Besonderheiten des Deutschen (Text)

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6 Besonderheiten des Deutschen
Für die Beschäftigung mit dem Zweitspracherwerb ist es sinnvoll, einen Überblick darüber zu haben,
was in der deutschen Sprache besonders oder auch abweichend von anderen Sprachen ist und
Lernenden eventuell als Hürde im Weg steht. Das Wissen darum hilft Lehrenden sich besser auf die
Lernerbedürfnisse einstellen zu können.
Generell gehört Deutsch zu den indoeuropäischen, genauer gesagt zu den germanischen Sprachen.
Sprachen dieser Sprachfamilie sind miteinander verwandt. Zur germanischen Sprachfamilie gehören
bspw. Englisch, Deutsch, Niederländisch, Schwedisch, Afrikaans, Dänisch, Norwegisch, Niederdeutsch
und Jiddisch. Diese Verwandtheit beinhaltet sprachliche Ähnlichkeiten. Bspw. ist das Niederländische
sehr nah mit dem Deutschen verwandt, so dass deutsche Muttersprachler /-innen zumindest
teilweise lesen oder auch hörend verstehen können. Andere Sprachen wie Türkisch oder Arabisch
hingegen sind nicht mit dem Deutschen verwandt und haben daher kaum strukturelle Ähnlichkeiten.
Eine genauere Analyse, welche Bereiche aufgrund struktureller Unterschiede schwierig für Lernende
sind, sind einzelsprachabhängig. Dennoch lassen sich einige Aspekte über mehrere Sprachen hinweg
als so genannte „Stolpersteine“ herausfiltern.
6.1 Lautebene
Auf der Lautebene sind bspw. Laute, die in vielen anderen Sprachen wie bspw. im Türkischen nicht
existieren, schwieriger zu realisieren, wie der „ich“- Laut und der „ach“-Laut, Konsonantenhäufungen
wie in „Herbst“, „ängstlich“, „hüpfst“ oder auch die Bedeutungsunterscheidung durch Länge bzw.
Kürze in „Miete – Mitte“, „Hüte – Hütte“ usw., Diphtonge (ei, eu, au, äu). In vielen anderen Sprachen
existieren bspw. keine Umlaute (ä, ö, ü) wie im Englischen, Französischen, Spanischen.
6.2 Wortbildung
In der Wortbildung fallen Komposita, was so viel heißt wie Zusammensetzungen lexikalischer
Elemente wie z. B. Puppen-stube, Wäsche-leine, Kaffee-maschinen-filter als typisch für das Deutsche
auf. Komposita stellen in der Regel eine Determinativkomposition dar, d. h. es gibt ein Element, das
das andere näher bestimmt. Eine Puppenstube ist eine Stube für Puppen, eine Wäscheleine eine
Leine für Wäsche, ein Kaffeemaschinenfilter ein Filter für Maschinen, die Kaffee zubereiten.
Allerdings ist im Gegensatz zu Erdbeer-, Apfel- oder Kirschkuchen Hundekuchen nicht Kuchen aus,
sondern für Hunde und Marmorkuchen nicht Kuchen aus Marmor, sondern im äußeren
Erscheinungsbild wie Marmor (Hentschel, Weydt 2003, S. 29). Wie die Bedeutungszuweisung erfolgt,
wird in der Sprachgemeinschaft festgelegt, dadurch wird sie aber auch schwierig für Lernende.
Neben den Determinativkomposita gibt es die Kopulativkomposita, das sind Zusammensetzungen
von gleichberechtigt nebeneinander stehenden lexikalischen Einheiten wie bspw. Radio-wecker oder
Hosen-rock (Hentschel, Weydt 2003, S. 30).
Auch Wortbildungsprozesse wie die explizite Derivation, d. h. Ableitung, stellen eine Besonderheit
des Deutschen dar. Derivationen können durch Vor- und Nachsilben (Prä- und Suffixe) erfolgen:
Beispiele für Präfixe, die eine Möglichkeit der Bedeutungsspezifizierung darstellen, sind er-fahren,
ver-fahren, zer-fahren, an-fahren, ab-fahren, um-fahren usw., während Beispiele für Wortbildungen
durch Suffixe sand-ig; glück-lich; Verlegen-heit; Ereig-nis; Ähnlich-keit; Leiden-schaft sind.
6.3 Formenbildung
Die Formenbildung im Deutschen betrifft das Verb, das Nomen, das Adjektiv, den Artikel und die
Pronomina. Verben werden konjugiert; Nomen, Adjektive, Artikel und Pronomina dekliniert. Die
Konjugation betrifft Veränderungen des Verbs nach Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus
verbi, also Aktiv oder Passiv; die Deklination von Nomen, Adjektiven, Artikeln, und Pronomen nach
Kasus, Numerus und Genus.
Es gibt bestimmte und unbestimmte Artikel (der, die, das; ein, eine), aber auch Verwendungen mit
dem so genannten Nullartikel wie im Beispiel „ich kaufe Wein.“; vier Kasusformen (Nominativ,
Genitiv, Akkusativ, Dativ); neun verschiedene Formen der Pluralbildung, daneben noch spezielle
Pluralbildungen bei einigen Fremdwörtern (vgl. Kap. 7).
Als Beispiel eines für die meisten Zweitsprachlernenden schwer zu lernenden Sprachbereiches wird
die Adjektivdeklination (Tab. 2) exemplarisch dargestellt.
Adjektivdeklination mit bestimmtem Artikel
Nominativ
Akkusativ
Dativ
Genitiv
der
den
dem
des
maskulin
rote
Mantel
roten Mantel
roten Mantel
roten Mantels
feminin
die nasse
die nasse
der nassen
der nassen
Hose
Hose
Hose
Hose
neutrum
das
grüne
das
grüne
dem grünen
des
grünen
Rad
Rad
Rad
Rads
Plural
die
die
den
der
bunten
bunten
bunten
bunten
Formen
Formen
Formen
Formen
Adjektivdeklination mit unbestimmtem Artikel
(auch Negation durch kein, Possessivartikel mein usw.)
maskulin
feminin
neutrum
Nominativ
Akkusativ
Dativ
Genitiv
ein
einen
einem
eines
roter
roten
roten
roten
Mantel
Mantel
Mantel
Mantels
eine
eine
einer
einer
nasse
nasse
nassen
nassen
Hose
Hose
Hose
Hose
ein
ein
einem
eines
grünes
grünes
grünen
grünen
Plural
Rad
Rad
Rad
Rads
bunte
bunte
bunten
bunter
Formen
Formen
Formen
Formen
bunte
bunte
bunten
bunter
Formen
Formen
Formen
Formen
Adjektivdeklination mit Null-Artikel
Nominativ
Akkusativ
Dativ
Genitiv
Ø
Ø
Ø
Ø
maskulin
feminin
roter
roten
rotem
roten
Ø
Ø
Ø
Ø
Mantel
Mantel
Mantel
Mantels
nasse
nasse
nasser
nasser
neutrum
Hose
Hose
Hose
Hose
Ø
Ø
Ø
Ø
grünes
grünes
grünem
grünen
Plural
Rad
Rad
Rad
Rads
Ø
Ø
Ø
Ø
Tab. 2: Adjektivdeklination im Deutschen
6.4 Satzbau
Eine Besonderheit des deutschen Satzbaus ist seine Verstellung (vgl. Tab. 3). Das Verb steht an einer
festgelegten Position: Verb-Zweitstellung im Aussagesatz, Verb-Erststellung in Ja-/Nein-Fragen,
Imperativ- und Ausrufesätzen, Verbendstellung in Nebensätzen. Gemäß dem für das Deutsche
besonders geeigneten Stellungsfeldermodell (Dürscheid 2005, S. 89-107) kann der deutsche Satzbau
folgendermaßen dargestellt werden:
Verbzweitsätze
Vorfeld (VF)
Linke Satzklammer
(SK)
Mittelfeld
Erkan
liest
ein Buch
Rechte
Satzklammer
(SK)

Erkan
wollte
ein Buch
lesen
Erkan
fährt
Los.

komme
erst kurz vor halb
acht
erst später.
Vorfeld (VF)
Linke Satzklammer
(SK)
Mittelfeld
Komm
Möchtest
doch mit ins
Schwimmbad
du
mitkommen
hätten
wir uns sehr
gefreut.
Nachfeld
wenn er mit dem
Bus fährt.
als er auf den
Bus gewartet
hat.
Verberstsätze
Wärst du mit ins
Kino gekommen
Rechte
Satzklammer
(SK)
Nachfeld
wenn du Lust
vorhast.
wenn wir Elisa
besuchen?
Verbendsätze
Vorfeld
Linke
Mittelfeld
Satzklammer (SK)
freut
mich
Rechte
Satzklammer
Dass
du
kommst
Linke
Mittelfeld Rechte
Satzklammer
Satzklammer
(SK)
(SK)
Tab. 3: Stellungsfeldermodell nach Dürscheid (2005)
Daneben ist die Verbklammer für Präfixverb-, Hilfs- und Modalverbkonstruktionen charakteristisch.
Beispiele:
Vorfeld
Linke
Mittelfeld
Satzklammer
Sie
kommt
um 20:30 Uhr
Du
hast
das doch gestern schon
Sie
kann
doch einfach
Rechte
Satzklammer
an.
(PräfixVerbkonstruktion)
gesehen.
(Hilfsverbkonstruktion
im Aussagesatz)
mitkommen.
(Modalverbkonstruktion
im Aussagesatz)
Ein weiteres Merkmal im Deutschen stellt die Inversion dar. Die Elemente, die dicht am Verb auf
Position eins bzw. drei stehen, können ihre Position vertauschen. Diese Inversion kann das Subjekt,
Objekt oder eine Adverbialbestimmung betreffen.
Beispiele:
Er kommt morgen mit dem Zug um 20:30 Uhr.  Morgen kommt er mit dem Zug um 20:30 Uhr.
Meiner Freundin Esra habe ich gestern geschrieben.  Ich habe gestern meiner Freundin Esra
geschrieben.
Besonders in schriftlich orientierten Texten werden im Deutschen häufig unpersönliche
Konstruktionen benutzt. Neben geläufigen unpersönlichen Verb-Konstruktionen wie es regnet, es
schneit usw. gibt es weitere unpersönliche Verben wie misslingen, das lediglich mit der 3.Person
Singular oder Plural benutzt werden kann. Die Kombination „Ich misslinge“ hingegen funktioniert
nicht. Passivkonstruktionen werden im Deutschen sehr häufig benutzt, ebenso Passiversatzformen,
die es ermöglichen, keine aktiv Handelnden zu benennen.
Beispiele:
Die Pizza wird im Holzkohleofen gebacken. (Passiv)
Die Pizza kann bezahlt werden. (Passiv)  Die Pizza ist bezahlbar. (Passiversatzform: sein + Adjektiv
auf –bar oder –lich)
Das Fenster muss geschlossen werden. (Passiv)  Das Fenster ist zu schließen. (Passiversatzform:
sein + zu – Infinitiv)
Die Reparatur kann gemacht werden. (Passiv)  Die Reparatur lässt sich machen. (Passiversatzform:
sich lassen + Infinitiv)
Das zu lernende Gedicht ist von Ernst Jandl. (Passiversatzform: zu + Partizip I + Adjektivdeklination)
Auch Funktionsverbgefüge sind wichtige Elemente schriftsprachlich orientierter Texte.
Funktionsverbgefüge sind Gefüge, in denen die eigentliche Verbbedeutung stark abgeschwächt ist
und durch einen nicht-verbalen Teil ergänzt wird; die einzelnen Bestandteile des Gefüges bilden in
genau dieser Kombination eine semantische Einheit. Beispiele sind einen Antrag stellen, zur Sprache
bringen, eine Präsentation halten, zur Diskussion stellen, eine Wahl treffen. Für Lernende sind sie
deshalb schwer zu verstehen, da sie sich nicht aus den Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile
erschließen lassen. Daher bedürfen sie einer expliziten Erklärung.
In eher schriftlich orientierten Texten sind häufig Nominalisierungen gebräuchlich.
Nominalisierungen dienen der inhaltlichen Verdichtung. Sie können durch verschiedene Verfahren
stattfinden.
Beispiele:
Nilpferde gehören zu den Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind. -> Nilpferde gehören zu den
vom Aussterben bedrohten Tierarten. (Attribut)
Wenn es regnet, kommen wir nicht. -> Bei Regen kommen wir nicht. (Präposition)
Die Menschen fliehen, weil sie arm sind. -> Die Menschen fliehen vor Armut. (Präsposition)
Die Affen haben Angst. -> Die Angst der Affen … (Genitiv)
Die Tiere gewöhnen sich langsam an die Situation. -> Die Gewöhnung der Tiere an die Situation …
(Nomen + Präposition)
Auf Textebene sind besonders Proformen für Lernende schwer zu verstehen, so z. B. sie, er, mein,
darauf, dadurch, wofür, wovon. Proformen haben die Aufgabe, den Textzusammenhang
herzustellen. Aber auch Signale für logische Verknüpfungen wie z. B. infolgedessen, deswegen,
trotzdem stellen eine Herausforderung für die Lernenden dar und benötigen daher besonderer
Aufmerksamkeit.
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