2. Philharmonisches Konzert Reihe A Mittwoch · 2. Oktober 2013 20 Uhr · Volkshaus Magnus Lindberg (*1958) Expo Carl Nielsen (1865-1931) Konzert für Klarinette und Orchester op. 57 Allegretto un poco Pause Jean Sibelius (1865-1957) En Saga op. 9 Moderato assai - Allegro Jean Sibelius Karelia Suite op. 11 Intermezzo Ballade Alla marcia Dirigentin: Anna-Maria Helsing Klarinette: Christof Reiff Die Dirigentin Die finnische Dirigentin Anna-Maria Helsing ist eine der aufstrebenden Absolventinnen der renommierten Sibelius Akademie Helsinki. Schon kurz nach Beginn ihres Studiums in der Dirigierklasse von Leif Segerstam wurde sie 2008/2009 von der Internationalen Dirigentenakademie der Allianz Kulturstiftung ausgewählt, als eine von drei jungen Dirigenten bei Proben sowie einem Konzert mit dem Philharmonia Orchestra London mitzuwirken und an Meisterkursen bei Esa-Pekka Salonen und Gustavo Dudamel teilzunehmen. Nach Abschluss ihres Dirigierstudiums wurde Anna-Maria Helsing 2010/2011 zur Chefdirigentin der Oulu Sinfonia ernannt. Zuvor war sie Künstlerische Leiterin der Pietarsaari Sinfonietta und Dirigentin des finnischen Wegelius Kammerorchesters . Innerhalb kurzer Zeit hat Anna-Maria Helsing alle großen Orchester Finnlands dirigiert, darunter das Finnish Radio Symphony Orchestra, Helsinki Philharmonic Orchestra, Tampere Philharmonic, Tapiola Sinfonietta und das Orchester der Finnischen Nationaloper. Sie dirigierte das Staatliche Symphonieorchester Estlands sowie das Odense Symfoniorkest. In der Saison 2011/2012 gab sie ihr Deutschland-Debüt mit dem Staatsorchester Braunschweig und dirigierte erstmals die Jenaer Philharmonie. Von 2006 bis 2007 assistierte sie als Dirigentin an der Finnischen Nationaloper (Kung Karls jakt von Fredrik Pacius) und beim Savonlinna Opernfestival. 2007 dirigierte sie die Uraufführung der Oper »Hallin Janne« von Jukka Linkola mit der Jyväskylä Sinfonia. 2008 folgte ihr Debüt an der Finnischen Nationaloper mit »Adriana Mater« von Kaija Saariaho. 2010 leitete sie die Neuproduktion von Gianni Schicchi/Cavalleria Rusticana in Oulu sowie 2011 Domenico Cimarosas »Il Matrimonio Segreto« beim Savonlinna Opernfestival. Zukünftige wichtige Engagements folgen mit ihren Debüts beim Göteborg Symphony, Trondheim Symphony Orchestra, an der Tampere Opera mit »Madame Butterfly«, bei den Bochumer Symphonikern sowie ihren Wiedereinladungen beim Finnish Radio Symphony Orchestra, Tampere Philharmonic, Staatsorchester Braunschweig und der Jenaer Philharmonie. Als Geigerin erhielt Anna-Maria Helsing ihr Diplom am Konservatorium von Pietasaari und an der Musikakademie in Bydgoszcz in Polen. Anna-Maria Helsing gewann 1999 den Ersten Preis des Internationalen Wettbewerbs für Musik des 20. Jahrhunderts für Junge Künstler in Warschau. Sie absolvierte mehrere Dirigierworkshops, unter anderem bei Jorma Panula, Vladimir Jurowski und John Carewe. 2011 wurde Anna-Maria Helsing mit der Louis Spohr Medaille der Stadt Seesen bei Braunschweig ausgezeichnet, die damit erstmals einem Dirigenten verliehen wurde. Der Solist Nach seinem Studium der Orchestermusik und Musikpädagogik bei Prof. Hans Pfeifer in Mannheim warChristof Reiff zunächst als Praktikant im Sinfonieorchester des SWR und anschließend vier Jahre als stellvertretender Soloklarinettist des Philharmonischen Staatsorchester Halle tätig. Die Professoren François Benda, Hans Deinzer, Thomas Friedli und Georg Zeretzke prägten ihn auf seinem weiteren Berufs- und Lebensweg. Erfolgreiche Soloverpflichtungen realisierte er mit der Klassischen Philharmonie Bonn, dem Philharmonischen Staatsorchester Halle, der Jenaer Philharmonie, der Philharmonie Hradec Králové und der Blue Beans Big Band. Als Kammermusiker tritt er vorzugsweise mit der Pianistin Helena Suchárová und der Organistin Christina Lauterbach in Erscheinung. Christof Reiff ist seit 1997 Soloklarinettist der Jenaer Philharmonie. Die Komponisten und ihre Werke Emotionale Kraft und Überschwang kennzeichnen die vier Kompositionen aus dem hohen Norden. Besonders bei den Werken von Jean Sibelius, der sich von der nordischen Natur, der Sagenwelt und Mythologie inspirieren ließ, entstehen zusehends feingliedrige, impressionistische Gewebe. Carl Nielsen und der zeitgenössische Komponist Magnus Lindberg spielen mit den Gegensätzen und kreieren aus zunächst einfachen melodischen Einheiten musikalische Konstrukte voller Dramatik, Dichte und Brillanz. Magnus Lindbergs Expo aus dem Jahre 2009 markiert den Beginn seiner Künstlerresidenz beim New York Philharmonic. Komponiert für das erste Konzert des Orchesters unter der Leitung von Alan Gilbert, folgt »Expo« einer langen Tradition, eine Veranstaltung feierlich zu eröffnen und so verwundert es nicht, dass die Komposition allen Instrumentengruppen den größtmöglichen Spielraum zur Entfaltung einräumt. Zudem spielt Lindberg mit dem Wort selbst: Expo – Exposition – Einleitung. Mit einem Peitschenknall beginnt Expo und erinnert dabei stark an Ravels Klavierkonzert in G-Dur. Die Streicher artikulieren im Unisono den Ton G – ein Verweis auf den Anfangsbuchstaben von Alan Gilberts Nachnamen. Das zu Beginn vorgestellte musikalische Material stützt vollständig Lindbergs Komposition. Genau genommen handelt es sich dabei um eine mehrteilige Einleitung, welche die wirbelnden Violinen mit den dunklen choralartigen Blechbläsern und mit den Holbläsern kontrastiert. Magnus Lindberg, geboren 1958 in Helsinki, war zunächst hauptsächlich als Pianist tätig und widmete sich zunächst neuer finnischer Klaviermusik. 1982 gründete er zusammen mit anderen finnischen Musikern das »Ensemble Toimii!« für Neue Musik. Seine Kompositionsstudien begann Lindberg an der Sibelius Academy in Helsinki bei Einojuhani Rautavaara und Paavo Heininen, welches er 1981 abschloss. Private Studien folgten bei Vinko Globokar und Gérard Grisey in Paris, bei Franco Donatoni in Siena und Brian Ferneyhough in Darmstadt. Als Schüler von Osomo Lindemann, am elektronischen Studio EMS in Stockholm und in mehreren Arbeitsaufenthalten bei IRCAM in Paris beschäftigte sich Lindberg mit den Möglichkeiten elektronischer Musik. 1992 erhielt Lindberg den Music Awards der Royal Philharmonic Society in London; 2000 gewann er den Europäischen Kompositionspreis im Rahmen des Young Euro Classic Festivals in Berlin. Von September 2009 bis 2012 war Magnus Lindberg Composer in Residence beim New York Philharmonic unter der Leitung von Alan Gilbert. Außer den Streichern besetzt Carl Nielsen das Orchester in seinem Konzert für Klarinette und Orchester op. 57 aus dem Jahre 1928 nur noch mit je zwei Fagotten und Hörnern sowie einer kleinen Trommel, welche eine bedeutende Rolle inne hat, die die Komposition stützt und vorantreibt. Nielsen setzt somit die Tendenz zu kammermusikalischer Auflösung fort, welche bereits in seinem Flötenkonzert – zwei Jahre zuvor – angedeutet wurde. Darüber hinaus löst sich Nielsen vom traditionellen Formschema, indem er das Werk in einem Satz durchkomponiert, jedoch Sonatenexposition, Mittelteil, Scherzo und Finale in das Konzert mit einschließt, indem er die Übergänge mittels Kadenzen der Soloklarinette verwischt. Obwohl sich die Tonarten in einem ständigen Konflikt befinden, endet die Komposition in der Tonart, in der sie begonnen hat. Charakteristisch für den späten Nielsen ist die Konzentration auf ein einfaches melodisches Konstrukt – in diesem Fall das elementare Intervall. Nielsen schreibt hierzu: »Der Übersättigte muß gelehrt werden, eine melodische Terz als Gabe Gottes zu betrachten, eine Quart als Erlebnis und eine Quinte als Seligkeit.« Deutlich wird dies gleich zu Beginn durch das von Quinte und Quarte geprägte Hauptthema, welches sich in der Folge als Kerngedanke des gesamten Werks entpuppt und sogleich von der Soloklarinette brillant aufgegriffen und abgewandelt wird. Kontrastierend gesellt sich das Fagott hinzu, bevor die Soloklarinette mit einer bizarr anmutenden Kadenz ganz allmählich in den langsamen Teil überleitet. Eine ausdrucksvolle Kantilene von Horn und zwei Fagotten eröffnet den Adagio-Teil, der sich jedoch dramatisch entwickelt, hervorgerufen durch eine Übereinanderschichtung von fünf unterschiedlichen Rhythmen. Hierüber legt die Soloklarinette eine wehmütige Melodie. Der Scherzo-Teil besticht durch solistische Brillanz und kommt am Ende musikalische zur Ruhe. Die Trommel knüpft an das vorangegangene Tempo wieder an und signalisiert den Beginn des Schlussteils. Eine vom Fagott und anschließend von der Klarinette angestimmte Melodie wird vom unruhigen Zupfen der Streicher begleitet. Ein letztes Mal unterbricht Carl Nielsen die Entwicklung, bevor das heitere Final-Thema einsetzt und den kurzen Schluss einläutet. Mehrfach erklingt das Thema; das Konzert endet leise in höchsten Höhen in F-Dur – so wie es begonnen hat. Ihre Hochzeitsreise führte die frisch vermählten Sibelius’ im Sommer 1892 nach Karelien, der Ursprungsregion des finnischen Nationalepos Kalevala. Geprägt von dieser Reise komponiert Jean Sibelius in seiner ersten Familienwohnung in Helsinki die Tondichtung En Saga op. 9. Obwohl sich keine Kalevala-Motive nachweisen lassen, trägt das Werk Züge einer nordischen Sage – man vermutet die eines Rittergedichtes. Für Sibelius selbst handelt es sich bei dieser Komposition um den Ausdruck seines Seelenzustands. Er schreibt: »En Saga ist psychologisch eines meiner allertiefsten Werke. Ich könnte fast sagen, dass es meine ganze Jugend beinhaltet. (...) In keinem anderen Werk habe ich mich so total geöffnet wie in diesem.« Zudem bezeichnete Sibelius »En Saga« als ein finnisches Werk: »Heimatlich ist die Stimmung des Werkes. Wie könnte man beim Zuhören (...) an etwas anderes als an Finnland denken!« Diese folkloristische Stimmung entsteht sogleich in den einleitenden Läufen der Streicher. Aus dem Hauptthema, welches erstmals in den Fagotten und Violoncelli auftritt, leitet Sibelius alles weitere Themenmaterial ab. Dabei variiert und entwickelt er das Hauptthema wie die finnischen Runensänger. Hinzu gesellen sich die Hörner, während die Streicher im Hintergrund bleiben. So entsteht ganz allmählich ein feingliedriges, impressionistisches Gewebe. Inspiriert vom Rhythmus und der Struktur karelischer Volkslieder und dem Zusammentreffen mit der finnischen Sängerin Larin Paraske (1833-1904) – ein Großteil dieser Lieder ist im finnischen Nationalepos »Kalevala« wieder zu finden – komponiert Jean Sibelius nur ein Jahr nach »En Saga« die Karelia Suite op. 11, eine Bühnenmusik, die in einer Reihe historischer Bilder die Vergangenheit Kareliens schildert. Für Sibelius ist dies der wirksamste Weg, um die kulturellen Verknüpfungen zwischen Finnland und Karelien zu stärken. Das zunächst siebensätzige Werk komprimiert Sibelius für den Konzertgebrauch auf drei Sätze. Wie kein anderes Werk zeigt es die Melodiefreude des jungen Komponisten. Der erste Satz wird mit einer Streicher-Einleitung eröffnet; Hörner intonieren unterschiedliche Motive, die anschließend von den Trompeten übernommen werden. Und sich schließlich zu einer Marschmelodie vereinen. Ein erster Höhepunkt wird angesteuert bevor sich das musikalische Ganze allmählich beruhigt und in vereinzelten Motiven ausklingt. Die Ballade, für die Bühnenmusik von einem Barden gesungen, wird in der Suite ausschließlich instrumental vorgetragen – dunkle Klangfarben überwiegen, verzichtet Sibelius doch auf Flöten und Trompeten. Drei sich mehrfach wiederholende Melodien werden im Tempo eines Menuetts exponiert und verleihen dem Satz eine schwermütige Färbung. Alla marcia – dreiteilig angelegt – ist durch seine Fröhlichkeit, Leichtigkeit und Marschhaftigkeit gekennzeichnet. Sibelius kontrastiert punktiert aufsteigende Motive mit einem durch hochschnellende Sextolen geprägten Mittelteil. In der Wiederholung werden diese beiden Melodien kombiniert und verleihen dem Werk einen unvergleichlichen musikalischen Charakter. Text: Markus Pietrass