Kapitel 10 Drehbewegung 10.1 Der Drehimpuls Bei der Behandlung der Bewegung eines Teilchens haben wir den Impuls eines Teilchens definiert (Siehe Kap. 2.2). Diese Grösse war sehr hilfreich, wegen der Erhaltung des Gesamtimpulses (Siehe Kap. 2.3). Der Erhaltungssatz kann im Fall einer Drehbewegung (oder Rotation) umformuliert werden. Man spricht von der Erhaltung des gesamten Drehimpulses. 10.1.1 Definition des Drehimpulses Der Drehimpuls bezüglich einem bestimmten Punkt O wird durch das Vektorprodukt des Ortsvektors r und des (linearen) Impulses p, d.h. r r r r r L ≡ r × p ≡ m( r × v ) Physik 441 Drehbewegung definiert, wobei m die Masse des Teilchens ist, und r r = Ortsvektor bezüglich O r r p = mv = Implusvektor Siehe Abb. 1. L Bahn O (Ursprung) r θ p Ebene der Bewegung Definition des Drehimpulses. Der Drehimpulsvektor ist senkrecht zur Ebene, die durch den Ortsvektor und den Impulsvektor definiert ist. Figur 1. Der Drehimpuls ist ein Vektor, dessen Richtung durch die RechteHand-Regel für ein Vektorprodukt eindeutig bestimmt ist. Siehe Abb. 2. 442 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Der Drehimpuls r r p p p p r Figur 2. r Die Rechte-Hand-Regel für das Vektorprodukt. Der Drehimpuls ist senkrecht zur Ebene, die durch den Ortsvektor und den Impuls definiert ist. Er ist senkrecht zur Bewegungsrichtung der Masse. Der Betrag des Drehimpulses ist gleich r r r L = r p sin θ wobei θ der von r und p eingeschlossene Winkel ist. Der Betrag kann auch in den folgenden Formen ausgedrückt werden L = ( r sin θ ) p = r⊥ p L = r( p sin θ ) = rp⊥ wobei rsinθ die Komponente von r senkrecht zur Wirkungslinie des Impulses p ist, und psinθ ist die Impulskomponente senkrecht zu r. Wenn der vom Ortsvektor und dem Impuls eingeschlossene Winkel θ gleich 0° oder 180° ist, ergibt sich keine zu r senkrechte Impulskom- Physik 443 Drehbewegung ponente, und auch keine zur Wirkungslinie des Impulses senkrechte Komponente von r. Der Drehimpuls verschwindet in diesem Fall. Einheit: im MKS-System: kg.m kg.m 2 = [ L] = m. s s 10.1.2 Erhaltung des Drehimpulses Wir betrachten nun die zeitliche Ableitung des Drehimpulses r r r r r r dr r r dp r r r dp dL = ( r × p) = × p + r × = (v × mv ) + r × 424 3 dt dt dt 1 dt r r =0 weil v // v Es folgt, dass die zeitliche Änderung des Drehimpulses gleich dem Vektorprodukt des Ortsvektor und der zeitlichen Änderung des (linearen) Impulses p ist: r r dL r dp =r× dt dt Aus dem zweiten Newtonschen Gesetz kennen wir die Beziehung zwischen der Kraft und dem (linearen) Impuls, nämlich r r r r r dv dp d ( mv ) = ={ m = ma = F dt dt dt m = Konst . wobei wir angenommen haben, dass die Masse des Teilchens konstant ist. Das Drehmoment der Kraft F bezüglich r wird so definiert r r r M≡r×F 444 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Der Drehimpuls Einheit: im MKSA-System kgm 2 [ M ] = [r][F ] = Nm = 2 s Aus der Definition folgt der Drehimpulssatz (für m=Konst.): die zeitliche Änderung des Drehimpulses eines Teilchens ist gleich dem angreifenden Drehmoment, d.h. r r dL r dp r r r =r× =r×F= M dt dt Beispiel 1: fallende Masse Wir betrachten eine Masse m, die wegen der Erdbeschleunigung g senkrecht nach unten fällt. Zur Zeit t=0 wird die Masse aus dem Ruhezustand (mit einer Anfangsgeschwindigkeit v=0) losgelassen. Siehe Abb. 3. Die Masse spürt ein Drehmoment M und besitzt einen Drehimpuls L um eine Drehachse durch O. Der Betrag des Drehmomentes ist gleich M = rF sin θ = ( r sin θ ) F = bmg = Konst. wobei b der Kraftarm ist (siehe Abb. 3). Das Drehmoment ist das Produkt aus der Kraft mg und dem Kraftarm b. Nach der Rechte-Hand-Regel geht das Drehmoment senkrecht in die Zeichenebene hinein. Physik 445 Drehbewegung Der Betrag des Drehimpulses ist gleich L = rp sin θ = ( r sin θ ) mv ( t) = bmv ( t) = bmgt wobei v(t)=gt die Geschwindigkeit der Masse als Funktion der Zeit ist. Drehmoment M=r×mg b Drehachse Kraft F=mg linearer Impuls dp = F = mg dt r F θ Drehimpuls dL = M = r × mg dt Eine Masse m fällt senkrecht nach unten. Ein Drehmoment wirkt um eine Drehachse durch O. Der Drehmomentvektor geht senkrecht in die Zeichenebene hinein. Figur 3. Drehmoment und Drehimpuls sind hier parallele Vektoren. Die zeitliche Änderung des Drehimpulses wirkt somit nur auf den Betrag und nicht auf die Richtung. 446 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Der Drehimpuls Wir können die folgende Bezeihung in Skalarform überprüfen ? dL } = M dt ⇔ d (bmgt) = bmg dt ok! Wir setzen in die Gleichung die Geschwindigkeit v für gt ein und erhalten d (bmv ) = bmg ⇒ dt d (mv ) = mg ⇒ dt dp =F dt Wie erwartet, stellt die Beziehung M=dL/dt der Drehbewegung keinen grundsätzlich neuen Satz der Physik dar, sondern ist nur eine Umformulierung der Newtonschen Gesetze für die Drehbewegung. Beispiel 2: zentrale Kraft Die Gravitationskraft ist z.B. eine zentrale Kraft, weil sie die folgende Form besitzt r r r r r F (r ) = f ( r ) r d.h., sie wirkt immer längs die Linie zwischen den zwei Körpern. Wenn wir z.B. die Bewegung eines Planeten um die Sonne betrachten, ist das auf den Planet ausgeübte Drehmoment bezüglich der Sonne gleich (wir stellen die Sonne in den Ursprung des Koordinatensystems) r r r r r rr f ( rr ) r r M = r × F = r × f (r ) = (r × r ) = 0 r r Physik 447 Drehbewegung Bezüglich O übt die Gravitationskraft kein Drehmoment auf den Planet aus. Es folgt, dass der Drehimpuls des Planeten bezüglich der Sonne konstant ist r r r dL = M = 0 ⇒ L = Konst. dt 10.2 Die Bewegung starrer Körper Ein spezieller und wichtiger Fall ist die Bewegung starrer Körper. Ein starrer Körper wird definiert als ein Körper, bei dem die Änderung der Abstände zwischen allen seinen Atomen oder Molekülen bei Anwendung einer Kraft oder eines Drehmoments vernachlässigt wird. Ein starrer Körper behält seine Gestalt, wenn er sich bewegt. Wir unterscheiden zwischen zwei Arten von Bewegungen: 1. 2. Translationsbewegung: alle Teilchen (Atome oder Moleküle) des Körpers beschreiben parallele Bahnen; Drehbewegung: alle Teilchen beschreiben kreisförmige Bahnen um eine Gerade, die man als Drehachse (oder Rotationsachse) bezeichnet. Die Achse kann fixiert sein oder ihre Richtung während der Bewegung relativ zum Körper verändern. Die allgemeine Bewegung eines starren Körpers kann immer als Kombination einer Translations- und einer Rotationsbewegung betrachtet werden. 448 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper 10.2.1 Die Winkelgeschwindigkeit Wir wollen nun einen starren Körper betrachten, der sich um die ∆Achse dreht (Siehe Abb. 4). Die Rotation des Körpers um die Drehachse kann mit Hilfe eines Drehwinkels θ beschrieben werden. Die Winkelgeschwindigkeit wird als die zeitliche Ableitung der Winkelfunktion θ(t) definiert ω ( t) ≡ dθ ( t ) dt Siehe Kap. 6.3.1. Die Winkelgeschwindigkeit kann als Vektorgrösse definiert werden, deren Richtung parallel zur Drehachse und senkrecht zur Ebene der Rotation ist. Die Richtung des Vektors ist durch die Rechte-Hand-Regel gegeben. ∆ ω θ(t) Die Winkelgeschwindigkeit kann als Vektorgrösse definiert werden. Seine Richtung ist zur Drehachse parallel und durch die Rechte-HandRegel gegeben. Figur 4. Physik 449 Drehbewegung Wenn der starrer Körper sich mit der Winkelgeschwindigkeit ω um die Drehachse dreht, ist die Geschwindigkeit jedes seiner Teilchen gleich r r r r r r v i = ωr∆,i ⇒ v i = ω ri sin γ ⇒ v i = ω × ri 1424 3 1 424 3 Beziehung für die Vektorgrösse Beziehung für die Beträge wobei r∆,i der Abstand des Teilchens von der Drehache ist. Siehe Abb. 5. ∆ v i = ω × ri ω γ r i vi O (Ursprung) Beziehung zwischen dem Winkelgeschwindigkeitsvektor und der (linearen) Geschwindigkeit der Teilchen (Atome oder Moleküle) i des drehenden Körpers. Figur 5. 450 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper 10.2.2 Gesamte Energie eines starren Körpers Nun werden wir uns mit der Translation und Rotation eines starren Körpers beschäftigen. Der Ortsvektor des Teilchens i des starren Körpers wird geschrieben als r r r ri = r{ + ri,SP SP { Ortsvektor des Schwerpunkts Ortsvektor des Teilchens i bezüglich des Schwerpunkts Siehe Abb. 6. mi ri,SP SP ri r SP Der Ortsvektor des Teilchens i wird bezüglich des Ortsvektors des Schwerpunkts geschrieben. Figur 6. Wenn ein starrer Körper sich bewegt, kann seine Bewegung aufgeteilt werden in eine Translation des Schwerpunkts und eine Rotation um den Schwerpunkt. Siehe Abb. 7. Physik 451 Drehbewegung Rotation um den Schwerpunkt mi ri,SP SP SP SP Bahnkurve des Schwerpunkts Die Bewegung des starren Körpers wird in eine Translation des Schwerpunkts und eine Rotation um den Schwerpunkt aufgeteilt. Figur 7. In Kap. 7.1.7 haben wir gesehen, dass die gesamte kinetische Energie eines Teilchensystems die Summe von zwei Termen ist: die kinetische Energie des Schwerpunkts und die kinetische Energie der einzelnen Teilchen relativ zum Schwerpunkt. r r 2 1 mi (v SP + v i,SP ) ∑ 2 i =1,N i =1, N r 2 r 2 1 1 mi (v i,SP ) = M (v SP ) + ∑ 2 4243 2 =1,N 1 1i 4 42443 kinetische Energie E kin = 1 r ∑ 2mv 2 i i des Schwerpunkts = kinetische Energie der einzelnen Teilchen relativ zum Schwerpunkt wobei die Geschwindigkeit eines Teilchens als die Summe der Schwerpunktsgeschwindigkeit und der Geschwindigkeit des Teilchens relativ zum Schwerpunkt ausgedrückt wird r r r v i = v SP + v i,SP { bezüglich SP 452 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper Nun werden wir die Rotation um die Drehachse betrachten. Die Drehachse geht durch den Schwerpunkt des starren Körpers. Weil r r r v i = ω × ri r r r ⇒ v i = ω ri sin γ = ωr∆,i wobei r∆,i der Abstand des Teilchens von der Drehache ist, folgt, dass die kinetische Energie bezüglich des Schwerpunkts (d.h. die Rotationsenergie) gleich Rot E kin = ≡ r r ∑ 2 m (ω × r ) 1 i i =1, N i 2 = 1 ∑ 2 m (ωr ) i =1, N ∆, i i 2 1 = ∑ mi r∆,i 2 ω 2 2 i =1,N 1 I ω2 2 ∆ ist. Dabei haben wir das Trägheitsmoment des Körpers I relativ zur Rotationsachse ∆ definiert I∆ ≡ Einheit: im MKS-System ∑mr i =1, N 2 i ∆, i kg m2 Für die gesamte kinetische Energie des starren Körpers gilt r 2 1 r 2 1 M (v SP ) + ∑ mi (v i,SP ) 2 2 i =1,N r 2 1 1 I ∆,SPω 2 = M (v SP ) + 2 2 14243 1 424 3 E kin = kinetische Energie des Schwerpunkts Physik Energie der Rotation um den Schwerpunkt 453 Drehbewegung Die Gesamtenergie ist die Summe der kinetischen und potentiellen Energien (Siehe Kap. 7.1.8) E = E kin + E pot = r 2 1 1 M (v SP ) + I ∆,SPω 2 2 2 14243 1 424 3 kinetische Energie des Schwerpunkts Energie der Rotation um den Schwerpunkt + E pot ,externe 14 24 3 + E pot, interne Potentielle Energie wie wenn die Gesamtmasse im SP konzentriert wäre Die externe potentielle Energie ist die gleiche, wie wenn die Gesamtmasse im Schwerpunkt konzentriert wäre. Experiment:Verschiedene Gewichte auf Rotator Wir betrachten einen Rotator mit zwei gleichen Massen m. Wir können den Abstand r zwischen den Massen und der Drehachse ändern. Ein Ende einer masselossen Schnur wird um die Achse des Rotators aufgewickelt, und am anderen Ende der Schnur wird eine Masse M angehängt. Die gesamte Energie des Systems ist gleich E= 1 Mv 2 + Mgh + 2 14 4244 3 Energie der Masse M 1 I ∆ω 2 2 123 Rotationsenergie der Massen m wobei ω die Winkelgeschwindigkeit des Rotators (d.h. die Winkelgeschwindigkeit der Massen m um die Rotatorachse) ist, und v und h sind die Geschwindigkeit und die Höhe der aufgehängten Masse. Wenn die Masse M losgelassen wird (Anfangsbedingung: v=0, d.h. ω=0), wird ihre potentielle Energie Mgh in kinetische Energie der Masse M und die Rotationsenergie des Rotators umgewandelt. 454 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper Das Trägheitsmoment des Rotators (d.h. der beiden Massen m) ist gleich I∆ ≡ ∑mr i =1, N i ∆, i 2 = mr 2 + mr 2 = 2 mr 2 Es nimmt mit dem Quadrat des Abstandes r zu. Wenn sich beide Masse mit einer bestimmten Winkelgeschwindigkeit ω um die Rotatorachse drehen, dann ist umso mehr Rotationsenergie im Rotator gespeichert, je grösser der Abstand r von der Achse ist. Es folgt, dass weniger Energie für die Translationsbewegung der Masse M vorhanden ist. Die Masse M wird desto langsamer fallen, je grösser der Abstand r zwischen beiden Massen und der Rotatorsachse ist. 10.2.3 Berechnung des Trägheitsmoments Ein starrer Körper besteht aus einer sehr grossen Zahl dicht gepackter Teilchen. Für eine solche kontinuierliche Massenverteilung wird das Trägheitsmoment mit einem Integral gewonnen I ∆ = ∫ r 2 dm wobei r der Abstand des Massenelements dm von der Drehachse ist. Das Trägheitsmoment eines homogenen Ringes. Wir betrachten die Drehbeweung eines homogenen Ringes um eine Achse, die durch seinen Mittelpunkt geht und senkrecht zur Ringebene liegt. Physik 455 Drehbewegung Beim Ring mit Radius R befindet sich die gesamte Masse beim konstanten Abstand R. Das Integral ist dann I ∆ ( Ring) = ∫ r 2 dm = R 2 ∫ dm = MR 2 wobei M die gesamte Masse des Ringes ist. Das Trägheitsmoment eines homogenen Zylinders. Wir betrachten das Trägheitsmoment eines homogenen Zylinders mit Gesamtmasse M und Radius r bezüglich der Zylinderachse. Wir unterteilen den Zylinder in eine Serie von konzentrischen Ringen mit Radius r und Dicke dr. Siehe Abb. 8. dr r R Figur 8. Berechnung des Trägheitsmoments eines Zylinders. Das Trägheitsmoment dI des Ringes mit Radius r ist gleich dI = r 2 dm = r 2 M 456 2πrdr 2 Mr 3 dr = R2 πR 2 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper Das Trägheitsmoment des Zylinders ist die Summe der Trägheitsmomente der einzelnen Ringe mit Radius r: r 3 dr = r=0 r=0 R2 2 M r=R 3 2 M R4 1 = 2 ∫ r dr = 2 = MR 2 r = 0 R 4 2 R I ∆ ( Zylinder) = ∫ r=R dI = 2 M ∫ r=R Das Trägheitsmoment des Zylinders mit einem Radius r ist kleiner als das eines Ringes mit demselben Radius, weil im Fall des Zylinders sich auch Teilchen bei Radien r<R befinden, und diese Teilchen tragen weniger zur Rotationsenergie bei, als wenn sie sich beim Radius r=R befinden würden. Experiment: Schiefe Ebene. Verschiedene Zylinder der gleichen Masse M, aber mit verschiedenen radialen Massenverteilungen (d.h. verschiedenen Trägheitsmomenten) werden auf einer schiefen Ebene losgelassen. Siehe Abb. 9. SP x(t) vSP(t) H h(t) α Schiefe Ebene. Die vom Zylinder überstrichene Strecke wird als x(t) bezeichnet. Figur 9. Physik 457 Drehbewegung Die gesamte Energie eines Zylinders ist gleich E= 1 1 2 Mv SP + I ∆,SPω 2 + Mgh 2 2 wobei vSP die (lineare) Geschwindigkeit seines Schwerpunkts und ω seine Winkelgeschwindigkeit ist. Die verschiedenen Zylinder werden von einer Höhe H losgelassen. Wenn die Zylinder auf der schiefen Ebene rollen, beobachten wir, dass sie nicht zur selben Zeit den Boden erreichen, d.h. die Zylinder werden nicht gleich beschleunigt. Auf der schiefen Ebene wird die potentielle Energie der Zylinder in kinetische und Rotationsenergie umgewandelt. Die Beschleunigung hängt vom Trägheitsmoment des Zylinders ab. Je grösser das Trägheitsmoment des Zylinders ist, desto langsamer wird er beschleunigt. 10.2.4 Rollende Körper Wir betrachten die Bewegung eines Körpers, der wie im Fall der obigen schiefen Ebene auf einer Fläche rollt. In diesem Fall kann die Winkelgeschwindigkeit des Körpers in Beziehung mit der Geschwindigkeit seines Schwerpunkts gesetzt werden. Rollbedingung: Wenn wir annehmen, dass der Körper sich ohne zu gleiten bewegt, gilt v SP = Rω v SP ω= R 458 für einen rollenden Körper (ohne zu gleiten) Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper Siehe Abb. 10. ω R vSP Rω Die Beziehung zwischen der linearen Geschwindigkeit des Schwerpunkts und der Winkelgeschwindigkeit um den Schwerpunkt, wenn der Körper sich ohne zu gleiten bewegt. Figur 10. Die gesamte kinetische (lineare und Rotations-) Energie ist in diesem Fall gleich E kin = I 2 1 1 1 2 Mv SP + I ∆,SPω 2 = M + ∆,SP v 2 2 2 R 2 SP Beispiel: Schiefe Ebene Die gesamte Energie ist gleich I 2 1 E = E kin + Mgh = M + ∆,SP v + Mgh 2 R 2 SP Physik 459 Drehbewegung Wenn wir diese Gleichung als Funktion der Zeit betrachten, erhalten wir für eine schiefe Ebene (Siehe Abb. 9) I 2 1 E = M + ∆,SP v ( t) + Mg( H − x ( t)sin α ) = Konst. 2 R 2 SP Wenn die gesamte Energie konstant ist, wird die zeitliche Ableitung der gesamten Energie verschwinden: I d 2 d dE 1 v SP ( t)) − Mg sin α x ( t) = M + ∆,SP ( 2 dt dt 2 R dt I dv SP 1 = M + ∆,SP − Mg sin αv SP ( t) = 0 2 2v SP ( t) dt R 2 I ⇒ M + ∆,SP a − Mg sin α = 0 R 2 SP Es folgt, dass die Beschleunigung des Schwerpunkts des rollenden Körpers gleich aSP = Mg sin α < g sin α I ∆,SP M + 2 R ist. Wie erwartet nimmt die Beschleunigung des Körpers mit seinem Trägheitsmoment ab und sie ist kleiner als gsinα. Der Wert gsinα ist das Ergebnis, wenn wir die Rotationsenergie des Körpers vernachlässigen. 460 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper 10.2.5 Drehimpuls eines starren Körpers Der Drehimpuls eines starren Körpers ist gleich dem Gesamtdrehimpuls der Teilchen des Körpers r r L = ∑ Li i =1, N Wir beginnen mit der Rechnung des gesamten Drehimpulses eines Velorads. Wir stellen uns vor, dass das Velorad aus einer Ansammlung von Teilchen der Masse m besteht, die mit masselossen Stäben verbunden sind. Das Velorad wird deshalb als ein homogener Ring betrachtet. Siehe Abb. 11. ω R Figur 11. Physik Das Velorad wird als ein homogener Ring betrachtet. 461 Drehbewegung Der Drehimpuls der einzelnen Teilchen der Masse m ist gleich r Li = mRv i = mR( Rω ) = ( mR 2 )ω weil jedes Teilchen dieselbe Geschwindigkeit Rω und denselben Radius R besitzt. Die Richtung des Drehimpulsvektors wird mit Hilfe der RechteHand-Regel gefunden. Wir bemerken, dass die Drehimpulsvektoren der Teilchen parallel zueinander sind, weil r r r r r r Li = mri × v i = mri × (ω × ri ) Siehe Abb. 12. ∆ L1 L 2 L3 L4 L5 L6 L7 ω L Der gesamte Drehimpuls des Velorads (des Ringes) ist zur Winkelgeschwindigkeit parallel, weil die Drehimpulse der einzelnen Teilchen parallel zueinander und zur Winkelgeschwindigkeit sind. Figur 12. 462 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper Es folgt, dass der gesamte Drehimpuls einfach gefunden wird. Der Betrag des gesamten Drehimpulses ist gleich der Summe der Beträge der Drehimpulse der einzelnen Teilchen und die Richtung ist zur Winkelgeschwindigkeit parallel: r r r r r L = ∑ Li = ∑ ( mR 2 )ω = ( MR 2 )ω = I ∆ω i =1, N i =1, N Wir erkennen einen Teil, der dem Trägheitsmoment des Velorads (des Ringes) entspricht. Im Allgemeinen schreiben wir: r r r r L = I ∆ω nur wenn L / /ω wobei L der gesamte Drehimpuls des Körpers bezüglich des Schwerpunkts ist, und ω ist die Winkelgeschwindigkeit um die Drehachse, die durch den Schwerpunkt geht. Die Beziehung gilt nur, wenn die Vektoren L und ω parallel zueinander sind. 10.2.6 Hauptachsen eines Körpers Im Allgemeinen sind für einen Körper von beliebiger Form die Vektoren L und ω nicht parallel zueinander. Man kann beweisen, dass es für jeden Körper mindestens drei zueinander senkrechte Richtugen gibt, für die der gesamte Drehimpuls parallel zur Winkelgeschwindigkeit ist. Diese Achsen heissen die Hauptträgheitsachsen. Für die Rotation um eine Hauptachse gilt r r L = I ∆ω nur für Rotation um Hauptachsen Physik 463 Drehbewegung wobei I∆ das Trägheitsmoment bezüglich der Hauptachse, L der gesamte Drehimpuls des Körpers und ω die Winkelgeschwindigkeit um die Achse ist. 10.2.7 Dynamik der starren Körper Die Bewegungsgleichung des Schwerpunkts eines Teilchensystems, die natürlich auch für einen starren Körper gilt, haben wir schon erwähnt (Siehe Kap. 7.1.4) r r dv SP r MaSP = M = Fext dt wobei Fext die resultierende äussere Kraft ist. Die Bewegung des Schwerpunkts entspricht der Translationsbewegung des starren Körpers. Für die Drehbewegung des Körpers gilt der sogenannte Drehimpulssatz. Wir betrachten den gesamten Drehimpuls. Wenn wir den starren Körper als Teilchensystem betrachten, gilt r r r r r dL dLi = ∑ = ∑ M i = ∑ ri × Fi dt i =1,N dt i =1,N i =1, N wobei Mi das auf das Teilchen i wirkende Drehmoment ist. Als wir im Kap. 7.1.4 von der Dynamik des Schwerpunkts eines Teilchensystems gesprochen haben, haben wir die resultierende Kraft, die auf ein Teilchen wirkt, in interne und externe Teile unterteilt: r r r Fi = Fi,int + Fi,ext ( 464 Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia ) Die Bewegung starrer K rper Es folgt, dass das resultierende Drehmoment, das auf das Teilchen i wirkt, so geschrieben werden kann r r r r r r r r r ∑ ri × Fi = ∑ ri × Fi,int + Fi,ext = ∑ ri ×Fi,int + ∑ ri ×Fi,ext i =1, N i =1, N ( ) i =1, N i =1, N Wegen dem Aktion-Reaktion Gesetz (Siehe Kap. 7.1.4) nehmen wir an, dass die internen Kräfte zwischen Paaren von Teilchen wirken. Die Drehmomente solcher Paare kompensieren einander. Siehe Abb. 13. 1 F12 interne Teilchen i ri r1 F21 interne r 2 r2 Das resultierende Drehmoment. Die durch innere Kräfte ausgeübten Drehmomente von Paaren kompensieren einander. Figur 13. Es folgt der Drehimpulssatz r r r r dL = ∑ ri ×Fi,ext = M ext dt i =1,N wobei Mext das resultierende Drehmoment ist. Physik 465 Drehbewegung Wenn die Drehung um eine Hauptachse stattfindet, kann der Drehimpulssatz so geschrieben werden r r r r dω dL d = ( I ∆ω ) = I ∆ = M ext dt dt dt Experiment: Garnrolle Wir betrachten ein Garn, das um die Achse eines Yoyos aufgewickelt ist. Das Yoyo besteht aus zwei identischen Zylindern und einem koaxial dazwischen geklebten kleineren Zylinder. Dass die Drehbewegung mit dem Drehmoment verknüpft ist, kann man in der folgenden Weise demonstrieren: (Siehe Abb. 14). 1. 2. Wir ziehen das Garn so, dass das Drehmoment bezüglich der Drehachse in die Zeichenebene hinein geht. Das Yoyo dreht sich nach rechts und das Garn wird um das Yoyo aufgewickelt. Wir ziehen das Garn so, dass das Drehmoment bezüglich der Drehachse aus der Zeichenebene heraus geht. Das Yoyo dreht sich nach links und das Garn wird sich abrollen. F F F r r r Drehachse Drehmoment geht Drehmoment verschwindet Drehmoment geht in Blattebene hinein Yoyo dreht nicht aus Blattebene heraus Yoyo dreht nach rechts Figur 14. 466 Yoyo dreht nach links Das Drehmoment ist für die Drehbewegung verantwortlich. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia Die Bewegung starrer K rper 10.2.8 Erhaltung des gesamten Drehimpulses Wenn der Körper (oder ein System) isoliert ist, oder wenn das resultierende Drehmoment verschwindet, folgt aus dem Drehimpulssatz, dass der gesamte Drehimpuls des Körpers konstant bleibt. r r M ext = 0 ⇔ L = Konst. Experiment: Drehimpulssatz mit Velorad Wir betrachten die Anordnung der Abb. 15 (links). Eine Person hält ein Velorad. Am Anfang dreht sich das Velorad um seine Achse “nach rechts” (Siehe Abb. 15), so dass sein Drehimpuls nach oben zeigt. Der gesamte Drehimpuls ist gleich r r r r Lvor = LPerson + LVelorad = LVelorad 123 =0 Die Person wird jetzt die Achse der Rotation des Velorads so ändern, dass der Drehimpuls des Velorads nach unten zeigt, d.h. das Velorad dreht sich “nach links”. Der Drehimpuls des Velorads hat sich so verändert r r LVelorad → − LVelorad Der gesamte Drehimpuls ist gleich r r r Lnach = LPerson − LVelorad Weil der gesamte Drehimpuls erhalten werden muss, folgt r r r r r r r Lnach = LPerson − LVelorad = Lvor = LVelorad ⇒ LPerson = 2 LVelorad Physik 467 Drehbewegung Die Person wird sich mit dem Drehimpuls 2LVelorad “nach rechts” drehen. L 2L L Figur 15. 468 Erhaltung des Drehimpulses. Physik I&II, WS 00/01-SS01, Prof. A. Rubbia