AFD auf dem Weg zur faschisteischen Partei

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AFD: Auf dem Weg zur faschisteischen Partei?
Von Volkhard Mosler
Auf marx21.de am 06.01.16
Die neue Führung der AfD um Frauke Petry hat den wirtschaftsliberalen
Flügel aus der Partei gedrängt. Nun versucht sich die Partei als
Sammelbecken der gesamten rechtsextremen Szene zu etablieren. Dabei
setzt sie auf eine bewährte Strategie. Von Volkhard Mosler
Olaf Henkel ist aus der AfD ausgetreten. Nun bezeichnet der ehemalige
stellvertretende Vorsitzende die Partei unter der neuen Führung von Frauke Petry
als »NPD light«. Der Weg der AfD hin zu einer neuen Nazipartei sei »unaufhaltsam«.
Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel bezeichnet die AfD als »offen
rechtsradikale« Partei, welche die Sprache der NSDAP pflege. Dass die NPD in der
Tradition von Hitlers Nazis steht, ist unbestritten. Doch gilt das wirklich auch für die
AfD? Was unterscheidet überhaupt eine faschistische von einer rechtspopulistischen
Partei?
Jede politische Partei beruft sich auf bestimmte historische Traditionen, aus denen
sie möglicherweise auch hervorgegangen ist. Der Faschismus in Deutschland ist
untrennbar mit dem Nationalsozialismus der NSDAP und dem Namen Adolf Hitler
verbunden – ein Dilemma, mit dem die Neugründungen faschistischer Parteien nach
dem Zweiten Weltkrieg umgehen mussten. Ein offenes Bekenntnis zur Nazitradition
wäre politischer Selbstmord gewesen. Die Verbrechen von Auschwitz stehen einem
solchen Vorhaben wie riesige Mahnmale im Weg. Insofern überrascht es wenig, dass
die beiden erfolgreichsten faschistischen Parteien der Bundesrepublik schon im
Namen ein Scheinbekenntnis zur Demokratie tragen: die Nationaldemokratische
Partei Deutschlands (NPD) und die Republikaner.
Faschisten in Deutschland sind gezwungen, sich mit ihrer eigenen ideologischen
Tradition auseinanderzusetzen, und das führt sie immer wieder in Konflikt mit ihrem
vermeintlichen Bekenntnis zu Demokratie und Republik. Früher oder später werden
in solchen Parteien Stimmen laut, die den Holocaust verharmlosen oder leugnen.
Oder es melden sich diejenigen zu Wort, die endlich Schluss machen wollen mit der
seit 1945 andauernden »Umerziehung des deutschen Volks« durch die
Besatzungsmächte.
Mimikry der Nazis
Das Versteckspiel faschistischer Parteigründer hat in der Vergangenheit durchaus
funktioniert: Immer wieder ging die Öffentlichkeit der Mimikry der Nazis auf den
Leim. Als ein Jahr nach Kriegsende ehemalige Funktionäre der NSDAP die Deutsche
Reichspartei (DRP) gründeten, gaben sie sich scheinbar »antifaschistisch«. In ihrem
Programm von 1946 hieß es: »Wir bekämpfen auf das Stärkste die
nationalsozialistische Staats- und Weltanschauung (…) in der Erkenntnis, dass jede
Form des Faschismus ihrem Wesen und Ursprung nach schlechthin undeutsch ist.«
Auch die 1964 aus der DRP hervorgegangene NPD bekannte sich in ihrem ersten
Parteiprogramm von 1967 offiziell zur parlamentarischen Demokratie. In einer
internen Verordnung untersagte der Parteivorstand den Mitgliedern Äußerungen, die
als antisemitisch interpretiert werden könnten. Damit hatte die NPD in der politischen
Öffentlichkeit zunächst Erfolg. Selbst liberale Zeitungen wie »Die Zeit« bescheinigten
ihr, keine Nachfolgepartei der NSDAP zu sein. Zugleich schlug die CSU unter Franz
Josef Strauß gegenüber der NPD dieselbe Taktik ein wie Seehofer heute gegenüber
der AfD: Er versuchte, sie rechts zu überholen.
Als die NPD durch den Widerstand der Studentenbewegung, nach verschiedenen
Wahlniederlagen Ende der 1960er Jahre und noch einmal Ende der 1970er Jahre
nach antifaschistischen Kampagnen wie »Rock gegen rechts« in eine schwere Krise
stürzte, spaltete sich ein Teil der Partei ab und gründete in den 1980er Jahren die
Republikaner. Ähnlich wie beim Entstehen der NPD sollte eine »verbrauchte«
faschistische Partei durch eine respektablere Neugründung ersetzt werden. Ähnlich
wie bei der jungen NPD waren auch die Republikaner unter ihrem ersten
Vorsitzenden Franz Handlos, einem ehemaligen Bundestagsabgeordneten der CSU,
eine Sammlung von nationalkonservativen und faschistischen Zirkeln. Letztere
stammten aus der abgewirtschafteten NPD, Erstere vor allem aus der CSU und der
CDU.
Raus aus der Schmuddelecke
Im Jahr 1985 kam es zur Spaltung der Republikaner. Handlos und ein Kreis
ehemaliger enttäuschter CSU-Mitglieder zogen sich zurück. Franz Schönhuber, der
sich 1981 in seinem Buch »Ich war dabei« öffentlich zu seiner SS-Vergangenheit
bekannt hatte, übernahm mithilfe von ehemaligen NPD-Mitgliedern die Führung der
Partei und bestimmte fortan deren Kurs. Er distanzierte sich zwar von den
»Ewiggestrigen« der NPD, was ihn aber nicht daran hinderte, mit gestandenen
Nazikadern aus der NPD in der neuen Partei zusammenzuarbeiten. Die Parallelen zur
Entwicklung der AfD sind nicht zu übersehen.
Die Spaltungen von DRP (1949), NPD (1967), Republikanern (1985) und AfD
(Essener Parteitag, 2015) folgten einem einheitlichen Muster: Nazis suchten zunächst
das Bündnis mit »seriösen« politischen Kräften aus dem nationalkonservativen Lager,
um aus der Schmuddelecke herauszukommen. In den beiden letzten Fällen nutzten
sie Rechtsabspaltungen der Union, um sich das Schild des respektablen
Nationalkonservativismus umhängen zu können.
Mit dieser Strategie gelang es den Republikanern im Jahr 1989, zwei beachtliche
Wahlerfolge zu erzielen. Sowohl bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin als auch bei
der Europawahl gewannen sie mehr als sieben Prozent der Stimmen. Erst im
Anschluss konnten Aktivistinnen und Aktivisten eine erfolgreiche antifaschistische
Gegenmobilisierung initiieren. Voraussetzung hierfür war eine jahrelange geduldige
Aufklärung über den faschistischen Kern der Republikaner. Selbst das hinderte den
Politikwissenschaftler Claus Leggewie und den SPD-Vordenker Peter Glotz nicht
daran, die Partei vom Makel des Faschismus freizusprechen. Schon Anfang der
1930er Jahre waren die bürgerlichen Verharmloser den Legalitätsschwüren der
Faschisten auf den Leim gegangen. Sie tun es bis heute.
Der rote Faden: fanatischer Nationalismus
Der deutsche Faschismus nach dem Zweiten Weltkrieg kehrt unweigerlich immer
wieder zurück zum Nationalsozialismus: zu seiner Verteidigung, seiner Beschönigung,
seiner Verherrlichung, mal offener, meist kryptisch-verdeckt, in Andeutungen.
Allerdings hat der Faschismus – auch das zeigt seine Geschichte – kein für ihn
typisches Programm. Jeder Versuch, ihn rein programmatisch zu fassen, muss daher
scheitern. Seine Ideen wechseln von Land zu Land und von Epoche zu Epoche. Der
einzige durchgehende rote Faden ist ein fanatischer Nationalismus, der seine
Rechtfertigung aus der angeblichen Überlegenheit des eigenen Volkes oder der
eigenen »Rasse« bezieht.
Viel wichtiger jedoch als dieses oder jenes ideologische Moment ist – und das
unterscheidet ihn von allen rechtskonservativen und reaktionären (»populistischen«)
Parteien – seine Methode der Machtausübung. Der Faschismus zielt darauf, eine
Massenbewegung aufzubauen, die stark genug ist, die Arbeiterbewegung, ihre
Organisationen und die Institutionen der bürgerlichen Demokratie zu zerschlagen.
Dabei stützt er sich wesentlich auf die von der Krise des Kapitalismus bedrohten
Mittelschichten (heute »Wutbürger« genannt). Er bedient sich antikapitalistischer
Parolen, sein Tatendrang entlädt sich aber gegen Minderheiten wie Juden, Muslime,
Flüchtlinge, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung oder Homosexuelle.
Naziparteien unterscheiden sich also nicht durch ihre rassistische Ideologie von
anderen Parteien. Im Gegenteil: Diese teilen sie durchaus mit konservativen und
sogar liberalen Kräften. CSU-Mann Seehofer argumentiert hier mitunter ähnlich wie
die Sprecher des rechten Flügels der AfD. Aber Seehofer organisiert keine
rassistischen Massendemonstrationen gegen Flüchtlingsunterkünfte. Außerdem will er
die nächsten Wahlen gewinnen und weiter mithilfe der Parlamente in Bayern und
Berlin herrschen, nicht diese zerschlagen.
Die AfD unterscheidet sich vom »klassischen«
Faschisten
Weder die NPD noch die Republikaner oder gegenwärtig die AfD haben eigene
Stoßtrupps für den Straßenkampf aufgebaut. Das gilt auch für den Front National in
Frankreich oder die FPÖ in Österreich. Insofern unterscheiden sich diese Parteien
vom »klassischen« Faschismus in Deutschland, Italien und Spanien unter Hitler,
Mussolini und Franco.
Aus diesem Grund haben liberale und linke Theoretiker in den vergangenen
Jahrzehnten den Front National, die FPÖ oder aber auch die NPD als nichtfaschistische Parteien analysiert. Würde man dieser Sichtweise folgen, gäbe es in
Europa zurzeit nur in Griechenland und in Ungarn faschistische Parteien (Goldene
Morgenröte, Jobbik). Nur sie haben in der Tat SA-ähnliche Kampfgruppen aufgebaut.
Aber mit einer solchen engen Auffassung des Faschismus würden wir es uns zu
einfach machen. Republikaner und NPD besaßen zu ihren Hochzeiten einen
handlungsfähigen Saalschutz, der aus Rücksicht auf die Öffentlichkeit und ein
mögliches Parteiverbot nicht uniformiert auftrat. Zudem existieren neben diesen
Parteien durchaus Stoßtrupps in Form der »freien Kameradschaften«. Diese sind
zwar formell unabhängig, stehen aber oft als Schlägertrupps bei Demonstrationen
und Massenveranstaltung bereit. Die FPÖ ist eng mit organisierten deutschnationalen Burschenschaften verzahnt, die sich auf der Straße behaupten wollen.
Schließlich sind sich die führenden Vertreter der Nazis bewusst, dass eine zu frühe
Offenlegung ihres gesamten »Programms« kontraproduktiv wäre im Sinne der
»ursprünglichen Akkumulation« ihrer späteren Massenbewegung. Die Maske des
Konservativismus ist in dieser Etappe unverzichtbar. Einzig die NPD hat in
Deutschland diese Maske fallen lassen – mit entsprechenden Folgen, nämlich der
weitgehenden politischen Isolation.
Den faschistischen AfD-Kadern steht nichts mehr
im Weg
Deswegen war auch nicht die NPD, sondern die AfD in der Lage, im Herbst dieses
Jahres in Thüringen und Berlin zur politischen Speerspitze einer neuen Welle
rassistischer Massendemonstrationen gegen Flüchtlinge zu werden.
Vor über einem Jahr, im September 2014, analysierten wir in marx21 noch: »Die AfD
ist (aber) keine faschistische Partei. Sie kann jedoch zum Sammelpunkt der Nazis
werden.« Mit dem Sturz und anschließenden Rückzug des wirtschaftsliberalen Flügels
um den früheren Parteivorsitzenden Bernd Lucke beim Essener Parteitag im Juli steht
einer Kaperung der AfD durch faschistische Kader nichts mehr im Weg. Angeführt
von Alexander Gauland hat sich der profaschistische Flügel in mehreren
Landesverbänden durchsetzen können.
Gauland stammt politisch aus der hessischen CDU. Unter der Führung von
»Stahlhelmern« wie Alfred Dregger und Walter Wallmann hatte dieser
Landesverband stets ein offenes Ohr für den völkisch-sudetendeutschen Witikobund
und andere faschistische Kaderschmieden. In den 1980er Jahren arbeitete Gauland
als Staatssekretär von Ministerpräsident Walter Wallmann. Damals scheiterte er mit
dem Versuch, ein ehemaliges Mitglied des Witikobunds zum Ministerialrat für
Kirchenfragen zu machen. Diese Affäre verarbeitete später der Schriftsteller Martin
Walser in seinem Roman »Finks Kriege« (1996). Gauland verstand sich und versteht
sich noch immer als Vermittler zwischen den »Stahlhelmern« in der CDU und den
faschistischen »Eliten«.
Die faschistische Rechte ist also gerade dabei, unter Gaulands Protektion – er gilt mit
seiner über 40-jährigen CDU-Mitgliedschaft immer noch als ehrenwerter
nationalkonservativer Vordenker – die AfD zu erobern. Prototypen dieser neuen
»Führer« der AfD sind die Vorsitzenden der Landesverbände Thüringen und
Nordrhein-Westfalen, Björn Höcke und Marcus Pretzell. Sie verlangen den
Schießbefehl gegen Flüchtlinge an Europas Grenzen und sprechen von Flüchtlingen
als »Kanaken«. Ihre Reden gleichen Aufrufen zu Morden, Brandanschlägen und
fremdenfeindlichen Pogromen.
Zeit, der AfD die nationalkonservative Maske
abzureißen
Doch die Geschichte zeigt, dass die Fraktionsstreitigkeiten über die Zukunft der AfD
keineswegs beendet sind. Als die Republikaner in den Jahren 1989 und 1990 auf eine
breite antifaschistische Bewegung trafen und ihre Umfragewerte vorübergehend
sanken, kündigte ihr Vorsitzender Schönhuber den Parteiausschluss von 300
ehemaligen NPD-Mitgliedern an.
Deshalb ist es höchste Zeit, der AfD die nationalkonservative Maske abzureißen, sie
als Partei zu entlarven, die sich auf dem Weg zu einer faschistischen Organisation
befindet, und sie entsprechend zu bekämpfen.
Der Transformationsprozess schreitet schneller voran, als es noch vor einem Jahr zu
erwarten war. Das liegt nicht zuletzt daran, dass mit Pegida und den daraus
folgenden rassistischen Massenmobilisierungen eine Bewegung entstand, die den
profaschistischen Kräften in der AfD den Boden bereitete. Dementsprechend ist es
auch kein Zufall, dass Höcke als Erster die Gelegenheit ergriff, es in Erfurt Pegida
nachzumachen. Die rassistische Massenbewegung wirkt auf die internen
Kräfteverhältnisse der AfD wie ein Brandbeschleuniger. Deshalb muss sie gestoppt
werden.
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