Genetische Reaktionen auf extreme Umweltveränderungen am

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R. Finekeldey et al.
forstarchiv 83, 41-47
(2012)
DOI 10.4432/03004112-83-41
© DLV GmbH
Genetische Reaktionen auf extreme Umweltveränderungen
Genetische Reaktionen auf extreme Umweltveränderungen am
Beispiel von Kiefern bei Tschernobyl
Genetic reactions to extreme environmental change: Pines in Chernobyl as an example
ISSN 0300-4112
Korrespondenzadresse:
[email protected]
Eingegangen:
22.07.2011
REINER FINKELDEY, BARBARA VORNAM und OLEKSANDRA KUCHMA
Büsgen-Institut, Abteilung für Forstgenetik und Forstpflanzenzüchtung, Georg-August-Universität Göttingen, Büsgenweg 2,
37077 Göttingen, Deutschland
Angenommen:
24.10.2011
Kurzfassung
Durch den Reaktorunfall von Tschernobyl haben sich die Umweltbedingungen, unter denen Waldbäume in der unmittelbaren
Umgebung des explodierten Reaktors gedeihen, schlagartig verändert. In der nach der Katastrophe eingerichteten Sperrzone
um das Kraftwerk wachsen insbesondere Kiefernwälder (Pinus sylvestris), die entweder vor dem Unfall angelegt wurden
und damit sowohl hoher akuter als auch langjähriger chronischer Strahlung ausgesetzt waren, oder die nach dem Unfall
insbesondere in Gebieten mit extrem hoher Strahlung angepflanzt wurden und damit unter sehr hoher chronischer Belastung
leiden. Untersucht wurden sowohl bereits vor dem Unfall gepflanzte Bestände als auch jüngere, nach dem Unfall vorwiegend
als Schutz vor Winderosion angelegte Pflanzungen. Als Vergleich dienten jeweils Bestände gleichen Ursprungs und gleichen
Alters in nicht von hoher Strahlung belasteten Regionen.
Wir konnten somatische Mutationen in verschiedenen Bereichen des Kieferngenoms nachweisen, indem jeweils Material von
mehreren Zweigen unterschiedlicher Exposition desselben Baumes analysiert wurde. An Mikrosatelliten-Genorten wurden im
nicht belasteten Vergleichsmaterial keine Mutationen und wenige Mutationen bei den Kiefern um Tschernobyl festgestellt.
Höhere Mutationsraten wurden mit der AFLP (Amplifizierte Fragmentlängen-Polymorphismus)-Methode nachgewiesen. Hier
war die Mutationsrate der radioaktiv belasteten Kiefern etwa dreimal so hoch wie die für unbelastete Bäume geschätzte
Rate.
Signifikante Häufigkeitsunterschiede wurden bei Vergleichen genetischer Strukturen an AFLP zwischen Vergleichsbeständen
und Pflanzungen auf stark kontaminierten Böden gefunden. Die Differenzierung zwischen diesen Kollektiven war bei etwa
6 % der betrachteten AFLP-Genorte so hoch, dass sie nicht mit dem Zufall erklärt werden kann. Viele dieser Genorte unterliegen damit vermutlich der Selektion. Die Anpassungsfähigkeit von Kiefern an hohe Radioaktivität wird also auch von ihrer
genetischen Ausstattung beeinflusst, und Populationen reagieren auf die hohe Radioaktivität mit Änderungen ihrer genetischen Strukturen durch Selektion.
Untersuchungen zur Genexpression ergaben für ein für die physiologische Antwort von Pflanzen auf vielfältige Stressfaktoren
bedeutsames Katalase-Gen eine stark erhöhte Aktivität in radioaktiver Strahlung ausgesetzten Kiefern im Vergleich zu den
Kontrollen, während ein ebenfalls oft in Stressreaktionen involviertes Glutathionperoxidase-Gen in den belasteten Kiefern
weniger stark als in den Kontrollen exprimiert wurde. Schließlich konnten auch Unterschiede der Methylierungsmuster zwischen akut und chronisch radioaktiv belasteten Bäumen und Kontrollen beobachtet werden; erhöhte DNA-Methylierung stellt
ebenfalls eine mögliche Reaktion von Kiefern auf die Umweltveränderung dar.
Die Reaktionen von Kiefern auf stark erhöhte Radioaktivität sind also sehr komplex, beschränken sich nicht nur auf höhere
Mutationsraten, schließen Mechanismen zum Schutz der DNA wie Methylierung sowie veränderte Genexpressionsmuster ein
und zeigen sich auf der Ebene von Populationen auch in der Veränderung genetischer Strukturen durch Selektion.
Schlüsselwörter: Pinus sylvestris, Tschernobyl, radioaktive Strahlung, Mutation, Selektion, Genexpression, DNA-Methylierung, Umweltstress
Abstract
The nuclear accident of Chernobyl caused a drastic change of the environmental conditions for trees growing close to the
exploded reactor. Forests in the exclusion zone surrounding the nuclear power plant are dominated by pines (Pinus sylvestris).
Pine plantations were either established before the accident or were planted on extremely contaminated soils after the accident. The former experienced high acute followed by chronic radiation while the latter suffer from extremely high levels of
chronic radiation. We investigated both types of pine stands, i. e. plantations established before and after the accident, and
compared results to stands of the same origin and age in areas with normal levels of background radiation.
We observed somatic mutations in different regions of the pine genome by investigating tissue from several twigs with different exposition from the same tree. At microsatellite loci no mutations were observed in control trees and only few mutations
in pines close to the reactor. Mutation rates were higher at AFLP (Amplified Fragment Length Polymorphisms); a threefold
increase of the mutation rate was observed in trees exposed to high radioactivity in comparison to controls.
Comparisons of genetic structures at AFLP revealed significant differences between control populations and plantations established at contaminated sites after the accident. Random fluctuations of gene frequencies were excluded as likely causes of
the observed differentiation for approximately six percent of the investigated loci. Selection is likely to act on many of these
loci. The adaptive potential of pine trees to high radioactivity is influenced by their genetic constitution, and populations react
to high radioactivity by changes of their genetic structures due to selection.
The analysis of gene expression patterns in a catalase gene, which is known to be involved in general stress response of
many plant species, revealed a strong increase of the gene activity in pines exposed to high radioactivity in comparison to
the controls. The opposite tendency was observed for a glutathione peroxidase gene, which is also frequently affected in
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plants exposed to different types of stress; a slightly higher activity of this gene was observed in control trees. Finally, different
methylation patterns were observed between trees exposed to acute and chronic radiation in comparison to their controls.
Accordingly, DNA methylation might be another response of pines to environmental change.
In conclusion, we observed highly complex reactions of pines to high radioactivity. We observed elevated mutation rates,
protection of DNA by increased methylation, modified patterns of gene expression and changes of genetic structures due to
selection in response to the high levels of radioactivity experienced by pine trees in the Chernobyl exclusion zone.
Key words: Pinus sylvestris, Chernobyl, radiation, mutation, selection, gene expression, DNA methylation, environmental
stress
Einleitung
Der Reaktorunfall von Tschernobyl vom 26. April 1986 ist eine der
größten und folgenschwersten von Menschen verursachten Umweltkatastrophen. Große Gebiete der damaligen Sowjetunion, die heute zur Ukraine, zu Weißrussland und zu Russland gehören, wurden
massiv betroffen (Anspaugh et al. 1988). Deutlich erhöhte Strahlung
wurde auch in vielen anderen Ländern insbesondere Skandinaviens
und Mitteleuropas gemessen. Gravierende Folgeschäden betreffen
bis heute zunächst direkt die menschliche Gesundheit. Auch wenn
die Schätzungen der durch die Katastrophe erkrankten und verstorbenen Menschen weit auseinandergehen, so gilt doch ein erhöhtes
Risiko für verschiedene Formen von Krebs beim Menschen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, in den betroffenen Gebieten
der ehemaligen Sowjetunion als gesichert (Moysich et al. 2002).
Auch die Umwelt wurde teils massiv und nachhaltig von dem Unfall betroffen (Moller und Mousseau 2006). Erhöhte Radioaktivität
aufgrund des Reaktorunfalls wurde in unterschiedlichen aquatischen
und terrestrischen Ökosystemen auch noch nach vielen Jahren nachgewiesen (Yablokov et al. 2009). Vielfältige Veränderungen infolge erhöhter Radioaktivität wurden sowohl bei Pflanzen (Yablokov 2009b)
als auch bei Tieren (Yablokov 2009a) beobachtet. Direkt sichtbare
morphologische Veränderungen wurden dabei sowohl bei Pflanzen
als auch bei Tieren oft mit erhöhten Mutationsraten in Verbindung
gebracht (Kal’chenko und Fedotov 2001, Yablokov 2009a). Es wurde aber auch auf die hohe Komplexität der Reaktionen insbesondere
von Pflanzen auf erhöhte Radioaktivität verwiesen (Kovalchuk et al.
2004, Geras’kin et al. 2008).
Waldbäume eignen sich aufgrund fehlender Mobilität und langer
Lebensdauer besonders zur Untersuchung der Konsequenzen plötzlicher, drastischer Umweltveränderungen. Die durch den Reaktorunfall von Tschernobyl verursachte, extrem hohe Strahlenbelastung
insbesondere bei Bäumen, die in unmittelbarer Nähe zum Kraftwerk
wachsen oder die auf stark kontaminierten Böden gepflanzt wurden,
stellt eine einzigartige drastische Umweltveränderung für Pflanzen
dar. Da vergleichbar hohe Strahlung unter natürlichen Bedingungen
nicht auftritt, ist kaum von einer spezifischen „Präadaptation“ von
bestimmten Genotypen oder Arten an hohe Radioaktivität auszugehen; es liegt vielmehr nahe, dass Pflanzen, die plötzlich sehr hoher
Strahlung ausgesetzt werden, sich des ihnen zur Verfügung stehenden physiologischen und genetischen Instrumentariums der generellen Stressabwehr (z. B. Blokhina et al. 2003) bedienen.
Die meisten Wälder in der unmittelbaren Umgebung des explodierten Reaktors von Tschernobyl sind gepflanzte Kiefernbestände.
Kiefern gelten nicht zuletzt aufgrund ihres großen Genoms (Ahuja
und Neale 2005) und, damit zusammenhängend, des großen Zellkerns als besonders sensitiv gegenüber hoher radioaktiver Strahlung
(Sarapul’tsev und Geras’kin 1993). Auffällig ist die hohe Zahl von
Kiefern mit teilweise sehr starken morphologischen Veränderungen
wie Nadelverfärbungen (Abbildung 1), Wuchsstauchungen bis hin
zur Bildung von Rosettenformen, Verzweigungs-Anomalien und
42
Verbuschungen um Tschernobyl (Kuchma pers. Mitt., Kovalchuk
et al. 2003). Andere Baum- und Straucharten, insbesondere Birken
(Betula spp.), zeigen demgegenüber weniger morphologische Schäden und verjüngen sich besser natürlich in stark belasteten Gebieten
(Finkeldey pers. Beob.).
Kiefernwälder wurden bereits vor dem Unfall auf vielen Flächen
gepflanzt. Das für die Anlage dieser Bestände genutzte Vermehrungsgut entstammt überwiegend klonalen Samenplantagen der Region.
Die gepflanzten Wälder sind teilweise nur sehr wenige Kilometer
vom Kraftwerk entfernt. Viele Bäume haben dennoch bis heute
überlebt, da sie nicht in der Hauptwindrichtung zum Zeitpunkt des
Unfalls lagen. Dennoch sind diese Bäume sehr hoher akuter und
anschließend seit über 25 Jahren chronischer radioaktiver Strahlung
ausgesetzt gewesen.
Auf den am stärksten von radioaktiver Strahlung betroffenen
Waldflächen sind kurz nach dem Unfall alle Kiefern aufgrund der
extrem hohen akuten Belastung abgestorben; der Wald wurde zum
sogenannten „red forest“. Auf den meisten dieser Flächen wurden die
Vegetation und der sehr stark kontaminierte Oberboden nach dem
Abbildung 1. Gelbliche Nadelverfärbungen gehören zu den häufigsten Schäden bei
Kiefern in der Sperrzone um Tschernobyl.
Yellowish needles are among the most common damages of pine trees in the Chernobyl exclusion zone.
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Unfall abgetragen und in Gräben auf den Flächen gesammelt. Auf
diesen Gräben wurden zur Vermeidung von Winderosion Kiefern
gepflanzt. Diese Kiefern sind insbesondere im Boden hoher radioaktiver Belastung ausgesetzt und tragen dazu bei, dass insbesondere das
radioaktive Strontium 90 wieder in den Stoffkreislauf der Biosphäre
gelangt (Thiry et al. 2009).
Vorangegangene Untersuchungen von Kiefern um Tschernobyl
belegten erhöhte Mutationsraten an Isoenzym-Genorten (Kal’chenko
und Fedotov 2001), veränderte Expressionsmuster bei ausgewählten
Genen, die teilweise in Verbindung zu Reaktionen von Kiefern auf
Umweltstress stehen (Zelena et al. 2005), und erhöhte DNA Methylierung als Schutzmechanismus vor radioaktiver Belastung (Kovalchuk et al. 2003). Diese Untersuchungen wurden an unterschiedlichem Material und zu verschiedenen Zeitpunkten durchgeführt.
Um die relative Bedeutung dieser Prozesse besser zu verstehen und
um zusätzlich möglichen Veränderungen genetischer Strukturen bei
Kiefern aufgrund von Selektion nachzugehen, haben wir an einheitlichem Material aus mehreren Kiefernbeständen in der Sperrzone um
Tschernobyl sowie geeignetem Vergleichsmaterial aus unbelasteten
Regionen die folgenden Hypothesen getestet:
•Kiefern um Tschernobyl mutieren aufgrund der erhöhten Strahlung häufiger als Vergleichsbäume in unbelasteten Regionen.
•Die erhöhte Strahlung führt zu Viabilitätsselektion, da nicht alle
Genotypen gleich an erhöhte Strahlung angepasst sind.
•Gene, die generell auf verschiedene Formen von Umweltstress
mit erhöhter Aktivität reagieren, zeigen auch bei Kiefern um
Tschernobyl veränderte Expressionsmuster im Vergleich zu unbelasteten Kontrollen.
•Hoher Radioaktivität ausgesetzte Kiefern zeigen eine höhere
globale Methylierung ihrer DNA.
Material und Methoden
Material
Material wurde in vier verschiedenen Beständen geerntet (Tabelle
1). Da in einer der Populationen zwei Kollektive phänotypisch ausgewählt wurden, werden fünf Kollektive (Deme) unterschieden. P1
sind zum Zeitpunkt der Beerntung 50-jährige Kiefern, die ca 2,5 km
vom explodierten Reaktor entfernt stehen und die damit als junge
Bäume hoher akuter und anschließend chronischer Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen sind. P5 sind Bäume gleichen Ursprungs
und Alters in einer unbelasteten Region der Ukraine. P2 und P3
sind Kollektive, die zum Zeitpunkt der Beerntung 20 Jahre alt waren
und kurz nach dem Unfall auf extrem belasteten Böden im Gebiet
des vormaligen „red forest“ gepflanzt wurden. Es wurden hier jeweils
direkt nebeneinanderstehene Bäume paarweise beerntet, ansonsten
erfolgte die Auswahl der Bäume in allen Kollektiven zufallsmäßig.
Bäume des Kollektivs P2 wiesen starke morphologische Schäden auf;
das Kollekiv P3 besteht aus nicht oder nur wenig geschädigten Bäumen. Kollektiv P4 ist ein Bestand gleichen Ursprungs und Alters wie
P2/P3 in einer unbelasteten Region und dient als Vergleichsfläche.
Von jedem Kollektiv wurden zwischen 48 und 66 Bäume beerntet (Tabelle 1). Von jedem Baum wurden von mehreren, in der Regel vier Zweigen mit unterschiedlicher Exposition (Nord, Ost, Süd,
West) Nadeln geerntet, die in Plastiktüten mit Silicagel getrocknet
und so ins Labor nach Göttingen gebracht wurden. Zudem wurden
von den Kollektiven P1, P2, P4 und P5 von fünf zufallsmäßig ausgewählten Bäumen Nadeln in lückenloser Kühlkette direkt aus dem
Wald ins Labor zur Extraktion von RNA nach Göttingen gebracht.
Methoden
Radioaktive Belastung
Die radioaktive Belastung, der das Material ausgesetzt war, wurde
sowohl extern (im Untersuchungsgebiet) als auch durch Messung der
absorbierten Dosis auf Basis der wichtigsten radioaktiven Elemente
geschätzt (Kuchma et al. 2011).
Extraktion
Genomische DNA wurde mit dem Dneasy Plant Minikit von QIAGEN nach dem Protokoll des Herstellers extrahiert. Die Extraktion
von RNA folgte dem Protokoll von Chang et al. (1993).
Mutationen
Die insgesamt 843 Proben von 264 Bäumen wurden an neun hypervariablen Mikrosatelliten-Genorten untersucht. Die Kollektive P2,
P3 und P4 (insgesamt 533 Proben) wurden zudem mittels der AFLP
(Amplifizierte Fragmentlängen-Polymorphismus)-Methode (Vos et
al. 1995) analysiert. Details zu den untersuchten Labormethoden
sind in Kuchma et al. (2011) beschrieben. Da von jedem Baum mehrere, in der Regel vier Proben untersucht wurden, konnte überprüft
werden, ob diese Proben alle wie erwartet identische Muster zeigen.
Wurde streng wiederholbar Variation innerhalb eines Baumes beobachtet, so wurde dies als Mutation interpretiert. Die an Mikrosatelliten beobachteten Mutationen wurden durch Sequenzierung der
jeweiligen Fragmente charakterisiert (Kuchma et al. 2011). Mutationsraten wurden durch Division der beobachteten Mutationsereignisse durch die jeweilige Anzahl der Beobachtungen geschätzt. Unterschiede der Mutationsraten zwischen Kollektiven wurden mittels
eines χ2-Tests auf statistische Signifikanz überprüft.
Selektion
Genetische Strukturen der Kollektive P2, P3 und P4 wurden mittels
der AFLP-Methode an AFLP-Genorten erhoben. Polymorphismen
an einzelnen Fragmenten wurden als durch einen dominanten Genort
verursacht interpretiert. Allelhäufigkeiten wurden nach Zhivotovsky
(1999) unter der Annahme von Hardy-Weinberg-Proportionen geschätzt. Die Annahme ist gerechtfertigt, da sich beim gleichen Material nach Untersuchung kodominanter Mikrosatelliten-Genorte für
die Mehrzahl der Genorte keine signifikanten Abweichungen zwischen beobachteter und erwarteter Heterozygotie ergaben (Kuchma
et al. 2011). Unterschiede zwischen den Kollektiven wurden mittels
eines χ2-Tests auf statistische Signifikanz überprüft. Zudem wurden
„outlier“-Genorte mittels der Software DFDIST (http://www.rubic.
Tabelle 1. Untersuchte Kiefern-Kollektive.
Investigated groups of pine trees.
Kollektiv
P1 (Altbäume, belastet)
Anzahl Bäume
Anzahl Proben
Ungefähres Alter
(Jahre)
Schadsymptome
Art der radioaktiven
Belastung
50
197
50
Vorhanden
Akut und chronisch
P2 (junge Bäume, belastet)
48
156
20
Stark
Chronisch
P3 (junge Bäume, belastet)
50
167
20
Schwach
Chronisch
P4 (junge Bäume, Kontrolle)
66
210
20
Keine
Keine
P5 (Altbäume, Kontrolle)
50
113
50
Keine
Keine
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Tabelle 2. Von den fünf untersuchten Kollektiven absorbierte radioaktive Dosis in
Gray pro Jahr (Gy p. a.).
Absorbed dosis of radioactivity by the 5 groups in Grey per year (Gy p. a.).
Kollektiv
Tabelle 3. Mutationen an AFLP-Genorten.
Mutations at AFLP loci.
Kollektiv
Absorbierte Dosis (Gy p. a.)
P1 (Altbäume, belastet)
5,7
P2 (junge Bäume, belastet)
10,6
P3 (junge Bäume, belastet)
9,0
P4 (junge Bäume, Kontrolle)
3,0 x 10-6
P5 (Altbäume, Kontrolle)
2,3 x 10-6
rdg.ac.uk/~mab/stuff/) auf der Basis der von Beaumont und Balding
(2004) vorgeschlagenen Methode zur Erkennung von Genorten, deren Häufigkeitsverteilungen auf Selektion schließen lassen, identifiziert. Weitere Hinweise zu den für die Untersuchung von Selektion
genutzten Methoden finden sich in Kuchma und Finkeldey (2011).
Anzahl Mutationen Mutationsrate
P2 (junge Bäume, belastet)
34
3,99 x 10-3
P3 (junge Bäume, belastet)
32
3,74 x 10-3
P4 (junge Bäume, Kontrolle)
12
1,06 x 10-3
Mutationen
An Mikrosatelliten-Genorten wurden im gesamten untersuchten
Material nur vier Mutationen gefunden. Keine Mutation wurde bei
den Kontrollkollektiven P4 und P5 beobachtet, in den radioaktiver Strahlung ausgesetzten Kollektiven wurden eine (P1, P3) bzw.
zwei Mutationen (P2) erkannt. Eine Sequenzierung der mutierten
Fragmente und der jeweils entsprechenden „Wildtypen“ ergab, dass
Deletionen im Wiederholungsmotiv die Grundlage für die vier Mutationen war. Mutationsraten wurden im Bereich von 2,8x10-4 (P1)
bis 7,1x10-4 (P2) geschätzt (Kuchma et al. 2011). Aufgrund der insgesamt geringen Anzahl beobachteter Mutationen war der Unterschied zwischen den belasteten Kiefern und den Kontrollpflanzen
statistisch nicht signifikant, obwohl nur bei den belasteten Bäumen
Mutationen an Mikrosatelliten beobachtet wurden.
Höhere Mutationsraten wurden bei AFLP geschätzt (Tabelle 3).
Die Mutationsrate erwies sich bei den hoher chronischer Belastung
ausgesetzten Kollektiven P2 und P3 als mehr als dreimal so hoch im
Vergleich zu den Kontrollbäumen gleichen Alters (P4); dieser Unterschied ist höchst signifikant.
Genexpression
Die isolierte RNA wurde zunächst in cDNA (complementary DNA)
umgeschrieben. Basierend auf zuvor identifizierten genomischen Sequenzen der Gene Katalase (Cat), Glutathionperoxidase (GPx) und,
als Referenzgen, α-Tubulin, wurde die Aktivität der Gene in Nadelgewebe in jeweils fünf Bäumen der Kollektive P1, P2, P4 und P5
mittels Realtime-PCR (RT-PCR) gemessen (Vornam et al. in Vorb.).
DNA-Methylierung
Die globale DNA-Methylierung wurde mittels der methylierungssensitiven AFLP-Methode (Xu et al. 2000) für jeweils fünf Bäume
der Kollektive P1, P2, P4 und P5 ermittelt (Vornam et al. in Vorb.).
Selektion
Von insgesamt 222 untersuchten AFLP Genorten erwiesen sich
auch unter sehr stringenten Bedingungen 15 Genorte als „outlier“
nach der Analyse mittels DFDIST (Kuchma und Finkeldey 2011).
Häufigkeitsunterschiede zwischen den Kollektiven P2, P3 und P4
(Abbildung 2) waren bei diesen Genorten mit wenigen Ausnahmen
hoch signifikant (χ2-Test mit Bonferroni Korrektur) beim Vergleich
der Kollektive P2 bzw. P3 (belastet) mit P4 (Kontrollpflanzen), nicht
aber beim Vergleich zwischen dem phänotypisch stark geschädigten Kollektiv P2 mit dem wenig geschädigten Kollektiv P3. Bei 15
von 222 betrachteten AFLP Genorten (> 6 %) wurden also Häu-
Ergebnisse
Radioaktive Belastung
Die radioaktive Belastung war, wie erwartet, bei den Kiefern in der
Sperrzone von Tschernobyl um ein Vielfaches höher als bei den Kontrollkollektiven P4 und P5, die lediglich natürlicher Hintergrundstrahlung ausgesetzt waren (Tabelle 2). Ebenfalls konnte eine höhere
jährlich absorbierte Strahlung bei den Kollektiven P2 und P3 im
Vergleich zu P1 erwartet werden, da diese Kollektive auf extrem kontaminierten Böden des vormaligen „red forest“ gepflanzt waren.
1
Allelhäufigkeit
0,8
Abbildung 2. Geschätzte Allelhäufigkeiten an 15 „outlier“ AFLP-Genorten in drei Kollektiven der Kiefer (Kuchma und Finkeldey 2011,
verändert).
Estimated allele frequencies at 15
outlier AFLP gene loci in 3 groups of
pines (Kuchma and Finkeldey 2011,
modified).
44
0,6
0,4
0,2
0
1
2
3
4
5
P2-belastet geschädigt
6
7
8
9
Genorte
10
11
P3-belastet wenig geschädigt
12
13
14
15
P4-Kontrolle
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figkeitsunterschiede zwischen den Kollektiven radioaktiv belasteter
und nicht belasteter Kiefern gefunden, die auf Selektion schließen
lassen.
Genexpression
Vergleiche der Genexpression von Cat und GPx zwischen den radioaktiv belasteten Pflanzen der Kollektive P1 und P2 mit den jeweiligen Kontrollpflanzen (P4 und P5) ergaben sehr ähnliche Resultate:
Bei insgesamt sehr hoher Variabilität auch innerhalb der Kollektive
wird Cat in radioaktiv belasteten Pflanzengewebe deutlich stärker, im
Durchschnitt etwa 16-fach, exprimiert als in den Kontrollpflanzen.
Bei GPx wurde dagegen eine schwächere Expression bei den radioaktiver Strahlung ausgesetzten Kollektiven beobachtet, die nur etwa
die Hälfte der bei den Kontrollen gemessenen Werte erreicht. Die
Expression des Referenzgens α-Tubilin ist in den belasteten Proben
nur geringfügig höher als in den Kontrollen, sodass der methodische
Ansatz der Beobachtung von Expressionsprofilen mittels realtimePCR gerechtfertigt ist (Vornam et al. in Vorb.).
DNA-Methylierung
Im Vergleich zu den Kontrollen zeigt sich bei den akut und chronisch
belasteten Bäumen (P1) ein deutlich erhöhter Anteil vollständig methylierter AFLP-Fragmente im Vergleich zur Kontrolle (P5) (Tabelle
4). Dies gilt allerdings nicht für den entsprechenden Vergleich bei
den jüngeren Pflanzen (P2 und P4), denn hier wurde sogar eine etwas erhöhte vollständige Methylierung bei den Kontrollpflanzen beobachtet (Vornam et al. in Vorb.).
Diskussion
Mutationen
Wie erwartet, wurden mehr Mutationen in den Kollektiven radioaktiv belasteter Kiefern als in den Kontrollen gefunden. Die seit Langem bekannte mutagene Wirkung radioaktiver Strahlung (Evans und
DeMarini 1999) und die erhöhte Mutationshäufigkeit bei Tieren
und Pflanzen, die langfristig erhöhter Strahlung im Sperrgebiet um
Tschernobyl ausgesetzt waren (z. B. Kovalchuk et al. 2000, Geras’kin
et al. 2008), wurde also auch für Kiefern bestätigt. Überraschend war
die im Vergleich zu den Mutationen an Mikrosatelliten-Genorten
höhere Mutationsrate an AFLP. Da bislang kaum vergleichbare Daten zu Mutationshäufigkeiten bei AFLP vorliegen, sind die Gründe
für die unerwartet hohen Raten unklar. Der hohe Anteil repetitiver
Sequenzen im Genom von Koniferen (Kovach et al. 2011) ist ein
Faktor, der möglicherweise genomweit hohe Mutationsraten zulässt.
Die Ergebnisse legen weitere Untersuchungen zu Mutationsraten
auch bei anderen Organismen und weniger extrem veränderten Umwelten auf der Basis von AFLP-Analysen nahe. Dabei ist auf strikte
Wiederholbarkeit der Analysen und eine sorgfältige Aufbereitung der
Proben zu achten (Kuchma und Finkeldey 2011).
Mutationen waren bei den diesbezüglich untersuchten Kollektiven aus der Sperrzone um Tschernobyl zwar hoch signifikant häufiger als in den Kontrollbeständen, es konnten aber keine deutlichen
Unterschiede zwischen den Kollektiven der stark bzw. wenig geschädigten Bäume (P2 und P3) beobachtet werden. Dies schließt eine
Beteilgung von Mutationen an den beobachteten phänotypischen
Veränderungen (Nadelverfärbungen, Wuchsstauchungen etc.) aber
keinesfalls aus, da durch die AFLP-Untersuchungen nur ein winziger
Ausschnitt des Kieferngenoms abgedeckt wird.
Selektion
Die Beobachtung eines hohen Anteils von mit der AFLP-Methode
zufallsmäßig amplifizierten Genorten, deren Allele hoch signifikante
Häufigkeitsunterschiede zwischen radioaktiv belasteten und Kontrollkollektiven aufweisen, die deutlich gegen deren selektive Neutralität sprechen, ist bemerkenswert. Die geringe Differenzierung
zwischen den Kollektiven junger Kiefern, die hoher chronischer Belastung durch Radioaktivität ausgesetzt wurden (P2, P3) und den
Kontrollpflanzen (P4) an den meisten untersuchten Genorten entspricht der durch Bestandesaufzeichnungen belegten Aussage, dass
der Ursprung dieser Kollektive dieselbe Klon-Samenplantage war. Es
zeigen sich aber an über 6 % der betrachteten Genorte Hinweise auf
Selektion, die mit der hohen Mortalität in den auf den stark kontaminierten Flächen des ehemaligen „red forest“ gepflanzten Beständen
(P2 und P3) in Zusammenhang stehen dürften. Die Ergebnisse stützen also die Hypothese, dass sich Kiefern je nach ihrer genetischen
Ausstattung mehr oder weniger gut an so extreme Umweltveränderungen anpassen können, wie sie der Reaktorunfall von Tschernobyl
mit sich brachte.
Der auf anonymen AFLP-Markern basierende Untersuchungsansatz lässt keine Aussagen über vermutlich an der Anpassung beteiligte Genorte zu. Die Ergebnisse deuten jedoch auf komplexe Veränderungen genetischer Strukturen in unterschiedlichen Bereichen
des Genoms, da die Differenzierungsmuster an einem überraschend
hohen Anteil der untersuchten Genorte auf die Wirkung von Selektion schließen lassen. Untersuchungen zur adaptiven genetischen
Differenzierung bei anderen europäischen Baumarten mit vergleichbaren Methoden ergaben sowohl für die Fichte (Picea abies, Achere
et al. 2005) als auch für die Buche (Fagus sylvatica, Jump et al. 2006)
einen geringen Anteil von „outlier“-Genorten, die vermutlich der Selektion unterliegen. An vielen Genorten dürften daher Unterschiede
zwischen Genotypen auftreten, die die Möglichkeiten der Anpassung
an hohe radioaktive Strahlung mitbestimmen. Die allelische Variation jedes einzelnen Genorts trägt dabei vermutlich nur wenig zu den
unterschiedlichen Anpassungsfähigkeiten von Genotypen bei.
Genexpression
Die Untersuchung von zwei Genen, die zum Schutz vor oxidativem
Stress durch reaktive Sauerstoffverbindungen wie Wasserstoffperoxid (H2O2) beitragen, ergab kontrastierende Ergebnisse, die jedoch
vorangegangene Untersuchungen an Pflanzen in der Sperrzone um
Tabelle 4. Anteile methylierter Fragmente (in %) nach methylierungssensitiver AFLP.
Proportion (in percent) of methylated fragments after methylation-sensitive AFLP analyses.
Kollektiv
Vollständig methyliert (%)
Hemimethyliert (%)
Nicht methyliert (%)
P1 (Altbäume, belastet)
57,7
17,7
24,6
P5 (Altbäume, Kontrolle)
38,8
15,3
45,9
P2 (junge Bäume, belastet)
42,6
42,6
14,8
P4 (junge Bäume, Kontrolle)
48,8
33,3
18,4
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Genetische Reaktionen auf extreme Umweltveränderungen
Tschernobyl unterstützen. Eine deutlich erhöhte Aktivität eines Katalase-Gen (Cat) wurde auch bei Arabidopsis thaliana Pflanzen nachgewiesen, die aus Samen entstanden sind, welche in Versuchen in der
Nähe des Reaktors von Tschernobyl geerntet wurden (Kovalchuk et
al. 2004). Die erhöhte Radioaktivität führt vermutlich bei Pflanzen
auch zu oxidativem Stress, der als Reaktion der Pflanze unter anderem auch eine erhöhte Aktivität von Katalasen induziert, die hoch
reaktives Wasserstoffperoxid in Sauerstoff und Wasser umsetzen.
Eine entgegengesetzte Tendenz wurde bei Glutathionperoxidase
(GPx) beobachtet. Ähnliche Resultate wurden bereits von Zelena et
al. (2005) bei Kiefern um Tschernobyl beobachtet. Bei Glutathionperoxidasen handelt es sich ebenso wie bei Katalasen um Genfamilien. Entsprechend ungewiss ist die Reaktion eines einzelnen Gens
auf Umweltveränderungen. Außer der erwarteten und im Falle von
Cat beobachteten erhöhten Aktivitiät eines in Stressantworten beteiligten Gens unter extremen Umweltbedingungen kann es durch
veränderte Aktivitätsmuster bei anderen, nicht beobachteten Genen
der Familie auch zu geringerer Aktivität kommen.
Die dargestellten Resultate belegen die Bedeutung von geänderten Aktivitäten von Genen für die Anpassung von Bäumen an hohe
Radioaktivität. Weitere Untersuchungen an einer wesentlich höheren
Anzahl von Genen werden erforderlich sein, um die vermutlich sehr
weitreichenden Änderungen der Genexpressionsmuster bei Kiefern,
die hoher Radioaktivität ausgesetzt wurden, besser zu verstehen.
DNA-Methylierung
Die an akut und chronisch belasteten Kiefern beobachteten Muster
der DNA Methylierung lassen eine erhöhte globale Methylierung als
Schutz vor Schädigungen der DNA vermuten. Ähnliche Ergebnisse wurden auch von Kovalchuk et al. (2003) berichtet; die Autoren
sehen die von ihnen beobachtete Hypermethylierung bei Kiefern in
der Tschernobyl-Sperrzone als Schutz vor einer Instabilität des Genoms. Unsere Ergebnisse weisen allerdings auf eine erhebliche Variation der globalen DNA-Methylierung auch zwischen nicht radioaktiv belastenen Bäumen hin. Zudem ergab der Vergleich der jüngeren,
zwar stark chronisch, aber nicht akut radioaktiv belasteten Bäume
und der entsprechenden Kontrollen keine deutlichen Hinweise auf
erhöhte DNA-Methylierung. Die Klärung der Bedeutung von Methylierung als genomische Stabilität fördernder Schutzmechamismus
und, damit zusammenhängend, von epigenetischen Effekten bedarf
also weiterer Untersuchungen.
Reaktionen von Kiefern auf erhöhte Radioaktivität
Die dargestellten Untersuchungen belegen die hohe Komplexität
der Antworten von Kiefern auf erhöhte radioaktive Strahlung nach
dem Reaktorunfall von Tschernobyl. Unser Untersuchungsansatz
zeichnet sich durch die Beobachtung verschiedener Reaktionen an
einheitlichem Material und durch konsequente Vergleiche mit radioaktiv nicht belasteten Kontrollen aus.
Neben erhöhten Mutationsraten konnte insbesondere auch Viabilitätsselektion als Evolutionsfaktor erkannt werden, der genetische
Strukturen der Kiefern um Tschernobyl verändert. Zusätzlich zu
diesen auf der Ebene von Populationen beobachteten Phänomenen
wurden auf der Ebene der Physiologie einzelner Pflanzen geänderte
Aktivitäten von Genen, die an der allgemeinen Stressantwort von
Pflanzen beteiligt sind, und bei akut und chronisch belasteten Bäumen ein erhöhter Methylierungsgrad beobachtet.
Die Untersuchungen belegen also, dass die drastische Veränderung
eines Umweltfaktors zu höchst komplexen Reaktionen von Bäumen
führt, die zumindest teilweise als Anpassungsreaktionen verstanden
werden können. Die Reaktionen von Kiefern in der Sperrzone von
Tschernobyl manifestieren sich also keinesfalls allein in erhöhten
Mutationsraten. Die Hinweise auf Selektion deuten an, dass die
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R. Finekeldey et al.
hohe genetische Variation von Bäumen zu adaptiven Veränderungen
genetischer Strukturen auch dann führen kann, wenn Populationen
plötzlich Umweltbedingungen ausgesetzt werden, denen sie im Laufe ihrer Evolution niemals zuvor begegnet sind. Natürlich zeigt die
Beobachtung von Kiefern um Tschernobyl aber auch die Grenzen
der Anpassungsfähigkeit auf: Kiefernbestände in der extrem belasteten Zone des „red forest“ starben vollständig ab; weder physiologische
noch evolutionäre Anpassungsprozesse konnten dies verhindern.
Danksagung
Diese Untersuchungen wären ohne die stimulierende Zusammenarbeit mit
Dr. Andriy Arkhipov niemals durchgeführt worden; ihm gilt daher unser
besonderer Dank. Wir danken ihm und Mykola Kuchma auch für Hilfe bei
der Beerntung von Untersuchungsmaterial sowie Olexandra Dolynska und
Gerold Dinkel für die sorgfältige Durchführung von Laborarbeiten. Die Arbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; Az. Fi
569/11-1) finanziell gefördert. Zwei anonymen Gutachtern danken wir für
die aufmerksame Durchsicht des Manuskripts und hilfreiche Hinweise zur
Verbesserung.
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