaben sind in den einzelnen Umweltgesetzen geregelt;
wegen der Heterogenität der Regelungsmaterien lässt sich bei der Zwecksetzung des
UmwR nur ein sehr allgemeiner gemeinsamer Nennen finden; siehe z.B. § 1 UGB-E1
§ 1 Zweck des Gesetzbuches
(1) Zweck des Gesetzbuches ist der Schutz der Umwelt und des Menschen, seiner
Gesundheit und seines Wohlbefindens.
(2) Der Schutz der Umwelt dient der vorsorgenden und dauerhaften Sicherung der
natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere
1. der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der biologischen
Vielfalt und
2. der Nutzbarkeit der natürlichen Ressourcen.
überdies: Umweltschutz als rechtliche Querschnittsaufgabe
=> Regelungen nahezu über die gesamte Rechtsordnung verteilt:
 Einteilung des Umweltrechts

öffentliches Umweltrecht <siehe sogleich>

Umweltprivatrecht (z.B. §§ 906, 1004 BGB, Umwelthaftungsrecht)

Umweltstrafrecht (z.B. §§ 324 bis 330 d StGB)
 Einteilung des öffentlichen Umweltrechts

nach Steuerungsinstrumenten, z.B.
1
Referenten-Entwurf zur Schaffung eines Umweltgesetzbuchs - nicht Gesetz geworden; zu seinem Scheitern z.B.
Jarass, ZfU 2006, 1 <6 ff.>.
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4
o
Umweltordnungsrecht: Recht der Abwehr von Gefahren und der
Vorsorge gegen Risiken im Umweltbereich (historische Wurzeln des
Umweltrechts; auch jetzt noch in bestimmten Bereichen <z.B.
ImmissionsschutzR> dominierend)
o
Umweltplanungsrecht: Bewältigung komplexer Umweltprobleme durch
oder im Rahmen von Planung (z.B. Luftreinhaltepläne, § 47 BImSchG;
Lärmminderungspläne, §§ 47a ff. BImSchG; Landschaftsplanung, §§ 8 ff.
BNatSchG; aber auch umweltbeeinträchtigende Planungen <z.B. Straßen;
Flughäfen>)
o
flankierende Instrumente wie insb. umweltrechtliche Prüfpflichten
(Umweltverträglichkeitsprüfung <UVP>; SUP) und Beteiligungsverfahren

nach Regelungsgegenständen:
o
Umweltrecht i.e.S.:

allgemeines Umweltrecht: Umwelt-Verwaltungsverfahrensrecht (vgl.
hierzu den allgemeinen Teil des – gescheiterten – UGB) und sonstige
allgemeine Regelungen (z.B. UIG, UVPG, UStatG, UmwRG)

besonderes Umweltrecht: umweltspezifisches materielles Recht;
dient ausschließlich oder hauptsächlich dem Schutz bestimmter
Umweltmedien (z.B. Immissionsschutz-, Naturschutz-,
Wasserschutz-, Bodenschutz-, Kreislaufwirtschafts-, Atom-,
Gentechnikrecht)
o Umweltrecht i.w.S.: problembezogene Querschnittsregelungen; über die
gesamte Rechtsordnung verteilt; insbesondere in Gesetzen, die zwar nicht
in erster Linie dem Umweltschutz dienen, aber in hohem Maße
umweltrelevant sind (z.B. § 9 ROG; § 1a, § 2 Abs. 4 BauGB; FluglärmG)
III.
Verfassungsrechtliche Grundlagen des Umweltrechts
1.
Überblick
Ertrag des Verfassungsrechts für den Umweltschutz vergleichsweise gering
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5
bis zur Schaffung der Staatszielbestimmung Umweltschutz: keine spezifischen
Umweltschutzpostulate im GG; lassen sich auch nicht aus dem Rechtsstaatsprinzip
(einschließlich Grundrechte), dem Demokratieprinzip oder dem Sozialstaatsprinzip
ableiten
 Rechtsstaats- und Demokratieprinzip enthalten Rechtfertigungsanforderungen
für grundrechtsgebundenes staatliches Handeln: Freiheitsbeschränkungen formell
(Vorbehalt des Gesetzes; Kompetenzen) und materiell (Grundrechte)
rechtfertigungsbedürftig => freiheitssichernde Wirkung gegenüber dem Staat
 darüber hinaus gewährleistet Verfassung Handlungsrahmen für
Freiheitsentfaltung in der freien Gesellschaft
=> Instrumente des privaten Interessenausgleichs (z.B. Vertragsfreiheit;
Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit)
=> gesetzliche Schädigungsverbote (z.B. im Strafrecht) und
Sekundäransprüche (z.B. im Deliktsrecht nach §§ 823 ff., 1004 BGB)
Konsequenzen für den Umweltschutz:
 Umweltbeeinträchtigungen in erster Linie durch Verhalten Privater (z.B. Produktion
und Verkehr; Wohnen)
=> freiheitssichernde Wirkung gegenüber dem Staat trifft nicht den Kern der
Umweltprobleme
 Umweltgüter nur teilweise privat zugeordnet
=> Instrumente des gesellschaftlichen Binnenausgleichs im Rahmen der
Privatautonomie nur eingeschränkt wirksam;
=> umso wichtiger sind die Kommunikationsgrundrechte für das Ziel, etwa im
Rahmen von Umweltverbänden gemeinsame (Umwelt-) Interessen durchzusetzen
(EuGH: Bürger als „Anwalt der Umwelt; BVerwG: Umweltverbände als
„Verwaltungshelfer“ im Bereich der Umwelt)
2.
Grundrechte
"materieller Dreh- und Angelpunkt des freiheitlichen Rechtsstaats"
a)
Eingriffsabwehr ("Status negativus")
Abwehr von Umweltbelastungen
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 Umweltbeeinträchtigungen unmittelbar durch den Staat (z.B. Straßenbau oder
öffentliche Einrichtungen wie Müllverbrennungsanlagen):
=> Eingriffsabwehr
Probleme:

subjektiver Individualrechtsschutz: Rechtsbeeinträchtigung erforderlich

Relevanzschwelle: Rechtsbeeinträchtigung im Sinne einer unzumutbaren
individuellen Betroffenheit (z.B. durch Lärmbeeinträchtigungen) muss
nachgewiesen werden
 private Umweltbelastungen (z.B. durch emittierende Anlagen) unter staatlicher
Mitwirkung (z.B. auf der Grundlage staatlicher Genehmigungen)
Probleme:

Zurechenbarkeit: nur bei Fehlverhalten des Staates (grundlegend BVerfGE
53, 30 <59> Mühlheim-Kärlich)

wenn Genehmigung gesetzmäßig: grundsätzlich kein Abwehrrecht

wenn Genehmigung gesetzeswidrig: Abwehrrecht des Bürgers;
aber:
=> auch hier nur subjektiver Individualrechtsschutz
=> auch hier Relevanzschwellen
 private Umweltbelastungen ohne staatliche Mitwirkung
Probleme:
b)

keine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte

grundsätzlich nur zivilrechtlich abwehrbar; aber:
=> auch hier nur subjektiver Individualrechtsschutz
=> auch hier Relevanzschwellen
Objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte/staatliche Schutzpflichten
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Grundrechte sind nicht nur subjektive Abwehrrechte, sondern auch objektiv-rechtliche
Wertentscheidungen der Verfassung (vgl. z.B. Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht
II, Rn. 76) => staatliche Schutzpflichten
Probleme:
Verletzung nur, "wenn staatliche Organe gänzlich untätig geblieben oder die
getroffenen Maßnahmen evident unzureichend sind" (BVerfGE 79, 174 <201 f.>);
weiter Bewertungs- und Handlungsspielraum des Staates
=> nur wenige Konstellationen im Umweltbereich, in denen sich objektiven
Schutzpflichten zu subjektivem Anspruch auf staatliches Handeln verdichten
3.
Rechtsstaatsprinzip
Probleme:
4.

Vorbehalt des Gesetzes: erschwert rasche Reaktion auf Umweltprobleme

Kompetenzen: ursprünglich im Umweltrecht stark zersplittert; seit
Föderalismusreform I Konzentration der Gesetzgebung beim Bund <s.u.>

Vertrauensschutz: Rückwirkungsverbot etc.
Demokratieprinzip <siehe Vorbehalt des Gesetzes>
Zwischenergebnis:

Abwehr staatlicher Umweltbeeinträchtigungen: nicht Problemschwerpunkt

Einforderung umweltschützender Aktivitäten des Staates
ostaatliche Schutzpflichten verschaffen dem Bürger in der Regel keine
subjektive Rechtsposition
oumgekehrt freiheitssicherndes Instrumentarium zur Abwehr
umweltschützender Aktivitäten des Staates

verfassungsunmittelbares Korrektiv, etwa im Sinne einer Pflicht zum
"verantwortlichen (d.h. in unserem Zusammenhang: umweltschonenden)
Freiheitsgebrauch" ist unserem Verfassungsverständnis grundsätzlich fremd
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5.
Staatszielbestimmung Umweltschutz, Art. 20a GG
Gesetz vom 27.10.1994 (BGBl. I S. 3146); in Kraft getreten am 15.11.1994
 Rechtsnatur: objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung
 kein subjektiv-öffentliches Recht des Bürgers
 kein absoluter Vorrang des Umweltschutzes
 Schutzgut: natürliche Lebensgrundlagen (deshalb ist die Bezeichnung "Staatsziel
Umweltschutz" nicht ganz präzise) und Tierwelt
 auch menschlich gestaltete Umwelt ("Kulturlandschaft")
 anthropozentrische Konzeption (allerdings nicht im Sinne einer schlichten
menschlichen Nutzenkalkulation)
 Konzeption der Nachhaltigkeit ("… auch in Verantwortung für die künftigen
Generationen …")
 Relevanz:
 Rechtfertigung für umweltschützende Aktivitäten des Gesetzgebers
(insbesondere im Bereich vorbehaltslos gewährleisteter Grundrechte)
 Direktive für Verwaltung (etwa bei der Ermessensbetätigung) und
Rechtsprechung (etwa bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe)
6.
Föderale Kompetenzordnung
a)
Umweltgesetzgebung: Föderalismusreform I
zwar nicht Einführung eines einheitlichen Kompetenztitels "Recht der Umwelt"; aber
deutliche Konzentration der Kompetenzen beim Bund (alle Kernkompetenzen im
Bereich des Umweltschutzes in der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, zumeist
als konkurrierende Kompetenz); Erforderlichkeitsklausel im Umweltrecht überwiegend
nicht mehr anwendbar, Art. 72 Abs. 2 GG; Abweichungsgesetzgebung der Länder
bei der bisherigen Rahmengesetzgebungskompetenz ("kompetitiver Föderalismus")
Überblick über Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Umweltrechts:
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 ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes: v.a. Luftverkehrsrecht,
Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG; Atomrecht, Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG
 konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes:


wichtigste Materien:
o
Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG: Recht der Wirtschaft (z.B. EnWG)
o
Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG: Bodenrecht (BauGB)
o
Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG: Lebensmittel- und Tierschutzrecht
o
Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG: Recht der Wasserstraßen
o
Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG: Straßenverkehrsrecht
o
Art. 74 Abs. 1 Nr. 23 GG: Recht der Schienenbahnen
o
Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG: Recht der Abfallbeseitigung,
Luftverschmutzung und Lärmbekämpfung (KrWG; BImSchG)
o
Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG: Recht des Naturschutzes und der
Landschaftspflege (BNatSchG)
o
Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG: Raumordnungsrecht (ROG)
o
Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG: Wasserhaushaltsrecht (WHG)
drei Grundvarianten:
o
Kernkompetenz des Bundes: Gesetzgebungskompetenz ohne
Erforderlichkeitsschranke und ohne Abweichungskompetenz der Länder
(z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 <Bodenrecht> und Nr. 24 GG <BImSchR>)
o
Erforderlichkeitskompetenz des Bundes: Gesetzgebungskompetenz mit
Erforderlichkeitsschranke (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, 20, 22 GG)
o
Abweichungskompetenz der Länder:
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
konkurrierende Gesetzgebung des Bundes ohne
Erforderlichkeitsschranke, aber mit begrenzter
Abweichungskompetenz der Länder (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG:
abweichende Regelungen über Naturschutz ohne allgemeine
Grundsätze; z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 32 GG: abweichende Regelungen
über den Wasserhaushalt ohne stoff- oder anlagenbezogene
Regelungen;
Abgrenzungsprobleme (strittig ist z.B., ob die naturschutzrechtliche
Eingriffsregelung zu den Grundsätzen des NatSchR gehört)

konkurrierende Gesetzgebung des Bundes ohne
Erforderlichkeitsschranke, aber mit unbegrenzter
Abweichungskompetenz der Länder (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG)
b)

(ausschließliche) Gesetzgebungskompetenz der Länder: im Wesentlichen nur
noch bei verhaltensbezogenem Lärm (siehe Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG), im
Fischereirecht sowie im - subsidiär anzuwendenden - Polizeirecht

Übergangsvorschrift des Art. 125b GG (insb. Abs. 1 Satz 2)
Umweltverwaltung
Vollzugszuständigkeit der Länder in nahezu sämtlichen Bereichen des UmwR:

Vollzug der Landesgesetze und nicht gesetzesakzessorischer
Verwaltungsvollzug, Art. 30 GG: z.B. BayImSchG

Vollzug der Bundesgesetze als eigene Angelegenheiten der Länder
(Landeseigenverwaltung, Art. 83, 84 GG); Bund kann Behördeneinrichtung und
Verwaltungsverfahren regeln oder selbst Verwaltungsvorschriften erlassen, Art. 84
Abs. 1 und 2 GG (ohne Zustimmung Bundesrat); dafür Abweichungskompetenz der
Länder; Umweltverfahrensrecht fällt unter Art. 84 Abs. 1 Satz 5 und 6 GG und ist
deshalb abweichungsfest

Vollzug der Bundesgesetze im Auftrag des Bundes (Bundesauftragsverwaltung,
Art. 85 GG): z.B. Kernenergieverwaltung, Art. 87c GG
Bundeseigene Verwaltung: im Wesentlichen nur Verwaltung der
Bundeswasserstraßen, Art. 87 Abs. 1 Satz 1, Art. 89 GG
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IV.
Unionsrechtliche Bezüge des Umweltrechts
Entwicklung des UmwR: von Beginn an unter dem Einfluss des UnionsR
=> wesentlicher Motor für Entwicklung des deutschen Umweltrechts
=> deutscher Gesetzgeber heute in vielen Bereichen "Umsetzungsgesetzgeber" (z.B.
Aarhus-Konvention; UVP-RL; Vogelschutz-RL; FFH-RL; Seveso-II-RL; IE-RL; WR-RL)
Kompetenzgrundlage des unionsrechtlichen UmwR: Art. 192 i.V.m. 191 AEUV
Verhältnis von unionsrechtlichem und nationalem Umweltrecht

Anwendungsvorrang des UmwR der Union (≠ Geltungsvorrang):
Entgegenstehendes nationales Recht verliert nicht seine Geltung, darf aber im
Einzelfall nicht angewendet werden (gilt für alle Handlungsformen <VO und RL>)

Umsetzungserfordernis (gilt nur für RL, Art. 288 Abs. 3 AEUV): RL hinsichtlich des
zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die
Wahl der Form und der Mittel
=> Einpassung der umzusetzenden unionsrechtlichen Regelung in das
mitgliedstaatliche Rechtssystem
Konsequenzen bei (normativen) Umsetzungsdefiziten (z.B. Seveso-II-RL):
 RL-konforme Auslegung des nationalen Rechts (zur Vermeidung eines
Umsetzungsdefizits) durch nationale Gerichte:
Sofern Auslegungsspielräume existieren, ist diejenige Auslegung des
nationalen Rechts zu wählen, die mit Regelungen und Zielsetzungen der RL
vereinbar
(z.B. Seveso-II-RL: Bundesgesetzgeber hat das in der RL enthaltene Gebot,
dem Erfordernis, dass zwischen Störfallbetrieben und störempfindlichen
öffentlichen Bereichen langfristig Rechnung getragen wird, nur als
Planungsvorgabe, nicht hingegen auch als Vorgabe für die
Genehmigungsentscheidung verstanden und deshalb nur in § 50 BImSchG,
nicht aber auch in § 34 BauGB umgesetzt; der EuGH hat dieses Verständnis als
unionsrechtswidrig beanstandet; BVerwG (U. v. 20.12.2012 – BVerwG
4 C 11.11 – BVerwGE 145, 290) hat § 34 BauGB dahin ausgelegt, dass dem
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unionsrechtlichen Abstandserfordernis im Rahmen des in § 34 BauGB
enthaltenen Rücksichtnahmegebots Rechnung zu tragen ist)
 Unmittelbare Wirkung der RL (EuGH): Voraussetzungen (vgl. z.B. Koch,
UmwR, 4. Aufl. 2014, § 2 Rn. 85 ff.):

RL auf Gewährung subjektiver Rechte gerichtet

Umsetzungsfrist abgelaufen

Umsetzung defizitär (keine/nicht ordnungsgemäße Umsetzung)

Regelung hinreichend bestimmt, vorbehaltlos und unbedingt
=> unmittelbare vertikale Wirkung (zugunsten des Bürgers im Verhältnis zum
Staat, z.B. im Bereich des Gesundheitsschutzes)
=> keine unmittelbare horizontale Wirkung
 Staatshaftung (für legislatives Unrecht; EuGH, Slg. 1991 I-5357 Rn. 33 ff.
<Francovich>); Voraussetzungen:

RL auf Gewährung subjektiver Rechte gerichtet

Regelung hinreichend bestimmt, vorbehaltlos und unbedingt

RL vom Mitgliedstaat verletzt

ein durch die RL Begünstigter hat Schaden erlitten

Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden
 Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV): Einleitung durch Kommission;
Gelegenheit zur Stellungnahme; Entscheidung EuGH;
wenn Umsetzungsdefizit festgestellt
=> Pauschalbetrag/Zwangsgeld (Art. 260 Abs. 2 und 3 AEUV)
V.
Grundprinzipien des Umweltrechts
1.
Überblick
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das nationale Recht strebt die Verwirklichung der generellen umweltrechtlichen
Zwecksetzung auf der Grundlage drei umweltrechtlicher Grundprinzipien an
Grundprinzipien des Umweltrechts:
herkömmliche Prinzipientrias:
 Vorsorgeprinzip: Primärziel, Belastungen und Gefahren für die Umwelt
bereits im Vorfeld zu vermeiden
 Verursacherprinzip: determiniert als Sekundärziel die Verantwortlichkeiten für
Umweltbeeinträchtigungen (Adressaten von Umweltschutzmaßnahmen;
finanzielle Lastenverteilung; mittelbar auch Präventivfunktion)
 Kooperationsprinzip: bestimmte Art und Weise der Organisation des
Umweltschutzrechts (organisatorische und instrumentelle Umsetzung)
auf unterschiedlichen Aktionsebenen (Völkerrecht; Unionsrecht; nationales Recht)
herausgebildet

nationalrechtliche Ebene:
politischer Ursprung (z.B. Umweltprogramm BReg von 1971 sowie Fortschreibung
im Umweltbericht BReg von 1976);
nach und nach verrechtlicht (erstmals im Staatsvertrag über die Schaffung einer
Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, Art. 16; Fortschreibung im
Einigungsvertrag, Art. 34 EV);
=> Rechtsverbindlichkeit nur dort, wo Geltung ausdrücklich gesetzlich
normiert; auf verschiedenen Ebenen zum Teil divergierende Inhalte

unionsrechtliche Ebene (Art. 191 Abs. 2 AEUV):
 hohes Schutzniveau
 Prinzip der Vorsorge und Vorbeugung
 Ursprungsprinzip: Beeinträchtigungen vorrangig am Ursprung bekämpfen
 Verursacherprinzip
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
angereichert durch weitere Prinzipien, die sich auf internationaler und
unionsrechtlicher Ebene durchgesetzt (insb. sog. Querschnittsklausel des Art. 11
AEUV) und Einzug in die nationalen Umweltschutzgesetze gefunden haben
 Integrationsprinzip: Schutzauftrag für die Umwelt in ihrer Gesamtheit
 Nachhaltigkeitsprinzip (vgl. Schmidt/Kahl, Umweltrecht, 2006, § 1 Rn. 22;
Klöpfer, Umweltschutzrecht, 2008, § 3 Rn 13)
Rechtsnatur und Rechtswirkungen:
Unionsrecht:
Auslegungsdirektive für unionsrechtliche Umwelt-RL, in denen die Unionsebene
dem nationalen Gesetzgeber detaillierte inhaltliche Vorgaben für eine
prinzipiengeleitete Ausgestaltung des nationalen Rechts machen kann
nationales Recht:
einheitliche Regelung fehlt
=> bereichsspezifische Ausprägungen mit unterschiedlichem Regelungsinhalt
=> Generalisierung aus den Vorschriften des besonderen UmwR
 interpretationsleitende Funktion (z.B. Norm mit Vorsorgecharakter => keine
subjektive Rechtsposition; Auslegung von RL der EU)
 Ausfüllung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen
2.
Schutzprinzip
wichtigstes „vor“-umweltrechtliches Grundprinzip (im UGB-E ausdrücklich genannt)
Bsp. Schweinemastbetrieb ohne (Vorsorgeprinzip) und mit Nachbarn (Schutzprinzip)

Ursprung: liberaler Rechtsstaat (Polizeirecht; Gewerberecht)

Zweck: Gefahrenabwehr

Inhalt: Schutz vor konkreten Umweltgefahren
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=> greift nicht erst, wenn Umwelt bereits geschädigt, sondern bereits dann, wenn
Schädigung konkret droht;
=> Anknüpfung an polizeirechtlichen Gefahrenbegriff:= Sachlage, die bei
ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem
Schaden an Rechtsgütern führen würde; Anforderungen an Wahrscheinlichkeit
umso niedriger, je bedeutender die betroffenen Umweltgüter und je größer das
Ausmaß der erwarteten Schädigung sind;
Konkretisierung in technischen Regelwerken (BImSchV; TA Lärm, TA Luft)

Rechtsnatur und Rechtswirkungen
zwingendes Recht
drittschützende Wirkung, soweit sich Bürger auf subjektive Rechtspositionen
wie Recht auf Gesundheit und Leben <Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG> oder Eigentum
<Art. 14 GG> berufen kann; insoweit auch Klagebefugnis des Betroffenen

Einfachrechtliche Verankerung
generelle Regelung fehlt; bereichsspezifische Ausprägung
 als gesetzliche Zielbestimmung, z.B. § 1 BImSchG
 als Betreiberpflicht, z.B. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG
3.
Vorsorgeprinzip

Zweck und Inhalt
wichtigstes Prinzip des modernen Umweltrechts;
Inhalt am besten in der Abgrenzung zum Schutzprinzip zu verstehen: von bloß
reaktiver Gefahrenabwehr und Schadensbeseitigung zum präventiven und
planenden Umweltschutz
im Wesentlichen zwei Varianten:
 Risiko- und Gefahrenvorsorge (sicherheitsrechtlicher Aspekt)
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Vorsorge schon im Vorfeld der polizeirechtlichen Gefahrenschwelle
o
o
auch entferntere Risiken

zeitlich (“zukünftige Generationen“; Bsp. Klimaschutz)

räumlich (z.B. Ferntransporte von Schadstoffen)
auch Fälle mit geringerer Eintrittwahrscheinlichkeit: Schwelle für
Vorsorge ist bereits erreicht, wenn fachliche Anhaltspunkte für schädliche
Wirkung bestehen (z.B. Mobilfunk); bloßes Besorgnispotential reicht
demgegenüber nicht aus (kein Null-Risiko-Prinzip)
o
auch Umweltbelastungen, die erst im Zusammenwirken mit anderen
Belastungen schädlich werden können (kumulative Kausalität)
o
gegebenenfalls auch Schutz empfindlicher Bevölkerungsgruppen
Vorsorgemaßnahmen:
o
technische Vorkehrungen zur Emissionsvermeidung/-minderung
(Gebot der Belastungsminimierung, z.B. nach Stand der Technik, § 5
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG); Grenzen: Verhältnismäßigkeit
o
technische und/oder organisatorische Vorkehrungen für Fall einer
Verwirklichung eines Risikos (z.B. Abstandserfordernisse und
Evakuierungspläne im Störfallrecht:
 Ressourcenvorsorge
bewirtschaftungsrechtlicher Aspekt; Umweltvorsorge im Sinne einer
zukunftsverträglichen Ressourcenbewirtschaftung; Ziel, für zukünftige
Nutzungen Freiräume zu erhalten (s. auch Nachhaltigkeitsprinzip)

Dogmatische Herleitung
"Handeln im Ungewissen" (sog. Ignoranztheorie, vgl. Erbguth/Schlacke,
Umweltrecht 2005, § 3 Rn. 4); behördliche Risikoentscheidungen erfordern gewisse
Sicherheitszone vor der Gefahrenschwelle
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
Rechtsnatur und Rechtswirkungen
allgemeine Gesetzesgrundlage für Vorsorgeprinzip fehlt; derzeit (wohl) allein durch
Fachgesetze getragen (vgl. aber § 1 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 UGB-RefE)
nur objektiv-rechtliches Prinzip (str.; unionsrechtlich zweifelhaft); keine
drittschützende Wirkung (keine subjektive Rechtsposition des Bürgers, aufgrund
derer er verlangen könnte, dass Umweltvorsorge jenseits des Schutzprinzips
betrieben wird) => keine Klagebefugnis

Einfachrechtliche Verankerung
 Vorsorge als allgemeiner Gesetzeszweck: z.B. § 1 BImSchG, § 1a WHG
 Verpflichtung zur Minimierung denkbarer Schadensrisiken durch
Beachtung der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik möglichen
Vorsorgemaßnahmen: z.B. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, § 7a WHG
 Verschlechterungsverbot: insb. § 13 Satz 1 BNatSchG
 Vorsorge als Planungsdirektive: § 1 Abs. 5, Abs. 6 Nr. 7, § 1a BauGB
4.
Verursacherprinzip

Zweck
Umweltprogramm BReg. 1971: "Jeder, der die Umwelt belastet oder sie schädigt,
soll für die Kosten dieser Belastung oder Schädigung aufkommen";
=> Kostenzurechnungsprinzip: Verursacherprinzip bestimmt, wem einzelne
Umweltbeeinträchtigungen zuzurechnen sind und wer für die Beseitigung bzw.
Verminderung in die Pflicht genommen werden soll („wer zahlt“)
=> mittelbar verhaltenssteuernd/general- und spezialpräventive Wirkung
aufgrund der auf den Schädiger zukommenden finanziellen Belastungen

Inhalt und Rechtswirkungen
Verursacherprinzip wird heute allgemein weiter verstanden:
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 nicht bloß ökonomisches Kostenzurechnungsprinzip mit dem Ziel einer
Internalisierung der Kosten von Umweltbeeinträchtigungen
 sondern auch finanzielles und materielles Verantwortungsprinzip,
Beeinflussung der Verantwortlichen i.S. einer Nichtverursachung, etwa
odurch Zurechnung i.S. der polizeirechtlichen Störerverantwortung
oals Zurechnungskriterium für Anreizinstrumente (s.u.)
Maßstab für Zurechnung: wegen erheblicher naturwissenschaftlicher
Nachweisprobleme bei komplexen Wirkungszusammenhängen (z.B. Waldschaden)
rechtliches Zurechnungsprinzip, das der Gesetzgeber jenseits von Äquivalenzoder Adäquanztheorie nach Gerechtigkeits-, Billigkeits- oder politischen
Zweckmäßigkeitserwägungen ausgestalten kann (z.B. § 135a BauGB)

Einfachrechtliche Verankerung
 Vermeidungs-, Verminderungs- oder Beseitigungspflichten (z.B. Autos,
§ 38 BImSchG; Hausmüllbeseitigung)
 Auferlegung der Kosten für Ausgleichs- und Kompensationsmaßnahmen (z.B.
naturschutzrechtliche Eingriffs- und Ausgleichsregelung in der
Bauleitplanung, § 135a BauGB)
 Auferlegung "ersparter" Kosten bei pflichtwidrigem Verhalten
 Belastung mit politisch festgesetzten Knappheitspreisen für die Umweltnutzung
(z.B. Emissionshandel)
5.
Kooperationsprinzip
nicht umweltspezifisches, aber doch umwelttypisches Prinzip („Bürgergesellschaft“);
Bekenntnis zu gemeinsamer Verantwortung von Staat und Gesellschaft und zur
wechselseitigen Abhängigkeit und Beeinflussbarkeit im freiheitlich-demokratischen
Rechtsstaat (vgl. auch § 1 Abs. 2 Nr. 4 UGB-RefE)

Aufgabenverteilungsprinzip: vom imperativen zum paktierenden Staat (z.B.
informelle Absprachen; freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft zur Vermeidung
staatlicher Maßnahmen <VerpackungsV; Atomausstieg etc.>)
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Vorteile:
 Einbindung privater Verantwortung
 Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz
Nachteile:
 Gefahr inhaltlicher Kompromisse zu Lasten des Gemeinwohls und der
Belange des Umweltschutzes (VerpackungsV!)
 Fehlende rechtsstaatliche Sicherungen, insbesondere für betroffene Dritte,
wenn Normsetzungen oder behördliche Anordnungen durch Absprachen oder
Selbstverpflichtungs-Abkommen ersetzt werden
deshalb staatliche Gewährleistungsverantwortung als notwendiges Korrektiv
erforderlich, wenn Aufgaben des Umweltschutzes privatisiert werden

kooperatives Aufgabenwahrnehmungsprinzip, z.B. Anhörung "beteiligter Kreise"
(§ 51 BImSchG), Beteiligungsrechte von Naturschutzverbänden als "Anwälte der
Umwelt" (§ 63 BNatSchG)
 Einbringung von Sachverstand; Komplettierung des
entscheidungserheblichen (Abwägungs-) Materials
 Repräsentation (organisierter) Interessen
 aber auch: erhöhte Mitwirkungspflichten (z.B. in Form von materiellen oder
prozessualen Präklusionswirkungen)
6.
Integrationsprinzip
Zweck: Schutz der Umwelt in ihrer Gesamtheit;
gemeinschaftsrechtliche Wurzeln (UVP-RL und IVU-RL)
Aspekte des Integrationsprinzips:

interne Integration: medienübergreifender Ansatz (z.B. § 5 Abs. 1 Satz 1
BImSchG: "… hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt …")
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20

externe Integration: Berücksichtigung der Umweltbelange auch in mittelbar
umweltrelevanten Politiken (insb. Querschnittsklausel Art. 6 EGV)
gesetzliche Ausprägungen:
7.

§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG ("Wechselwirkungen zwischen Umweltgütern")

§ 75 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwVfG (formelle Konzentrationswirkung)

vgl. auch § 42 ff. UGB-RefE (integrierte Vorhabengenehmigung)
Nachhaltigkeitsprinzip
in Staatszielbestimmung des Art. 20a GG nicht ausdrücklich benannt, aber impliziert
(Zukunftsverantwortung des Staates "für künftige Generationen");
gesetzliche Ausprägungen:

naturschutzrechtliche Eingriffs- und Ausgleichsregelung, §§ 18 ff. BNatSchG

Verschlechterungsverbote, § 33 Abs. 5, § 34 Abs. 1 BNatSchG

Raumordnung, § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 3 ROG
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21
VI. Instrumente des Umweltrechts
1.
Überblick
das UmwR hält zur Verwirklichung seiner umweltrechtlichen Zielsetzungen
verschiedene Instrumente und Maßnahmen vor
 historische Entwicklung
Entwicklung aus Polizei- und Ordnungsrecht sowie Gewerberecht
=> Instrumente des Umweltrechts teils mit den dort vorfindlichen
ordnungsrechtlichen Instrumenten und Handlungsformen identisch
wegen des Querschnittscharakters des Umweltrechts teilweise auch
Handlungsformen und Regelungsinstrumente aus anderen Bereichen des
Verwaltungsrechts in das Umweltrecht integriert => insb. planungsrechtliche
Instrumente des Bauleitplanungs- und Fachplanungsrechts; einzelne dieser
Instrumente haben im UmwR aber ein ganz anderes Gewicht (z.B.
Umweltbericht als Teil der Begründung des B-Plans nach § 2a BauGB)
mit Blick auf die Grundprinzipien des Umweltrechts (insb. Vorsorgeprinzip)
=> zunehmende Verlagerung von den klassischen Instrumenten der
Gefahrenabwehr hin zu den Planungsinstrumenten
mit Blick auf das Kooperationsprinzip teilweise aber auch umweltrechtliche
Neuentwicklungen => influenzierende Instrumente indirekter
Verhaltenssteuerung (z.B. Umweltabgaben und informelles
Verwaltungshandeln) zur wirtschaftlich-gesellschaftlichen Selbststeuerung
 Grundsatz: gesetzgeberische Entscheidung über Instrumenteneinsatz
welche Instrumente und Handlungsformen bei der Verwirklichung der
umweltrechtlichen Zielsetzungen zugrunde zu legen sind, obliegt der
Entscheidung des Gesetzgebers; dieser entscheidet im Rahmen seiner
verfassungs- und unionsrechtlichen Bindungen (insb. Verhältnismäßigkeit)
grundsätzlich nach politischen Gesichtspunkten (Effizienz; Akzeptanz etc.);
Instrumente und Handlungsformen des Umweltrechts in weiten Teilen
substituierbar (z.B. VerpackungsV)
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 Paradigmenwechsel (UnionsR): „Richtigkeitsgewähr durch Verfahren“
zum Wesensmerkmal des UmwR müssen mittlerweile auch unionsrechtlich
vorgegebenen spezifisch umweltrechtlichen Verfahrensanforderungen für
die ordnungs- und planungsrechtlichen Instrumente gerechnet werden:

umweltbezogene Prüfpflichten (Pflicht zur Erfassung und Bewertung
der Umweltauswirkungen, insbesondere im Rahmen einer
Umweltverträglichkeitsprüfung - UVP -)

und Beteiligungsrechte (Öffentlichkeits- und Verbandsbeteiligung)
sowie daran anknüpfende Rechtsschutzmöglichkeiten (insb. Ausgestaltung
der UVP und der Beteiligungsvorschriften als absolutes Verfahrensrecht
=> gravierende Verstöße führen ohne weiteres, d.h. unabhängig von der
materiellen Rechtslage zur Aufhebung der Planungs- oder
Zulassungsentscheidung, § 4 Abs. 1, 3 UmwRG)
2.
Instrumente und Handlungsformen
mögliche Systematisierung der Instrumente und Handlungsformen des UmwR
nach Zielkonkretisierung und Wirkungsweise gegenüber dem Adressaten:
 Staatliche Eigenvornahme: konkretes Verhaltensziel; Zielerreichung
unmittelbar durch die öffentliche Verwaltung (a)
 Instrumente direkter Verhaltenssteuerung: konkretes Verhaltensziel;
Zielerreichung durch Verhalten des Bürgers; unbedingter Wille des Staates
zur Zielerreichung (b)
 Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung: konkretes Verhaltensziel;
Zielerreichung durch Verhalten des Bürgers; bedingter Durchsetzungswille
des Staates (Zielerreichung privater Entscheidung überlassen; aber
Einflussnahme auf Motivation der Bürger) (c)
 Planungsinstrumente: nur generelles Verhaltensziel; konkrete Ziele und die
zu ihrer Verwirklichung in Betracht kommende Maßnahmen unklar und
deshalb planungsbedürftig (d)
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a)
Staatliche Eigenvornahme
Kernbereich: Sicherung der Entsorgung, z.B. für Haushaltsabfälle, für Atommüll,
(eingeschränkt) für Abwasserbeseitigung; allerdings zunehmend private Akteure
b)
Instrumente direkter Verhaltenssteuerung („klassische Handlungsformen“)
Instrumente direkter Verhaltenssteuerung => Adressaten wird bestimmtes
Verhalten abverlangt, das ggf. mit Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt
werden kann, und dessen Nichtbeachtung ggf. Sanktionen zur Folge hat
aa) Gesetzliche Instrumente: Gebote und Verbote
Gebote und Verbote in einer Vielzahl umweltrechtlicher Regelungen, die zu einem
bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichten:
 Unterlassungspflichten: Verbot bestimmter umweltgefährdender
Tätigkeiten, ggf. auch durch Festlegung von Umweltstandards (Bau- und
Betriebsnormen <z.B. StVZO>; Immissionsnormen <z.B. TA Lärm>;
Produktnormen)
 Leistungspflichten: Pflege-, Erhaltungs- und Bewirtschaftungspflichten,
§§ 1a, 28 WHG; Kennzeichnungs- und Verpackungspflichten, §§ 13 ff.
ChemG; Schadensminderungs- und Mitteilungspflichten für sog. DennochStörfall nach der 12. BImSchV; Wiederherstellungs- und Ausgleichspflichten,
§ 15 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG, § 11 Satz 2 BWaldG; Pflicht zur Bestellung
eines Betriebsbeauftragten, §§ 21a ff. WHG; §§ 53 ff. BImSchG
 Duldungspflichten, z.B. Betretungsrechte, § 19 Abs. 2 AtG, § 21 WHG
bb) Administrative Instrumente
aaa) Instrumente der Eröffnungskontrolle
(1) Formen
 Anzeigepflichten
genehmigungsersetzend (etwa bei privilegierten, ausnahmsweise
erlaubnisfreien Umweltbelastungen, z.B. § 17a WHG) oder
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genehmigungsergänzend (etwa bei der Änderung genehmigungspflichtiger
Anlagen, § 15 BImSchG)
 präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt
Bsp. Baugenehmigung; immissionsschutzrechtliche Genehmigung, §§ 4 ff.
BImSchG; abfallrechtliche Transportgenehmigung, § 49 KrW-/AbfG;
gentechnische Genehmigungen, § 16 Abs. 1 und 2 GenTG
 repressive Verbote mit Befreiungsvorbehalt
Bsp. baurechtliche Befreiung, § 31 Abs. 2 BauGB; wasserrechtliche Erlaubnis
(§ 7 WHG) und Bewilligung (§ 8 WHG); Rodungs- und
Umwandlungsgenehmigung (§ 9 BWaldG); naturschutzrechtliche Ausnahmen
und Befreiungen (§ 34 Abs. 3 bis 5, § 45 Abs. 6 bis 8 und § 67 BNatSchG)
(2) Verfahren
Verfahrensgestaltung grundsätzlich entsprechend dem Gewicht der den
Verfahrensgegenstand bildenden Umweltbelastungen
 förmliches Genehmigungsverfahren
in den meisten Umweltgesetzen umweltrechtliches Standard- (z.B. § 10
BImSchG) oder sogar ausschließliches Genehmigungsverfahren; insb.
dann, wenn

Verwaltungsentscheidung materiell-rechtlich "schwach programmiert"

umfangreiche und schwierige Sachverhalte zu ermitteln

und typischerweise Rechte und Interessen vieler berührt (Stichwort:
"Richtigkeitsgewähr und Grundrechtsschutz durch Verfahren")
Verfahren richtet sich in aller Regel nach den Verfahrensvorschriften der
entsprechenden Fachgesetze; Anwendung der §§ 63 ff. VfVfG setzt eine
ausdrückliche Anordnung durch Rechtsvorschrift voraus, § 63 Abs. 1 VwVfG
(deshalb keine subsidiäre, allenfalls analoge Anwendung, str.)
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Wesensmerkmale: Öffentlichkeitsbeteiligung; Erörterungstermin;
Einwendungsausschluss (z.B. § 10 Abs. 3 und 6 BImSchG)
Verfahrensablauf: ähnelt demjenigen des Planfeststellungsverfahrens (s.u.)
Verfahrensabschluss: Genehmigungsentscheidung, § 69 VwVfG (VA)
Wirkungen: Gestattungs-, formelle Konzentrations- und privatrechtliche
Gestaltungswirkung (siehe insb. immissionsschutzrechtliches
Genehmigungsverfahren, §§ 10 ff. BImSchG <s.u.>)
 Sonderfall: „vereinfachtes“ Genehmigungsverfahren
etwa § 19 BImSchG i.V.m. 4. BImSchV: vereinfachtes
Genehmigungsverfahren, wenn nach Art, Ausmaß und Dauer der von den
Anlagen schädlichen Umwelteinwirkungen oder sonstigen Gefahren,
erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen mit dem Schutz der
Allgemeinheit und der Nachbarschaft vereinbar; spielt im Übrigen nur eine
untergeordnete Rolle
bbb)(Repressive) Instrumente der Befolgungskontrolle
Mögliche Inhalte: nachträgliche Anordnungen (§ 17 BImSchG); Untersagungs-,
Stilllegungs- oder Beseitigungsanordnungen (§ 20 BImSchG)
c)
Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung
belassen dem Bürger die Freiheit, sich zwischen verschiedenen, mehr oder
weniger umweltbeeinträchtigenden Verhaltensweisen zu entscheiden; nehmen
auf die Motivation der Betroffenen Einfluss; das umweltpolitisch erwünschte
Verhalten wird etwa durch ökonomische Anreize oder entsprechende
Informationen, zum Eigeninteresse; Instrumente indirekter Verhaltenssteuerung
fördern damit zugleich das Umweltbewusstsein
aa) Finanzielle Anreizinstrumente
 Umweltabgaben
Arten:
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 Steuern (Bsp. "Ökosteuer" auf Mineralöl)
 Gebühren (Bsp. Müllgebühren)
 Beiträge (z.B. für gemeindliche Kläranlage)
 Sonderabgaben (Bsp. "Wasserpfennig"); zulässig bei
Gruppenhomogenität, Sachnähe der Gruppe; Gruppenverantwortung und
Gruppennützigkeit
Zwecke: Umweltfinanzierungsabgaben, Umweltnutzungs- und
Entsorgungsabgaben, Umweltlenkungsabgaben, Umweltausgleichsabgaben
 Subventionen
vermögenswerte Leistungen des Staates an Private für Verzicht auf
Umweltbeeinträchtigungen oder Vornahme umweltpolitisch erwünschter
Maßnahmen
 direkte Subventionen (z.B. Zuschüsse für Solaranlagen und
Wärmedämmung)
 indirekte Subventionen (z.B. Steuerbefreiung für schadstoffarme Kfz)
bb) Gewährung von Benutzungsvorteilen
Bsp. erleichterte Erteilung von Landerechten für lärmarme Flugzeuge
cc) Umweltzertifikate und Kompensationsmodelle
Bsp. Emissionshandel; austauschbare Emissionskontingente nach TEHG
dd) Umweltinformationen
 Behördliche Warnungen und Empfehlungen
Bsp. Warnhinweise bei Glykolwein; Flüssigei-Skandal; Tschernobyl
Problem: Gesetzesvorbehalt (vgl. BVerfG NJW 2002, 2621); Kompetenzen
 Zugang zu Umweltinformationen (UIG)
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freier Zugang für jedermann zu Umweltinformationen (RL 2003/4/EG; UIG)
ee) Umweltabsprachen
rechtsgeschäftliche oder informelle Vereinbarungen zwischen Staat und Privaten
an Stelle hoheitlicher Maßnahmen (Bsp. FCKW, Altautoentsorgung,
Verpackungen)
Problem: "freiwillige" Selbstverpflichtungen sind oft gar nicht so freiwillig, weil sie
in der Regel vor dem Hintergrund massiver Regelungsandrohungen zustande
kommen; Rechtsschutzdefizite; häufig fehlende Transparenz
ff)
Zielvereinbarungen
KrW-/AbfG: Festlegung von Zielen für freiwillige Rücknahme von Abfällen nach
Anhörung der beteiligten Kreise, innerhalb angemessener Frist zu verwirklichen
gg) fakultative Kontrollen; Umweltaudit-System
freiwilliges, öffentlich kontrolliertes System zur kontinuierlichen Verbesserung des
betrieblichen Umweltschutzes (betriebliche Umweltprüfung, Umweltprogramm,
Umweltmanagement, Umweltbetriebsprüfung, periodische Umwelterklärungen)
d)
Planungsinstrumente
aa) Begriff und Wesen der Umweltplanung
Begriff der Planung:= vorausschauendes Setzen von Zielen und
Vorwegnahme der zu ihrer Verwirklichung erforderlichen Verhaltensweisen
(Maurer, Allg. VwR, § 16 Rn. 14 m.w.N.; Bsp. Urlaubsplanung; Bauleitplanung)
=> Transformation eines Ist-Zustands in einen Soll-Zustand unter Angabe der
zur Transformation erforderlichen Maßnahmen (Zielvorgabe - Ist-Analyse Maßnahmenwahl - Prognose);
=> in der Regel Zusammenspiel von Planungs- und Ordnungsrecht
(planungsrechtliche Vorgaben für ordnungsrechtlichen Vollzug, z.B.
Bebauungsplan als Grundlage für Genehmigung von Bauvorhaben nach § 30
Abs. 1 BauGB)
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Wesen der Planung:
 positiv-finale Ausrichtung auf bestimmte Gestaltungsziele
im Gegensatz zu konditional-negatorisch gestalteten ordnungsrechtlichen
Instrumenten (tatbestandlich programmierte Konditionalprogramme;
ausgerichtet auf Schadensfreiheit, Gesetzmäßigkeit; Wahrung der Rechte
Dritter)
Gestaltungsziele: teils rechtlich und im Übrigen politisch definiert; in der
Regel komplexe Zielsetzungen => auf Ausgleich angelegt (z.B.
Flughafenplanung)
 planerischer Gestaltungsspielraum
Gestaltungsspielraum ist Wesensmerkmal der Planung (BVerwGE 34,
301 <304>: Planung ohne Gestaltungsspielraum ist Widerspruch in sich; aus
jeder gesetzlich eingeräumten Planungskompetenz fließt planerischer
Gestaltungsspielraum, auch wenn er nicht ausdrücklich normiert ist)
 Rechtsbindungen der Planung

Vorbehalt des Gesetzes (Eingriffe in Freiheit und Eigentum bedürfen
einer gesetzlichen Grundlage; in Art. 20 Abs. 3 GG nicht ausdrücklich
normiert, aber vorausgesetzt)
=> Planungsermächtigung erforderlich
o
generelle Ermächtigung zur Planung: Erforderlichkeit der Planung
(in der Bauleitplanung <"Die Gemeinden haben die Bauleitpläne
aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung
und Ordnung erforderlich ist, § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB>) bzw.
Planrechtfertigung (in der Fachplanung/Planfeststellung)
o
ggf. (z.B. wegen Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) auch Ermächtigung zur
Festsetzung des konkreten Planinhalts erforderlich (z.B.
abschließender Katalog der zulässigen Festsetzungsinhalte beim
Bebauungsplan, § 9 BauGB)
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

Vorrang des Gesetzes (Die "vollziehende Gewalt und die
Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden", Art. 20 Abs. 3 GG)
=> soweit gesetzliche Regelung für die Planung bestehen, sind die
Planungsträger daran gebunden (verbindliche Planungsvorgaben)
o
Verfahrensanforderungen (z.B. Öffentlichkeitsbeteiligung)
o
materielle Planungsvorgaben (§ 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB; § 41
BImSchG; § 34 Abs. 2 BNatSchG)
Übermaßverbot/Verhältnismäßigkeit
=> Abwägungsgebot (z.B. § 1 Abs. 7 BauGB)
 unterschiedliche Handlungsformen der Planung
Ergebnis rechtlicher Planung: Plan (keine eigene rechtliche
Handlungsform; kann grundsätzlich in allen Rechtsformen erlassen werden)

Gesetz (z.B. LEP)

Verordnung (z.B. Luftreinhaltepläne, § 47 BImSchG)

Satzung (z.B. B-Plan, § 10 Abs. 1 BauGB)

Verwaltungsakt (z.B. PFB)

Verwaltungsvorschrift (z.B. Verkehrswegebedarfsplan)
Rechtsform des Plans in der Regel im Gesetz festgelegt; ansonsten nach den
allgemeinen Definitionsmerkmalen zu bestimmen
Wesen der Umweltplanung
zielgerichtete Umweltgestaltung (Verbesserung des Umweltschutzes;
Vermeidung oder Abmilderung von Umweltbeeinträchtigungen; Gegensteuerung
bei Fehlentwicklungen)
Wurzeln: Schutzprinzip; Vorsorgeprinzip aber zunehmend von Bedeutung
bb) Arten rechtlicher Umweltplanung (Überblick)
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aaa) umweltspezifische Fachplanungen (Umweltplanung i.e.S.)
Fachplanung mit umweltspezifischer Zielsetzung; Kern der Umweltplanung;
Umweltschutz ist vorrangiges Planungsziel; andere Belange sind allerdings im
Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen
Bsp. Luftreinhalteplanung, § 47 BImSchG; Lärmminderungsplanung, § 47a
BImSchG; Landschaftsplanung, §§ 13 ff. BNatSchG; wasserwirtschaftliche
Planung, §§ 36 ff. WHG; Abfallwirtschaftsplanung
bbb)umweltrelevante Planung (Umweltplanung i.w.S.)
wegen ihrer zum Teil erheblichen Umweltauswirkungen rechnen auch
umweltrelevante Raumplanungen und raumbedeutsame Fachplanungen zur
Umweltplanung (i.w.S.); Umweltschutz ist hier nicht primäres Planungsziel, aber
in der Abwägung zu berücksichtigen
Raumplanung:= Oberbegriff für alle raumbedeutsamen Planungen
 räumliche Gesamtplanung
 raumbedeutsame Fachplanung
(1) räumliche Gesamtplanung (Raumordnung und Bauleitplanung)
Raumbezogenheit vieler Umweltprobleme
=> Schwerpunkt der Umweltplanung liegt in der räumlichen Gesamtplanung
=> ihr obliegt es als Querschnittsaufgabe, raumbedeutsame Belange und
Raumnutzungsansprüche zu koordinieren und zum Ausgleich zu bringen

überörtliche Ebene: Raumordnungspläne
Aufgabe der Raumordnung:
Gesamtraum und Teilräume durch Abstimmung raumbedeutsamer Planungen
und Maßnahmen zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern, § 1 Abs. 1 ROG
Querverbindungen und Überschneidungen zwischen Umweltrecht und
überörtlicher räumlicher Gesamtplanung; wichtiges Instrument zur
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Integration verschiedener Umweltbelange; Bedeutung für umweltrelevante
Standortentscheidungen
Ebenen:
 Raumplanung in der EU
 Raumplanung auf Bundesebene (§ 17 ROG)
 Raumplanung auf Landesebene (§ 8 ROG)
 Regionalplanung (§ 8 ROG)
umweltspezifische Leitvorstellungen bei der Aufgabenerfüllung (§ 1 Abs. 2
Satz 2 Nr. 2 und 4 ROG): Schutz und Entwicklung der natürlichen
Lebensgrundlagen; Offenhaltung der Gestaltungsmöglichkeiten der
Raumnutzung,
 Leitlinie einer "nachhaltigen Raumentwicklung", die die sozialen und
wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen
Funktionen in Einklang bringt, § 1 Abs. 2 Satz 1 ROG
 verschiedene umweltrelevante Grundsätze der Raumordnung, vgl. insb.
§ 2 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 5 - 7 ROG

örtliche Ebene: gemeindliche Bauleitplanung
Aufgabe der Bauleitplanung, § 1 Abs. 1 BauGB: städtebauliche
Entwicklung und Ordnung
Instrumente der Bauleitplanung:
 Flächennutzungsplan (vorbereitender Bauleitplan)
 Bebauungsplan (verbindlicher Bauleitplan)
Hauptproblem: Flächeninanspruchnahme (in Bayern wurden im Jahr 2007
täglich ca. 16 ha an freier Fläche verbaut = ca. 20 Fußballfelder, im Jahr 2000
sogar ca. 29 ha)
Umweltbelange in der Bauleitplanung:
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 umweltspezifische Planungsziele, § 1 Abs. 5 BauGB: nachhaltige
städtebauliche Entwicklung, die die … umweltschützenden
Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen
miteinander in Einklang bringt; menschenwürdige Umwelt zu sichern und
die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln, auch in
Verantwortung für den allgemeinen Klimaschutz
 umweltspezifische Abwägungsbelange: Belange des Umweltschutzes
einschließlich des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Rahmen
der Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) zu berücksichtigen, § 1 Abs. 6 Nr. 7
BauGB
 Bodenschutzklausel, § 1a Abs. 2 BauGB
 naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, § 1a Abs. 3 BauGB: Verbot
vermeidbarer und Ausgleich unvermeidbarer Eingriffe in Natur und
Landschaft
 umweltspezifische Verfahrensanforderungen: z.B. Umweltprüfung,
§ 2 Abs. 4 BauGB; umweltbezogene Informationen, § 3 Abs. 2 Satz 2
BauGB, BVerwG, Urteil vom 18.7.2013 – 4 CN 3.12 –BVerwGE 146, 310)
(2) raumbedeutsame (umweltrelevante) Fachplanungen (Überblick)
<Hinweis: FachplR ist Gegenstand der Vorlesung von Herrn Dr. Geiger im SoSe;
die folgenden Ausführungen verstehen sich deshalb als eine erste
überblicksartige Einstimmung auf das Thema>
Aufgabe der Fachplanung: = Planung raumbedeutsamer Vorhaben
einschließlich der Entscheidung über die Zulässigkeit der Ausführung der
Planung (abzugrenzen von Raumplanung als übergreifende Grundlagenplanung
für die Bodennutzung); keine umweltspezifische Zielsetzung, aber in der Regel
umweltbeeinträchtigende Wirkung
Gegenstände der Fachplanung, insb.

Verkehrswegeplanung (für Straßen- und Schienenfahrzeuge), §§ 16 ff.
FStrG; Art. 35 ff. BayStrWG; §§ 17 ff. AEG
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
Planung des Baus und Betriebs von Flughäfen, §§ 6 ff. LuftVG

Ausbau der Gewässer und Wasserstraßenplanung, § 31 Abs. 2 WHG, § 13
ff. WaStrG

Planung von Abfalldeponien, § 31 Abs. 2 Krw-/AbfG

Planung zur Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle, § 9a AtG

Planung von Energieleitungsanlagen; §§ 43 ff. EnWG
Bsp. Straßenplanung:

Ziel: Sicherheit und Leichtigkeit Verkehr, § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4 FStrG

Gegenstand: nur öffentliche Straßen; unterschiedliche Qualifikationsmerkmale
je nach Verkehrsfunktion; Einteilung in Straßenklassen (Bundes-, Staats-,
Kreis- und Gemeindestraßen); Planung nach den jeweils einschlägigen
Vorschriften (FStrG; BayStrWG)
nicht Umweltrecht im engeren Sinne, aber wegen zum Teil erheblicher
Umweltrelevanz Umweltrecht im weiteren Sinne (z.B. § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG)
Instrumente der Fachplanung:
zentrales Instrument: Planfeststellung, §§ 72 ff. VwVfG; greift immer dann,
wenn durch Rechtsvorschrift vorgesehen;
daneben: Plangenehmigung, § 74 Abs. 6 VwVfG i.V.m. § 17b Abs. 1 Nr. 1 FStrG;
Bebauungsplan, § 17b Abs. 2 FStrG; ggf. auch formlos-interne Planung

Rechtsgrundlagen
§§ 72 ff. VwVfG bzw. Art. 72 ff. BayVwVfG i.V.m. dem jeweiligen
Fachplanungsrecht
Verzahnung von allgemeinem Verwaltungsrecht und besonderem
Fachplanungsrecht; Fachplanungsrecht entscheidet u.a. darüber, wann
ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt werden muss (Faustformel:
größere raumbedeutsame Infrastrukturvorhaben, z.B. Bau oder Änderung
von Bundesfernstraßen, § 17 Abs. 1 Satz 1 FStrG) und modifiziert ggf. die
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allgemeinen Vorschriften (z.B. Fristen für einzelne Verfahrensschritte, § 17a
Nr. 5 FStrG)

Verfahrensablauf und Verfahrensabschluss, § 73 VwVfG
 Einleitung durch Vorhabensträger mit Planeinreichung, Abs. 1 S. 1
 Einholung Stellungnahmen Behörden innerhalb eines Monats, Abs. 2, 3a
 öffentliche Auslegung (für die Dauer eines Monats), Abs. 2, 3, und 5
 Einwendungsverfahren (Möglichkeit von Einwendungen innerhalb der
Einwendungsfrist <bis zwei Wochen nach Ablauf Auslegungsfrist >), Abs. 4
 Erörterungstermin (Ziel: Interessenausgleich), Abs. 6, 7;
 Verfahrensabschluss: Planfeststellungsbeschluss (PFB), § 74 VwVfG

Rechtsnatur und Rechtswirkungen PFB
Rechtsnatur: VA, § 74 Abs. 1 i.V.m. § 69 VwVfG; Möglichkeit von
Nebenbestimmungen, § 74 Abs. 2 VwVfG (z.B. aktive oder passive
Schutzauflagen wie Lärmschutzwälle und –wände oder Lärmschutzfenster,
letztere mit Entschädigungsrechtsfolge, § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG)
Rechtswirkungen, § 75 VwVfG:
 Gestattungswirkung (§ 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG): Feststellung der
Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich aller von ihm berührten
öffentlicher Belange
 (formelle) Konzentrationswirkung (§ 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG):
Ersetzung anderer behördlicher Entscheidungen; materiell-rechtliche
Maßstäbe der ersetzten Verfahren (z.B. Bau- und Naturschutzrecht)
bleiben beachtlich
 Gestaltungswirkung (§ 75 Abs. 1 Satz 2 VwVfG): öffentlich-rechtliche
Beziehungen zwischen Vorhabenträger und Betroffenen werden
rechtsgestaltend geregelt (z.B. Begründung von Ansprüchen auf
Lärmschutzmaßnahmen)
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 Ausschlusswirkung (§ 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG): alle (privat- oder
öffentlich-rechtlichen) Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung oder
Änderung ausgeschlossen (insb. deliktische und nachbarrechtliche
Abwehransprüche)
 enteignungsrechtliche Vorwirkung: Festsetzungen im
Planfeststellungsbeschluss berechtigen nach Maßgabe der einschlägigen
Enteignungsgesetze zur Enteignung (Unterschied zum Bebauungsplan!)
planerischer Gestaltungsspielraum: Planfeststellung ist im Kern
Abwägungsentscheidung; weiter planerischer Gestaltungsspielraum;
gerichtliche Überprüfung auf Rechtsfehler beschränkt
Umweltbelange in der Fachplanung:
Bsp. Straßenplanung
 Planrechtfertigung: Bedarfsprognose (z.B. Verkehrswegebedarfsplan)
 Bindung an das Ergebnis vorgelagerter Verfahren: z.B.
Linienbestimmung, § 16 FStrG; Raumplanung
 zwingende Planungsvorgaben, z.B. § 34 Abs. 2 BNatSchG
 Abwägung, z.B. von Alternativtrassen
Bsp. Verkehrslärmschutz: gestuftes System aus Abwägungsdirektiven und
verbindlichen Planungsvorgaben, §§ 41 ff. BImSchG (s.u. verkehrsbezogener
Immissionsschutz)
 Trennungsgrundsatz (§ 50 BImSchG): Abwägungsdirektive
 aktiver und passiver Lärmschutz, §§ 41 f. BImSchG: zwingende
Planungsvorgaben
3.
o
aktiver Lärmschutz, § 41 Abs. 1, § 43 BImSchG i.V.m. 16. BImSchV
o
passiver Lärmschutz, § 42 BImSchG
Flankierende Prüf- und Beteiligungspflichten
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a)
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP)
aa) Grundlagen der Umweltverträglichkeitsprüfung
Rechtsgrundlagen:
 UnionsR: RL 85/337/EWG (ABl. Nr. L 175 v. 5.7.1985, S. 40 - UVP-RL -)
Art. 2 Abs. 1 UVP-RL:
öffentliche und private "Projekte" oder Pläne, bei denen mit
erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, bedürfen
einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP);
Mitgliedstaaten treffen die hierfür erforderlichen Maßnahmen
 Bundesrecht: UVPG
Zweck der UVP, § 1 UVPG:
sicherzustellen, dass zur wirksamen Umweltvorsorge nach einheitlichen
Grundsätzen
 Auswirkungen auf die Umwelt frühzeitig und umfassend ermittelt,
beschrieben und bewertet werden
 Ergebnisse der durchgeführten UVP bei behördlichen Entscheidungen
über die Zulässigkeit von Vorhaben und bei der Aufstellung von Plänen
und Programmen so früh wie möglich berücksichtigt werden
=> gilt für immissionsschutzrechtliche Genehmigungen, aber auch für alle
anderen "behördlichen Entscheidungen über die Zulässigkeit von
Vorhaben (wie z.B. Baugenehmigungen oder PFB) sowie für "Pläne und
Programme" (wie z.B. für Bauleitpläne; siehe hierzu § 4 UVPG, § 2 Abs. 4
BauGB => UP als Teil des bauplanungsrechtlichen Aufstellungsverfahrens)
Pflicht zur Durchführung einer UVP:
 § 3b UVPG: Vorhaben, bei denen aufgrund bestimmter Merkmale mit
erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist
 § 3c UVP: Vorhaben, die nach Einschätzung der zuständigen Behörde
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aufgrund überschlägiger Prüfung im Rahmen einer (allgemeinen oder
standortbezogenen) Vorprüfung des Einzelfalls (UVP-Vorprüfung)
erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben können
 § 3e UVPG: bei Änderung oder Erweiterung UVP-pflichtiger Vorhaben
welche Vorhaben der UVP oder UVP-Vorprüfung unterzogen werden
müssen, ist in Anlage 1 zum UVPG anhand bestimmter Schwellenwerte
geregelt
Umgehung der UVP-Pflicht durch Aufsplitterung von Vorhaben mit der Folge
der Unterschreitung der Schwellenwerte?
EuGH (Urteile vom 21.9.1999 - Rs. C-392/92 - und vom 25.7.2008 - Rs. C142/07): Regelungszweck der UVP-RL darf nicht durch Aufsplitterung von
Projekten umgangen werden; gilt auch, wenn Teilprojekte zeitlich versetzt
verwirklicht werden
Verfahren (§§ 5 ff. UVPG): insb. Öffentlichkeitsbeteiligung, § 9 UVPG
bb) Rechtsfehlerfolgen einer nicht oder fehlerhaft durchgeführten UVP oder
UVP-Vorprüfung
UVP und UVP-Vorprüfung = Verfahrensanforderungen
§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO:
Aufhebungsanspruch nur, wenn Kläger in subjektiven Rechten verletzt
=> fraglich, ob UVP nach der Schutznormtheorie zumindest auch dem
Schutz des Klägers zu dienen bestimmt
§ 46 VwVfG:
Aufhebung eines (nicht nichtigen) VA kann nicht allein deshalb verlangt
werden, weil er unter Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande
gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass Verletzung die Entscheidung in
der Sache nicht beeinflusst hat, d.h. für die Entscheidung nicht kausal war
 bei gebundenen Entscheidungen: kein Aufhebungsanspruch, wenn
Entscheidung materiell rechtmäßig, weil Kausalität fehlt
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 bei Ermessensentscheidungen: Kausalität spielt nach der Rspr. des
BVerwG ebenfalls eine beträchtliche Rolle; konkrete Prüfung, welche
Auswirkungen ein (nicht geheilter, § 45 VwVfG) Verfahrensfehler hat
Ausnahme: Absolute Verfahrensfehler; im nationalen Recht nur vereinzelt
normiert (z.B. Beteiligungsrecht der Gemeinde, § 36 BauGB)
§ 4 Abs. 1 UmwRG (Umsetzung der UVP-RL):
Aufhebung kann von einem anerkannten Umweltverband ohne weiteres
(d.h. insbesondere ohne subjektive Rechtsverletzung nach § 113 Abs. 1
Satz 1 VwGO und ohne Kausalitätsprüfung nach § 46 VwVfG) verlangt
werden bei folgenden „absoluten Verfahrensfehlern“
 erforderliche UVP nicht durchgeführt und nicht nachgeholt (§ 4 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 UmwRG)
 erforderliche UVP-Vorprüfung nicht durchgeführt
nachgeholt (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG)
und
nicht
 erforderliche UVP-Vorprüfung dem Maßstab von § 3a Satz 4 UVPG
nicht genügt, also fehlerhaft durchgeführt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG)
=> § 4 Abs. 1, 3 UmwRG = Sondervorschrift zu § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO
und zu § 46 VwVfG: "absolute Verfahrensfehler"

strittig war bisher, ob Aufhebung auch dann verlangt werden kann,
wenn UVP fehlerhaft durchgeführt

BVerwG (9. Senat): Kausalitätsprüfung, Art. 46 VwVfG

EuGH (U. v. 7.11.2013 - Rs. C-72/12 - „Altrip“): auch Mängel der
UVP können geltend gemacht werden;
allerdings keine Rechtsverletzung, wenn Entscheidung trotz des
Verfahrensfehlers genauso ausgefallen wäre; hinsichtlich der
Folgen des Fehlers reicht reduzierter Grad an Wahrscheinlichkeit
aus;
Beweislast darf aber nicht dem Kläger auferlegt werden; vielmehr
müssen Vorhabenträger oder Behörde zeigen, dass Fehler
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folgenlos; überdies Schwere des Fehlers zu berücksichtigen
=> Kausalitätserwägungen jedenfalls nicht ausgeschlossen

EuGH (U. v. 15.10.2015 - Rs. C-137/14 Rn. 55):
besondere Bedeutung der Überprüfung der Einhaltung der
Verfahrensregeln => betroffene Öffentlichkeit muss daher
grundsätzlich jeden Verfahrensfehler geltend machen können
=> § 46 VwVfG erschwert dieses Recht übermäßig und verstößt
insoweit gegen UVP-RL, weil hiernach auf jeden Fall
Kausalzusammenhang bestehen muss

Bundesgesetzgeber: 1:1-Umsetzung der Altrip-Entscheidung EuGH;
Schaffung des § 4 Abs. 1a UmwRG ( „relative Verfahrensfehler“):


§ 46 VwVfG „gilt“

Pflicht zur Amtsermittlung der (konkreten) Kausalität

wenn non liquet: Vermutung zugunsten der Kausalität
BVerwG (Urteil vom 21.1.2016 – 4 A 5.14 –): nur gesetzgeberische
Klarstellung; bereits bisher geltende Rechtslage
Aufhebung kann unter denselben Voraussetzungen auch von sonstigen
Beteiligten im Verwaltungsprozess verlangt werden, § 4 Abs. 4 UmwRG
=> Aufhebungsanspruch auch für Individualkläger
allerdings: Geltendmachung eines Verfahrensverstoßes eröffnet
nicht die Klagemöglichkeit; nur wenn Klagebefugnis im Sinne des § 42
Abs. 2 VwGO vorliegt, weil sich Kläger auf subjektive Rechtsposition
berufen kann, kann Klage wegen Verletzung der UVP-Pflicht erfolgreich
sein
=> keine (UVP-bezogene) Umwelt-Popularklage!
b)
Öffentlichkeitsbeteiligung
unionsrechtlicher Hintergrund: Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL u.a.
Umsetzung in nationales Recht:
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 z.B. § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB im Recht der Bauplanung
 z.B. § 73 Abs. 3 VwVfG im Fachplanungsrecht
 z.B. § 9 UVPG im Recht der UVP
Rechtsfehlerfolgen: Aufhebungsanspruch, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG n.F.
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VII. Rechtsschutz im Umweltrecht
umweltrechtliche Besonderheiten beim Rechtsschutz
1.
Klageverfahren, §§ 42 f. VwGO
a)
Zulässigkeit / Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO
aa) Grundsatz: subjektiver Individualrechtsschutz
bei Anfechtungs- oder Verpflichtungsklagen ist grundsätzlich antragsbefugt,
wer geltend macht, durch den VA oder seine Ablehnung oder Unterlassung in
seinen (subjektiven) Rechten verletzt zu sein, § 42 Abs. 2 VwGO
Voraussetzung:

schlüssige Darlegung einer subjektiven Rechtsposition;
Bestimmung nach der vom BVerwG entwickelten „Schutznormtheorie“:
eine Rechtsnorm ist drittschützend, wenn sie nach dem Willen des
Normgebers nicht nur den öffentlichen Interesse, sondern zumindest auch
individuellen Interessen zu dienen bestimmt
Probleme im UmwR: Normen der Gefahrenabwehr haben in der Regel
Schutznormcharakter, Vorsorgenormen hingegen grundsätzlich nicht (str.);
viele Schutzzwecke des UmwR sind überhaupt nicht subjektiv-rechtlich
abgebildet (z.B. NatSchR)!

Möglichkeit einer Verletzung: Rechtsverletzung darf nicht nach
kategorischen Erwägungen ausgeschlossen sein
Probleme im UmwR: Erheblichkeitsschwelle von
Umweltbeeinträchtigungen unbestimmt (z.B. § 3 Abs. 1 BImSchG:
"erhebliche Nachteile oder Belästigungen"; räumliche und zeitliche
Beziehung des Klägers zum Emittenten); in vielen Fällen durch technische
Standards bestimmt; wo sie fehlen, sind die Gerichte auf
Einzelfallbeurteilungen angewiesen
=> Problem: verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz ist nach deutschem Recht
also grundsätzlich von subjektiv (dritt-) schützenden Normen abhängig;
Drittschutz vermitteln im Umweltrecht grundsätzlich nur die Normen der
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Gefahrenabwehr, nicht hingegen die im Umweltrecht häufigen
Vorsorgenormen oder objektiv-rechtlichen Rechtsnormen, die den Schutz der
Umwelt zum Ziel haben, ohne zugleich subjektive Rechte zu vermitteln
bb) Ausnahmen vom subjektiven Rechtsschutz: Verbandsklagen
§ 42 Abs. 2 VwGO: „Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt, …“
"anderes bestimmt" ist in § 2 Abs. 1 UmwRG und § 64 BNatSchG zugunsten von
Umwelt- und Naturschutzverbänden: umwelt- und naturschutzrechtliche
Verbandsklage
Gesetzgeber in Deutschland lange zurückhaltend
=> Vollzugsdefizite im Umweltbereich („fish don’t walk to Court“)
=> Klagebefugnis von Naturschutz- und Umweltverbänden als Antwort
Anstoß durch Unionsrecht (Aarhus-Konvention; UVP-RL;
Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL); Grund: unmittelbare Anwendung von RL
(s.o. "Grundlagen" A.I.4.) als Sanktion, wenn RL nicht oder nicht rechtzeitig oder
fehlerhaft umgesetzt ("effet utile")
Lektüreempfehlung: Kokott/Sobotta, DVBl 2014, 132 ff.
=> Anstoß für deutschen Gesetzgeber zur Etablierung der
Verbandsklagemöglichkeit (BNatSchG 2002: Naturschutzrechtliche
Verbandsklage)
=> Zurückdrängung der deutschen „Schutznormtheorie“

Umweltrechtliche Verbandsklage, § 2 UmwRG
§ 2 Abs. 1 UmwRG: "anerkannte Umweltvereinigung kann, ohne eine Verletzung
in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach der VwGO
gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren
Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung
1. geltend macht, dass die Entscheidung oder deren Unterlassen
Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung
von Bedeutung sein können, widerspricht, ..."
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=> Sonderregelung zu § 42 Abs. 2 VwGO: sachlich beschränkte
Klagemöglichkeit, auch in der Begründetheitsprüfung auf bestimmte
Rechtsverletzungen ("Widerspruch zu Rechtsvorschriften, die dem
Umweltschutz dienen") beschränkt
Voraussetzungen (Überblick) / Prüfungsmaßstab:

Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG
u.a. „... Entscheidungen i.S.v. § 2 Abs. 3 UVPG über Zulässigkeit von
Vorhaben, für die nach
(a) dem UVPG ... eine Pflicht zur Durchführung einer UVP bestehen
kann;“
=> nur für "Projekte" i.S.d. UVPG => in der Regel nur bauliche Anlagen (nicht
z.B. Flugrouten)


wenn Vereinigung geltend macht, dass Entscheidung Rechtsvorschriften,
die dem Umweltschutz dienen, widerspricht

geltend macht, dass in satzungsgemäßem Aufgaben- und
Tätigkeitsbereich berührt

zur Mitwirkung berechtigt war und sich geäußert hat oder keine Gelegenheit
zur Äußerung erhalten hat
Naturschutzrechtliche Verbandsklage nach § 64 Abs. 1 BNatSchG
anerkannte Naturschutzvereinigung kann,
soweit § 1 Abs. 3 UmwRG nicht entgegensteht (d.h. soweit nicht im
Planfeststellungsverfahren Rechtsbehelfe nach dem UmwRG eröffnet sind),
ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein, Rechtsbehelfe nach der VwGO
einlegen gegen Entscheidungen nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 und Abs. 2 Nr. 5
bis 7 BNatSchG, wenn die Vereinigung

geltend macht, dass die Entscheidung Vorschriften des Bundes- oder
Landesnaturschutzrechts widerspricht

in ihrem satzungsmäßigen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich berührt wird

nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 und Abs. 2 Nr. 5 bis 7 BNatSchG zur
Mitwirkung berechtigt und sich geäußert hat oder ihr keine Gelegenheit
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zur Äußerung gegeben worden ist (im letztgenannten Fall kann
Aufhebung unabhängig von der Rechtswidrigkeit der Sachentscheidung
verlangt werden
b)
Begründetheit der Klage bei Verletzung von Verfahrensvorschriften?
<siehe oben VI.3.a)bb)>
2.
Normenkontrollverfahren
a)
Verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle, § 47 VwGO
aa) Antragsgegenstand nach § 47 Abs. 1 VwGO sind:
 Nr. 1: Satzungen nach dem BauGB, insb. Bebauungspläne
 Nr. 2: andere im Rang unter dem Landesgesetz stehende
Rechtsvorschriften, sofern Landesrecht dies bestimmt (Bayern: Art. 5
AGVwGO)
bb) Antragsbefugnis
antragsbefugt ist jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht,
durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu
sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden; das können etwa neben
unmittelbar betroffenen Grundeigentümern (Art. 14 GG) im Geltungsbereich eines
Bebauungsplans auch mittelbar betroffene Dritte sein, die aufzeigen können, dass
sie in abwägungsrelevanten Belangen berührt werden, sofern eine Verletzung
des Abwägungsgebots "möglich" ist
antragsbefugt sind darüber hinaus auch "Behörden" unabhängig von einer
subjektiven Rechtsverletzung (nach h.M. ist allerdings nur, wenn die Behörde mit
dem Vollzug der Rechtsvorschrift befasst ist)
cc) Begründetheit der Normenkontrolle
sofern die Zulässigkeitshürde genommen ist, ist die Normenkontrolle als
objektives Normprüfungsverfahren begründet, wenn die Norm gegen
höherrangiges, auch objektives Recht verstößt; subjektive Rechtsverletzung
des Antragstellers ist insoweit nicht erforderlich
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=> hohe Relevanz für UmwR: NK-Antrag auch begründet, wenn
(antragsbefugter) Antragsteller sich auf eine Verletzung objektiv-rechtlicher
Vorschriften (z.B. Naturschutzrecht) stützt!
b)
Popularklage zum BayVerfGH
der BayVerfGH hat gemäß Art. 98 Satz 4 BV "Gesetze und Verordnungen für
nichtig zu erklären, die ein Grundrecht verfassungswidrig einschränken"
aa) Prüfungsgegenstand
Prüfungsgegenstand sind "Gesetze und Verordnungen", nach der Rspr. des
VerfGH aber auch Satzungen (z.B. Bebauungspläne);
bb) Antragsbefugnis
antragsbefugt ist gemäß Art. 55 VerfGHG "jedermann" (quivis ex popolo)
cc) Begründetheit der Popularklage
Popularklage als objektives Normenkontrollverfahren ist begründet, wenn
"Gesetze und Verordnungen" ein Grundrecht verfassungswidrig einschränken;
Prüfungsmaßstab sind ausschließlich (Landes-) "Grundrechte" (nicht
notwendigerweise des Popularklägers); allerdings prüft der VerfGH über das
Willkürverbot (Art. 118 BV) mittelbar auch die Verletzung sonstigen Landes(verfassungs-) und sogar Bundesrechts;
Popularklagen gegen Bebauungspläne sind deshalb durchaus
erfolgversprechend (vgl. zu einem besonders krassen Fall einer willkürlichen
Abwägung wegen Missachtung des in Art. 141 Abs. 1 Satz 4 BV normierten
Gebots, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, VerfGH BayVBl 2006,
598)
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