Hochschule Esslingen Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege Das politische Mandat Sozialer Arbeit Eine positionierte Annährung von Alexander Werwein Matrikelnummer: 24804 Betreuer: Prof. Dr. Franz Herrmann Zweitprüferin: Prof. Dr. Maria Bitzan Esslingen, 26.11.2008 INHALT EINLEITUNG ....................................................................................................................3 1. WAS IST POLITIK? ......................................................................................................8 1.1 DIE DREI ANALYTISCHEN DIMENSIONEN DER POLITIK ....................................................9 1.2 WAS IST DER ROHSTOFF DES POLITISCHEN, WER IST POLITISCH, WAS IST DAS ZIEL VON POLITIK? ....................................................................................................................... 11 1.3 NOTIZ ZUM BEGRIFF DES POLITISCHEN MANDATS ...................................................... 13 2. GESELLSCHAFTLICHE BEDINGUNGEN UND ENTWICKLUNGEN......................... 14 2.1 KAPITALISMUS ALS WIRTSCHAFTLICHE UND GESELLSCHAFTLICHE GRUNDORDNUNG ..... 14 2.1.1 Funktion und Charakter ................................................................................... 14 2.1.2 Der Geist des Kapitalismus ............................................................................. 16 2.1.3 Soziale Arbeit und Kapitalismus ...................................................................... 17 2.1.4 Aktuelle Entwicklung........................................................................................ 18 2.2 VON AUSSCHLUSS UND TEILHABE ............................................................................. 19 2.2.1 Mehr als Klasse ............................................................................................... 19 2.2.2 Gender als zweiwertiger Modus von sozialer Differenzierung .......................... 20 2.2.3 „Rasse“ als zweiwertiger Modus sozialer Differenzierung ................................ 23 2.3 DER SOZIALSTAAT – AUFTRAGGEBER DER SOZIALEN ARBEIT ..................................... 24 2.3.1 Anmerkung zum sozialadministrativen Handeln .............................................. 26 2.3.2 Eine passive Revolution wird institutionalisiert: Der neue Sozialstaat .............. 26 2.3.3 Die Soziale Arbeit als Teil des Sozialstaats ..................................................... 29 2.3.3.1 Der doppelte Auftrag Sozialer Arbeit ......................................................... 29 2.3.3.2 Soziale Arbeit als kollektives Handeln in Institutionen ............................... 31 3. POLITISCHE MANDATIERUNG DER SOZIALEN ARBEIT INNERHALB DER STAATSNAHEN POLITY ............................................................................................... 33 3.1 POLITISCHES HANDELN MIT DER INSTITUTION ............................................................ 33 3.2 POLITISCHES HANDELN INNERHALB DER INSTITUTION................................................. 35 3.3 POLITISCHE HANDLUNGSOPTIONEN AUßERHALB DER INSTITUTIONEN .......................... 35 3.4 ERLÄUTERUNG UND BEWERTUNG DER HANDLUNGSOPTIONEN .................................... 36 4. WISSENSCHAFT ALS POLICY – AUF DER SUCHE NACH DEM POLITISCHEN INHALT EINER THEORIE............................................................................................... 39 4.1 ALLGEMEINES ZUR THEORIE SOZIALER ARBEIT .......................................................... 39 4.2 BEGRÜNDUNG DER WAHL DER ALLTAGS- UND LEBENSWELTTHEORIE .......................... 40 4.3 ENTSTEHUNGSKONTEXT........................................................................................... 40 4.4 KERNELEMENT DES KONZEPTS: THEORIE DES ALLTAGS ............................................. 41 4.5 FUNKTIONSBESTIMMUNG .......................................................................................... 43 4.6 ZUR FRAGE DER INSTITUTION ................................................................................... 44 4.7 ZUR ROLLE DER FACHKRÄFTE .................................................................................. 45 4.8 POSITIONIERTE WISSENSCHAFT ............................................................................... 45 5. HANDLUNGSMAXIMEN EINER POLITISCHEN SOZIALEN ARBEIT ....................... 48 5.1 ZUM POLITISCHEN BEWUSSTSEIN IN DER SOZIALEN ARBEIT ........................................ 48 5.2 DEN ZENTRALEN WERT DER SOZIALEN ARBEIT AUSBUCHSTABIEREN: SOZIALE GERECHTIGKEIT ............................................................................................................ 49 5.3 KONFLIKTORIENTIERT HANDELN ................................................................................ 51 5.4 SICH POSITIONIEREN, PARTEIISCH SEIN, DIE SOZIALE FRAGE STELLEN........................ 52 5.5 SOZIALE ARBEIT IN BEWEGUNG? DEN ANSCHLUSS NICHT VERLIEREN! ........................ 53 5.6 VOM ROHSTOFF ZUM AUSDRUCK – (GEGEN-)MACHT ORGANISIEREN .......................... 55 5.7 DIE EIGENE VERSTRICKUNG ERKENNEN – SICH BEFREIEN ........................................... 56 FAZIT.............................................................................................................................. 58 LITERATUR .................................................................................................................... 64 ERKLÄRUNG ................................................................................................................. 71 2 Einleitung Als subkulturell orientierter junger Mensch forderte ich in einer kleinen Gemeinde zusammen mit anderen Jugendlichen Mitte der 1990er Jahre ein Jugendhaus. Wir besetzten regelmäßig das Foyer des Rathauses und bekamen kein Jugendhaus aber einen Sozialarbeiter, einen göttinger Anarchisten, der uns gerne dabei behilflich war, Proberäume für eine Punkband zu organisieren und eine Antifagruppe zu gründen. Ich wollte auch so ein Typ sein, einen Job haben, der Spaß macht und so politisch anmutet. Ich wollte mit anderen zusammen die Welt verändern. Ich begab mich in eine Erzieherausbildung. Dort war es nicht so politisch – auch nicht bei der Arbeit. Das Private und das Berufliche trennte ich die nächsten Jahre. Meine Arbeit als Erzieher machte ich gerne, aber unpolitisch. In meiner Freizeit engagierte ich mich innerhalb von Antifagruppen, einem sozialen Zentrum und las schwierige Bücher in Lesekreisen. Im Studium lernte ich dann jenseits von Arbeit die Freiheit kennen, meine politischen Erfahrungen und Positionen mit einzubringen, sie im Fach zu vertiefen und auf den Prüfstand zu stellen. Eine Freiheit die ich mir, wie andere die Ähnliches umtrieb, nehmen musste. Denn auch die Zeiten an der Hochschule sind nicht konsequent die politischsten. Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, die Beschäftigung mit einem Thema, das die letzten sechs Semester trotz steigender Begeisterung immer nur ein Nebenthema sein konnte, das erste Mal vertiefend anzugehen. Im Zentrum dieser Arbeit steht die Frage nach der Begründung für ein politisches Mandat der Sozialen Arbeit und nach den politischen Inhalten, mit denen sie sich in derartige gesellschaftliche Auseinandersetzungen begeben kann. Die Frage nach dem politischen Mandat Sozialer Arbeit wird, wenn auch derzeit nicht intensiv, im Fach kontrovers diskutiert. Offensichtlich dabei ist, dass es darauf keine Antwort zu geben scheint, die frei von einer gesellschaftlichen Positionierung der jeweiligen AutorInnen ist. Die Trennlinie in der Diskussion verläuft seit Jahrzehnten zwischen denen welchen Konservatismus unterstellt wird und den anderen, welche sich mit Utopismus-Vorwürfen konfrontiert sehen. 1 Dass hier mit Vorwürfen gearbeitet wird, zeigt auf, dass das Thema innerhalb der Profession und der Disziplin eine wichtige Rolle spielt, denn die ProtagonistInnen scheinen ja in einem noch nicht entschiedenen Feld, etwas zu verteidigen zu haben. Zugleich deutet diese Kontroverse an, dass das jeweils politisch Richtige sich nicht einfach aus einer Wissenschaft ableiten lässt, sondern stets etwas mit den Biographien und Interessen der Menschen und Menschengruppen zu tun hat. Die Frage nach der politischen Warte spielt deshalb in der vorliegenden Arbeit eine wichtige Rolle. Mir geht es aber nicht darum den Blick auf die Diskussionen von oben zu werfen, das ist in einem 1 vgl. Merten 2001, 9 3 unentschiedenen Feld auch schwer möglich. Meine Arbeit ist mehr der Versuch eines Beitrags zur Diskussion, der eng verbunden ist mit der Auseinandersetzung mit meiner eigenen politischen Biographie. Wenn es nicht die Metaebene ist, die hier bearbeitet wird, so hat es der / die LeserIn mit einem Text zu tun, der sich irgendwo auf dem Kontinuum zwischen Utopismus und Konservativismus befindet. Auch um die Lokalisierung von vorneherein zu erleichtern: Die Arbeit kann gerne einem sozialistischen politischen Standpunkt und der kritischen Wissenschaftstradition zugeordnet werden. Als politisch positionierter Diskussionsbeitrag kann sie keinen Gültigkeitsanspruch im traditionell wissenschaftlichen Sinn beanspruchen, da Erkenntnis und Positionierung hier zusammengehören. Eine der wenigen aktuellen Fachpublikationen, die das hier vorliegende Problem behandelt, trägt den Titel „Repolitisierung Sozialer Arbeit“2. Das Präfix Re deutet zweierlei an. Die Soziale Arbeit war schon einmal politisch und sie hat diese Eigenschaft wieder verloren. Und tatsächlich zeigt ein Blick auf die Geschichte eine mehr als 100 Jahre alte Tradition der politischen Einmischung Sozialer Arbeit. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts trat Jane Adams dem weit verbreiteten Standpunkt entgegen, die Armen seien an ihrer Misere selber schuld. Bereits damals ging es nicht nur um eine Soziale Arbeit, die mit einer Stimme spricht, sondern auch um Fachinterne Auseinandersetzungen. Denn die individualisierende Position vertraten damals unter anderem die christlichen Wohltätigkeitsorganisationen in den USA (und Europa). Das von Adams gegründete Hull House war die erste Organisation, die versuchte, die Lebensbedingungen ihrer AdressatInnen (BewohnerInnen der Chicagoer Slums) systematisch zu erfassen. Die Ergebnisse verwendete sie als Argumentationsgrundlage für die Einmischung in die Politik. In gewerkschaftlicher Organisierung, kommunalpolitischen Initiativen zur Verbesserung der Infrastruktur und einer progressiven Gesetzgebung gegen die grenzenlose Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, sah sie die besten Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Armenvierteln. Die Österreicherin Ilse von Arlt, welche als eine Pionierin der wissenschaftsgeleiteten Sozialen Arbeit gelten kann, formulierte in den 1920er Jahren ihre Fürsorgewissenschaft als Grundwissenschaft, die zum Gegenstand die Armut und ihre Behebung hatte. Ziel dieses Konzepts sollte die Aufhebung der Ursachen von Armut sein, welche Arlt als Folge der ökonomischen Unmöglichkeit zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse definierte. Nicht das sozial abweichende Verhalten, sondern die gesellschaftlich verweigerte Bedürfnisbefriedigung ist der Ausgangspunkt ihres Konzepts. Fürsorgerische Maßnahmen müssen nach Arlt auf die schwierigen gesellschaftlichen Sachverhalte zielen. 2 vgl. Lallinger / Rieger 2007 4 Soul Alinsky kann als Vertreter einer radikalen Gemeinwesenarbeit gelten. Er wendete sich Mitte des 20. Jahrhunderts scharf gegen den kontrollierenden Auftrag professioneller Sozialer Arbeit und plädierte für gemeinsame Organisationen der Gegenmacht und Aktionen mit den Ausgegrenzten der Gesellschaft. Er brachte BewohnerInnen von Elendsquartieren dazu sich gewerkschaftlich zu organisieren, setzte sich für sozialen Wohnungsbau ein und verhalf schwarzen Jugendlichen zu Ausbildungsplätzen. Mittel seiner Wahl waren nicht etwa vorsichtige Verhandlungen, sondern massiver politischer Druck, der unter anderem durch groß angelegte Aktionen zivilgesellschaftlichen Ungehorsams erzeugt wurde. Dem Praktiker Saul Alinsky kann der Theoretiker Harold Specht zur Seite gestellt werden. Als Uniprofessor beschäftigte er sich mit unterschiedlichen Strategien und Politiken von Gemeinwesenarbeit. Auch aus seiner disziplinären Perspektive unterstützte er die aggressiven politischen Formen Alinskys, die er als „disruptiv“ bezeichnete. In einer Zeit, in der dann im Westen schließlich alles politisch wurde, erreichte wohl auch die Soziale Arbeit ihren politischen Höhepunkt um die 1970er Jahre herum. Die Soziale Arbeit als Ganzes wurde einer generellen Kritik unterzogen. Buchtitel wie „Soziale Arbeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen“3 oder „Führsorgeerziehung im Kapitalismus“4 versprachen gar eine radikale Kritik, die von der real-existierenden institutionellen Sozialen Arbeit nicht mehr viel übrig ließen als eine „Krankenschwester des Kapitalismus“. Sie wurde aber grundsätzlich positiv gesehen, wenn sie über verdeckte Formen von Herrschaft und Unterdrückung aufklärt und politische Transformationsprozesse vorantreibt.5 Der Hamburger Unidozent Kharam Khella formulierte diese Position Anfang der 1980er Jahren in seinem Konzept von der „Sozialarbeit von Unten“. Die Soziale Arbeit hat in seiner Theorie keine gesellschaftsverändernde Funktion, jedoch eine in diesem Sinne unterstützende. Nach Khella ist es nicht Aufgabe der Sozialen Arbeit, die Arbeiterklasse zu organisieren. Das ist vordringlich Aufgabe von Gewerkschaften und Parteien. Sie soll sich aber in die Klassenbewegung integrieren und unter ihren AdressatInnen ein Klassenbewusstsein schaffen. 6 Der Höhepunkt der politischen Sozialen Arbeit war, wie es scheint, auch ihr vorläufiges Ende. Gemeinhin wird beschrieben, dass nach der politischen Phase der 1970er Jahre die therapeutische Phase der 1980er Jahre folgte. Dann kam in den 1990er Jahren die managerealisierte Phase und der Kapitalismus schien sich wie gegen den realsozialistischen Ostblock auch gegen die „Sozialen“ im Innern durchgesetzt zu haben. Politische Soziale Arbeit wurde die nächsten Jahre schlichtweg durch Nicht3 Hollstein / Meinhold 1973 Autorenkollektiv: Allheim u.a. 1972 5 Diese Auseinandersetzungen, die man auch unter dem Begriff „Sozialarbeitsbewegung“ fassen kann, wird hier nur verkürzt dargestellt, da sie im Hauptteil noch einmal besondere Aufmerksamkeit erfahren. 6 Der Abschnitt zu Geschichte politischer Sozialer Arbeit folgt: Stark 2000, 71ff, ausführlicher dazu: Müller 2006 4 5 Thematisierung ausgegrenzt.7 Nur in wenigen Arbeitsfeldern, wie in der Sozialen Arbeit mit Mädchen und Frauen (aber auch Jungen) ist der politische Blick bis heute eine Konstante. Maria Bitzan und Claudia Daigler etwa, deren Buch „Eigensinn und Einmischung“8 erstmals 2001 erschien, weisen vor dem Hintergrund einer deutlich politischen Analyse Mädchenpolitik als Prinzip der Mädchenarbeit aus. Aber auch in der antirassistischen und der Sozialen Arbeit mit Flüchtlingen ist das Politische bis heute nicht wegzudenken. Hinweise darauf finden sich beispielsweise in einem Handbuch für Soziale Arbeit mit Flüchtlingen von Florian Fritz und Frank Groner9. Der Blick auf die Geschichte politischer Sozialer Arbeit gibt uns zwei wichtige Hinweise. Alle hier dargestellten Ideen von Sozialer Arbeit stellen ungerechte gesellschaftliche Strukturen weit in den Vordergrund ihrer Analysen. Das Ziel, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern, hat hier stets die Bedingung, dass sich die ungeeigneten Strukturen verändern, woran die Soziale Arbeit mitzuwirken habe. Zum anderen ist die Frage nach einer politischen Sozialen Arbeit schon sehr früh sowohl in der Praxis/ Profession (wie bei Adams, Alinsky), wie in der Disziplin (etwa bei von Arlt, Specht) zugegen gewesen. Die Frage vom Verhältnis von Professionalisierung und politischem Mandat in der Sozialen Arbeit wird ebenfalls kontrovers diskutiert. Das kommt besonders deutlich in der zweiten aktuellen Fachpublikation zum Thema „Hat die Soziale Arbeit ein politisches Mandat?“10 zum Vorschein. Diese Frage soll allerdings nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Ich unterstelle hingegen, dass die Soziale Arbeit eine politische Profession ist, wenn sie sich dafür entscheidet. Diese These werde ich in der Arbeit erläutern. Ein starkes und vor allem an der Hochschule oft gehörtes Argument gegen die Politisierung ist, dass dadurch der erreichte Grad an Professionalität und Fachlichkeit gefährdet wäre. Ich vermute hinter diesem Argument die Verweigerung einer positionierten Haltung, weil sie für die Akteure im Widerspruch zu ihrem objektivistischen Wissenschaftsverständnis steht oder gravierender, sie immer noch auf die BWL als Förderin des Professionscharakters hoffen. 11 Innerhalb der Disziplin wird nach wie vor vielfach auf den politischen Charakter Sozialer Arbeit hingewiesen. Exemplarisch seien genannt: Sylvia Staub-Bernasconi, die ihre Theorie der Sozialen Arbeit von den Menschenrechten her entwickelt12, die Zeitschrift WIDERSPRÜCHE, deren HerausgeberInnen und AutorInnen ihre sozialistische Inspiration auch nach nahezu 30 7 vgl. Stark 2007, 75 vgl. Bitzan / Daigler 2004 9 vgl. Fritz / Groner 2004 10 Merten 2001 11 Auch der Blick auf andere Profession zeigt, dass Professionalität und Politik sich gegenseitig nicht ausschließen. MedizinerInnen, wie JuristInnen greifen regelmäßig mit eigenen Organisationen und Veranstaltungen (wie Marburger Bund, Deutscher Ärztetag, Deutscher Juristentag, Republikanischer Anwaltsverein) in politische Prozesse ein. 12 vgl. Stark 2007, 70 u. Staub-Bernasconi 1995 8 6 Jahren nicht aufgegeben haben und die Lebenswelttheorie von Hans Thiersch, die im Folgenden größere Aufmerksamkeit erhält. Die vorliegende Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel. Das erste Kapitel ist als erweiterte Einleitung zu betrachten. Ich befasse mich darin mit der Frage, was das Politische denn überhaupt ist; es geht also zunächst darum zu klären, worüber wir überhaupt reden. Dazu soll die Literatur und Methodik der Politikwissenschaft herangezogen werden und gefragt werden, in wie weit sich hier schon Antworten für unsere Frage finden. Die herangezogene Methode der drei analytischen Dimensionen von Politik soll dabei helfen Trennungen zu ermöglichen und den Blick auf Zusammenhänge zu richten, die in dieser Arbeit bearbeitet aber auch nicht bearbeitet werden können. Es soll begründet werden, weshalb die Arbeit vor allem die gesellschaftlichen Strukturen in den Blick nimmt, aber Prozesse und das politische Bewusstsein von SozialarbeiterInnen weitgehend vernachlässigt. Das zweite Kapitel widmet sich den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen die Leistungen Sozialer Arbeit erbracht werden. Der Fokus liegt, inspiriert von der Geschichte der politischen Sozialen Arbeit, auf ungeeigneten und ausschließenden Strukturen. Ins Blickfeld wird vor allem die Bundesrepublik genommen, weil Soziale Arbeit in der Regel im nationalen Raum handelt. Und somit in einem sozialen Raum, der nach jahrzehntelangem Ausbau des Sozialstaats und der kooperatistischen Politik des „Rheinischen Kapitalismus“ wieder zunehmend von ökonomischen Prämissen des Kapitalismus bestimmt wird. Darum erscheint es mir als bedeutend, an dieser Stelle ausführlicher zu beschreiben, was dieses Wirtschaftsystem ist und was es für das Soziale bedeutet. Nicht weniger bedeutend ist die Beschreibung von Gender und „Rasse“. Denn auch diese Kategorien sind, wie die durch den Kapitalismus produzierten Klassen, bestimmend für soziale Differenzierungen und ungeeignete Strukturen. Darauf folgt die Diskussion über den Sozialstaat, seine aktuellen Entwicklung und die Bestimmung der sozialen Arbeit als staatsvermittelte Profession und Teil sozialpolitischen Handelns. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Frage nach der politischen Mandatierung Sozialer Arbeit, die sich direkt aus Gesetzen und aktuellen Diskursen ergibt. Das vierte Kapitel befragt exemplarisch eine Theorie Sozialer Arbeit (die Alltags- und Lebenswelttheorie) nach ihrem politischen Gehalt. Abschließend werden beispielhaft Handlungsmaximen einer sich politisch verstehenden Sozialen Arbeit vorgestellt. Gleichwohl der enormen Heterogenität des Arbeitsfeldes wird versucht, die Soziale Arbeit als Ganzes ins Blickfeld zu nehmen. Qualitativ treffen die Aussagen also in unterschiedlichem Maße auf jedes einzelne Arbeitsfeld zu. 7 1. Was ist Politik? Ein Blick in die politikwissenschaftliche Literatur verrät, dass die Definitionen dessen, was das Politische ist, allein schon weil sie Teil von Ideengeschichten sind, unzählig sind. Für Niccolo Machiavelli (1469 - 1527) ist es die Technik des Machterwerbs und des Machterhalts. In liberalen Vorstellungen ist Politik der Raum, in dem unterschiedliche gesellschaftliche Interessen und Ziele, repräsentiert durch entsprechende Parteien miteinander konkurrieren. Die konservativen Vorstellungen verwehren sich gegen die Betonung des Interessenkampfes und plädieren für ein Verständnis, welches vor allem das Wohl des Staates, das Bedingung für das nationale Gemeinwohl sei, in den Mittelpunkt der Überlegung rückt. Sozialdemokratische und Kommunistische Ideen stellen hingegen die soziale Gerechtigkeit und die gesellschaftliche Partizipation aller Mitglieder einer Gesellschaft 13 als Vorraussetzung für eine stabile Gesellschaft in den Vordergrund. Andere Ideen, wie der Anarchismus oder Rätekommunismus, lehnen jede Zentralgewalt ab und propagieren die Organisation der Gesellschaft durch lokale und weit vernetzte Basiseinheiten. 14 Gemeinsam ist allen Modellen, dass stets die Fragen nach Macht, Herrschaft und ihrer Legitimation und die Frage nach gesellschaftlicher Teilhabe und sozialem Ausschluss eine Rolle spielen, mit dem Ziel, eine Gesellschaft zu organisieren und sie zusammenzuhalten. Zusammengefasst ist es die Frage danach, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Gehen wir davon aus, dass Menschen mit ihren politischen Ideen immer die gesellschaftlichen Entwicklungen unter bestimmten Bedingungen mitgestaltet haben, so müssen wir feststellen, dass Gesellschaft und Weltgeschichte nicht einem zweifellosen Schicksal unterworfen, sondern veränderbar sind. Die Menschen machen ihre Geschichte, wenn auch nicht aus freien Stücken sondern unter vorgefundenen Bedingungen15,16 selbst, so eine Schlüsselthese der materialistischen Geschichtstheorie. Für jede politische Entscheidung, die getroffen wird, gibt es Alternativen. 17 Politische Ideen entstehen jeweils vor dem Hintergrund von gemeinsamen sozialen Lagen und Lebensformen von Menschen. Es ist schließlich, wenn wir Karl Marx (1818 -1883) 13 „Gesellschaft ist der Begriff der die wichtigste Ebene der Konstitution sozialer Wirklichkeit, die vielfältige Strukturebenen wie Interaktionen, Gruppen, Organisationen, Institutionen, soziale Bewegungen umfasst, bestimmt und zugleich von ihnen bestimmt wird.“ (Schefold 2005, 364) Trotz zunehmender weltweiter Verflechtungen zwischen den einzelnen Einheiten der Weltgesellschaft, wird Gesellschaft nach wie vor allem in Zusammenhang mit dem Nationalstaat gedacht. Der Begriff der Gesellschaft ist der Leitbegriff für Reflexionen komplexer sozialer Zusammenhänge. (vgl. ebenda) 14 Die Ausführungen zu den politischen Ideen folgen Richard Sorg. vgl. Sorg 2001, 42 15 vgl. Marx 1973, 115 16 Marx führt weiter aus, dass sowohl die rein materiellen Bedingungen als auch bereits vorhandene Deutungsmuster vorgegeben sind (vgl. ebenda). Was also unter „nicht aus freien Stücken“ zu verstehen ist, verweist auf eine interaktives Verhältnis zwischen Mensch und Gesellschaft. Die Menschen werden durch die sie umgebende Gesellschaft sowohl gemacht, sie werden zu gesellschaftlichen Wesen, als dass sie auch als gesellschaftliche Wesen daran beteiligt sind sie zu reproduzieren und zu verändern. 17 vgl. Meyer 2000, 15 8 These folgen, das Sein, welches das Bewusstsein der Menschen bestimmt. In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung von Ideologien zu nennen. Nach dem Soziologen Karl Mannheim (1893 - 1947) ist allen Ideologien18 gemeinsam, dass sie aus einer bestimmten Welterklärung heraus einen Herrschaftsanspruch formulieren und andere Ideologien wegen deren, aus der eigene Warte heraus betrachtet, falscher Welterklärung ablehnen. Außerdem ist: „In dem Wort Ideologie [...] implizit die Einsicht enthalten, dass in bestimmten Situationen das kollektive Unbewusste gewisser Gruppen sowohl diesen selbst wie anderen die wirkliche Lage der Gesellschaft verdunkelt und damit stabilisierend wirkt.“19 Wissenschaftliche Theorien hingegen versuchen stets zu beantworten, was Theorie ist. Sie werfen einen Blick auf sich selber und untersuchen sich mit einem Blick von außen, um die verdunkelten Stellen auszuleuchten und so einer Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Theorie ist also reflexiv.20 Und trotzdem müssen wir realisieren, dass wir eine Theorie stets vor dem Hintergrund von kollektiven und darin eingebundenen individuellen Erfahrungen erschaffen. KeinE WissenschaftlerIn ist frei von eigenen Verstrickungen in gesellschaftliche Verhältnisse, erst recht nicht wenn es um die (politische) Gestaltung von Verhältnissen geht, in denen auch die Wissensschaffenden leben. 1.1 Die drei analytischen Dimensionen der Politik21 Das Konzept geht davon aus, dass sich die drei Dimensionen in jedem politischen Phänomen finden lassen. Mit der analytischen Trennung lässt sich jeweils die Dimension benennen, die gerade gemeint ist und ermöglicht so die Erklärung einer besonderen Ausprägung einer Dimension durch eine andere. Im Gegensatz zu den vorher beschriebenen eher normativen und ideengeschichtlichen Ideen von Politik, will dieses Konzept einen Beitrag zu einer empirisch-analytischen Politikwissenschaft leisten. Polity Das Normgefüge und die sich daraus ergebenden, für politisches Handeln bedeutsamen Strukturen werden als Polity bezeichnet. Hierunter fallen alle formellen Institutionen einer Gesellschaft. Dazu gehören die Verfassung eines Staates und alle dort verankerten Institutionen (z.B. Parlamente, Gerichte, Regierungen) und Verfahren (etwa Vorschriften, die bei der Ausführung von Gesetzten von Bedeutung sind). Politics Der Prozess des Politikmachens, welcher durch Konflikt, Konsens und Durchsetzungsprozesse gekennzeichnet ist, wird als Poltics bezeichnet. In dem Prozess 18 19 20 21 Für Mannheim sind alle politischen Ideen Ideologien. Mannheim in Dose u.a. 2007, 33 nach einer aktuellen Einführung in die Politikwissenschaft vgl. Dose u.a. 2007, 33 Dose u.a. 2007,18 9 geht es um die Vertretung von Interessen politischer AkteurInnen in einer Gesellschaft. Kennzeichnend für den Prozess ist, dass er durch Polity kanalisiert wird. Policy Policy bezeichnet den Inhalt von Politik. Die Inhalte finden sich in Parteiprogrammen, Koalitionsvereinbarungen und letztlich auch in Gesetzen. Die Policy ist das Verhandlungsmaterial der Politics. Wenn wir im Sinne von Polity von einem gesellschaftlichen Normgefüge und den sich daraus ergebenden Strukturen sprechen, sind zunächst auch alle nicht-formellen Verfahrensanweisungen (z.B. Traditionen, Gewohnheitsrecht, neue Praxen) und ungeschriebenen Regeln sozialen Handelns innerhalb und außerhalb von politischen Institutionen (Gefälligkeiten, Lobbyarbeit) dazu zu rechnen.22 Die Kanalisierung der Politics durch die Polity bedeutet gleichzeitig eine Blockade23 aller Politics, die nicht im Interesse des bestehenden politischen Systems und hoheitlicher Politik stattfinden. Die Prozesse der Politics finden auch nicht nur innerhalb von „hohen“ politischen Institutionen statt, sondern etwa in Form von Demonstrationen auf der Strasse oder gar abseits des gesetzlichen Rahmens etwa durch politische Sprühereien an Häuserwänden24. Policy findet sich nicht nur auf der Ebene von staatsrechtlich verfassten Institutionen, sondern auch innerhalb von sozialen Bewegungen und letztlich in jedem Individuum. Will man politische Prozesse in ihrer Gänze analysieren und beschreiben, so darf man nicht die Scheuklappen der Staatsloyalität anlegen. Denn letztlich würde ein solches Vorgehen auch Gefahr laufen mehr Teil einer unreflektierten Ideologie, als einer reflexiven Theorie zu sein. Wenn man nach dem politischen Handeln Sozialer Arbeit fragt, die sich hier nach wie vor in einem ungeklärten Feld bewegt, ist eine solche Erweiterung des Konzepts von enormer Bedeutung. Es wird noch zu klären sein, ob ihr ein Feld innerhalb der staatsnahen Polity zugewiesen wird, ob sie innerhalb dieses Rahmens an Politics partizipiert und 22 Rohe 1994, 64f vgl. Artikel Polity. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 18. März 2008, 15:11 UTC. URL:http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Polity&oldid=43851157 (Abgerufen: 25. Juli 2008, 16:02 UTC) Die Verwendung von Inhalten aus dem Internetlexikon Wikipedia ist in wissenschaftlichen Kreisen umstritten, da die Inhalte als wenig gesichert und mangelhaft fachlich fundiert gelten. Der hier verwendete Artikel wird durch die AutorInnen durch Literaturangaben gestützt (North, Douglass 1990. Institutions, Institutional Change, and Economic Performance. Cambridge: Cambridge University Press. Und. March & Olsen 1984: "The New Institutionalism: Organizational Factors in Political Life." American Political Science Review' 78(3): 734-749.) 24 Zu unterschieden ist jedoch das Durchsetzungspotential, das unterschiedliche politische Akteure in einer Gesellschaft haben. Der / dem Berufs-PolitikerIn im Parlament wird es unter geordneten gesellschaftlichen Bedingungen viel eher gelingen, eine Entscheidung herbeizuführen, die für einen großen Teil der Gesellschaftsmitglieder von Bedeutung sein wird, als dem / der politischen AktivistIn, die / der durch eine Demonstration oder seiner / ihrer Sprüherei versucht, auf einen Entscheidungsprozess einzuwirken. 23 10 partizipieren darf und in wie weit sie über eine eigene Policy, also Politikimmanenz verfügt. Wenn ihr im Sinne von hoheitlicher Politik keine politisch-handelnde Rolle zugewiesen ist, dann stellt sich die Frage, ob sie ihre Politik, vorausgesetzt ein politisches Programm ist ihr immanent, nicht außerhalb dieses Rahmens betreiben darf, kann und muss. 1.2 Was ist der Rohstoff des Politischen, Wer ist politisch, Was ist das Ziel von Politik? Das vorausgegangene Beschriebene impliziert die Verwendung eines weiten Politikbegriffs. Gegenüber einem engen Politikbegriff, der politisches Handeln lediglich den auf das jeweilige System bezogenen, formalisierten politischen Institutionen vorbehält, ist der weite Begriff offen für alles politische Handeln in allen gesellschaftlichen Bereichen. 25 Was aber ist nun das, was ein Handeln zum politischen Handeln werden lässt? Oskar Negt und Alexander Kluge26 beschreiben in ihrem Buch „Maßverhältnisse des Politischen“, dass menschliche Haltungen und Energien ihre Quelle in drei großen Bereichen haben: der Produktion [und Reproduktion, Anm. A.W.], der Sozialisation und der Freizeit- und Konsumsphäre. Die Intensität dieser Haltungen und Energien, die auch in kollektiven Formen auftreten, verhält sich wie Gefühle mit eigenen Codes und Rückkopplungsmechanismen. Der Staat und seine Politik haben hierauf nur begrenzte Einwirkungsmöglichkeiten27. Diese Haltungen und Energien sind in verschiedenen Formen gesellschaftlich vorhanden – im Alltag verborgen, passiv, isoliert. Eine bestimmte Konstellation alltäglicher Gefühle kann aber auch zu einer gemeinsamen Bewegung führen, die von Dauer ist und einen gesellschaftlich relevanten, produktiven Prozess in Gang setzen28. Das ist der Moment, in dem etwas zum politischen Ausdruck kommt. Die Haltungen und Energien die aus der unmittelbaren Erfahrung im Alltag herrühren, sind für die Autoren der Rohstoff des Politischen. Wenn wir den Rohstoff des Politischen im Menschen selbst verorten, so bleibt festzustellen, dass zumindest das potentiell Politische im Subjekt festzumachen ist. Das 25 Meyer 2000, 117f vgl. Kluge / Negt 2000, 47ff 27 Der Staat kann bessere Produktionsbedingungen, etwa durch Arbeitsschutzgesetze schaffen, er hat aber keinen Einfluss darauf, wie das persönliche Verhältnis von Vorgesetzten zu Weisungsabhängigen ist. Im Falle der Soziale Arbeit kann der Staat Gesetze erlassen, auf deren Grundlage sie ein bestimmtes Klientel in bestimmter Weise zu behandeln hat und so ein klares Vorhaben und Ziel für diese Klientel formulieren. Und trotzdem wird der / die SozialarbeiterIn im Alltag einem ganz bestimmten Menschen begegnen, mit dem nur ein koproduktiver Prozess möglich sein wird, wodurch die Möglichkeit das staatlich vorgegebene Ziel zu erreichen, deutlich eingeschränkt wird. Der Staat kann qua seiner Gesundheitsinstitutionen für gesunde Ernährung werben, er konkurriert dabei aber mit einer mächtigen Nahrungsmittelindustrie und die Menschen entscheiden sich eigenmächtig für ihre Produkte. 28 Als Beispiel führen Negt und Kluge die in der Geschichte als „Wende“ bezeichneten Ereignisse in den Jahren 1989-1990 an. Der Unmut der Bevölkerung war bereits lange vor 1989 vorhanden, kam aber über viele Jahre nicht über einen eher privaten Klageton hinaus. In einer bestimmten historischen Konstellation (z.B. Gorbatschow, Entstehung einer Teilöffentlichkeit in den Kirchen) verändert sich das bis dahin im privaten vorhandene Potential zu einer mit Selbstbewusstsein getränkten Protestbewegung auf die der Staatsapparat der DDR nur noch einen verschwindenden Einfluss hatte. 26 11 Subjekt 29 kann allgemein umschrieben werden als fühlende, denkende und handelnde Instanz im Menschen, die sich denkend sich selbst vergewissert und sich selbst qua Selbstbewusstsein und Reflexion zugänglich ist. Jüngere Subjekttheorien, die ihren Ursprung vor allem im französischen Strukturalismus haben, lehnen jedoch eine Rezeption ab, die von einer völligen Selbstverfügung und Rationalität des Subjekts ausgeht 30. In Anschluss an die marxsche „nicht aus freien Stücken“ - These ist das Subjekt nicht einfach gegeben, sondern gemacht. Für die Subjektwerdung gilt allgemein:„[...]dass sie ein aktives Hervorbringen ist, in dem sich Fremdkonstruktion (durch Benanntwerden und Identifziertwerden durch andere) und Selbstkonstitution (durch Selbstidentifikation, Übernahme von Rollen, durch affektive Bindungen an sich und seinen Status) verschränken“31. Wie kann man schließlich das Ziel politischen Handelns beschreiben? Für unsere Zwecke können wir zur Beantwortung der Frage davon ausgehen, dass politisches Handeln stets darauf gerichtet ist, verbindliche Entscheidungen für einen großen Teil oder alle Mitglieder einer Gesellschaft zu treffen und damit ihre Strukturen zu erhalten oder zu verändern. 32 Da, wie beschrieben, die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft vor dem Hintergrund ihrer Lebenssituation unterschiedliche Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaft haben, ist die politische Auseinandersetzung stets von Konflikten gekennzeichnet. Heinz Messmer bezeichnet die primäre Aufgabe von Politik sogar als „... Versachlichung und Konditionierung von Machtkonflikten..., soweit sie diese an eigens dafür ausdifferenzierte, demokratisch legitimierte Verfahren der Entscheidungsherstellung bindet.“33 Eines der wohl wichtigsten Ergebnisse dieses Unterkapitels ist die These, dass das Politische im Menschen, also in der / dem SozialarbeiterIn selbst zu verorten ist. Bei der Suche nach der Politikimanenz Sozialer Arbeit reicht es also nicht aus, die Funktionsbestimmung und die Theorien Sozialer Arbeit zu untersuchen. Die anschließende Frage ist, wie die sich daraus ergebende Policy von den Subjekten in der Sozialen Arbeit angenommen, also zur Haltung wird und durch gemeinsames Handeln zu Politics gemacht wird und gemacht werden kann. Im Rahmen dieser Arbeit kann eine solche Untersuchung über das politische Bewusstsein von SozialarbeiterInnen und dessen Entstehung allerdings nicht vorgenommen werden. Auch liegen leider keine aktuellen Studien über politische Einstellungen von SozialarbeiterInnen vor34. Versucht wird in Kapitel 4 aus einer Theorie Sozialer Arbeit, zumindest den Standpunkt weniger 29 Die Ausführungen zum Subjekt folgen Martina Saar, vgl. Saar 2004, 333ff vgl. dazu Foucault 1994, Butler 2001 31 zu dieser These vgl. vor allem Butler 2001 32 vgl. Meyer 2000, 15 33 Messmer 2005, zitiert nach Herrmann 2006, 37 34 vgl. Rieger 2007, 85 (in der Fußnote) 30 12 SozialarbeiterInnen herauszuarbeiten. Eine Theorie hat darüber hinaus die Eigenschaft, dass sie von den Fachkundigen rezipiert und teilweise umgesetzt wird. Sie ist unter Umständen Teil eins kollektiven Bewusstseins im Fach. Auch politische Prozesse können nicht Teil der Arbeit sein. Das ist vor allem darin begründet, dass der Umfang der Arbeit damit zu groß werden würde. Auch liegen mir keine Studien über politische Prozesse im Zusammenhang mit der Sozialen Arbeit vor. 1.3 Notiz zum Begriff des politischen Mandats Der Mandatsbegriff ist zunächst ein originär römisch-rechtlicher Begriff, der ein Verhältnis zwischen zwei VertragspartnerInnen bezeichnet in dem sich der / die MandatarIn zur Ausführung eines Auftrags im Interesse einer / eines MandantIn verpflichtet. Obwohl wir heute im Allgemeinen unter einem politischen Mandat ein durch einen formalisierten Akt (z.B. Wahlen, Ernennung...) zustande gekommenen Vertretungsauftrag verstehen, entsteht aus der grundlegenden Definition heraus zunächst weder die Pflicht, dass ein Mandat staatlicherseits erteilt wird, noch bedarf es eines formalisierten Aktes der Mandatierung. Für die Soziale Arbeit stellt sich so jedoch die Frage, ob ein politisches Mandat, das auf eine nicht allgemeine und Polity-ferne Weise entsteht, über die Profession hinaus die gesellschaftlich notwendige Akzeptanz erfährt.35 35 Schneider 2001, 29 13 2. Gesellschaftliche Bedingungen und Entwicklungen Wir können durch politisches Handeln die Bedingungen in denen wir leben und arbeiten selbst gestalten. Wir handeln aber stets im Rahmen vorgefundener Verhältnisse und wir haben, bevor wir handeln, Deutungsmuster der „alten“ Verhältnisse übernommen und reproduzieren diese Verhältnisse dadurch tendenziell. Die These, dass Soziale Arbeit im Kern, wenn sie denn politisch ist, eine emanzipative Policy besitzt, soll an dieser Stelle vorgezogen werden. Als Grundlage hierfür sehe ich die „Erklärung der Prinzipien der Ethik der Sozialen Arbeit“ des IFSW.36 Darin heißt es, dass die Soziale Arbeit den sozialen Wandel im Sinne der Befreiung des Menschen fördert und auf die Verwirklichung der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit ausgerichtet ist. Alle Punkte der Erklärung verweisen darauf, dass sie sich sozialem Ausschluss entgegen stellen soll und soziale Teilhabe fördern muss. Strukturbedingte Ausschließungsmechanismen und -prozesse sollen deshalb im Folgenden besonders berücksichtigt werden. Emanzipativ bedeutet, dass sie darauf ausgerichtet ist, sich daran zu beteiligen, die Verhältnisse so einzurichten, dass die Ursachen sozialer Probleme mit denen sie es zu tun hat, wegfallen. Dieses Einrichten kann in der Überwindung alter und der Schaffung neuer Verhältnisse bestehen, sowie in der Verteidigung bereits erkämpfter Zustände. Wenn wir etwas überwinden oder verteidigen wollen, müssen wir wissen, was es ist und welche Rolle wir darin spielen. Die folgende Reflexion über die materiellen Verhältnisse (Polity) und die darin eingewobenen Deutungsmuster (Policy) sollen dabei helfen, die Soziale Arbeit zunächst gesellschaftlich zu verorten und in einem weiteren Schritt danach zu befragen, ob ihr auf der Grundlage der Verhältnisse ein politisches Mandat zugewiesen wird. 2.1 Kapitalismus als wirtschaftliche und gesellschaftliche Grundordnung 2.1.1 Funktion und Charakter Der Kapitalismus ist in den westlichen Gesellschaften mehr als eine Wirtschaftsweise, also eine Form der Herstellung und der Verteilung von Gütern. Max Weber (1864-1920) definierte den Kapitalismus für die okzidentalen Gesellschaften zugleich als Gesellschaftsordnung, gekennzeichnet durch rational-kapitalistische Organisation von formell freier Arbeit, die Trennung von Haushalt und Betrieb und eine Entwicklung, die maßgeblich durch technischen Fortschritt bestimmt wird und die wiederum eng verbundene Spezifik der abendländischen Wissenschaft, insbesondere die der rationalen Naturwissenschaft, welche Berechenbarkeit und exakte Kalkulation erlauben.37 Der 36 37 IFSW 2004 vgl. Weber 1988, 7ff 14 Historiker Fernand Braudel (1902-1985) teilt diese Auffassung über den gesellschaftlichen Charakter. Den Kapitalismus bezeichnete er „[...]als eine Summe von Kniffen, Verfahren, Gewohnheiten und Leistungen.“38 Braudel fügt hinzu, dass der Kapitalismus eine Form des Wirtschaftens ist, die an Herrschaft orientiert ist und in der bestimmte MarktteilnehmerInnen, die KapitalistInnen, eine privilegierte Position gegenüber anderen haben und daraus Gewinn ziehen.39 Dieser „Gewinn ist der in Geld [...] ausgedrückte Überschuss des Verkaufspreises einer Ware40 entweder über ihren Einkaufspreis oder die Summe der Löhne und der Preise der Waren, die als Produktionsvoraussetzungen für die Herstellung dieser Ware gekauft wurden.“41 Im Kapitalismus wird dieser Überschuss weder altruistisch noch hedonistisch genutzt, sondern zu einem großen Teil zur Akkumulation, also zur Erweiterung der Produktionsvoraussetzungen verwandt. „Im Kapitalismus ist die Bereicherung das treibende Motiv [...] nicht der Genuss. Der Tauschwert herrscht über den Gebrauchswert“42 einer Ware. Die Akkumulation des Kapitals hat kein Ende. Denn der aus der Erweiterung der Produktionsvorrausetzungen erzielte Gewinn wird wiederum Teil des Akkumulationsprozesses. Unabdingbar für den Kapitalismus ist das heutige Eigentumsrecht. Es trennt die BesitzerInnen von Produktionsmitteln also die KapitalistInnen43 von denjenigen, die nur ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben (auch die Arbeitskraft wird somit zur Ware), um mit ihrem Einkommen sich selbst und diejenigen, die dazu noch nicht oder nicht mehr in der Lage sind, zu reproduzieren44. Der Kapitalismus ist also eine Gesellschaftsform, die den Alltag (Gewohnheiten, Kniffs...) der Menschen bestimmt und qua Eigentumsverhältnisse 38 Fernand Braudel in Fülberth 2008, 26 vgl. Fülberth 2008, 27ff 40 Eine Ware ist aber nicht nur ein Gut, das zwischen Produktion und Konsum eigenständig existiert (z.B. Nudeln, Auto) sondern kann auch als warenförmige Dienstleistung auf den Markt treten (z.B. Haarschnitt beim Friseur, Beratung jeglicher Art). Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass Produktion und Konsum zusammenfallen. (Füllberth 2005, 13) Die zunehmende Debatte um Copyrightfragen zeigt eine weitere Entwicklung, die der Ökonom Moulier Boutnang als Entwicklung zum „Kognitiven Kapitalismus“ bezeichnet. Im dieser Form des Kapitalismus ist der Link zum Produkt selbst zweitrangig. Das Kapital ist abstrakter, weniger abhängig von materiellen Zwängen, des Orts der Produktion und der dortigen ArbeitnemerInnenschaft. Das Unternehmen ist eine „leere Schachtel“ die vor allem Eigentumsrechte und juristische Mittel zur Durchsetzung derselben enthält. (nach Maier 2008, 49) 41 Fülberth 2008, 13 42 Altvater 2005, 36 43 In der Minimaldefinition von Luc Baltanski und Eve Chaipello ist die Gruppe von KapitalistInnen die „[...]Gesamtheit der Besitzer von Ertragsvermögen.“ Der Archetyp ist etwa die / der AktionärIn, der /die sein / ihr Geld in Unternehmen investiert und auf eine Gewinnausschüttung hofft. Für ein westliches Land wie etwa Frankreich gehen sie davon aus, dass diese Gruppe etwa 20% der Bevölkerung ausmacht, wobei ihr weltweiter Teil selbstverständlich ein viel geringerer ist. (vgl. Baltaski / Chiapello 2003, 40f) 44 ArbeitnehmehrInnen (auch ProduzentInnen)verzichten im Rahmen ihres Angestelltenverhältnisses im Austausch gegen Lohn auf das Produkt ihrer Arbeit. Der Lohn ist aber nicht der exakte Gegenwert zum Produkt ihrer Arbeit die zur Ware wird. Der Preis der Ware setzt sich zusammen (vereinfacht) aus der Aufwendung für Lohn, konstantes Kapital (Rohstoffe, Räumlichkeiten, Maschinen) und dem Mehrwert (später nennt Marx bei etwas veränderter Rechnung den Mehrwert Profit) welchen sich der / die KapitalistIn aneignet und wieder in den Akkumulationsprozess einfließen lässt. (vgl. Fülberth 2008, 56ff). Neben dieser so genannten „absoluten Mehrwertproduktion“ gibt es im Kapitalismus zwei weitere. Die „Inwertsetzung“ bezeichnet den Prozess, in dem die Natur (Wald, Öl, Stein) durch private Aneignung zur Ware gemacht wird und damit in den Akkumulationsprozess eintritt. Die „relative Mehrwertproduktion“ bezeichnet den Prozess der Mehrwertsteigerung, in dem durch effiziente Organisation und verbesserte Technik das Produkt der Arbeit vergrößert wird. (vgl. Altvater 2005, 54ff) 39 15 Herrschaft und Ungleichheit produziert. Der gesellschaftliche Charakter des Kapitalismus zeigt sich auch dadurch, dass er auf den ersten Blick im „[...] Selbstverständnis der Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts zur inneren Natur der Menschen zu gehören“45 scheint. 46 2.1.2 Der Geist des Kapitalismus Der Kapitalismus als System erzeugt seine Rechtfertigung und die Zustimmung der breiten Massen, deren Arbeitskraft er benötigt, aber nicht aus sich heraus. Dazu weist er zu viele Absurditäten auf. Während auf der einen Seite jemand das Produkt vieler Stunden Arbeit einem / einer anderen überlässt und mit dem Lohn gerade einmal sich und die Nächsten zu versorgen weiß, läuft auf der anderen Seite ein abstrakter, unersättlicher Prozess, der ungeheure Werte schafft, aber von jeglicher menschlicher Bedürfnisbefriedigung losgelöst ist. Als Motivation zum Mitmachen wird zumeist auf materielle Aspekte verwiesen. ArbeitnehmerInnen bräuchten das Geld zum Leben. Aus arbeitspsychologischer Sicht sind aber weder der Monatslohn noch etwaige Zwangsmassnahmen ausreichend, um den / die engagierteN, aufopferndeN, flexibleN, ArbeitnehmerIn zu bekommen, den der gegenwärtige Kapitalismus in den westlichen Industrienationen braucht. Es sind tatsächlich eher die Argumente, die in Form einer hegemonialen Ideologie, welche seit Max Weber als Geist des Kapitalismus bezeichnet wird, überzeugende moralische Gründe für den Einsatz breiter Bevölkerungsmassen für den Kapitalismus liefert. Die bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften gelten, eben weil sie Wissenschaften und nicht (Berufs-)Politik sind, als ideologisch und politisch neutral, womit sie gesellschaftliche Anerkennung in wirtschaftlichen Fragen erlangen. Sie liefern den Rohstoff für diese Ideologie. Im Wesentlichen stützen sich die Argumente auf liberale Annahmen zum Allgemeinwohl. Darin wird behauptet, dass die Verfolgung der Interessen Einzelner dem Allgemeinwohl diene. Diese Behauptung materialisiert sich beispielsweise darin, dass die Steigerung des Bruttoinlandprodukts grundsätzlich mit der Annahme gleichgesetzt wird, dass der allgemeine Reichtum in einem Land steigt, obwohl über die Verteilung des Reichtums noch nichts gesagt ist. Weiterhin wird auf die politischen Freiheitsrechte verwiesen, die der Kapitalismus durch die Schaffung des formell freien Menschen hervorgebracht hat.47 Auch das aktuelle neoliberale Dogma, indem zwar die Notwendigkeit von politischer Steuerung von Märkten anerkannt wird, jegliche 45 Altvater 2005, 24 Wenn der Kapitalismus die Natur des Menschen ist, dann scheint das Ende der Geschichte angebrochen zu sein. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde genau diese These mehrfach vor allem von neokonservativen und neoliberalen AutorInnen bestärkt. Allen voran war der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama mit seiner Veröffentlichung „Das Ende der Geschichte“ (Fukuyama 1992). Darin bezeichnete er die Universalität der liberalen westlichen Demokratien als das Ende der ideologischen Evolution des Menschen. (vgl. Altvater 2005, 25) Für den Ökonom Friedrich A. von Hayek können die einzigen moralischen Maßstäbe für die Kalkulation menschlichen Lebens nur das Privateigentum und der Vertrag sein. (vgl. Stark 2007, 78) 47 vgl. Boltanski / Chiapello 2003, 66 46 16 akkumulationsbehindernden Faktoren (etwa der auf das vom Kapital erwirtschaftete Geld angewiesene Sozialstaat oder der Schutz von ArbeitnehmerInnen durch Arbeitsrecht) aber zurückgewiesen werden, stütz sich auf diese Argumente. Für Chiapello und Boltanski beschränkt und legitimiert der Geist des Kapitalismus den Akkumulationsprozess. Beschränkend wirkt er jedoch nur insoweit, als dass in der „[...] Marktpolis Profit z.B. nur dann legitim und die Rangordnung aus einer Konfrontation zwischen verschiedenen, gleichermaßen nach Profit strebenden Personen nur dann gerecht [ist|, wenn die marktwirtschaftliche Bewährungsprobe den strengen Vorgaben der Chancengleichheit entspricht.“48 49 2.1.3 Soziale Arbeit und Kapitalismus Die Soziale Arbeit selbst ist nicht direkt Teil des kapitalistischen Akkumulationsprozesses. Sie wird zwar durch Mittel, die dem Akkumulationsprozess als Steuern staatlich entzogen sind, finanziert. Überwiegend tritt sie allerdings als öffentliches Gut50, nicht als Ware, gesellschaftlich auf. Wenn wir aber den Kapitalismus als Gesellschaftsordnung verstehen, so ist auch die Soziale Arbeit nicht frei von entsprechenden Strukturen und Alltagstechniken. Auch die SozialarbeiterInnen treten als freie Arbeitskräfte auf den Markt, sie arbeiten in einer Institution, welche nach den Prinzipien rationaler Buchführung ausgerichtet ist und führen einen privaten Haushalt. Die SozialarbeiterInnen selbst, sind also Teil des Herrschaftsverhältnisses, wobei wir davon ausgehen können, dass eine überwiegende Mehrheit zu denen gehört, die nichts oder nur wenig zu investieren haben. Gleichzeitig ist die Soziale Arbeit, als Teil des Sozialstaates, deren zwei Begründungszusammenhänge vor allem 1. die „Reproduktion der Arbeitskraft“ (für den kapitalistischen Produktionsprozess) und 2. die „Sicherung der Massenloyalität“ sind51, in besonderer Weise mit Herrschaft verstrickt. Staat und Ökonomie müssen als Teilstrukturen eines Ganzen und als wechselseitiges Beziehungsgeflecht begriffen werden52. Der Kapitalismus und der Nationalstaat westlich-liberaler Prägung sind in einem engen örtlichen und zeitlichen Rahmen entstanden. Trotzdem ist zunächst zumindest von einer teilweisen Kontingenz in ihrer Entwicklung auszugehen und damit müssen auch unterschiedliche Begründungszusammenhängen gesehen werden. Gleichwohl hat unser 48 vgl. Boltanski / Chiapello 2003, 66 Ergänzend: Gerade durch den ständigen Akkumulationsprozess, die Suche nach technisch besseren (effizienteren) Lösungen und neuen Absatzmärkten für Waren, hat der Kapitalismus seit seiner Entstehung gleichsam in kürzester Zeit einen ungeheuren Wohlstand in den Industrienationen geschaffen an dem auch die breite Masse der Bevölkerung teilhaben konnte. So beschreibt Ulrich Beck, zumindest bis zur Erscheinung seines Buches „Risikogesellschaft“ 1986, dass zwar die gesellschaftlichen Ungleichheitsrelationen geblieben sind, es aber so etwas wie einen „Fahrstuhleffekt“ gegeben hat, der auch eine Anhebung des Lebensstandards und soziale Sicherung für benachteiligte soziale Gruppen 49 bedeutete. Für die meisten Länder des Trikont hat und hatte die ständige Suche nach Rohstoffen, Absatzmärkten und günstigen Produktionsbedingungen jedoch Armut und politische Instabilität zur Folge. 50 vgl. dazu Fülberth 2008, 15 51 vgl. etwa Popp 1997, 202f 52 vgl. Böhnisch 1982, 41 49 17 Staat ein affirmatives Verhältnis zum Kapitalismus, was sich nicht zuletzt in entsprechenden Gesetzen niederschlägt (allen voran das Eigentumsrecht Art. 14 GG). Zur Sicherung der Massenloyalität würde so schließlich auch gehören, Massenloyalität zu dieser Wirtschaftsweise zu produzieren. Gerade weil der beschriebene Geist des Kapitalismus eine hegemoniale Ideologie ist, ist davon auszugehen, dass einE jedeR von uns, egal ob in Profession oder Disziplin, sowohl im Zuge der Fremdkonstitution als auch durch aktives Hervorbringen, diese Ideologie in sicher unterschiedlicher Intensität auch im beruflichen Alltag reproduziert. Das Arbeiten für die Sicherung der kapitalistischen Massenloyalität im Zuge der Erbringung von Leistungen der Sozialen Arbeit ist somit weniger eine bewusste Praxis als eine Selbstverständlichkeit. Politisch ist die Soziale Arbeit damit allemal. Denn so gesehen transportiert sie mit ihren Leistungen ständig eine bestimmte Idee von Gesellschaft. 2.1.4 Aktuelle Entwicklung Der Kapitalismus ist ein sozial und ökonomisch äußerst instabiles System. Krisen kennzeichnen seine Geschichte. Er ist aber gleichzeitig äußerst wandlungsfähig und passt sich sowohl dem wirtschaftlich Möglichen, wie den jeweiligen Weltregionen an. Damit wird die Entwicklung des Kapitalismus als Transformationsprozess beschrieben, der aber nicht einseitig ist, sondern auf Gesellschaft und Politik zurückwirkt. Antonio Gramsci (1891-1937) bezeichnet dieses Rückwirken als „passive Revolutionen“, in denen es den herrschenden Eliten gelingt „[...] ihr hegemoniales System ideologisch, politisch, institutionell gegenüber den sozialen und politischen Herausforderungen, gegenüber den „subalternen Klassen“ zu stärken.53 Da Krisen zum Kapitalismus dazugehören, findet der gesellschaftliche Transformationsprozess unentwegt statt. Folgende Entwicklungen kennzeichnen den heutigen Kapitalismus (seit den 1970er Jahren) insbesondere: - Durchsetzung der Informationstechnologie (Dritte Industrielle Revolution) - Schwächung der Investitions- und Regulierungstätigkeit der Öffentlichen Hände - Gesteigerte Bedeutung der internationalen Finanzmärkte und Internationalisierung der Produktion einschließlich der Beschleunigung des internationalen Warenverkehrs Gleichzeitig wurde und wird in den westlichen Industrienationen eine Wirtschaftspolitik propagiert, die als neoliberale bezeichnet werden kann und folgende Merkmale aufweist: - Senkung von Steuern (vor allem Unternehmenssteuern), so wie der Staatsausgaben 53 - Privatisierung öffentlichen Eigentums - Deregulierung der Arbeitsbeziehungen Altvater 2005, 24 18 - Kürzung der Sozialausgaben - Rücknahme staatlicher Investitions- und Steuerungstätigkeit und Ersetzung durch das „laissez faire“ der internationalen Märkte54 Dass sich der Kapitalismus nicht nur wirtschaftlich ausdrückt, sondern weit in die Gesellschaft hinein reicht und gesellschaftlichen Wandel befördert, wird vor allem bei der Betrachtung der oben genannten Entwicklungen deutlich. Besonders die Privatisierung öffentlichen Eigentums oder Steuersenkungen sind die Folge (staats-)politischer Entscheidungen. Die damit verbundenen Veränderungen mit welchen es die Soziale Arbeit bereits zu tun hat, bzw. zu tun haben wird, werden exemplarisch in Kapitel 2.3.2. dargestellt. Bemerkt sei aber bereits hier: Dass die Soziale Arbeit und ihre Akteure derzeit zumindest nicht gänzlich in Widerspruch zu den „passiven Revolutionen“ der letzten Jahre zu stehen scheinen, darauf deuten ihre relativ zurückhaltenden Reaktionen auf die allgemeine Senkung der Staats- und Sozialausgaben auch in ihren Tätigkeitsfeldern und die massiven, zum Nachteil ihrer AdressatInnen geschehenen Eingriffe in die sozialstaatlichen Systeme (zuvorderst Hartz IV) hin. Roland Merten55, der seit Jahren gegen einen politischen Auftrag der Sozialen Arbeit polemisiert, behauptet die Soziale Arbeit hätte die Veränderungen bis dato nicht realisiert. Angesichts der Beschreibung des Verhältnisses von Sozialarbeit und Kapitalismus, könnte sich auch das Bild ergeben: Die Soziale Arbeit und ihre Akteure stimmen dieser Revolution grundsätzlich zu. Wie es tatsächlich um das aktuelle politische Bewusstsein von SozialarbeiterInnen steht, kann wie gesagt, im Rahmen dieser Arbeit nur soweit beantwortet werden, als das sozialarbeitswissenschaftliche Theorien aus der Feder weniger Akteure untersucht werden. 2.2 Von Ausschluss und Teilhabe 2.2.1 Mehr als Klasse Der Kapitalismus produziert eine Klassengesellschaft und strukturiert deren Mitglieder dadurch sozial in diejenigen, welche über Investitionsmittel verfügen und in diejenigen die nicht mehr als ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben. Im Grundsatz richtig, wäre das alleine ein zu einfaches Bild, um unsere moderne Gesellschaft zu beschreiben, denn solch ein dichotomes Bild von Gesellschaft finden wir in der Realität nicht vor. Innerhalb unserer Gesellschaft gab es eine allgemeine Anhebung des Lebensstandards (vgl. Fußnote 49). Nach dem Konzept der sozialen Lage, finden wir heute eine weit ausdifferenzierte soziale Landkarte mit beispielsweise unterschiedlichen Einkommens-, Bildungs-, Wohn-, und 54 55 Füllberth 2008, 271ff vgl. Merten, Roland 2007, 56 19 Risikoniveaus 56. Die zunehmend individualisierten Lebensverhältnisse befördern die Herauslösung der Individuen aus alten Sozialformen und den Verlust aus traditionellen Sicherheiten bezüglich von Handlungswissen und leitenden Normen.57 Damit geht auch der allgemeine Verlust der Bedeutung von Klasse und Klassenzugehörigkeit einher. Mit dem Konzept der Kapitalsorten hat insbesondere Pierre Bourdieu darauf hingewiesen, dass es nicht alleine die ökonomische Ausstattung von Menschen ist, mit der sie sich im sozialen Raum verorten und verortet werden. Das ökonomische Kapital hat bei ihm zwar eine herausgehobene Position, da es besonders gut in die anderen Formen transferierbar ist, jedoch lassen sich alle drei Kapitalsorten (soziales, kulturelles, ökonomisches Kapital) untereinander austauschen und existieren nicht unabhängig voneinander.58 Aus der Perspektive emanzipativer Politik führt der Weg zur Überwindung von sozialer Strukturierung dieser Art über die Umstrukturierung der politischen Ökonomie, die gesellschaftliche Umverteilung des Reichtums und die Auflösung der Klassen. Nancy Fraser59 diskutiert in ihrem Werk „Die halbierte Gerechtigkeit“ aber zwei weitere dominante Modi sozialer Differenzierung in unseren westlichen Gesellschaften. 2.2.2 Gender als zweiwertiger Modus von sozialer Differenzierung Bezüglich der Ökonomie ist Gender ein Strukturprinzip. Es strukturiert die grundlegende Einteilung in produktive und reproduktive Arbeit, Frauen werden in der Regel der letzteren zugeordnet. Weiterhin strukturiert Gender auch die Einkommensverteilung mit. Männer verdienen in der Regel mehr als Frauen, die sich oft in „reproduktiven Berufen“ wiederfinden60. Die soziale Differenzierung durch Gender ist aber mehr als eine Unterart der verteilungsbezogenen Ungerechtigkeit, nämlich auch eine kulturell–evaluative Differenzierung. Ein Grundzug dieser Ungerechtigkeit ist der Androzentrismus: eine hierarchisierende Normkonstruktion, die mit Männlichkeit verbundene Attribute priviligiert und mit einem kulturellen Sexismus, der Abwertung von allem, was als weiblich bestimmt ist, einhergeht. 61 Bob Connel hat dieses Verhältnis auch als hegemoniale Männlichkeit bezeichnet. „Hegemoniale Männlichkeit meint eine, in sozialen Praktiken konstruierte und sich verändernde, dominante Form von Männlichkeit, die sich über die Abwertung und Unterordnung sowohl von Frauen, als auch von "untergeordneten Männlichkeiten" konstituiert.“62 Das wichtigste Kennzeichen „hegemonialer Männlichkeit“ ist 56 vgl. Diezinger, Mayr-Kleffel 1999, 67f (nach Hradil 1987) vgl. Diezinger / Mayr-Kleffel 1999, 72f (nach Beck 1986) 58 vgl. Diezinger / Mayr-Kleffel 1999, 117f (nach Bourdieu 1983) 59 vgl. Fraser 2001 60 Beispielsweise: Die Erwerbsquote von Frauen liegt heute in den EU-Staaten „nur“ 20% unter der der Männer (ca. 73%). Dort wo Frauen beschäftigt sind, sind es oft Teilzeitbeschäftigungen und sie verdienen im EU- Durchschnitt ca. 23% weniger, wenn sie Lohnarbeit verrichten. (vgl. Fröschl / Gruber 2005, 242 ff) 61 vgl. Fraser 2001, 40f 62 Männerforschungskolloquium Tübingen 1995 57 20 Heterosexualität, womit die wichtigste untergeordnete Männlichkeit die Homosexualität. 63 ist. Schwule, Lesben und Crossgender sind somit in einer ähnlichen Weise vom kulturellen Sexismus betroffen. Die Abwertung drückt sich in einer Reihe von nichtökonomischen Behandlungen aus, von denen Frauen (aber auch Nicht-Heterosexuelle)64 betroffen sind (etwa Sexuelle Gewalt, stereotype Darstellung in der Öffentlichkeit, zum Objekt machen, Lächerlichmachen, Unterwerfung unter hegemoniale Männlichkeitsnormen65 ). Diese Mechanismen sind weitgehend unabhängig von ökonomischen Gegebenheiten. Beide Seiten bestehen offensichtlich nicht unabhängig voneinander, sondern sind so ineinander verwoben, dass sie sich in dialektischer Weise verstärken. Es bedarf, gehen wir wiederum von einer emanzipativen Politik aus, der Veränderung kultureller Wertungen. Die Gegenmaßnahme wäre hier, neben der politökonomischen Umgestaltung die positive Anerkennung66 der sozialen Gruppen.67 Vor allem die Frauenbewegung und ihr engagiertes Wirken haben dafür gesorgt, dass auf formeller und gesetzlicher Ebene heute zumindest zwischen den beiden gesellschaftlichen Konstrukten Mann und Frau nahezu Gleichheit herrscht. Die letzten Entwicklungen sind jedoch sehr jung (etwa das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, Inkrafttreten 2006) und viele von ihnen, so auch das AGG, können vor allem als Schutzgesetze gegen tatsächlich wahrgenommene und vorhandene kulturelle Diskriminierung gelesen werden. Juristische und formelle Anerkennung alleine sorgen also nicht für Anerkennung, sie stellen allerdings eine gute Ausgangsposition für den Kampf um bessere Verhältnisse dar. Diejenigen, welche von der Heterosexualität abweichen, haben es nach wie vor auch auf juristischer Ebene mit Diskriminierung zu tun.68 Historisch gesehen lässt sich die Soziale Arbeit auch als Transformation und Vergesellschaftung privater, der weiblichen Sphäre zugeordneten Hausarbeit bezeichnen. 69 Vor allem die bürgerliche Frauenbewegung des frühen 20. Jahrhunderts trieb die Verberuflichung von „privater sozialer Hilfe“ mit der zentralen 63 vgl. Männerforschungskolloquium Tübingen 1995 Nancy Fraser behandelt die „verachteten Sexualitäten“ (mit was Homosexualität und Crossgender beschrieben wird) getrennt. Auf diese analytisch richtige Trennung wird hier aus Platzgründen verzichtet 65 Beispielsweise: Nach einer Studie des BMFSFJ 2004 haben 40% der in Deutschland lebenden Frauen seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/ oder sexuelle Gewalt durch Männer erfahren (vgl. Müller / Schröttle 2006, 80). 66 Zu Grunde gelegt ist hier die Anerkennungstheorie von Axel Honneth. Er geht davon aus, dass man die moralische Qualität sozialer Verhältnisse nicht nur an gerecht verteilten ökonomische Gütern bemessen muss, sondern auch daran wie und als was sich die Subjekte wechselseitig anerkennen. Basis dafür sind die Annnahmen, dass das Selbstbewusstsein von Menschen von der erfahrenen sozialen Anerkennung abhängig ist und dass Menschen beim Aufbau ihrer Identität von Beginn an auf Zuspruch durch andere Menschen angewiesen sind. (vgl. von Spiegel 2004, 70) 67 vgl. Fraser 2001, 41f 68 Beispielsweise: Die Ehe von Lesben und Schwulen ist nach dem „Lebenspartnerschaftsgesetz“ in vielen Punkten keine vollwertige. 69 vgl. Cloos / Züchner 2002, 718 64 21 Argumentationsfigur der „geistigen Mütterlichkeit“, aus der auch Fachlichkeit und weibliche Alleinzuständigkeit abgeleitet wurden, voran. Für diese Frauen lag darin die Chance zur Emanzipation, zum Verlassen der häuslichen Welt und dem Eintritt in die männliche Berufswelt.70 Die Tradition als Frauenberuf lässt sich auch heute quantitativ eindrucksvoll darstellen71. Das alleine erklärt jedoch nicht die in Abhängigkeit von Gender bestehende gesellschaftliche Position von Sozialer Arbeit. Als vergeschlechtlichter Beruf ist die Soziale Arbeit in ihren Inhalten und Vollzügen rückgebunden an geschlechtlich gesondert gedachte Empfindungs-, Erfahrungs-, Beziehungs- und Handlungsmodelle. Die so entstandenen Handlungsmuster stehen quer zu jenen, die in unserer Gesellschaft als konstitutiv für Professionen gelten72.73 Dass sie sich nach wie vor mit dem Vorwurf, eine Semiprofession zu sein auseinandersetzen muss, ist also auch Folge des gesellschaftlichen Geschlechterdiskurses. Nicht nur die SozialarbeiterInnen selbst sind folglich Teil geschlechtlich begründeter Ungleichheitsverhältnisse, sondern auch die Soziale Arbeit als Ganzes, wobei sie sich auf der unterpriviligierten Seite wieder findet. Neben der Nicht-Anerkennung als vollwertige Profession ist sie und die in ihr Tätigen weiteren geschlechtstypischen Benachteiligungen ausgesetzt. Am augenfälligsten ist die weithin bekannte schlechte Bezahlung. Ich möchte aber auch zur Diskussion stellen ob nicht die zahlreichen SozialpädagogInnenwitze, die zum Teil ihren Kern Wahrheit beinhalten, sich aber vor allem über den weiblich-kodifizierten, einfühlsamen Zugang der Sozialen Arbeit zu sozialen Problemen lustig machen, nicht Teil der abwertenden Behandlung in Form von Lächerlichmachen sind. Eine eindeutig abwertende Behandlung in diesem Sinne sind in jedem Fall die zumeist von männlichen Protagonisten geäußerten Schmährufe gegen die so genante „Kuschelpädagogik“ von SozialarbeiterInnen74. Aber auch innerhalb der Sozialen Arbeit regiert die soziale Differenzierung durch Gender. Bei Betrachtung der Personen, die mit Leitungsaufgaben (damit auch Aufgaben, die nicht „typisch-weiblich“ sind) betraut sind, fällt auf, dass zumeist der Männeranteil überwiegt. Ähnliches zeigt sich bei den Qualifikationsniveaus. Je höher es ist, desto größer der Männeranteil. 75 Der Kampf um die Annerkennung bezüglich Gender, ist für die Soziale 70 gute Darstellung dazu in Gildemeister 2007, 613ff Beispielsweise: je nach Arbeitsfeld in der Kinder- und Jugendhilfe liegt der Frauenanteil zwischen 65-95%. Gezählt sind hier nicht nur SozialarbeiterInnen im engeren Sinne, sondern alle die im Bereich Sozialer Arbeit beschäftigt sind. Für diesen Absatz wird auf die Qualifikationsniveaus verzichtet, denn in der Praxis arbeiten, PädagogInnen, ErzieherInnen, KinderplegerInnen, SozialarbeiterInnen gemeinsam. (Cloos / Züchner 2002, 719) 72 als das dominante Modell kann das strukturbezogene gelten, das folgende Merkmale aufweist: spezielle Expertise, akademische Ausbildung, abgegrenzte Kompetenzdomäne, Betreuung von Aufgaben mit grundlegender Bedeutung, Große Entscheidungsspielräume, kodifiziertes berufliches Ethos (vgl. Heiner 2004, 15f) 73 vgl. Gildemeister 2007, 619f 74 Beispielhaft können die Aussagen des hessische Ministerpräsidenten Koch im Januar 2008 genant werden. Dieser forderte im Wahlkampf ein härteres Jugendstrafrecht und grenzte es gegen die „Kuschelpädagogik“ ab, die bis dato mit straffälligen Jugendlichen betrieben werde. 75 Cloos / Züchner 2002, 719f 71 22 Arbeit auch ein Kampf um die eigene Anerkennung und das Abschütteln der eigenen patriarchalen Beherrschung. 2.2.3 „Rasse“ als zweiwertiger Modus sozialer Differenzierung Auch „Rasse“ ist in ähnlicher Weise wie Gender ein zweiwertiger Modus der sozialen Differenzierung. Ökonomisch strukturiert sie die Einteilung in gut bezahlte, statusorientierte Arbeiten und untergeordnete, schmutzige, schlecht bezahlte Jobs76. Dass die Einteilung von Lohnarbeit immer noch häufig nach den Kriterien von „Rasse“ erfolgt, ist Erbe von Sklaverei und Kolonialismus77. Die kulturell-evaluative Dimension trägt wiederum eine hierarchisierende Normkonstruktion in sich: Der Eurozentrismus, der paradigmatisch Merkmale, die mit Weißsein assoziiert sind, privilegiert und mit einem kulturellen Rassismus einhergeht und der alles was als „schwarz“, „braun“78 oder „gelb“ codiert ist abwertet. Der kulturelle Rassismus drückt sich ebenfalls in einer Reihe verletzender Behandlungen aus, die von Lächerlichmachen über stereotypisierte Darstellung zu Gewalt reichen79.80 Auch hier muss emanzipative Politik beide Gegenmaßnahmen im Blick haben: Umverteilung und Anerkennung. Bezüglich des Rassismus finden wir auf der gesetzlichen Ebene heute nach wie vor keine guten Ausgangsbedingungen. In Deutschland ist trotz Versuchen, sich auf gemeinsame Werte zu einigen, die sich etwa aus dem Grundgesetzt schöpfen und zahlreicher Reden von der Kulturnation, nach wie vor das auch juristisch kodifizierte Moment des „ius sanguinis“ das vorherrschend konstituierende Merkmal der Zugehörigkeit zum Staatsvolk81.82 Zahlreiche Verfassungsrechte werden nur „Deutschen“ zugestanden83. Das Asylrecht ist in Deutschland und Europa weitestgehend ausgehöhlt. In der Diskussion um die Greencard im Jahr 2000 offenbarte sich unverhohlen die ökonomistische und rassistische Unterscheidung in „nützliche Ausländer - schädliche Ausländer“. Und die ständige Rede von Integration verdeckt die Tatsache, dass es in Deutschland und Europa tausende von 76 Beispielsweise: So ist etwa das durchschnittliche Vermögen von Personen mit Migrationshintergrund nur knapp halb so hoch wie das von gebürtigen Deutschen (Hans-Böckler-Stiftung 2007, 3). Unterstellt ist hier, das Einkommen und Vermögen miteinander in Beziehung stehen. 77 Nancy Fraser hat vor allem die US-Amerikanische Gesellschaft im Blick. In Deutschland muss auch die besondere Situation der (schlecht bezahlten und zumeist in schmutzigen Bereichen arbeitenden ArbeitsmigrantInnen) des Deutschen Wirtschaftswunders und der Folgejahre mitgedacht werden. 78 Hinzuzufügen wäre jüdisch, slawisch.... 79 Beispielsweise: bis zum Jahr 2005 wurden mindesten 135 Menschen in Deutschland von Rechtsextremen brutal ermordet, nur die Spitze eines Eisbergs rassistischer Gewalt in der BRD (vgl. „Mehr als 135 Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit 1990“ In: Mut gegen rechte Gewalt. Amadeu-Antonio-Stiftung. URL: http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/chronik-der-gewalt/todesopfer/ (Abgerufen: 17.10.2008, 17:42 UTC) 80 vgl. Fraser 2001, 44f 81 Nach Artikel 116 GG ist DeutscheR, wer deutscher Volkszugehörigkeit ist. Das ius sanguinis ist seit der Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes durchlöchert, weil nun auch in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern und BürgerInnen mit anderen Staatsbürgerschaften eingebürgert werden können. Allerdings ist die Prozedur eine lange und die Erwachsenen müssen sich dem Gesetzt nach quasi als Musterdeutsche präsentieren, um die Staatsbürgerschaft zu erlangen (Baumann u.a. 1999, 1f) 82 vgl. Baumann u.a. 1999, 1f 83 Besipielsweise: Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit) 23 Menschen gibt, Flüchtlinge, Menschen ohne Papiere, so genannte „Illegale“, die weder integriert werden sollen noch erwünscht sind. 2.3 Der Sozialstaat – Auftraggeber der Sozialen Arbeit Bei der Frage nach der Konstitution des Sozialstaates soll zunächst aufgrund der engen Verflechtung erweitert Bezug zum Kapitalismus genommen werden. Diese enge Verflechtung von Staat und Kapital konstituiert sich über die Eigenschaft des Staates, ein Steuerstaat zu sein, der seine Mittel aus dem kapitalistischen Produktionsprozess gewinnt.84 Gleichzeitig ist er im Spätkapitalismus, in Abgrenzung zu früheren laisszez-fairEpochen, zur zentralen Planungs- und Steuerungsinstanz geworden und damit zum Interventionsstaat, der marktvermittelnd in die Prozesse der Kapitalverwertung eingreift. Er hat „[...] Informations- und Verkehrssysteme geschaffen [...] Er ist für die gesellschaftliche Reproduktion der Arbeitskraft, die Erhöhung ihrer Produktivität und Mobilität und für die soziale Sicherung der [ArbeinehmerInnen-]Existenzen85 verantwortlich. Damit werden die Sozial- und Bildungspolitik, die diese erste Funktion staatspolitisch umzusetzen versuchen, zu zentralen Bereichen der spätkapitalistischen Staatstätigkeit.“86 Mit einem Sozialbudget von etwa einem Drittel des Bruttoinlandprodukts zeigt sich die herausragende Bedeutung aus der ökonomischen Perspektive.87 Es reicht aber nicht aus, die sozialpolitische Tätigkeit des Staates lediglich in Bezug auf die Wirtschaftsordnung zu erklären. Der Staat als historisch-politisches Gebilde ist ideologisch und verfassungsmäßig (Gleichheitsrechte, Sozialstaatsgebot) dem Allgemeinwohl verpflichtet und kann seine Tätigkeit trotz eines enormen Drucks nicht ausschließlich der Ökonomie unterwerfen. In der hiesigen politischen Ordnung bedarf er schließlich auch der Zustimmung und der Loyalität seiner Bevölkerung88 und die Sozialpolitik wird damit gleichsam zur Quelle von Zustimmung und Legitimation. Sozialpolitik kann definiert werden als die Beeinflussung von Lebenslagen von Seiten des Staates 89 durch Intervention aber auch Nicht-Intervention mit dem Ziel der Herstellung von gerechter sozialer Teilhabe90. Wie der Begriff der Lebenslage,91 entzieht sich auch der 84 vgl. Hirsch 2005 34 Der Sozialstaat versichert damit gesellschaftlich (nicht individuell) verursachte Risiken wie Arbeitslosigkeit, Unfall, Alter, besondere Bedürftigkeit und damit verbunden Unfähigkeit der Erwerbsarbeit nachzugehen. 86 Böhnisch 1982, 45 87 vgl. Boeckh u.a. 2006, 21 88 vgl. Böhnisch 46 89 vgl. Böhnisch 1982, 7 90 vgl. Olk 2005, 880 91 Lebenslage definierte Gerhardt Weiser als „Spielraum, den die äußeren Umstände dem Menschen für die Erfüllung der Grundanliegen bieten, die er bei unbehinderter und gründlicher Selbstbesinnung als bestimmend für den Sinn seines Lebens ansieht“ (Gerhardt Weiser In: Kaufmann, 2005, 121) Soziale Teilhabe kann nach Franz-Xaver Kaufmann (vgl. Kaufmann 2005, 121) vier Formen annehmen: 1. Teilhaberechte: staatlich gewährte Rechtsansprüche 2. Monetäre Ressourcen 3. Gelegenheiten: Zugänglichkeit zu bestimmten Einrichtungen der Gesellschaft 85 24 Begriff der sozialen Teilhabe einer ökonomistischen Interpretation heutiger Sozialpolitik. Damit ist die zweite Funktion von Sozialpolitik beschrieben. Es wäre aber zu einfach, Sozialpolitik lediglich als Loyalitätssicherungsmaschine zu betrachten, die Herrschende aus eigenem Antrieb heraus installieren. Der Sozialstaat ist zunächst ein Produkt sozialer Kämpfe. 92 Bismarck hat sich schließlich nicht aus altruistischen Gründen dafür entschieden, die Sozialversicherungen einzuführen, sondern sie stehen vor dem Hintergrund des Erstarken der sozialistischen Kräfte, die alternative Lösungen für die Soziale Frage forderten. Auch folgende Erweiterungen und der Ausbau des Sozialstaates sind das Produkt von Kämpfen und ideologischen Auseinandersetzungen. Das lässt sich insbesondere an drei Gerechtigkeits-Grundnormen der sozialstaatlichen Intervention zeigen: - Solidarische Gerechtigkeit: Es geht um die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit. Das Versorgungsvermögen des Sozialstaates soll soziale Risiken kollektiv absichern, damit der Lebensunterhalt der / des Einzelnen auch dann gesichert ist, wenn er / sie nicht in der Lage ist am Erwerbsleben teilzunehmen und um Armut zu verhindern. - Subsidiäre Gerechtigkeit: Die Sicherung und Ausgestaltung der Existenz obliegt zunächst den Individuen und ihrem selbstgewählten Handeln. Die Verantwortung des lokalen Gemeinwesens und nachfolgend des Staates beginnt erst dann, wenn die Mittel der Selbsthilfe nicht mehr ausreichen. Bei Hilfebedürftigkeit darf allerdings keine Vorleistung erwartet werden. Der Staat, seine Gliederungen und Organe sind dann zum Handeln verpflichtet. - Eigenverantwortung: Im Sinne von Eigenverantwortung ist gerecht, was der Leistung des / der Einzelnen entspricht. Eng verbunden mit dieser Norm ist das Recht auf Eigentum, das von Seiten des Staates nur dann eingeschränkt werden kann, wenn es gesetzlich festgelegt wird und eine öffentliche Notwendigkeit besteht. Gleichzeitig soll der- / diejenige bessere Leistungen bekommen, der / die zur Wahrnehmung der Eigenverantwortung zu mehr bereit und in der Lage ist. Hieraus begründet sich auch die allgemeine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts durch Erwerbsarbeit. Auch diese Gerechtigkeitsnormen sind das Produkt von Ideengeschichte und politischer Auseinandersetzung. Der Begriff Gerechtigkeit steht hier exemplarisch, denn er ist wie nichts naturrechtlich vordefiniert, sondern bedarf der Interpretation, aus der schließlich Handlungsoptionen zu entnehmen sind. Das Solidaritätsprinzip ist ein Kind der ArbeiterInnenbewegung und die Idee der Verantwortungsübernahme für die Nächsten 4. Kompetenzen: Fähigkeiten und Motivationen, die Individuen aus zurückliegenden Prozessen sozialer Teilhabe (vor allem Schule, Familie, Beruf) akkumuliert haben 92 vgl. Störch 2005, 204 25 steht im Gegensatz zur Eigenverantwortung, welche sich ideengeschichtlich aus der bürgerlichen Emanzipationsbewegung schöpft. Bezogen auf den Sozialstaat ist die Subsidiarität ein Teil der katholischen Soziallehre, welche die Bedeutung partikulärer Gemeinschaften einer Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt.93 Insofern ist die Ideologie des Sozialstaates ein ideengeschichtlicher Gemischtwarenladen, in welchem, nach wie vor der Kampf um die „richtige Gerechtigkeitsdefinition“ und ihre Konsequenzen stattfindet. 2.3.1 Anmerkung zum sozialadministrativen Handeln Diejenigen Individuen und Gruppen von Individuen, in deren Lebenslagen der Staat interveniert, sind nach sozialpolitischen Kategorien rechtlich abgegrenzt. Der Notwendigkeit der rechtlichen Kodifizierung und Klassifizierung zur Legitimation des staatlichen Eingriffs folgt mit der Schaffung von abstrakten Klientelbildern die Stereotypisierung der realen Individuen. Der bürokratische Umgang ist, wie oben beschrieben, für staatliche Systeme typisch. Er ist demokratietheoretisch von Nöten, denn bürokratisches Verwaltungshandeln dient über Gesetzesgebundenheit, die Prinzipen der Gleichbehandlung, Verhältnismäßigkeit und Aktenmäßigkeit dem Schutz der BürgerInnen, weil das Verwaltungshandeln dadurch kalkulierbar wird und Fehler leicht nachzuvollziehen sind. 94 Die Begrifflichkeiten der Bürokratie gehen jedoch auch mit der Gefahr der Entmenschlichung ihres Klientels einher. So fällt der Mensch hinter der Erwerbsperson, für die in effizient-bürokratischer Weise Arbeit gesucht wird, schnell hinten runter. Das Einzelschicksal ist für den bürokratischen Prozess sogar eher hinderlich, verlangsamt es ihn doch ohne die Aussicht, dass es im Produkt eine Rolle spielen wird. Der Mensch wird vor der Bürokratie vom Subjekt zum Objekt, mit dem in fachmännischer Art und Weise umgegangen wird. Maßgeblich sind Begriffe und daraus abzuleitende kodifizierte Schritte. Dadurch entzieht sich administratives Handeln tendenziell einem moralischen und politischen Urteil, wodurch es zum probaten Mittel von Herrschaft wird. 95 2.3.2 Eine passive Revolution wird institutionalisiert: Der neue Sozialstaat96 Der aktuelle und bei Fortschreiten der aktuellen Entwicklung auch der zukünftige Sozialstaat ist der aktivierende Sozialstaat. Das bedeutet: 93 Boeckh u.a. 2006, 158ff Ortmann 2002, 409 95 Baumann 1992, 119 (Das hier zitierte Werk beschreibt eigentlich das Verhältnis von Moderne, Ordnung und dem Holocaust. Damit soll in keiner Weise die Sozialadministration der BRD mit der Administration des Holocaust verglichen werden. Wenn, dann sei es im Sinne des Autors ein Hinweis auf die Dialektik der Ordnung in der Moderne.) 96 Die Ausführungen folgen Michael Galuskes Aufsatz „ Fürsorgliche AktivierungAnmerkungen zu Gegenwart und Zukunft Sozialer Arbeit im Aktivierenden Staat“ (Galuske 2008) 94 26 1. Er setzt auf weniger staatliche Regulierung, dafür mehr auf Markt und Konkurrenz. Dazu gehört auch und vor allem die Kostenentlastung für Unternehmen und der Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten. 2. Er setzt auf Förderung und Forderung von Selbstverantwortung der BürgerInnen. Das bedeutet den Rückzug von Staat und Ökonomie aus dem Sozialen, Mehrbelastung bei der Erbringung des Sozialbudgets durch BürgerInnen und Aktivierung „von oben“ in Bereichen in denen der Staat sich zurückzieht. Aktivierungsstrategien des aktivierenden Staates - Von „welfare“ zu „workfare“ A) Bildung Im aktivierenden Sozialstaat rückt das Thema Bildung in den Vordergrund. Allerdings sind die Ziele andere als diejenigen der humanistischen Bildungsideale. Das Verständnis von Bildung wird reduziert auf das Training der Menschen für den globalen Kapitalismus. Das Training übernimmt der Staat (jedoch nur noch das grundlegende), dann muss jedeR schauen, was er/sie daraus macht. B) Autoritäre Fürsorge Die Grundsicherung für Arbeitslose (Hartz IV) zeigt wie kein anderes gegenwärtiges Gesetz, wie sich der aktivierende Staat Sozialpolitik und in diesem Zusammenhang auch ganz konkret Soziale Arbeit vorstellt: „[...]arbeitsmarktfixiert, effizient, transparent und vor allem fürsorglich-autoritär“97. Die Fallmanager verfügen über ein breites Instrumentarium an Kontroll- und Sanktionsmitteln. Es geht um Integration aber ausschließlich fokussiert auf den Arbeitsmarkt. Der Prozess des „Hilfegeschehens“ ist weder von Freiwilligkeit noch Zieloffenheit geprägt. An Hartz VI lassen sich des Weiteren Strukturprinzipien dieses neuen Sozialstaates deutlich machen: A) Das Prinzip Workfare: Es geht nicht um die Sicherung soziokultureller Teilhabe, sondern um die Stärkung der individuellen Wettbewerbsfähigkeit. Die Soziale Arbeit leistet in diesem Sinne nur noch Hilfe zum Wettbewerb. B) Verhaltensorientierung Nicht die Märkte werden reguliert und Beschäftigung gefördert, sondern die Menschen werden für den Wettbewerb trainiert. „Der aktivierende Staat beinhaltet im Kern seiner Philosophie ein „pädagogisches Programm“, nämlich die Formung des Menschen nach 97 Galuske 2008, 17 27 den Erfordernissen der Ökonomie durch Prävention, Bildung, Qualifizierung, Beratung, Betreuung, Druck und Sanktionen“98. C) Fürsorgliche Belagerung Das pädagogische Programm des aktivierenden Staates stammt aus der Mottenkiste der schwarzen Pädagogik. Es verknüpft auf autoritäre Weise Rechte und Pflichten miteinander. Es richtet sich auf Integration, kommt aber mit einer Vielzahl desintigrativer Mechanismen daher, etwa dem Ausschluss von Leistungen oder Verkürzung von Bezugsdauer. Diejenigen, denen man aber gar nichts mehr abverlangen kann, werden auch nicht gefördert.99 Den ideologischen Kern dieser Unterwerfung des Sozialstaates unter die Ökonomie finden wir im Neoliberalismus. „In der neoliberalen Weltsicht erscheint Armut nicht als gesellschaftliches Problem, vielmehr als selbst verschuldetes Schicksal, das im Grunde eine gerechte Strafe für Leistungsverweigerung oder die Unfähigkeit darstellt, sich bzw. seine Arbeitskraft auf dem Markt mit ausreichendem Erlös zu verkaufen, wie der Reichtum umgekehrt als angemessene Belohnung für eine Leistung betrachtet wird, die auch ganz schlicht darin bestehen kann, den Tipp eines guten Anlageberaters zu befolgen. Dagegen sind hohe Löhne bzw. Lohnnebenkosten der wirtschaftliche Sündenfall schlechthin und müssen als Ursache für die Arbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche in Deutschland herhalten.“100 Wenn im Vorhergehenden die Neugestaltung des Sozialstaates vor allem auf Hartz IV bezogen wurde, dann liegt das daran, dass sich die neoliberale Ideologie bisher sonst nirgendwo so eindeutig niedergeschlagen hat. Grundsätzlich können diese Strategien aber paradigmatischen Charakter annehmen. Auch ist eine solche Weltsicht nicht nur auf Armut und Reichtum bezogen, sondern auf alle anderen sozialen Probleme wie auch sozialen Erfolg. So ist etwa im Zusammenhang der Geschlechterbeziehungen vom Verdeckungszusammenhang101 die Rede. Der Begriff lenkt den Blick auf die Erzeugung des Scheins der Gleichstellung der Geschlechter durch den patriarchalen Herrschaftszusammenhang unter den heutigen (sozial-)politischen und ideologischen Bedingungen. Obwohl es nach wie vor ein gesellschaftliches Paradigma ist, dass Frauen von Gewalt im Geschlechterverhältnis betroffen sind und primär die reproduktiven Aufgaben in der Gesellschaft übernehmen und ihr Leben entsprechend planen müssen, werden diese Themen heute zumeist vor dem Hintergrund ausdifferenzierter Bilder von Weiblichkeit (und Männlichkeit), die allesamt Bilder „erfolgreicher“ Menschen sind und der 98 vgl. Galuske 2008, 18 vgl. Winkler 2008, 193 100 Butterwegge 2003 101 vgl. Bitzan / Daigler 2001, 206ff 99 28 „alles ist möglich“-Ideologie“ vor allem als individuelle Probleme behandelt. Diskriminierende, ungeeignete Strukturen und ihr Ursprung geraten damit in den Hintergrund und werden den jeweiligen Subjekten zur individuellen Bearbeitung überlassen. In der Diskussion um die Migrationsgesellschaft ist oft die Rede von Integrationswilligen und -unwilligen MigrantInnen. Als sei die Frage nach der Integration in einer durch Rassismus mitstrukturierten Gesellschaft nicht mehr als eine individuelle Entscheidung. Für das Selbstverständnis der Sozialen Arbeit bedeutend, ist das autoritäre pädagogische Programm des aktivierenden Staates und seine repressive, weil es hier einem Angriff ausgesetzt ist. Für die politische Auseinandersetzung bedeutend: Mit der Individualisierung sozialer Probleme und gesellschaftlicher Risken geht auch ihre Entöffentlichung und ihr Verlust als gesellschaftlicher Verhandlungsgegenstand einher. So verhindert dieses Muster tendenziell, dass menschliche Haltungen und Energien kollektive Formen annehmen und zum politischen Ausdruck kommen. 2.3.3 Die Soziale Arbeit als Teil des Sozialstaats 2.3.3.1 Der doppelte Auftrag Sozialer Arbeit Da der Fokus der vorliegenden Arbeit auf der Sozialen Arbeit liegt, werden im Folgenden nicht alle Sozialleistungen diskutiert, sondern die Rolle der Profession in den Kontext sozialstaatlicher Leistungen gestellt. Der Sozialstaat und die Sozialpolitik gelten in der Sozialen Arbeit als „[...] historisch-politische[r] Horizont vor dem sie sich entfaltet und der sie gleichzeitig begrenzt[...]“102 Begrenzung und Entfaltung stellen nur ein Spannungsfeld neben anderen dar, welche durch die Verortung der Profession im sozialstaatlichen System entstehen. Dieses Spannungsfeld konstituiert sich in der Regel durch die Bereitstellung oder Verweigerung finanzieller Ressourcen, durch gesetzlich kodifizierte Rahmenbedingungen und Aufträge, die in unterschiedlichem Intensitätsgrad bürokratische Verfahrensstrukturen vorsehen. Die Soziale Arbeit verortet Franz X. Kaufmann innerhalb der pädagogischen Interventionsformen (neben den ökonomischen, den ökologischen und den rechtlichen) des Sozialstaates. „Ziel der Maßnahmen ist hier typischerweise eine direkte Erhöhung der Handlungsfähigkeit von Individuen durch bildende, beratende, rehabilitative oder informative Anstrengungen.“103 Die Handlungsfähigkeit bezieht Kaufmann auf die gesellschaftliche Teilhabedimension der Kompetenzen. Damit ist die Soziale Arbeit gleichzeitig den Teilhabeinteressen und Bedürfnissen ihrer Klientel verpflichtet. Diese Interessen der Individuen sind allerdings nicht immer deckungsgleich mit den gesellschaftlichen Aufträgen, welche in der Regel auf 102 103 Böhnisch 1982, 1 Kaufmann 2005, 101 29 Normalitätsproduktion und -erhaltung zielen. Soziale Arbeit kann so als Vermittlungsinstanz zwischen Individuen und Gesellschaft104 begriffen werden, deren eigener Hauptwiderspruch der zwischen Hilfe und Kontrolle ist105.106 Dem eigenen Selbstverständnis der Sozialen Arbeit (etwa dem des IFSW) widersprechend, wird regelmäßig das Nachrangigkeitsprinzip im gegebenen sozialstaatlichen Arrangement beklagt. Soziale Arbeit stellt danach ein letztes soziales Auffangsystem dar, das erst dann zum Zuge kommt, wenn die vorrangigen Systeme (z.B. Schule, Familie, Markt, Versicherungssysteme) mit ihren Interventionen versagt haben.107 Die Frage nach einem durch die staatliche Polity erteilten politischen Auftrag für die Soziale Arbeit, muss nach der Betrachtung des Beschriebenen zunächst in Frage gestellt werden. Der Staat und seine Akteure haben, wenn auch nach konflikthaften Auseinandersetzungen, soziale Strukturen geschaffen, die aus ihrer Perspektive betrachtet, vor allem dazu dienen, das System durch die Zustimmung der breiten Bevölkerung zu erhalten. Die Soziale Arbeit ist Teil dieser Struktur und durch ihren (je nach Arbeitsbereich mal weniger mal mehr) administrativen Charakter hat sie eine Tendenz zur Politikvermeidung. Auch Kaufmanns Definition der pädagogischen Intervention gibt Grund zur Annahme, dass ein politisches Mandat staatlicherseits nicht erwünscht ist. Die von ihm aufgezählten Maßnahmen zielen weniger auf die Arbeit an Strukturen als viel mehr auf die Arbeit mit den (einzelnen) Individuen. Nicht die Struktur soll verändert werden - die Individuen sollen mit dem Gegebenen harmonieren. Darauf verweist insbesondere auch die Nachrangigkeit der Sozialen Arbeit im Sozialstaatsystem. Diejenigen Individuen, die in einer vorrangigen Struktur nicht mehr haltbar sind, werden der Sozialen Arbeit zugeführt, um die Individuen der ersteren wieder rückführbar zu machen. Um kein falsches Verständnis aufkommen zu lassen, auch dieses Prinzip zielt auf die Teilhabemöglichkeiten der AdressatInnen. Der Blick ist allerdings verengt auf bestehende Strukturen. Erst der fachlich-ethische Bezug (Respekt und Förderung der Autonomie der AdressatInnen108) der Sozialen Arbeit auf die AdressatInnen und ihre tatsächlichen Teilhabeinteressen führen zum Widerspruch von Hilfe und Kontrolle, der aus der Hilfe-Perspektive zur Arbeit an Strukturen, also zum politischen Handeln verpflichtet (ggf. die Soziale Arbeit hat ein emanzipatives Bild von Hilfe). 104 Nach Franz Herrmann gibt es in der Theorie und Praxis Sozialer Arbeit den Minimalkonsens, dass zumindest ihre Aufgaben an der Schnittstelle zwischen den Individuen und der Gesellschaft liegen. Hermann sieht das Verhältnis zwischen den Individuen in mehrfacher Sicht konfliktreich, weshalb er ihre Aufgabe als vermittelnde bezeichnet (vgl. Herrmann 2006, 35ff) 105 Dieser Widerspruch wird auch als doppeltes Mandat bezeichnet. 106 vgl. auch Herrmann 2006, 61ff 107 vgl. etwa Heiner 2004, 157 108 vgl. ISFW 2004, 3 30 2.3.3.2 Soziale Arbeit als kollektives Handeln in Institutionen Die Soziale Arbeit hat es in ihrer Praxis jedoch nicht nur mit diesen beiden Akteuren (AdressatInnen und öffentliche Kostenträger) zu tun. Ein Spezifikum ihrer Handlungsstruktur ist das Dreiecksverhältnis bei der Erbringung von Leistungen. Denn in der Regel sind die einzelnen SozialarbeiterInnen ArbeitnehmerInnen bei einem öffentlichen oder freien Träger, der die Leistungen öffentlich oder teilweise öffentlich finanziert anbietet.109 Die einzelnen SozialarbeiterInnen sind so nicht nur dem gesetzlichen Auftrag verpflichtet, sondern auch ihren Institutionen als Arbeitgeber. Bei der Bewältigung der Komplexität sozialarbeiterischen Handelns kann die Unterstützung der Organisation durch die Festlegung von Rollen und Beziehungen hilfreich wirken und professionelle Haltungen stützen.110 „Organisationen produzieren eine ´praktische Ideologie`, also emotional besetzte, von deren Angehörigen geteilte normative Vorstellungen. Diese hilft ihnen, ihrer Umwelt Sinn zu verleihen und leitet faktisch ihr Handeln“111. Im besten Fall stehen sozialarbeiterisches Handeln und Organisationsstruktur in einer Wechselwirkung und produzieren so die „praktische Ideologie“ fortwährend. Was aber wenn das nicht der Fall ist? Eine solche Ideologie kann an den Bedürfnissen der AdressatInnen vorbeigehen, ihnen sogar entgegenstehen. Die Störung der Wechselbeziehung kann auf der Seite der Organisation zu bürokratischen Strukturen führen112, welche der fachlichen Position des / der handelnden SozailarbeiterIn entgegenstehen. In diese Ideologie müssen außerdem zwangsläufig gesetzliche Regelungen affirmativ eingebunden sein. Die einzelne Fachkraft kann es sich als AngestellteR leisten, Gesetze auch radikal zu kritisieren, für die Institution gilt das Gegenteil. Die Abhängigkeit vom öffentlichen Kostenträger, der das Geld vergibt, damit Gesetze umgesetzt werden, verbietet eine all zu harte Konfrontation. Versuchen SozialarbeiterInnen ihre Kritik an Institution und / oder Gesetz umzusetzen, werden sie es in der Regel innerhalb ihrer Organisation tun, die Folge können arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen sein. Denn auch das Ideal der Wechselwirkung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die / der SozialarbeiterIn als ArbeitnehmerIn in einem Abhängigkeitsverhältnis steht, weisungsgebunden und zur Loyalität verpflichtet ist.113 Der sozialarbeiterische und fachlich begründete Verstoß gegen eine Weisung des Arbeitgebers geht aber über eine rein arbeitsrechtliche Dimension hinaus. Falk Roscher114 geht davon aus, dass viele Gründe für Reibungspunkte zwischen SozialarbeiterInnen und arbeitgebenden Institution vor allem in der Sozialen Arbeit selbst zu verorten sind. „Sie 109 vgl. Herrmann 2006, 64 vgl. von Spiegel 2004, 92 111 vgl. Spiegel 2004, 92 112 vgl. Müller 2002 zitiert nach von Spiegel 2004, 92 113 vgl. Junker 2007, Rn. 200ff 114 vgl. Roscher 1985, 31f 110 31 handelt in jedem Falle innerhalb eines politischen Zusammenhangs, der durch Wertentscheidungen geordnet und strukturiert wird“115. Seiner Meinung nach sollte die Soziale Arbeit im Falle solcher Streitigkeiten deshalb vor allem auch auf die politische Auseinandersetzung drängen, auf Diskurs und Argument setzen und eigene Instrumente der Gegenmacht aufbauen. 115 Roscher 1985, 31 32 3. Politische Mandatierung der Sozialen Arbeit innerhalb der staatsnahen Polity Der Blick in die einschlägigen Gesetzestexte verrät tatsächlich Möglichkeiten, die einem politischen Auftrag der Sozialen Arbeit nahe kommen und ihr damit das Recht zugestehen, an politischen Prozessen, die ihren Aufgabenbereich betreffen, zu partizipieren. Dabei lassen sich die Möglichkeiten idealtypisch in drei Bereiche einteilen. Die politischen Handlungsoptionen mit den Institutionen (also freie und öffentliche Träger), in denen die SozialarbeiterInnen beschäftigt sind, zielen vor allem auf die Arbeit an Strukturen innerhalb der jeweiligen Kommune. Die politischen Handlungsoptionen innerhalb der Institutionen zielen auf die jeweiligen Strukturen der Institution, in denen die SozialarbeiterInnen beschäftigt sind. Die politischen Handlungsoptionen außerhalb der Institutionen zielen auf die Strukturen innerhalb der Profession und auf die gesellschaftlichen Strukturen im Ganzen. Zwischen den Bereichen können in der konkreten politischen Praxis sowohl personelle wie strukturelle Überschneidungen bestehen. Die folgende Aufzählung, die keine Vollständigkeit beanspruchen kann, versucht einen Raum zu beschreiben in dem Möglichkeiten zum politischen Handeln bestehen. Es geht zunächst nicht um die Frage, wie und mit welcher Policy dieser Raum gefüllt ist oder zu füllen wäre. 3.1 Politisches Handeln mit der Institution a) Für das KJHG ist besonders auf den § 1, Abs. 3 Nr. 4 hinzuweisen. Die Jugendhilfe erhält dort den Auftrag, gute Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien und eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu schaffen und zu erhalten. Die Einmischungsstrategie116 in andere Politikfelder, durch die der Personenkreis betroffen ist, bekommt hier die juristische Legitimation. Weiterhin kann über den § 71 qua Ausschussmitgliedschaft im Jugendhilfeausschuss Einfluss genommen werden. Dieses Gremium verfügt sogar über Beschlussrechte und unterscheidet sich damit qualitativ erheblich von allen andern Orten des sozialarbeiterischen Politikmachens. Die Arbeitsgemeinschaften nach § 78 verschaffen weitere politische Handlungsmöglichkeiten bezüglich der Planung in der Jugendhilfe. b) Das Baugesetzbuch § 4 sieht eine potentielle Mitwirkungsmöglichkeit für die Jugendämter vor. Als Träger öffentlicher Belange sind sie an der Aufstellung und Änderung des Bebauungsplanes zu beteiligen. § 180 des gleichen Gesetzes sieht weiterhin vor, dass Gemeinden bei Sanierungsvorhaben so genannte Sozialpläne 116 erstmals beschrieben bei: Mielenz 1981 33 aufstellen müssen, um der betroffenen Bevölkerung in ihren Bemühungen um eine Vermeidung nachteiliger Wirkungen zu helfen. Auch hier liegt es nahe, die Soziale Arbeit zu beteiligen. Besonders im Zuge des Projektes „Soziale Stadt“ geschieht das regelmäßig. c) Innerhalb einzelner Kommunen werden zunehmend strukturell benachteiligten Gruppen – etwa Kindern und Jugendlichen – politische Mitwirkungsmöglichkeiten (z.B. in Form von Kinderbüros, Kinderbeauftragten, Jugendparlamenten) eingeräumt. Es liegt zumindest nahe, die Organisation der Mitwirkungsmöglichkeiten in die Hände der Sozialen Arbeit zu geben. 117 d) Staatliche Akteure sind verpflichtet,118 aktive Gleichstellungspolitik im Sinne von Gender Mainstreaming zu betreiben. Damit sind auch die Kommunen in der Pflicht. Viele von ihnen setzten bereits heute auf die breite Beteiligung von BürgerInnen und Organisationen in dieser Frage. Auch auf der Ebene von „Handeln innerhalb der Institutionen“ kann Gender Mainstreaming nach Selbstverpflichtung und unter Beteiligung der Betroffenen umgesetzt werden.119 e) Im Rahmen der internationalen Nachhaltigkeitsdebatte und des 1992 in Rio de Janeiro entstandenen Aktionsprogramms Agenda 21, ist auch die Forderung der lokalen Umsetzung inbegriffen. Explizit werden neben ökologischen Aspekten die Beschäftigung mit und die Bearbeitung von sozioökonomischen Fragen (z.B. Armut, Gesundheit, Demographie) und die Beachtung der Sichtweise aller Zielgruppen und AkteurInnen (z.B. Frauen, Jugendliche, Kinder, Flüchtlinge) gefordert.120 In Deutschland existieren in etwa 20% der Gemeinden lokale Agenda 21-Initiativen. Das Konzept der UNO sieht vor, dass Planung und Umsetzung auf Diskurs und Konsens zwischen Verwaltung und gesellschaftlichen AkteurInnen beruhen. 121 Damit haben auch neue Politikformen wie etwa Runde Tische mit unterschiedlichen Beteiligten in den Kommunen Einzug gehalten. Die politische Mandatierung bedarf hier also nicht mehr einer juristischen Grundlage in der ausdrücklich auf die Soziale Arbeit oder ihre Institutionen verwiesen wird122. Die Soziale Arbeit ist an dieser Stelle als Interessenvertretung von benachteiligten 117 vgl. Kusche / Krüger 2001, 17f nach GG Art. 3, 2 / EG-Vertrag Art. 2 und 3,2 / Charta der Grundrechte der EU Art. 23 / nach verschiedenen Landesgesetzten 119 Stiegler 2002, 7ff 120 Grunwald / Kopfmüller 2006, 23 121 Grunwald / Kopfmüller 2006, 128f 122 In diesem Zusammenhang wird auch (von der UNO) das Governancemodell diskutiert. Gegenüber Gouvernment „[...] umfasst Governance die Gesamtheit der Mechanismen zur Handhabung gesellschaftlicher Angelegenheiten, das heißt formelle und informelle sowie staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen und Regelungen“ (Grunwald, Kopfmüller 2006, 142f). Damit geht möglicherweise eine Neugestaltung der Interaktion zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft einher. Ziel ist die Entwicklung gemeinsamer Leitbilder, Partizipation, Machtausgleich und Transparenz und damit die Abkehr von staatlich-hirarchischer Orientierung, (vgl. Grunwald, Kopfmüller 2006, 161). In diesem Konzept gibt es die Anerkennung der nicht-staatlichen Polity, so wie sie in dieser Arbeit eingangs gefordert wurde. 118 34 Akteuren und ihrer Organisation für die Gremien der Agenda 21-Initiativen gefragt. Ihre Aufgabe kann es auch sein, einen solchen Agenda 21-Prozess zu initiieren. f) Einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs123 folgend, beschreiben Robert Kusche und Rolf Krüger124 auch die Möglichkeit der Selbstmandatierung. Die Selbstmandatierung hat den / die im Arbeitnehmerverhältnis stehendeN SozialarbeiterIn zum Ausgang, die auf dieser Rechtsgrundlage innerhalb der jeweiligen Institution und / oder Kommune handelt und zwar ganz konkret dann, wenn dieses Handeln dazu dient, die Rechte ihrer AdressatInnen durchzusetzen. 3.2 Politisches Handeln innerhalb der Institution g) Das Prinzip der Subsidiarität ermöglicht den Institutionen, innerhalb derer die Soziale Arbeit ihre Leistungen erbringt, weite Spielräume. Nutzen können die Beschäftigten die Räume durch die Mitarbeit in Qualitätszirkeln, Arbeitsgemeinschaften und Teams um Einfluss auf die Leitbilder, Konzeptionen und Verfahrensweisen ihrer Institutionen zu nehmen. h) Gleichbedeutend mit dem gewerkschaftlichen Engagement, jedoch wegen ihrem institutionellen Charakter abzugrenzen, ist auch die betriebliche Mitbestimmung (im Falle der Sozialen Arbeit meist Personalräte und MitarbeiterInnen Vertretungen (MAV)) zu nennen. In der Sozialen Arbeit ist das herausragende „Werkzeug“ die Person der/ des SozialarbeiterIn selbst.125 Es geht bei dem Einsatz für die SozialarbeiterInnen als ArbeitnehmerInnen folglich nicht nur um deren persönliches Wohlbefinden (was als Argument an sich völlig ausreichen würde), sondern letzten Endes auch um die Qualität der von den AdressatInnen erfahrenen Hilfe. i) Innerhalb des SGB II ist in § 116 die Beteiligung „dritter sozial erfahrener Personen“ beim Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften und in Widerspruchsverfahren vorgesehen. 3.3 Politische Handlungsoptionen außerhalb der Institutionen j) Die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die daraus abzuleitenden Freiheitsrechte, die einem jeden von uns qua Verfassung zustehen126, geben jeder in der Sozialen Arbeit tätigen Person die Möglichkeit, sich auch außerhalb von institutionellen Rahmenbedingungen politisch zu engagieren. Auch dieses eher private (nicht berufliche) Engagement kann von sozialarbeiterischen Identitäten 123 „Im sozialen Rechtsstaat gehört es zu den Amtspflichten der mit der Betreuung der sozial schwachen Volkskreise betrauten Beamten, diesen zur Erlangung und Wahrung der ihnen vom Gesetz zugedachten Rechte und Vorteile nach Kräften beizustehen [...]“ (BGH 1957, zitiert nach Kusche / Krüger 2001, 23) 124 Kusche, Krüger 2001, 23f 125 vgl. etwa von Spiegel 2004, 84 126 besonders seien genannt: GG Art. 2 (Persönliche Freiheitsrechte), GG Art. 3 (Gleichheit vor dem Gesetz) GG Art. 4 (Glaubens- und Gewissensfreiheit), GG Art. 5 (Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft), GG Art. 8 (Versammlungsfreiheit), GG Art. 9 (Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit), 35 beeinflusst sein. Berufliche Erfahrung und theoretisches Wissen können unterstützend wirken, sich auch als Privatperson im Themenbereich Sozialer Arbeit politisch einzumischen. Dieses Engagement kann von der Arbeit in Arbeitsgruppen beispielsweise zum Thema „Kritische Sozialarbeit“, in Berufsverbänden, also eher gegenstandsbezogenem Handeln, über die Mitarbeit in politischen Parteien bis hin zum Engagement in den Sozialen Bewegungen, als sozial- und allgemeinpolitisches Handeln, reichen. Besonders herauszuheben, auch wegen der herausragenden verfassungsrechtlichen Bedeutung, ist das Engagement in den Gewerkschaften. 3.4 Erläuterung und Bewertung der Handlungsoptionen Besonders im Bereich der Jugendhilfe scheint eine gute Grundlage für sozialarbeiterische Politik gegeben, da sie bis zur Mitbestimmung in Planungsangelegenheiten der Jugendhilfe reicht. Auch mit der Organisation von Arbeitsgemeinschaften lässt sich erfolgreich Politik machen. Das beweist nicht zuletzt die in den letzten Jahren erfolgreiche Arbeit der Sozialarbeiterinnen in der Mädchenpolitik mit solchen Arbeitskreisen127. Grundsätzlich ist auch das im KJHG verankerte Prinzip der Einmischung, das als Teil der allgemeinen Vorschriften auf alle anderen Bestimmungen des Gesetzes wirkt, eine gute Grundlage für politisches Engagement von SozialarbeiterInnen. Allerdings besteht kein einklagbarer Rechtsanspruch bezüglich dieser Vorschrift und die Tragweite ist der Interpretation überlassen und damit als umkämpftes Gebiet zwischen öffentlichen und freien Trägern, anderen Professionen und Ressorts zu betrachten. Weder der Jugendhilfeausschuss noch die Arbeitskreise haben eine Einflussmöglichkeit auf die für die Jugendhilfe zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel und ihre Rechtsgrundlagen, womit die Gesamtheit sozialarbeiterischer Policy ohne ihr zutun bereits kanalisiert und auf Planungsangelegenheiten reduziert ist. Bis auf diejenigen Möglichkeiten, die sich aus den Freiheitsrechten ergeben, gilt das Gleiche für alle anderen Optionen des politischen Handelns Sozialer Arbeit. Weitere einschlägige gesetzliche Grundlagen für die anderen Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit sehen solch eine weite politische Betätigungsmöglichkeit bezüglich von Planung und Einmischung für die Soziale Arbeit nicht vor. Im Sinne des Ausbaus politischer Wirkungsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit geben die in c), d) und e) genannten Möglichkeiten, die an dieser Stelle als Optionen des Governancediskurses bezeichnet werden sollen, Grund zur Hoffnung. Eine engagierte und fachlich starke Soziale Arbeit vor Ort ist eine ernstzunehmende Partnerin in kommunalen Planungsangelegenheiten. Allerdings macht das Fehlen von auf hoher Ebene (z.B. Landes- und Bundesgesetzen) kodifizierten Regelungen das Bestehen dieser 127 vgl. Bitzan / Daigler 2001, 194ff, 200 36 Polity zu einem relativen Unsicherheitsfaktor, abhängig von zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln und politischer Dynamik vor Ort. Die Selbstmandatierung als rechtlich verankerte Möglichkeit sich für die Rechte der AdressatInnen einzusetzen, geht über das Aufgreifen und die Durchsetzung bestehender legitimer und legaler Ansprüche nicht hinaus. Grund zum Zweifeln gibt auch die Sichtweise der Autorinnen, die aus der Rechtsgrundlage ein politisches Mandat heraus lesen. Denn ein solches ist dort nicht expliziert. In der Literatur finden sich wenige Hinweise auf diese Rechtssprechung und wenn, dann sind sie von einer politischen Deutung weit entfernt128. Die öffentliche Thematisierung dieser Rechte kann jedoch Aufmerksamkeit erzeugen, die diejenigen EntscheidungsträgerInnen, welche vorher Leistungen versagt haben oder den Bedarf nicht sahen, zur positiven Entscheidung drängen129. Die politische Betätigung von einzelnen SozialarbeiterInnen außerhalb ihrer Institutionen kann dann erfolgreich sein, wenn sie einen politischen Charakter im Sinne von Kluge und Negt bekommt, also zu einer gemeinsamen, produktiven Bewegung führt. Eine direkte Mitwirkung an politischen Entscheidungen, die aus den allgemeinen Freiheitsrechten abgeleitet werden kann, ergibt sich nicht. Hier geht es mehr um die Organisierung einer (Gegen-)Öffentlichkeit, mit der Druck auf parlamentarische Entscheidungsträger ausgeübt werden soll. Hier liegt auch eine der wenigen Möglichkeiten der Sozialen Arbeit vor, politischen Einfluss auf die Landes- und Bundespolitik nehmen zu können. Bedingung hierfür wäre eine gut organisierte und starke Soziale Arbeit. Dass eine solche Politik erfolgreich sein kann, zeigt beispielsweise der Erfolg der „Heimkampagne“ oder die Einführung des Projektstudiums in den 60er und 70er Jahren130. Auch die Lohnanhebungen für SozialarbeiterInnen und ihre AdressatInnen sind in der BRD ohne das Wirken der Gewerkschaften nicht möglich. Dass die politische Durchsetzungsfähigkeit der Sozialen Arbeit an dieser Stelle so stark abhängig ist von ihrem Organisationsvermögen, hängt wohl damit zusammen, dass die Freiheitsrechte keinen formalen politischen Auftrag vergeben, sondern politisches Handeln „nur“ ermöglichen. Während sich aus allen anderen genannten Optionen durch ihren formalen Charakter eine relative Nähe zu der staatlichen Polity ergibt, ist das politische Handeln auf Grundlage der Freiheitsrechte staatsfern. Die Herstellung eines politischen Auftrags in diesem Sinne muss also Produkt fachlich-ethischer und persönlicher Positionen von 128 vgl. beispielsweise Krieger 1994, 57f Kusche und Krüger beschreiben eine Aktion von ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen innerhalb des Projektes „Soziale Stadt“ in Achim-Nord. Die Kinder dieser eher ärmlichen Vorstadt bewerteten die Spielmöglichkeit in ihrer Kommune. Das Fazit: „Spielen in Achim-Nord bedeut, spielen im Müll und auf verbotenen Plätzen“. Die Ergebnisse wurde bewusst in der öffentlichen Debatte platziert, die Beteiligten organisierten Notdienste in ihren Einrichtungen um nach einrichtungsoffenen Arbeitsformen zu suchen, die den Betroffenen eine bespielbare Umwelt ermöglichen. Dem Sozial- und Jugendausschuss wurde ein Programm zur Sicherung der notwendigen Ressourcen vorgelegt, welchem zugestimmt wurde. 130 ausführliche Darstellung hierzu in Müller 2006, 263 129 37 SozialarbeiterInnen sein. Auch die Frage danach, ob es der Sozialen Arbeit gelingt, gesellschaftliche Akzeptanz und Relevanz mit einem der staatlichen Polity fernen Mandat zu gewinnen, ist nicht zu letzt mit ihrer gesellschaftlichen Stärke verbunden. Festzustellen ist auch, dass eine in diesem Sinne starke Soziale Arbeit eine stützende Funktion für SozialarbeiterInnen hat, die in den anderen Bereichen politisch aktiv sind. 38 4. Wissenschaft als Policy – auf der Suche nach dem politischen Inhalt einer Theorie 4.1 Allgemeines zur Theorie Sozialer Arbeit Die Entscheidung, sich mit einer Theorie Sozialer Arbeit in der vorliegenden Arbeit auseinanderzusetzen, ist vor allem im Versuch begründet, die Unmöglichkeit der Untersuchung politischer Einstellungen, Motive und Handlungen einzelner SozialarbeiterInnen zumindest teilweise zu kompensieren. Als wissenschaftsbasierte Profession131 bezieht die Soziale Arbeit ihre Wissensbestände aus den Bezugsdisziplinen, also ist sie bemüht, mit Entwürfen eigener Theorien und Theoriediskussionen eine eigene Disziplin Sozialer Arbeit zu etablieren. Theorien Sozialer Arbeit erschöpfen sich nicht in der wissenschaftlichen Analyse und Erklärungsebene, sondern sie sind als „Theorien des Handelns“ wesentlich auf die Probleme des sozialarbeiterischen Handelns selbst bezogen und beinhalten damit von vornherein eine Veränderungsperspektive.132 Neben dem Gegenstand, den Institutionen und der Bestimmung der AdressatInnen, werden auf der Analyse- und Erklärungsebene in den Theorien Sozialer Arbeit insbesondere gesellschaftliche und soziale Voraussetzungen thematisiert. Diese Gesellschaftsanalysen beinhalten vor allem die Konstitution und Bewältigung sozialer Probleme133, welche aber nicht nur beschreibend behandelt werden, sondern im Hinblick auf sozialpädagogisches Handeln und unter Einbezug von Werten und ethischen Fragen untersucht werden.134 Die Verwiesenheit auf staatliche und politische Entscheidungen und Aufträge schließt bei dieser Konstellation also unweigerlich auch (sozial-)politische Deutungen und Wertungen mit ein. Insofern ist jede Theorie der Sozialen Arbeit politisch, und zwar auch dann, wenn sie keine expliziten Aussagen darüber enthält. Im letzten Fall wäre von theoretischer Schwäche, mindestens aber von einem per se affirmativen Verhältnis der Theorie zu (sozial-)politischen Entwicklung auszugehen. Theorien Sozialer Arbeit enthalten darüber hinaus Aussagen über das Theorie PraxisVerhältnis. Dabei wird von den meisten AutorInnen beschrieben, dass eine technologische Transformation disziplinärer Wissensbestände bei der Überkomplexität lebenspraktischer Verdichtungen und der prinzipiell begrenzten Reichweite sozialarbeiterischer Intervention nicht möglich ist und es daher mehr um die fall- und 131 vgl. ISFW 2004, 2 vgl. Schone 2005, 971 133 vgl. Engelke 2003, 55 134 In diesem Abschnitt auch verwendet: Kristallisationspunkte der Theoriebestimmung Sozialer Arbeit nach Füssenhäuser / Thiersch 2005, 1882f 132 39 kontextbezogene Verwendung der Theorien gehen muss.135 Bis dato ist es bei den PraktikerInnen mit der Aneignung von wissenschaftlichem Begründungs- und Erklärungswissen nicht weit her. Einer Studie zu Folge ist Fachwissen mit nur 2% der Angaben ein Handlungskriterium für PraktikerInnen.136 Angesichts dieser beiden Probleme im Theorie-Praxis-Verhältnis, ist die Aussagekraft über das politische Bewusstsein der Sozialen Arbeit als Ganzes im hier thematisierten Feld stark eingeschränkt. 4.2 Begründung der Wahl der Alltags- und Lebenswelttheorie Die Entscheidung hat zunächst pragmatische Gründe. Meine sozialarbeiterische Sozialisation ist mit dieser Theorie eng verknüpf und sie begleitet mich seit Beginn meiner Erzieherausbildung vor zehn Jahren. Bei näherer Beschäftigung sprachen allerdings weitere Gründe für die Auseinandersetzung mit diesem Konzept. Die im ersten Kapitel vertretene These über die Eingebundenheit von WissenschaftlerInnen in gesellschaftliche Verhältnisse, die ihre Wissensproduktion inhaltlich mitbestimmen, wird vom Begründer dieser Schule, Hans Thiersch, ohne Zweifel bestätigt. In einem Interview mit der Zeitschrift WIDERSPRÜCHE beschreibt der Autor, dass sein Zugang zur Sozialpädagogik und Kritik vor allem biographisch und privat gestützt ist.137 Dadurch kann darauf verzichtet werden, mit Unterstellungen zu arbeiten und die Theorie zumindest als ein Beispiel für das (politische) Selbstverständnis eines Sozialarbeiters genutzt werden. Ein zweiter Grund ist die politische Tragweite des Konzepts. Denn auch ohne hier bereits ihren politischen Inhalt auszubreiten, kann gesagt werden, dass diese Theorie in Deutschland auch politische Bedeutung und Umsetzung fand. Hans Thiersch u.a. formulierten im 8. Jugendbericht der Sachverständigenkommission der Bundesregierung138 die Alltags- und Lebenswelttheorie als Reformtheorie für die Soziale Arbeit. Infolgedessen strukturierten zahlreiche Sozialämter ihre Angebote z.T. radikal um.139 Ohne auch hier eine Aussage über das theoretische und / oder politische Bewusstsein einzelner SoazialarbeiterInnen machen zu können, kann aber mindestens davon ausgegangen werden, dass sich viele Fachkräfte bereits im Studium oder in der Arbeitspraxis mit der Alltags- und Lebenswelttheorie auseinandergesetzt haben. 4.3 Entstehungskontext Die Theorie der Lebensweltorientierung kann bereits heute zu den klassischen Konzepten der Sozialarbeitswissenschaft gerechnet werden. Die erste Skizze des Konzepts legte 135 vgl. Schone 2005, 971 vgl. Klüsche 1990 in von Spiegel 2004 137 vgl. Bitzan / Bolay / Thiersch 2006, 64 138 vgl. BMJFFG 1990 139 vgl. Bitzan / Bolay / Thiersch 2006, 69 136 40 Hans Thiersch 1978140 vor. Seitdem erschienen zahlreiche Monographien, Artikel in Fachzeitschriften, Lexika- und Handbucheinträge auch anderer AutorInnen, die sich mit dieser Theorie auseinandersetzen.141 Zeitgeschichtlich ordnet Thiersch das Konzept in eine Zeit des Ausbaus der Sozialpolitik, in welcher für die Soziale Arbeit die Aufgaben wuchsen, ein. Der Ausbau fand vor allem in Form von modernisierungstypischen, arbeitsteiligen Ausdifferenzierungen statt. Individualisierte und klinische Konzepte bestimmten die Soziale Arbeit und die so entstandene Expertenkultur arbeitete an den tatsächlichen Problemen der AdressatInnen und den Erfahrungen der Praxis vorbei. Gleichzeitig radikalisierte sich die Kritik an der Sozialen Arbeit als disziplinierende und pazifizierende Institution im Dienste von Kapitalinteressen. Die Alltagsprobleme der Menschen gerieten unter Verdacht nicht mehr als ideologisierte Formen eines mit dem Kapital versöhnten Bewusstseins zu sein. Für Thiersch waren damit Fragen nach dem Alltag und einer der Sozialen Arbeit adäquaten Fachlichkeit provoziert.142 Denn für ihn stellte die oben beschriebene Situation eine „fachliche und politische Entfremdung“143 der Sozialen Arbeit dar. Trotz der Zurückweisung der stark verkürzten und ökonomistischen (politisch linken) Kritik an der Sozialen Arbeit, hielten und halten die ProtagonistInnen dieses Konzepts an den gesellschaftspolitischen Zielen von „gerechten Lebensverhältnissen, Demokratisierung, und Emanzipation“144 fest. Als praxisbezogene und kritische Handlungswissenschaft hat die Soziale Arbeit komplementär dazu Probleme, die sich durch gesellschaftliche Ungerechtigkeiten ergeben und die Unterstützung der Betroffenen, sowie die sozialarbeiterische Intervention, verstanden als gesellschaftliche Reaktion auf die sozialen Probleme, zum Gegenstand.145 Als sozialwissenschaftliches Konzept steht es in der Tradition der „realistischen Wende“ in der Pädagogik, wobei Thiersch das Konzept im Horizont der kritischen Sozialphilosophie und Psychoanalyse und der Alltagsphämenologie sieht, insbesondere der Philosophie der Utopie von Ernst Bloch.146 4.4 Kernelement des Konzepts: Theorie des Alltags Im Mittelpunkt des Konzepts steht die Frage nach dem alltäglichen, lebensweltlichen Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit. Dabei betont Thiersch die ganzheitliche Sicht auf den Menschen, näher bestimmt als die Frage nach der unmittelbar erfahrenen Dimensionen der Zeit, des Raumes und den sozialen Bezügen der Lebenswelt, sowie den Alltagsroutinen und Bewältigungsmustern. Der „Alltag ist die Bühne, auf der sich die 140 vgl. Thiersch 1978 vgl. Engelke 2002, 336 142 vgl. Thiersch 2003, 116f 143 Thiersch in von Spiegel 2004, 29 144 Thiersch in von Spiegel 2004, 29 145 vgl. Engelke 2002, 330 146 vgl. Thiersch 2003, 118 141 41 historischen und politischen Strukturen [...] prägen, und im Konkreten gelebt und bewältigt werden müssen.“147 Maria Bitzan verortet den Alltag zwischen Subjekt und Gesellschaft indem sie ihn als „...Oberfläche von Vergesellschaftungsprozessen und deren subjektiver Verarbeitung, der somit auch Potenziale und Bedürfnisse verdeckt und zurichtet“148, definiert. Vor allem auch nach zahlreichen „konservativen“ Vereinnahmungen, Aufweichungen und Reduktionen149 betont Thiersch, dass sein Alltagskonzept gegen eine Sicht auf den Alltag als heile Welt oder protestativ kompetente Wirklichkeit steht. Sein explizit als kritisch ausgewiesenes Alltagskonzept ist dabei dem marxistischen Philosophen Karel Kosik entlehnt. Bei ihm ist der Alltag etwas höchst Widersprüchliches. Er ist zwar unmittelbar, unfraglich und scheinbar konkret. Kosik definiert den Alltag allerdings als etwas Pseudokonkretes, als Erscheinung, die das Wesen hervorbringt und gleichzeitig verbirgt. Denn der Alltag ist bestimmt von Täuschung, okkupiert von Handlungszwängen, entlastender Pragmatik und Alltagsroutinen, die keiner Erklärung bedürfen und mit denen die Subjekte ihre Aufgaben wahrnehmen und bewältigen (müssen). Das macht die Subjekte zu Opfern von Manipulation und ManipulatorInnen der Wahrheit. Andererseits zeigt sich im Alltag das Wesen als Praxis selbst, verstanden als emanzipatives Handeln, gerichtet gegen strukturelle und soziale Entfremdung, auf Bedingungen ohne Ausbeutung und Unterdrückung, in denen sich alle Menschen verwirklichen können, „[...] der Mensch also als Subjekt seiner selbst, sich in Freundlichkeit und Freiheit zugleich mit seinesgleichen realisieren kann.“150 Das Wesen des Alltags zeigt sich zwar in der Erscheinung, die Gewöhnung an die Manipulation und der damit verbundene Unwille zur Reflexion müssen aber schmerzlich destruiert werden, wenn sich das Wesen realisieren soll.151 Diese Destruktion und Praxis kann sich jedoch nicht als gedankliches Konstrukt bewähren, sondern ist auf den „Rohstoff Wirklichkeit“ angewiesen. Die Hoffnung auf Veränderung und Verbesserung sind folglich im Gegebenen zu suchen. Gegenüber dem unkonkrete-utopischen Fokus auf einen gelungenen Alltag ist das Ziel Sozialer Arbeit deshalb zunächst der gelingendere Alltag152 als Stufengang einer konkreten Utopie153, der nur im Prozess verwirklicht werden kann. Und nicht die Destruktion alleine bestimmt die Schritte hin zu einem gelingenderen Alltag. „Wenn Alltag nämlich eine Gemengenlage von Täuschung und Wahrheit ist, braucht es die Unterscheidung. Täuschung muss destruiert werden, Wahrheit aber gestärkt und unterstützt werden.“154 Wichtig bleibt es, die Handlungsfähigkeit der AdressatInnen zu 147 Thiersch 2003, 115 Bitzan 2000, 336 149 vgl. dazu Bitzan 2000, 336ff 150 Thiersch 2006, 41 151 vgl. Thiersch 2006, 40f 152 vgl. Engelke 2002, 323 153 vgl. Thiersch 2006, 43 154 Thiersch 2006, 43 148 42 erhalten und die Lebenswelt als „[...] Gegenwelt zu gesellschaftlichen Enteignungsprozessen [...], als Ort eigensinniger [...] Lebensarrangements“155 zu sehen. Dazu bedarf es des (nachgeordneten) Respekts vor der sichernden und stabilisierenden Pragmatik des selbstgestalteten Alltags.156 Erst das Verstehen der Subjekte mit ihren Bewältigungsmustern in der Gliederung von Raum, Zeit und sozialen Bezügen vor dem Hintergrund gesellschaftstheoretischer Annahmen, macht es möglich, über Hilfe zur Selbsthilfe, Empowerment und Identitätsarbeit die AdressatInnen dabei zu unterstützen, einen gelingenderen Alltag zu leben. 4.5 Funktionsbestimmung Bei der Frage nach der Funktion Sozialer Arbeit geht auch die Alltags- und Lebensweltorientierung von der gesellschaftlichen Einbettung der Profession als sozialstaatliche Institution aus. Die Formel vom doppelten Mandat ist hier radikalisiert formuliert als Widerspruch zwischen struktureller Gewalt, Sozialstaatsansprüchen, dem Auftrag bestehende Machtverhältnisse zu stützen, Konflikte unauffällig zu glätten (Normalisierung) und dem Einsatz für gerechte Verhältnisse, insbesondere für die Lebensrechte derer, die unter den gesellschaftlich produzierten Ungleichheiten am meisten zu leiden haben. Insofern ist die Soziale Arbeit für Thiersch auch ein Stachel im Fleisch bestehender Machtverhältnisse, die zur politischen und sozialen Einmischung verpflichtet ist.157 Der Hinweis auf die gesellschaftlichen Strukturen als Ursache sozialer Probleme wird umso bedeutender, je mehr sich die Gesellschaft ausdifferenziert und spaltet, Normalbiographien aufgelöst werden und es die Subjekte mit einer zunehmenden Individualisierung ihrer Lebensverhältnisse und deren Entöffentlichung zu tun haben158. Thiersch hatte bereits 1986 die gesellschaftstheoretische Fundierung des Konzepts um den Beck´schen Modernisierungsdiskurs erweitert159. Bitzan bestimmte damit auch die Funktion modifizierend – denn seit den Jahren 1989/90 geht es primär nicht mehr wie davor um eine Normalisierung im Sinne von sozialer Integration, sondern um die Normalisierung unterprivilegierter Existenzen. Je mehr sich die Gesellschaft am Paradigma der kapitalistischen Ökonomie ausrichtet, desto mehr sind die gesellschaftlichen Institutionen darauf orientiert, die Spaltung der Gesellschaft - nicht mehr zu verhindern - sondern sie zu managen.160 Und davon ist auch die Soziale Arbeit nicht frei. Das Hinwirken auf Gerechte Lebensverhältnisse wird damit auch eine Frage von (radikaler) Selbstkritik der Sozialen Arbeit und zwar dann, wenn sie sich (auch aus 155 Grunwald / Thiersch 2005, 1138f vgl. Thiersch 2006, 44 157 vgl. Engelke 2003, 322 158 vgl. Bitzan 2000, 340 159 vg. von Spiegel 2004, 29 160 vgl. Bitzan 2000, 342 156 43 Zwang) einem sozialpolitischen Trend anschließt, der ihr eigenes gesellschaftspolitisches Ziel torpediert. 4.6 Zur Frage der Institution Mit der Forderung nach Respekt vor dem Eigensinn und der Autonomie der Subjekte und der Selbsthilfe in ihrem Alltag „[...] betont Thiersch den vorinstitutionellen Blickwinkel, der antiinstitutionelle Sprengkraft in sich trägt – er vergisst nicht, dass Soziale Arbeit als Institution sowohl zur Lebenswelt gehört, sie potentiell stützt, ebenso aber auch begrenzenden Wirkungen unterliegt, bzw. selbst ausübt.“161 Es bedarf also einer differenzierten Diskussion um die Institutionen und Träger der Sozialen Arbeit. Wo begrenzt und kolonialisiert die Institutionalisierung der Sozialen Arbeit die Optionen der Lebenswelt ihrer AdressatInnen? Wie und wo stütz und fördert Institutionalisierung die Überwindung pseudokonkreter Bewältigungsmuster und ermöglicht die Unterstützung eines gelingenderen Alltags? Das Ziel ist die Entwicklung von Differenzierungen, die den Lebenswelten der AdressatInnen entspricht. Konkretisiert wird das Konzept in den Handlungs- und Strukturmaximen162 für die Soziale Arbeit, die auch als (kommunal-) politisches Programm der Sozialen Arbeit begriffen werden können. Alltagsnähe meint die Verfügbarkeit von Hilfen vor Ort, welche ganzheitlich orientiert sind, d.h. die den ineinander verwobenen Lebenserfahrungen und -deutungen gerecht werden. Allgemeine Angebote sind deshalb unter Anerkennung dessen, dass spezialisierte Hilfen nach wie vor notwendig sind, vorzuziehen. Prävention als „allgemeine Prävention“ zielt auf die Stabilisierung und Inszenierung belastbarer Strukturen und auf die Bildung und Stabilisierung allgemeiner Kompetenzen zur Lebensbewältigung. Prävention birgt auch die Forderung nach gerechten Lebensverhältnissen und guter Erziehung. Prävention als „spezielle Prävention“ agiert vorausblickend, nicht erst dann, wenn sich Probleme dramatisieren. Dezentralisierung, Regionalisierung und Vernetzung meint zum einen die Notwendigkeit der Kooperation in der Region und auch die Verfügbarkeit der Hilfen vor Ort in dem Sinne, als dass diese in die lokalen und regionalen Strukturen eingepasst werden und dadurch sozialräumliche Ressourcen erschlossen werden können. Integration zielt auf die Forderung von Gleichheit im Bereich der Grundansprüche und Ressourcen, sowie die Anerkennung von Vielfalt in den Lebensentwürfen. Partizipation fordert vielfältige Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten, die für eine moderne, lebensweltorientierte Soziale Arbeit grundlegend sind. Dazu müssen zum einen gleichberechtigte Verhandlungsmöglichkeiten für alle Beteiligten organisiert werden. 161 162 vgl. Bitzan 2000, 336 nach Grunwald/ Thiersch 2005, 1143f 44 Zum anderen muss es ein, dem Status der BürgerInnen in einer Demokratie entsprechendes Einspruchs- und Beschwerderecht geben. 4.7 Zur Rolle der Fachkräfte Auch der Alltag der Sozialen Arbeit ist pseudokonkret. Routinen und pragmatische Musters des Arbeitsvollzugs stellen sich ein. Wie überall sind auch die SozialarbeiterInnen in ihrer Rolle zunächst mit einem „gemütlichen Überleben“ beschäftigt. Das dazu nötige Alltagswissen beschränkt sich auf die Erfahrungen im Arbeitsfeld und die sich dort stellenden Aufgaben. Gerade vor dem Hintergrund des Wissens um diese Prozesse müssen solche Paradigmen durch die provozierende und unterstützende Selbstreflexion unter Einbezug von Wissenschaft angegangen werden.163 Die Grenzen zwischen beruflichem Alltag und privatem Alltag des / der SozialarbeiterIn verschwimmen notwendigerweise, wenn sie sich auf den Alltag der AdressatInnen einlassen und mit ihnen solidarisch leben wollen. Das bedeutet nicht, dass sie selbstverständlich zum Alltag der AdressatInnen gehören. Vielmehr müssen sie sich bewusst sein, dass sie einen Beruf ausüben und in institutionellem Auftrag handeln.164 Das schütz die Fachkräfte sowohl vor der Überforderung auf den privaten Alltag, NichtErwerbsarbeit und Freizeit verzichten zu müssen. Zum anderen liegt in der alltags- und lebensweltorientierten Sozialen Arbeit eine Gefahr, die durch die Nähe zu den Betroffenen entsteht. Denn die „[...] Subtilität der alltagsorientierten Sozialarbeit verfolgt die Adressaten gleichsam bis in den letzten Winkel ihrer Existenz.“165 Für die Betroffenen kann es schwierig werden, sich dem zu entziehen und zu widersetzen. Damit die SozialarbeiterInnen nicht zu „Agenten totaler Kontrolle“ werden, müssen sie sich ihres machtbesetzten, institutionell-professionellen Anderssein innerhalb der Lebenswelt der Betroffenen bewusst sein, um sich zu begrenzen, zurückzuhalten und raus halten zu können. 166 4.8 Positionierte Wissenschaft Dass es bei der Alltags- und Lebenswelttheorie um mehr geht als um die Entwicklung einer sozialwissenschaftlich „sauberen“ Theorie, zeigt bereits die bewusste historischpolitische Verortung des Entstehungskontextes durch Thiersch. In der fraglichen Zeit ging es Thiersch offensichtlich um fachinterne Politik, also um die Durchsetzung bestimmter Diskurse, in dem er sich gegen zwei hegemonial bestimmte Entwicklungen167 und für die 163 Thiersch 1986, 51f vgl. Thiersch 1986, 52 165 Theirsch 1986, 49 166 vgl. Thiersch 1986, 49 167 1. Die Entwicklung hin zu Expertenkultur, Spezialisierung, klinisch individualisierte Methoden 2. Einen Diskurs vor allem der links-bewegten HochschullererInnen und Studierenden, welche die Soziale Arbeit in dieser Gesellschaft als solche in Frage stellten. 164 45 Interessen der AdressatInnen positionierte. Es ging aber nicht um den Weg durch irgendeine Mitte. Das wir auch als Wissenschaffende und PraktikerInnen nie frei sind von politischen Ideen und Ideologien, ist für den Autor mehr als ein mitzudenkendes Versatzstück im reflektierten Handeln. Mehr noch macht der Autor durch die Positionierung des Konzepts vor dem Horizont der kritischen Theorie (Habermas, Bernfeld, Fromm, Bloch)168 und der Entlehnung des Kernstücks der Theorie bei einem marxistischen Philosophen deutlich, an welcher Stelle sich der Autor selbst und sein Konzept politisch sieht 169. In Abgrenzung zu einer hermeneutisch-pragmatischen Wissenschaftsauffassung beschreibt Thiersch die eigene als kritisch, hermeneutisch, progressiv und emanzipativ. 170 Es geht ihm also nicht einfach darum zu beschreiben und zu erklären und damit in technokratischer Art und Weise Vorschläge für die Praxis zu machen. Die Entscheidung für diesen Ansatz ist auch mit der Entscheidung für seine normativen Seiten verbunden. Das Insistieren auf gerechte Verhältnisse und Demokratisierung ist ja auch damit verknüpft, zu bestimmen, dass es richtig und falsch gibt. 171 Die Orientierung daran erfordert in der Praxis die Übersetzung in eine „moralisch inspirierte Kasuistik“. 172 Schließlich verweist auch die Forderung, soziale Utopien umzusetzen darauf, dass es darum geht, nicht bei den Verhältnissen stehen zu bleiben, sondern sie als veränderbar zu begreifen und Veränderung durch Einmischung und Parteinahme voranzutreiben. In Wissenschaft wie Praxis wurde das Konzept vielfach rezipiert. Und vor allem in der Rezeption der Praxis zeigt sich, dass die Alltags- und Lebenswelttheorie, ihres politischen Inhalts wegen, selbst politisch umkämpft ist. Die Implementierung des Konzepts in die Praxis ging nicht ohne inhaltliche Verluste, Vereinnahmungen und Verdrehungen einher. Maria Bitzan geht davon aus, dass sozialarbeiterische Leitorientierungen wie etwa die Lebensweltorientierung, Ganzheitlichkeit und Partizipation als Passungsmodelle für eine Soziale Arbeit der Befriedung vereinnahmt worden sind. Grund hierfür sind zum einen der sozialpolitische Legitimationsdruck, unter dem die Soziale Arbeit als Ganzes steht aber auch die Unschärfe des Konzepts, deren politisch brisanter Inhalt nicht ausbuchstabiert wird.173 Was hier als Soziale Arbeit der Befriedung bezeichnet wird, hat vermutlich das konservative Alltagskonzept 174 zum Hintergrund und entpolitisiert das Konzept. Statt nach Widersprüchen, Hierarchien und ungeeigneten Strukturen zu suchen, wird der Alltag zur 168 vgl. Thiersch 2003, 118 Ich gehe nicht davon aus und maße es mir auch nicht an, zu wissen ob Hans Thiersch Kommunist, Sozialrevolutionär oder Sozialdemokrat etc. ist. Er selbst wird sich vermutlich irgendwo im linken Spektrum des Politischen verorten und die Rede vom gelingenderen Alltag, sowie die stufenweise Verwirklichung von Utopie lassen den Schluss zu, dass das Konzept eher in der sozialdemokratischen Tradition steht. 170 vgl. Engelke 2003, 328 171 Auf diesen Chrakter weist Thiersch insbesondere in einem Interview aus dem Jahr 2006 hin (vgl. Bitzan / Bolay / Thiersch 2006) 172 Bitzan / Bolay / Thiersch 2006 173 vgl. Bitzan 2000, 336 174 vgl. dazu Thiersch 1986, 28ff 169 46 heilen Welt erklärt, die es zu unterstützen gilt. Die Subjektorientierung etwa wird dazu genutzt, Lebenswelten zu verlängern und sie ggf. zu harmonisieren, ohne die sozialpolitische Dimension mitzudenken. Auf dem Weg zur Harmonisierung wird die Lebenswelttheorie gar selbst gegen eine konsequente Subjektorientierung gewendet und so interpretiert, dass alle Betroffenen gleichermaßen ins Feld rücken sollen. Der beliebte Weg zur Lösung des sozialarbeiterischen Problems ist schließlich der Interessenausgleich.175 „Die Suche nach den subjektiven Wünschen einzelner (vor allem denen von Frauen) sowie nach Überschreitungen des Gegebenen ist nicht Gegenstand.“176 Ein anderes Beispiel wäre der Gedanke der Partizipation, welcher gelöst wird von der Dimension der Selbstbestimmung und durch die formale Einbindung von Betroffenen in sozialstaatliche und institutionelle Ziele der Zustimmungsgewinnung dient.177 Insbesondere die Handlungsoptionen, die sich aus dem Governancediskurs ergeben, bergen als staatliche „top-down“ Bewegungen diese Gefahr. Dort muss die Soziale Arbeit auf echte Mitbestimmungsmöglichkeiten drängen, d.h. sich beispielsweise für Beschlussrechte und gerechte Stimmverteilung in den Gremien einsetzen. Und sie muss auf die Beteiligung der Betroffenen drängen, ansonsten laufen solche Gremien Gefahr Orte der Expertokratie zu werden. Auch die Wege zum gelingenderen Alltag, Empowerment178 und Hilfe zur Selbsthilfe werden zu Zwecken der Selbstführung im neoliberalen Sinne umgedeutet. Im Verständnis des Konzepts nach Thiersch geht es um den Machtausgleich zwischen den gesellschaftlichen Akteuren und um ein selbstbestimmtes Leben, in dem die tatsächlichen Interessen der Betroffenen handlungsleitend sind. Dieser ursprüngliche demokratische Kern fehlt im aktuellen sozialpolitischen Diskurs völlig. Während Empowerment die Menschen lediglich für den Arbeitsmarkt fit zu machen hat, soll Hilfe zur Selbsthilfe insgesamt einen Beitrag zum schlanken Staat leisten, durch die er von den hegemonialen Akteuren aus seiner Verantwortung entlassen wird. 175 vgl. Bitzan 2000, 337 Bitzan 2000, 337 (Maria Bitzan beschreibt in diesem Zusammenhang vor allem die Soziale Arbeit im Zusammenhang mit Familien, weshalb die Nennung von Frauen hier angesichts intrafamilierer, geschlechtertypischer Hierarchien eine besondere Bedeutung hat.) 177 vgl. Bitzan 2000, 337f 178 Hierzu sehr gute Darstellung in Bröckling 2004 176 47 5. Handlungsmaximen einer politischen Sozialen Arbeit Die Soziale Arbeit handelt unter gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Herrschaft und Ungleichheit produzieren. Sie und ihre Akteure sind in diese Strukturen verstrickt. Sie ist Teil des sozialstaatlichen Systems, welches sie nur bedingt mit einem politischen Auftrag ausstattet. Während für sie keinerlei Möglichkeiten vorgesehen sind, direkt an grundlegenden Strukturen (Recht und Haushalt) mitzuwirken, sehen eine Reihe von Gesetzen und Diskursen potentielle politische Mitwirkungsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen für sie vor. Die Theorie Sozialer Arbeit scheint stets über einen politischen Inhalt zu verfügen. Die Theorie der Alltags- und Lebensweltorientierung weist darüber hinaus einen explizit kritischen Zugang zu gesellschaftlichen Phänomenen auf und drängt auf eine Soziale Arbeit mit politischer Kraft. Der letzte Teil der Arbeit soll sich mit der Frage beschäftigen, wie eine Soziale Arbeit mit einer solchen Kraft beschaffen sein muss. Die dazu nachfolgend vorgestellten Handlungsmaximen stellen eine eigene Auswahl dar, die sich auf den theoretischen Rahmen der Arbeit bezieht. Innerhalb der drei analytischen Dimensionen von Politik ist dieses Kapitel wie auch die Theorie in der PolicyDimension zu verorten. 5.1 Zum politischen Bewusstsein in der Sozialen Arbeit Ob die Soziale Arbeit sich letztlich politisch geriert, d.h. ein politisches Mandat für sich entdeckt oder nicht und ob sie sich zur politischen Einmischung verpflichtet, hängt davon ab, welche politischen Positionen die Akteure der Sozialen Arbeit selbst vertreten. Unsere politischen Positionen sind das Produkt unserer Lebensverhältnisse. Das Politische selbst ist in den Individuen zu suchen. Ohne die empirische gestützte Erkenntnis, welches politische Bewusstsein die einzelnen SozialarbeiterInnen haben, müssen wir zunächst davon ausgehen, dass wir es mit einem Querschnitt der Gesellschaft zu tun haben. Es werden sich also weitestgehend (neo)liberale, konservative wie linke Positionen179 finden. Das Vertreten einer politischen Sozialen Arbeit wird sich eher unter linken ProtagonistInnen finden, weil dort am ehesten die Positionen verbreitet sind, dass der Alltag und alle Institutionen der Gesellschaft politisch durchdrungen sind, kaum unpolitische soziale Zusammenhänge existieren und dass wir alle selbst tagtäglich unsere Gesellschaft reproduzieren und neu gestalten (können). Es geht mir an dieser Stelle nicht darum, ein Monopol für linke SozialarbeiterInnen einzufordern, sondern vor allem darum zu bestimmen, dass politisch-zu-sein keinem Fach oder keiner Disziplin 179 Ob jemand unpolitisch sein kann, möchte ich hier in Frage stellen und denjenigen, die es tun entgegnen: Unpolitisch zu sein bedeutet, zumindest aus Unvermögen oder Desinteresse aktuellen dominanten politischen Diskursen zuzustimmen, sich also somit auch politisch zu verhalten (Kapitel 5.4). 48 inhärent ist, sondern vielmehr ein Ausdruck der sie bestimmenden Akteure ist. Diese These kommt auch in Roland Mertens Band „Hat die Soziale Arbeit ein politisches Mandat?“180 zum Ausdruck. Die Frage wird von den AutorInnen sowohl mit Ja als auch mit Nein beantwortet, wobei sich der Anteil aller angefragten AutorInnen, die der Frage ein entschiedenes Nein entgegenstellen, überwiegt.181 Zur Durchsetzung einer politischen Sozialen Arbeit bedarf es zunächst also der fachinternen (politischen) Auseinandersetzung. 5.2 Den zentralen Wert der Sozialen Arbeit ausbuchstabieren: Soziale Gerechtigkeit „Sozialarbeiter/innen haben eine Verpflichtung, soziale Gerechtigkeit zu fördern in Bezug auf die Gesellschaft im Allgemeinen und in Bezug auf die Person mit der sie arbeiten.“182 Das Schlagwort alleine reicht aber nicht aus, denn Gerechtigkeitsdefinitionen gibt es viele. Der Begriff ist dehnbar und kann sowohl eine konsequente Umverteilung wie den „aktivierenden Sozialstaat“ rechtfertigen. Die Soziale Arbeit muss deshalb ihr Verständnis von Gerechtigkeit ausbuchstabieren. Dass Gerechtigkeitsvorstellungen verschieden sind, ist bereits im Zusammenhang mit dem Sozialstaat gezeigt worden. Für die Soziale Arbeit schlägt Maja Heiner183 ein Gerechtigkeitsverständnis vor, welches eine Kombination aus dem Grundgüteransatz und dem Fähigkeitsansatz darstellt. Im Grundgüteransatz geht es darum, jedem Menschen die optimale sozial verantwortbare Selbstverwirklichung zu ermöglichen. Dabei wird unterschieden zwischen den nur mittelbar beeinflussbaren natürlichen Gütern (etwa intellektuelle Fähigkeiten und Gesundheit) und den gesellschaftlichen Grundgütern, die zugeteilt werden können (ökonomische Sicherheit, Zugang zu sozialen Positionen, soziale Voraussetzungen für Selbstachtung und Selbstvertrauen). Eine Gleichverteilung bezüglich der gesellschaftlichen Güter darf jedoch nicht von der Gleichheit der Subjekte ausgehen, da Menschen über sehr unterschiedliche Ausgangsvorausetzungen verfügen. Der Fähigkeitsansatz greift dieses Problem auf und definiert, dass egalitär verteilte ökonomische Güter und Grundfreiheiten für eine gerechte Gesellschaft nicht ausreichen. Es bedarf darüber hinaus fair verteilte Verwirklichungschancen für basale Fähigkeiten, wie etwa die Kompetenz, ethische Bilder von einem guten Zusammenleben zu entwickeln, Genuss- und Empathiefähigkeit oder die Fähigkeit zur politischen Einmischung. Für Maja Heiner besteht der Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit der Sozialen Arbeit darin, den Benachteiligten einer Gesellschaft durch den Ersatz fehlender Grundgüter zur 180 vgl. Merten 2001 vgl. Merten 2001, 10 182 ISFW 2004, 3 183 vgl. Heiner 2007, 183f 181 49 Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu verhelfen und ihre Fähigkeiten zur Lebensbewältigung zu fördern. Eine sich politisch verstehende Soziale Arbeit begnügt sich aber nicht mit Ersatz und Förderung von Bewältigungskompetenzen innerhalb des Gegebenen, sondern fragt auch nach den gesellschaftlichen Strukturen, die sozialer Ungerechtigkeit zugrunde liegen und wirkt daran mit, sie zu überwinden. Dazu nutzt sie die Chancen die ihr durch die Handlungsoptionen zugestanden werden und organisiert (Gegen-)Öffentlichkeit, um politischen Duck auszuüben. In der Beschreibung der gesellschaftlichen Bedingungen wurde bereits dargestellt, dass der Weg zur Herstellung gerechter Verhältnisse über die Umverteilung vornehmlich ökonomischer Güter und die Anerkennung (vor allem bezüglich Gender und „Rasse“) von Differenz führt. Nancy Fraser sieht dafür zweierlei Ansätze. Der derzeitig dominante Ansatz kann als affirmativ beschrieben werden, weil der gesellschaftliche Rahmen darin nicht berührt wird. Bei der Umverteilung geht es um den Ausgleich wirtschaftlicher Ungerechtigkeit ohne die Tiefenstruktur, also den Kapitalismus, in Frage zu stellen. Die Klassendichotomie wird so nicht etwa aufgehoben sondern lediglich modelliert und durch Nicht-Hinterfragen verfestigt. Empfänger von sozialstaatlichen Leistungen werden nicht nur Zielgruppe von Unterstützung sondern auch Opfer von Feindseligkeiten.184 Im Falle kulturell bedingter Ungerechtigkeit steht derzeit der so genannte „MainstreamMultikulturalismus“ im Vordergrund des Geschehens. Missachtung wird versucht zu bekämpfen, indem abgewertete Gruppenidentitäten positiv bewertet werden. Die Inhalte bleiben jeweils unangetastet und die Gruppendifferenzierung anhand dieser Inhalte wird wiederum verstärkt.185 Sicher, unsere Gesellschaft ist durch ihren affirmativen Kurs historisch gesehen gerechter geworden. Die Verhältnisse sind aber nicht gerecht, sondern die Ungerechtigkeit ist gemildert. Auf dem Weg zu gerechten Verhältnissen bedarf es transformativer Umverteilung und Anerkennung. Transfomative Umverteilung versucht eine gründliche Umstrukturierung der Produktionsverhältnisse, um die Klassendifferenzierung zu untergraben und so soziale Gerechtigkeit herzustellen ohne gleichzeitig stigmatisierte Klassen von Hilfeempfängern zu produzieren.186 Transformative Maßnahmen bezüglich Anerkennung sind mit Dekonstruktion verknüpft, was bedeutet, die kulturell-evaluative Struktur zu verändern und so die bestehenden Identitäten und Differenzierungen der Gruppen ihrer Stabilität zu berauben. Es geht um die Dekonstruktion der beschriebenen Dichotomien, nicht aber um die Auflösung von 184 vgl. Fraser 2001, 53 vgl. Fraser 2001, 47f 186 Als transformative Maßnahmen nennt Fraser „[...] universalistische Sozialhilfepläne, eine steil progressive Besteuerung, makroökonomische Leitlinien, die Vollbeschäftigung schaffen sollen, einen ausgedehnten, nicht marktförmig organisierten öffentlichen Sektor, beträchtliches öffentliches und / oder kollektives Eigentum sowie eine demokratische Beschlussfassung bei elementaren sozioökonomischen Weichenstellungen [...] Sie versuchen, einen Zugang zu entlohnter Arbeit für alle zu gewährleisten, bemühen sich allerdings auch darum, Basisanteile am Verbrauch von den Arbeitseinkommen abzukoppeln.“ (Fraser 2001, 52f) 185 50 Unterschieden. Vielmehr soll ein Feld vielfältiger, fluider Differenzierungen eröffnet werden. 187 Transformative Politiken stehen zumindest aktuell nicht im Fokus staatlicher Politik. Es ist gefährlich an dieser Stelle in Machbarkeitsphantasien zu verfallen. Wir würden den Menschen und uns zu viel versprechen. Ich habe vor allem im Kontext von genderbezogenen Seminaren gelernt, dass es darauf ankommt, das Eine zu tun ohne das Andere zu lassen. Das Eine wäre die Verteidigung und Ausweitung affirmativer Politiken der Umverteilung und Anerkennung. Das Andere, die transformative Politik, bildet mehr den utopischen Horizont einer emanzipativen Politik der Sozialen Arbeit, die derzeit vor allem gedacht und gefordert werden kann und dort unterstütz werden sollte, wo sie in Ansätzen praktiziert wird. 5.3 Konfliktorientiert handeln Wenn die Soziale Arbeit ein sozialpolitisches Instrument ist und politisches Handeln als das konflikthafte Aushandeln gesellschaftlicher Interessengegensätze verstanden wird, wie es diese Arbeit vorschlägt, dann muss sich eine politische Soziale Arbeit an sozialen Konflikten und Konfliktpotentialen188 orientieren. Jenseits von ihrer Tätigkeit in Gremien und anderen explizit politischen Bühnen ist eine politische Soziale Arbeit dazu verpflichtet ihre erste Bühne, den Alltag mit den AdressatInnen zu politisieren. Dazu kann eine Ausbuchstabierung des Alltags und Lebensweltkonzepts hilfreich sein. „Soziale Konflikte und deren Verursachungszusammenhänge als Folge gesellschaftspolitischer Interessengegensätze sind Stoff der Sozialen Arbeit. In ihrer Praxis bezieht sie sich immer auf sie, sei es regulierend, schlichtend, oder auf- und eingreifend im Sinn von Aufklärung und Parteinahme. Politisierende (gemeinwesenorientierte) Arbeit verweist in ihrer Grundrichtung auf das Sichtbarmachen dieser Konfliktstrukturen und ist somit geradezu gekennzeichnet durch das Aufdecken von und der Arbeit mit Konflikten.“189190 Setzen wir noch einmal bei der Alltags- und Lebenswelttheorie an. Wenn die Subjektorientierung dieses Konzepts ernst genommen wird, ist die Soziale Arbeit 187 vgl. Fraser 2001, 48ff Franz Herrmann (Herrmann 2006, 26) schlägt folgende Unterscheidung vor: In sozialen Konflikten (oder auch manifesten Konflikten) besteht in der sozialen Interaktion zwischen mindestens zwei Akteuren Unvereinbarkeit und mindestens einE der Beteiligten erfährt Beeinträchtigungen. Konfliktpotenziale (oder auch latente Konflikte) sind soziale Situationen die von Unbereinbarkeiten, Widersprüchen und /oder Beeinträchtigungen gekennzeichnet, die jedoch (noch) nicht manifest sind. Dabei geht es insbesondere um innere Konflikte von Subjekten die durch widersprüchliche innere und äußere Erwartungen ausgelöst werden und um widersprüchliche und beeinträchtigende strukturelle Faktoren, die in sozialen Zusammenhängen als potentielle Konfliktursache wirken und zum manifesten Konflikt werden können, wenn subjektive Faktoren hinzukommen. 189 Bitzan / Köck 1993 in Herrmann 2006, 122f 190 Die folgenden Ausführungen beziehen sich weitgehend auf das Konzept der Konfliktorientierung von Maria Bitzan und Thilo Glöck (1993), das von Maria Bitzan im Jahr 2000 über den Bereich der Gemeinwesenorientierung auf die Lebensweltorientierung ausgeweitet wurde (Überblick in Herrmann 2006, 122ff). 188 51 aufgefordert Ziel und Perspektive aus der sich ändernden Lebenspraxis der Subjekte und gerade nicht von Institution und Sozialstaat her zu bestimmen. Die Fragen, die im Zentrum stehen sind: Wie verändern sich die Lebensverhältnisse der Bevölkerungsgruppen und welche Optionen haben sie darin, ein selbstbestimmtes und sozial abgesichertes Leben zu führen und inwieweit tragen gesellschaftliche Institutionen dazu bei? Um diese Fragen jeweils beantworten zu können bedarf es der konsequenten Lebensweltanalyse, welche nach gesellschaftlichen Zumutungen und subjektiven Lösungen fragt und zwar mit dem Wissen um Normalisierungsverhältnisse und dass ihre Wirkungsweisen verdeckt bleiben können. Der „Generalverdacht“ gegen den Alltag und die Lebenswelt als die scheinbar ganze Wirklichkeit muss die Lebensweltanalyse bestimmen. Das bedeutet nicht die AdressatInnen zu übergehen oder bereits zu wissen, was für sie richtig ist. Entscheidend ist die Suche nach Widersprüchen in den Erfahrungen der Menschen und der an sie gestellten Anforderungen, um ihre Lebenswelt zu verstehen und um so Konfliktverhältnissen und ihren Quellen auf die Schliche zukommen – „[...]sie zu öffnen, zugänglich, bearbeitbar zu machen“191. Lebenspraxis ist so verstanden immer widersprüchlich und die Bewältigung von Konflikten. Dabei ist zunächst egal, ob Subjekte darüber ein Bewusstsein haben. Im Zentrum steht nicht etwa das Subjekt mit den schwierigen Verhaltensweisen oder ein sie als ewige Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse sehender Blick, sondern das Subjekt als HandelndeR in schwierigen Strukturen.192 Jedes Handeln der Subjekte hat einen subjektiven Sinn, den es anzuerkennen und sichtbar zu machen gilt. Von da aus ist der Blick dann auf die Widersprüche und Bruchstellen zu richten und zwar mit dem Ziel, die innewohnenden Konflikte zu entdecken. So bleibt die Soziale Arbeit nicht bei der (wichtigen) Bewältigungsunterstützung stehen, sondern versucht den Konflikten einen Namen zu geben, sie als Erscheinung gesellschaftlicher Konfliktverhältnisse deutlich zu machen und die Beteiligten zu benennen.193 5.4 Sich Positionieren, parteiisch sein, die Soziale Frage stellen Eine politische Soziale Arbeit kann keine neutrale Vermittlungsinstanz sein. Sie muss sich gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Benachteiligung positionieren und Partei für die Unterprivilegierten dieser Gesellschaft ergreifen. Eine Positionierung alleine reicht nicht aus. Sie muss die gesellschaftlichen Ursachen der Unterprivilegierung öffentlich in Frage stellen und sich für andere Lösungen einsetzen. Die Soziale Arbeit ist eine wertgeleitete Profession und Wissenschaft. Der Anspruch, neutral zu sein, wäre bereits deswegen ein paradoxer Widerspruch. Neutralität würde 191 Bitzan 2000, 339 vgl. Bitzan 2000, 338f 193 vgl. Bitzan 2000, 343 192 52 bedeuten, aktuelle Entwicklungen weder in Frage zu stellen, noch sie zu unterstützen. Aber selbst das Nicht-infrage-Stellen bedeutet bei den derzeitigen Verhältnissen, die von Herrschaft und hegemonialen Diskursen bestimmt sind, eine stille Unterstützung und ist damit bereits ein politischer Akt.194 Soziale Arbeit muss sich deswegen gegen Herrschaftsansprüche und Diskurse positionieren, die dem Ziel von sozialer Gerechtigkeit entgegenstehen. In Konflikten muss sie ganz konkret für ihre AdressatInnen Partei ergreifen, denn sie gehören in der Regel zu denjenigen, welche die Beeinträchtigung erleiden. Partei ergreifen im Sinne der beschriebenen Konfliktorientierung bedeutet nicht, sich blind für den „heilen Alltag“ der KlientInnen einzusetzen, sondern zuallererst vor dem Hintergrund der Kenntlichmachung eines gesellschaftlichen Konfliktverhältnisses, diejenigen, die darin in ihren Lebensäußerungen beeinträchtigt sind, zu unterstützen, die Kraft und Macht (wir könnten auch Empowerment sagen ) zu erlangen, sich eigenständig zur Wehr zu setzen und ein gelingenderes Leben zu führen. Zum anderen bedeutet Partei ergreifen aber auch, den anwaltschaftlichen Einsatz von SozialarbeiterInnen in den Räumen und Gremien die ihnen als politischer Raum zugestanden werden. Nicht zuletzt muss eine politisch handelnde Soziale Arbeit die Erkenntnisse, die sie in ihrer Konfliktanalyse erlangt, öffentlich sichtbar machen, mit dem Ziel politischen Druck zugunsten ihrer AdressatInnen auszuüben. Ich möchte das auf die griffige Formel bringen „Die Soziale Arbeit muss die Soziale Frage stellen“.195 Mir ist wohl bewusst, dass die Begrifflichkeit der „Sozialen Frage“ eine historische ist und die sozialen Verwerfungen der Frühindustrialisierung zum Gegenstand hat. Die Mechanismen dieser Verwerfungen, ausgehend von der kapitalistischen Mehrwertproduktion, sind aber nach wie vor in Gang. So gesehen trägt die reine Historisierung zu Verschleierung dieser Mechanismen bei. Der Inhalt müsste aber sicher zumindest ergänzt werden um die Fragen nach Geschlecht und Rassismus. 5.5 Soziale Arbeit in Bewegung? Den Anschluss nicht verlieren! Die progressiven Sozialen Bewegungen stellen für eine politische Soziale Arbeit historisch und aktuell einen entscheidenden Bezugspunkt dar. Sie fordern als nicht-staatliche Akteure und oftmals in Form von Betroffenenorganisationen (z.B. Frauenbewegung, Lesben- und Schwulenbewegung, Arbeitslosenbewegung(?), Arbeiterbewegung (Gewerkschaften), Anti-AKW-Bewegung, Antirassistische Bewegung) reformorientiert oder strukturtransformativ, die Herstellung sozial gerechter Verhältnisse und befinden sich somit oft auf der „gleichen Seite“ wie eine sich im Sinne dieser Arbeit verstehende 194 vgl. Gil 2006, 139 Nach der „Ethik der Sozialen Arbeit“ des IFSW sind SozialarbeiterInnen dazu verpflichtet, sich gegen ungerechte politische Entscheidungen auszusprechen. (vgl. IFSW 2004, 3) 195 53 politische Soziale Arbeit. Die institutionelle Soziale Arbeit kann und darf als staatlicher Akteur jedoch nicht Teil der Sozialen Bewegungen sein. Die Soziale Arbeit steht selbst in der Tradition der Sozialen Bewegungen. Ihre Verberuflichung ist, wie beschrieben, im Zusammenhang mit der bürgerlichen Frauenbewegung zu sehen. Das modernisierte Berufsverständnis ist stark geprägt von den Sozialen Bewegungen der 60er und 70er Jahre. So entstand in dieser Zeit beispielsweise, neben den Punkten, die bereits in der Einleitung und in 3.4 genannt wurden, auch die Idee der anwaltschaftlichen Interessenvertretung.196 Auch viele Konzepte und Strategien emanzipativer Sozialer Arbeit stammen aus dem Repertoire Sozialer Bewegungen. Die Empowermentstrategie etwa hat ihren Ursprung in der „schwarzen“ Bürgerrechtsbewegung der USA in den 1970er Jahren.197 Eine entscheidende Einsicht bezüglich dieser Aufzählung, die man sicher in die Tradition einer fortschrittlichen „Sozialarbeitsbewegung“ stellen kann, ist die Tatsache, dass keiner dieser Impulse aus der institutionalisierten Sozialen Arbeit kam, sondern von SozialarbeiterInnen, die sich außerhalb ihrer Institutionen organisierten. Soziale Bewegungen erhalten ihre wesentlichen Impulse aus dem Moment der Unterdrückung und Unterlegenheit198. Ich denke, die Sozialarbeitsbewegung ist hiervon zu unterscheiden. Ihr Impuls kam und kommt in erster Linie nicht aus der eigenen Benachteiligung, sondern ist bezogen auf ihre AdressatInnen. Mit der Einbindung der Sozialen Arbeit in das sozialstaatliche System befindet sie sich außerdem selbst teilweise auf der dominanten Herrschaftsseite. Der Versuch der Einmischung der Sozialen Arbeit als Ganzes (also mit ihrer staatlichen und institutionellen Seite) in soziale Bewegungen wäre damit widersprüchlich und würde okkupierend wirken (möglicherweise sogar als Werkzeug der Kontrolle). Auch wäre von Seiten der Akteure völlig zu Recht mit Zurückweisung zu rechnen. Diese Erfahrung hat die Soziale Arbeit vor allem im Zusammenhang mit der Jugendzentrums- und Frauenbewegung bereits gemacht.199 Im Sinne der Alltags- und Lebensweltorientierung, ist die Soziale Arbeit hier ohnehin zur Zurückhaltung verpflichtet. In den Bereichen, in denen die betroffenen Akteure bereits selbständig gegen ihre Benachteiligung agieren, hat sie das Feld den Betroffenen selbst zu überlassen und sie ggf. mit Räumlichkeiten und Organisationshilfe zu unterstützen, wenn sie danach gefragt wird. Das alles spricht allerdings nicht gegen ein Engagement einzelner „privater“ SozialarbeiterInnen oder ihrer Beteiligung mit ihren eigenen Organisationen der Gegenmacht. Bei der Suche nach zu Grunde liegenden Konfliktpotentialen von Problemen ihrer AdressatInnen stellen die Sozialen Bewegungen 196 Roth 2005, 1674 vgl. Bröckling 2004, 56 (auf einem Buchtitel taucht der Begriff interessanterweise zum allerersten Mal direkt im Zusammenhang mit Sozialer Arbeit auf. Es trägt den Titel „Black Empowerment“ und bezieht sich auf die Sozialarbeit in „oppressed communities“). 198 vgl. Winter 2005, 1160 199 vgl. Roth 2005, 1675 197 54 eine bedeutende Quelle dar. Bei ihnen gewinnt man Informationen aus erster Hand, zumeist wird die Sichtweise der Betroffenen repräsentiert und ich habe vor allem im Zusammenhang mit der Frauenbewegung und der Antirassistischen Bewegung die Erfahrung gemacht, dass es sich oft um Informationen handelt, die auch im Begriff von Wissenschaftlichkeit reflektiert sind. 5.6 Vom Rohstoff zum Ausdruck – (Gegen-)Macht organisieren Wenn die Soziale Arbeit als politische Kraft in die Öffentlichkeit intervenieren will, muss sie sich organisieren. Dabei geht es sowohl um die Organisierung im Sinne der Verbesserung der Lebensbedingungen ihrer AdressatInnen, als auch um die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen ihres eigenen Personals. Das letztere ist vor allem mit gewerkschaftlicher Organisierung zu erreichen. Etwa 30% der im sozialen Bereich Tätigen sind derzeit gewerkschaftlich organisiert. Kein schlechter Organisationsgrad, denn er liegt im bundesdeutschen Durchschnitt. Allerdings verhindern vor allem die Heterogenität des Bereichs und ihre Abneigung gegen die klassischen gewerkschaftlichen Strategien, wie Streik, eine wirkmächtige Interessenvertretung - so zumindest die geläufigen Argumente.200 Der DBSH ist Gewerkschaft und Berufsverband zu gleich, aber auch er schafft es nicht, das Problem der Heterogenität hinter sich zu lassen. Eine grundsätzliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen für SozialarbeiterInnen ist, wenn wir noch einmal die Rede von dem vergeschlechtlichten Beruf aufgreifen, ohnehin nicht durch die klassischen Mittel gewerkschaftlicher Arbeit zu erreichen. Der kulturelle Kampf um Anerkennung müsste eine mindestens genauso große Rolle spielen, wie etwa Lohnforderungen oder Forderungen nach allgemein besseren Arbeitsbedingungen. Das ist ein Thema das vor allem die im sozialen Bereich Tätigen in den Gewerkschaften stark machen müssen. Über die Vertretung eigener Interessen hinaus, sind die (Einheits-)Gewerkschaften Orte, von denen aus die „Soziale Frage“ gestellt wird und (zumeist) progressive sozialpolitische Antworten und Alternativen forciert werden. Sie sind damit auch eine Schnittstelle zur zweiten Ebene der Organisierung, die als gegenstandsbezogen beschrieben werden soll. Auch hier finden wir zunächst eine scheinbar gute Lage. Der DBSH geht von etwa 1000 Fachverbänden in der Bundesrepublik mit stellenweise weniger als 15 Mitgliedern aus201. Auch hier wirkt die Heterogenität des Berufsfeldes auf die politische Wirkmächtigkeit hinderlich. Zersplitterung wäre an dieser Stelle, da negativ konotiert, m.E. nach aber ein falscher Begriff. Das Feld selber ist schließlich vielfältig und die erkennbare Organisationsstruktur 200 201 Eichinger / Kraemer 2008, 238 vgl. „Berufsverband und Gewerkschaft - geht das denn?“ In: DBSH.de URL: http://www.dbsh.de/html/ggvod.html (Abgerufen: 05. November 2008, 12:02 UTC). 55 ist die Abbildung einer Tatsache. Was es schließlich bräuchte, wäre eine mitgliederstarke Dachorganisation, welche mit (sozial-)politischen Kampagnen, Aufrufen, Tagungen und Kongressen, Lobbyarbeit, aber auch eigener Forschungsförderung an die Öffentlichkeit herantritt, die Probleme ihrer AdressatInnen und die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Konfliktlagen benennt und sich für alternative Politiken stark macht. Nicht zuletzt geht es hierbei um die Innenwirkung eines sich organisierenden Subjekts. Wie auf der Ebene der Institutionen finden wir auch in den hier beschriebenen Organisationen die Ausbildung einer praktischen Ideologie, eines kollektiven spezifischen Blicks auf die Wirklichkeit, die das alltägliche berufsbezogene Handeln der Subjekte stützen kann. Das bezieht sich zum einen auf die fachlichen und ethischen Standards, mit denen sich eine Organisation befasst (z.B. Ich bin Mitglied im DBSH und fühle mich den Ethischen Prinzipien der Sozialen Arbeit verpflichtet). Zum anderen hilft die Erfahrung von Solidarität durch die Organisationen und ihre Mitglieder aber auch der Rechtsschutz der Gewerkschaften den Mut zu erlangen, die fachlichen und ethischen Motive ggf. widerständig zu praktizieren. 5.7 Die eigene Verstrickung erkennen – sich befreien Eine kritische Soziale Arbeit, die ihr Handeln vor einem utopischen Horizont begründet, bedarf mehr als der Reflexion des eigenen Tuns im positivistischen Bezug auf ihren gesellschaftlichen und institutionellen Rahmen. Will sie eine transformative Politik betreiben, müssen ihre Akteure sich mit den alltäglichen Pseudokonkretheiten auseinandersetzten, die sie selbst zu Gehilfen ihrer eigenen Unterdrückung machen202 (z.B. schlechte Bezahlung, prekäre Arbeitsbedingungen, mangelnde gesellschaftliche Anerkennung) und durch die sie sich an der Unterdrückung ihrer Klientel beteiligt. Wie beschrieben wirkt die Soziale Arbeit, weil ihre Akteure nicht frei von hegemonialen Ideologien sind, an der Reproduktion von Ausschluss und Ungleichheiten solcher Art mit. Mit ihrem Kontrollauftrag pazifiziert sie an der einen Stelle Konflikte bzw. verhindert ihre Austragung (etwa wenn sie für ein „erträglicheres Leben“ aber nicht ein „gelingenderes“ Leben in einem Armenviertel zu sorgen hat), an einer weiteren Stelle treiben ihre Akteur Ausgrenzung und Ungleichheit voran (etwa als Fallmanager bei einer ARGE) und beteiligen sich an der Generierung von Konfliktpotenzialen und ihrer Verdeckung. Gleichzeitig konzentriert sich ihre Auseinandersetzung derzeit auf sozialtechnologisch anmutende Methoden (Mediation, Konfrontative Pädagogik), die sicher in Einzellfällen sinnvoll sind. Sie blenden aber zumeist die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von 202 Mit anderen Worten gesprochen, heißt das, dass „[...] jeder, der sich innerhalb der gegebenen Abhängigkeitsverhältnissen [auch reflektiert Anm. A.W] einzurichten versucht, nicht nur Opfer sondern auch Komplize der Machthabenden und damit sich selbst zum Feinde wird.“ (Osterkamps 1979 in Holzkamp 1983, 377) 56 Konflikten aus, individualisieren sie und tragen so zur Verdeckung ihrer vielfältigen Ursachen bei.203 Wie im ersten Kapitel beschrieben ist zwar nicht klar und nachvollziehbar, welche Anteile wir selbst an unserer Subjektwerdung haben. Das zeigt jedoch die Notwendigkeit auf, sich persönlich auf die Suche zu begeben, sich von wissenschaftlicher Erkenntnis stützen zu lassen und sich zu fragen: Mit welchem Verhalten reproduziere ich das Gegebene und damit Herrschaft und Ungerechtigkeit? Wie kann ich dieses Verhalten überwinden und wen brauche ich dazu? Auch spielt das sich Organisieren in Bedeutung der zuvor beschrieben Innenwirkung auf das Subjekt eine wichtige Rolle. Gruppen dieser Art können Orte sein, in denen alternatives Verhalten erprobt werden kann. Schließlich schließt sich mit der veränderten Selbstkonstitution der Kreis, weil wir an der Fremdkonstruktion der anderen mitwirken und mit der eigenen Veränderung auch mit anderen Erwartungen und Identifikationen an unsere Mitmenschen, KollegInnen wie AdressatInnen, herantreten. Auch denke ich, dass es angesichts der verheerenden Entwicklungen des Sozialstaats an der Zeit ist, sich zu Fragen, ob es nicht angebracht ist, sich als SozialarbeiterIn und im besten Fall kollektiv als Soziale Arbeit, sich bestimmten neu entstehenden Aufgaben zu verwehren. Ich denke dabei beispielsweise an die Frage: Darf einE SozialarbeiterIn als FallmanagerIn in der Arbeitsagentur arbeiten? 203 vgl. dazu Herrmann 2006, 9f 57 Fazit Wenn wir von Politik reden, beschäftigen wir uns immer mit der Frage, wie unsere Gesellschaft und die sozialen Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern aussehen sollen. Wir sind in unseren eigenen Ideen dazu, auch wenn wir uns von Wissenschaft leiten lassen, nicht völlig frei in der Entscheidung darüber, wie eine gute und gerechte Gesellschaft aussehen soll. Gerechtigkeit scheint viel mehr ein Containerbegriff zu sein, der von unterschiedlichen Akteuren einander widersprechend gefüllt wird. Diese begrenzte Freiheit steht allerdings stets in einem Wechselspiel mit Möglichkeiten für eigene Entscheidungen. Wir reproduzieren unsere eigenen Verhältnisse also nicht nur, sondern können durch Erkenntnis und Selbstkonstitution alternative und neue Ideen und Handlungen produzieren und unsere Gesellschaft verändern. Nicht jeder Mensch hat in unserer Gesellschaft aber die gleichen Möglichkeiten, an der Veränderung mitzuwirken. Bei Politik geht es auch immer um Macht und in einer Gesellschaft wie der unseren, die durch Herrschaftszusammenhänge bestimmt ist, gibt es Menschen, die kaum an Macht partizipieren können und andere, die sehr viel Macht in ihrer Person konzentrieren. Da Politik und Gesellschaftsveränderung von menschlichen Entscheidungen dominiert ist, gibt es immer Alternativen. Das bedeutet: Die Welt muss nicht so sein wie sie ist. Politische Entscheidungen haben die Eigenschaft, dass sie in irgendeiner Weise potenziell Bedeutung haben für einen großen Teil der Mitglieder einer Gesellschaft. Und aufgrund der zahlreichen Interessenlagen einer modernen Gesellschaft haben politisch Prozesse in ihr stets einen konflikthaften Charakter. Da die üblichen staatsnahen Erklärungen zur Bestimmung eines politischen Mandats Sozialer Arbeit nicht ausreichen (es gibt keine per se sozialarbeiterische Vertretung in der repräsentativen Demokratie), ist auf der Suche danach, vorausgesetzt sie hat politische Inhalte, die Verwendung eines weiten Begriffs von Politik, der offen ist für politisches Handeln in allen Bereichen der Gesellschaft, gegenüber dem engen Begriff vorzuziehen . Bei der Frage nach den politischen Inhalten können wir davon ausgehen, dass sie sich in jedem von uns befinden und zwar in Rohform, als menschliche Haltungen und Energien. Zum politischen Ausdruck kommen sie aber erst dann, wenn sie in kollektiver Weise auftreten und von bestimmter Dauer sind. Die Suche nach den politischen Inhalten müsste also bei den SozialarbeiterInnen selbst beginnen, was im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht möglich gewesen ist. Die hier bestimmte Offenheit der analytischen Dimensionen lässt die Möglichkeit zu, auch die nicht staatlichen Strukturen zu beschreiben. Die Klassen, die vom Kapitalismus produziert werden, Gender und „Rasse“ sind in dieser Arbeit als bedeutende Modi zur Differenzierung von Menschen in unserer Gesellschaft vorgestellt worden. Differenzierung 58 bedeutet aber hier nicht nur Unterscheidung von Menschen. Denn sie sind konstitutiv für die Herrschaftsverhältnisse in unserer Gesellschaft und sie sind entscheidend für die Teilhabe an und den Ausschluss von gesellschaftlichen Gütern. Zur Überwindung von Ungerechtigkeiten braucht es sowohl die Umverteilung von ökonomischen Gütern, wie die gesellschaftliche Anerkennung von Frauen, Menschen verachteter Sexualitäten, und „nicht-weißen“ Menschen. Das ist leichter gesagt als getan, denn die Differenzierungsmodi haben hegemoniale Leitbilder zur Grundlage. Auch die SozialarbeiterInnen sind deshalb tendenziell tagtäglich auch in ihrer Praxis damit beschäftigt, diese Weltbilder zu reproduzieren. Besonders verheerend ist das in Bezug auf die eigene Position als SozialarbeiterIn selbst. Denn der allgemein bekannte gesellschaftlich niedere Status Sozialer Arbeit ist eng verbunden mit der Eigenschaft als vergeschlechtlichter Beruf. Obwohl ich mittlerweile die Position vertrete, dass alle drei Modi für das Ziel einer herrschaftsfreien Gesellschaft gleichermaßen und aufeinander bezogen in den Blick zu nehmen sind, ist mir die Darstellung dieser Position in der vorliegenden Arbeit nicht gelungen. Im Rückblick reicht das Argument der Einleitung nicht aus, der ökonomische Modus sei gerade wieder besonders wichtig. Das war er in der industrialisierten Gesellschaft schon immer - genauso wie Gender und „Rasse“. Der „Rheinische Kapitalismus“ hat die herausragende Bedeutung des Ökonomischen auch nicht unbedeutender gemacht, sondern sie bloß in der Wirkung gemildert. Der Sozialstaat ist das Produkt gesellschaftlicher Kämpfe, die nach wie vor geführt werden. Ihn als offenes, emanzipatives Projekt zu betrachten, wäre jedoch verfehlt, schließlich soll er die Loyalität der StaatsbürgerInnen sichern und ist damit auch ein Garant herrschender Verhältnisse. Seit mindestens zwei Jahrzehnten gewinnen (neo)liberale (Gerechtigkeits-)Vorstellungen im Zuge aktueller Entwicklungen des Kapitalismus mehr an Bedeutung für die sozialpolitische Agenda. Gegenüber dem ehemals fürsorgenden Sozialstaatsmodell setzt sich ein Programm des Workfare, verknüpft mit einer autoritären Aktivierungspädagogik, durch. Die Leitbilder dieser Politik sind erfolgreiche Menschen, die Erfolg haben, weil sie es selber wollen und es alleine geschafft haben. Gleiches gilt dann natürlich für den gesellschaftlichen Misserfolg. Mit dieser Individualisierung werden ungeeignete Strukturen verschleiert, soziale Probleme entöffentlicht und der politischen Auseinandersetzung entzogen. Widersprüchliche Anforderungen werden den Menschen zur individuellen Bearbeitung überlassen. Soziale Arbeit soll den individualisierten Misserfolg, Armut und Unterdrückung managen und wird damit in ihren eigenen Ansprüchen radikal in Frage gestellt. Die soziale Arbeit ist, vor allem wegen ihrer finanziellen Abhängigkeit, eine staatsvermittelte Profession. Sie ist dem staatlichen Auftrag verpflichtet, „Normalität“ zu produzieren und ihre AdressatInnen dahingehend zu kontrollieren. Und widersprechend 59 dazu, ist sie aus den eigenen ethischen und fachlichen Ansprüchen heraus verpflichtet, die Interessen der Betroffenen zu achten und sie darin zu unterstützen. Der Sozialstaat hat grundsätzlich kein Interesse an einem politischen Mandat Sozialer Arbeit - ihre Aufgabe ist aus seiner Perspektive nicht der Wandel, sondern die Sicherung des Bestehenden. Sie soll administrativ handeln, wodurch politisches Handeln vermieden wird und ihr vom Staat verordneter Fokus ist das Individuum, welches in seiner Umwelt wieder funktionieren soll. Die einzelnen SozialarbeiterInnen sind weiterhin ihren Institutionen als ArbeitnehmerInnen verpflichtet. Hier kann es zu Konflikten kommen, die als arbeitsrechtliche Konflikte erscheinen, im Grunde genommen jedoch einen politischen Kern beinhalten, weil sich fachliche / ethische und institutionelle / finanzielle Ansprüche gegenüber stehen. Sich selbst und ihren AdressatInnen verpflichtet, hat die Soziale Arbeit dann die Aufgabe, den politischen Gehalt durch Argumente ggf. unterstützt durch ihre Organisationen der Gegenmacht deutlich zu machen. Tatsächlich lässt sich ein teilweise politisches Mandat durch die staatsnahe Polity begründen. Vor allem in der Jugendhilfe sind die Voraussetzungen, sich auch politisch einzumischen, sehr gut. Andernorts, wie in der Sozialhilfe, fehlen gesetzliche Regelungen völlig. Der Gouvernancediskurs gibt Grund zur Hoffnung. Er birgt aber auch die Gefahr von Vereinnahmung durch „falsch“ verstandene Partizipation und Expertokratie. Mitbestimmung im Betrieb und gewerkschaftliche Organisierung, wie die Organisation außerparlamentarischer Oppositionen als explizit politische Orte, stehen zumindest formal einem jedem Menschen und so auch den SozialarbeiterInnen offen. Zumindest da wo sich gesetzliche Regelungen finden, ist die Soziale Arbeit zum politischen Handeln verpflichtet. Will sie ihren eigenen Auftrag der Schaffung besserer Lebensbedingung für ihre AdressatInnen ernst nehmen, dann muss sie auch alle anderen Möglichkeiten nutzen und sich für den Ausbau dieser Möglichkeiten engagieren. Würden nur einige von uns die Alltags- und Lebenswelttheorie ausbuchstabieren und in ihren Arbeitsalltag entsprechend implementieren, wäre die Soziale Arbeit vermutlich eine hochpolitische Angelegenheit. Der Versuch, durch die Beschreibung einer Theorie als Kompensation für die Untersuchung des politischen Bewusstseins von SozialarbeiterInnen ist damit, wie erwartet, gescheitert. Die Alltags- und Lebenswelttheorie entstand am Ende der hochpolitischen Phase der Sozialen Arbeit und behielt diesen Kern bei, weil sie sich nicht von den AdressatInnen entfernte, sondern nach dem Politischen in ihrem Alltag suchte, ohne den Alltag arrogant in Gänze zu verurteilen. Im Kern des Konzepts steckt eine marxistisch inspirierte Theorie des Alltags, welche die Borniertheit des Alltags erkennt, in ihm gleichzeitig aber das Entwicklungspotential für einen gelingenderen Alltag sucht. Als Teil des Sozialstaats ist für Hans Thiersch die Soziale Arbeit gleichzeitig eine innewohnende Kritik an ihm und den Machtverhältnissen, 60 in die er eingebettet ist. Denn ohne ihren fachlichen und ethischen Auftrag und der Forderung gerechter Verhältnisse ist sie nicht zu haben. Das Konzept erkennt die Soziale Arbeit als durch Institutionen vermittelte und gestützte Profession an, birgt aber gleichzeitig institutionelle Sprengkraft, weil es darauf Wert legt, das vorinstitutionelle Potential von Menschen in ihrer Umgebung zu stärken. Die Frage nach der guten Institution muss von den Bedürfnissen der AdressatInnen her gestellt werden. Die Strukturmaximen der Alltags- und Lebenswelttheorie, können als kommunal- und institutionspolitisches Programm einer alltags- und lebensweltorientierten Sozialen Arbeit begriffen werden. In vielen Kommunen der Bundesrepublik sind sie auch weitgehend umgesetzt worden, verloren aber dabei oft durch konservative Vereinnahmungen ihren emanzipativen Gehalt. Das liegt wohl auch daran, dass das Konzept wegen seiner Unschärfe für solche Vereinnahmungen offen war. Thiersch selber insistiert mittlerweile selbst darauf, den utopischen, parteilichen und politischen Kern der Theorie deutlicher zu benennen. Dass von Vereinnahmung zu sprechen ist, deutet wiederholt darauf hin, dass es bei der Frage nach politischer Sozialer Arbeit nicht nur um die Außenwirkung geht, sondern zunächst die fachinterne Auseinandersetzung ansteht. Die vorgestellte Auswahl der Handlungsmaximen möchte ich an dieser Stelle nicht noch einmal in Gänze diskutieren, sie stellen bereits zusammenfassende Aussagen und Ergebnisse der Arbeit dar. Klar zu stellen ist zunächst: Die Soziale Arbeit hat kein starkes politisches Mandat, weil sie in parlamentarische Prozesse wenig eingebunden ist. Das Adjektiv „wenig“ verweist aber auf die Annahme über Möglichkeiten. Es wäre natürlich interessant zu untersuchen, wie die Soziale Arbeit durch Gutachten, Stellungnahmen und die Beteiligung an Berichten von Regierungen auf politische Entscheidungen Einfluss nimmt. Vor allem in kommunalen Zusammenhängen wird ihr ein kodifiziertes politisches Mandat zugewiesen. Es bleibt die Frage, wie es genutzt wird. Politisch wird es erst, wenn sich die Akteure politisch begreifen und diese Bühnen zur Auseinandersetzung um Gerechtigkeitsfragen und bessere Lebensverhältnisse für ihrer AdressatInnen nutzen. Es gibt schließlich auch die Möglichkeit zur technokratischen fach-wissenschaftlichen Beratung politisch mächtiger Akteure. So etwas hat aber mehr mit Politikvermeidung zu tun. Technokratie fragt nicht nach den Interessen von Menschen, sondern schlägt von Wirklichkeit abstrahierte lineare Lösungen vor. Es gibt zahlreiche Modelle und Begründungen Sozialer Arbeit. Die hier vorgestellten Begründungen weisen ihr vornehmlich ein außerparlamentarisches, also ein eher schwaches politisches Mandat zu, weil sie ihr eine Verpflichtung gegenüber den AdressatInnen zuweisen. Ihre Problemlagen haben in vielfacher Weise mit den ungerechten sozialen Verhältnissen zu tun, die oft von politischen Entscheidungen strukturiert werden und durch politische Entscheidungen gerechter werden können. Eine 61 unpolitische Soziale Arbeit vor dem Hintergrund solcher Erkenntnisse wäre tatsächlich nicht mehr als eine Agentur bestehender Verhältnisse. Zahlreiche Fragen zu dieser Arbeit bleiben offen, das liegt nicht zuletzt an dem überhöhten Anspruch zu allem was zu sagen. Respektiv wäre die Auswahl eines Arbeitsbereichs besser geeignet gewesen um die Fragestellung zu bearbeiten. Die Frage nach dem Nutzten des politikwissenschaftlichen Dimensionenmodells, kann in diesem Rahmen ebenfalls hinterfragt werden. Hier wäre es sinnvoller, sich noch weiter einzugrenzen. D.h. einen oder einzelne politische Prozess zu untersuchen, an denen SozialarbeiterInnen beteiligt sind. Inhaltlich ist der gesellschaftliche Wandel nicht hinreichend beschrieben, was der weiten Darstellung von Grundsätzlichkeiten geschuldet ist. Es sind aber die konkreten und aktuellen Rahmenbedingungen, die uns verstehen lassen, wie sich die Subjekte in ihrer Wirklichkeit bewegen. Zur Lebensweltanalyse reicht die Kapitalismusbeschreibung nicht aus. Nicht zuletzt fehlen Beschreibungen des Ökonomisierungsdiskurses in der Sozialen Arbeit als ebenfalls politikvermeidende Strategie. Sie fanden schlichtweg keinen Platz. Unkonkret und unscharf bleibt vor allem auch die Forderung nach einer transformativen Politik der Anerkennung. Ich denke, die Suche nach einer Praxis, die dem gerecht wird, ist derzeit eine der schwierigsten überhaupt. Mir fehlen außer der Bejahung dieser Idee, auch weil ich als Migrant und in vielerlei Hinsicht unmännlicher Mann, selber oft genug die Nachteile eurozentristischer und androzentristischer Leitbilder erlebe, weitgehend konkrete Vorstellungen darüber, wie sie für eine konkrete Praxis Sozialer Arbeit operationalisiert werden können. Schließlich bleibt die Frage nach Utopien offen. Das Mögliche im Gegebenen suchen was ist eine konkrete Utopie? Thiersch bleibt bei der Beantwortung dieser Frage selbst unkonkret. Er beschreibt ihre Beschaffenheit – nicht was sie sein kann. Verbirgt sich dahinter nicht eine reformistische Politikidee mit dunkelrotem Anstrich? Ist die Idee einer herrschaftsfreien Gesellschaft eine konkrete Utopie, weil sie unter gegebenen historischen Bedingungen entstanden ist? Oder wird die Konkretheit bestimmt über die Entfernung der beiden Orte? Ist es bereits utopisch, dass ein benachteiligter Stadtteil, zu blühen beginnt, weil gute Kommunalpolitik, aktive BewohnerInnen und Soziale Arbeit einen gemeinsamen Weg gegangen sind? Ist die formale Anerkennung benachteiligter Gruppen Utopie oder erst die gesellschaftliche Transformation kultureller Bilder? Ich denke, das Bild vom Horizont kann hier sehr hilfreich sein, Thiersch verwendet es übrigens auch in dem WIDERSPRÜCHE-Interview, das bereits zitiert wurde. Reden wir von einem Horizont, so denken wir m.E. über etwas relativ Finales 204. Wir haben die Hoffnung, dass etwas eintritt, in dem wir uns in Gänze wohl fühlen. Formelle Anerkennungen und blühende Stadtteile, die von elenden Stadtteilen umgeben sind, 204 Relativ weil wir uns in einer ständigen Entwicklung befinden und auch immer neu aushandeln müssen was eine Utopie sein kann. 62 können aus der Perspektive emanzipativer Politik nicht final sein. Vielleicht versteht Thiersch unter solchen Errungenschaften aber auch die Stufenleitern. Ich hoffe es jedenfalls. 63 Literatur Autorenkollektiv: Alheim, Rose u.a. (1972): Gefesselte Jugend. Fürsorgeerziehung im Kapitalismus. Frankfurt am Main Altvater, Elmar (2005): Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. Münster Baltanski, Luc; Chiapello, Ève (2003): Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Frankfurt am Main Bitzan, Maria (2000): Konflikt und Eigensinn. Die Lebensweltorientierung repolitisieren. In: Neue Praxis, 30. Jg., H. 4, 335-346 Bitzan, Maria; Daigler, Claudia (2001): Eigensinn und Einmischung. Einführung in Grundlagen und Perspektiven parteilicher Mädchenarbeit. Weichheim und München Bitzan, Maria; Bölay, Eberhardt; Thiersch, Hans (2006): Im Gegebenen das Mögliche suchen. Ein Gespräch mit Hans Thiersch zur Frage: Was ist kritische Soziale Arbeit heute? In: Widersprüche, 26. Jg., H. 100, 63-73 BMJFFG (1990): Achter Jugendbericht. 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Esslingen, den 26. 11. 2008 ______________________ 71