Vorlesung ADHS

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Unaufmerksamkeit (1)
GÖTTINGEN
AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörungen
• Beachtet häufig wichtige Einzelheiten nicht oder macht
Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit
oder bei anderen Tätigkeiten.
• Hat oft Schwierigkeiten, l ängere Zeit die Aufmerksamkeit
bei Aufgaben oder Spielen aufrecht zu erhalten.
Tobias Banaschewski
• Scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn/sie
ansprechen.
Universitä t Göttingen
• Führt häufig Aufträge nicht vollständig durch; kann
Schularbeiten und andere Arbeiten nicht zu Ende
bringen.
GÖTTINGEN
Gliederung
GÖTTINGEN
Unaufmerksamkeit (2)
GÖTTINGEN
• Erscheinungsbild, Definition, Klassifikation
• Hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitä ten
zu organisieren.
• Epidemiologie & Komorbidität
• Beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben,
• Verlauf
die länger andauernde geistige Anstrengung erfordern –
oder vermeidet sie.
• Neurobiologischer Hintergrund
• Verliert häufig Gegenstände, die für bestimmte
Aufgaben/ Aktivitä ten benötigt werden.
• Diagnose und Differentialdiagnose
• Lässt sich oft durch äußere Reize leicht ablenken.
• Multimodales Therapiekonzept
• Ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich.
Kernsymptome
GÖTTINGEN
Hyperaktivität
GÖTTINGEN
• Unaufmerksamkeit
• Zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf
dem Stuhl herum.
• Hyperaktivität
• Steht häufig (DSM-IV) im Unterricht oder in anderen
Situationen auf, in denen Sitzen bleiben erwartet wird.
• Impulsivität
• Läuft häufig herum oder klettert exzessiv in
unpassenden Situationen.
• Hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich
mit Freizeitaktivitä ten ruhig zu beschäftigen.
• Zeigt ein anhaltendes Muster exzessiver motorischer
Aktivitä t (auch reden!).
1
Epidemiologie
Impulsivität
GÖTTINGEN
GÖTTINGEN
• Platzt häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage
zu Ende gestellt ist.
• ADHS (DSM IV): 3-6%
• Kann häufig nur schwer warten, bis er/sie an der Reihe
ist (bei Spielen oder in Gruppensituationen).
• Hyperkinetische Störung (ICD- 10): 1-2%
• Unterbricht häufig oder stört andere häufig (platzt z. B. in
Gespräche oder in Spiele anderer hinein).
• Redet häufig übermäßig viel (ohne angemessen auf
soziale Beschränkungen zu reagieren) (nur ICD-10)
DSM-IV: Merkmal der Hyperaktivität!
• bei Jungen häufiger als bei Mädchen
– ca. 3 – 6:1
Assoziierte Störungen
Diagnosekriterien
GÖTTINGEN
GÖTTINGEN
• Sehr häufig (> 50%)
Unaufmerksamkeit und/oder Impulsivität/Hyperaktivität
– Störung des Sozialverhaltens, oppositionelles
Trotzverhalten
• nicht Alter, Entwicklungsstand, IQ entsprechend
• Häufig (bis ca 40%)
• Beginn einiger Symptome in Kindheit
– bis 7. (DSM -IV) bzw. 6 (ICD-10) Lebensjahr
– depressive Störungen
– Umschriebene Lernstörungen
– Umschriebene Störungen der motorischen Entwicklung
• Dauer
– mindestens 6 Monate
• Beeinträchtigungen in mind. 2 Lebensbereichen
• Weniger häufig (bis etwa 20%)
• nicht durch eine andere psychische Störung erkl ärbar
– Tic-Störungen
– Angststörungen
Klassifikation
ICD-10 (HKS) & DSM-IV (ADHS)
GÖTTINGEN
ICD-10: Hyperkinetische Störungen
•
F90
•
F90.0 Störung von Aktivität und Aufmerksamkeit
•
F90.1 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens
•
F98.8 Unaufmerksamkeit ohne Hyperaktivität
Verlauf
GÖTTINGEN
Hyperaktivität
Impulsivität
Hyperkinetische Störungen
Unaufmerksamkeit
DSM-IV: Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung
•
Vornehmlich unaufmerksamer Typus
•
Vornehmlich hyperaktiv-impulsiver Typus
•
Vornehmlich kombinierter Typus
•
ADHS nicht näher bezeichnet
—Zeit —
2
Verlauf - Erwachsenenalter
Adoptionsstudien
GÖTTINGEN
GÖTTINGEN
• Persistenz frühes Erwachsenenalter
Höhere Prävalenz bei biologischen Eltern als bei
Adoptiveltern
– Ausgeprägte Kernsymptomatik (ca. 30 %)
– Funktionelle Beeintr ächtigung durch einzelne Kernsymptome (50–
70%)
• Cantwell, 1975; Morrison & Stewart, 1973
• Häufig funktionelle Beeinträchtigung von
– schulischer und beruflicher Entwicklung
Höhere Konkordanz bei - getrennt lebenden biologischen Geschwistern als bei Halbgeschwistern
– sozialen Beziehungen zu Familie und Gleichaltrigen
– Selbstwert und Pers önlichkeitsentwicklung
• Delinquenz & dissoziale Persönlichkeitsstörung (15–30 %)
• Alberts-Corush et al., 1986; Cantwell, 1975; Morrison &
Stewart, 1973
• Unfallrisiko & Substanzabusus
– Späteres SA-Risiko durch Stimulantientherapie
normalisiert
Heritabilität
GÖTTINGEN
Panikstörung
Schizophrenie
Körpergröße
Coolidge 2000
Willcutt 2000
Hudziak 2000
Neurobiologie
Risikofaktoren
Nadder 1998
Levy 1997
Sherman 1997
Silberg1996
Gjone 1996
Thapar 1995
Schmitz 1995
Stevenson 1992
Edelbrock 1992
Gillis 1992
Goodman 1989
Matheny 1980
Willerman 1973
0
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
0,6
0,7
0,8
0,9
1
Faraone et al., Biol. Psych. 1998
GÖTTINGEN
Dopamin-D4 Receptor (DRD-4)
Familienstudien
GÖTTINGEN
GÖTTINGEN
• AHDS gehäuft bei leiblichen Verwandten
– Geschwister: 2-4 x häufiger
ØBiederman et al., 1990, 1992; Pauls, 1991
– Eltern: bis 8 x häufiger
ØBiedermann et al., 1990, 1991; Faraone, et al., 1994,
1995
– Kinder betroffener Erwachsener: ca. 60%
ØBiederman et al., 1995
• 48-bp VNTRPolymorphismus des
Exon III des DRD-4
– 7-repeat Allel assoziiert
mit Neugierverhalten
– abgeschwächte
Sensitivitä t des DRD4-7
Rezeptors
3
Dopamin Transporter (DAT1)
GÖTTINGEN
Frühkindliche Deprivation
GÖTTINGEN
• DAT1-Gen: 3‘-Region VNTR Polymorphismus
• Keine funktionale Bedeutung
• Möglicherweise Bedeutung bei Expression
9-repeat allele
10-repeat allele
Pleiotrophie
GÖTTINGEN
GÖTTINGEN
Relative Risiken –
pränatale & perinatale Faktoren
• ADHS & Lese-Rechtschreibschwäche
– Chromosom 6p
• ADHS & Autismus
– Chromosom 16p13
nach Spencer et al., 2002
Gen-Umwelt Interaktion (I)
Exogene Risikofaktoren
GÖTTINGEN
GÖTTINGEN
MAO-A-Aktivität Mißhandlung Aggression
• Infektionen & traumatische
Hirnschädigungen
• Toxine
– (pränatale Alkohol - und Nikotinexposition,
chronische Bleiexposition)
• Schwangerschafts- und
Geburtskomplikationen
• Ungünstige psychosoziale Umstände
(z.B. frühe Deprivation)
• Allergien &
Nahrungsmittelunverträglichkeiten spielen
eine untergeordnete Rolle
Caspi et al., 2002
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Gen-Umwelt Interaktion (II)
GÖTTINGEN
Serotonin- Transporter Mißhandlung Depression
Dopaminerges System
GÖTTINGEN
Regulation von Aufmerksamkeit, Motorik und
exekutiven Funktionen
Abb. Posner & Raichle, 1994
Caspi et al., 2003
GÖTTINGEN
Pr äfrontaler Kortex: Interaktion noradrenerges
& dopaminerges Transmittersystem
Neurobiologie
Korrelate
nach Stahl 2003
GÖTTINGEN
Morphologische Auffälligkeiten
GÖTTINGEN
• Gehirn kleiner (~4%): Frontallappen rechts
(~8%)
• Basalganglien kleiner (~6%)
• Cerebellum kleiner (~12%); vor allem Posteriorinferiorer Vermis (~ 5%)
• Fehlende Asymmetrie
• Volumetrische Unterschiede erscheinen früh,
werden aufrechterhalten und entstehen nicht als
Folge von Stimulantiengabe !
Neuropsychologische Modelle
GÖTTINGEN
Kognitive M.
– Exekutive Funktionen (Pennington & Ozonoff)
– Inhibitionskontrolle (Barkley)
– Arbeitsgedächtnis (Denney & Rapport)
Motivationale M.
Scientific American, 1998
– Abneigung geg. Belohnungsaufschub (Sonuga-Barke )
– Dauer der Verstärkerwirksamkeit (Sagvolden)
Kombinierte M.
– Kognitiv-energetisches M. (Sergeant)
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Stroop Test
GÖTTINGEN
Verhaltenseinschätzung
GÖTTINGEN
Aktivierung anderer neuronaler Netzwerke
Gesunde Erwachsene
• Verhaltensbeobachtung
Patienten mit ADHS
(direkt und/oder mit Videoaufnahme des Patienten)
• Verhaltensbeschreibungen
– aus mehreren Quellen
(Situationen des alltäglichen Lebens)
– möglichst von mehreren Personen
– Stärken/Kompetenzen
– Schwächen, Defizite und Exzesse
Bush et al., 1999
Fragebögen
GÖTTINGEN
•
Allgemeine Psychopathologie:
– SDQ (Strengths and Difficulties Questionnaire):
Stärken- und Schwächen-Fragebogen; Eltern/Lehrer/Selbst
•
Diagnostik
ADHS-bezogen:
– VBV (Verhaltensbeobachtungsbogen im Vorschulalter)
– FBB-HKS (Fremdbeurteilungsbogen Hyperkinetische Störungen)
– SBB-HKS (Selbstbeurteilungsbogen Hyperkinetische Störungen)
– Conners -Skala
•
Assoziierte St örungen:
– Entsprechende Checklisten/Inventare
è Keine Diagnosestellung allein mit Fragebögen!
GÖTTINGEN
Anamnese
GÖTTINGEN
• Exploration der Eltern/des Patienten
• Familiensituation, familiäre Interaktion
• Verhalten im Kindergarten/in der Schule:
GÖTTINGEN
Medizinische Untersuchungen
• Körperliche Untersuchungen
– internistischer Status
– kinderneurologische Untersuchung
– Überprüfung von H ören und Sehen
– Lehrerfragebogen
• evtl. EEG, EKG
– Zeugnisse, Hefte, Zeichnungen
– Kontakt und Information durch betreuende
Einrichtungen
• Blutuntersuchung
ggf. zur Differentialdiagnostik
– Gespräch mit anderen Betreuern und Therapeuten
• Frühere Untersuchungen/Behandlungen
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Testpsychologische Untersuchung
GÖTTINGEN
Nichtmedikamentöse Maßnahmen
GÖTTINGEN
Aufklärung
– Störungsbild, Ursachen, Verlauf und
Behandlungsmöglichkeiten
• Bei Bedarf:
Beratung & Verhaltenstherapie
• Diagnostik umschriebener
Entwicklungsstörungen
– mögliche pädagogische Interventionen
(z. B. durch HAWIK III/K-ABC/FBIT, KTK)
• Strukturierung des Tagesablaufs
• Regeln für Abl äufe und Pflichten vereinbaren
• angemessene und klare Grenzsetzungen
• Erfassen schulrelevanter Fertigkeiten
(z. B. Lesen, Schreiben, Rechnen)
Ø positive Zuwendung
Ø angemessene negative Konsequenzen
è Testsituation zur Verhaltensbeobachtung
Ø Deeskalationstechniken
nutzen!
• Anleitung des Kindes/Jugendlichen zur Selbstbeobachtung
und Selbststeuerung
Differentialdiagnosen
GÖTTINGEN
GÖTTINGEN
• Hohes, noch altersentsprechendes Aktivitätsniveau
• Störung des Sozialverhaltens
• Umschriebene Entwicklungsstörung (Lese-, Schreib- und
Rechenschwäche)
• Andere psychische Störungen
–
–
–
–
–
–
•
•
•
•
•
•
Medikamentöse Therapie
• Stimulanzien (BTM-pflichtig)
– Methylphenidat:
– DL-Amphetaminsulfat
Depressive Episode
Angststörung
Tic-Störung
Zwangsstörung
Psychosen (u. a. bipolare Störungen; Prodromi)
Autismusspektrum (z. B. Asperger-Syndrom)
• Atomoxetin
• (bei starken Problemen der Impulskontrolle)
Fragiles X-Syndrom
Schlafapnoesyndrom
Restless-Legs-Syndrom
Medikamentennebenwirkungen (z. B. einige Antikonvulsiva )
Anfallsleiden
Hyperthyreose
– Risperidon, Pipamperon
MTA-Studie (1)
GÖTTINGEN
Multimodal Treatment Study of Children with ADHD
• 579 ADHS-Kinder (DSM-IV: kombinierter Typ)
Behandlung
• 7-9 Jahre alt, 20% Mädchen
• Behandlungszeitraum: 14 Monate
• Gruppen:
– Sorgfältig überwachte medikamentöse Therapie
(individualisierte Titration)
– Intensive verhaltenstherapeutische Behandlung
– Kombination beider Behandlungen
– Gewöhnliche Routinebehandlung
GÖTTINGEN
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Zusammenfassung (2)
MTA-Studie (2)
GÖTTINGEN
GÖTTINGEN
Alle Behandlungsbedingungen wirkungsvoll, aber
Medikationsmanagement
+ Verhaltenstherapie
• Diagnostik
Medikationsmanagement
vergleichbar +
wirkungsvoller
als
• Behandlung
– In der Regel multimodal
Verhaltenstherapie
• Aufklärung und Beratung (obligat)
• Oft Verhaltenstherapie & Stimulantientherapie
„Community treatment“
GÖTTINGEN
– Primär Anamnese, Verhaltensbeobachtung
– Nicht allein aufgrund von Fragebögen
– Testpsychologische & körperliche Untersuchungen
zur differentialdiagnostischen Abklärung
– Vorschulalter: medikamentöse Therapie vermeiden
Multimodale Behandlung
im Schulalter
Diagnose ADHS/HKS
immer
Starke Ausprägung mit
krisenhafter Zuspitzung
Aufklärung und Beratung,
wiederholt auch im Verlauf
ja
Pharmakotherapie
ja
nein
Probleme vorwiegend
in der Schule
zusätzlich
ja
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit !
Intervention in der Schule,
evtl. Pharmakotherapie
nein
zusätzlich
Probleme vorwiegend
in der Familie
ja
Elterntraining, Intervention
in der Familie
Zusätzlich:
Persistierende, assoziierte
Störung
ja
Therapie der
assoziierten Störung
Noch
ausgeprägte
Symptomatik
GÖTTINGEN
Zusammenfassung (1)
GÖTTINGEN
• Häufige, klinisch heterogene, oft chronische Störung
• Eher dimensional als kategorial
• Ätiologie
– multifaktoriell + heterogen
– Hohe Heritabilit ät, auch exogene Risikofaktoren
– Gen-Umwelt-Interaktionen wahrscheinlich
– Identifikation verschiedener Kandidatengene
• Z.B. DRD4, DAT
– Dysregulation katecholaminerger Transmittersysteme
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