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Das Ringen um zwei Grad ist verloren
01.12.2012 | 18:26 | von Erich Vogt (Die Presse)
Seit 1995 ringen die United Nations auf den Klimawandel-Konferenzen um eine
Lösung hinsichtlich der globalen Erwärmung. Diese kann aber nur auf nationaler
Ebene erfolgen.
Sichtlich genervt sprang Atiq Rahman von seinem Stuhl und fixierte die ihm
gegenübersitzenden Delegierten, Wissenschaftler, Lobbyisten und Journalisten. Dann
brach es aus ihm heraus. Die Zeit, mit wohlfeilen, auf politische Korrektheit achtenden
Formulierungen den Klimawandel anzugehen, sei vorbei, warnte der Mann aus
Bangladesch. Wenn der Klimawandel sein Land unbewohnbar mache, „dann werden wir
mit unseren nassen Füßen in eure Wohnzimmer kommen!“ Der Ort des Wutausbruchs:
Das Berliner Kongresszentrum im April 1995. Die Veranstaltung: Die erste UNKlimawandel-Konferenz. Die Präsidenten der Konferenz: Die ehemalige deutsche
Bundesumweltministerin und heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Seit 1995 ringt die Weltgemeinschaft nun schon um ein weltweit bindendes
Klimaschutzabkommen. Alljährlich trifft sie zusammen zu zweiwöchigen UN-KlimawandelKonferenzen mit der Absicht, umfassende und ambitionierte Klimaziele und die zu ihrer
Umsetzung notwendigen Strategien und Instrumente in einem rechtsverbindlichen
Abkommen festzulegen. Jetzt ist es wieder so weit. Delegierte aus 200 Ländern sind zur
18. UN-Klimawandel-Konferenz in Katar zusammengekommen.
Große Hoffnungen auf ein Abkommen macht sich niemand. Zu unterschiedlich sind die
Ausgangspositionen, Interessen und Erwartungen der Länder. Man wird sich darauf
konzentrieren, die letztes Jahr in Durban vorgegebenen Themen – wie die Dauer der
zweiten Verpflichtungsperiode im Rahmen des Kyoto-Protokolls und die Ausgestaltung
eines bis 2015 auszuhandelnden Abkommens, das künftig alle Staaten einschließen und
2020 in Kraft treten soll – weiter zu konkretisieren. Schließlich werden bereits anderswo
getroffene Entscheidungen, wie den Green Climate Fund in Südkorea zu verorten und
den Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius zu beschränken, formal bestätigt.
Countdown bis 2030. Das Ringen um die Zwei-Grad-Obergrenze bis zum Jahr 2050
werden wir wohl verlieren, ungeachtet der Tatsache, dass sich 167 Länder, die insgesamt
für 87% des weltweiten Kohlendioxidausstoßes (CO2) verantwortlich sind, darauf
verständigt haben. Tatsache ist, dass die globale Durchschnittstemperatur auf der
Erdoberfläche aufgrund der zunehmenden Konzentration von Kohlendioxid und anderen
Treibhausgasen in der Atmosphäre weiter kontinuierlich ansteigt. Weltweit sind die
Treibhausgasemissionen im vergangenen Jahr laut Berechnungen der Internationalen
Energieagentur (IEA) auf fast 32 Gigatonnen gestiegen, was einer 3,2-prozentigen
Steigerung gegenüber dem Vorjahr entspricht. China, der größte Emittent, verbuchte gar
eine fast zehnprozentige Steigerung.
Diese Zahlen haben Fatih Birol, den Chefökonom der Agentur, zu der Bemerkung
veranlasst, dass wir uns bei diesem Trend auf eine Erderwärmung von sechs Grad Celsius
einrichten müssen; auf einen Science-Fiction-Planeten also.
Ebenso aufhorchen lassen folgende Berechnungen und Zahlen. Klimatologen im Umfeld
des UN-Klimarates haben errechnet, dass die Zwei-Grad-Obergrenze nur erreicht werden
kann, wenn wir bis zum Jahr 2050 nicht mehr als 565 Gigatonnen Kohlendioxid in die
Atmosphäre pumpen. Wenn wir aber weiterhin weltweit jedes Jahr um die 32 Gigatonnen
emittieren, ist unser Treibhausgasbudget bereits 2030 erschöpft. Wir würden uns somit
ganze 20 Jahre früher als vom UN-Klimarat bisher angegeben in den „roten
Klimabereich“ begeben.
Hinzu kommt, dass die Energiewirtschaft auf nachgewiesenen Öl-, Kohle- und
Gasvorkommen sitzt, die, wenn sie zum Einsatz kämen, mindestens weitere 2500
Gigatonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen würden. 80 Prozent der
nachgewiesenen fossilen Brennstoffvorkommen müssten somit in der Erde verbleiben.
Eine massive Geldfrage. Auf solch einen Deal wird sich die fossile Energiewirtschaft nicht
einlassen. Der Börsenwert der Öl-und Gasmultis Exxon, BP, Gazprom, Chevron,
ConocoPhillips und Shell, deren Vorkommen allein gut 25% der 2500 Gigatonnen
Kohlendioxid ausmachen, wird nachhaltig von den bekannten Reserven bestimmt und
beeinflusst. Das gilt auch für die Reserven der Kohlegiganten Severstal, BHP Billiton und
Peabody.
John Fullerton, einst Managing Director bei JP Morgan, hat errechnet, dass die
bekannten, aber noch nicht realisierten Vorkommen derzeit mit 27 Billionen Dollar zu
Buche schlagen. Bei diesen Zahlen ist nachvollziehbar, warum u. a. zwei so
unterschiedliche Länder wie Kanada und Venezuela ihre nachgewiesenen Ölsandreserven,
die nach Berechnungen des führenden amerikanischen Klimatologen James Hansen
zusammengenommen den 565-Gigatonnen-Kohlendioxid-Grenzwert überschreiten
würden, unbedingt monetarisieren wollen.
Klimaüberlegungen treten bei diesen Dimensionen in den Hintergrund. Denn würden
tatsächlich 80 Prozent der bekannten und reklamierten Reserven in der Erde bleiben,
müssten die Unternehmen „assets“ im Wert von 20 Billionen Dollar abschreiben. Das
werden sie nicht tun. Dass sie damit das Klima und die Zukunft der nächsten
Generationen aufs Spiel setzen, wissen sie ebenso.
Kommen die fossilen Energieunternehmen unter Würdigung aller Fakten und Daten
gleichwohl zu der Entscheidung, die Vorkommen gezielt auszubeuten und darüber hinaus
weitere Öl-, Gas- und Kohlevorkommen zu erschließen – Exxon-CEO Rex Tillerson hat im
Frühjahr Wall-Street-Analysten gegenüber zu Protokoll gegeben, dass sein Unternehmen
beabsichtigt, 37 Milliarden Dollar pro Jahr bis 2016 in die Ölexploration zu investieren –,
müssen sie daran mit allen gesetzlichen und politischen Mitteln gehindert werden.
Knackpunkt Energiepolitik. Jede vernünftige Klimaschutzpolitik steht und fällt mit der
Energiepolitik. Die dafür notwendigen Grundsatzentscheidungen aber können von den
Delegierten der Klimakonferenz weder verhandelt noch vereinbart werden.
Grundsatzentscheidungen dieser Größenordnung können nur auf nationaler Ebene
getroffen werden.
Und sie können nur durchgesetzt werden, wenn soziale Bewegungen sie politisch
absichern. Nur so können die fossilen Energieunternehmen umwelt- und klimapolitisch
wirksam in die Pflicht genommen werden. Konkret bedeutet das, dass die Gesetzgeber
mit einem Regelfeuerwerk u. a. die der fossilen Energiewirtschaft einst konzedierten „tax
holidays“ ebenso ersatzlos streichen wie alle offenen und verdeckten Subventionen. Sie
müsste weiterhin dazu verpflichtet werden, alle Folgekosten für die Bereinigung der
durch sie verursachten Umweltschäden zu tragen. Dies würde zu einer erheblichen
Verteuerung aller fossilen Brennstoffe führen – und damit erstmalig zu realeren
Energiepreisen für Kohle, Öl und Gas. Darüber hinaus müsste sie zur Zahlung
progressiver Treibhausgasabgaben verdonnert und von der Entwicklung und dem Betrieb
erneuerbarer Energiequellen ausgeschlossen werden.
Die Erfahrung zeigt, dass die Energieunternehmen – allen voran BP, das sich einst als
„Beyond Petroleum“ präsentierte – mit ihren Investitionen in diesem Energiesektor
dessen verheißungsvolle Entwicklung nicht nur abzubremsen, sondern mit Macht
abzuwürgen versuchten. Als das misslang, trennten sich BP wie auch Shell von Solarund Windenergieunternehmen.
Überraschen durfte diese Strategie und die Rückbesinnung auf das „core business“ indes
niemanden. Im neuen Millennium allein haben die fünf größten Ölunternehmen mehr als
eine Billion Dollar Profit verbucht.
Das Ziel eines solchen Maßnahmenkatalogs müsste zunächst die bewusste wirtschaftliche
und politische Schwächung der fossilen Energiewirtschaft sein bei gleichzeitiger Stärkung
der öffentlichen Hand und, in einem zweiten Schritt, die Erarbeitung und Umsetzung
neuer Geschäftsmodelle dieses Wirtschaftssektors.
Die komplette Neuausrichtung und Umstrukturierung sowie vorübergehende De-factoVerstaatlichung der einst allmächtigen amerikanischen Automobilindustrie im Zuge der
weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise könnte ein durchaus brauchbares Modell für die
notwendige Umkrempelung der fossilen Energiewirtschaft sein. Warum sollte nicht auch
für die fossile Energiewirtschaft gelten, dass angesichts der mit Macht auf uns
zurollenden Klimakatastrophe mit ihren enormen menschlichen und materiellen Kosten
auch sie in der Lage sein muss, bisher Undenkbares zum Unabdingbaren
umzudeklarieren. Wenn dieser „tipping point“ erreicht ist und die nationalen
Entscheidungsträger die notwendigen Grundsatzentscheidungen getroffen haben,
könnten sogar UN-Klimakonferenzen in Zukunft interessant und für den weiteren Verlauf
der Klimawandel-Diskussion richtig relevant werden. Damit könnte dann auch Atiq
Rahman aus Bangladesch gut leben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2012)
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