PARITÄTISCHE Stellungnahme zu den Eckpunkten zu einer Gesundheitsreform 2006 Grundsätzliche Anmerkungen Die seitens der Regierungsfraktionen vereinbarten Eckpunkte zu einer Gesundheitsreform 2006 enthalten weit reichende Empfehlungen und Absichtserklärungen für die künftige Gesundheitspolitik. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) erkennt ausdrücklich an, dass die Eckpunkte zahlreiche Einzelvorschläge umfassen, die geeignet sind, die gesundheitliche Versorgung zu verbessern und wirtschaftlicher zu gestalten. Er begrüßt, dass die Eckpunkte nicht vorsehen, das Ausmaß von Zuzahlungen und Selbstbehalten noch weiter zu erhöhen. Es ist jedoch ebenfalls nicht zu verkennen, dass die in den Eckpunkten dargelegten Empfehlungen insgesamt kein Beitrag sein können, um die grundlegenden Probleme des Gesundheitswesens zu beseitigen. Auf der Finanzierungsseite wäre die Einführung eines Gesundheitsfonds nicht nur mit zusätzlicher Bürokratie verbunden, sondern würde auch beträchtliche finanzielle Risiken für die Versicherten beinhalten. Es ist demgegenüber nicht ersichtlich, welcher Nutzen aus dem Gesundheitsfonds resultieren könnte, zumal auf die gebotene Ausweitung der Beitragsbemessungsgrundlagen verzichtet wurde. Die Einführung eines Gesundheitsfonds wird deshalb abgelehnt. Auf der Leistungsseite enthalten die Eckpunkte keine Vorschläge, die geeignet wären, die Strukturen im Gesundheitswesen zu verbessern. Die einzelnen Ansätze zur Ausweitung etwa der integrierten Versorgung bleiben zaghaft. Eine Überwindung der sektoriellen Strukturen ist ebenso wenig geplant wie Schaffung eines echten Qualitätswettbewerbes im Gesundheitswesen. Die Stellung von Ärzten, Pharmaindustrie und Privaten Krankenversicherungen bleibt im Grundsatz unangefochten. Der DPWV sieht deshalb erheblichen Änderungsbedarf an den bestehenden Plänen für eine Gesundheitsreform 2006. Im Einzelnen nimmt der DPWV zu den Eckpunkten wie folgt Stellung: Ad 1. Zur grundsätzlichen Notwendigkeit weiterer struktureller Reformen im Gesundheitswesen Der DPWV teilt in wesentlichen Punkten die den Eckpunkten vorangestellte Analyse der Ausgangssituation. Das deutsche Gesundheitswesen ist durch eine qualitativ hochwertige Versorgung gekennzeichnet. Gleichzeitig besteht ein erhebliches Maß an Über-, Unter- und Fehlversorgung, das große Spielräume für eine weitere Effizienzsteigerung eröffnet. Viele der in den Eckpunkten niedergelegten Ziele sind jedoch kein Beitrag, um diese Effizienzsteigerungen zu erreichen. So bleibt die sektorale Abschottung der unterschiedlichen Versorgungszweige weiter bestehen. Neben notwendigen strukturellen Reformen ist es geboten, die Transparenz in der Finanzierung des Gesundheitswesens zu verbessern und die weiter bestehenden „Verschiebebahnhöfe“ zwischen den Systemen, aber auch zwischen Bundeshaushalt und Gesetzlicher Krankenversicherung, zu beseitigen. Die stetig betriebene Absenkung der pauschalen Mindestbeiträge für die Bezieher von Leistungen nach den SGB II führt dazu, dass die Beiträge längst nicht mehr kostendeckend sind. Dies bedeutet eine Abschiebung von Lasten der Allgemeinheit aus dem Bundeshaushalt auf die Beitragszahler. Die beabsichtigte Einstellung der Weiterleitung von Einnahmen aus der Tabaksteuer an die GKV wirkt sich ähnlich aus. Gleiches gilt für die Folgen der Umsatzsteuererhöhung. Durch die Kostensteigerungen insbesondere im Bereich der Arzneimittel werden die Beitragszahler spürbar belastet. Der DPWV weist darüber hinaus darauf hin, dass der Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung für größer werdende Personengruppen bereits heute eingeschränkt ist. Er fordert die Parteien auf, sich für eine Verbesserung des Zugangs zu Gesundheitsdienstleistungen einzusetzen. Ad 2. Strukturelle Reformen im Ausgabenbereich Der DPWV bekräftigt seine Position, dass eine grundlegende Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung neben einer Reform der Finanzierungsgrundlagen vor allem auch strukturelle Reformen beinhalten muss, um Einsparungen auf der Ausgabenseite erzielen zu können. Diese Reformen müssen sich jedoch am Wohl der Patientinnen und Patienten orientieren und dürfen nicht zu Lasten der Versorgungsqualität erfolgen. Gleichzeitig die Qualität und die Wirtschaftlichkeit der gesundheitlichen Versorgung sicherzustellen, ist kein Widerspruch. Der DPWV hat dazu unter dem Titel „Solidarisch, leistungsfähig und gerecht - Wege zur Restrukturierung der sozialen Krankenversicherung“ ein umfassende Reformvorschläge vorgelegt. Die zurückliegenden Reformen im Gesundheitswesen haben sich in der Regel darauf beschränkt, akute Probleme durch kurzfristige Einsparungen und Leistungskürzungen zu mildern. Durch Zuzahlungen, Selbstbehalte und die Herausnahme von Leistungen aus dem Leistungskatalog der GKV wurden insbesondere einkommensschwache und chronisch kranke Menschen deutlich belastet, ohne dass die strukturellen Probleme im Gesundheitswesen beseitigt worden wären. Dies ist jedoch erforderlich, wenn man die gesundheitliche Versorgung nachhaltig sichern will. Der DPWV fordert dabei insbesondere die bessere Verzahnung der einzelnen Versorgungsbereiche und den konsequenten Ausbau von Präventionsstrukturen, durch den die Ausgaben im Gesundheitswesen deutlich sinken könnten. Reformen dürfen nicht zum Selbstzweck werden. Die Eckpunkte zu einer Gesundheitsreform 2006 müssen sich daran messen lassen, ob sie den Zugang zu einer umfassenden gesundheitlichen Versorgung für die gesamte Bevölkerung erleichtern und dabei einen Beitrag hin zu einer Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen sind. Der DPWV hat in seinem Positionspapier „Solidarisch, leistungsfähig und gerecht. Wege zur Restrukturierung der Gesetzlichen Krankenversicherung“ strukturelle Probleme des Gesundheitswesens benannt und Alternativen vorgeschlagen. Die darin enthaltenen Empfehlungen sind auch heute noch aktuell. Ad 3. Ambulante ärztliche Versorgung Die Bestrebungen, die sektorale Abschottung der einzelnen Versorgungssysteme zu überwinden, werden begrüßt. Es wäre deshalb wünschenswert, dass die Möglichkeiten der Krankenhäuser, sich für ambulante Leistungen zu öffnen, erweitert werden. Die Eckpunkte sind an dieser Stelle nicht konsequent. Die Verlängerung von Anschubfinanzierungszeiten und die beabsichtigte Einbindung der Pflegeversicherung in die integrierte Versorgung werden unterstützt. Wie in Anlage 2 zu den Eckpunkten dargelegt, sind entsprechende Finanzierungsformen zu schaffen. Das Bekenntnis zur Notwendigkeit einer Entbürokratisierung im Bereich der Qualitätssicherung wird ausdrücklich begrüßt. Die im Rahmen einer Reform der Honorarsystematik der Ärzte geplante Übertragung des Morbiditätsrisikos auf die Krankenkassen muss mit der Sicherstellung eines morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs einhergehen. Der beabsichtigte Einsatz von 0,5 % der Krankenhausbudgets zur Anschubfinanzierung bei der Förderung der Erbringung von hochspezialisierten Leistungen am Krankenhaus wird abgelehnt. Die Krankenhausbudgets sind bereits jetzt stark belastet. Absehbare Kostensteigerungen – bspw. durch Tariferhöhungen - werden die Krankenhäuser zusätzlich in erheblichem Umfang belasten. Die Mittel für eine Anschubfinanzierung sind deshalb vollständig durch die Krankenkassen zu tragen. Ad 4. Ambulante zahnärztliche Versorgung Keine Stellungnahme. Ad 5. Stationäre Versorgung einschließlich der stationären Rehabilitation Der Krankenhaussektor in Deutschland war in den vergangenen Jahren Gegenstand zahlreicher gesundheitspolitischer Reformen. Dazu zählt insbesondere die 2003 begonnene Einführung von Fallpauschalen. Gerade frei-gemeinnützige Krankenhäuser, die auf einem hohen qualitativen Niveau oftmals sehr spezifische Leistungen erbringen, waren dadurch einem besonderen Reformdruck ausgesetzt. Die sich daraus ergebenden Herausforderungen wurden unter großen Anstrengungen gemeistert. Gerade vor diesem Hintergrund ist es sachlich nicht zu begründen, dass die Krankenhäuser pauschal zu einem Sanierungsbeitrag in Höhe von 1 % der Budgets herangezogen werden sollen. Ad 6. Arzneimittelversorgung Der DPWV begrüßt die genannten Maßnahmen, soweit sie dazu geeignet sind, die Wirtschaftlichkeit des Gesundheitswesens bei mindestens gleich bleibender Qualität zu erhöhen. Flexiblere Preisvereinbarungen und die leichtere Abgabe einzelner Tabletten können ein Beitrag dazu sein. Dies gilt auch für die Möglichkeit, nicht genutzte Präparate weiterzugeben oder zurückzugeben. Die Erweiterung der bestehenden Nutzen-Bewertung bei Arzneimitteln zu einer KostenNutzen-Bewertung ist grundsätzlich zu begrüßen. Diese Maßnahme soll keine zusätzliche Zulassungsvoraussetzung darstellen. Aus Sicht des DPWV wäre es demgegenüber nur konsequent, wenn der Gesetzgeber Möglichkeiten schafft, die Zulassung eines Arzneimittels in besonders schwerwiegenden Fällen zu verweigern oder zurückzunehmen. Das Erfordernis, bei besonders kostenintensiven Medikamenten künftig eine Zweitmeinung einholen zu müssen, wird grundsätzlich begrüßt. Diese Maßnahme kann dazu beitragen, die therapeutische Sicherheit von Ärzten und Patienten gleichermaßen zu erhöhen. Es muss jedoch sichergestellt werden, dass es deshalb nicht zu Verzögerungen oder Engpässen bei der Medikamentenversorgung kommt. Ad 7. Versorgung mit Heil und Hilfsmitteln Die Förderung des Wettbewerbs im Bereich der Heil- und Hilfsmittel wird begrüßt. Es muss dabei jedoch sichergestellt werden, dass es deshalb nicht zu Verzögerungen in der Versorgung kommt und die individuellen Bedürfnisse der Patienten im Mittelpunkt stehen. Ad 8. Fahrtkosten Ein pauschaler Ausgabenabschlag von 3 Prozent im Bereich der Fahrtkosten einschließlich der Rettungsfahrten ist willkürlich. Schon in den vergangenen Jahren gab es deutliche Kürzungen in diesem Bereich, die zu einer Verschlechterung des Zugangs zu medizinischen Leistungen führen können. Eine pauschale Kürzung wird deshalb abgelehnt. Ad 9. Schnittstellen zwischen Akutversorgung, Rehabilitation und Pflege Das Bemühen, bestehende Schnittstellenprobleme zu beseitigen, wird begrüßt. Auch die Umwandlung des Anspruchs auf ambulante und stationäre Rehabilitation im Bereich der Geriatrie von einer Ermessens- in eine Pflichtleistung wird begrüßt. Die geplante eindeutige Zuordnung der medizinischen Behandlungspflege in die Finanzverantwortung der Pflegeversicherung wird hingegen abgelehnt. Die Erweiterung des Haushaltsbegriffes wird ausdrücklich begrüßt. Ziel muss es sein, Haushaltsbegriff und Lebensort möglichst in Einklang zu bringen. Ad 10. Transparenz und Bürokratieabbau Im Gesundheits- und Pflegebereich bestehen zahlreiche unnötige bürokratische Verpflichtungen, unter denen Dienstleister und Patienten gleichermaßen zu leiden haben. Der DPWV begrüßt deshalb die Absicht, bürokratische Anforderungen an Ärzte und Pflegekräfte abzubauen und Chronikerprogramme zu entbürokratisieren. Der DPWV unterstreicht, dass es bei der postulierten einfacheren und zielgenaueren Ausgestaltung des Risikostrukturausgleiches unumgänglich ist, die Abbildung der tatsächlichen Risiken weiterzuentwickeln, um damit den Wettbewerb um eine qualitativ hochwertige Versorgung von chronisch kranken Menschen zu verbessern und faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Kassen zu schaffen. Ad 11. Erweiterung der Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten der Versicherten Die Erweiterung von Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten wird begrüßt, soweit eine umfassende medizinische Versorgung in jedem Fall sichergestellt bleibt und soweit die Erweiterung von Wahlmöglichkeiten nicht zu einem Mittelentzug aus der GKV führt. Die Einführung von Kontrahierungszwängen und die Sicherung der Portabilität von Altersrückstellungen innerhalb des Versicherungssystems der PKV werden begrüßt. Die dadurch erreichte Verbesserung der Wahlmöglichkeiten betrifft jedoch nur Menschen, die bereits jetzt privat versichert sind. Ein fairer Wettbewerb zwischen den unterschiedlichen Systemen ist weiterhin nicht beabsichtigt. Ad 12. Prävention Der beabsichtigte gesundheitlichen Ausbau Versorgung der Prävention wird ebenso zu einer begrüßt eigenständigen wie die Säule Schaffung der eines Präventionsgesetzes. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde dabei bereits in der vergangenen Legislaturperiode in den Bundestag eingebracht. Die Schaffung eines Präventionsgesetzes ist eine langjährige Forderung des DPWV, auch wenn der alte Entwurf des Präventionsgesetzes aus der letzten Legislaturperiode weitgehender Überarbeitung bedurfte. Die Politik ist gefordert, den postulierten Absichten Taten folgen zu lassen. Die Stärkung der betrieblichen Gesundheitsförderung und der Ausbau der Selbsthilfeförderung sind dafür wesentliche Elemente. Bisher werden in diesem Bereich jedoch nicht einmal die bereits jetzt vorgeschriebenen Fördermittel für die Selbsthilfe aufgewandt. Krankenversicherungen, Länder und Kommunen sind deshalb an die bereits bestehenden Förderverpflichtungen gegenüber der Selbsthilfe zu erinnern. Die in den Eckpunkten formulierte Absicht, dass 45- bis 55jährige Menschen, die chronisch krank werden, künftig nur noch dann von einer Zuzahlungsbegrenzung in Höhe von 1 Prozent des Einkommens profitieren können, wenn sie medizinische Versorgungs- und Früherkennungsleistungen in Anspruch genommen haben, wird abgelehnt. Eine solche Maßnahme wäre der Einstieg in eine verschuldensabhängige Individualisierung von Leistungsansprüchen. Als Alternative wird eine Bonus-Regelung empfohlen. Versicherte, die regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen besuchen und an Präventionsmaßnahmen teilnehmen, sollten von Zuzahlungen befreit werden. Der DPWV lehnt eine Änderung der Definition des Begriffes der chronischen Krankheit ab. Ad 13. Leistungskatalog und Zuzahlungen Der DPWV begrüßt, dass in den Eckpunkten keine Ausweitung von Zuzahlungen und Leistungsausgrenzungen gefordert werden. Dies reicht jedoch nicht aus. Die bestehenden Zuzahlungsregelungen, die viele einkommensschwache Menschen spürbar belasten, ohne dass dem damit verbundenen bürokratischen Aufwand ein entsprechender Nutzen gegenüberstehen würde, sind zu überarbeiten. Besonders einkommensschwache Menschen müssen vollständig von Zuzahlungen befreit werden. Die Aufnahme zusätzlicher Leistungen - wie bspw. der geriatrischen Rehabilitation und der Palliativversorgung - in den Leistungskatalog wird ausdrücklich befürwortet. Dies gilt auch für die Verbesserung des Anspruchs auf Mutter-Kind-Kuren sowie des Anspruchs auf Impfungen. Die beabsichtigten Leistungseinschränkungen für Folgen selbstgewählter Behandlungen sind nachvollziehbar. Sie dürfen jedoch keinesfalls als Einstieg genommen werden, um künftig ganze Leistungsbereiche – wie die sog. „privaten“ Unfälle - aus dem Leistungskatalog der GKV hinauszunehmen. Die in den Eckpunkten skizzierte Organisation des Gesundheitsfonds und der überaus enge finanzielle Rahmen werden den Druck auf die Krankenversicherungen weiter erhöhen. Da diese aus Wettbewerbsgründen nur eingeschränkte Möglichkeiten haben, zusätzliche Beiträge zu erheben, ist zu befürchten, dass die Kassen mit dem Streichen freiwilliger Leistungen reagieren werden. Dies wird insbesondere wünschenswerte Präventionsprogramme und Programme für chronisch kranke Menschen betreffen. Diese absehbaren Entwicklungen wirken sich negativ auf die Versorgung der Betroffenen sowie auf die Wirtschaftlichkeit des Systems aus. Ad 14. Reform der Institutionen Die Erleichterung von Fusionsmöglichkeiten und die Ausweitung des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen werden begrüßt. Es ist sachlich nicht zu begründen, warum eine kaum überschaubare Vielzahl von über 250 verschiedenen Krankenkassen mit einem gesetzlich weitgehend festgeschriebenen und damit nahezu identischen Leistungsangebot auf dem Markt tätig sein sollte. Der DPWV unterstützt Bestrebungen, die Verwaltungsstrukturen der Krankenkassen effizienter zu gestalten. Er erkennt und unterstützt jedoch auch die Legitimität pluraler Strukturen, die auf unterschiedlichen Ausrichtungen und Angeboten beruhen. Der Zwang zur Gründung eines einheitlichen Spitzenverbandes wird deshalb abgelehnt. Die Eckpunkte enthalten das Bekenntnis, an der Patientenbeteiligung in der bisherigen Form festzuhalten. Die Eckpunkte fallen damit hinter die Übereinkunft im Koalitionsvertrag zurück. Dort war ein Ausbau der Patientenbeteiligung vorgesehen. Der DPWV unterstützt und unterstreicht das im Koalitionsvertrag formulierte Anliegen. Der DPWV lehnt das Vorhaben ab, den Gemeinsamen Bundesausschuss künftig nur mit hauptamtlichen Mitgliedern zu besetzen. Ein solcher Schritt würde zahlreiche Fragen bezüglich der Legitimation der Entscheidungsträger aufwerfen. Der gemeinsame Bundesausschuss darf nicht in eine dem BMG nachgeordnete Behörde umgewandelt werden. Die in den Eckpunkten enthaltene Tendenz, den Einfluss des Staates auf die Gestaltung der Strukturen im Gesundheitswesen deutlich auszubauen, weist in eine falsche Richtung. Der DPWV fordert stattdessen, dass Subsidiaritätsprinzip künftig stärker zu betonen. Ad 15. Gesundheitsfonds Die in den Eckpunkten postulierte Einführung eines Gesundheitsfonds wird abgelehnt. Die Einführung eines Gesundheitsfonds ist mit keinerlei Vorteilen für die Bürgerinnen und Bürger verbunden. Effizienzgewinne oder eine verbesserte Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems sind nicht zu erwarten. Stattdessen ist die Einführung eines Gesundheitsfonds mit schwerwiegenden Problemen und Risiken für die Versicherten verbunden. Die Einführung eines Gesundheitsfonds konterkariert das Anliegen, durch Reformen auf der Ausgabenseite eine verbesserte Wirtschaftlichkeit des Systems zu erreichen. Es war ursprünglich das gemeinsame Anliegen der regierenden Parteien, die Beitragsbemessungsgrundlagen der Gesetzlichen Krankenversicherung zu erweitern. Die SPD plädierte dabei für die Einführung einer Bürgerversicherung, während CDU/CSU für das Modell einer pauschalen Gesundheitsprämie eintraten. Der mit dem Gesundheitsfonds gefundene Kompromiss fällt deshalb hinter das gemeinsame Anliegen auch der beteiligten Parteien zurück. Mit der Einführung eines Fondsmodells wird den Kassen faktisch die Beitragsautonomie genommen. Zwar ist vorgesehen, dass die Kassen Mehrausgaben durch die Erhebung zusätzlicher Beiträge decken können. Die Höhe dieser Beiträge ist jedoch gedeckelt. Gleichzeitig müssen die Kassen aus Wettbewerbsgründen versuchen, anstelle von zusätzlichen Beiträgen Leistungen in entsprechendem Umfang zu streichen. Dies wird zu einer Verschlechterung der medizinischen Versorgung führen. Mit der Einführung des Fonds werden die bisherigen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge faktisch festgeschrieben, Sonderbeitrags von 0,9 wobei der Arbeitnehmerbeitrag Beitragssatzpunkten deutlich wegen des bestehenden höher ausfällt als der Arbeitgeberbeitrag. Die absehbaren Kostensteigerungen, die sich aus der Erosion des Beitragsaufkommens, dem demographischen Wandel und den Kosten des medizinischen Fortschritts ergeben, gehen künftig vollständig zu Lasen der sozialversicherungspflichtigen Beitragszahler. Da das steuerlich relevante Einkommen der Versicherten weiter nicht berücksichtigt wird, geht die Verteilung der Beitragslasten an der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten vorbei. Außerdem drängt sich die Frage auf, ob die paritätische Vertretung in der GKV noch zu rechtfertigen ist. Der bürokratische Aufwand für den Beitragseinzug kann sich mit der Einführung eines Gesundheitsfonds vervielfachen. Neue bürokratische Strukturen müssten geschaffen werden, die die Aufgaben der bisher für den Beitragseinzug verantwortlichen Stellen übernehmen. Zusätzlich müsste jede Krankenkasse eigene Strukturen vorhalten, um die von den Versicherten zusätzlich zu zahlenden Zuschläge zu erheben. Dies wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die Höhe der Zuschläge durch das Einkommen der Versicherten begrenzt wird. Während sich der Beitragseinzug am Bruttolohn bemisst, kann das Haushaltseinkommen für die Bemessung der Zuschläge relevant werden. Eine Verwendung unterschiedlicher Einkommensbegriffe führt zu einem erheblichen Mehraufwand. Die künftige Ausgestaltung des Risikostrukturausgleichs bleibt unbestimmt. Geplant ist, Risiken wie „beispielsweise Alter, Krankheit, Geschlecht“ durch risikoadjustierte Zuweisungen aus dem Fonds auszugleichen. Bereits jetzt ist absehbar, dass ein morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich nicht rechtzeitig institutionalisiert werden könnte, da notwendige Datengrundlagen erst geschaffen werden müssen. Ein derart ausgestalteter RSA ist jedoch eine unerlässliche Voraussetzung für einen Wettbewerb im Sinne der Patientinnen und Patienten. Der DPWV warnt vor den zahlreichen Implementationsproblemen, die mit einer Verlagerung des Beitragseinzugs von den Kassen auf regional organisierte Einzugsstellen einhergehen. Die unterschiedlichen Einzugssysteme der Kassen sind technisch nicht kompatibel. Die Umstellung auf eine einheitliche Software wird erhebliche Kosten verursachen und ist technisch bis zum 1.1.2008 nicht zu realisieren. Der DPWV verweist auf die bis heute nicht erfolgte Softwareanpassung im Bereich der ARGEn. Obwohl dabei lediglich zwei unterschiedliche Partner vernetzt werden mussten und lediglich etwa 7 Millionen Leistungsempfänger betroffen waren, ist die Umstellung bis heute noch nicht vollzogen. Eine Zusammenführung der Beitragseinzugssysteme von über 250 Krankenkassen mit über 72 Millionen Versicherten ist demgegenüber noch ungleich anspruchsvoller. Mit der Verlagerung des Einzugs auf regionale Einzugsstellen können weit reichende rechtliche Probleme verbunden sein. Es ist beispielsweise unklar, ob der Beitragseinzug auf regionaler Ebene künftig ausgeschrieben werden muss. Der Gesundheitsfonds wirft mit Blick auf die rechtliche Gestaltung noch viele ungelöste Fragen auf. Die vorgesehene ergänzende Steuerfinanzierung wird den tatsächlichen Anforderungen nicht gerecht. Die für 2008 und 2009 vorgesehenen Zuschüsse von 1,5 Mrd. Euro bzw. 3 Mrd. Euro sind angesichts des Gesamtvolumens von nachrangiger Bedeutung. Demgegenüber ist es nicht hinnehmbar, wenn der Gesetzgeber die der GKV bisher aus den Einnahmen der Tabaksteuer zur Verfügung gestellten Bundeszuschüsse von 4,2 Milliarden Euro sukzessive zurückführt und vollständig in dem Bundeshaushalt fließen lässt. Diese Politik ist inkonsistent; sie trägt zu einer Erhöhung der Lohnnebenkosten bei und zerstört das Vertrauen der Versicherten in die Verlässlichkeit der Finanzierungsstrukturen im Gesundheitswesen. In den Eckpunkten wird die Absicht formuliert, den Gesundheitsfonds künftig um steuerliche Zuschüsse zu ergänzen, die sich langfristig an den Kosten für die Mitversicherung von Kindern orientieren sollen. Der DPWV lehnt eine solche Bindung ab. Weder kann eine steuerliche Zweckbindung festgeschrieben werden, noch ist die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern eine versicherungsfremde Leistung. Der DPWV hat in seinem Konzept „Solidarisch, leistungsfähig und gerecht. Wege zur Restrukturierung der Gesetzlichen Krankenversicherung“ umfangreiche Vorschläge für die Entlastung der Kassen von versicherungsfremden Leistungen erbracht. Es ist bereits heute absehbar, dass der geplante Gesundheitsfonds strukturell unterfinanziert ist. Mit der Einführung eines Fonds droht eine weitere Beitragssatzsteigerung, die nach Berechnungen der Kassen zu einem Beitragssatz von über 16 Prozent im Jahr 2008 führen kann. Da die Bundesregierung eine weitere Erhöhung der Lohnnebenkosten ausschließt, droht mittelfristig eine Ausgliederung von Leistungsbereichen aus dem Leistungskatalog der GKV als Alternative zu weiteren Beitragssatzerhöhungen. Der DPWV lehnt eine solche „Riesterisierung“ der sozialen Krankenversicherung entschieden ab. Der Leistungskatalog der GKV muss auch künftig alle medizinisch notwendigen Leistungen umfassen. Ad 16. Verhältnis der PKV zur GKV Die Sicherstellung der Portabilität individueller Altersrückstellungen wird begrüßt. Die derzeit praktizierte Regelung hat faktisch dazu geführt, dass ein Wechsel innerhalb des PKVSystems ab einem bestimmten Alter mit unverhältnismäßig großen finanziellen Belastungen verbunden war. Portable Altersrückstellungen ermöglichen deshalb mehr Wettbewerb. Die Einführung eines PKV-Basissystems wird ebenso begrüßt wie die beabsichtigte Öffnung der PKV für alle freiwillig Versicherten. Bei einem Wechsel zwischen den Systemen ist im Gesetzgebungsverfahren dafür Sorge zu tragen, dass keine zusätzlichen Lasten für die GKV entstehen. Ein „Rosinenpicken“, bei dem Menschen in jungen Jahren von den niedrigen Beiträgen der PKV profitieren und später – im Alter oder im Krankheitsfall – in das preisgünstigere Solidarsystem zurückkehren, muss ausgeschlossen werden. Die Beteiligung der PKV an den Ausgaben für die Primärprävention ist ausdrücklich zu begrüßen. Dies muss die Förderung von Gesundheitsselbsthilfeorganisationen ausdrücklich einschließen. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob eine Einbindung der PKV in den Risikostrukturausgleich rechtlich möglich ist. Es wäre dabei auch denkbar, dass sich die PKV durch eine angemessene jährliche Pauschale an der solidarischen Lastenverteilung im Gesundheitswesen beteiligt. Berlin, den 25.08.2006 Der PARITÄTISCHE Gesamtverband