DIE ZEITSCHRIFT DES SENATS DER BUNDESFORSCHUNGSANSTALTEN Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 2/1998 FORSCHUNGS Report ERNÄHRUNG · LANDWIRTSCHAFT · FORSTEN Schwerpunkt: Biotechnologie rund um’s Tier Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel Zustand der deutschen Waldböden Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten D E R F O R S C H U N G S B E R E I C H Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) unterhält einen Forschungsbereich, um wissenschaftliche Entscheidungshilfen für die Ernährungs-, Land- und Forstwirtschaftspolitik der Bundesregierung zu erarbeiten und damit zugleich die Erkenntnisse auf diesen Gebieten zum Nutzen des Gemeinwohls zu erweitern (Rochusstr. 1, 53123 Bonn, Tel.: 0228/529-0, Fax: 0228/529-4262). Dieser Forschungsbereich wird von 10 Bundesforschungsanstalten und der Zentralstelle für Agrardokumentation und -information (ZADI) gebildet und hat folgende Aufgaben: ■ Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL): Erhaltung und Pflege natürlicher Ressourcen agrarischer Ökosysteme und Weiterentwicklung der Nahrungs- und Rohstoffproduktion unter verstärkter Einbeziehung neuer Wissensgebiete und Forschungsmethoden. Dabei stellen die Analyse, Folgenabschätzung und Bewertung von zukünftigen Entwicklungen für die Landwirtschaft und die ländlichen Räume einen besonderen Schwerpunkt dar (Bundesallee 50, 38116 Braunschweig, Tel.: 0531/596-1, Fax: 0531/596-814). ■ Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA): Eine selbständige Bundesoberbehörde und Bundesforschungsanstalt mit im Pflanzenschutz-, Gentechnik- und Bundesseuchengesetz festgelegten Aufgaben. Forschung auf dem Gesamtgebiet des Pflanzen- und Vorratsschutzes; Prüfung und Zulassung von Pflanzenschutzmitteln; Eintragung und Prüfung von Pflanzenschutzgeräten; Beteiligung bei der Bewertung von Umweltchemikalien nach dem Chemikaliengesetz; Mitwirkung bei der Genehmigung zur Freisetzung und zum Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen (Messeweg 11/12, 38104 Braunschweig, Tel.: 0531/299-5, Fax: 0531/299-3000). ■ Bundesanstalt für Milchforschung (BAfM): Erarbeitung der Grundlagen für die Erzeugung von Milch, die Herstellung von Milchprodukten und anderen Lebensmitteln und die ökonomische Bewertung der Verarbeitungsprozesse sowie den Verzehr von Lebensmitteln mit dem Ziel einer gesunden Ernährung (Hermann-WeigmannStr. 1, 24103 Kiel, Tel.: 0431/609-1, Fax: 0431/609-2222). ■ Bundesforschungsanstalt für Fischerei (BFAFi): Bearbeitung der Probleme der Fischwirtschaft von der Produktion bis zur Verarbeitung unter Berücksichtigung aller Zweige der Küsten- und Hochseefischerei und zum Teil auch der Binnenfischerei (Palmaille 9, 22767 Hamburg, Tel.: 040/38905-0; Fax: 040/38905-200). FORSCHUNGSREPORT 2/1998 ■ Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (BFH): Wissenschaftliche Untersuchungen zur Erhaltung des Waldes und zur Steigerung seiner Leistung sowie zur Verbesserung der Nutzung des Rohstoffes Holz und zur Steigerung der Produktivität in der Holzwirtschaft (Leuschnerstr. 91, 21031 Hamburg, Tel.: 040/73962-0, Fax: 040/73962-480). ■ Bundesanstalt für Getreide-, Kartoffel- und Fettforschung (BAGKF): Forschungsarbeiten mit der Zielsetzung einer Qualitätsverbesserung von Getreide, Mehl, Brot und anderen Getreideerzeugnissen, von Kartoffeln und deren Veredlungsprodukten sowie der Lösung wissenschaftlicher und technologischer Fragen im Zusammenhang mit Ölsaaten und -früchten und daraus gewonnenen Nahrungsfetten und -ölen sowie Eiweißstoffen (Schützenberg 12, 32756 Detmold, Tel.: 05231/741-0, Fax: 05231/741-1 00). ■ Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV): Eine selbständige Bundesoberbehörde mit im Tierseuchengesetz und Gentechnikgesetz festgelegten Aufgaben. Erforschung und Erarbeitung von Grundlagen für die Bekämpfung viraler Tierseuchen (Boddenblick 5a, 17498 Insel Riems, Tel.: 038351/7-0, Fax: 038351/ 7-151). ■ Bundesanstalt für Fleischforschung (BAFF): Erforschung der Voraussetzungen, unter denen die Versorgung mit qualitativ hochwertigem Fleisch sowie einwandfreien Fleischerzeugnissen einschließlich Schlachtfetten und Geflügelerzeugnissen sichergestellt ist (E.-C.-Baumann-Str. 20, 95326 Kulmbach, Tel.: 09221/803-1, Fax: 09221/803-244). ■ Bundesforschungsanstalt für Ernährung (BFE): Horizontale, das gesamte Gebiet der Ernährungs-, Lebensmittel- und Haushaltswissenschaften übergreifende Aufgabenstellung (Haid-und-Neu-Str. 9, 76131 Karlsruhe, Tel.: 0721/6625-0, Fax: 0721/ 6625-111). 2 ■ Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen (BAZ): Erhöhung der biotischen Resistenz und der Verbesserung der abiotischen Toleranz der Kulturpflanzen sowie Entwicklung von Zuchtmethoden und Verbesserung der Produktqualität (Neuer Weg 22/23, 06484 Quedlinburg, Tel.: 03946/47-0, Fax: 03946/47-255). ■ Zentralstelle für Agrardokumentation und -information (ZADI): Aufbau des Deutschen Agrarinformationsnetzes (DAlNet), Online-Angebot nationaler und internationaler Datenbanken, Forschung und Entwicklung auf den Gebieten Agrardokumentation und Informatik sowie Koordinierung der Dokumentation im Fachinformationssystem Ernährung, Land- und Forstwirtschaft (FIS-ELF) (Villichgasse 17,53177 Bonn, Tel.: 0228/ 9548-0, Fax: 0228/9548-149). ● Forschungseinrichtungen der Blauen Liste: Darüber hinaus sind sechs Forschungseinrichtungen der Blauen Liste dem Geschäftsbereich des BML zugeordnet: Deutsche Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie (DFA) (Lichtenbergstr. 4, 85748 Garching, Tel.: 089/28914170, Fax: 089/28914183); Zentrum für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung e. V. (ZALF) (Eberswalder Str. 84, 15374 Müncheberg, Tel.: 033432/82-0, Fax: 033432/82-212); Institut für Agrartechnik Bornim e. V. (ATB) (Max-Eyth-Allee 100, 14469 Potsdam-Bornim, Tel.: 0331/5699-0, Fax: 0331/5699849); Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau Großbeeren/Erfurt e. V. (IGZ) (Theodor-Echtermeyer-Weg 1, 14979 Großbeeren, Tel.: 033701/78-0, Fax: 033701/55391); Forschungsinstitut für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere (FBN) (Wilhelm-Stahl-Allee 2, 18196 Dummerstorf, Tel.: 038208/68-5, Fax: 038208/686-02); Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) (Magdeburger Str. 1, 06112 Halle/S., Tel.: 0345/5008-111, Fax: 0345/ 5126599). Die wissenschaftlichen Aktivitäten des Forschungsbereiches werden durch den Senat der Bundesforschungsanstalten koordiniert, dem die Leiter der Bundesforschungsanstalten, der Leiter der ZADI und sieben zusätzlich aus dem Forschungsbereich gewählte Wissenschaftler angehören. Der Senat wird von einem auf zwei Jahre gewählten Präsidium geleitet, das die Geschäfte des Senats führt und den Forschungsbereich gegenüber anderen wissenschaftlichen Institutionen und dem BML vertritt (Präsidium des Senats der Bundesforschungsanstalten, c/o BBA, Messeweg 11/12, 38104 Braunschweig, Tel.: 0531/299-5, Fax: 0531/299-3001). E D I T O R I A L I N H A LT Guten Tag, 2 DER FORSCHUNGSBEREICH als ich mir neulich abends bei einem Gläschen Wein Gedanken zum Editorial für diesen ‘biotechnologischen’ ForschungsReport machte, wurde mir klar, daß ich eigentlich schon mitten im Thema war. Denn was ist Wein anderes als ein Produkt biotechnologischer Erzeugung, bei dem die Stoffwechselleistung von Mikroorganismen, konkret die Vergärung von Zucker durch Hefen, gezielt ausgenutzt wird? Biotechnologie begleitet uns in vielen Bereichen unseres Lebens – in ihren Urformen schon seit Jahrtausenden. BERICHTE AUS DER FORSCHUNG Die Möglichkeiten der Biotechnologie haben sich allerdings durch die Fortschritte in der Molekularbiologie, aber auch der Verfahrens- und Computertechnik, immens erhöht. Nach Meinung vieler Experten sehen wir einem „Jahrhundert der Biologie” entgegen. Da neue Technologien auf gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen sind, kommen sie nicht ohne öffentliche Diskussion aus. Wesentliche Voraussetzung dafür ist ein guter Kenntnisstand über das aktuell Machbare und seine möglichen Auswirkungen. Wer über den Stand der Forschung und ihre Umsetzung in die Praxis informiert ist, wird neue Entwicklungen besser beurteilen können und weniger den Statements und Prognosen selbsternannter Experten glauben müssen. Hier ist die Ressortforschung gefragt. Zu ihren wichtigsten Aufgaben zählt die Unterrichtung und Beratung der politischen Entscheidungsträger. Daher muß sie gerade auch in heiß diskutierten Forschungsfeldern präsent sein. Ressortforschung ist überwiegend angewandte Forschung mit direktem Bezug auf praktische Erfordernisse und verantwortbare Entscheidungen. Das läßt keinen Platz für Elfenbeintürme. Der ForschungsReport greift in seinem Schwerpunkt „Biotechnologie rund um’s Tier” einige topaktuelle Themen auf, die im Brennpunkt des öffentlichen Interesses stehen. Dabei geht es um innovative Verfahren im Bereich der Lebensmittelproduktion ebenso wie um neue Impfstoffe und um landwirtschaftliche Nutztiere, die in der Biomedizin eine Rolle spielen können. Biotechnologie – und mit ihr die Gentechnik als Teilbereich – hat hier viele Türen geöffnet. Was sich hinter den Türen verbirgt und welche Perspektiven sich auftun, erfahren Sie auf den folgenden Seiten. Ihr Prof. Dr. F. Klingauf Präsident des Senats der Bundesforschungsanstalten 3 Neue Impfstoffe gegen Viruskrankheiten bei Tieren Entwicklungssprung durch die Gentechnologie 4 Tiere als Arzneimittel- und Organlieferanten Neue Perspektiven in der Biomedizin 9 In-vitro-Erzeugung von Rinderembryonen Ultraschallgeleitete Entnahme von Eizellen beschleunigt den Zuchterfolg 14 Gesündere Tiere durch besseres Futter 18 Biotechnologie in der Käseherstellung 22 Biokonservierung von Fleischerzeugnissen Bacteriocinogene Milchsäurebakterien können Pathogene hemmen 26 Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln 30 Neuentwicklungen auf dem Prüfstand Über die Verzahnung von wissenschaftlichen Arbeiten und behördlichen Entscheidungen 34 Zustand der deutschen Waldböden Auswirkungen anthropogener Einflüsse 38 IMPRESSUM 43 PORTRAIT Institut für Tierzucht und Tierverhalten Mariensee 44 Institut für landwirtschaftliche Kulturen, Groß Lüsewitz 46 NACHRICHTEN 48 TAGUNGEN 50 2/1998 FORSCHUNGSREPORT B I O T E C H N O L O G I E Neue Impfstoffe gegen Viruskrankheiten bei Tieren Entwicklungssprung durch die Gentechnologie V. Kaden, G. M. Keil, N. Osterrieder, H. Schirrmeier und T. C. Mettenleiter (Insel Riems) G egen Infektionskrankheiten, die durch Viren verursacht werden, gibt es keine oder nur unzureichende Behandlungsmöglichkeiten. Daher ist die Entwicklung von Impfstoffen, die vorbeugend eingesetzt werden, eine der Hauptaufgaben virologischer Forschung. Die aktive Immunisierung von Tier und Mensch erfolgt entweder mit Impfstoffen aus vermehrungsfähigen Erregern (sog. „Lebendvakzinen”) oder inaktivierten Erregern („Totvakzinen”). Seit einigen Jahren werden sowohl Lebend- als auch Totvakzinen unter Einsatz gentechnologischer Verfahren hergestellt. Die gezielte Inaktivierung von Genen, die für die krankmachenden Eigenschaften der Erreger verantwortlich sind, führt zu biologisch sicheren Lebendvakzinen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Gene anderer Abb. 1: Blutungen in verschiedenen Organen, hier in der Lunge und der Luftröhre, sind typische Symptome der Hämorrhagischen Kaninchenkrankheit. FORSCHUNGSREPORT 2/1998 Erreger in das genetische Material eines Virus einzubauen und so gleichzeitig gegen mehrere Infektionen zu schützen („Vektorvakzinen”). Immunogene Proteine von viralen Erregern können auch biotechnologisch in Bakterien oder in Zellkulturen hergestellt und nach der Reinigung für eine Impfung verwendet werden („Subunit-Vakzinen”). Die neueste Entwicklung beruht auf der Immunisierung mit „nackter” DNA (DNA-Vakzinen). Gentechnologisch produzierte Vakzinen bieten gegenüber konventionell hergestellten Impfstoffen mehrere Vorteile. Durch die gezielte Manipulation ist eine hohe biologische Sicherheit von Lebendvakzinen gegeben. Zweitens kann ein hoher gleichbleibender Reinheitsgrad der Impfstoffe gewährleistet werden. Drittens erlaubt die Gentechnologie die Schaffung sogenannter „Markerimpf- 4 stoffe” und damit die Möglichkeit, zwischen geimpften und infizierten Tieren zu unterscheiden. Im folgenden wird anhand von Beispielen auf die Möglichkeiten der Bekämpfung von viralen Infektionskrankheiten bei Tieren durch gentechnologisch produzierte Impfstoffe eingegangen. HÄMORRHAGISCHE KANINCHENKRANKHEIT Im Jahr 1984 trat in China bei Angorakaninchen, die zwei Monate zuvor aus Deutschland importiert worden waren, eine hochansteckende Viruserkrankung auf, an der nahezu alle betroffenen Tiere in kurzer Zeit verendeten. Die Kaninchen hatten massive Leberschäden und Blutungen (= Hämorrhagien) in verschiedenen Organen (Abb.1). Dieses Krankheitsbild führte zu dem Namen ‘Hämorrhagische Kaninchenkrankheit’ (engl. Rabbit Hemorrhagic Disease, RHD). Die Seuche breitete sich in der Folgezeit sehr rasch aus und wurde ein Jahr später auch in Korea festgestellt. B I O T E C H N O L O G I E Beginnend mit dem Jahr 1986 wurde bis 1990 nahezu der gesamte europäische Kontinent erfaßt. Seuchenausbrüche wurden auch aus Mexiko, Nordafrika und dem Nahen Osten gemeldet. Der größte Seuchenherd existiert gegenwärtig in Australien, wo der Erreger im Rahmen eines wissenschaftlich und ethisch umstrittenen Programms zur Bekämpfung der Wildkaninchenplage freigesetzt wurde. In Deutschland wurden erste RHDFälle im 2. Halbjahr 1988 festgestellt. Trotz des Einsatzes von Impfstoffen sind seit 1989 jährlich zwischen 1000 und 2000 Seuchenausbrüche zu verzeichnen. Die RHD ist ein Beispiel dafür, daß ständig mit dem plötzlichen Auftreten neuer Erkrankungen gerechnet werden muß. In diesen Fällen ist es von besonderer Wichtigkeit, sehr schnell alle notwendigen Werkzeuge für Diagnose und Bekämpfung verfügbar zu machen. Der Erreger der Hämorrhagischen Kaninchenkrankheit wird den Caliciviren zugeordnet. Die gesamte genetische Information ist in einem einzigen RNA-Strang lokalisiert, der circa 7.500 Nukleotide (Einzelbausteine der RNA) umfaßt. Die Viruspartikel bestehen im wesentlichen aus einem einzigen Protein, dem VP60. Dieses Protein löst im Tier die Bildung von virusneutralisierenden, das heißt vor einer Erkrankung schützenden Antikörpern aus. Alle Anstrengungen zur Entwicklung eines Impfstoffes zielen also letztlich darauf ab, im geimpften Tier Antikörper gegen dieses Protein zu erzeugen. Bis heute läßt sich der Erreger nicht in Zellkultur züchten, so daß alle eingesetzten Impfstoffe gegen die Kaninchenseuche aus der Leber experimentell infizierter Tiere gewonnen werden müssen. Dies ist nicht nur sehr aufwendig, sondern auch aus Gründen des Tierschutzes längerfristig nicht tolerierbar. Unsere Arbeiten haben daher das Ziel, auf gentechnischem Wege einen Impfstoff zu entwickeln, der Kaninchen einen wirksamen Schutz verleiht. Dazu wurde die genetische Information für das VP60 in ein anderes Virus verbracht, das Kaninchen nicht befallen kann. Solche Erreger sind zum Beispiel Insektenviren wie die Baculoviren. Dieser Virentyp kann sich in Warmblütern nicht vermehren und erfüllt so bereits wesentliche Forderungen an die Biosicherheit. Typisch für diese Viren ist, daß im Überschuß ein Protein (Polyhedrin) gebildet wird, in das die reifen Viruspartikel eingeschlossen werden, wodurch sie mit einer besseren Überlebensfähigkeit in der freien Natur ausgestattet sind. Diese Überschußproduktion macht man sich zunutze, indem man DNA-Abschnitte, die für das Polyhedrin kodieren, gegen die des gewünschten Proteins austauscht. Auf diese Weise wird anstelle des Polyhedrins zum Beispiel VP60 produziert. Zu diesem Zweck haben wir den für das VP60 kodierenden Genabschnitt in Baculoviren eingefügt. Diese Viren produzieren nun im Rahmen Abb. 2: Prinzip der Herstellung von Subunit-Vakzinen mit Hilfe von Baculoviren. Die genetische Information für ein schutzerzeugendes Protein wird in das Erbgut der Baculoviren integriert und das Fremdgen nach Infektion von Insektenzellen exprimiert. Nach Aufreinigung wird das Protein zur Immunisierung verwandt. VP 60-Gen Baculovirus-DNA rekombinante Baculovirus-DNA RHD-Virus Einschleusen der rekombinanten DNA in Insektenzellen Insektenzellen (Spodoptera frugiperda Sf9) rekombinantes Baculovirus Aufreinigung des RHD-Virus VP60-Proteins IMMUNISIERUNG 5 2/1998 FORSCHUNGSREPORT In Fermenten können neuartige Impfstoffe mit Hilfe von Bakterien hergestellt werden B I O T E C H N O L O G I E ihres eigenen Vermehrungszyklusses in kultivierten Insektenzellen das VP60 in großer Menge (Abb. 2 und 3). Dieses Material wurde dann zur Impfung von Kaninchen verwendet. Nach einmaliger Impfung bildeten die Tiere Antikörper, die sie vor einer ansonsten tödlich verlaufenden RHDVirus-Infektion schützten. Der Schutz trat innerhalb von 6-10 Tagen ein und war mit dem durch herkömmliche Impfstoffe vermittelten vergleichbar (Abb. 4). Auf diesem Wege ist es gelungen, eine neuartige Vakzine zu entwickeln, die in Zukunft die Verwendung von Tieren zur Herstellung von Impfstoffen gegen RHD überflüssig machen sollte. SCHWEINEPEST Die Klassische oder Europäische Schweinepest (KSP) verursacht hohe wirtschaftliche Verluste in der Landwirtschaft. Durch verschiedene Bekämpfungsmaßnahmen konnte die KSP-Verseuchung beim Hausschwein im europäischen Raum zurückgedrängt werden, wobei lange Zeit ein höchst wirksamer Lebendimpfstoff eingesetzt wurde. Mit der Internationalisierung des Marktes war es notwendig, die Schweinepestimpfung einzustellen, damit lebende Schweine und Fleischprodukte in und aus der Europäischen Union uneingeschränkt gehandelt werden können (Hintergrund: Um eine Verbreitung der Krankheit zu verhindern, dürfen nur KSP-negative Schweine gehandelt werden, was durch das Fehlen von Antikörpern gegen KSP definiert ist. Geimpfte Tiere bilden aber ebenso wie latent infizierte Schweine Antikörper, so daß eine Unterscheidung nicht möglich ist). Die Bekämpfung der Schweinepest erfolgt daher zur Zeit durch Tötung infizierter und ansteckungsverdächtiger Tierbestände einschließlich Quarantäne- und Hygienemaßnahmen sowie intensiver diagnostisch-epidemiologischer Untersuchungen. Die auf der Richtlinie 80/217/EWG basierende Schweinepest-Verordnung vom 24.10.1994 erlaubt jedoch unter besonderen Seuchenbedingungen die Impfung. Impfungen mit einem konventionellen und daher unmar- Abb. 4: Antikörperentwicklung nach Verabreichung eines kommerziellen Impfstoffes (Gruppe 2), von VP60 exprimierendem Baculovirus (Gruppe 3) und von mit Immunstimulantien versetztem Baculovirus (Gruppe 4) an Kaninchen. Gruppe 1: nicht vakzinierte Kontrolltiere. Die Antikörper wurden in einem ELISA gegen gereinigtes RHD-Virus getestet. Die Menge der gebildeten Antikörper (ablesbar an der Höhe der optischen Dichte) korreliert mit dem Impfschutz. Gruppe 1 1,2 Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4 Optische Dichte (490 nm) 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0,0 0 4 7 FORSCHUNGSREPORT 13 21 28 35 55 69 Tage nach Vakzinierung 2/1998 126 6 Abb. 3: Expression von VP60 des RHDVirus in Insekten-Zellkulturen, die mit gentechnisch veränderten Baculoviren infiziert worden sind. Nachweis des Proteins mittels eines VP60-spezifischen Antikörpers in der Immunfluoreszenz. kierten Impfstoff führen allerdings zu umfangreichen Handelsrestriktionen, die ebenfalls große wirtschaftliche Verluste nach sich ziehen. Schweinepestausbrüche haben in Deutschland, Belgien und den Niederlanden enorme wirtschaftliche Schäden verursacht. So kam es 1997 allein in Deutschland zu 44 Ausbrüchen, bei denen 39.000 Schweine gekeult werden mußten; darüber hinaus wurden in 351 Kontaktbetrieben 36.700 Tiere vorbeugend gekeult. Um hier Abhilfe zu schaffen wird intensiv an der Entwicklung eines Markerimpfstoffes gegen die Schweinepest gearbeitet. An einen solchen markierten Impfstoff sind hinsichtlich seiner Unschädlichkeit und Wirksamkeit hohe Anforderungen zu stellen, wie 1. Schutz gegenüber einer natürlichen Kontaktinfektion; 2. keine Übertragung von Feldvirus durch geimpfte Schweine auf Kontakttiere; 3. keine Übertragung des Schweinepestvirus von geimpften Sauen auf die Nachkommen; 4. effektiver Langzeitschutz möglichst nach einmaliger Impfung; 5. eindeutige Unterscheidung von infizierten und geimpften Tieren; 6. keine Handelsbarrieren für die geimpften Schweine. Bei der Entwicklung von Schweinepest-Markervakzinen wurden mehrere Wege beschritten. Schweine bil- B I O T E C H N O L O G I E den nach natürlicher Infektion Antikörper gegen verschiedene Virusproteine, vor allem gegen die Strukturproteine Erns und E2 sowie das Protein NS3 (Abb. 5). Besonders die gegen E2 gerichteten Antikörper führen zu einem Immunschutz, so daß dieses Protein in einem Impfstoff enthalten sein muß. Bisher wurde vor allem an der Entwicklung von Subunit-Vakzinen sowie rekombinanten Vektorvakzinen mit Erfolg gearbeitet. Während der Schweinepest-Markerimpfstoff der ersten Generation, die Subunit-Vakzine, vor der Zulassung steht, dürften zur Einführung rekombinanter vermehrungsfähiger Vektorvakzinen noch umfangreiche Untersuchungen erforderlich sein. Subunit-Vakzine Bei der Subunit-Vakzine wird das Gen für das E2-Protein in das Genom eines genetisch veränderten Baculovirus integriert (Abb. 5; in Zusammenarbeit mit der Universität Gießen). Gereinigtes E2 dient dann als Totimpfstoff, wobei Antikörper nur gegen dieses Virusprotein gebildet werden. Werden zusätzlich Antikörper gegen weitere Proteine des Schweinepest-Virus gefunden, so liegt eine Infektion mit Feldvirus vor. Das Tier muß dann geschlachtet und unschädlich beseitigt werden. Eine solche Unterscheidung läßt sich durch Blutuntersuchungen durchführen. Laboruntersuchungen haben gezeigt, daß ein derartiger Impfstoff geeignet ist, nach zweimaliger Impfung eine Schweinepest-Infektion bei Läuferschweinen und Sauen sowie eine Feldvirusausscheidung wirksam zu verhindern. Da es sich bei der Subunit-Vakzine um einen Totimpfstoff handelt, der zudem nur auf einem einzelnen Protein – dem E2 – basiert, wird der Schutz im Vergleich zur konventionellen Lebendvakzine, bei der ja sämtliche Proteine des Schweinepestvirus vorliegen, später ausgebildet. Wichtige zellvermittelte Immunmechanismen werden ebenfalls nicht genügend in Gang gesetzt. Daher dürfte dieser Impfstoff, dessen Abb. 5: Genom-Organisation des KSP-Virus. Das schutzvermittelnde E2-Glykoprotein wird mittels gentechnisch veränderter Baculoviren exprimiert und zur Immunisierung der Schweine verwandt. Nach Immunisierung mit E2 werden nur Antikörper gegen dieses Protein gebildet (rot dargestellte Antikörper). Die Immunantwort von infizierten Tieren ist gegen alle Proteine gerichtet, vor allem gegen Erns, E2 und NS2/3 (blau dargestellte Antikörper). Wenn in Schweinen nur Antikörper gegen E2 nachzuweisen sind, handelt es sich um geimpfte Tiere, bei Nachweis von Antikörpern sowohl gegen E2 als auch gegen Erns und/oder NS2/3 um infizierte Tiere. Herstellung auch relativ teuer ist, nur bedingt für einen Einsatz geeignet sein. Dennoch stellt er ein wichtiges Instrument bei der künftigen Beherrschung der Schweinepest dar. Rekombinante Vektorvakzinen Arbeiten zur Entwicklung von Markervakzinen auf der Grundlage von vermehrungsfähigen Viren als Träger (Vektoren) KSP-Virus-spezifischer Antigene wurden bisher sowohl in Deutschland (BFAV, Universität Gießen) als auch im Ausland durchgeführt. Grundlagen hierfür bildeten genetisch veränderte Viren, wie beispielsweise das Virus der Aujeszky’schen Krankheit, in dessen genetisches Material das Gen für E2 integriert wurde. Vakzinen auf der Basis vermehrungsfähiger Vektoren haben entscheidende Vorteile gegenüber 7 Subunit-Vakzinen: Neben der Antikörper-Immunität wird auch die zellvermittelte Immunität stimuliert, was zu einer höheren und früheren Schutzwirkung führt. Gerade letzteres ist zum Beispiel für Schweinebestände von Bedeutung, die unmittelbar Kontakt zum Seuchenbetrieb hatten. Ein weiterer Vorteil einer solchen Vakzine ergibt sich aus der Tatsache, daß nicht nur effizient gegen Schweinepest immunisiert werden kann, sondern auch gegen den Erreger, der als Vektor genutzt wird (z. B. Schweinepest und Aujeszky’sche Krankheit). ANIMALE HERPESVIREN ALS MARKER- UND VEKTORIMPFSTOFFE Herpesviren sind bedeutende Krankheitserreger bei Mensch und 2/1998 FORSCHUNGSREPORT B I O T E C H N O L O G I E Abb. 6: Prinzip der DNA-Immunisierung: Das virale Gen, welches für ein schutzerzeugendes Protein kodiert, wird in ein Plasmid unter Kontrolle starker Promotoren eingefügt und in Bakterien vermehrt. Die Plasmid-DNA wird nach Aufreinigung in Schweine injiziert. Nach der Impfung kommt es zu einer Immunreaktion im Tier gegen das entsprechende Protein. Tier und verursachen erhebliche ökonomische Verluste in der Nutztierhaltung. Die zur Zeit verfügbaren Impfstoffe für Rinder, Schweine und Geflügel müssen meist mehrmals angewendet werden, um einen sicheren Schutz vor den jeweiligen Erkrankungen zu gewährleisten. Ein weiterer Nachteil klassischer Impfstoffe ist, daß diese im allgemeinen keine Unterscheidung zwischen geimpften und infizierten Tieren erlauben. Deshalb sind auch hier Markerimpfstoffe wünschenswert, um Bekämpfungsprogramme effizient durchführen zu können. Weiterhin werden Herpesvirus-Vektoren entwickelt, die zur Immunisierung gegen mehrere Krankheitserreger verwendet werden können. In den Labors der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV) ist bereits ein solcher Impfstoff auf der Basis eines Herpesvirus hergestellt worden, der Rinder gegen zwei verschiedene Viruskrankheiten gleichzeitig schützt. Darüber hinaus sollen die immunisierenden Eigenschaften der Impfstoffe so erhöht werden, daß nach einmaliger Anwendung bereits ausreichender Schutz vorhanden ist. FORSCHUNGSREPORT 2/1998 Derartige kostengünstige Impfstoffe könnten vor allem in Staaten der Dritten Welt die Durchführung von Impfprogrammen wesentlich erleichtern. Die Genome von Herpesviren enthalten eine Vielzahl von Genen (zwischen 60 und 200), von denen fast die Hälfte für die Virusvermehrung nicht benötigt wird. Einige von diesen können durch andere Gene ersetzt werden, ohne daß die Virusvermehrung in der Zellkultur und die schutzvermittelnden Eigenschaften im Tier wesentlich beeinträchtigt werden – beides eine Voraussetzung für die Entwicklung effizienter Vektorimpfstoffe der nächsten Generation. die zum Teil aufwendige Reinigung des Antigens. Darüber hinaus werden durch die DNA-Immunisierung beide Seiten des Immunsystems, die Antikörper- und die zellvermittelte Immunität, gleichermaßen stimuliert. Für die DNA-Immunisierung wird das virale Gen in ein Plasmid (ringförmiges Stück Bakterien-DNA) eingefügt und unter die Kontrolle eines starken Promotors gebracht, also eines genetischen Elements, das später für eine hohe Synthese des Proteins in den Säugetierzellen sorgt. Das Plasmid wird in Bakterienkultur vermehrt. Wir haben diese Möglichkeit bei der Immunisierung gegen die Aujeszky’sche Krankheit der Schweine untersucht. Das Prinzip ist in Abbildung 6 dargestellt. Wurde den Versuchstieren die entsprechende Plasmid-DNA in die Haut injiziert, konnte ein belastbarer Impfschutz gegen eine Infektion mit dem Aujeszky-Virus hervorgerufen werden. Die Wirksamkeit lag zwischen der einer Tot- und einer Lebendvakzine. NEUE CHANCEN DNA-VAKZINIERUNG GEGEN DIE AUJESZKY’SCHE KRANKHEIT Die dargestellten Beispiele zeigen, wie mit gentechnischen Methoden effektive und sichere Impfstoffe entwickelt werden können. Den Nutzen haben nicht nur Landwirte, auch unter dem Blickwinkel des Tierschutzes ergeben sich Vorteile: Spektakuläre Tötungsaktionen wie im Falle der Schweinepest wären vermeidbar, darüber hinaus eröffnen sich Möglichkeiten, Impfstoffe (z. B. gegen die Hämorrhagische Kaninchenkrankheit) vermehrt in Zellkulturen zu produzieren, wodurch sich die Verwendung von Labortieren deutlich reduzieren läßt. ■ Bei konventionellen Lebend- und Totvakzinen wird mit Protein (=Antigen) geimpft. Es ist allerdings auch möglich, durch direkte Verabreichung eines Gens, das für ein immunogenes Protein kodiert, einen Impfschutz zu erzeugen. Hierbei entfällt Dr. habil. Volker Kaden, Dr. Günter M. Keil, PD Dr. Nikolaus Osterrieder, Dr. Horst Schirrmeier, Prof. Dr. Thomas C. Mettenleiter, Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere, Friedrich-LoefflerInstitute, 17498 Insel Riems 8 Tiere als Arzneimittel- und Organlieferanten Neue Perspektiven in der Biomedizin Heiner Niemann (Neustadt-Mariensee) I m Jahr 1985 wurde erstmals über die Geburt transgener Nutztiere berichtet. Seitdem hat es auf diesem Gebiet erhebliche Fortschritte gegeben. Transgene Nutztiere haben allerdings bislang weniger in der Landwirtschaft, als vielmehr in einem anderen Bereich Bedeutung erlangt: in der Biomedizin. Dies liegt unter anderem daran, daß bisher kaum Gene bekannt sind, die im engeren Sinne landwirtschaftlich relevante Merkmale ausprägen. Zudem werden tierzüchterisch interessante Merkmale häufig durch das Zusammenspiel mehrerer Gene beeinflußt. Im folgenden werden die gegenwärtigen methodischen Ansätze zur Erstellung transgener Tiere kurz skizziert und der Entwicklungsstand in zwei biomedizinisch relevanten Bereichen – der Produktion rekombinanter Proteine durch transgene Nutztiere und der Transplantation von Tierorganen auf den Menschen – näher erläutert. ERSTELLUNG TRANSGENER TIERE Aufgrund des langen Generationsintervalls (Tabelle 1) ist die Erstellung transgener Linien bei Nutztieren ein sehr langwieriges Unternehmen. Mit dem Gentransfer soll erreicht werden, ein Genkonstrukt in allen Körperzellen eines Tieres einschließlich der Keimzellen zu integrieren und zu exprimieren. Deshalb sind für den Gentransfer bisher fast ausschließlich frühe embryonale Entwicklungsstadien verwendet worden. Voraussetzung für einen erfolgreichen Gentransfer ist ein funktionsfähiges Genkonstrukt. Dafür muß ein Strukturgen, also das Gen, das für ein bestimmtes Protein kodiert, mit einem geeigneten Regulationselement (Promotor) zusammengebracht werden. Man ist dabei nicht an Promotor-Elemente der gleichen Tierart gebunden. Die Genkonstrukte sind bisher überwiegend in frisch befruchtete Eizellen (Zygoten) übertragen worden, und zwar zu einem Zeitpunkt, bei dem die Kerne des Spermiums und der Eizelle noch nicht miteinander verschmolzen sind, sondern sich als Vorkerne getrennt in der Zygote befinden. Das genetische Material wurde durch Mikroinjektion in einen der beiden Vorkerne eingebracht. Die Eizelle hat einen Durchmesser von rund 150 µm; der männliche und weibliche Vorkern ist jeweils etwa 8-10 µm groß. Für die Gen- 9 übertragung wird eine geeignete Injektionsnadel unter mikroskopischer Kontrolle in einen Vorkern vorgeschoben und die DNA-Lösung mit Tab. 1: Auswirkungen des Generationsintervalls auf die Erstellung transgener Tiere Zeitpunkt nach Mikroinjektion (in Monaten) Maus Schaf Schwein Rind Geschlechtsreife <2 10 6 14 Geburt Foundertiere <1 5 4 9 Geburt Nachkommen Foundertiere 3 20 10 32 Geburt von Homozygoten 5 35 20 55 Nachkommen von Homozygoten 7,5 50 30 78 2/1998 FORSCHUNGSREPORT B I O T E C H N O L O G I E etwa 3.000 bis 5.000 Kopien des jeweiligen Genkonstruktes mikroinjiziert (Abb. 1). In der nachfolgenden Verschmelzung der beiden Vorkerne wird das mütterliche und väterliche Erbgut neu kombiniert, so daß auch das Fremdgen in das Genom des Wirtes mit eingebaut werden kann. Die Zygoten befinden sich zu dem Zeitpunkt, an dem sie für die Mikroinjektion benötigt werden, noch im Eileiter und können über einen operativen Eingriff durch Spülung der Eileiter gewonnen werden. Beim Rind ist dies sehr aufwendig, deshalb werden dort überwiegend in vitro erzeugte Embryonalstadien verwendet. Die mikroinjizierten Eizellen werden dann nach einer kurzzeitigen in-vitro-Kultivierung, bei der injektionsbedingte Schädigungen Abb. 2: Schematische Darstellung des Kerntransfers mit embryonalen Zellen (Oozyte = weibl. Keimzelle) (a) (b) (c) (d) (e) (f) (a) (b) (c) (d) (e) (f) DIE MILCHDRÜSE ALS BIOREAKTOR Metaphase II - Oozyte Metaphase II - Oozyte nach Entfernung der Chromosomen Spenderembryo mit 16 Blastomeren Entkernte Empfängeroozyte vor Transfer der Blastomere Oozyte und Blastomere nach Transfer Aufnahme der Blastomere im Ooplasma nach Elektrofusion und Kernschwellung als Zeichen der Reprogrammierung erkannt werden können, in die Eileiter synchronisierter, das heißt zyklusgleicher Empfängertiere übertragen. Das gesamte Verfahren ist sehr aufwendig und nur wenig effizient, da durchschnittlich nur 1–4 % der geborenen Nachkommen das Fremdgen integriert haben und damit als ‘transgen’ bezeichnet werden können. Zudem erfolgt die Integration zufällig in das Wirtsgenom, FORSCHUNGSREPORT und die Expression des fremden Gens kann durch das umgebende Genom beeinflußt werden. Deshalb wird intensiv nach effizienteren Alternativen gesucht. Dazu müssen geeignete, in der in-vitro-Kultur handhabbare Zellen oder Zellinien verfügbar sein. Diese scheinen inzwischen bei landwirtschaftlichen Nutztieren in Form von fetalen Fibroblasten (Bindegewebszellen), möglicherweise auch Keimzell-Vorläuferzellen, vorhanden zu sein. Erste Studien haben ergeben, daß sich diese Zellen relativ leicht genetisch verändern lassen und zudem die Integration und Funktionsfähigkeit des Transgens in vitro geprüft werden kann. Der Kern einer solchen transgenen Zelle wird in eine Empfänger-Eizelle, deren Chromosomen zuvor entfernt wurden, eingesetzt (Abb. 2). Auf diese Weise sind kürzlich erstmals transgene Schafe und Rinder geboren worden. 2/1998 Für zahlreiche pharmazeutisch wirksame Proteine, insbesondere Blutgerinnungsfaktoren und andere Blutproteine, überschreitet der Bedarf bei weitem die heutigen Produktionsmöglichkeiten. Diese Stoffe werden überwiegend noch durch Fraktionierung menschlichen Blutes gewonnen. Trotz sorgfältigster Kontrollen besteht dabei das Risiko der Übertragung viraler Krankheitserreger, wie Hepatitis B oder HIV. Aufgrund der aufwendigen und teuren Reinigungsverfahren sind die benötigten Proteine zudem extrem teuer. Durch den Mangel an diesen Proteinen können Patienten statt der erforderlichen prophylaktischen Behandlung häufig nur sporadisch und therapeutisch behandelt werden, was erhebliche Beschwerden und Einbußen in der Lebensqualität verursacht. Mit Hilfe der Gentechnologie wird weltweit nach alternativen Pro- 10 duktionswegen gesucht. Die Produktion biologisch aktiver pharmazeutischer Proteine mit Hilfe gentechnisch veränderter Bakterien oder Hefen ist jedoch meist nicht möglich, da diese Mikroorganismen nicht die Fähigkeit besitzen, die primären Genkonstrukte innerhalb der Zelle korrekt weiterzuverarbeiten. Proteine sind nämlich mehr als die bloße Aneinanderreihung von Aminosäuren, die durch das Gen kodiert werden. Für die biologische Wirksamkeit komplexer Proteine sind auch bestimmte Modifikationen, wie Glykosylierung, ß-Hydroxilierungen oder Karboxilierungen, notwendig. Die hierfür benötigen Enzyme fehlen den Bakterienzellen oder Hefen häufig. Transgene Nutztiere wie Rind, Schaf, Ziege, aber auch Schwein produzieren große Mengen Milchproteine, die leicht durch Melken zu gewinnen sind. Beispielsweise beträgt die Syntheserate der Milchdrüse für endogene Proteine zum Laktationshöhepunkt etwa 0,1 kg Protein/Tag beim Schaf und 1 kg/Tag beim Rind. Da diese enorme Syntheseleistung auch eine hohe Fremdgenexpression erwarten läßt, liegt die Idee nahe, die Milchdrüse als Bioreaktor zu verwenden. Die Milchdrüsenzellen transgener Nutztiere sind in der Lage, die erforderlichen Modifikationen an den Fremdproteinen durchzuführen, die für eine biologische Aktivität erforderlich sind. B I O T E C H N O L O G I E Abb. 1: Mikroinjektion in den Vorkern einer Schafzygote bei 320facher mikroskopischer Vergrößerung. Allerdings ist der finanzielle Aufwand, um ein exprimierendes Tier zu erstellen, aufgrund der geringen Effizienz des Gentransfers über Mikroinjektion noch sehr hoch. Da die Genkonstrukte aber nach den Mendel’schen Regeln weitervererbt werden, stehen nach einem entsprechenden Zeitraum homozygote, also reinerbige Individuen zur Verfügung. Nachdem eine solche transgene Linie erst einmal etabliert ist, sind die Haltungskosten für die Tiere gering, auch im Verhältnis zu anderen Produktionssystemen. Die Proteine müssen aus der Milch gewonnen, aufgereinigt und als pharmazeutisch wirksame Substanzen aufbereitet werden. Inzwischen sind mehrere Proteine in der Milchdrüse transgener Tiere teilweise in beachtlichen Konzentrationen produziert worden (Tabelle 2). Prominentestes Beispiel ist sicherlich die Produktion von -Anti-Trypsin in der Milchdrüse des transgenen Schafes „Tracy” (Abb. 3). -Anti-Trypsin ist der Hauptgegenspieler des Enzyms Elastase, das den Abbau während des kontinuierlichen Ab- und Neuaufbaus des Gewebes steuert. Ein genetisch bedingter Mangel oder vollständiges Fehlen von -Anti-Trypsin führt zu gesteigertem Gewebeabbau, der besonders in der Lunge manifest wird. Von diesem genetischen Defekt sind in Europa und Amerika etwa 100.000 Menschen betroffen. Die benötigten Mengen an -AntiTrypsin können durch Isolierung aus menschlichem Blutplasma nicht gewonnen werden. Bei dem Schaf „Tracy” lag die Expressionshöhe in der Milch bis zu 63 g pro Liter, bei durchschnittlich 35 g pro Liter während der gesamten Laktation. Das aus der Milch aufgereinigte Protein war vollständig und korrekt glykosiliert und besaß eine nahezu identische biologische Aktivität wie das humane -AntiTrypsin-Präparat. Inzwischen sind neben dem Anti-Trypsin auch der Tissue Plasminogen Activator (TPA), eine Substanz, die hochwirksam Blutgerinnsel aufzulösen vermag, und Antithrombin III, eine gerinnungshem- mende Substanz, in der Milchdrüse transgener Schafe und Ziegen produziert und aufgereinigt worden. Diese drei Substanzen befinden sich bereits im fortgeschrittenen Stadium der klinischen Prüfung. Bei deren positiven Ausgang wird damit gerechnet, daß sie im Jahre 2001 bis 2002 auf den Markt kommen. Dies sind dann die ersten pharmazeutischen Proteine, die aus der Milchdrüse transgener Tiere für therapeutische Zwecke bereitgestellt werden Tab. 2: Transgene landwirtschaftliche Nutztiere mit milchdrüsenspezifischer Expression pharmazeutischer Proteine Mikroinjizierte übertragene Eizellen Nachkommen Anzahl/(%)* Transgene Nachkommen/Exp.* Expressionshöhe (pro ml) Autoren 25 ng Simons et. al. (1988); Clark et al. (1989) Tierart Genkonstrukt Schaf -lac-hFIX Schaf -lac-hαAT 439 113 (25,7) 5/4 35 mg (bis 63 mg) Wright et al. (1991) Schaf -lac-hFVIII-MT-I 277 103 (37,2) 6/3 5 – 10 ng Niemann et al. (1996, 1997) Schaf MAR -lac-hFVIII-MT-I 255 94 (36,9) 4/1 mRNA Niemann et al. (1996) Ziege mWAP-LA-tPA 203 29 (14,3) 2/1 2 – 3 mg Ebert et al. (1991) Schwein mWAP-hPrC 320 26 ( 8,2) 7 1 mg Velander et al. (1992) Rind -cas-hLF 129 19 (14,7) 2/1 30 mg Lee and de Boer (1994); Krimpenfort et al. (1991) Rind -cas-hERY 859 1 ( 0,1) 1/0 – Hyttinen et al. (1994) 307 57 (18,6) 4/2 FIX = humaner Blutgerinnungsfaktor IX hPrC = humanes Protein C -lac = ß-Lactoglobulin hAT = humanes -Anti-Trypsin hLF = humanes Laktoferrin MAR = Matrix Attachment Regions hFVIII = humaner Blutgerinnungsfaktor VIII hERY = humanes Erythropoetin -cas = boviner Caseinpromotor LA-tPA = Gewebe Plasminogen-Aktivator MT-I = Murines Metallothionein I mWAP = muriner saurer Molkenproteinpromotor * Die Angaben sind folgendermaßen zu verstehen: Aus 307 übertragenen Eizellen (im Fall der transgenen Schafe mit β-lac-hFIX-Genkonstrukt) sind 57 Nachkommen (= 18,6 %) hervorgegangen, davon waren 4 Tiere transgen, von diesen exprimierten 2 das entsprechende Protein. 11 2/1998 FORSCHUNGSREPORT Die Milchdrüse als Bioreaktor: Aus der Milch transgener Kühe, Schafe und Ziegen sollen pharmazeutisch wirksame Proteine gewonnen werden. B I O T E C H N O L O G I E können. Angesichts dieser äußerst komplexen und schwierigen Technologie ist die kurze Entwicklungszeit von annähernd 20 Jahren besonders bemerkenswert. Diese Arbeiten sind im wesentlichen durch zwei Biotechnologie-Firmen, Genzyme Transgenics in den USA und Pharmaceutical Proteins Ltd. (PPL) in Schottland, durchgeführt worden. In eigenen Forschungsarbeiten am FAL-Institut für Tierzucht und Tierverhalten ist in engster Kooperation mit der Arbeitsgruppe Zellbiologie des Fraunhofer Instituts in Hannover der menschliche Blutgerinnungsfaktor VIII in der Milchdrüse transgener Schafe exprimiert worden. Genetisch bedingter Mangel oder vollständiges Fehlen von Faktor VIII hat das klinische Bild der Hämophilie A zur Folge. Dabei handelt es sich um die am weitesten verbreitete genetisch bedingte Blutgerinnungsstörung beim Menschen („Bluterkrankheit”). Zur Behandlung werden überwiegend Plasmapräparate eingesetzt, die vielfach mit pathogenen Viren kontaminiert und zudem mengenmäßig völlig unzureichend verfügbar sind. Das Faktor VIII-Gen ist ein besonders großes und extrem komplex reguliertes Gen, was eine effiziente Expression in der Milchdrüse transgener Tiere besonders schwierig macht. In den bisherigen Untersuchungen ist gezeigt worden, daß Faktor VIII-Foundertiere lebensfähig sind und die Genkonstrukte von transgenen Tieren weitervererbt werden, daß das Genkonstrukt in der Milchdrüse korrekt prozessiert wird und biologische Wirksamkeit entfaltet. In zukünftigen Forschungsarbeiten soll die Expressionshöhe durch neuartige Genkonstrukte erhöht werden. Berechnungen haben ergeben, daß bereits 20–25 Schafe den gesamten Jahresbedarf der USA an Faktor VIII (ca. 120 g) decken könnten, und zwar unter der Voraussetzung einer Expressionshöhe von 0,01 g/ltr. und einer Ausbeute von nur 10 % des Proteins. FORSCHUNGSREPORT 2/1998 XENOTRANSPLANTATION Viele Menschen verdanken ihr Leben der Übertragung eines geeigneten Organs. In solchen Fällen existierte keine alternative Behandlungsmöglichkeit, und der Empfänger wäre ohne die Organtransplantation gestorben. Die großen medizinisch-technischen Fortschritte bei der Organtransplantation, die heute das Überleben vieler Kranker gewährleisten, haben jedoch weltweit zu einem akuten Mangel an Spenderorganen geführt. Während die Nachfrage nach transplantierbaren Organen jährlich um circa 15 % steigt, ist die Bereitschaft zur Organspende in etwa gleich geblieben oder sogar gesunken. Schätzungen in den USA haben ergeben, daß für 45.000 Menschen, jünger als 65 Jahre, eine Herztransplantation notwendig ist, aber nur 2.000 menschliche Herzen pro Jahr zur Verfügung stehen. Deshalb sterben heute in jedem Jahr viele tausend Patienten, die bei Verfügbarkeit geeigneter Organe überleben könnten. Um diese immer größer werdende Lücke zwischen Nachfrage und Verfügbarkeit geeigneter Organe schließen zu können, wird heute die Xenotransplantation – das heißt Übertragung von Organen zwischen nichtverwandten Arten, zum Beispiel von Tieren auf den Menschen – als beste Lösung angesehen. Dabei ist das Schwein offenbar besonders geeignet, da dessen Organe in etwa die gleiche Größe und eine ähnliche Physiologie und Anatomie wie die des Menschen besitzen. Charakteristisch für das Schwein sind außerdem kurze Reproduktionszyklen und große Nachkommenzahlen sowie schnelles Wachstum. Darüber hinaus sind die Haltungskosten auch unter hygienisch hohem Standard relativ niedrig. Die wesentliche immunologische Hürde, die überwunden werden muß, ist die hyperakute Abstoßung, 12 Abb. 3: Das transgene Schaf „Tracy” mit Nachkommen im schottischen RoslinInstitut (Foto: Ges. für Biotechnische Forschung) die innerhalb von Sekunden bis Minuten nach Übertragung eines Xenotransplantats eintritt. Im Falle der Übertragung von Organen des Schweins auf den Menschen reagieren die menschlichen Antikörper auf Antigene auf der Oberfläche des Fremdorgans. Diese Antikörper aktivieren das Komplementsystem, eines der Hauptabwehrsysteme im Blut des Empfängers, und die Antikörper-Komplementkomplexe zerstören die Gefäßinnenauskleidung des Fremdorgans und damit letztlich das Organ selbst. Dementsprechend zielt die Strategie, Schweine genetisch zu verändern, im wesentlichen darauf ab, diese hyperakute Abstoßungsreaktion zu überwinden. Dies kann durch Synthese humaner Komplementregulatoren im Schwein offenbar erreicht werden. Nach Transplantation in den Empfänger würde das Schweineorgan diese Regulatoren produzieren und damit die Komplementattacke des Empfängers ausschalten. Inzwischen sind transgene Schweine erstellt worden, die humane Komplementregulatoren exprimieren und deren Herzen in Primaten übertragen worden sind. Die durchschnittliche Überlebensrate betrug 30–60 Tage, während die B I O T E C H N O L O G I E nichttransgenen Kontrollen bereits innerhalb weniger Minuten zerstört wurden. Empfängerprimaten mußten allerdings mit immunsuppressiven Medikamenten behandelt werden, um die akute Abstoßungsreaktion, die auch bei der Transplantation menschlicher Organe auftritt, zu beherrschen. Eine andere Strategie für eine erfolgreiche Xenotransplantation könnte die Ausschaltung der auf der Oberfläche der Schweineorgane befindlichen antigenen Strukturen betreffen. Diese sind als 1,3ß-GalEpitope bekannt. Da jedoch bei Nutztieren – anders als bei der Maus – noch keine effektiven Verfahren zum Knock-out (= Ausschaltung) von Genen bekannt sind, wird versucht, die Enzyme, die für die Bildung dieser Epitope verantwortlich sind, kompetetiv durch Überproduktion eines anderen Enzyms zu unterdrücken. UMSETZUNG IN DIE PRAXIS Am weitesten ist die Entwicklung der Xenotransplantation bisher bei der Firma Imutran, einer Tochter der schweizer Firma Novartis, gediehen. Sie besitzt bereits umfangreiche Erfahrungen mit der Übertragung von Herzen aus transgenen Schweinen in Primaten. Allerdings sind die beantragten klinischen Tests zunächst zurückgestellt worden, um weitere Erkenntnisse zur potentiellen Übertragung von Krankheitserregern zu gewinnen. In den USA werden zur Zeit Experimente durchgeführt, in denen das Blut von leberkranken Patienten durch eine außerhalb des Körpers befindliche Schweineleber geführt wird. Dies stellt eine Überbrückungsmaßnahme dar, bis ein geeignetes humanes Organ beschafft werden kann. Wesentlich für eine erfolgreiche Anwendung der Xenotransplantation wird die Klärung der Frage sein, inwieweit endogene Retroviren vom Xenotransplantat auf den Menschen übergehen können. Es wird heute davon ausgegangen, daß durch entsprechend hohe hygienische Standards und prophylaktische Behandlungen das Risiko einer Übertragung anderer Erreger weitgehend ausgeschaltet werden kann. Daneben wird auch bedeutsam sein, inwieweit die Fremdorgane im Empfänger ihre Aufgaben hinreichend erfüllen. In einem größeren Kooperationsprojekt mit mehreren Arbeitsgruppen, unter anderem auch an der Medizinischen Hochschule Hannover, werden in eigenen Forschungsarbeiten transgene Schweine erstellt, die für Xenotransplantations-Forschungsarbeiten verwendet werden können (Abb. 4). Erste Ergebnisse zeigen, daß die eingesetzten Transgene an die Nachkommen weitergegeben und auch exprimiert werden. Prognosen besagen, daß die Xenotransplantation im Verlaufe der nächsten 8–10 Jahre klinisch einsetzbar sein wird, wobei vor allem Herz, Lunge und auch Niere verwendet werden können. Bei der Leber erscheint dies hingegen – wesentlich bedingt durch die umfangreiche Syntheseleistung biologisch wirksamer Substanzen – fraglich. Mit der Verfügbarkeit geeigneter Xenotransplantate könnten viele der bedrückenden Probleme, die durch den Mangel an geeigneten Organen auftreten, gemildert werden. Dies ist auch angesichts der Tatsache bedeutsam, daß alternative Verfahren, wie künstliche Organe und Zellinien, offenbar in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen werden. auf dem landwirtschaftlichen Anwendungssektor für transgene Nutztiere. Es ist davon auszugehen, daß Produkte bzw. Organe transgener Tiere innerhalb der nächsten 10 Jahre einen wichtigen Bestandteil neuzeitlicher Therapieformen ausmachen werden und zu beträchtlichen Verbesserungen in der medizinischen Versorgung bei zahlreichen Patientengruppen beitragen werden. Jüngste Forschungsergebnisse, in denen erstmals transgene Tiere über die Verwendung transfizierter Zellen und Kerntransfer erstellt wurden, lassen vermuten, daß die Effizienz des SCHLUßFOLGERUNGEN Gentransfers sowohl qualitativ als auch quantitativ in absehbarer Zukunft erheblich verbessert werden wird. Dies wird auch die Entwicklung von Anwendungsmodellen für transgene Nutztiere mit Merkmalen im engeren landwirtschaftlichen Sinne möglich machen, zumal die Kenntnisse über Gene und deren Funktionen auch in diesem Bereich stark im Zunehmen begriffen sind. Aufgrund dieser vielversprechenden Perspektiven sollte diese Technologie deshalb intensiv weiterverfolgt und verbessert werden. ■ Transgene Nutztiere bieten beachtliche Perspektiven zur Lösung dringender Fragen in der Humanmedizin. Die Entwicklung auf diesem Sektor ist erheblich weiter als Prof. Dr. Dr. habil. Heiner Niemann, Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL), Institut für Tierzucht und Tierverhalten Mariensee, 31535 Neustadt a. Rbg. 13 2/1998 FORSCHUNGSREPORT Abb. 4: Transgene Schweine im FAL-Institut in Mariensee. Mit den Tieren werden Möglichkeiten der Xenotransplantation erforscht. B I O T E C H N O L O G I E In-vitro-Erzeugung von Rinderembryonen Ultraschallgeleitete Entnahme von Eizellen beschleunigt den Zuchterfolg Thomas Greising (Dummerstorf) B ei Kulturpflanzen sorgen leistungsfähige und angepaßte Sorten für einen hohen Ertrag. Der Züchtung kommt hier eine Schlüsselstellung zu. Für die Nutztierhaltung liegen die Dinge ähnlich. Doch während in der Pflanzenzüchtung mit kurzlebigen, in der Regel einjährigen Arten gearbeitet wird, hat die Züchtung bei Nutztieren mit wesentlich längeren Generationsintervallen zu kämpfen. Da zudem – gerade bei größeren Nutztieren wie Rindern – die Zahl der Nachkommen relativ gering ist, dauert es lange, bis sich ein Züchtungsziel in der Population stabil ausprägt. Mit biotechnologischen Methoden ist es möglich, sowohl die Generationsintervalle zu verkürzen als auch die Nachkommensrate zu erhöhen. In der Nutztierzucht hängt die Zeit, die für eine meßbare Veränderung von Merkmalen in Richtung des Zuchtzieles benötigt wird, von verschiedenen Faktoren ab. Wichtige Fragen sind zum Beispiel: Wie stark unterscheiden sich die Individuen einer Population in Bezug auf das Selektionsmerkmal, in welchem Maße wird das Merkmal in der nächsten Generation ausgeprägt und wie lange brauchen die neugeborenen Merkmalsträger, um selbst wieder zur Zucht herangezogen zu werden. Bei langer Tragezeit und geringer Anzahl von Nachkommen pro Muttertier dauert es entsprechend lange, bis züchterisch auf veränderte Umweltbedingungen oder neue Ansprüche der Konsumenten reagiert werden kann. Leistungsmerkmale innerhalb einer Tierpopulation werden über die Keimzellen (Spermien und Eizellen) an die folgende Generation weitergegeben. Sind einzelne Individuen der Population aufgrund herausragender Leistungen in besonderem Maße zur Zucht geeignet, führt eine frühzeitige und verstärkte Nutzung FORSCHUNGSREPORT 2/1998 ihres Keimzellpotentials zu einer erhöhten Anzahl von Nachkommen, die Träger der Erbanlagen für dieses Leistungsmerkmal sind. In den letzten Jahren wurden moderne biotechnische Verfahren zur Kontrolle und Steuerung der Fortpflanzung entwickelt, die den Tierzüchter bei der Zucht gesunder, fruchtbarer Tiere unterstützen können und zu einem schnelleren Zuchterfolg verhelfen. DIE VATERTIERE In der Rinderzucht ist es durch die Entwicklung der künstlichen Besamung möglich geworden, die züchterischen Ressourcen ausgewählter männlicher Tiere besser zu nutzen. Kontinuierliche Samengewinnung und Tiefgefrierkonservierung verdünnter Ejakulatportionen erlauben es, das genetische Potential leistungsstarker Bullen in einem weitaus stärkeren Maße zur Zucht zu nutzen, als das zuvor durch den natürlichen Deckakt möglich gewesen ist. 14 SCHWIERIGKEITEN BEI DER NUTZUNG WEIBLICHER KEIMZELLEN Problematischer gestaltete sich die verstärkte Nutzung des Keimzellpotentials weiblicher Hochleistungsrinder. Säugetiere verfügen bei ihrer Geburt auf den Ovarien (Eierstöcken) über etwa 400.000 Follikel und in diesen Follikeln über je eine Eizelle. Trotz dieser enorm großen Zahl ist die Entwicklungsrate zur befruchtungsfähigen Eizelle äußerst gering. Bis auf wenige Ausnahmen reift in jedem ovariellen Zyklus beim Rind nur eine einzige Eizelle soweit heran, daß sie befruch- B I O T E C H N O L O G I E DER EMBRYOTRANSFER Umsetzen von tiefgefrierkonservierten Embryonen aus der Gefriermaschine in den Container tet werden kann. Die Anzahl erzeugter Nachkommen pro Kuh ist daher relativ gering. Oft sind es nicht mehr als fünf Kälber, die von einem Muttertier geboren werden. Damit ist die Möglichkeit, die Erbanlagen weiblicher Hochleistungsrinder auf konventionelle Weise in der Zucht zu nutzen, sehr beschränkt. Anfang der 70er Jahre wurde das Verfahren des Embryotransfers beim Rind entwickelt. Die sogenannte Superovulationsbehandlung – ein Teilschritt dieses Verfahrens – stellt einen wichtigen Meilenstein bei der verstärkten Nutzung des weiblichen Keimzellpotentials dar. Unter Superovulation versteht man die gezielte Behandlung von Kühen und Färsen mit Hormonen, die dazu führt, daß auf den Ovarien dieser Tiere vermehrt Follikel und damit befruchtungsfähige Eizellen heranreifen. Nach der Ovulation (Eisprung) werden durch künstliche Besamung statt einem gleich mehrere Embryonen erzeugt, die durch Spülung von Eileiter und Uterus aus dem Spendertier gewonnen werden können. Die Embryonen werden in Empfängertiere transferiert und von ihnen ausgetragen. Pro Behandlung und Spendertier liegt die Erfolgsrate derzeit bei etwa 5-7 transfertauglichen Embryonen, von denen sich in der Regel 2-3 zu Kälbern entwickeln. Bei wiederholter Nutzung dieses Verfahrens sind bis zu 100 Nachkommen pro Kuh möglich. Superovulation und Embryotransfer tragen als Komplex dazu bei, die Erbanlagen weiblicher Hochleistungstiere in wesentlich stärkerem Maße in die Gesamtpopulation einzubringen, als es durch ‘klassische’ künstliche Besamung der Tiere möglich wäre. Abb. 1: Die ultraschallgeleitete Follikelaspiration beim Rind. A) Die Ultraschallsonde wird durch den Tierarzt fixiert und die Aspirationskanüle durch einen Helfer eingeführt. B) Ultraschallbild eines Rinder-Ovars. 15 DIE FORSCHUNG Obwohl Superovulation und Embryotransfer beim Rind mittlerweile feste Bestandteile der Arbeit von Zuchtverbänden sind, wird weiter an ihrer Optimierung gearbeitet. Beiden Verfahren liegen äußerst komplexe biologische Mechanismen zugrunde, deren Charakterisierung ein breites Methodenspektrum erfordert. Die Untersuchungen an lebenden Tieren dienen dabei als Grundlage für die Erarbeitung von Modellen zur Simulation physiologischer Vorgänge. Ziel ist es, zelluläre und systemische Regulationsmechanismen genauer zu untersuchen und zu entschlüsseln. Die komplexe Nutzung zellphysiologischer, biochemischer und klinischer Methoden trägt neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn auch zur Entwicklung von innovativen biotechnischen Verfahren bei. Ein Beispiel hierfür ist die ultraschallkontrollierte Entnahme von Eizellen aus den Follikeln (Follikelaspiration), die als Grundlage für die In-vitro-Produktion von Embryonen dient. DIE TRANSVAGINALE ULTRASCHALLGELEITETE FOLLIKELASPIRATION Superovulation und Embryotransfer waren zunächst die einzigen Möglichkeiten, das Eizellpotential weiblicher Hochleistungsrinder in verstärktem Maße zu Zucht zu nutzen. Nach wie vor war man aber darauf angewiesen, die Kühe künstlich zu besamen und die Embryonen durch Spülung von Eileiter und Uterus zu gewinnen. Mit der Entwicklung von In-vitro-Techniken zur Eizell- 2/1998 FORSCHUNGSREPORT Laden des Transfergerätes mit einem aufgetauten TG-Embryo vor der Übertragung B I O T E C H N O L O G I E reifung, Befruchtung und Embryokultur eröffnete sich die Möglichkeit, Embryonen auch außerhalb des Organismus zu erzeugen. Das Problem bei der praktischen Anwendung bestand allerdings darin, daß zur Eizellgewinnung anfangs nur die Ovarien geschlachteter Rinder genutzt werden konnten. Von lebenden Tieren ließen sich keine frischen unbefruchteten Eizellen gewinnen. Die sogenannte ultraschallgeleitete Follikelaspiration hat hier zu einem Durchbruch geführt. Abb. 2: Zwei Rinderembryonen im Stadium der Blastozyste, 8 Tage nach der Befruchtung der Eizellen. Bei diesem Verfahren werden die Ovarien des Eizellspenders und eine transvaginal eingeführte Kanüle mittels Ultraschallsonde auf einem Monitor sichtbar gemacht (Abb. 1). Dadurch kann der Tierarzt das Absaugen von Follikelflüssigkeit und Eizellen auf dem Bildschirm genau verfolgen. Für die Spendertiere stellt dieser Eingriff keine starke Belastung dar, er kann daher in regelmäßigen Abständen wiederholt werden. ren auf die Effizienz der Technik. Im Vordergrund stehen dabei das Alter, der Zyklusstand und die hormonelle Behandlung der Tiere. Die gewonnenen Daten geben Auskunft über die Auswirkungen biologischer Einflußgrößen auf die Anzahl und Qualität der Eizellen. Die Optimierung technischer Details wie Aspirationsdruck, Ultraschallsonde und Aspirationssystem soll dazu beitragen, die Methode als neue Biotechnik in größerem Rahmen als bisher für die Praxis nutzbar zu machen. Gegenwärtig können in Dummerstorf im Mittel sechs reifungstaugliche Eizellen pro Spendertier und Aspiration gewonnen und für die Embryonenproduktion in vitro genutzt werden. Im Labor werden die gewonnenen Eizellen in Abhängigkeit von der hormonellen Vorbehandlung der Tiere, vom Gewinnungszeitpunkt und vom morphologischen Zustand der Eizellen gereift. Bei ihrer Befruchtung konnte ein Einfluß des Bullen auf die Befruchtungsrate nachgewiesen werden. Durch verschiedene Medienzusätze soll die Effizienz der Embryoproduktion optimiert werden. Derzeit ist es möglich, aus den gewonnen Eizellen im Durchschnitt 20 % Morulae und Blastozysten – erste Entwicklungsstadien auf dem Weg zum Embryo – zu erzeugen (Abb. 2). Nachdem die ultraschall- UNTERSUCHUNGEN AM FBN Seit mehreren Jahren werden im Forschungsbereich Fortpflanzungsbiologie des Forschungsinstituts für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere (FBN) in Dummerstorf grundlagenorientierte Forschungsarbeiten zur ultraschallgeleiteten Follikelaspiration durchgeführt. Ein Team von Wissenschaftlern untersucht derzeit den Einfluß verschiedener Fakto- FORSCHUNGSREPORT 2/1998 16 geleitete Follikelaspiration anfänglich nur bei „Problemtieren” angewandt worden ist, also bei Kühen, die auf die Superovulationsbehandlung nicht angesprochen haben oder von denen aus anderen Gründen keine Embryonen gewonnen werden konnten, stehen mittlerweile vor allem tragende Tiere bis zum vierten Trächtigkeitsmonat sowie Kälber und Jungtiere im Mittelpunkt des Interesses der Forscher. NUTZEN FÜR DIE TIERZUCHT Besonders vielversprechend im Hinblick auf eine Beschleunigung des Zuchtfortschrittes ist die Nutzung von Tieren noch vor der Geschlechtsreife. Durch die beschriebenen Techniken wird es möglich, Nachkommen auch von Tieren zu erzeugen, die aufgrund ihres geringen Alters noch nicht in der konventionellen Zucht verwendet werden können. Eine frühere Nutzung der Jungtiere, das heißt eine Verkürzung des Generationsintervalls, bedeutet eine erhöhte Anzahl von Nachkommen pro Muttertier und damit eine größere Einflußnahme ihrerseits auf den Zuchtfortschritt. Diese Tatsache gewinnt besondere Bedeutung im Zusammenhang mit B I O T E C H N O L O G I E sogenannten MOET-Zuchtprogrammen. Diese Programme sind dadurch gekennzeichnet, daß die Zucht ausschließlich innerhalb bestimmter kleiner Kernpopulationen stattfindet. Charakteristisch für diese Programme ist die Tatsache, daß die Prüfung des Zuchtfortschrittes nicht anhand umfangreicher Nachkommengruppen durchgeführt wird, sondern stattdessen Prüfungsergebnisse von Ahnen, Voll- und Halbgeschwistern herangezogen werden. Ausschlaggebend für die Zuverlässigkeit einer so gefällten Selektionsentscheidung ist die Anzahl und Aussagekraft der Informationen über Eltern und Geschwistertiere. Zwangsläufig ergibt sich damit die Forderung nach einer hohen Anzahl an Nachkommen pro Elternpaar. Die Kombination von ultraschallgeleiteter Follikelaspiration und In-vitro-Techniken zur Embryoproduktion stellt eine Möglichkeit dar, dieser Forderung gerecht zu werden. RESÜMEE Wissenschaftliche Erkenntnisse haben mehr und mehr Eingang in die moderne Tierzucht gefunden. Damit ein rascher Wissens- und Technologietransfer in die Praxis sichergestellt wird, sollten Grundla- Rinderembryo 30 Tage nach Befruchtung (links: Größe etwa 10 mm) und 10 Tage später (unten: Größe 20 mm) genforschung und praktische Anwendung nicht voneinander getrennt werden. Einzelne Methoden und Modelle fortpflanzungsbiologischer Grundlagenforschung bieten die Möglichkeit, die Prozesse von Keimzellentwicklung und Befruchtung bis hin zur Wechselwirkung von Embryo und Muttertier genauer zu durchdringen. Für die praktische Nutzung dieses Wissens ist es oft notwendig, verschiedene Techniken innerhalb eines biotechnischen Verfahrens zusammenzufügen. Die Möglichkeit, durch ultraschallgeleitete Follikelaspiration in regelmäßiger Folge Eizellen vom lebenden Tier zu gewinnen, eröffnet dem Tierzüchter in Kombination mit den In-vitro-Techniken der Reifung, Befruchtung und Embryokultur sowie dem Embryonentransfer neue Perspektiven. Mit Hilfe dieses Methodenkomplexes wird er in die Lage versetzt, das Generationsintervall zu verkürzen und das genetische Potential weiblicher Hochleistungstiere verstärkt für die Zucht zu nutzen. Alle genannten biotechnischen Verfahren haben derzeit einen Stand erreicht, der ihre praktische Nutzung möglich macht. Nun kommt es darauf an, den aus der Praxis erfolgenden Informationsrücklauf in die fortlaufenden Forschungsarbeiten zu integrieren, um die Systeme weiter zu verbessern. Wissenschaft und Praxis im Komplex schaffen so die Möglichkeit, den ökonomischen Anforderungen in der Landwirtschaft weiter gerecht zu werden. ■ Dr. Thomas Greising, Forschungsinstitut für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere, Forschungsbereich Fortpflanzungsbiologie, WilhelmStahl-Allee 2, 18196 Dummerstorf 17 2/1998 FORSCHUNGSREPORT B I O T E C H N O L O G I E Gesündere Tiere durch besseres Futter Christine Idler, Christian Fürll, Thomas Ziegler und Reiner Brunsch (Potsdam-Bornim) I n der modernen Tierhaltung besteht ein großer Teil der eingesetzten Futtermittel aus Konservaten. Dies trifft nicht nur auf Getreide in der Schweine- und Geflügelproduktion zu, auch in der Rinderhaltung werden überwiegend Konservate – meist in Form von Silagen und wirtschaftseigenem Getreide – verfüttert. Die Qualität dieses Futters hängt einerseits von den Nährstoffen, Spurenelementen und Vitaminen ab, andererseits aber auch von unerwünschten Stoffen wie Verschmutzungen oder Toxinen. Pilzbefall und damit verbundene Mykotoxine (Gifte von Schimmelpilzen) stellen eine schleichende Gefahr für die Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Nutztiere dar. So wurde festgestellt, daß Milchkühe weniger Futter aufnehmen, wenn die Silage Mykotoxine enthält. In der Schweinezucht sind erhöhte Totgeburtenraten, schlechte Fruchtbarkeit und gestiegene Ferkelverluste als Folge von Mykotoxinen im Mischfutter beobachtet worden. Um derartiges zu vermeiden, muß die Verfahrenstechnik Voraussetzungen schaffen, die eine Bildung unerwünschter Pilze in Futterkonservaten verhindern. KONSERVIERUNG VON WIRTSCHAFTSGETREIDE In der Bundesrepublik Deutschland werden regelmäßig 50-85 % des Getreides in nicht lagerfähigem Zustand mit Feuchten über 14 % gedroschen. Um dem Verderb vorzubeugen, müssen geeignete Konservierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Solche Verfahren sollten an die Feuchte des Ernteguts, den Verwendungszweck und die vorhande- FORSCHUNGSREPORT 2/1998 Chemische Konservierung durch Milchsäure Zur chemischen Konservierung werden am häufigsten Propionsäure oder Mischungen anderer Säuren eingesetzt. Die Wirkungsweise dieser Konservierungsmittel beruht auf der Abtötung und/oder Inaktivierung der am Korn anhaftenden Mikroorganismen. Der Umgang mit Propionsäure ist aus Gründen des Umwelt- und Arbeitsschutzes nicht ganz unproblematisch. Eine Alternative kann hier Milchsäure sein. Sie ist als organische Säure weniger aggressiv, besitzt aber vergleichbare konservierende Eigenschaften. Milchsäure läßt sich nicht nur auf chemischem 18 Wege herstellen, sondern auch biotechnologisch auf der Basis nachwachsender Rohstoffe. Die Eignung von Milchsäure als Konservierungsmittel konnte am ATB in verschiedenen Modellversuchen an erntefeuchter beziehungsweise Abb. 1: Einfluß von unterschiedlichen Säuren auf d melpilzwachstum während der Lagerung von Gerst nem Feuchtegehalt von 22 % 106 log Zellzahl in KbE/g FM1 ne technische Ausstattung angepaßt sein, um die Kosten zu senken. Im Institut für Agrartechnik Bornim (ATB) werden verschiedene Verfahren zur Konservierung von Futtergetreide untersucht und bewertet. Im folgenden werden drei unterschiedliche Ansätze für neue Konservierungsverfahren für Futtergetreide vorgestellt. 105 Schwellenwert 104 103 102 10 0 0 1 1 3 6 Lagerzeit in Monaten 90 % Propionsäure 90 % Mil ohne Zusatz KbE/g FM Koloniebildende Einheiten/Gramm Frischmasse B I O T E C H N O L O G I E hafte L(+) - Milchsäure zu produzieren. Es wird vermutet, daß diese Form der Milchsäure in konserviertem Futter probiotische Wirkungen entfaltet und sich positiv auf die Gesundheit der Tiere auswirkt. Dies soll in weiterführenden Arbeiten näher untersucht werden. as Schimte mit ei- 9 chsäure wiederbefeuchteter Gerste nachgewiesen werden (vgl. Abb. 1). Aus der Abbildung wird deutlich, daß 90 %ige Milchsäure in gleicher Aufwandmenge wie Propionsäure die Zahl der Schimmelpilze unterhalb eines Schwellenwertes von 20.000 koloniebildenden Einheiten pro Gramm Frischmasse reduzieren kann. Aufwandmenge und Konzentration müssen allerdings für eine qualitätserhaltende einjährige Lagerung noch optimiert werden. Mit der Überprüfung der Ergebnisse in der Praxis wird in diesem Jahr begonnen. Sollten sich diese günstigen Resultate in der Praxis bestätigen, stünde damit dem Landwirt ein preiswertes Verfahren (ca. 3 DM/dt) zur Konservierung von Futtergetreide zur Verfügung. Bei der biotechnologischen Erzeugung von Milchsäure mit Hilfe von Bakterien ist es möglich, überwiegend die physiologisch vorteil- Lagerung unter Luftabschluß Eine weitere Möglichkeit ist die Lagerung von geschrotetem Getreide bis 20 % Feuchtegehalt unter Luftabschluß. Dieses Verfahren erscheint wegen der niedrigen Kosten (2 DM/dt) und der geringen lagerbedingten Verluste attraktiv. Seit 5 Jahren untersuchen wir diese Form der Konservierung in verschiedenen brandenburgischen Praxisbetrieben bei erntefeuchter Gerste, Tritikale und bei Roggen. Die Verfahrensgestaltung gliedert sich in folgende Prozesse: Annahme des Getreides, Zerkleinern, Einlagern in Fahrsilos, Verdichten des Schrotes im Silo und Abdecken des Silos mit Folie. Die Verfahrensabschnitte „Zerkleinern” und „Verdichten” wurden besonders intensiv bearbeitet. Auf Grund der Verdauungsphysiologie muß das Getreide für die Schweinefütterung stärker zerkleinert werden als für die Rinderfütterung. Beim Schweinefutter sollten 50 % der Getreidepartikel kleiner/gleich 1 mm sein, während beim Rinderfutter 4 mm ausreichend sind. Für die Rinder sollte das Korn also lediglich gequetscht sein, damit das Korninnere zugänglich wird. Die Zerkleinerung des Getreides erfolgt am zweckmäßigsten mit einem Doppelwalzenstuhl (Abb. 2, S. 20). Dieses Verfahren ist energetisch wesentlich günstiger zu bewerten als das sonst übliche Zerkleinern mit Hilfe von Hammermühlen. Hohe Lagerungsdichten sind nach der Zerkleinerung eine Grundvoraussetzung für das Gelingen der Konser- 19 vierung. Während bei fein zerkleinertem Getreide durch Überfahren mit schwerem Gerät Lagerungsdichten bis ca. 1.000 kg/m3 erzielt werden können, liegen die Dichten bei grob zerkleinertem Futter zwischen 700 kg/m3 und 850 kg/m3. Die Untersuchungen am ATB haben ergeben, daß auch grob zerkleinertes Getreide durch eine anaerobe Lagerung konserviert wird. Bei allen Versuchsansätzen konnte qualitätsgerechtes Futter erzeugt werden. Die Nährstoffverluste waren gering, ebenso der Besatz an Verderbniserregern. Der Gehalt an Ochratoxin A – einem verbreiteten Mykotoxin, das hauptsächlich von Schimmelpilzen der Gattungen Penicillium und Aspergillus gebildet wird – lag bei allen Varianten unterhalb von 3 µg/kg. Dieser Wert wird zur Zeit als EU-einheitlicher Grenzwert für Ochratoxin A diskutiert. Der Energiebedarf konnte um 65 % und die Kosten um 15 DM/t gesenkt werden. 2/1998 FORSCHUNGSREPORT Gerste 25 % Feuchtigkeitsgehalt, 4 Wochen nach Versuchsbeginn: Mit Propionsäure behandelt (oben), unbehandelt (unten) B I O T E C H N O L O G I E Solarunterstützte Trocknung Speziell in der Landwirtschaft bietet sich die solare Lufterwärmung für Trocknungszwecke an, da Ernteperiode und Hauptenergieangebot der Sonne im Jahresverlauf zeitlich zusammenfallen. Bei der möglichst kontinuierlich durchzuführenden Satztrocknung von Getreide mit solar erwärmter Luft muß jedoch auch bei ungünstigen solaren Einstrahlungsverhältnissen – also bei bedecktem Himmel – ein rechtzeitiger Trocknungsabschluß sichergestellt sein, um Qualitätseinbußen durch einsetzende Verderbnisprozesse zu vermeiden. Im Institut für Agrartechnik Bornim wird daher an einem Sorptionsspeicher von solarem Trocknungspotential gearbeitet, der durch die Nutzung von Getreide als Speichermedium neue Realisierungsmöglichkeiten für die solar unterstützte Trocknung eröffnet (vgl. Abb. 3). Das Prinzip der Sorptionsspeicherung nutzt die latente Wärmeenergie des in der Außenluft enthaltenen Wasserdampfes. Bei der Entfeuchtung des Speichers – tagsüber mit solar erwärmter Luft – kühlt sich die durchströmende Luft infolge der aufzubringenden Desorptionswärme ab. Bei der Befeuchtung des Speichers hingegen – nachts durch Außenluft – erwärmt sich die durchströmende Luft durch die freigesetzte Abb. 3: Mehrfachnutzung von Solardach und Sorptionsspeicher für nachgeschaltete Trocknungsprozesse (schematisch): A = Solardach, B = Sorptionsspeicher, C = Mischkammer, D = Ventilator, E = Getreidetrocknung; F = Heutrocknung, G = Holzhackschnitzeltrocknung, = relative Luftfeuchte Adsorptionswärme. Im Ergebnis liegt die relative Feuchte der Speicheraustrittsluft normalerweise immer unterhalb der relativen Feuchte der (nicht erwärmten) Außenluft. Simulationsrechnungen zeigen, daß trocknungsfähige Luft mit einer relativen Feuchte von 65 % auch bei extrem ungünstigen Witterungsbedingungen über mehrere Wochen hinweg Tag und Nacht ohne zusätzliche Lufterwärmung bereitgestellt werden kann. Getreide als Spei- Abb. 2: Doppelwalzenstuhl FORSCHUNGSREPORT 2/1998 20 chermedium steht im landwirtschaftlichen Betrieb konkurrenzlos preiswert zur Verfügung und besitzt gegenüber technischen Sorbentien, wie zum Beispiel Silika-Gel, entscheidende verfahrenstechnische Vorteile. So verschlechtert Staub die Sorptionseigenschaften von SilikaGel – aber nicht die von Getreide. Mykotoxinbildung infolge von Schimmelpilzwachstum im Inneren des Speichers kann ausgeschlossen werden, da schädigungsrelevante Luftzustände praktisch nicht erreicht werden; das Speichergetreide bleibt „trocken”, das heißt unterhalb des bezüglich der Verderbgefährdung kritischen Wassergehaltes. Diese Art der Trocknung ist nicht nur für frisch geerntetes Getreide, sondern auch für Saatgut, Heu oder Holzhackschnitzel geeignet. Die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens wird entscheidend von der Mehrfachnutzung der Kollektor-SpeicherEinheit für die nachgeschalteten Trocknungsprozesse abhängen. Die vergleichsweise kleine Menge an Speichergetreide kann nach Abschluß der Trocknungsperiode als Viehfutter verwendet werden. keit der Rohnährstoffe. Seit zwei Jahren wird diese Bakterienkombination erfolgreich zur Gras-Silierung unter Praxisbedingungen eingesetzt. In diesem Jahr sind auf diese Weise 15.000 Tonnen Welsches Weidelgras (Lolium multiflorum) in der Agrargenossenschaft in Niederschöna einsiliert worden. Zur Zeit wird an einem Verfahren gearbeitet, mit dem der Landwirt auf seinem Hof diese Stämme selbst vermehren und somit erhebliche Siliermittelkosten Abb. 4: Einfluß unterschiedlicher Bakteriengemische auf das Gärsäurespektrum von Gras-Silagen nach 90tägiger Fermentation 80 Gehalt in g/kg TS pH-Werte ■ 4,14 ■ 3,57 ■ 3,64 70 60 50 KONSERVIERUNG VON HALMFUTTER Grünfutter kann auf verschiedenem Wege haltbar gemacht werden: Neben der Bereitung von Heu ist die Silierung das wichtigste Konservierungsverfahren. Bei der Silierung von Grünfutter treten insbesondere bei schwer vergärbaren Futterstoffen wie Gräsern und Leguminosen sowie bei ungünstigen Witterungsbedingungen immer wieder Fehlgärungen auf. Diese können zu erheblichen Qualitätsverlusten und zur Beeinträchtigung der Tiergesundheit führen. Viele Faktoren, die die Silierung beeinflussen, zum Beispiel die Anzahl der Milchsäurebakterien im Gärgut oder die Konzentration an fermentierbaren Kohlenhydraten, sind zu Beginn des Prozesses meist nicht optimal vorhanden. Durch Zusatz von Siliermitteln kann der Silierprozeß sichergestellt werden. Neben chemischen Siliermitteln werden aus Gründen des Arbeitsschutzes und der Verträglichkeit in der Tierernährung verstärkt Milchsäurebakterien als Silage-Impfkulturen verwendet. Eine Vielzahl solcher Impfpräparate ist bereits auf dem 40 30 20 10 0 Ammoniak Alkohol Milchsäure Essigsäure Buttersäure ■ ohne Zusatz ■ Bakteriengemisch: Lactobacillus casei, Lactobacillus rhamnosus ■ Bakteriengemisch: Lactobacillus casei, Lactobacillus delbrückii, Enterococcus faecium Markt. Doch auch bei ihrer Verwendung bleibt der Siliererfolg zuweilen aus. Ursache für die Unwirksamkeit einiger Präparate sind häufig ungeeignete Milchsäurebakterienstämme. Die Suche nach wirksamen Impfkulturen bleibt daher trotz der Vielfalt der angebotenen Präparate eine wichtige Aufgabe. Im Institut für Agrartechnik wurden über viele Jahre Milchsäurebakterien isoliert und auf ihre Siliereignung zur Konservierung von Gras untersucht. Aus einem Pool von 250 Stämmen hat sich ein Gemisch aus den Stämmen Lactobacillus casei und Lactobacillus rhamnosus ausgezeichnet. Es beeinflußt das Gärsäurespektrum positiv (hoher Gehalt an Milchsäure und geringe Mengen an Buttersäure und Ammoniak, vgl. Abb. 4) und führt zu einer besseren Verdaulich- 21 einsparen kann. Die gegenwärtigen Kosten von ca. 4 DM pro Tonne Siliergut könnten sich auf 1-2 DM reduzieren. Im nächsten Jahr wird eine Pilotanlage dazu in der Agrargenossenschaft in Niederschöna errichtet werden. Alle dargestellten Verfahren zielen auf die Erzeugung von lagerfähigen, qualitativ hochwertigen Futtermitteln. Nährstoffreiches, mykotoxinfreies Futter ist die Voraussetzung für eine optimale Ernährung der Nutztiere und die Erhaltung ihrer Gesundheit sowie für die Erzeugung unbelasteter Lebensmittel. ■ Dr. Christine Idler, Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Fürll, Dipl.-Ing. Thomas Ziegler, Dr. Reiner Brunsch, Institut für Agrartechnik Bornim e.V., Max-EythAllee 100, 14469 Potsdam-Bornim 2/1998 FORSCHUNGSREPORT B I O T E C H N O L O G I E Biotechnologie in der Käseherstellung Klaus Pabst, Arnold Geis und Wilhelm Bockelmann (Kiel) M ilch ist nicht gleich Milch: Über den Weg der Tierzucht lassen sich Kühe selektieren, deren Milch bestimmte Ansprüche hinsichtlich der Inhaltsstoffe erfüllt. Beispielsweise ist es möglich, die Zusammensetzung des Eiweißes zu beeinflussen, was die Ausbeute in der Käserei verbessern kann und zu mehr Milchgeld für die Landwirte führt. In die Verarbeitungsprozesse der Milch haben moderne biotechnologische Verfahren Einzug gehalten. So dürfen Käsereien gentechnisch hergestelltes Lab-Enzym zum Dicklegen der Milch einsetzen. Sie müssen dies nicht deklarieren, weil es identisch ist mit dem traditionell verwendeten Kälber-Lab. Ein wichtiger Prozeß der Käseherstellung ist die Reifung, die dem Käse seinen typischen Charakter gibt. Die dabei ablaufenden komplexen Vorgänge beginnt man zu verstehen. Im Rahmen von EU-Forschungsprogrammen werden erste Versuche unternommen, den Reifungsvorgang mit Hilfe bestimmter Starterkulturen zu optimieren. BEDEUTUNG VON MILCHPROTEINVARIANTEN Milcheiweiß ist kein einheitlicher Stoff, sondern aus verschiedenen Casein- und Molkenproteinfraktionen zusammengesetzt. In der Milch liegen die Caseine in Micellen (Abb. 1) vor, die durch -Casein stabilisiert werden. Die Molkenproteine sind in Lösung. Jedes Protein wird nach der Vorgabe von 2 Allelen gebildet (gleichsinnige Gene auf homologen Chromosomen), die entsprechend des väterlichen und mütterlichen Erbguts verschieden sein können. Das kann zu unterschiedlichen Aminosäuremustern führen (Milchproteinvarianten). Zwischen den einzelnen Rinderrassen gibt es große Unterschiede hinsichtlich der Häufigkeit bestimmter Formen. Positiv wirksame Allele sind relativ selten. Durch die Auswahl der Zuchttiere kann ihre Zahl jedoch angehoben werden. Im Zusammenhang mit der Herstellung von Käse ist das -Casein von großem Interesse, weil es auf die Gerinnungseigenschaften der FORSCHUNGSREPORT 2/1998 Abb. 1: Modell für den Aufbau einer Casein-Micelle in der Milch. Milch wirkt. Kühe mit dem Genotyp BB haben kleinere und gleichmäßiger verteilte Micellen als solche mit dem Genotyp AA. Mischerbige (heterozygote) Tiere mit dem Genotyp AB stehen zwischen den Extremen. Fügt man den verschiedenen Milchtypen das Gerinnungsenzym Lab (Chymosin) zu, so gerinnt BB-Milch schneller, weil die Gesamtoberfläche der Micellen und damit die Reaktionsfläche größer ist. Dadurch entsteht relativ rasch ein dichtes Netzwerk (Gallerte), in dem mehr Casein gebunden werden kann. DER PRAKTISCHE BEZUG Versuche der Bundesanstalt für Milchforschung (BAfM) – zunächst im kleinen Maßstab mit Milch von Kühen aus der Versuchsstation Schaedtbek durchgeführt – deuteten auf eine höhere Käseausbeute bei der BB-Milch hin. Erkenntnisse dieser Art können für die Käsereipraxis von großer Bedeutung sein. Daher wurden Versuche im Praxismaßstab geplant, für die die Unterstützung 22 von Landwirten und Molkereien notwendig war. Zunächst wurde von 2.868 Kühen aus 50 landwirtschaftlichen Betrieben der Genotyp festgestellt. 153 Kühe mit dem -Caseingenotyp BB wurden extra gemolken (BBMilch). Die Milch von 542 Kühen diente als Kontrolle. Die Abend- und Morgengemelke wurden getrennt mit einem Tanksammelwagen eingesammelt. Die Adelbyer Nordfrieslandmilch eG unterstützte diesen Teil. Eine Feinkäserei in Sarzbüttel B I O T E C H N O L O G I E Natürlich hat man sich gefragt, ob die Tatsache, daß BB-Milch gebende Tiere relativ selten vorkommen, durch Mängel bei anderen Merkmalen begründet ist, insbesondere bei der Gesundheit. Jedoch haben alle bisherigen Untersuchungen ergeben, daß negative Zusammenhänge nicht vorliegen. Solche Untersuchungen sind nicht nur auf das eigene, der BAfM zur Verfügung stehende Material beschränkt, dieser Frage ist auch international nachgegangen worden. Nach dieser wichtigen Antwort besteht die Möglichkeit, Tiere mit geeignetem Genotyp gezielt anzupaaren. EFFEKTIVERE ZÜCHTUNG DURCH BIOTECHNOLOGIE (Dithmarschen) verarbeitete die Milch zu Tilsiter Käse. Die Milch wurde von Angler Kühen (Abb. 2) in Schleswig-Holstein gesammelt, weil etwa 12 % der Kühe den erwünschten Genotyp BB für das -Casein haben, wohingegen bei Schwarzbunten nur 2 % vorkommen. Aus der BB-Milch ließ sich 4,6 % mehr Käse gewinnen als aus der Kontrollmilch; die Rohstoffkosten wa- ren um 0,01 DM/kg Milch niedriger. Bei gleichen Produktionskosten und gegebenem Käsepreis standen damit rund 0,04 DM/kg Milch für eine höhere Milchgeldauszahlung und zur Begleichung möglicher Züchtungskosten zur Verfügung. Es zeigte sich auch, daß BB-Milch eine höhere Hitzestabilität hat. Dies könnte sich positiv auf die Qualität erhitzter Produkte wie Milchpulver und H-Milch auswirken. 23 Die Genotypisierung der Rinder kann anhand von Milchproben erfolgen, deren Proteine durch isoelektrische Fokussierung aufgetrennt und nach Anfärbung ausgewertet werden. In einer Probe können alle Caseine und Molkenproteine gleichzeitig bestimmt werden. Mit molekularbiologischen Techniken kann altersund geschlechtsunabhängig auch an Haar-, Sperma- oder Blutproben eine direkte Analyse der DNA vorgenommen und so genotypisiert werden. Die Untersuchungskosten liegen deutlich unter 100 DM pro Tier. Natürlich können Tiere mit günstigem Genotyp nur für den Einsatz empfohlen werden, wenn die Zuchtwerte für Leistung, Fruchtbarkeit und Gesundheit möglichst positiv sind. Gerade in Fällen, wo Rinder mit erwünschten Proteinvarianten in der Milch selten sind, greifen moderne Methoden der Fortpflanzungsbiologie: Bekannte Merkmalsträger aus verschiedenen Gegenden der Welt können unabhängig vom Standort durch tiefgefrorenes Sperma angepaart werden. Mit Hilfe der Superovulation (vgl. Beitrag auf Seite 14) läßt sich die Anzahl der Embryonen und damit die Nachkommenzahl steigern. 2/1998 FORSCHUNGSREPORT B I O T E C H N O L O G I E Was ist für die Zukunft denkbar? Entscheidend wird sein, in welchem Maße Genwirkungen aufgeklärt und genutzt werden können. Zum Beispiel könnte die Menge eines bestimmten Proteins in der Milch durch das Einbringen von Mehrfachkopien des zugehörigen Gens gesteigert werden. Eine solche Steigerung ließe sich auch mit Hilfe eines geeigneten Promotors erreichen, also einer DNA-Sequenz, die die Aktivität eines Gens erhöhen kann. In den letzten Jahrzehnten führten weltweit steigende Käseproduktion und rückläufige Kälberschlachtungen zu einem Chymosinmangel. Dieser Mangel konnte zum Teil durch den Einsatz mikrobieller milchgerinnender Enzyme ausgeglichen werden, deren Eignung zur Käseherstellung hinsichtlich Ausbeute und Geschmack jedoch deutlich hinter der von Kälberlab zurückblieb. Anfang der 80er Jahre wurde das Gen für Chymosin sequenziert, also Abb. 2: Bei Angler Kühen finden sich relativ häufig Tiere, deren Milch kleine Casein-Micellen und gute Gerinnungseigenschaften aufweist (Foto: I. Rossen) CHYMOSINPRODUKTION DURCH MIKROORGANISMEN Die für die Käseherstellung benötigten Enzyme zur Milchgerinnung (Lab-Enzym) wurden seit Menschengedenken aus Mägen von säugenden Kälbern gewonnen. Der wässrige Extrakt aus diesen Mägen enthält im wesentlichen Chymosin, ein proteolytisches (eiweißspaltendes) Enzym, welches das -Casein der Milch in spezifischer Weise hydrolysiert, was zur Dicklegung der Milch führt. Neben dieser Hauptkomponente enthält Kälberlab weitere eiweißspaltende Enzyme (z. B. Pepsine) in geringeren Konzentrationen. FORSCHUNGSREPORT 2/1998 die für die Bildung des Enzyms zugrundeliegende genetische Information entschlüsselt. Mit Methoden der modernen Gentechnologie gelang es mehreren Arbeitsgruppen, dieses Gen in Mikroorganismen einzuführen und diese zur Bildung des Enzyms zu veranlassen. Das Verfahren ist folgendermaßen (Abb. 3): Die chromosomale DNASequenz des Gens wird in eine Boten-(messenger) RNA (mRNA) übersetzt und diese Nukleinsäure anschließend mit Hilfe des Enzyms ‘Reverse Transcriptase’ in die komplementäre DNA (cDNA) umgeschrieben. Diese DNA enthält die genetische Information für eine Vorform des Chymosins, das sogenannte 24 Pro-Chymosin. Die cDNA wird im nächsten Schritt enzymatisch mit einem speziellen Träger-DNA-Molekül (Plasmidvektor) verbunden (kloniert). Für diesen Zweck sind eine Vielzahl von Vektoren verfügbar. Um eine effiziente Synthese von Pro-Chymosin zu gewährleisten, muß das Gen mit geeigneten genetischen Kontrollsequenzen (Promotoren) versehen werden. Spezielle – induzierbare – Promotoren erlauben sogar ein gezieltes Ein- und Ausschalten der Enzymsynthese. Die bei der Klonierung erhaltenen DNA-Moleküle werden in einen geeigneten Mikroorganismus eingeführt. Für die Produktion von Chymosin werden heute Bakterien (E. coli), Hefen (Klyveromyces lactis) und Schimmelpilze (Aspergillus niger) verwendet. Je nach Mikroorganismus und Art des Genkonstruktes wird das gebildete Pro-Chymosin entweder aus den Mikroorganismenzellen oder aus dem Fermentationsmedium isoliert und anschließend mit herkömmlichen biochemischen Methoden gereinigt. In E. coli werden circa 300.000 Moleküle des Enzyms pro Zelle gebildet, die sich zu unlöslichen Partikeln (inclusion bodies) zusammenlagern. Diese lassen sich nach Aufbrechen der Bakterienzellen leicht isolieren. Um aktives Enzym zu erhalten, müssen diese Partikel aufgelöst und das freigesetzte Enzym renaturiert werden. Anschließend läßt sich das Pro-Chymosin bei niedrigem pH-Wert in aktives Chymosin überführen. Das durch gentechnisch veränderte Mikroorganismen produzierte (rekombinante) Chymosin wurde vor seiner Zulassung intensiven biochemischen, immunologischen und toxikologischen Prüfungen unterzogen. Dabei ergaben sich folgende Befunde: Chymosin aus Kälberlab und rekombinantes Chymosin sind identisch bezüglich der molekularen Masse der Proteine und deren physikochemischen und immunologi- B I O T E C H N O L O G I E Abb. 3: Biosynthese des Milchgerinnungsenzyms Chymosin. Links der natürliche Weg im Kälbermagen, rechts in Mikroorganismen, in die die Erbsubstanz für die Enzymbildung überführt wurde schen Eigenschaften sowie der enzymatischen Spezifität. Mikrobiell erzeugte Chymosinpräparate wiesen keine enzymatischen Fremdaktivitäten auf, enthielten keine Produktionskeime oder rekombinante DNA. In Tierversuchen konnten keinerlei toxische Substanzen nachgewiesen werden. Bei Käsereiversuchen traten bei der Herstellung verschiedener Käsetypen keine relevanten Unterschiede bezüglich Ausbeute, Textur, Geruch, Geschmack und Reifung der Käse auf. Rekombinantes Chymosin ist daher seit einigen Jahren in vielen Ländern für den Einsatz in der Käseherstellung zugelassen. Aufgrund der zahlreichen Vorteile dieser Produktionsweise, wie Unabhängigkeit von Rohstoffmärkten, hohe hygienische und technologische Produkt- und Herstellungssicherheit, umweltschonende Herstellungsweise sowie die für einige wichtige Märkte bedeutende Koscher- und Vegetarierakzeptanz, ist es nicht verwunderlich, daß in den USA etwa 90 % und in Großbritannien mehr als 80 % der Käse bereits mit mikrobiell gewonnenem Chymosin hergestellt werden. GENTECHNIK IN DER KÄSEHERSTELLUNG Bei der Produktion der meisten Käse ist die Reifung ein kostenintensiver, arbeits- und zeitaufwendiger Vorgang. Die Optimierung dieses Prozesses, insbesondere seine Beschleunigung, ist daher seit Jahren Ziel vielfacher Forschungsbemühungen. Neben physikalischen und chemischen Reaktionen ist besonders die partielle Spaltung von Milchproteinen ein wesentlicher Vorgang bei der Reifung. Die Proteolyse durch milcheigene Enzyme und durch die Enzymsysteme der Startermikroorganismen ist ein hochkomplexer Vorgang, der erst in den letzten Jahren, insbesondere durch multinationale Forschungsarbeiten im Rahmen mehrerer EU-Forschungsprogramme, besser verstanden wird. Zur Aufklärung der grundlegenden Mechanismen wurden verschiedene proteolytische Enzyme aus Starterbakterien identifiziert, gereinigt und charakterisiert. Mit Hilfe moderner molekularbiologischer Techniken konnten die entsprechenden Gene gefunden und entschlüs- 25 selt werden. Mit diesen Kenntnissen wurden Starterbakterien, insbesondere solche der Gattung Lactococcus, gezielt in ihren proteolytischen Aktivitäten verändert. Einige dieser Mutanten, die die niederländische Universität Groningen zur Verfügung stellte, wurden an der Bundesanstalt für Milchforschung für die Herstellung von Versuchskäsen eingesetzt. In einem ersten Schritt, der die Grundlagen für eine Optimierung der Käsereifung liefern soll, wurde versucht, Aromaeigenschaften sensorisch und biochemisch nachzuweisen und mit der An- bzw. Abwesenheit spezifischer Enzyme (Peptidasen) zu korrelieren. Da es sich bei den eingesetzten Mutanten der Starterbakterien um gentechnisch veränderte Mikroorganismen handelt, mußten gemäß Gentechnikgesetz bestimmte räumliche Voraussetzungen geschaffen werden. Mit dem Bau eines S1-Labors, in dem Käsereiversuche durchgeführt werden können, wurden diese gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Die Ergebnisse aus den ersten beiden Versuchskäseproduktionen mit fünf verschiedenen, in ihren PeptidaseAktivitäten veränderten LactococcusMutanten werden Ende 1998 vorgestellt. ■ Dr. K. Pabst, Institut für Chemie und Physik; PD Dr. A. Geis, Dr. W. Bockelmann, Institut für Mikrobiologie; Bundesanstalt für Milchforschung, Postfach 6069, 24121 Kiel 2/1998 FORSCHUNGSREPORT B I O T E C H N O L O G I E Biokonservierung von Fleischerzeugnissen Bacteriocinogene Milchsäurebakterien können Pathogene hemmen Lothar Kröckel (Kulmbach) F leisch verdirbt schnell. Wenn keine spezifischen Maßnahmen zur Verlängerung der Haltbarkeit und zur Kontrolle pathogener Mikroorganismen ergriffen werden, kann es rasch zu einem Gesundheitsrisiko für den Verbraucher werden. Eine verbesserte Lagerstabilität von Fleischerzeugnissen erreicht man häufig durch eine Kombination unterschiedlicher Konservierungsverfahren. Produkte, die ausreichend durch Trocknung, Salz und Säure stabilisiert sind, etwa langgereifte Rohwürste, können auch ohne Kühlung oder Erhitzung längere Zeit aufbewahrt werden. Erhitzte Fleischerzeugnisse verderben während der Kühllagerung weniger schnell, wenn sie zusätzlich durch Salze oder Genußsäuren stabilisiert sind. Die gezielte Kombination solcher Verfahren in der Produktentwicklung ist als „Hürdentechnologie” bekannt geworden. Typische „Hürden” oder „Barrieren” sind niedrige pH- und aw-Werte (erhöhter Säuregrad und weniger mikrobiell verfügbares Wasser). Unter diesen Bedingungen können viele Verderbniserreger nicht wachsen. Mikrobiologisch gefährdet sind vor allem Erzeugnisse, die nur wenige Barrieren enthalten. So können zum Beispiel Kochschinken- und Brühwurstaufschnitt in Vakuumverpackung (Abb. 1) trotz Pasteurisierung und Kühlung leicht verderben, da ihre pH- und aw-Hürden mit pH 6,2 und aw 0,98 nur wenig ausgeprägt sind. Obwohl sich fast alle Nahrungsmittel heute leicht durch chemische Zusatzstoffe oder eine ausreichende physikalische Behandlung mikrobiologisch stabilisieren lassen, steigt die Nachfrage nach „gesünderen”, das heißt naturbelassenen, chemiefreien, salz- und fettarmen Nahrungsmitteln mit geringer Verarbeitungstiefe. Solche Erzeugnisse sind jedoch mikrobiologisch hochgradig instabil. Sie müssen entweder relativ schnell zum Verzehr gelangen oder FORSCHUNGSREPORT 2/1998 geeignete „natürliche” Barrieren gegen unerwünschte Mikroorganismen (Krankheits- und Verderbniserreger) enthalten. Am Institut für Mikrobiologie und Toxikologie der Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach erforschen wir solche „natürlichen” Barrieren für die Biokonservierung von Fleisch und Fleischerzeugnissen. 26 STARTER- UND SCHUTZKULTUREN Speziell selektierte Milchsäurebakterien werden seit Jahrzehnten als Starterkulturen zur Herstellung der unterschiedlichsten fermentierten Lebensmittel eingesetzt. Bei der Herstellung langgereifter Rohwürste (Salami; Abb. 2) liefern diese Bakterien aber nicht nur einen wesentlichen technologischen Beitrag im Sinne einer erwünschten Veränderung des Rohmaterials, sondern sie verhindern als „Schutzkulturen” gleichzeitig die Vermehrung von unerwünschten Mikroorganismen und bewirken so eine natürliche Konservierung. Milchsäurebakterien können aber auch zur hygienischen Stabilisierung, zum Beispiel von vakuumverpacktem Brühwurst- und Kochschinkenauf- Abb. 1: Vakuumverpackter Brühwurstund Kochschinkenaufschnitt B I O T E C H N O L O G I E Abb. 2: Aufschnittplatte mit Rohwurst schnitt eingesetzt werden. Die mikrobiologische Sicherheit und Stabilität dieser Erzeugnisse hängt wesentlich von der Art und Menge der bakteriellen Kontamination der Produkte während des Aufschneidens und Verpackens und von der Bevorratungstemperatur der verkaufsfertigen Erzeugnisse ab. In Abwesenheit einer mikrobiellen Konkurrenzflora, zum Beispiel aus Milchsäurebakterien, kann bei 7 °C die humanpathogene Bakterienart Listeria monocytogenes noch gut wachsen und gesundheitlich bedenkliche Keimzahlen von 103–105 Mikroorganismen pro Gramm Produkt erreichen. Listeria monocytogenes ist in der Umwelt weit verbreitet und wurde in der Vergangenheit von vielen Lebensmitteln – auch von Fleisch und Fleischerzeugnissen – isoliert. In Frischfleisch wird dieses GRAM-positive, psychrotrophe (zum Wachstum bei Kühltemperaturen befähigte) Bakterium regelmäßig nachgewiesen. Der Keim wurde aber auch in fermentierten Rohwürsten gefunden. In fleischverarbeitenden Betrieben kann L. monocytogenes in Aufschneideräumen zur Herstellung von Aufschnittware vorkommen und pasteurisierte Fleischerzeugnisse während des Aufschneidens und Verpackens rekontaminieren. Erkrankungen des Menschen als Folge einer Infektion durch Listerien kommen vergleichsweise selten vor, sie dürfen aber aufgrund der häufig schweren Krankheitsverläufe (u. a. Hirnhautentzündung) nicht unterschätzt werden. Zu den von Milchsäurebakterien pro- duzierten antagonistischen, das heißt andere Mikroorganismen hemmenden Substanzen gehören Milchund Essigsäure, Kohlendioxid, Wasserstoffperoxid, Diacetyl und Bacteriocine. Für Fleisch und Fleischerzeugnisse ist die Milchsäure in dieser Beziehung am bedeutendsten, da sie mengenmäßig dominiert und die Vermehrung der meisten unerwünschten Mikroorganismen hemmt. Leider bleiben aber einige pathogene Bakterien, etwa Listerien, auch in Gegenwart von Milchsäure lange Zeit lebensfähig. BACTERIOCINE Bei der Suche nach weiteren nutzbaren antagonistischen Substanzen konzentrierten wir uns daher auf die sensorisch neutralen Bacteriocine. Dabei handelt es sich um eiweißartige Substanzen mit mehr oder weniger breiter Hemmwirkung gegen andere GRAM-positive Bakterien, die von manchen Milchsäurebakterien in das Außenmedium abgegeben werden. Einige dieser gesundheitlich unbedenklichen Bacteriocine sind hoch wirksam gegen Listerien. Von den bei Fleisch und Fleischerzeugnissen „erwünschten” Milchsäurebakterien sind die psychrotrophen Bakterien Lactobacillus sakei und Lactobacillus curvatus am besten an das Substrat Fleisch angepaßt (Abb. 3). Bestimmte Stämme dieser Arten produzieren Bacteriocine, die in der Lage sind, Listerien abzutöten bzw. deren Vermehrung zu hemmen. Einige dieser anti-listeriellen Bacteriocine, insbesondere Sakacin A und Sakacin P von Lactobacillus sakei Stamm Lb706 und Stamm Lb674 und Curvacin 1071 von Lactobacillus curvatus Stamm Lb1071, wurden von uns charakterisiert und in Fleischerzeugnissen getestet (Abb. 4). Es handelt sich bei diesen Bacteriocinen um kleine, hitzestabile, ribosomal synthetisierte Peptide (= aus nur wenigen Aminosäuren bestehende „Mini-Eiweiße”), die nach Ab- 27 spaltung einer Präsequenz aus der Bakterienzelle ausgeschleust werden. Das Bacteriocin Sakacin P bleibt in Fleischsaft, Hackfleisch und Brühwurst biologisch aktiv und eignet sich daher auch als Zusatzstoff. Das Gencluster für die Produktion des Sakacin P in L. sakei Lb674 wurde kloniert und sequenziert. Ein 7.600 Basenpaare großes chromosomales DNA-Fragment enthielt alle für die Expression von Sakacin P in Bacteriocin-negativen Stämmen von L. sakei erforderlichen Gene (Abb. 5). Das Gencluster umfaßt sechs aufeinanderfolgende Gene: sppK, sppR, sppA, spiA, sppT und sppE. Die beiden ersten Gene, sppK und sppR, sind für die Regulation der Bacteriocinproduktion von Bedeutung. Die Gene sppA und spiA kodieren ein Sakacin P Präprotein und ein Protein, das Immunität gegen Sakacin P verleiht. SppT und SppE zeigen starke Ähnlichkeiten mit den Transportproteinen anderer Bacteriocinsyste- me. Diese Proteine dürften dafür zuständig sein, das Sakacin P aus der Zelle in das Außenmedium zu transportieren. Die Bacteriocinproduktion ist somit ein sehr komplexer Vorgang, der aufwendigen Regulations-, Prozessierungs- und Exportmechanismen unterliegt. EINSATZPOTENTIALE Für die Biokonservierung von Fleischerzeugnissen ist die Einführung einer konkurrenzstarken Milchsäure- 2/1998 FORSCHUNGSREPORT Abb. 3: Laktobazillen (MilchsäureStäbchen) in Salami unter dem Elektronenmikroskop B I O T E C H N O L O G I E Abb. 4: Primärsequenz (Abfolge der Aminosäuren) von Sakacin A und P 1 10 20 30 40 1 . A R SY GN GV YC NN KK CW VN RG EA TQ S I I G G M I S G W A S G L A G M 2. K Y Y GN GV HC GK HS CT VD WG TA IG N I G N N A A A N W A T G G N A G W N K (identische Aminosäurereste sind durch vertikale Striche gekennzeichnet) Bacteriocin 1. Sakacin A 2. Sakacin P bakterien-Mikroflora aus L. sakei oder L. curvatus – vorzugsweise mit der Fähigkeit zur Bacteriocinbildung – oder der direkte Einsatz von gereinigtem anti-listeriellen Bacteriocin als Lebensmittelzusatzstoff für kühlgelagerte, verzehrsfertige Fleischerzeugnisse denkbar. Neben den „nützlichen” Lactobazillen können auch andere Milchsäurebakterien vorverpackten Kochschinken- und Brühwurstaufschnitt besiedeln. Sie sind meist unerwünscht, da sie zu einem vorzeitigen Verderb der Ware etwa durch Schleimbildung, einer zu starken Säuerung oder anderen Geschmacksabweichungen führen können. Da eine keimfreie Aufschneidetechnik in der Praxis nicht möglich ist, gelangen regelmäßig verschiedene Mikroorganismen – harmlose, pathogene und verderbniserregende – auf die pasteurisierten Erzeugnisse. Bei 7 °C und in Abwesenheit von Sauerstoff vermehren sich dann vor allem psychrotrophe Milchsäurebakterien und Listerien. Eine „gezielte” Rekontamination mit sensorisch akzeptablen Milchsäurebakterien-Stämmen, die sowohl Listerien als auch unerwünschte Milchsäurebakterien in Schach halten, würde daher zu einer besseren mikrobiologischen Sicherheit und sensorischen Stabilität der Produkte beitragen und möglicherweise auch die Herstellung salz- und nitritreduzierter Ware erlauben. Bei der Herstellung von Rohwurst können Bacteriocinbildner gleichzeitig als Starter- und Schutzkultur von Nutzen sein. FORSCHUNGSREPORT 2/1998 Produzent Lactobacillus sakei Lb706 Lactobacillus sakei Lb674 VAKUUMVERPACKTER BRÜHWURSTAUFSCHNITT Während der Kühllagerung von vakuumverpacktem Brühwurstaufschnitt produzierte L. sakei Lb674 (Sakacin P) ab einer Einsaatdichte von 105-106 Bakterien/g Wurst ausreichende Konzentrationen von Bacteriocin. Das Wachstum von Listeria monocytogenes wurde verzögert und in einigen Fällen vollständig gehemmt (Abb. 6). Ähnliche Ergebnisse wurden mit L. sakei Lb706 (Sakacin A) erhalten. Bacteriocin-negative Varianten dieser Stämme oder andere aus Fleisch isolierte, Bacteriocin-negative Milchsäurebakterien verhinderten das Wachstum der Listerien nicht. Die Inokulation von Schutzkulturen in Anfangskeimzahlen von 105-106 /g führte erwartungsgemäß nach wenigen Tagen zu einer Keimzahl von circa 108 Milchsäurebakterien/g. Die damit einhergehende Milchsäureprodukti- on und relativ geringe pH-Abnahme zeigten keine sensorisch nachteiligen Auswirkungen auf das Produkt. Als Zusatzstoff zeigte gereinigtes Bacteriocin (Sakacin P) in Abwesenheit einer Schutzkultur einen deutlichen Anfangseffekt auf L. monocytogenes und reduzierte das Wachstum während der Lagerung (Abb. 7). Allerdings wurden die zu Beginn des Versuchs eingebrachten Listerien nicht völlig abgetötet. Nach einer vollständigen Wachstumshemmung in den ersten 3 Tagen konnten sich überlebende Listerien auch in Anwesenheit des Bacteriocins vermehren, aber mit deutlich geringerer Rate als in bacteriocinfreier Wurst. Wurden Sakacin P-haltige Produkte zusätzlich mit L. sakei Lb674 als Schutzkultur in niedrigen Anfangskeimzahlen (102 Bakterien/g) beimpft, so wurde die Vermehrung der Listerien noch stärker gehemmt (Abb. 7). Innerhalb weniger Tage erreichten die Milchsäurebakterien genügend hohe Zellzahlen, um den Bacteriocin-Effekt zu unterstützen. Im weiteren Verlauf hemmten sie die Listerien, die in Anwesenheit des Bacteriocins überlebten und vermehrungsfähig blieben. Bacteriocinbildende Milchsäurebakterien können also das Wachstum von Listeria monocytogenes auf „sensiblen” Fleischerzeugnissen verhindern, wenn sie als Schutzkulturen während des Aufschneidens in ausreichend hohen Keimzahlen zugegeben werden. Abb. 5: Genkarte des Sakacin P Clusters Organisation des Sakacin P Gen-Clusters in Lactobacillus sakei Lb 674 Regulation der Bacteriocin-Produktion Immunität gegen Sakacin P 1 kb sppK sppI (Auto-) Induktor 28 sppR spiA sppA (Prä-) Sakacin P Strukturgen sppT Bacteriocin-Export und Prozessierung sppE B I O T E C H N O L O G I E In der industriellen Praxis könnten zum Beispiel die Aufschneidemaschinen (Slicer) mit einer automatischen Sprühvorrichtung für Schutzkulturen nachgerüstet werden. Bacteriocin-negative Milchsäurebakterien sind unter gleichen Bedingungen deutlich weniger wirksam. Als Zusatzstoff zeigt Sakacin P zwar Wirkung, kann aber das Wachstum von Listeria monocytogenes nicht im erwünschten Umfang verhindern. ROHWURST Die Stämme L. sakei Lb674 und L. curvatus Lb1071 eignen sich auch als Starterkulturen für Salami. Beide Stämme führten bei 23 °C und den üblichen Einimpfmengen (106 Bakterien/g) zu einer schnellen Umrötung und Säuerung der Produkte. Farbe und Bindung der Erzeugnisse waren ausgezeichnet. Geschmacklich waren die Würste gut und leicht säurebetont. Die Bacteriocinbildner blieben im gesamten Reifeverlauf dominant und zeigten auch sonst keine für die Rohwurstherstellung ungünstigen Eigenschaften. Auch eine wesentlich geringere Einsaatdichte von 103/g L. sakei Lb674 oder L. curvatus Lb1071 führte im Laufe der Reifung schon zu ähnlich positiven Ergebnissen. Die niedrigere Anfangskeimzahl der zugesetzten Milchsäurebakterien hatte eine langsamere Abnahme des pHWertes zur Folge. Dadurch wurde eine mildere Säuerung der Würste erreicht, die sensorisch häufig bevorzugt wird. L. sakei Lb674 produzierte kaum Bacteriocin in Rohwurst, obwohl dieser Stamm sonst alle wichtigen Selektionskriterien für eine Starterkultur erfüllt. L. curvatus Lb1071 war dagegen in Rohwurst ein hervorragender Bacteriocinproduzent. Listeria monocytogenes konnte sich unter den gewählten Versuchsbedingungen in der Rohwurst nicht vermehren und nahm im Laufe der Reifung in allen Versuchschargen ab. Im Vergleich zu einem kommerziellen L. curvatus-Starter bewirkte L. curvatus Lb1071 eine deutlich größere Reduktion der Listerien. (Abb. 8). Abb. 6: Vakuumverpackter Brühwurstaufschnitt (1) 7 5 4 Milchsäurebakterien spielen bei der Herstellung von Rohwürsten eine große Rolle. Starterkulturen werden daher regelmäßig neu bewertet und neuen Anforderungen angepaßt. Die zunehmende Nachfrage nach schonend verarbeiteten, verzehrsfertigen Convenience-Produkten, die durch Kühlung alleine nicht ausreichend hygienisch stabilisiert werden können, eröffnet zusätzliche Einsatzmöglichkeiten für diese Bakterien als Schutzkulturen. Ziel unserer Arbeiten ist es, unter den vielen natürlich vorkommenden Milchsäurebakterien diejenigen zu finden, die über eine möglichst optimale Kombination erwünschter Eigenschaften verfügen, diese Bakterien möglichst genau zu charakterisieren und die Eignung dieser Kulturen für traditionelle und neue Anwendungsfelder zu demonstrieren. Schutzkulturen mit der Fähigkeit zur Bacteriocinbildung bieten neue Möglichkeiten zur Verbesserung der Sicherheit und Haltbarkeit konventioneller Fleischerzeugnisse. Mit ihrer Hilfe könnten neue Produkte entwickelt werden, die milder und aufgrund einer effektiven Unterdrückung der Begleitflora „reiner” im Geschmack sind. Die meisten anti-listeriellen Bacteriocine weisen in ihrem N-terminalen Bereich die Aminosäure-Sequenz ‘YGNGV’ auf (vgl. Abb. 1). Die Rolle weiterer Sequenzelemente ist noch nicht ausreichend bekannt, so daß die Suche nach weiteren natürlichen – möglicherweise besseren –Varianten interessant bleibt. ■ 7,0 zugesetzte Milchsäurebakterien: 5 – 106 Zellen/g 10 6,5 Bac- 6 AUSBLICK pH-Wert log10 L. monocytogenes/g Lagertemperatur: 7 °C ph-Verlauf 6,0 3 2 Bac+ 1 5,5 0 5,0 0 7 14 Tage 21 28 Verhalten von Listeria monocytogenes auf vakuumverpacktem Brühwurstaufschnitt in Gegenwart bacteriocinogener (Bac+) und nicht-bacteriocinogener (Bac–) Milchsäurebakterien (MSB) Abb. 7: Vakuumverpackter Brühwurstaufschnitt (2) 8 log10 L. monocytogenes/g zugesetzte Milchsäurebakterien: 102 Zellen/g (Stamm Lb674) 7 6 – MSB 5 pH-Werte nach 28 Tagen: pH 5,5 – 5,7 4 3 zugesetzte Bacteriocinmenge: 500 – 1500 AU/g + MSB 2 1 (AU = Aktivitätseinheiten) 0 0 7 14 Tage 21 28 Verhalten von Listeria monocytogenes auf vakuumverpacktem Brühwurstaufschnitt mit Sakacin P-Zusatz bei 7 °C, mit und ohne bacteriocinogene Milchsäurebakterien (MSB) Abb. 8: Reifung von Salami 6 log10 L. monocytogenes/g zugesetzte Milchsäurebakterien: 106 Zellen/g 5 4 Lactobacillus curvatus Stamm Lc3 (Bac-) 3 Lactobacillus curvatus Stamm Lb1071 (Bac+) 2 1 0 Dr. Lothar Kröckel, Bundesanstalt für Fleischforschung, Institut für Mikrobiologie und Toxikologie, E.-C.-Baumann-Str. 20, 95326 Kulmbach 29 0 7 14 21 28 35 Tage Verhalten von Listeria monocytogenes in Salami in Gegenwart bacteriocinogener Milchsäurebakterien (Lb1071) und einer nicht-bacteriocinogenen Starterkultur (Lc3) 2/1998 FORSCHUNGSREPORT L E B E N S M I T T E L Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln Klaus-Dieter Jany und Ralf Greiner (Karlsruhe) F ür neuartige Lebensmittel ist in der Europäischen Union am 15. Mai 1997 nach langjährigen Verhandlungen die Novel Food-Verordnung in Kraft getreten. Diese Verordnung regelt das Inverkehrbringen und die Etikettierung von neuartigen Lebensmitteln in allen EU-Mitgliedstaaten nach einheitlichen Kriterien. Da die Handhabung in der Praxis auf Probleme gestoßen ist, sind von der EU ergänzende Verordnungen erlassen worden. Die Anlaufschwierigkeiten und Unsicherheiten und die gefundenen Lösungsansätze schildert der folgende Beitrag. In Deutschland werden unter „Novel Food” fast ausschließlich gentechnisch modifizierte Lebensmittel verstanden. Die Novel Food-Verordnung (Verordnung EG Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates über neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten) faßt allerdings eine breite Palette unterschiedlichster Produkte zusammen. Dabei handelt es sich um Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die bislang im gemeinsamen EU-Markt noch nicht verzehrt wurden FORSCHUNGSREPORT 2/1998 (z. B. Produkte aus Algen oder Mikroorganismen) und sich sechs genau definierten Kategorien zuordnen lassen. Lediglich zwei betreffen die Gentechnik: ■ Lebensmittel, die selbst den gentechnisch veränderten Organismus (GVO) darstellen (z. B. Flavr-SavrTomate) oder GVO enthalten (Joghurt mit Lebendkulturen) und ■ Produkte, die aus GVO gewonnen werden, aber den lebenden GVO nicht mehr enthalten (z. B. Öl aus herbizidtoleranten Sojabohnen). 30 In Artikel 8 der Novel Food-Verordnung sind die Etikettierungsanforderungen zur Unterrichtung der Verbraucher festgelegt. Sie gelten für alle neuartigen Lebensmittel und sind nicht speziell auf gentechnisch modifizierte Erzeugnisse ausgerichtet. In Tabelle 1 sind die Kennzeichnungskriterien aufgelistet. Informiert werden die Verbraucher über die jeweilige Veränderung und das Verfahren. Die Etikettierung gilt sowohl für verpackte als auch für offene Ware sowie für Lebensmittel aus der Gemeinschaftsverpflegung. L E B E N S M I T T E L Grundsätzlich müssen alle Lebensmittel und Lebensmittelzutaten gekennzeichnet werden, die lebende GVO sind oder enthalten. Ebenso müssen Verbraucher durch eine entsprechende Kennzeichnung informiert werden, wenn das neuartige Erzeugnis im Vergleich zum traditionellen Lebensmittel Stoffe enthält, die die Gesundheit bestimmter Menschen beeinflussen können (z. B. neues oder erhöhtes allergenes Potential), oder wenn gegen Stoffe in dem neuen Lebensmittel ethische oder religiöse Bedenken oder aufgrund bestimmter Ernährungsformen Vorbehalte bestehen. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn ein tierisches Gen (Protein) in traditionell vegetarischen Produkten oder ein „Schweine-Gen” in Lebensmitteln für Moslems vorhanden ist. Ebenso müssen Erzeugnisse gekennzeichnet werden, die sich von vergleichbaren traditionellen Lebensmitteln unterscheiden, das heißt, wenn sie nicht gleichwertig sind (Artikel 8, Absatz 1a). WAS BEDEUTET „GLEICHWERTIG”? Im Sinne der Novel Food-Verordnung werden neuartige Lebensmittel als nicht gleichwertig angesehen, wenn sie gegenüber vergleichbaren traditionellen Erzeugnissen Unterschiede aufweisen, die sich analytisch und auf der Basis einer wissenschaftlichen Beurteilung feststellen lassen. Offen blieb dabei allerdings die Frage nach den Kriterien für die Gleichwertigkeit und den Analysenmethoden. Sehr leicht läßt sich eine gezielte Veränderung anhand der stofflichen Zusammensetzung nachweisen. So müssen Öle mit einer veränderten Fettsäurezusammensetzung (z. B. höherer Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren) oder Stärken mit verändertem Ver-zweigungsgrad (z. B. vorwiegend Amylose oder Amylopektin) stets gekennzeichnet werden, denn sie unterscheiden sich von den entsprechenden konventionellen Erzeugnissen. Eine Kennzeichnung wird auch erforderlich, wenn in dem Erzeugnis noch die neueingeführte genetische Information (DNA) oder das (die) neueingeführte(n) Protein(e) nachweisbar enthalten sind. In diesen Fällen ist das neuartige Erzeugnis in seiner Zusammensetzung zu dem vergleichbaren traditionellen nicht mehr gleichwertig (der Begriff ‘nicht gleichwertig’ impliziert keine Wertung in Richtung ‘schlechter’, sondern ist im Sinne von ‘anders’ zu verstehen). Eine Kennzeichnung ist nicht erforderlich, wenn die Erzeugnisse keine stofflichen oder ernährungsphysiologischen Unterschiede zu konventionel- Tab. 1: Kriterien für die Kennzeichnung von Lebensmitteln nach der Novel Food-Verordnung Gekennzeichnet werden Erzeugnisse ■ die lebende GVO darstellen oder enthalten, ■ die die Gesundheit bestimmter Bevölkerungsgruppen beeinflussen können, ■ gegen die ethische Vorbehalte bestehen, ■ die keine Gleichwertigkeit zu vergleichbaren traditionellen Produkten – in der Zusammensetzung, – im Nährwert, in der nutritiven Wirkung, – im Gebrauch, usw. aufweisen. 31 len Produkten aufweisen. So enthalten zum Beispiel raffinierte Öle aus transgenem Raps, Mais und transgenen Sojabohnen keine DNA und keine Proteine mehr. Infolgedessen werden sie sowohl in der Sicherheitsbeurteilung als auch in der stofflichen Zusammensetzung als gleichwertig zu den konventionellen Ölen bewertet. Gerade in dem Kriterium der Gleichwertigkeit von Produkten sehen viele Verbraucher und Kritiker der Gentechnik einen Mangel der Novel Food-Verordnung. Sie sind der Ansicht, daß hierdurch viele Lebensmittel von der Kennzeichnungsregelung ausgenommen und die Verbraucher nicht hinreichend über den Einsatz der Gentechnik informiert werden. Hierbei ist allerdings zu bedenken, daß eine Kennzeichnung nur verläßlich praktiziert werden kann, wenn sie auch überprüfbar ist. Wenn aber in einem hochaufbereiteten und gereinigten Produkt wie raffiniertem Öl oder raffiniertem Zucker die gentechnische Veränderung nicht nachweisbar ist, weil die in Frage kommenden Stoffe (DNA oder Proteine) gar nicht mehr vorhanden sind, ist auch eine Kennzeichnung nicht mehr sinnvoll. 2/1998 FORSCHUNGSREPORT L E B E N S M I T T E L SOJABOHNEN UND MAIS Im Frühjahr 1997, kurz vor Inkrafttreten der Novel Food-Verordnung, erhielten herbizidtolerante Roundup Ready Sojabohnen und insektenresistenter Bt-Mais in der EU die Genehmigung zum Inverkehrbringen nach der Freisetzungsrichtline. In den entsprechenden Entscheidungen 96/281/EG (Soja) und 97/98/EG (Mais) wurde keine spezielle Kenntlichmachung der Produkte vorgeschrieben. Wären sie nach der Novel Food- Verordnung zugelassen Abb. 1: Schokoriegel mit Cornflakes und Stärke aus transgenem Mais. Die Zutatenliste auf der Rückseite der Verpackung enthält die Deklaration „aus genetisch verändertem Mais hergestellt” (Fotos: M. Welling) worden, so hätte zum Beispiel Sojaprotein aus den herbizidtoleranten Sojabohnen gekennzeichnet werden müssen. Da Soja- und Maisverarbeitungsprodukte in sehr vielen Lebensmitteln vorhanden sind, Verbraucher ein Anrecht auf Information haben und auch um Wettbewerbsverzerrungen für möglicherweise folgende transgene Soja- und Maisvarietäten abzubauen, hat die EU-Kommission die Etikettierungsrichtlinie ergänzt: Die bereits zugelassenen Soja- und Maisprodukte müssen ab 1. November 1997 ebenfalls entsprechend Artikel 8 der Novel FORSCHUNGSREPORT 2/1998 Food-Verordnung gekennzeichnet werden (Ergänzungsverordnung EG 1813/97). Obwohl derartige Mais- und Sojaprodukte auf dem Markt sind und die Verordnung in Kraft getreten ist, lassen sich kaum gekennzeichnete Lebensmittel im Regal finden. Dies liegt daran, daß weder bestimmt wurde, wie die Etikettierung konkret vorzunehmen sei, noch welche Nachweisverfahren zum Tragen kommen sollen. Die Novel Food-Verordnung ließ sich somit nicht direkt anwenden. Weder Lebensmittelhersteller noch Überwachungsbehörden hatten klare Handlungsanweisungen. Um hier Abhilfe zu schaffen, legte die Kommission im Dezember 1997 einen ergänzenden Vorschlag zur Etikettierung für Sojaund Maisprodukte vor. Richtungsweisend für die wissenschaftliche Beurteilung der Nichtgleichwertigkeit zwischen neuartigen und konventionellen Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten waren die Ausführungen zum DNAund Proteinnachweis. Hiernach soll bereits das Vorhandensein der neueingeführten DNA das Kriterium der Nichtgleichwertigkeit erfüllen. Dadurch werden ganz im Sinne der Verbraucherinformation eine größere Anzahl von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten erfaßt. Erst wenn die Identifikation der neueingeführten DNA versagt, soll das Proteinkriterium zum Tragen kommen. Da DNA in Verarbeitungsprozessen relativ häufig in ihre Einzelbausteine zerlegt wird, erweitert die Proteinanalytik den Etikettierungsumfang. Diese Bestimmungen wurden in eine sogenannte Ablöseverordnung (EG Nr. 1139/98) hineingeschrieben. Sie ist am 1. September 1998 in Kraft getreten und löst die vorhergehende Ergänzungsverordnung ab. Die Ablöseverordnung gilt ausschließlich für die beiden genannten Soja- und Maisvarietäten „Roundup Ready Sojabohnen” und „Novartis Bt-Mais 176”. Es ist aber davon auszugehen, daß diese Ausführungen demnächst auf alle gentechnisch modifizierten Erzeugnisse angewendet werden. 32 DIE KENNZEICHNUNG Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten aus gentechnisch verändertem Soja oder Mais müssen immer dann gekennzeichnet werden, wenn sich die neueingeführte DNA oder das neueingeführte Protein im Endprodukt – also dem Produkt, das für den Verbraucher zum Verzehr bestimmt ist – nachweisen läßt. In diesen Fällen muß eine Kennzeichnung mit „aus genetisch veränderten Sojabohnen hergestellt” bzw. „aus genetisch verändertem Mais hergestellt” erfolgen (Abb. 1). Es müssen nicht beide neuen Komponenten nachgewiesen werden. Aber falls sich die neueingeführte DNA nicht nachweisen läßt, muß überprüft werden, ob in dem Produkt noch das neue Protein enthalten ist. Erst wenn die Nachweise für beide Komponenten negativ ausfallen, ergibt sich keine Kennzeichnungspflicht. Gegenwärtig beschränkt sich der Nachweis ausschließlich auf die Detektion der neueingeführten DNA. Für Soja und Mais stehen in Ringversuchen überprüfte Verfahren zur Verfügung, allerdings wurden die Nachweise in weiterverarbeiteten Produkten bislang noch nicht so intensiv bearbeitet. Am Molekularbiologischen Zentrum der Bundesforschungsanstalt für Ernährung (BFE) ist für gentechnisch modifiziertes Soja auch ein Proteinnachweis entwickelt worden, der zur Zeit weiter optimiert wird. Zum Auffinden der veränderten DNA ist die „Polymerase Chain Reaction” (PCR) Methode der Wahl. Mit ihr lassen sich einzelne DNA-Fragmente exponentiell vervielfältigen und im weiteren Verlauf identifizieren (Abb. 2). Die PCR läßt sich mit einem Kopiergerät im Büro vergleichen, das von einer Vorlage beliebig viele identische Kopien produzieren kann. Die PCR ist ein hochempfindliches Nachweisverfahren. Um zu verhindern, daß jede kleine Verunreinigung des Endprodukts mit neuer DNA zu einer Kennzeichnung führt, soll ein Schwellenwert eingeführt werden, oberhalb dessen erst gekennzeichnet L E B E N S M I T T E L werden muß. Gegenwärtig ist ein solcher Schwellenwert noch nicht festgelegt. In der Diskussion stehen relative Werte zwischen 1–3 % der neueingeführten DNA in Bezug auf den Gesamt-DNA-Gehalt. In der Ablöseverordnung ist auch eine Negativliste für Produkte, die nicht gekennzeichnet zu werden brauchen, aufgenommen worden. Klassische Beispiele hierfür sind raffinierte Öle aus Soja oder Mais. Zusatzstoffe (zum Beispiel Sojalecithin), Aromen und Extraktionsmittel werden von der Novel Food Verordnung und auch von der Ablöseverordnung nicht erfaßt. Sie unterliegen somit auch keiner Kennzeichnung. Nicht eindeutig ist die Stellung von Enzymen, die als Verarbeitungshilfsstoffe verwendet werden. In der EUKommission wird aber bereits eine Regelung für Enzyme diskutiert. „GENTECHNIKFREI” In der Präambel zur Novel FoodVerordnung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß auch eine Kennzeichnung derart erfolgen kann, daß das Lebensmittel kein neuartiges Erzeugnis im Sinne der Verordnung darstellt. Eine Kennzeichnung „gentechnikfrei” ist möglich. Auf europäischer Ebene sind allerdings bis heute die Begriffe „gentechnikfrei” oder „Ohne Gentechnik” noch nicht definiert. Österreich hat im nationalen Rahmen schon eine entsprechende Regelung eingeführt, und für Deutschland ist im Juli 1998 vom Bundesrat eine Gesetzesvorlage für die Etikettierung „Ohne Gentechnik” verabschiedet worden. Diese Regelung steht zur Notifizierung durch die EU an. Gegenwärtig werden die Begriffe sehr restriktiv verstanden. Der Produzent/Vertreiber muß lückenlos nachweisen können, daß in keinem Herstellungsschritt – vom Rohstoff bis zum Endprodukt – die Gentechnik in irgendeiner Weise bei dem Lebensmittel eine Rolle gespielt hat. Nach der deutschen Regelung dürfen Lebensmittel, die nachweislich auf keiner Stufe der Herstellung mit der Gentechnik in Berührung gekommen sind, mit dem Begriff „Ohne Gentechnik” gekennzeichnet werden. Eine Auslobung mit „gentechnikfrei” ist nicht erlaubt. „Ohne Gentechnik” bedeutet hier, daß weder Rohstoffe aus transgenen Pflanzen, noch Enzyme oder Zusatzstoffe und Aromen aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen für die Lebensmittelherstellung verwendet werden. In der Tierhaltung dürfen keine Futtermittel oder Futtermittelzutaten aus transgenen Organismen eingesetzt werden. Eine Überprüfung ist hier schwierig. So liefert eine Kuh, die mit transgenem Soja- oder Rapsschrot oder Mais gefüttert wurde, keine gentechnisch veränderte Milch; diese ist substantiell gleichwertig der Milch von Kühen, die mit traditionellem Futter gefüttert worden sind. Ein analytischer Nachweis des Einsatzes von transgenem Futter ist im tierischen Endprodukt nicht möglich. Hier muß man sich auf die Aufzeichnungspflicht des Landwirts und die Erklärungen der Futtermittellieferanten verlassen. Der Landwirt ist nicht verpflichtet, DNA-Nachweise für die Futtermittel durchführen zu lassen. Solange ein Landwirt seinen Nutztieren Futter aus nicht transgenen Pflanzen gibt und das Futter mit Enzymen, Vitaminen, Aminosäuren aus nicht transgenen Mikroorganismen versetzt, kann er die Erzeugnisse mit „Ohne Gentechnik” 33 ausloben. Nicht geklärt ist, wie der Landwirt mit der Kennzeichnung umgehen muß, falls er – zum Beispiel in den Wintermonaten – transgenes Material zufüttert und dann später wieder auf nicht transgenes Futter umstellt. Die Verwendung von Arzneioder Impfmitteln aus transgenen Organismen haben keinen Einfluß auf die Kennzeichnung. Neu eingeführte DNA darf aber auch in Lebensmitteln „Ohne Gentechnik” vorhanden sein, solange nachgewiesen werden kann, daß diese DNA unbeabsichtigt oder aufgrund unvermeidbarer Gegebenheiten in das Produkt gelangt ist. Letztes wäre zum Beispiel beim Sammeln und Transport von konventionellem Soja in Silos und Schiffen, die zuvor transgene Sojabohnen enthielten. Es ist unmöglich, unter wirtschaftlichen Bedingungen eine Reinigung zu er- zielen, die eine absolute „Gentechnikfreiheit” der Anlagen garantieren würde. Verbraucher haben einen Anspruch auf Information über Inhaltsstoffe und Herstellungsverfahren ihrer Lebensmittel. Die Etikettierung muß nicht nur sachgerecht, sondern auch überprüfbar sein. Kennzeichnung und Überprüfbarkeit, das heißt die Nachweisbarkeit der gentechnischen Modifikationen und die richtige Etikettierung, sind eng miteinander verbunden. ■ Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany, Dr. Ralf Greiner, Bundesforschungsanstalt für Ernährung, Haid-und-Neu-Straße 9, 76131Karlsruhe 2/1998 FORSCHUNGSREPORT Abb. 2: Mit Hilfe der PCR lassen sich bestimmte – also auch gentechnisch eingefügte – DNAFragmente vervielfältigen und auf einem Gel als Banden sichtbar machen. Die Abbildung zeigt eine PCRUntersuchung von transgenem Raps. F O R S C H U N G & A D M I N I S T R AT I O N Neuentwicklungen auf dem Prüfstand Über die Verzahnung von wissenschaftlichen Arbeiten und behördlichen Entscheidungen Wohlert Wohlers und Michael Welling (Braunschweig) U nter den Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) befinden sich Einrichtungen, die gleichzeitig auch als selbständige Bundesoberbehörden tätig sind. Diese Doppelkonstruktion spiegelt die Notwendigkeit wider, administrative Regelungen und Entscheidungen auch in äußerst komplexen naturwissenschaftlich-technischen Bereichen treffen zu müssen – und das gelingt oft nur, wenn auf wissenschaftlichen Sachverstand aus erster Hand zurückgegriffen werden kann. Pflanzenschutzmittel zum Beispiel werden in Deutschland von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) zugelassen. Die Entscheidung, ob und gegebenenfalls mit welchen Auflagen solche Zulassungen erteilt werden – eine Aufgabe der BBA als Behörde – wäre ohne das wissenschaftliche Fundament der BBA als Forschungsanstalt kaum tragfähig. Abb. 1: Aufgabenstruktur des wissenschaftlichen Personals an der Biologischen Bundesanstalt 8,7 % 25,0 % 26,0 % 3,6 % 2,6 % 2,6 % 10,7 % 20,9 % Hoheitsaufgaben und unmittelbar damit zusammenhängende Forschung 65,3 % Forschung, die mittelbar zu Hoheitsaufgaben führt ■ Prüfung und Zulassung von ■ Forschung zur Phytopathologie und ■ ■ ■ ■ ■ Pflanzenschutzmitteln Geräteliste, Anwendungstechnik Gentechnikgesetz Chemikaliengesetz Resistenzprüfung Erstellung von Richtlinien und Grundsätzen ■ 34,7 % zum Pflanzenschutz Forschungsmanagement, Bibliotheken, sonstige Die Aufgaben der Biologischen Bundesanstalt sind im wesentlichen im Pflanzenschutzgesetz festgelegt. Dazu kommen Tätigkeiten, die sich aus dem Gentechnikgesetz sowie aus dem Chemikalien- und dem Bundesseuchengesetz ergeben. Wie stark die wissenschaftlichen und ad- FORSCHUNGSREPORT 2/1998 ministrativen Arbeitsfelder ineinandergreifen, zeigen die folgenden Beispiele. An der BBA sind fast zwei Drittel des wissenschaftlichen Personals mit hoheitlichen Pflichten betraut (Abb. 1). Dabei ermöglicht die Verzahnung von Forschung und Hoheitsaufgaben ein für eine Behörde schnelles Reagieren auf neue Entwicklungen im Bereich der Wissenschaft. PFLANZENSCHUTZMITTELPRÜFUNG Pflanzenschutzmittel dürfen in Deutschland nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die Biologische Bundesanstalt geprüft und zugelassen wurden. Die Einrichtungen zweier anderer Ministerien – das Umweltbundesamt (UBA) und das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) – wirken dabei als Einvernehmensbehörden mit. 34 Für inländische wie für importierte Pflanzenschutzmittel gelten heute hohe Anforderungen an den Schutz von Mensch, Tier und Umwelt. Geprüft wird nicht nur der Wirkstoff, sondern auch das Pflanzenschutzmittel als Ganzes mit all seinen Bestandteilen einschließlich der Formulierungsstoffe sowie seine Abbauprodukte. Dabei beschränkt sich eine Prüfung nicht nur auf das sorgfältige Studium der von den Herstellern gelieferten Unterlagen: Die BBA-Wissenschaftler führen in einzelnen Bereichen auch eigene Laborversuche oder chemische Analysen durch. Aufgrund der umfangreichen Prüfvorschriften gehören Pflanzenschutzmittel zu den am besten untersuchten Chemikalien überhaupt. Die Prüfung umfaßt fünf wichtige Bereiche: Wirksamkeit Pflanzenschutzmittel müssen hinreichend wirksam sein, sonst dürfen F O R S C H U N G & A D M I N I S T R AT I O N Die Widerstandsfähigkeit von Zierpflanzen gegen Krankheiten wird erforscht (hier: Mehltau an Begonien) sie von der Biologischen Bundesanstalt nicht zugelassen werden. Dadurch soll unter anderem eine unnötige Umweltbelastung durch schlecht wirksame Mittel verhindert werden. Mit berücksichtigt wird bei der Prüfung auch, daß die Pflanzenschutzmittel zwar die Schaderreger verläßlich bekämpfen, die behandelten Kulturpflanzen aber nicht schädigen sollen. Da immer wieder Schadorganismen mit Resistenzen auftreten, ist die Wirksamkeitsprüfung ein dynamischer Prozeß mit permanentem Forschungsbedarf. Anwenderschutz Es muß gewährleistet sein, daß der Anwender – also der Landwirt, Gärtner oder Förster – bei einer sachgerechten und bestimmungsgemäßen Anwendung nicht gefährdet ist. Auch eine mögliche Langzeitgefährdung, wie zum Beispiel die Erkrankung an Krebs nach 20 oder 30 Jahren, muß nach jeweiligem Stand der Forschung ausgeschlossen sein. Verbraucherschutz Es muß sichergestellt sein, daß die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln im Erntegut beziehungsweise ihre Abbauprodukte so niedrig sind, daß die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht gefährdet wird. Die Lebensmitteluntersuchungsämter der Länder nehmen auf den Märkten und in Geschäften regelmäßig Proben und kontrollieren sie auf Rückstände. In der BBA werden diese Verfahren vor allem auf ihre Praktikabilität hin geprüft, so daß die Untersuchungsämter einheitliche Methoden verwenden können. Die Qualität heutiger Lebensmittel ist, wie die Kontrollen zeigen, sehr gut: Nur bei ca. 1 % der Untersuchungen werden noch – meist geringfügige – Überschreitungen der Rückstands-Höchstmengen festgestellt (Abb. 2). Boden, Wasser, Luft Das Verhalten der Pflanzenschutzmittel im Boden, im Wasser und in der Luft wird eingehend untersucht. Die Bodenfruchtbarkeit darf durch Pflanzenschutzmittel nicht beeinträchtigt werden. Beim Trinkwasser besteht ein so hohes Reinheitsgebot, daß von einem Quasi-Nullwert gesprochen werden kann: Die erlaubte Rückstands-Höchstmenge eines Pflanzenschutzmittelwirkstoffs im Trinkwasser beträgt 0,1 µg pro Liter (entspricht 1 Teil auf 10 Milliarden) und bewegt sich damit nahe an der derzeitigen Nachweisgrenze. 35 Abtrift von Pflanzenschutzmitteln ist seit langem ein Forschungsgebiet in der Biologischen Bundesanstalt. In welchem Ausmaß Pflanzenschutzmittel verdunsten können, wurde hingegen erst vor einigen Jahren durch umfangreiche und schwierige Versuche festgestellt. Zeitgemäße Analyseverfahren sind der Schlüssel für Untersuchungen zum Verbleib der Präparate. Am BBA-Institut für ökologische Chemie wurde zum Beispiel eine Methode entwickelt, mit der 180 Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe in einem einzigen Arbeitsgang nachgewiesen werden können. Belebte Umwelt Die Eigenschaften der Pflanzenschutzmittel auf die belebte Umwelt Abb. 2: Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Obst und Gemüse bzw. in Getreide (Untersuchungsergebnisse für das Jahr 1996) Obst und Gemüse inländische Erzeugung 1% Obst und Gemüse ausländische Erzeugung 4% 31 % 34 % 68 % 62 % Getreide inländische Erzeugung 10 % Getreide ausländische Erzeugung 5% 0,33 % 45 % 50 % 90 % Proben ohne Rückstände (nicht bestimmbar) Proben mit Rückständen bis einschl. der Höchstmenge Proben mit Rückständen über der Höchstmenge sind ein wichtiges und entscheidendes Prüfgebiet, da beim ‘Spritzen’ meist nicht nur die Schaderreger getroffen werden, sondern auch sogenannte Nicht-Zielorganismen. Um die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln in dieser Hinsicht abschätzen zu können, muß jedes 2/1998 FORSCHUNGSREPORT F O R S C H U N G Präparat eine Reihe von Tests durchlaufen. Dabei werden bestimmte Organismen stellvertretend für die Vielzahl der in Frage kommenden Arten als Prüfobjekte ausgewählt. Richtlinien für diese Tests werden von BBAWissenschaftlern – teils in internationaler Zusammenarbeit – entwickelt und erprobt. Bestehende Richtlinien werden nach dem jeweils neuesten Wissensstand überarbeitet. In diesen Regelwerken sind zum Beispiel die Versuchstiere, die Versuchsdurchführung und die Auswertung der Tests beschrieben, so daß standardisierte Prüfungen möglich sind. & A D M I N I S T R AT I O N Bedenkliche Mittel werden entweder nicht zugelassen oder sind so gekennzeichnet, daß ein Anwender erkennt, ob beispielsweise Bienen oder Marienkäfer und andere Nützlinge geschädigt werden können. Auflagen und Anwendungsbestimmungen sollen gewährleisten, daß bestimmte Gefährdungen, zum Beispiel ein Eintrag in Gewässer, nicht eintreten können. Ihre Übertretung kann mit Bußgeld bis 100.000 DM geahndet werden. VERFAHREN IM UMBRUCH Zum 1. Juli 1998 ist eine Neufassung des Pflanzenschutzgesetzes in Kraft getreten, die die Richtlinie 91/414/EWG der Europäischen Union zur Harmonisierung der Pflanzenschutzmittelzulassung in deutsches Recht umsetzt. Zwar ist eine einheitliche EU-Zulassung unter anderem wegen der großen klimatischen Unterschiede in Europa nicht vorgesehen, jedoch müssen die Mitgliedstaaten Zulassungen aus anderen Staaten übernehmen, wenn keine gravierenden Gründe dagegen stehen. Es können künftig nur Mittel zugelassen werden, deren Wirkstoffe EU-weit geprüft und akzeptiert sind. Gentechnik: Mit einer „Genkanone” lassen sich fremde Gene in die Zellen von einkeimblättrigen Pflanzen (z. B. Mais) hineinschießen Die Tests erfolgen in einem Stufensystem: Am Beginn stehen Laborversuche, in denen die direkte Giftigkeit (Toxizität) oder stark schwächende Effekte ermittelt werden. Langjährige Erfahrungen haben gezeigt, daß diese Versuche in der Regel den „worst case”, also den härtesten Test darstellen. Werden hier keine Gefährdungen festgestellt, so kann davon ausgegangen werden, daß die Mittel unter natürlichen Freilandbedingungen erst recht keine gravierenden Auswirkungen auf die getestete Art haben. Ist eine eindeutige Bewertung aufgrund dieser Labortests nicht möglich, so können aufwendigere Versuche unter praxisnahen Bedingungen folgen (z. B. im Freilandkäfig oder auf dem Feld). FORSCHUNGSREPORT 2/1998 PRÜFUNG VON PFLANZENSCHUTZGERÄTEN Pflanzenschutzgeräte müssen gleichmäßig arbeiten und sicher für den Landwirt, Winzer oder Gärtner sein. Die BBA prüft die schriftlich eingereichten Erklärungen und Unterlagen für neue Geräte. Die Gerätetypen werden in die Pflanzenschutzgeräteliste eingetragen und im Bundesanzeiger bekanntgegeben. Nur die in dieser Liste verzeichneten Typen dürfen in Deutschland verkauft werden. Die Sicherheitsanforderungen für Pflanzenschutzgeräte sollen EU-weit harmonisiert werden. Auch 36 Der Kompostwurm Eisenia foetida ist Prüfobjekt, um die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf Bodenorganismen zu beurteilen (Foto: H. Kula) hier trägt die BBA mit eigenen Forschungen dazu bei, einheitliche Regelungen zu erarbeiten. GENTECHNISCHE SICHERHEIT Die Regelungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt bei der Freisetzung und dem Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen sind EU-weit harmonisiert. Die Biologische Bundesanstalt muß – ebenso wie das Umweltbundesamt und in bestimmten Fällen auch die Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere – vor jeder Freisetzung in Deutschland ihr Einvernehmen geben, bevor ein entsprechender Antrag vom Berliner Robert-Koch-Institut genehmigt wird. Auch auf diesem Gebiet ist eine umfassende Begleitforschung unerläß- F O R S C H U N G & A D M I N I S T R AT I O N logie, Mikrobiologie und biologische Sicherheit in Braunschweig für jeden Freisetzungsantrag eine umfassende Sicherheitsbewertung vorgenommen. Die Züchter müssen genaue Angaben machen über die verwendeten gentechnischen Methoden und über die Herkunft der neuen Gene. Die Gesamteigenschaften der transgenen Organismen sowie mögliche Auswirkungen auf den Naturhaushalt werden aufgrund der gelieferten Informationen und des durch eigene Arbeiten gewonnenen Fachwissens abgeschätzt. Beim Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen durch Mitgliedstaaten der EU wirkt die BBA ebenfalls mit. In Europa wurden bisher für sechs verschiedene Kulturarten Genehmigungen erteilt, unter anderem für die viel diskutierte herbizidtolerante Sojabohne und für insektenresistenten Mais (Btlich, um gentechnische Sicherheitsfragen kompetent beurteilen zu können. Innerhalb der BBA wird federführend vom Institut für PflanzenviroPestizide oder Pflanzenschutzmittel? Statt „Pflanzenschutzmittel” wird häufig das Wort „Pestizid” verwendet. Es leitet sich aus dem Englischen ab und umfaßt dort auch Mittel gegen Hygieneschädlinge und Lästlinge, z. B. Flöhe und Stechmücken (englisch: pests). Im Englischen gibt es unseren Begriff Pflanzenschutzmittel nicht, obwohl EUweit neuerdings der Ausdruck „plant protection products” verwendet wird. „Pestizid” stellt einen ungenauen Begriff dar und sollte deshalb vermieden werden. Im Gegensatz dazu sind die Begriffe „Herbizid” (gegen Unkräuter/Ungräser, engl. herbs), „Fungizid” (gegen Pilze) und „Insektizid” (gegen Insekten) unstrittig. tegrierten Pflanzenschutz in Kleinmachnow betreut beispielsweise einen mehrjährigen Feldversuch mit transgenem Raps und Mais, bei dem verschiedene Pflanzenschutzaspekte im Mittelpunkt stehen. Durch solche praxisnahen Untersuchungen läßt sich abschätzen, wie sich gentechnisch veränderte Kulturpflanzen in moderne Pflanzenschutzkonzepte einbinden lassen. FORSCHUNG FÜR VERBRAUCHER UND UMWELT Viele wissenschaftliche Arbeiten an der BBA fließen unmittelbar in die ihr gesetzlich übertragenen hoheitlichen Aufgaben ein. Die Anforderungen an die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln werden ständig optimiert und an den Stand der Auch Pflanzenschutzgeräte wie dieses Recyclinggerät für den Weinbau müssen gesetzliche Anforderungen erfüllen Mais). International liegen inzwischen umfangreiche Erfahrungen mit gentechnisch veränderten Kulturpflanzen vor. 1998 wurden sie weltweit bereits auf rund 28 Mio. ha kommerziell angebaut, wobei die USA mit etwa 20 Mio. ha Anbaufläche führend sind. Die in Deutschland durchgeführten Freilandversuche mit transgenen Pflanzen werden von Forschungsprojekten begleitet, die auch ökologische Fragestellungen mit einbeziehen und wertvolle Daten für die Beurteilung eventueller Langzeitauswirkungen liefern. Das BBA-Institut für in- 37 Forschung angepaßt. Molekularbiologische Arbeiten erlauben es, Entwicklungen im Bereich der Gentechnik beurteilen und bewerten zu können. Praktische Feldversuche geben Auskunft über den Erfolg neuer Ansätze im Pflanzenschutz. Die Forschungen bilden damit die Grundlage für Entscheidungen zum Wohl der Verbraucher und des Naturhaushalts. ■ Dr. W. Wohlers, Dr. M. Welling, Biologische Bundesanstalt für Landund Forstwirtschaft, Messeweg 1112, 38104 Braunschweig 2/1998 FORSCHUNGSREPORT WA L D Ö K O L O G I E Zustand der deutschen Waldböden Auswirkungen anthropogener Einflüsse Barbara Wolff, Winfried Riek und Petra Hennig (Eberswalde) D ie Böden der deutschen Wälder haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Vor allem durch hohe Fremdstoffeinträge aus der Atmosphäre ist die Funktionsfähigkeit der Waldböden – regional in unterschiedlichem Ausmaß – beeinträchtigt. Um die Rolle des Bodens im Zusammenhang mit den Immissionsbelastungen der Waldökosysteme regional differenziert beurteilen zu können, wurde im Zeitraum von 1987-1993 eine bundesweite Bodenzustandserhebung im Wald (BZE) durchgeführt. Durch die anschließende Zusammenführung ausgewählter Inventurdaten konnte an der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (BFH) erstmalig eine nach einheitlichen Kriterien erhobene nationale Datenbasis über den Waldbodenzustand und die Ernährungssituation der Waldbäume aufgebaut werden. WALDBÖDEN SIND LEBENDIG Etwa 4.000 bis 5.000 gut sichtbare Bodentiere (> 2 mm) wurden in Waldbodenfallen je Quadratmeter pro Jahr gefangen (vgl. Abb. 1). Rechnet man noch die mit bloßem Auge unsichtbaren Lebewesen hinzu, ergeben sich sogar Individuenzahlen in Größenordnungen von Billionen (1012). Für diese Lebewesen stellt der Waldboden den notwendigen Lebensraum dar. Gleichzeitig sind die Waldbodenlebewesen aber auch für das Zustandekommen der Böden und den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit eine unabdingbare Voraussetzung. Sie ernähren sich von der alljährlich anfallenden Blattstreu und wandeln dabei (manchmal erst nach mehreren „Fraß-Hierarchien”) die in den pflanzlichen Resten gespeicherten Nährstoffe in pflanzenverfügbare Stoffe (Mineralien) um. Abhängig von den Standortbedingungen geschieht dieser Abbau unterschiedlich schnell. Etwa fünf Jahre dauert es zum Beispiel, bis in FORSCHUNGSREPORT 2/1998 einem typischen Buchenwald die Blattstrukturen in der Bodenstreu weitgehend zerstört sind, und erst nach weiteren fünf Jahren entstehen mineralische Substanzen und lösliche Humusstoffe, welche die Abb. 1: Anzahl von Waldbodentieren pro Quadratmeter und Jahr. Durchschnittliche Fangsummen aus 24 in vier Waldgebieten aufgestellten Bodenfallen (Photoeklektoren) (Graphik: U. Schulz) 38 WA L D Ö K O L O G I E schwarze Färbung der obersten Mineralbodenschicht verursachen (vgl. Abb. 2). In einem Auwald wird dagegen die Streu bereits in einem Jahr abgebaut. Im Verlauf der Evolution haben sich unterschiedliche Waldökosystemtypen an die verschiedensten Standortverhältnisse angepaßt, immer jedoch ist der Boden die Schaltstelle für den Stoffkreislauf in Wäldern. Hier findet das ökologische Zusammenspiel von biologischen (Tiere, Pflanzen), chemischen (z. B. Nährelementvorräte, Schadstoffkon- Abb. 2: Der Bohrkern zeigt die obersten Bodenschichten mit Blattstreu, zunehmender Zersetzung des organischen Materials und schwarzer Humusschicht zentrationen) und physikalischen (z. B. Wasser, Luft) Faktoren statt, dessen Ergebnis in der Bodenfruchtbarkeit zum Ausdruck kommt. Obwohl die im Boden wirksamen Regelmechanismen längst noch nicht alle erforscht sind, haben die Erfahrungen der Vergangenheit gezeigt, daß massive oder langanhaltende Eingriffe in dieses biologische Regelsystem gravierende Auswirkungen auch auf das Waldwachstum haben. 39 2/1998 FORSCHUNGSREPORT WA L D Ö K O L O G I E WALDBÖDEN SIND SAUER Unter natürlichen Bedingungen wird Säure bei mikrobiellen Stoffumwandlungsprozessen, bei der Atmung der Wurzeln und der Festlegung von Nährelementen in der Biomasse gebildet. Auch periodische Störungen, wie etwa das Zusam- sind in der Lage, die Säure abzupuffern. WALDBÖDEN WERDEN BEOBACHTET Untersuchungen aus den letzten 20 Jahren in verschiedenen Waldökosystemen zeigen ernsthafte und außergewöhnlich schnell ablaufende Veränderungen des chemischen Waldbodenzustandes – verursacht durch Fremdstoffeinträge aus der Atmosphäre. Überdies kamen viele interdisziplinäre Forschungsprogramme zu dem Ergebnis, daß auch die seit Mitte der 70er Jahre in Deutschland großflächig auftretenden Waldschäden (Kronenverlichtungen) vielerorts auf Luftschadstoffe, die in den Boden eingetragen wurden, zurückzuführen sind. Von dem Filter-, Pufferund Stoffumwandlungsvermögen der Waldböden hängt es nämlich letztlich ab, ob die im Laufe der Jahre angesammelten Fremdstoffe zu ernsthaften Störungen der Lebensgemeinschaft Wald führen. BUNDESWEITE BODENZUSTANDSERHEBUNG IM WALD (BZE) Abb. 3: Bodenprofil in einem Buchenmischwald: Der Bodentyp ist ein SandbraunPodsol; die vertikale Störung rührt von einem alten Wurzelkanal her menbrechen alter Waldbestände, können aufgrund der dann beschleunigt ablaufenden Mineralisierung der Humusschicht eine Erhöhung der Bodenacidität bewirken. Waldböden sind daher von Natur aus stets saurer als Ackerböden. Allerdings stellt diese natürliche Säurelast kein Problem für die Wälder dar: Die Waldböden können im Normalfall darauf mit chemischen Reaktionen reagieren, das heißt, sie FORSCHUNGSREPORT 2/1998 Um die Rolle des Bodens im Zusammenhang mit den Immissionsbelastungen der Waldökosysteme regional differenziert beurteilen zu können, wurde von 1987 bis 1993 eine bundesweite Bodenzustandserhebung im Wald (BZE) durchgeführt. Dies geschah in Ergänzung zur jährlichen Waldzustandserhebung. Über ganz Deutschland wurde dafür ein regelmäßiges Gitternetz mit einer Maschenweite von 8x8 km gelegt. Jeder Gitternetzschnittpunkt stellt heute einen BZE-Stichprobenpunkt dar: Genau dort bzw. in der nahen Umgebung dieses Punktes wurde ein Bodenprofil gegraben (Abb. 3), Bodenproben und Humus- 40 proben entnommen sowie der Waldzustand eingeschätzt. Überdies wurden Nadel-/Blattproben gewonnen, um auch die Ernährungssituation der Waldbäume untersuchen zu können. Die BZE war Teil des bundesweiten Umweltmonitorings im Wald. Sie erfolgte in Regie der jeweiligen Bundesländer. Ausgewählte Inventurdaten wurden am BFH-Institut für Forstökologie und Walderfassung in Eberswalde zusammengeführt und ausgewertet. Dadurch war es erstmalig möglich, eine nach einheitlichen Kriterien erhobene und nach vergleichbaren Methoden analysierte nationale Datenbasis über den Waldbodenzustand und die Ernährungssituation der Waldbäume aufzubauen. Die vorliegenden Kennwerte erlauben regional differenzierte Aussagen über: ■ das Ausmaß von Bodenversauerung und Basenverarmung, ■ die Akkumulation von Schadstoffen, ■ Risiken für Grund- und Quellwasser, ■ Ungleichgewichte in der Baumernährung. Abb. 4: Zusammenhang zwischen pH-Wert und Basensättigung. In einem relativ engen Bereich um pH 4 kommt es zu einem starken Umschwung in der Basensättigung 100 Basensättigung (%) karbonathaltige neutrale Böden 90 80 70 Bereich hoher Versauerungsdynamik 60 50 40 30 extrem saure 20 Böden 10 0 2,5 3 3,5 4 4,5 5 5,5 6 pH-Wert in 0-10 cm Tiefe 6,5 7 WA L D Ö K O L O G I E Entnahme einer Bodenprobe Neben der Dokumentation des aktuellen Waldbodenund Ernährungszustandes liefert die BZE – vor allem im Zusammenhang mit künftigen Folge-Inventuren – Aussagen über Ausmaß, Dynamik und räumliche Verbreitung von Bodenveränderungen. WALDBÖDEN WERDEN SAURER Fallstudien haben zu dem Schluß geführt, daß anthropogene, säurebildende Stoffeinträge („Saurer Regen”) die bodeninternen Puffersysteme überfordern können. Ein Indiz für den Säurezustand des Bodens ist der pH-Wert. Er beschreibt die im Boden vorhandene Säurestärke. Absinkende pH-Werte weisen darauf hin, daß die Säurebelastung die Pufferrate der Böden übersteigt. Ab einem pH unter 4,2 (Aluminium-Pufferbereich) gelangen zunehmend für Lebewesen schädliche Aluminium- (Al3+), Eisen- (Fe3+) und Wasserstoff-Ionen (H+) in die Bodenlösung. Weil Säureeinträge auch zu stofflichen Umwandlungen im Boden führen können, ohne daß sich der pH-Wert merklich ändert, ist der pH-Wert allein noch kein aussagefähiger Kennwert zur Beschreibung von Versauerungserscheinun- gen. Die Basensättigung – das heißt der Anteil der austauschbar gebundenen basischen Nährelemente – ist dagegen ein guter Weiser für die Säureneutralisationskapazität der Böden. Mit ihr läßt sich bei Berücksichtigung des Ausgangsgesteins die Elastizität gegenüber weiteren Säureeinträgen beurteilen (vgl. Abb. 4). Entsprechend der geochemischen, klimatischen und nutzungsgeschichtlichen Vielfalt der deutschen Waldböden war für den Säure-/Basenzustand eine hohe Variabilität zu erwarten. Gemessen an den erheblichen Unterschieden im Mineralbestand der einzelnen Gesteine (= Substrate) sind die aktuellen substratspezifischen Unterschiede im Oberboden (bis in 30 cm Tiefe) aber ausgesprochen gering. Lediglich die Kalkstandorte sowie Böden auf Basalt bzw. Diabas zeichnen sich durch eine bessere Ausstattung mit Nährelementen sowie höhere pH-Werte aus. Mehr als 80 % der untersuchten carbonatfreien Standorte befinden sich bis in die Tiefe von 30 cm in dem für viele Bodenlebewesen ungünstigen Aluminium- oder Eisenpufferbereich (pH < 4.2), mehr als 60 % weisen geringe bis sehr geringe Basensättigungen auf (BS < 15 %). Tendenziell höhere pH-Werte, die nicht auf das Substrat zurückgeführt werden können, kennzeichnen das Nordostdeutsche Tiefland (vgl. Abb. 5). Dies wird auf die hier in der Vergangenheit vergleichsweise geringeren Säuredepositionen in Verbindung mit hohen Einträgen basischer Flugaschen zurückgeführt. Generell nimmt der Basenanteil mit zunehmender Tiefe zu. Im Unterboden (bis 140 cm Tiefe) weisen noch etwa ein Drittel der BZE-Standorte hohe Pufferreserven auf; insgesamt überwiegen aber geringe bis mäßige Basensättigungsgrade (BS 5–30 %). Die BZE-Stichprobe belegt, daß mit Ausnahme der Kalkstandorte von 41 einer flächendeckenden, weitgehend substratunabhängigen Versauerung und Basenverarmung im Oberboden ausgegangen werden muß. DIE BODENFRUCHTBARKEIT LEIDET Nimmt der pH-Wert ab, können wichtige Bodenlebewesen nicht mehr an der Zersetzung der Bodenstreu teilhaben. Die Streu sammelt sich, und die darin enthaltenen Nährstoffe werden (zumindest vorübergehend) dem Stoffkreislauf entzogen. Die BZE-Auswertung hat gezeigt, daß sich vor allem bei denjenigen Standorten, die schon von Natur aus nährstoffarm sind, derzeit der überwiegende Anteil der kurzbis mittelfristig verfügbaren Nährele- mente in der Humusauflage und nicht mehr im Mineralboden befindet. Durch die gleichzeitig zu beobachtende Basenauswaschung aus dem Mineralboden geraten die Waldökosysteme in eine zunehmend instabile Versorgungssituation. Insbesondere für Magnesium stellen sich bereits heute – schwerpunktmäßig in den Mittelgebirgslagen – Mangelsituationen ein. Bei der Bewertung der Ernährungssituation der Waldbäume anhand der Nadel-/Blattanalysedaten deutet sich überdies vor allem im nördlichen Teil Deutschlands eine Überernährung mit Stickstoff an. Zu- 2/1998 FORSCHUNGSREPORT Bodenproben werden im Labor für die chemische Analyse vorbereitet WA L D Ö K O L O G I E Abb. 5: Räumliche Verteilung der pH-Werte (in 10-30 cm Bodentiefe) im deutschen Bundesgebiet FORSCHUNGSREPORT 2/1998 42 WA L D Ö K O L O G I E dem weisen alle beprobten Kiefern und Buchen sowie 59 % der Fichten erhöhte Schwefelgehalte auf, so daß von einer flächendeckenden, wenn auch regional unterschiedlich hohen, Schwefel-Immissionseinwirkung auszugehen ist. Die großräumige Immissionsbelastung der Waldböden zeigt sich auch bei der Betrachtung der Schwermetallgehalte in der Humusauflage. Auf 25 % bzw. 38 % der BZE-Standorte wurden Blei- und Kupfergehalte gemessen, die für wichtige Bodenorganismen im Stoffkreislauf der Wälder giftig sind. DIE WASSERQUALITÄT LEIDET Waldböden speichern das Niederschlagswasser und geben es nur langsam wieder ab. Im Verlauf der Versickerung durch den Waldboden wird das Niederschlagswasser von Schadstoffen gereinigt. Diese Filterwirkung von Waldstandorten ist für die Trinkwassergewinnung von essentieller Bedeutung. Heute ist jedoch festzustellen, daß die mit der Bodenversauerung einhergehende Mobilisierung von Aluminium, Eisen und Mangan zu erhöhten Konzentrationen dieser Elemente im abfließenden Sicker- und Oberflächenwasser der Wälder führt. Überdies stellt die Verlagerung von versauerungsbedingt mobilisierten Schwermetallen ein Gefahrenpotential für die Hydrosphäre dar. Die BZE-Auswertungen legen den Schluß nahe, daß in Belastungsgebieten mit hohen Schwermetalleinträgen aus der Atmosphäre davon auszugehen ist, daß bei den beobachteten niedrigen pH-Werten im Oberboden bereits größere Mengen Zink und Cadmium ausgewaschen worden sind. Angesichts der bedeutenden luftverfrachteten Stickstoffeinträge in Wälder und der Ansammlung von Stickstoff in den Humusauflagen der sauren Waldböden muß außerdem bei einem beschleunigtem Humusvorratsabbau mit erhöhten Nitratausträgen aus den betroffenen Waldökosystemen gerechnet werden. DIE WALDÖKOSYSTEME SIND GESTÖRT Wie die bundesweite Bodenzustandserhebung im Wald (BZE) gezeigt hat, sind die Filter-, Puffer- und Stoffumwandlungseigenschaften der Waldböden in vielen Regionen gestört. Erste integrierende Auswertungen von bodenchemischen und ernährungskundlichen Daten sowie den Ergebnissen der terrestrischen Waldzustandserhebung haben zudem Zusammenhänge zwischen dem Bodenzustand, dem Ernährungszustand und der Vitalität der Waldbäume deutlich werden lassen. Natürlich sind längst noch nicht alle Wirkungsmechanismen in Waldökosystemen bekannt. Durch die BZE konnte aber bereits jetzt sicher festgestellt werden, daß viele Waldböden ihre Aufgabe in einem funktionierenden Waldökosystem nur noch eingeschränkt wahrnehmen können. Die Selbstregulationsfähigkeit der Wälder ist überschritten, Vitalitätseinbußen der Waldbäume sind die Folge. Nur durch ein konsequentes, aber behutsames, umweltbewußtes Handeln wird es möglich sein, die eingetretenen Schäden teilweise zu beheben. Für die Forstwirtschaft bedeutet dies, aus standortangepaßten, IMPRESSUM FORSCHUNGSREPORT Ernährung – Landwirtschaft – Forsten 2/1998 (Heft 18) Herausgeber: Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 43 Schriftleitung & Redaktion: Dr. M. Welling Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsanstalten c/o Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, Messeweg 11/12, 38104 Braunschweig Tel.: 0531 / 299-3396 Fax: 0531 / 299-3001 E-mail: [email protected] Redaktionsbeirat: Dr. P.W. Wohlers, BBA Braunschweig Dr. H. Brüning, BAZ Grünbach möglichst tiefwurzelnden Baumarten stabile und – soweit standörtlich möglich – artenreiche Mischbestände herauszupflegen. Humusschonende Bewirtschaftungsweisen, die Vermeidung von Kahlschlägen sowie die Verringerung überhöhter Wildbestände sind dabei unbedingt zu berücksichtigen. Allerdings können Waldbewirtschaftungsverfahren – ebenso wie Bodenschutzkalkungen und Ergänzungsdüngungen – die Probleme nur begrenzt entschärfen. Eine weitere Reduzierung von Luftschadstof- fen und eine konsequente Luftreinhaltepolitik sind daher für die Erhaltung der Waldökosysteme zwingend erforderlich. ■ Dr. B. Wolff, Dr. W. Riek und P. Hennig, Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft, Institut für Forstökologie und Walderfassung, Postfach 10 01 47, 16201 Eberswalde Online-Redaktion: TAKO Auf dem Äckerchen 11 53343 Wachtberg Tel.: 0228 / 9323213 E-mail: [email protected] Konzeption, Satz und Druck: AgroConcept GmbH Clemens-August-Str. 12-14 53115 Bonn Tel.: 0228/969426-0 Fax: 0228/630311 Internet-Adresse: http://www.dainet.de/senat/ Bildnachweis: AgroConcept GmbH, Bonn D. Fraatz, BBA Braunschweig M. Welling, Braunschweig Erscheinungsweise: Der ForschungsReport erscheint zweimal jährlich Nachdruck, auch auszugsweise, mit Quellenangabe zulässig (Belegexemplar erbeten) ISSN 0931-2277 Druck auf chlorfrei gebleichtem Papier 2/1998 FORSCHUNGSREPORT Die Bodenversauerung kann Oberflächengewässer in Wäldern beeinträchtigen P O RT R A I T BUNDESFORSCHUNGSANSTALT FÜR LANDWIRTSCHAFT (FAL) Institut für Tierzucht und Tierverhalten Mariensee R und 63 % der Verkaufserlöse der deutschen Landwirtschaft (ca. 38 Mrd. DM) stammen aus der tierischen Produktion. Die Hauptzielsetzung ist eine international wettbewerbsfähige Erzeugung hochwertiger Produkte für den menschlichen Konsum unter Berücksichtigung von Verbraucherwünschen, Gesundheit und Schutz der Tiere, Erhaltung der genetischen Vielfalt sowie Umweltverträglichkeit. Dabei ist die Tierproduktion auf eine ebenso wettbewerbsfähige wie innovative Forschung angewiesen. Das Institut für Tierzucht und Tierverhalten Mariensee erarbeitet als Ressortforschungsinstitut auf den genannten Gebieten wissenschaftliche Grundlagen als Entscheidungshilfe für das BML und erweitert den wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Das Institut für Tierzucht und Tierverhalten ist ein ehemaliges Klostergut, eingebettet in den dörflichen Charakter ca. 20 km nordwestlich von Hannover UMSTRUKTURIERUNG Seit dem 1. Januar 1998 werden das Institut für Tierzucht und Tierverhalten Mariensee und das Institut für Kleintierforschung Celle/Merbitz als Institut für Tierzucht und Tierverhalten Mariensee mit vier Außenstandorten (Trenthorst/Wulmenau, Celle, Höfer, Merbitz) weitergeführt. Die Außenstandorte werden in Folge des Rahmenkonzeptes des BML nach einem mehrstufigen Umsetzungskonzept in den nächsten Jahren geschlossen, wobei die Aufgaben an die FAL-Standorte Mariensee und Braunschweig (Geflügelernährung) verlegt werden. Auch fachliche Gründe sprechen für eine Umstrukturierung der Nutztierforschung der FAL mit Konzentration am Standort Mariensee: Bestehende, hi- FORSCHUNGSREPORT 2/1998 storisch begründete Grenzen zwischen Groß- und Kleintierforschung sind nicht länger aufrecht zu erhalten. Wissensbasis, Fragen, Problemstellungen und Methodenrepertoire sind sehr ähnlich; Effizienz, Verbesserung und Optimierung der Nutzung verfügbarer Ressourcen durch fachliche und räumliche Zusammenführung von fünf auf einen Standort lassen eine Verbesserung der wissenschaftlichen Effizienz, der interdisziplinär-fachlichen Interaktion und der Wahrnehmung von Ressortaufgaben erwarten. Die künftigen Arbeitsschwerpunkte sind im „Wissenschaftlichen und organisatorischen Konzept der FAL für das Institut für Tierzucht und Tierverhalten” aus dem Jahre 1997 niedergelegt und nachfolgend verkürzt wiedergegeben. 44 FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE Genetik und Genetische Ressourcen ■ Züchtungs- und Populationsgenetik: Erarbeitung methodischer und theoretischer Kenntnisse vor allem im Bereich statistischer Modelle für die Tierzucht; Anwendung genetischstatistischer Verfahren unter Nutzung neuer biotechnologischer Entwicklungen; Planung und Bewertung von Zuchtprogrammen; Weiterentwicklung von wissenschaftlichen Grundlagen der Leistungsprüfung; Züchterische Einflüsse auf Verhaltensmerkmale (Verhaltensgenetik). ■ Molekulargenetik und molekulare Marker: Nutzung molekularbiologischer Verfahren für die Züchtung; Aufklärung der Zusammenhänge von Struktur, Organisation und Funktion von Genen als Voraussetzung für den Gentransfer bei landwirtschaftlichen Nutztieren. ■ Tiergenetische Ressourcen: Nutzung populationsgenetischer und molekulargenetischer Verfahren zur Identifizierung von Populationen; Erarbeitung von Methoden und Strategien zur Erhaltung nutztiergenetischer Ressourcen. Nutztierphysiologie ■ Erarbeitung systemphysiologischer Zusammenhänge der Körperfunktion landwirtschaftlicher Nutztiere: Regulation des prä- und postnatalen Wachstums, Regulation der Reproduktion, Regulation des Verhaltens. ■ Erforschung molekularer und physiologischer, besonders endokriner Regelsysteme: von Wachstum, Reproduktion und Adaptation und von Verhaltensäußerungen. P O RT R A I T Produktqualität von landwirtschaftlichen Nutztieren ist mit Hilfe der Computertomographie bereits am lebenden Tier feststellbar ■ Leistungsphysiologie der Tierproduktion: zur Erkennung und Bewertung von physiologischen Grenzen. ■ Biologische Folgenabschätzung: von bio- und gentechnischen Verfahren, von züchtungsbedingten Veränderungen genomischer Expression. ■ Entwicklung von Methoden in der Nutztierphysiologie: zur Abschätzung des Bedarfs der Tiere, zum Schutz der Tiere. Biotechnologie ■ Entwicklung neuer Verwendungsmöglichkeiten und Nutzung landwirtschaftlicher Nutztiere (transgene Tiermodelle als Produktionsalternativen). ■ Biotechnologie-Folgeabschätzung zum Schutz von Tier und Konsument (Molekulare und zellbiologische Regulation der frühen Embryonalentwicklung und Differenzierung – Genexpression). ■ Entwicklung von Biotechnologien zur Erhaltung tiergenetischer Ressourcen (Reifung und Befruchtung von Oocyten und in vitro Entwicklung von Embryonen). ■ Entwicklung biotechnischer Verfahren als Beitrag zur Sicherung der Ernährung der Weltbevölkerung. Haltung und Tierschutz ■ Bewertung, Weiterentwicklung und Optimierung von Haltungs- systemen unter Gesichtspunkten des biologischen Bedarfs, der Tiergesundheit, der Ökologie und der Ökonomie. ■ Ermittlung des biologischen Bedarfs unter besonderer Berücksichtigung von Motivation, Furcht, Verhaltensontogenese, -adaptation, -rhythmizität und -expression bei Haltung und Transport. ■ Untersuchungen zum Einfluß und zur Bedeutung natürlicher und technisch bedingter Umweltfaktoren auf Funktion und Verhalten von Nutztieren. ■ Methodische Entwicklungen insbesondere zu tierschutzrelevanten Fragestellungen. Prozeß- und Produktqualität ■ Interaktionen zwischen Produktqualität, Umwelt, Haltungsverfahren, Leistungsfähigkeit, Gesundheit und Hygiene. ■ Magnet-Resonanz-Analysen von Körperzusammensetzung und von Qualitätsmerkmalen während des Wachstums und bei der Fleischerzeugung. ■ Neue Methoden und Überprüfung der Qualitätsbewertung, Tiergesundheit und Bestandshygiene. ■ Entwicklung, Erprobung und Einführung molekularbiologischer Methoden für die Diagnostik und Epidemiologie tier-, produkt- und prozeßhygienisch relevanter bakterieller Erreger. Molekularbiologie bis zur Sicherheitsstufe 2, Hormonanalytik, Zellkultur, Mikrobiologie, Histologie, Verhaltensforschung einschließlich Bioakustik) verfügt das Institut über spezielle Versuchseinrichtungen für landwirtschaftliche Nutztiere (Magnet-Resonanz-Tomographie für Tiere, Hochgeschwindigkeitslaufband, Operationsräume, Klimastall, Brüterei, Schlachtanlagen u.a.m.). Die Versuchswirtschaften stehen für die versuchsmäßige Unterbringung und Versorgung von Rindern, Schafen, Schweinen, Pferden sowie Geflügel und Kaninchen mit modernen Stallungen, Ausläufen und schlagkräftiger Außenwirtschaft bereit. Das Institut nimmt Diplomanden, Doktoranden und Postdocs auf. Es ist anerkannte Weiterbildungsstätte für Tierärzte zum Fachtierarzt für Physiologie und Physiologische Chemie, Mikrobiologie sowie Reproduktionsmedizin. Außerdem ist es Ausbildungsstätte für Biologielaboranten, land- INFRASTRUKTUR Das Aufgabenspektrum des Instituts ist nur über eine Verstärkung des planmäßigen Wissenschaftlerstammes durch zahlreiche Gastwissenschaftler aus dem In- und Ausland sowie durch Drittmittel zu bewältigen. Darüber hinaus wird eine intensive Zusammenarbeit mit universitären und außeruniversitären Einrichtungen im In- und Ausland gepflegt. Neben Standardlaboratorien, (Biophysikalische Meßwerterfassung, 45 wirtschaftlich technische Assistenten/innen (Schwerpunkt Tierproduktion), für Tierwirte (Geflügel), für Handwerker (Feinmechaniker), landwirtschaftliche Gehilfen und Landmaschinenmechaniker. ■ Prof. Dr. sc. agr. Dr. habil. Dr. h.c. Franz Ellendorff (M.Sc.), Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL), Institut für Tierzucht und Tierverhalten, Höltystraße 10, 31535 Neustadt 2/1998 FORSCHUNGSREPORT Forschungsarbeiten zur Erhaltung genetischer Ressourcen (hier das Schwarzbunte Niederungsrind) und zur umweltgerechten Flächenbewirtschaftung werden durch größere Tierbestände und Flächen ermöglicht P O RT R A I T BUNDESANSTALT FÜR ZÜCHTUNGSFORSCHUNG AN KULTURPFLANZEN Institut für landwirtschaftliche Kulturen, Groß Lüsewitz M it der Gründung der Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen (BAZ) am 1. Januar 1992 wurden am Standort Groß Lüsewitz bei Rostock drei Institute eingerichtet: Das Institut für Streßphysiologie und Rohstoffqualität, das Institut für Züchtung landwirtschaftlicher Kulturpflanzen und das Institut für Züchtungsmethodik landwirtschaftlicher Kulturpflanzen. Die beiden letztgenannten Institute wurden im Mai 1998 zum Institut für landwirtschaftliche Kulturen zusammengefaßt. Dem Institut für landwirtschaftliche Kulturen (ILK) stehen nach dem Feinkonzept 2005 für die Forschung im Ressortbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BML) 35 Personalstellen aus Haushaltsmitteln zur Verfügung, davon zwölf Wissenschaftlerstellen. Aus Drittmitteln sind zur Zeit weitere acht wissenschaftliche und technische Mitarbeiter angestellt. Das ILK unterhält circa 2600 m2 Gewächshausfläche, zum Teil als klimatisierbare Kabinengewächshäuser und S1-Gentechnik-Arbeitsbereiche, sowie rund 900 m2 Molekularbiologie-, Biotechnologie-, Radionuklid-, Resistenzlaborflächen sowie sonstige Arbeitsräume. Gemeinsam mit dem Nachbarinstitut werden 52 ha Versuchsfläche einschließlich Freisetzungsflächen bewirtschaftet. AUFGABEN Das ILK hat die Aufgabe, für ausgewählte landwirtschaftliche Kulturarten genetisch definiertes Basismaterial zu erstellen und effiziente Züchtungsmethoden zu erarbeiten. Hierbei stehen Aspekte der gesunden FORSCHUNGSREPORT 2/1998 Merkmalsgene für die markergestützte Selektion werden isoliert und charakterisiert Pflanze, der Produktqualität sowie der nachwachsenden Rohstoffe im Vordergrund. Die Auswahl der bearbeiteten landwirtschaftlichen Kulturpflanzen orientiert sich am langfristigen Forschungsbedarf sowie an den regionalen ökologischen und pflanzenbaulich-züchterisch relevanten Gegebenheiten. Die gegenwärtig bearbeiteten ca. 30 Forschungsprojekte befassen sich mit Raps und anderen Brassicaceen, Kartoffel, Gerste, Roggen, Hafer, Triticale und Weidelgräsern. ERSTELLUNG VON BASISMATERIAL Das ILK erstellt Ausgangsmaterial für die Pflanzenzüchtung mit genetisch definierten Merkmalen. Dafür werden sowohl klassische als auch biotechnologische und gentechnische Methoden angewendet. Arbeitsschwerpunkte bei der Kartoffel sind dauerhafte Resistenzen gegenüber dem Pilz Phytophthora infestans und Erregern der Knollenfäulen, Kaltlagerungseignung im Hinblick auf die Kartoffelverarbeitung und in 46 begrenztem Maße die Züchtung auf diploider Valenzstufe. Die Resistenzzüchtung bedient sich zum einen langfristig angelegter Kreuzungs- und Selektionsprogramme, um aus verwandten, kreuzbaren Wildarten der Kartoffel wertvolle Resistenzgene in das Genom der Kulturkartoffel einzulagern. Zum anderen werden auch nicht kreuzbare Solanum-Arten als Resistenzquelle genutzt, indem durch die Fusion zellwandloser Pflanzenzellen (Protoplastenfusion) die Genome verschiedener Partner miteinander kombiniert werden. Die züchterischen Aktivitäten bei Raps konzentrieren sich gegenwärtig auf die Bearbeitung der Ölqualität und die Nutzung der Selbstinkompatibilität als System der Befruchtungskontrolle. Für die Verwendung als nachwachsender Rohstoff können Rapsformen erzeugt werden, die besonders hohe Gehalte an bestimmten Fettsäuren im Samenöl aufweisen. Hierzu werden am ILK neben klassisch-züchterischen auch gentechnische Methoden angewandt, um durch die Übertragung von Genen aus ölreichen Wildpflanzen oder anderen Organismen das hohe natürliche Öl-Ertragspotential von Raps mit P O RT R A I T zur gentechnischen Bearbeitung von Kulturpflanzen optimiert. der Fähigkeit zur Synthese spezifischer Fettsäuren zu kombinieren. Die Aktivitäten bei Getreide und Gräsern konzentrieren sich auf die Erzeugung krankheitsresistenten Materials unter Berücksichtigung der agronomischen Leistungsmerkmale. Schwerpunkte sind das Screening von Genbankmaterial und dessen Nutzung als genetische Ressource für Resistenzgene gegenüber Blattkrankheiten bei Roggen und Weidelgras, Virusresistenz bei Hafer sowie gegenüber Ähren- und Blattkrankheiten bei Triticale. ERARBEITUNG VON ZÜCHTUNGSMETHODEN Eine Reihe züchtungsmethodisch ausgerichteter Arbeiten befaßt sich mit der Entwicklung molekularer Marker für die markergestützte Selektion auf Resistenz- und Qualitätsmerkmale. Möglichkeiten zum Einsatz der Selbstinkompatibilität oder gentechnisch erzeugter männlicher Sterilität für die Züchtung bei Raps sind Gegenstand weiterer Projekte. Züchtungsmethodisch orientiert sind auch Arbeiten, die sich mit der ARBEITSGRUPPEN Sich aus Mikrosporen entwickelnde RapsEmbryonen in Flüssigmedium Entwicklung molekularer Nachweismethoden zur Identifizierung transgener Pflanzen im Züchtungsprozeß oder mit der Isolierung von Genen für die Befruchtungskontrolle bei Gräsern befassen. Im Bereich der biotechnologischen Verfahren wird nach Möglichkeiten gesucht, die züchterisch nutzbare genetische Variabilität bei Solanaceen und Brassicaceen durch Fusion von Protoplasten (zellwandlose Zellen) zu verbreitern. In weiteren Arbeiten werden Methoden Test auf Braunfäuleresistenz von Kartoffelknollen. Äußere Reihen: anfällige Genotypen mit gering bzw. stark ausgeprägter Verbräunung; mittlere Reihe: BAZ-Zuchtstamm mit hoher Resistenz Drei Arbeitsgruppen widmen sich den unterschiedlichen methodischen Aspekten der Forschungsprojekte. Die einzelnen Projekte werden integriert – das heißt möglichst unter Beteiligung jeder Arbeitsgruppe – bearbeitet. Am Beispiel der Forschungsarbeiten am Raps soll dies illustriert werden. In der AG „Biotechnologie” wird Raps mit Genkonstrukten unterschiedlicher Art transformiert, um die Ölqualität entsprechend den jeweiligen Zuchtzielen modifizieren zu können. Die transformierten Gewebe werden in vitro zu vollständigen Pflanzen regeneriert und den beteiligten externen Partnern für züchterische Arbeiten zur Verfügung gestellt. Die AG „Molekulare Züchtungsmethoden” charakterisiert transgene Rapslinien hinsichtlich der Anzahl eingefügter Genkopien. Für spezifische Transgene werden PCR-Assays entwickelt und optimiert, so daß mit ihnen Typisierungen mit hohem Probendurchsatz möglich sind. Die AG „Züchtung/Basismaterial” führt mehrjährige Freisetzungsversuche mit dem Ziel durch, die Merkmalsausprägung der eingeführten Gene unter Freilandbedingungen zu testen. Hierzu werden größere Mengen an Rapssamen im Feld produziert und zum einen im eigenen Labor in ihrer Fettsäurezusammensetzung charakterisiert. Zum anderen werden Samenpartien im Pilotmaßstab an Ölmühlen weitergegeben, welche die technologischen Parameter des transgenen Materials im Hinblick auf dessen industrielle Nutzung als nachwachsender Rohstoff testen. ■ Priv.-Doz. Dr. Peter Wehling, Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen, Institut für landwirtschaftliche Kulturen, Rudolf-SchickPlatz 1, 18190 Groß Lüsewitz 47 2/1998 FORSCHUNGSREPORT N A C H R I C H T E N Bundesanstalt für Fleischforschung und Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere Immunologische Ohrmarke für Rinder Biomarkierung als Alternative für die Herkunftssicherung? Wissenschaftler der Bundesanstalt für Fleischforschung und der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere arbeiten zusammen an einem neuen, immunologischen Verfahren, mit dem sich Biotechnologische Verfahren könnten in Zukunft die Tierkennzeichnung durch Ohrmarken ergänzen die Herkunft von Rindern und Rindfleischprodukten überprüfen und zweifelsfrei nachweisen lassen soll. Hintergrund ist der „Rinderwahnsinn” BSE. Die Geschehnisse rund um diese Seuche haben das Vertrauen der Verbraucher in die Unbedenklichkeit von Lebensmitteln tierischer Herkunft, speziell Rindfleisch, stark beeinträchtigt. Der Herkunftssicherung und Kennzeichnung von Nutztieren kommt in diesem Zusammenhang eine steigende Bedeutung zu. Seit Anfang 1998 gelten EU-weit einheitliche Vorschriften für die Kennzeichnung und Registrierung von Rindern. So müssen Kälber jetzt mit zwei Ohrmarken markiert werden, außerdem gibt es Tierpässe sowie neue Meldeund Registrierverfahren. Begleitet FORSCHUNGSREPORT 2/1998 werden diese Maßnahmen von der Rindfleischetikettierung. Ein Problem solcher konventioneller Dokumentationssysteme könnte – neben dem vergleichsweise hohen bürokratischen Aufwand – in einer fehlenden Fälschungssicherheit liegen (falsche Bescheinigungen, Daten etc.). Darüber hinaus kann die Herkunft von Produkten wie Milch und Fleisch nicht zweifelsfrei überprüft werden. Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung von anderen Markierungsverfahren interessant, mit denen Nutztiere wie auch Lebensmittel auf natürliche Weise gekennzeichnet und ihre Herkunft zurückverfolgt werden können. Die Wissenschaftler aus Kulmbach und Tübingen setzen hier auf eine gezielte Biomarkierung. Das Verfahren basiert auf der Antikörperreaktion von Tieren nach Applikation von definierten Immunogenen und ist vergleichbar mit den Vorgängen bei einer aktiven Schutzimpfung. Würden Kälber mit Immunogenen behandelt, die eine gute Antikörperbildung hervorrufen und denen die Tiere natürlicherweise nie ausgesetzt sind, dann wäre über einen einfachen Nachweis der Antikörper im Blut jederzeit ein Rückschluß auf das verwendete Immunogen möglich. Auf dieser Basis wäre eine immunologische Kennzeichnung von Tieren in Erzeugerringen, Qualitätsprogrammen, einzelnen Bundesländern oder Staaten denkbar, wobei als Biomarker bestimmte Peptid-Immunogene einzeln oder in Kombination in Frage kommen. Da sich Anti-Peptid-Antikörper auch in Milch und Tropfsaft von Fleisch nachweisen lassen, wäre auf diese Weise nicht nur eine Kennzeichnung der Tiere selbst, sondern auch der von ihnen stammenden Lebensmittel möglich. Das neu entwickelte Verfahren ist den Wissenschaftlern mittlerweile patentiert worden. (M. Gareis, BAFF und M. Groschup, BFAV) 48 Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) Molekularbiologe der FAL erhielt zwei Förderpreise Neue Methode zur Diagnostik von Salmonellen entwickelt Dr. Stefan Schwarz vom FAL-Institut für Tierzucht und Tierverhalten ist im vergangenen Jahr für seine Forschung auf dem Gebiet der Tiergesundheit gleich doppelt ausgezeichnet worden. Für seine Arbeiten zur molekularen Typisierung von Salmonellen sowie zur Struktur, Regulation und Übertragbarkeit von Resistenzen bei Bakterien wurde ihm der Förderpreis der Akademie für Tiergesundheit verliehen. Zusätzlich hat ihn die Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft mit dem Preis zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern geehrt. Sie würdigte damit seine Untersuchungen über Mechanismen der Rekombination von Resistenzplasmiden sowie seine Arbeiten auf dem Gebiet der molekularen Epidemiologie. Der habilitierte Tierarzt ist seit Oktober 1992 am Institutsstandort Celle tätig, wo er den Forschungsbereich ‘Molekulare Diagnostik’ aufgebaut und inzwischen zu internationaler Anerkennung geführt hat. (FAL) Zentralstelle für Agrardokumentation und -information Neuer Informationsservice der ZADI eröffnet Mit FIZ-AGRAR auf online-Recherche Ab sofort bietet die ZADI mit der Einstiegsseite FIZ-AGRAR (Fachinformationszentrum Ernährung, Landund Forstwirtschaft) das gesamte Spektrum der Agrardatenbanken, die auf ihrem Datenbankserver lie- N A C H R I C H T E N gen, zur online-Recherche an. Unter http://www.fiz-agrar.de ist der Service zu erreichen. Die Menüstruktur von FIZ-AGRAR unterscheidet die Datenbanken einerseits nach Fachgebieten wie Pflanzenproduktion, Tierproduktion, Ökonomie, andererseits nach Inhaltstypen wie Literatur, Fakten und Projekten. Zur Zeit werden 147 Datenbanken auf dem Server der ZADI betrieben. Zu jeder Datenbank liegt auf FIZ-AGRAR eine Kurzbeschreibung der Inhalte mit Angaben zu Umfang, Datenproduzent, UpdateIntervall und Zugangsbedingungen vor. Mit FIZ-AGRAR verfügt der Agrarbereich der Bundesrepublik über eine strukturierte Sammlung wissenschaftlich fundierter Datenbanken mit einfach zu bedienenden Benutzeroberflächen. (ZADI) wohl die mikroklimatischen Bedingungen als auch die Wasser- und Nährstoffversorgung in den Kabinen unabhängig untereinander regelbar. Das IGZ hat die Aufgabe, wissenschaftliche Grundlagen für die Produktion von Gemüse und Zierpflanzen im Spannungsfeld zwischen Ertrag, Umwelt und Qualität zu schaffen. Die Kabinengewächshausanlage bietet den Forschern dazu viele neue Möglichkeiten nach neuestem Stand der Technik. (BML) Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau e.V. Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” Die aktuellen Förderungsgrundsätze des Rahmenplans der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” (GAK) sind mit weiteren Informationen zur GAK in das Deutsche Agrarinformationsnetz (DAINet) eingespeist worden. Die InternetAdresse lautet: http://www. dainet.de/bml/gak. Bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes” handelt es sich um das wichtigste Instrument der nationalen Förderung der Agrarstruktur. Die GAK umfaßt eine Anzahl von Förderungsrichtlinien, die jährlich vom Bund und den Ländern gemeinsam in Kabinengewächshaus eingeweiht Am 3. Juli 1998 wurde im Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau e.V. (IGZ) am Standort Großbeeren bei Berlin eine neue Klimagewächshausanlage in Betrieb genommen. Das Gewächshaus ist mit 16 Klimakammern à 64 m2 ausgestattet. Die Wissenschaftler planen unter anderem, dort die Reaktionen von Pflanzen auf verschiedene Bedingungen Das in der Umgebung des Sprosses, teilneue Gewächs- weise in Kombination mit den Bedingungen in der Wurzelumgehaus in Großbeeren bung, zu untersuchen. Dazu sind so- einem Rahmenplan verabschiedet werden. Gefördert werden unter anderem benachteiligte Gebiete, extensive Produktionsmaßnahmen, die Dorferneuerung sowie Flurbereinigung und Flurneuordnung. Die Durchführung der Förderungsmaßnahmen ist Aufgabe der Länder. Finanziert werden die Maßnahmen zu 60 % vom Bund und zu 40 % von den Ländern; beim Küstenschutz ist der Bund zu 70 % beteiligt. 1973, also vor genau 25 Jahren, wurde der erste Rahmenplan umgesetzt. (BML) Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bundesforschungsanstalt für Fischerei Förderungsgrundsätze jetzt im Internet Deutsches Forschungsschiff auf der EXPO 98 49 Eine Forschungsexpedition in das Gebiet der Iberischen Tiefsee hat die Bundesforschungsanstalt für Fischerei (BFAFi) in der Zeit vom 14.08.24.09.1998 durchgeführt. Am Ende dieser Reise lief das Fischereiforschungsschiff „Walther Herwig III” Lissabon an, wo es die deutsche Fischereiforschung als Beitrag auf der EXPO 98 vorstellte. Die Präsentation war ein großer Erfolg. In drei Tagen konnten mehr als 13.000 Besucher das Forschungsschiff besichtigen. Die Schiffsbrücke, der Maschinenraum, die Laboratorien, das Forschungsgerät und eine Posterausstellung begeisterten das multinationale Publikum. Daneben gab es einen kleinen Empfang, zu dem portugiesische Meeresforscher, Vertreter der Deutschen Botschaft und Wissenschaftler des Marine Habitat Committee des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES), der zur gleichen Zeit in Cascais nahe Lissabon tagte, geladen waren. (H.-S. Jenke, BFAFi) 2/1998 FORSCHUNGSREPORT Mehrere Tausend Besucher informierten sich an Bord der „Walther Herwig III” in Lissabon über die deutsche Fischereiforschung TA G U N G E N Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft Biologische Sicherheit bei transgenen Organismen Der Amerikaner Clive James informierte in seinem Eröffnungsvortrag über globale Aspekte der Vermarktung transgener Kulturpflanzen (Foto: G. Freyer) stimmung. Auf der Tagung wurde deutlich gemacht, daß sich das Risikopotential für Mensch, Tier und Umwelt aufgrund der bisherigen Erfahrungen als wesentlich geringer herausgestellt hat als anfänglich angenommen. Die umfangreichen Freilandstudien mit gentechnisch veränderten Pflanzen und Mikroorganismen und der weltweite kommerzielle Anbau transgener Pflanzen haben bisher zu keinen negativen Auswirkungen geführt. Es wurde bestätigt, daß die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft keine neuen Risiken gegenüber anderen Techniken birgt, die in der modernen Lebensmittelproduktion und -verarbeitung eingesetzt werden. Eine Bewertung der transgenen Pflanzen sollte aus wissenschaftlicher Sicht produktspezifisch in einer Fall-für-Fall Betrachtung erfolgen. Bedingt durch die schnelle Entwicklung und Nutzung neuer Eigenschaften (z. B. Salzresistenz, Trockentoleranz, Herstellung von Pharmaka in Pflanzen) muß auch die Sicherheitsbewertung ständig erweitert werden. Daher sind entsprechende Forschungsarbeiten und der Informations- und Erfahrungsaustausch außerordentlich wichtig. Es wurde beschlossen, sich weiterhin in regelmäßigen Abständen zu treffen: Das 6. Symposium soll im Jahr 2000 in Kanada, das 7. Symposium 2002 in China stattfinden. (BML, BBA) Internationales Symposium in Braunschweig „The Biosafety Results of Field Tests of Genetically Modified Plants and Microorganisms”: Unter diesem Titel haben sich zum fünften Mal Wissenschaftler aus zahlreichen Nationen zu einem Erfahrungsaustausch über die Sicherheit bei gentechnisch veränderten Pflanzen und Mikroorganismen zusammengefunden. Das Symposium, das vom 6.-10. September 1998 in Braunschweig stattfand, war von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) unter Beteiligung des United States Department of Agriculture (USDA) und der Europäischen Kommission organisiert worden. Transgene Kulturpflanzen 1996 – 98 Vor dem Hintergrund der rasanten EntwickMillionen Hektar 30 lung der Gentechnik – 27,8 25 1998 wurden weltweit auf rund 28 Mio. ha 20 gentechnisch veränder15 te Pflanzen angebaut – 10 bot das Symposium 11 den etwa 250 Exper5 1,7 ten ein Forum zur Dis0 kussion von Fragen der 1996 1997 1998 biologischen SicherAnbaufläche von transgenen Kulturpflanzen weltweit (ohne China) in Mio. ha (Quelle: Clive James, ISAAA). heitsforschung, der SiZum Vergleich: Gesamte Ackerbaufläche Deutschlands: 12 Mio. ha cherheitsbewer tung und der Standortbe- FORSCHUNGSREPORT 2/1998 50 Bundesanstalt für Fleischforschung Gentechnik und Ernährung BAFF bot ein Forum für die Diskussion von Zweifeln und Erwartungen „Novel Food – Gentechnik – Ernährung” war der Titel einer Podiumsdiskussion, mit der die Bundesanstalt für Fleischforschung ihre diesjährige „Kulmbacher Woche” – eine Veranstaltung rund um das Lebensmittel Fleisch – begann. Acht Vertreter aus Wissenschaft, Rechtsbereich, Verwaltung und Politik legten hier ihre Ansichten dar. Gleichsam als Motto stand dem Streitgespräch der Satz voran, mit dem Professor Hans Steinhart von der Universität Hamburg die Situation kennzeichnete: Mögen viele für oder gegen die Gentechnik sein, aufzuhalten ist sie nicht. Vor diesem Hintergrund war geradezu zwangsläufig der Begriff „gentechnikfrei” auf dem Tisch. Eine solche Deklaration läßt die EU für Lebensmittel zu, die kein neuartiges Erzeugnis im Sinne der Novel Food Verordnung sind. Die Wissenschaftler waren sich allerdings einig, daß sich das Nichtvorhandensein einer Eigenschaft der wissenschaftlichen Untersuchung entzieht. Die Deklaration „gentechnikfrei” kann daher nur als politischer Ansatz begründet werden. Dieses Problem hat seine Ursachen unter anderem in den Nachweismethoden. Diese können nur greifen, wenn bekannt ist, wonach gesucht werden soll. Das sei aber gerade nur bei Lebensmitteln mit gentechnischen Veränderungen gegeben, erklärte Professor Knuth Heller von der Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel. Solche Veränderungen erfolgen immer in eng definierten Bereichen der Erbmasse und drücken sich folgerichtig auch nur in einem engen Spektrum von Merkmalen aus. Sie können daher relativ leicht analytisch nachgewiesen und kontrolliert werden. Dr. Ralf Greiner TA G U N G E N von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung in Karlsruhe relativierte diese Sicherheit jedoch im Hinblick darauf, daß in hochverarbeiteten Produkten ein Nachweis selbst bei Kenntnis der Veränderung häufig nicht mehr möglich sei. Aus dieser Sicht werde beispielsweise die Aussage des „gentechnikfreien Tomatenmarks” schwer nachzuprüfen sein. Die Ausführungen verdeutlichten, daß sich zwar eine Übertretung der Deklaration „gentechnikfrei” unter günstigen Bedingungen nachweisen ließe, nicht aber ihre Einhaltung. In einem Punkt wird es aber doch größere Sicherheit geben: Gentechnisch veränderte Produkte bedürfen einer Zulassung. In diesem Rahmen werden sie auf Herz und Nieren mit modernen Analysemethoden geprüft. Dabei geht es vor allem auch um das, was die Verbraucher besonders bewegt: um Allergien. Nach einhelliger Aussage der Wissenschaftler sind gerade gentechnisch veränderte Lebensmittel in positivem Sinne „Novel Food”, also neuartig. Denn erst diese Lebensmittel werden konsequent auf ihre allergieauslösende Wirkung geprüft. Sie sind damit in dieser Hinsicht sicherer als manches, was sonst auf den Tisch kommt. Trotzdem wurde von Dr. Wilbert Himmighofen vom Bundesernährungsministerium (BML) bekräftigt, daß keine Technologie – auch nicht die Gentechnik – ohne Risiken sei. Nicht alles zu machen, was machbar ist, ethische Grenzen einzuhalten und eben Risiken zu erkennen und zu kontrollieren, das mache diese für die Welternährung künftig so wichtige Wissenschaft auch sozial verträglich. Allerdings sehen die Kulmbacher Fleischforscher für das von ihnen betreute Lebensmittel die Situation ohnedies nicht so aufgeregt. „Was wir an Qualitätsmerkmalen von Fleisch auch auf lange Sicht erwarten können”, so schloß der Leiter der BAFF, Professor Klaus Troeger, die Diskussion, „das erreichen wir wie bisher mit ganz normaler Tierzucht und Tierhaltung”. (BAFF) Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft Pflanzenschutz im Ökolandbau Wissenschaftler diskutierten mit Verbandsvertretern und Praktikern Am 18. Juni 1998 führte die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) ein Fachgespräch zu dem Themenkreis „Pflanzenschutz im ökologischen Landbau – Probleme und Lösungsansätze” in Kleinmachnow durch. Im ersten Teil der Veranstaltung wurden vor dem Hintergrund der ab 1. Juli 1998 geltenden neuen Regelungen im Pflanzenschutzgesetz der Stand und die Probleme der Registrierung und Anwendung von Pflanzenstärkungsmitteln im ökologischen Landbau diskutiert. Im zweiten Teil wurde die Behandlung von Getreidesaatgut mit niederenergetischen Elektronen als Möglichkeit der Beseitigung von Schadorganismen, die am Saatgut anhaften, erörtert. Dabei zeigte sich, daß weiterer Forschungsbedarf vorhanden ist, insbesondere zur Klärung mittel- und langfristiger Auswirkungen dieser Behandlung auf die Saatgutqualität. (BML) Senatsarbeitsgruppe „Qualitätsgerechte und umweltverträgliche Agrarproduktion” Workshop über „Nachhaltige Landwirtschaft” Vom 20.–22. April 1999 lädt die Arbeitsgruppe „Qualitätsgerechte und umweltverträgliche Agrarproduktion” des Senats der Bundesforschungsanstalten zu einem Workshop über nachhaltige Landwirtschaft nach Braunschweig ein. Tagungsort wird das Forum der FAL in Braunschweig-Völkenrode sein. 51 Auf dem Workshop sollen der Stand der Forschung zur Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft aufgezeigt sowie neue Methoden und Trends vorgestellt werden. Dabei wird der Bogen gespannt von integrierten Verfahren der Tier- und Pflanzenproduktion über Ressourcenschonung und Stoffkreisläufe bis hin zu sozioökonomischen Aspekten. Ein großzügiger Zeitrahmen soll genügend Platz für Diskussionen lassen. Ziel ist es, sich durch die Erarbeitung von Bewertungskriterien dem unscharfen, aber vielgebrauchten Begriff „Nachhaltigkeit” zu nähern. Darüber hinaus soll der Workshop als Informationsdrehscheibe und Projektbörse dienen und damit zur Zusammenarbeit anregen. (Senat) Institut für Agrartechnik Bornim e. V. ComputerBildanalyse in der Landwirtschaft Zum fünften Mal in Folge findet am Institut für Agrartechnik Bornim e. V. (ATB) ein Workshop zur Anwendung der Computer-Bildanalyse in der Landwirtschaft statt. Die zusammen mit der Senatsarbeitsgruppe „Qualitätsgerechte und umweltverträgliche Agrarproduktion” organisierte Arbeitstagung ist für den 04. Mai 1999 in Potsdam geplant. Ziel des Workshops, der sich vorwiegend an Wissenschaftler und Ingenieure aus Forschungseinrichtungen richtet, ist der Austausch von Informationen und Erfahrungen zu spezifischen Anwendungen der Computer-Bildanalyse. Schwerpunkte sind die Erkennung von Pflanzen und Pflanzenbeständen, die Klassifikation biologischer Objekte und die Auswertung von Bildinformationen. Interessenten können sich an Dr. Bernd Herold vom ATB in Potsdam-Bornim wenden (e-mail: [email protected]) . (ATB) 2/1998 FORSCHUNGSREPORT Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten