Satztypen der Moderne

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Satztypen der Moderne
Arbeits- und Forschungsrahmen Wolfgang Kienzler (Stand: 2012)
Hinweis:
Diese Ausführungen geben einen historisch und systematisch geordneten Überblick über meinen
Forschungsrahmen. Das Ziel ist zum einen eine Neubewertung sowohl der Geschichte der (neuzeitlichen
und modernen) Philosophie und zum anderen die Eröffnung einer methodischen und prinzipiellen Klärung
der Grundpositionen der analytischen Gegenwartsphilosophie. Einzelheiten zu den Publikationen finden
sich in der Publikationsliste (auf der Homepage verfügbar).
[Ergänzung März 2017: Dieser Rahmen hat sich seit 2012 in einigen Hinsichten noch erweitert, ohne dass
eine grundsätzliche Änerung vorgenommen worden wäre. An einigen Stellen ist dies durch knappe
Einfügugen kenntlich gemacht.]
Vorbemerkung:
Die wesentliche Grundentscheidung jeder philosophischen Position liegt darin,
festzulegen, was in ihr überhaupt als diskussionswürdig und damit als sinnvoll zugelassen
wird. In vielen Fällen wird dies nicht explizit ausgesprochen und begründet, sondern es
werden nur Wahrheitsansprüche innerhalb eines vorausgesetzten inhaltlichen und
methodischen Rahmens diskutiert. Da sich jegliches Philosophieren sprachlich, und
innerhalb der Sprache ganz vorwiegend in Sätzen vollzieht, lässt sich die Grundstellung
einer philosophischen Position daran erkennen, welche Typen von Sätzen sie
unterscheidet und welche sie als zulässig anerkennt. Die Aufgabe der theoretischen
Philosophie, wenn sie sich als systematische Disziplin versteht, die nicht nur
Einzelfragen behandeln will, besteht daher darin, Klarheit über die Satztypen der
Moderne zu gewinnen (wobei die Satztypen der früheren Zeit eine wichtige Ergänzung
darstellen). Dieser philosophische Grundansatz eröffnet ein gleichermaßen
systematisches wie historisches Forschungsgebiet, wobei das systematische Interesse den
Vorrang behält, weil die verschiedenen Ansätze innerhalb der Philosophiegeschichte in
systematischer Perspektive gesehen und beurteilt werden.
Der hier vorgestellte Projektrahmen geht von Wittgensteins Einteilung der Satztypen aus.
Er ist jedoch nicht an eine bestimmte inhaltliche Auffassung gebunden, sondern die
Beachtung der Satztypen dient als Instrument, um die besondere logische Eigenart
verschiedener philosophischer Herangehensweisen deutlich werden zu lassen und auf
1
neue Weise zumindest ein Stück weit vergleichbar werden zu lassen.
Dieser Ansatz hat sich auf natürliche Weise auch auf das Gebiet der praktischen
Philosophie und der Geschichte der Philosophie ausgeweitet. 1 Es bestehen zahlreiche
Anknüpfungsmöglichkeiten an andere Projekte.
I Historischer Teil:
Satztypen der Moderne – die historische und systematische Entfaltung der
Sprachphilosophie
Es ist zunächst eine systematische Übersicht über die von den jeweiligen Philosophen als
sinnvoll bzw. überhaupt einschlägig erachteten Satztypen, sowie der Art, die
Zusammenhänge zwischen ihnen darzustellen. Wichtig ist dabei, die gewöhnlich
erkenntnistheoretisch motivierte Unterscheidung, auf ein logisches Fundament zu
beziehen, denn die Frage nach der Begründung der Wahrheit ist nur ein, wenn auch
wesentlicher, Aspekt des Umgangs mit den jeweiligen Sätzen. Sowohl Kant wie auch
Wittgenstein geben daher zuerst eine logische Einteilungsweise; und selbst bei Hume, der
die Logik zunächst ablehnt, findet sich die Entfaltung sprachlogischer Erwägungen an
zentraler Stelle. – Zu erwähnen ist weiter, dass hier vor allem solche Autoren ausgewählt
wurden, die innerhalb der analytischen Philosophie bis heute auch für die systematische
Arbeit einflussreich sind.
Spezielle Untersuchungen innerhalb dieses Rahmenthemas in chronologischer Ordnung :
1. Satztypen bei Descartes
Descartes versucht sich von der Logik und den formalen Mitteln des Denkens überhaupt
zu lösen, dabei generiert seine Überbietungsstrategie eine Fülle bemerkenswert
origineller wie problematischer Satztypen und Argumentationsweisen. Kern der
Untersuchung ist eine sprachanalytische Beschreibung des Cogito (ergo) sum als
Satztypus verstanden, sowie der Sätze, die das natürliche Licht, die Rede von klar und
1
Dieser Forschungshorizont hat sich aus meiner Tätigkeit in Lehre und Forschung über
die letzen Jahre hinweg herausgebildet. Zu den meisten Punkten liegen Vorarbeiten und
Entwürfe in Form von Vorlesungsskripten, teilweise auch in veröffentlichter Form, vor.
2
deutlich, sowie die von angeborenen Ideen auszudrücken versuchen. Dabei zeigt sich,
dass Descartes’ Versuch, die etablierten Satztypen hinter sich zu lassen, an zentraler
Stelle ins Leere geht, dabei aber interessante Probleme, wie etwa das Leib-SeeleProblem, aufwirft. Auch die Notwendigkeit eines zweiten Gottesbeweises ergibt sich in
dieser Perspektive daraus, dass Descartes seinen ersten Beweis in der Sphäre außerhalb
der gewöhnlichen Sätze zu führen versucht und dabei von einer sozusagen primitiven
Form von Kausalität, nämlich dem Abdruck des noch nicht satzförmigen Göttlichen in
der eigenen Seele, Gebrauch macht – diese Begründungsfigur kombiniert, wie schon der
cogito-Gedanke empiristische und rationalistische Elemente. Streng genommen kann er
daher erst in der 5. Meditation den ersten regelrechten Beweis, in Form einer Reihe von
Sätzen, führen. Durch die Beschreibung mit den Satztypen wird auch klar, dass das
Cogito ergo sum kein logischer Schluss (auch kein „performativer“) sein kann, da
Descartes an dieser Stelle auf keinen Fall von der formalen Logik, ja nicht einmal von der
Form des Satzes Gebrauch machen will und darf. (vgl. Vorlesungsskript)
2. Leibniz
Leibniz entwickelt mit seiner Unterscheidung der Vernunftwahrheiten von den
Tatsachenwahrheiten erstmals einen Unterschied von Satztypen, die häufig mit
derjenigen Humes (s.u.) gleichgesetzt wird. Tatsächlich begründet Leibniz dies jedoch
lediglich als erkenntnistheoretischen Unterschied, der allein in der Eingeschränktheit
unseres Wissens begründet ist. Logisch betrachtet er alle Urteile gleichermaßen als
analytisch und a priori und erkennt gerade keine wesentliche Zweiteilung an. Dadurch
verbleibt er (etwa nach Kants Analyse) in der „dogmatischen“ Phase der Philosophie, die
Metaphysik auf unproblematische (aber logisch eben unklare) Weise für möglich
erachtet. Auch der Satz vom Grund gibt keine spezifische Erklärung der Tatsachenurteile,
da er zum einen auch auf die Vernunftwahrheiten zutreffen soll, und da er zweitens
lediglich ein heuristisches Prinzip der Ermunterung bei der Wahrheitssuche darstellt.
3. Hume: Logik I: Gradunterschiede und Satztypen
Humes empiristischer Ansatz reduziert zunächst alle Bewusstseinsinhalte auf einzelne
Eindrücke in der Wahrnehmung bzw. auf daraus abgeleitete Vorstellungen geringerer
3
Lebhaftigkeit. Diese Eindrücke haben zunächst keine natürliche Verbindung zum
sprachlichen Ausdruck. In einem Akt produktiver Inkonsequenz führt Hume dennoch
eine klare Zweiteilung in empirische Tatsachensätze und analytische, rein begriffliche
Sätze ein. Er erkennt auch sehr klar, dass die Problematik allgemeiner Sätze und
insbesondere allgemeiner Prinzipien (wie dem Kausalprinzip) innerhalb seines eigenen
Ansatzes unlösbar ist. Sein radikaler Skeptizismus (vor allem im Treatise), der seinem
Anspruch nach die gesamte Vernunft unterminiert, bleibt jedoch (wie Kant später kritisch
hervorhebt) unvollständig, weil Humes sich selbst die Möglichkeit genommen hat, mehr
als exemplarische Einzelkritik zu üben.
Zusätzlich erkennt Hume jedoch die Eigenart der normativen im Unterschied zu den
deskriptiven Sätzen, wobei er die unauffällige, aber letztlich unüberbrückbare sprachliche
Differenz von Sätzen mit „ist” gegenüber solchen mit „soll” zum Ausgangspunkt seiner
Erörterung nimmt. Berücksichtigt man noch seine Ausführungen zur Ästhetik in On the
standard of taste, so hat Hume ein weiteres Spektrum an Satztypen zu bieten als ihm
generell zugeschrieben wird.
4. Hume: Logik II: Dialoge über natürliche Religion – zur Dialektik der nutzlosen
Satztypen
Gerade durch die Ablehnung der formalen Logik und Sprachbetrachtung eröffnet Hume
in kritischer, teils skeptischer Absicht Wege einer unbefangeneren logischen
Einschätzung von Satztypen in der argumentativen Praxis. Besonders klar führt er dies in
seinen Dialogen über natürliche Religion vor, in denen er teilweise spielerisch, aber
variantenreich, scharfsinnig und im Detail immer sorgfältig die Grenzen zwischen
sinnvollem und sinnlosem Sprechen auslotet. Auch betont er den synthetischen Charakter
der Diskussion, die nicht durch Verweise auf den Satz vom Widerspruch entschieden
werden kann. Dies ist systematisch zu rekonstruieren (und auf Kant zu beziehen).
5. Hume: Logik und Ethik: Enquiry concerning the Principles of Morals
Hume betrachtete seine Untersuchung über die Prinzipen der Moral als sein bei weitem
bestes Buch. Diese Einschätzung ist bisher nicht angemessen verstanden worden. Sie
erschließt sich nur, wenn man Humes konstruktive methodische Haltung zur Ethik im
4
Kontrast zu seinem sonstigen Skeptizismus würdigt. Hume entwickelt seine Fassung der
Ethik als Beschreibung der grundlegenden ethischen Beurteilungs-Sprachspiele. (Vgl.
Hume‘s Best Book)
6. Kant: Die logische Aufhebung der Metaphysik
Kant verweist an prominenter Stelle auf Hume als entscheidende Anregung zu seiner
kritischen Philosophie (Prolegomena, Vorrede), betont aber zugleich, dass er Hume nicht
in dessen Konsequenzen folgt. Bereits in den Schriften der 1760er Jahren verfügt Kant
über eine vernichtende Analyse der logischen Grundlagen der Metaphysik: Der Satz vom
Widerspruch kann keine Grundlage abgeben, da er ein rein logisches und damit formales
Prinzip darstellt, womit keinerlei inhaltliche, metaphysische Sätze begründet werden
können. Den Satz vom Grund dagegen erweist Kant als systematisch vage; er ist
entweder auf den Bereich der Erfahrung einzuschränken und damit äquivalent zum
Kausalprinzip, oder aber er ist ganz zu verwerfen. Damit aber ist keine Basis für
metaphysische Sätze, ja für philosophische Sätze generell, mehr verfügbar. Metaphysik
erweist sich als gar nicht mehr formulierbar. Kants Analyse der Logik der Sprache hat
dies aufgewiesen. Kant sucht dann (anders als der Skeptiker Hume) nach einer neuen
möglichen Basis, von der aus Aussagen mit Notwendigkeit und Allgemeinheit begründet
werden können, ohne diese Notwendigkeit auf den Satz vom Widerspruch zu beziehen.
Nach ersten Versuchen in den 1760er Jahren gelingt ihm erst nach 1770 die Ausarbeitung
einer überzeugenden Konzeption von Sätzen, die synthetisch a priori sind. (vgl. 2012
Kants Erwachen aus dem dogmatischen Schlummer)
7. Kant: Die Urteilstafel als Darstellung der allgemeinen Form des Satzes und als
Übersicht der Satztypen
Kant schließt zwar unmittelbar an Humes Analysen an, verspricht jedoch in seiner
kritischen Philosophie seit 1781 eine systematische und dadurch vollständige Analyse der
möglichen Satztypen, indem er nicht nur wie Hume wichtige Beispiele behandelt,
5
sondern seiner Darstellung den Begriff des Urteils (Satzes) überhaupt zugrundelegt.2
Dies geschieht mit Hilfe seiner Urteilstafel, die zunächst anschaulich aufzeigen soll, was
überhaupt zu einem Urteil gehört. Kant verwendet sie danach in verschiedenen
Abwandlungen dazu, um in den einzelnen spezifischeren Bereichen die jeweiligen
Satzformen im Zusammenhang und vollständig aufzuweisen.3 So präsentiert er zunächst
etwas wie die allgemeine (logische) Form des Satzes, um danach zu den verschiedenen
Satztypen unterscheidend fortzuschreiten. Dabei grenzt er zunächst die auf Anschauung
beruhenden Gebilde der Mathematik aus dem Kreis der eigentlichen Urteile (Sätze) aus,
da sie noch keine Prädikation enthalten. Gleichungen der Mathematik sind für Kant daher
synthetische Konstruktionsaufgaben, aber streng genommen keine Sätze; obwohl seine
Redeweise dies manchmal nahelegt. Auch Definitionen und ähnliche analytische Gebilde
sind für Kant keine Sätze, da Sätze im engeren Sinn des Wortes für ihn sind sämtlich als
synthetisch zu verstehen sind: Zu einem Satz gehört die Prädikation, und diese findet in
der Mathematik nicht statt – es gibt daher für Kant auch keine „mathematischen
Gegenstände”, von denen etwas auszusagen wäre. Er unterscheidet dann
Wahrnehmungssätze, Erfahrungssätze, Grundsätze der Naturwissenschaft, sowie die
Versuche, metaphysische Sätze zu bilden, bei denen er dann aufzeigt, wie sie
systematisch schon an dem Anspruch, überhaupt Sätze zu sein, scheitern.4
Das „Reich der Vernunft” erweist sich aus dieser Perspektive nicht als etwas Jenseitiges,
kaum Erreichbares, sondern als die Sphäre der gewöhnlichen normativen Sätze, die
allerdings auf rein deskriptivem Weg nicht zu erreichen ist. In dieser Hinsicht ist Kants
Grundlegung der Ethik durch den Hinweis auf den Bereich normativer Sätze in vieler
2
Kant betont, dass Philosophie grundsätzlich darauf aus sein muss, nicht bei Einzelfällen
stehenzubleiben, sondern ihren Gegenstand (hier das gesamte rationale Vermögen)
systematisch umfassend, eben nach Möglichkeit vollständig darzustellen.
3
Die systematische Bedeutung, innere Kohärenz sowie der genaue Status der
„Urteilstafel“ sind aus der hier entwickelten Perspektive noch einmal neu zu erschließen.
4
Kants positive Einschätzung etwa der Freiheitsantinomie ist dabei insofern irreführend,
als aus seiner Systematik hervorgeht, daß ein deskriptiver Satz, der die faktische Existenz
von Freiheit behaupten würde, gar nicht präzise formulierbar ist. Genauer behauptet Kant
auch nur die Nichtwiderlegbarkeit einer „anderen Form von Kausalität (aus Freiheit)“ –
den positiven Teil leistet er erst in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, durch den
Hinweis, dass die Formulierung und Anwendung jedes normativen Satzes Freiheit
voraussetzt, so dass das Faktum der bestehenden Urteilspraxis als transzendentaler
Nachweis von Freiheit gelten kann.
6
Hinsicht dem Ansatz Humes verwandt, so dass dem genauen Verhältnis beider Ansätze,
die in der metaphysischen Bewertung auseinandertreten, in der sprachlogischen Analyse
aber weitgehend übereinstimmen, eine eigene Studie zu widmen wäre.
Kants „System der Sätze” kann so, ausgehend von der Urteilstafel systematisch
rekonstruiert, und in vieler Hinsicht geklärt werden. Auch Kants Verhältnis zur
Metaphysik, genauer gesagt sein neu gefasster Begriff von Metaphysik, erscheint so in
einem neuen Licht.
8. Ein Beispiel aus der Geschichte der Logik: das logische Quadrat
Selbst bei einem so unscheinbaren Beispiel wie dem logischen Quadrat werden durch die
Idee der Satztypen neue Aspekte sichtbar: Als „Tafel der Gegensätze” ist es in seiner
einfachsten Form als systematische Variation der elementarsten Arten bzw. Positionen
der Verneinung, und damit als Darstellung einer logischen Form aufzufassen. Im
Uhrzeigersinn gelesen sind diese Positionen: Alle A sind B, Alle A sind nicht B, Nicht alle
A sind B, sowie Nicht alle A sind nicht B. So durchlaufen zeigt sich, dass die
Verneinungen hier nicht systematisch variiert werden, sondern dass an zwei Stellen,
nämlich beim „subalternen” Übergang, jeweils zwei Veränderungen auf einmal
vorkommen, also von Alle A sind nicht B zu Nicht alle A sind B. Eine Harmonisierung, so
dass bei jedem Schritt genau eine Verneinung verändert wird, wäre durch Umstellung der
beiden unteren Positionen leicht zu erreichen. Dies ist aber in 2000 Jahren, bei aller
sonstigen Kritik am Logischen Quadrat, bisher niemals auch nur vorgeschlagen worden.
– Die traditionelle Form des Quadrats bleibt jedoch dann sinnvoll, wenn man den Aspekt
des Übergangs, also des Schließens, und damit nicht Gesichtspunkte der logischen Form,
sondern der Wahrheit zum Hauptaspekt nimmt. Damit ist jedoch der rein formale
Charakter des Quadrats aufgehoben und logisch gesehen eine Mischform hergestellt. –
Der Übergang von der traditionellen zur modernen Logik hat zwar den Aspekt der
zulässigen Übergänge innerhalb des Quadrats durch die hypothetische Umdeutung der
Grundformen weitgehend aufgehoben- die elementare Tafel der reinen Gegensätze behält
aber auch für Frege und seine Nachfolger als Darstellung der Systematik der
Verneinungen ihre volle Berechtigung. Dadurch wird ein Kernbestand einer „absoluten”
Logik sichtbar. (Vgl. 2012 Five puzzles about the square of oppositions)
7
[Anmerkung 2017: Hier sind die neueren Forschungen zur disjunktiven, adjunktiven und
prädikativen Logik ergänzend zu berücksichtigen.]
II Systematischer Teil:
Wittgenstein und die analytische Philosophie
Obwohl sich die analytische Philosophie im 20. Jahrhundert gegen konkurrierende
Ansätze weitgehend durchgesetzt hat, ist bisher die Ausarbeitung einer klaren Position
was die Natur, Aufgabe und Methode der Philosophie selbst angeht, nicht geleistet
worden. Diese Frage, die keine Philosophie auf Dauer wird abweisen können, steht
jedoch im Mittelpunkt von Wittgensteins (früher wie später) Arbeit; und daher liegt eine
wichtige Aufgabe darin, das Verhältnis zwischen Wittgenstein und der analytischen
Philosophie genauer zu fassen. Dabei sind zentrale Stücke des Kernbestands der
analytischen Philosophie einer erneuten Prüfung zu unterziehen. (Vgl. 2005, Was ist
Philosophie?)
9. Wittgensteins Satztypen in seiner Abhandlung
In seiner Logisch-Philosophischen Abhandlung entwickelt Wittgenstein als erster eine
philosophische Konzeption, die die logische Unterscheidung der Satztypen konsequent an
den Anfang stellt: Es gilt, die „Logik der Sprache” klarzulegen. Die erste Aufgabe gilt
dabei der klaren Trennung empirischer Sätze, bei denen Sinn und Wahrheit
auseinandertreten, von analytischen oder logischen Sätzen, bei denen diese Trennung
(entgegen Freges Forderung) keine Rolle spielt. Im nächsten Schritt werden die Sätze der
Philosophie selbst von den ersten beiden Typen abgegrenzt, da ihre „Wahrheit” weder
empirisch noch rein formal aufgezeigt werden kann. Wittgenstein kennzeichnet sie als
Erläuterungssätze mit klärender Funktion, die aber nicht als Sätze mit Wahrheitsanspruch
behauptet werden können. Er verwendet für diese drei Gruppen die Wörter „sinnvoll”,
„sinnlos” und „unsinnig”.
Beide Grundunterscheidungen Wittgensteins sind in der Tradition der analytischen
Philosophie bisweilen in Anspruch genommen, hauptsächlich aber abgelehnt worden –
wobei jedoch eher eine Verdrängung als eine begründete und klare Widerlegung
8
stattgefunden hat.
Wittgenstein behandelt auch noch weitere Satztypen, nämlich mathematische
Gleichungen, Sätze, die Naturgesetze ausdrücken, ethische und ästhetische Sätze,
Glaubenssätze sowie Identitätssätze, wobei er in vielen Fällen diese Gebilde gar nicht als
Sätze im vollen Sinn des Wortes auffasst, sondern eher als „Scheinsätze“. Diese werden,
genau besehen, nicht einfach einer der drei Gruppen zugewiesen, sondern in ihrer
logischen Struktur, mehr aber noch in ihrer Funktionsweise beschrieben. (Darin liegt ein
Vorgriff auf die Philosophischen Untersuchungen, die zahlreiche weitere Beispiele
bereitstellen.)
Eine angemessene textnahe und systematisch erhellende Auslegung der Abhandlung fehlt
bis heute – auch hier ist noch Grundlegungsarbeit zu leisten. (Vgl. 2008 Neue Lektüren
der LPA und 2009 Die Sprache des Tractatus, sowie 2012 Reading the Tractatus from
the Beginning, und 2015 Wittgenstein über Sätze und Bilder.)
[Ergänzung 2017: Das DFG-Projekt, eine Kommentar zu Wittgensteins Abhandlung zu
erstellen, ist inzwischen abgeschlossen, die Ergebnisse sind jedoch noch angemessen in
Form zu bringen.]
10. Wittgenstein und die analytische Philosophie I: analytisch und synthetisch
Bis heute ist in der analytischen Tradition die Frage systematisch nicht hinreichend
geklärt, wie sich Wittgensteins Beschreibung der logischen Sätze als Tautologien zu
späteren Entwicklungen, besonders seit Gödels Arbeiten verhält. Es ist die Meinung
verbreitet, dass Gödels Unvollständigkeitssätze Wittgensteins Auffassung der Logik als
zu restriktiv und eng, weil „mechanisch”, widerlegt hätten, und daß daher die
Zweiteilung in analytische, formal entscheidbare, sowie synthetische, empirisch
überprüfbare Sätze unzureichend sei. Diese seit Carnaps Logische Syntax der Sprache
umstrittene und nie befriedigend geklärte Problematik führt auf die Alternative, dass man
sich entweder mit dem späteren Gödel zu einer Form des logischen Deskriptivismus und
schließlich des Platonismus in der Philosophie der Logik und Mathematik gezwungen
fühlt, oder aber mit Wittgenstein die Deutung der Gödelschen Sätze noch einmal ganz
von vorn in den Blick nehmen muss – wenn man eine in sich schlüssige Philosophie der
Logik und Mathematik entwickeln will. Dieser zweite Weg ist in jedem Fall eine
9
eingehende Prüfung wert. (Vgl. 2008/ 2016 Wittgenstein zu Gödel)
11. Wittgenstein und die analytische Philosophie II: Mengenlehre und
Metamathematik
Wittgensteins konsequent antideskriptivistische Philosophie der Mathematik zwingt nicht
nur dazu, Gödels Beitrag erneut zu prüfen, sondern auch dazu, grundlegende Lehrstücke
der modernen Mathematik philosophisch und konzeptionell neu zu evaluieren. Sowohl
die Mengenlehre seit Cantor, als auch die Metamathematik seit Hilbert, Tarski und Gödel
beruhen auf dem nach Wittgenstein schlicht verfehlten Grundgedanken, dass es
mathematische Gebilde geben könnte, die von etwas handeln und insofern deskriptiv
sind. Zum einen sind diese Disziplinen heute unverzichtbar; dennoch aber ist ihr genauer
philosophischer Status, wie auch die Systematik der mathematischen Teildisziplinen
überhaupt, in Reaktion auf Wittgensteins prinzipielle (nicht technische) Einwände, neu zu
beleuchten. (Vgl. 2011 Rez. zu Redecker)
12. Wittgenstein und die analytische Philosophie III: Was ist Logik?
Die Auskunft, dass die Sätze der Logik Tautologien sind, leuchtete den Mitgliedern des
Wiener Kreises unmittelbar ein und trug zum Entstehen des „logischen Empirismus”
wesentlich bei. Die volle Radikalität dieser Auffassung wurde jedoch bis heute kaum
gesehen. Zum einen kann man die „Wahrheit” logischer Sätze (zumindest in elementaren
Fällen) am Zeichen allein erkennen, sie nämlich einfach ausrechnen; dies führt zu einem
verstärkten Interesse an symbolischer Logik. Die Frage, wie sich diejenigen Teile der
Logik, Beweistheorie usw., in denen die Ergebnisse nicht einfach ausgerechnet oder
direkt bewiesen werden können, zur Logik im engeren Sinn verhalten, wäre hier ebenfalls
noch zu stellen. Wittgensteins Logik ist jedoch offenkundig nicht als symbolisch notiertes
System ausgeführt und er verwendet symbolische Notationsweisen nur lokal um
besondere Probleme aufzulösen. Die „Logik selbst” nennt er dagegen „transzendental”,
und sieht darin etwas, das sich eher im Verhältnis von Sätzen zueinander zeigt als dass es
sich selbst in Satzform ausdrücken ließe. Alle „symbolische Logik”, die mit Symbolen
Sätze formuliert und beweist, ist daher nur eine leicht als „gehaltvoll“ misszuverstehende
Ausdrucksweise, die die im strengen Sinn „formale“ Logik verfälschen kann.
10
Wittgenstein weist darauf hin, dass die geläufigen logischen Notationen nur Behelfe sind,
die zu leicht den irreführenden Anschein erwecken, sie würden etwas sagen, von etwas
handeln. Dies gilt auch von „Junktoren” und „Quantoren” die nach Wittgenstein letztlich
bloße Gliederungsbehelfe ähnlich den Klammern sind,5 für nichts stehen, und nur das
Logische bzw. Mathematische, was sich in den gewöhnlichen Sätzen zeigt, scheinbar
sagend notieren. Auch die Konzeption einer Logik zweiter Stufe, also das
quantifizierende Aussagen über Prädikate, ist aus Wittgensteins Perspektive zwar nicht
einfach abzulehnen, wohl aber begrifflich höchst erläuterungsbedürftig. Seine
Konzeption der Logik ist bis heute nicht zusammenhängend und schlüssig expliziert
worden –eine solche Explikation schlösse notwendigerweise auch eine Konfrontation mit
der gesamten weiteren Entwicklung der Philosophie der Logik mit ein. (Näheres im
Kommentar zur LPA.)
13. Satztypen bei und nach Frege
Mit Freges Begründung der modernen Logik beginnt ein wichtiger Strang der
analytischen Philosophie; aber auch mit seiner Theorie von Sinn und Bedeutung, die bis
heute außerordentlich lebhaft diskutiert wird. Unter dem Aspekt der Satztypen gesehen
unterscheidet Frege jedoch die Sätze nicht hinreichend, und gleicht zudem Sätze und
Namen konzeptionell zu sehr aneinander an. Er trennt zwar die (nach seiner
Bestimmung) analytischen Sätze, also solche, die ohne Bezug auf Einzeltatsachen durch
Beweise begründbar sind, von den synthetischen Sätzen, also denen, bei denen dies nicht
der Fall ist. Unter dem Aspekt von Sinn und Bedeutung gesehen verschwindet jedoch
dieser Unterschied, denn Frege fordert von allen (wissenschaftlichen, d.h.
wahrheitsfähigen) Sätzen unterschiedslos, dass sie einen Gedanken ausdrücken, und
5
Quantoren hält Wittgenstein bekanntlich nur für den logisch gerade weniger wichtigen
Teil, nämlich für die Fälle empirischer Aufzählungen, für sinnvoll; während er ihre
Verwendung in Logik und Mathematik, wo es um die „wesentliche“, nicht die „zufällige“
Allgemeinheit geht, als verfehlt ablehnt. Der Grund liegt darin, dass das Quantifizieren
eben als allgemeines Reden über individuell aufzählbare Gegenstände die Existenz
solcher Gegenstände voraussetzt – obwohl es in den genannten Fällen gerade um bloße
Beziehungen zwischen Begriffen geht, unabhängig von der Frage nach irgendwelchen
unter diese Begriffe fallenden Gegenstände – damit legt die Quantorennotation aber eine
falsche Auffassung der Logik sehr nahe.
11
daher Sinn haben, sowie einen Wahrheitswert als ihre Bedeutung aufweisen. In seinen
berühmten Beispielen gleicht er die empirischen Fälle von Morgenstern und Abendstern
denjenigen mathematischer Gleichungen an - und identifiziert beide mit der Form der
Identitätsätze. Damit wird er jedoch der ganz unterschiedlichen Gebrauchsweise der
jeweiligen Satztypen nicht gerecht, etwa indem er die Existenz „logischer Gegenstände”
fordert und komplexe arithmetische Ausdrücke als Eigennamen deutet. Er ist dafür zu
Recht von Wittgenstein (s.o.) und von Kripke kritisiert worden, der darauf hinweist, dass
Frege nach seinen eigenen Voraussetzungen dazu gezwungen wäre, absurderweise von
„analytischen aposteriorischen” Sätzen zu sprechen. (Kripke tendiert allerdings dazu,
darin eine Entdeckung und keine Absurdität zu sehen.) Die analytische Tradition ist in
den meisten Fällen (mit einigen Modifikationen) Frege gefolgt. Dies wäre in
verschiedener Hinsicht zu überprüfen. (Vgl. 2009 Begriff und Gegenstand, Entwicklung
von Freges Denken, 2011 Wittgenstein and Frege)
14. Satztypen der Quantenphysik
Bis heute kommen in der Quantenphysik widersprüchliche Sätze vor, die häufig als
Beweis dafür angesehen werden, dass die Welt verrückt, oder prinzipiell unverstehbar
ist. Die Hartnäckigkeit dieser Problematik deutet darauf hin, dass es sich um ein
begriffliches und kein empirisches Problem handelt. Es wären daher die Satztypen der
der Quantenmechanik auf ihren jeweiligen Status und die darin verwendete
Begrifflichkeit zu prüfen. Insbesondere ist dabei klarzustellen, dass Sätze die sich auf die
„objektive Wirklichkeit” beziehen sollen, systematisch abhängig sind von solchen, in
denen wir Handlungsmöglichkeiten, etwa in der Form experimenteller Anordnungen,
beschreiben, die also begrenzen, was wir wie und in welcher Verschränkung mit anderen
Sätzen sinnvoll planen und messen können. (Vgl. 2002 EPR-Paradox; allgemeiner zur
Philosophie der Physik 2013 Schlick zwische Einstein, Hume und Kant)
15. TS Kuhns Satztypen
Eine besondere Herausforderung stellt bis heute die Wissenschaftsphilosophie T.S.
Kuhns dar. Je nach Perspektive wirken die Aussagen Kuhns einleuchtend,
widersprüchlich, teilweise aber wieder unverständlich. Die Komplexität seines Denkens
12
kann dadurch aufgeschlüsselt werden, dass man die von ihm verwendeten Satztypen
ordnet und trennt. Dadurch werden die von Kuhn selbst eingenommenen
grundverschiedenen Rollen (als Historiker, Naturwissenschaftler, Philosoph, und als
„Angehöriger einer Wissenschaftsstufe”) in der jeweils spezifischen Position erkennbar.
Dadurch wird Kuhn als äußerst konsequenter Denker verständlich, der in kritischer
Opposition zum Mainstream der analytischen Philosophie eine ganze Reihe grundlegend
verschiedener (teils „inkommensurabler“) Satztypen und Redepositionen unterscheidet,
und so nicht nur durch den Begriff des Paradigmas dem späten Wittgenstein zu
vergleichen ist. Es wird dabei aber auch klar, dass Kuhn nicht immer den vollständigen
Überblick über seine eigene begriffliche Arbeit behält. Auch die bisher wenig beachteten
späten Ansätze Kuhns, die sich expliziter mit sprachlichen Verhältnissen befassen, sind
hier zu berücksichtigen
16. Ausblick: Wittgenstein, Carnap und der Begriff der Philosophie
Das Verhältnis zwischen der analytischen Philosophie und Wittgenstein ist bisher nicht
hinreichend geklärt worden. Während die Philosophischen Untersuchungen weitgehend
als außerhalb dieser Strömung in einer Art von philosophischem Niemandsland
angesiedelt werden, gilt seine Abhandlung, mit einigen Einschränkungen, als klassischer
Text dieser Tradition. Die logische und philosophische Radikalität der Abhandlung
wurde jedoch nie wirklich und systematisch aufgenommen. Als Kernbeispiel kann
Carnap dienen, der in seiner Logischen Syntax zwar auf einer Wittgensteinschen
Grundlage arbeiten wollte, dabei aber beide Grundunterscheidungen Wittgensteins
verwirft: Carnap will sowohl die empirischen Sätze der Wissenschaft als auch die
Erläuterungen der Philosophie auf „reine Syntax“ reduzieren. Dabei beruft er sich
paradoxerweise darauf, Wittgensteins Grundansatz selbst konsequenter durchführen zu
wollen. (Wittgenstein bestätigte dies durch seinen Plagiatsvorwurf von 1932 in gewisser
Weise.) Das Ergebnis von Carnaps Analysen zum Begriff der Philosophie besteht dann
jedoch zum einen in einer technisch-analytischen Auflösung des Philosophiebegriffs, und
zum anderen im Rückzug auf ein paar knappe Hinweise über Vorschläge zur
Entscheidung für sprachliche Rahmenwerke (Empiricism, Semantics, and Ontology). Die
Frage nach der eigenen methodischen Grundlage bleibt bei Carnap, und auch bei seinen
13
analytischen Nachfolgern unbeantwortet.6
So finden sich etwa Ansätze, die philosophische Sätze generell empirisch deuten wollen
(Quine, Putnam), neben solchen, die eher vage von analytischen Sätzen, oder von
„Gedankenexperimenten” sprechen, die auf unbestimmte Weise zugleich apriorischanalytische und empirische Elemente aufzuweisen scheinen – wodurch man der Frage
zuletzt einfach ausweicht. Diese Unklarheit im Begriff der Philosophie selbst gilt es in
Auseinandersetzung mit Wittgenstein zu beseitigen, oder doch zumindest anzugehen.
(Vgl. 2008 Wittgenstein und Carnap, 2012 Carnap’s Conception of Philosophy sowie
2010 Gedankenexperimente)
III Systematischer Teil, zweite Abteilung
17. Darstellungsformen der Philosophie
Systematische Analysen zu Begriff und Methode der Philosophie ergänzen den hier
entwickelten Forschungsrahmen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die
vielfältigen Darstellungsformen der Philosophie – vor allem deswegen, weil die
Verwechslung von Form und Gehalt wohl die wichtigste Quelle philosophischer
Unklarheit und unkontrollierter Metaphysik darstellt (vgl. oben zu Kants Kritik). Dabei
sind nicht nur die im engeren Sinn literarischen Formen wie etwa Dialog, Satire oder
Lehrbuch zu beachten (von denen etwa G. Gabriel einige untersucht hat), sondern
Darstellungsmittel im weiteren Sinn wie graphische Elemente (Notation, Tabellen,
Hervorhebungen, Bilder), Strukturelemente (Register, Titelgebung, Gliederungen),
Formen der Vermittlung (Mündlichkeit und Schriftlichkeit, moderne mediale
Vermittlung) sind systematisch zu berücksichtigen und in ihrer Funktion aufzuklären.
Dies ist umso wichtiger angesichts der notorischen Schwierigkeit der Vermittlung
komplexer philosophischer Gehalte. (Vgl. 1999 Frege, Zahlen des Herrn Schubert,
Nachwort, 2001 Mars Christianissimus.)
6
Quine zeigt hier insofern eine beeindruckende, wenn auch negative Konsequenz: Er
bekennt sich zum Empirismus, versucht dann aber gar nicht erst, die grundlegenden
philosophischen Fragen zu behandeln (etwa die Frage danach, was denn eine Menge ist).
14
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