572Besprechungen Butler, Judith, Ernesto Laclau u. Slavoj Žižek, Kontingenz. Hegemonie. Universalität. Aktuelle Dialoge zur Linken, hgg. u. eingeleitet v. Gerald Posselt unter Mitarbeit v. Sergej Seitz, Turia + Kant, Wien 2013 (407 S., br., 40 €) Der Bd. ist schon vor dreizehn Jahren unter dem Titel Contingency, Hegemony, Universality: Contemporary Dialogues on the Left (2000) erschienen (vgl. Das Argument 248/2002, 856), viele der verhandelten Fragen bzgl. kritischer Theorie und Praxis sind dennoch aktuell. Im Vorwort führt Posselt in das akademische und politische Wirken der drei Verf. ein und fasst die nachfolgende Debatte zusammen, in der sich die intellektuellen Allianzen immer wieder aufs Neue verschieben. Laclaus zentrale These lautet, dass jeder soziale Tatbestand auf seine ontologische Ungründbarkeit zurückgeführt und damit als radikal kontingent erklärt werden kann. »Die Fülle der Gesellschaft ist ein unmögliches Objekt, das aufeinanderfolgende, kontingente Inhalte durch katachrestische Verschiebungen zu verkörpern versucht.« (102) Folglich verteidigt er auch den lacanschen Begriff »des Realen«, welcher das bezeichnet, was dafür sorgt, dass sowohl jede Subjektkonzeption also auch jede objektive Ordnung inhärent gespalten ist und immer wieder aus den Fugen gerät. Der hegelschen Dialektik wirft er dagegen vor, dass mit dieser die irreduzible Kraft der Negativität und Arbitrarität zwar anerkannt, aber doch wieder einer mit Notwendigkeit wirkenden Metalogik untergeordnet wird. Auf der Ebene diskursiver Identitätsbildung leuchten viele seiner Argumente ein – auf der Ebene von sozialen Strukturen (wie z.B. der kapitalistischen Produktionsweise) aber umso weniger. Das liegt daran, dass Laclau jedes gesellschaftliche Verhältnis mit zeichentheoretischen Mitteln zu bestimmen versucht. In Bezug auf den Klassenbegriff argumentiert er z.B., dass es keine notwendige Verbindung zwischen einer sozialstrukturellen Klasse-an-sich und den politischen Forderungen einer Klassefür-sich geben kann, so dass Klassenkämpfe, wie alle anderen politischen Identitätskämpfe auch, als Produkt von komplexen Artikulationsbewegungen zu verstehen sind. Die eigene diskursive Hegemonietheorie soll in diesem Sinne Gründe für die Konzeption einer »radikalen Demokratie« bereitstellen und die strategische Arbeit an einem »neuen sozialen Imaginären« (262) gesellschaftskritischer Bewegungen unterstützen. Das Hauptanliegen Butlers ist es, eine neue Konzeption politischer Universalität zu entwerfen. In einem Exkurs zu Hegel argumentiert sie, dass jede abstrakte Bestimmung universalistischer Grundannahmen von einem historisch bestimmten, konkreten Standpunkt ausgehen muss, von dem sie immer schon ›verunreinigt‹ ist. Jede formale »Abstraktion bedarf einer Trennung vom Konkreten, die die Spur oder den Rest dieser Trennung im Wirken der Abstraktion selbst hinterlässt« (24). Es gilt also Vorstellungen von Universalität zurückzuweisen, die sich selbst als abgeschlossen und unveränderlich präsentieren, stattdessen ist von »konkurrierenden Universalitäten« (171) auszugehen, die in vielen kulturellen »Übersetzungspraktiken« (211) immer wieder verschoben, unterlaufen und subvertiert werden können. Das kann erstens die realen Prozesse hegemonialer Kämpfe um das, was als allgemein anerkannt gelten kann, besser beschreiben und eröffnet zweitens die Möglichkeit, den vielen subalternen Schattenexistenzen wieder eine adäquate Stimme zu verleihen. Die historisch konkreten Widersprüche subalterner Kämpfe um universale Anerkennung lassen sich aber nach Butler mit den theoretischen Werkzeugen von Laclau und Žižek nur ungenügend nachvollziehen. In protokantianischer Manier werde von beiden eine unzulässige Dichotomie zwischen den strukturalen Bedingungen der Möglichkeit des sozialen Zusammenlebens und der historisch konkreten Ausformung von eben jenem Zusammenleben konstruiert. Dies führe dazu, dass DAS ARGUMENT 309/2014 © Philosophie 573 »das Soziale« nur noch »als Anekdote und Beispiel für die vorsoziale Struktur« (334) angeführt wird, anstatt zu untersuchen, wie und an welchen Stellen die bestimmenden hegemonialen Gesetzmäßigkeiten in performativen Praxen selbst produziert, gefestigt, irritiert oder auch aufgebrochen werden können. Und so sieht Butler ihre eigene intellektuell-politische Aufgabe nicht darin, als eine Art akademische »Metakommentatorin der Möglichkeitsbedingungen politischen Lebens« (214) aufzutreten, sondern eher darin – in vorsichtiger Anlehnung an Gramscis »organischen Intellektuellen« (213) – subversives Wissen für linke soziale Bewegungen bereit zu stellen. Žižek schließt an die Hegemonietheorie Laclaus an, lotet aber gleichzeitig zentrale Unterschiede in Bezug auf das cartesianische Cogito, des gesellschaftlichen Einflussgrades der kapitalistischen Produktionsweise und der Notwendigkeit demokratischer Politikkonzepte aus. Wichtig sei es, von einem paradoxal-verquickten Verhältnis von Subjektivität und Objektivität auszugehen: Jedes Subjekt ist demnach durch die symbolische Struktur der Realität geformt und durch das Begehren nach einem immer schon entzogenen »›Objekt klein a‹« dezentriert (152ff); und jede symbolische Ordnung geht genetisch auf fundamentale Ausschlüsse zurück und muss auf Grund ihrer notwendigen Unvollständigkeit auch immer wieder mit verschiedenen phantasmatischen Ideologien gefüllt werden. Seine stärkste Kritik gegenüber Laclau bzw. Butler lautet, dass der »Übergang vom ›essentialistischen‹ Marxismus hin zu postmoderner kontingenter Politik […] oder der Übergang vom Geschlechteressentialismus hin zu kontingenter Genderforming […] nicht ein einfacher epistemologischer Fortschritt« sei, »sondern Teil der weltweiten Veränderung des Wesens der kapitalistischen Gesellschaft« (139). Diese sei zwar in historisch kontingenten Kämpfen der sog. ursprünglichen Akkumulation entstanden, sei aber dann in eine notwendige Logik der Profitakkumulation qua Warentausch umgeschlagen. »Die ›Notwendigkeit‹ einer Totalität« schließt »nicht ihre kontingenten Ursprünge und die heterogene Natur ihrer Bestandteile aus – diese sind gerade die Voraussetzungen, die dann durch das Entstehen einer dialektischen Totalität gesetzt und rückwirkend totalisiert werden.« (280) Es sei demzufolge angebracht, die theoretischen Ansätze radikaler Historizität, die den Kapitalismus eigentlich immer unangetastet lassen, selbst zu historisieren und das marxistische Konzept des Klassenkampfes aufrechtzuerhalten. Politisch gehe es darum, dass man in authentischen Akten das verdrängte Trauma der herrschenden Ordnung, die Klasse der Anteilslosen (Rancière), thematisiert, das heute noch als utopisch Geltende anstrebt und schließlich die Voraussetzungen für einen solchen revolutionären Akt generiert. Insgesamt verwundert es kaum, dass sich sowohl Butler als auch Laclau und Žižek gegenseitig den gleichen Vorwurf machen: Immer die jeweils anderen bauen ihre Theorie auf einer zu Unrecht verallgemeinerten Ontologie auf und können nicht erklären, warum gerade ihr Erklärungsansatz nicht dem Diktum historischer Kontingenz subsumiert werden sollte. Dass dieser Vorwurf von allen Dreien erhoben wird, scheint auf immanente Probleme postmarxistischer Sozialtheorie hinzuweisen. Deren Rückzug auf ein explizit philosophisches Terrain kann als eine Reaktion auf die realhistorische Krise des Marxismus in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts verstanden werden. Den Ausgangspunkt der theoretischen Anstrengungen bildet nicht mehr die sozial-ökonomische Analyse, sondern verschiedene kreative Lesarten von Hegel, Derrida und Lacan. Die schon immer streitbare Pluralität kritischer Theorie und Praxis erhält dadurch wichtige, bis heute debattierte Impulse. Martin Krempel (Jena) DAS ARGUMENT 309/2014 ©