1 Bedrängte Christen in muslimischen Ländern P. Prof. Dr. Bernhard Grom SJ, Hochschule für Philosophie, München In diesem Vortrag sollen zwei aktuelle Fragen behandelt werden: (1) Wird das Christentum aus Ländern, in denen es einer muslimischen Mehrheit gegenübersteht, verschwinden, und wird es (2) zu einer Islamisierung Deutschlands kommen? Wandert aus mehrheitlich muslimischen Ländern immer mehr Christentum aus - und wandert bei uns immer mehr Islam ein? Es gibt viele Länder mit muslimischer Mehrheit - z.B. Iran, das zu 98 Prozent muslimisch ist, oder Pakistan mit 96 Prozent oder Indonesien mit 88 Prozent. Es würde zu weit führen, sie alle in Augenschein zu nehmen. Darum werde ich mich auf vier Länder des Nahen Ostens beschränken: Türkei, Ägypten, Syrien, Irak. Wir haben kaum genaue Zahlen, sondern sind auf Schätzungen angewiesen. Nach dem Hilfswerk „Kirche in Not“ machten vor 100 Jahren die Christen im Orient etwa 20 Prozent der Bevölkerung aus, während es heute vielleicht noch 5 Prozent sind. Nach einer anderen Schätzung leben derzeit noch 12 Millionen Christen im Nahen Osten - in fünf Jahren sind es möglicherweise nur noch halb so viele. Unter „Christen“ verstehen wir hier Angehörige aller Kirchen. Deren Vielfalt ist groß, und wer spotten möchte, könnte sagen: Hoffentlich kennt sich wenigstens der Heilige Geist darin aus. Vereinfacht gesagt gibt es (1) die alt-orientalischen orthodoxen Kirchen, die außerhalb des byzantinischen Ostreichs entstanden sind - nämlich die Syrisch-orthodoxe, Armenischorthodoxe und Koptisch-orthodoxe Kirche, die alle ihre eigenen Riten mit ihren alten Sprachen haben, z.B. Altsyrisch-aramäisch. (Eine Form von Aramäisch hat wahrscheinlich auch Jesus gesprochen). Da gibt es (2) die orthodoxen Kirchen in byzantinischer Tradition, die in Gemeinschaft mit dem Patriarchen von Konstantinopel leben - nämlich in den Patriarchaten Alexandrien, Antiochien, Jerusalem und in Ländern wie Griechenland, Georgien, Rumänien, Russland. Diese Orthodoxen haben die großen Konzilien der ersten Jahrhunderte anerkannt und waren ursprünglich Teile der universalen katholischen Kirche, zu der das Oströmische Reich mit seinen verschiedenen Riten sowie das Weströmische Reich mit seinem lateinischen Ritus gehörte. Als sich die byzantinische Ostkirche und die lateinische Westkirche immer mehr entfremdeten und im sog. Morgendländischen Schisma im Jahr 1054 gegenseitig exkommunizierten, kam es zu einem Bruch mit der Westkirche. Doch kehrten Teile der Ostkirchen zur ursprünglichen Einheit zurück und anerkannten den Primat des Papstes, behielten aber ihre Kirchenführung und ihren Ritus bei. Darum finden wir heute im Nahen Osten noch eine dritte Gruppe: (3) die sogenannten „Unierten“, d.h. die mit Rom wiedervereinten Ostkirchen. Eine eigene Stellung nehmen die Assyrer ein, die Assyrisch-orthodoxe Kirche. Sie ist weder mit den byzantinisch-orthodoxen noch mit der römisch katholischen Kirche uniert. Die Assyrer haben weder das Konzil von Nizäa noch das von Konstantinopel anerkannt. Ihrem Gründer Nestorius hat man vorgeworfen, dass er in Christus die Menschheit und die Gottheit nicht 2 in einer Person vereint sieht, sondern eine göttliche und eine menschliche Person annimmt, so dass Jesus als Mensch habe sündigen können. Zu den Christen gehören (4) auch die römisch-katholischen und die evangelischen Christen. Dies alles mag uns daran erinnern, dass nicht jeder, der arabisch spricht und aussieht, ein Muslim sein muss. Die Christen im Nahen Osten sind nicht nur bunt, sondern auch zersplittert. In Ägypten, wo die Christen 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen, finden wir hauptsächlich die KoptischOrthodoxen; es gibt aber auch Armenisch-Orthodoxe, Griechisch-Orthodoxe und dazu noch die Unierten - nämlich die Koptisch-Katholischen, Griechisch-Katholischen (Melkiten), Syrisch-Katholischen, Armenisch-Katholischen, die unierten Assyrer (Chaldäer), die katholischen Maroniten und zu alldem noch Römisch-Katholische sowie 17 protestantische Gruppen. Manche dieser Kirchen sind winzig klein: Die Syrisch-Katholischen zählen nur 1.500 Mitglieder und bekämen bei uns nicht einmal eine eigene Pfarrei. Im Irak verteilen sich die 2,5 Prozent Christen auf die Assyrer, die Syrisch-Orthodoxen, die Armenisch-Orthodoxen und auf Unierte nämlich die Chaldäer, die Armenisch-Orthodoxen (die nach dem Völkermord 1915 aus der Türkei hierher zwangsdeportiert wurden), die Syrisch-Katholischen, die Griechisch-Katholischen (Melkiten), die Römisch-Katholischen und einige Protestanten. All diese Christen lebten im türkischen Osmanenreich bis 1923 weitgehend unbehelligt neben den Muslimen. Gleichberechtigt waren sie allerdings nie. Sie durften ihrer Arbeit und ihren Geschäften nachgehen und ihre Religion ausüben, aber auf keinen Fall missionieren und konnten auch keine höheren Posten in Verwaltung und Staat bekleiden. Der Islam teilt die Menschen in drei Klassen ein: die Gläubigen, die „Schriftbesitzer“ und die Ungläubigen. Als Schriftbesitzer betrachtet der Koran die Juden und die Christen, die angeblich durch die Propheten von Gott Offenbarungen empfangen, sie aber verfälscht und den entscheidenden Propheten Muhammad nicht anerkannt haben. Juden und Christen wurden unter muslimischer Herrschaft geduldet, mussten früher allerdings eine Schutzgeldsteuer zahlen, während die Ungläubigen vor die Wahl gestellt werden sollten, sich zu bekehren oder das Land zu verlassen. Die Sultane schufen einen Vielvölkerstaat, in dem sie die Christen duldeten. Es kam zwar gelegentlich zu Massakern an Christen, aber bis vor etwa 40 Jahren spielte der Islam im öffentlichen Leben des Nahen Ostens keine große Rolle. Man lebte normal zusammen und betonte die Unterschiede zu den christlichen Mitbürgern nicht. Die Spannungen zwischen Muslimen und Christen entstanden erst mit dem Islamismus. Diese Bewegung setzte im 19.Jahrhundert ein und organisierte sich 1928 erstmals in Ägypten mit der Muslimbruderschaft. Die Muslimbrüder empfanden den Niedergang des Osmanischen Reiches und den Einfluss der Kolonial- und Protektoratsmächte des Westens in ihren Ländern als Demütigung. Europa und die USA waren technisch, wissenschaftlich, wirtschaftlich und politisch überlegen - die muslimischen Länder hingegen wirkten rückständig und machtlos. Die Islamisten wollten nun eine Erneuerung, verstanden diese aber nicht als Modernisierung nach westlichen Vorbildern, sondern als Rückkehr zum Ur-Islam, zur Frühzeit des Islam, die sie stark idealisierten. Man müsse den Gefährten und Nachfolgern Mohammeds, den Altvorderen, folgen. Diese nennt man arabisch salaf - daher das Wort Salafismus. Der Stolz auf die 3 eigene, allein wahre Religion sowie Koran und Scharía sollen zu einer politischen und kulturellen Wiedergeburt führen. Gott allein soll herrschen, indem Recht und Ordnung im Staat nach Koran und Scharía geregelt werden. Islamische Theologen/Rechtsgelehrte müssen im Namen Gottes auslegen, was Koran und Scharia heute sagen, was islamisch und was unislamisch ist. Die im Westen eingeführte Trennung von Politik und Religion muss demnach verschwinden. Für Islamisten kann es auch keine Meinungs- und Religionsfreiheit mehr geben und keine echte Demokratie, sondern nur noch einen Theologen- oder Gottesstaat: eine Theokratie. Nach diesen Grundsätzen entscheiden heute in Iran die Religionsführer und ihre Komitees, wer zu den Parlamentswahlen zugelassen wird. Sie bestimmen auch, wie sich die Frauen in der Öffentlichkeit zu kleiden haben, welche Musik nicht gehört werden darf usw. Manche Islamisten streben keine gewaltsame Revolution an, sondern wollen durch eine mächtige Partei ihr Ziel erreichen - so die Regierungspartei AKP in der Türkei. Andere sind aber sehr wohl zum bewaffneten Kampf, zum Dschihad bereit. Der Islamismus stachelt leicht zum Fanatismus an. Dann wird die pluralistische und freizügige Lebensweise westlicher Ländern als unmoralisch und verkommen verdammt: Bezeichnenderweise nennt sich die Terroristengruppe im Norden Nigerias Boko Haram: „Westliche Lebensart ist Sünde.“ Extremistische Islamisten betrachten Christen und Juden nicht mehr als Andersgläubige, sondern als Ungläubige. Respekt gegenüber anderen Religionen und Dialog gelten ihnen als Verrat. Christen soll man nur zu sich einladen, um sie dann aufzufordern, zum Islam überzutreten. Die Muslime, die für Demokratie und Religionsfreiheit eintreten, werden von ihnen als verirrte Glaubensbrüder bekämpft. Das große Feindbild aber sind die USA und Israel. Viele Islamisten kennen den Koran nur mangelhaft - sie sind eher am Machterwerb interessiert. Der Islamismus erhielt starken Auftrieb, als Ayatolla Chomeini 1979 in Iran die Islamische Republik gründete. Chomeini war zwar Schiit, während die Muslimbrüder Sunniten sind. Aber die islamistische Bewegung erfasste alle muslimischen Länder. Die Regierungen in Iran und Saudi-Arabien unterstützten islamistische Gruppen im Ausland finanziell. Nach 1990 radikalisierten sich viele Gruppen; es entstanden terroristische Organisationen: In den Palästinensergebieten die Hamas (ein Ableger der Muslimbruderschaft) sowie die al-AksaMärtyrerbrigade. In Syrien trat al-Nusra auf den Plan und neuerdings in Syrien und im Irak der Islamische Staat. Im Libanon: Hisbolla, in Afghanistan und Pakistan die Taliban und international Al Kaida, die die Anschläge vom 11. September 2001 verübte. Wie wirkt sich der Islamismus auf die Christen im Nahen Osten aus? Auch wo es nicht zu Gewalt und Vertreibung kommt, sind die Christen durch die islamistische Bewegung unter Druck geraten. Blicken wir zuerst auf zwei Länder mit gemäßigtem Islamismus, nämlich die Türkei und Ägypten, und dann auf zwei Staaten, die maßgeblich von extremen bis terroristischen Islamisten heimgesucht sind: Irak und Syrien. Die Türkei war noch vor 900 Jahren fast ausschließlich von Christen besiedelt, und noch Ende des 19. Jahrhunderts gab es dort 2 Millionen armenisch-orthodoxe und griechischorthodoxe Christen - heute leben dort noch etwa 100 000 Christen. Machten sie früher ein Viertel der Bevölkerung aus, so sind es heute noch verschwindende 0,2 Prozent. Die Ursachen für diesen Schwund liegen freilich Jahrzehnte zurück: 1915 bis 1917 wurden bis zu 1,5 Millionen Armenier aus rein politischen Gründen ermordet, durch Todesmärsche in die Wüste 4 umgebracht oder vertrieben. 1922 wurden nach dem griechisch-türkischen Krieg 1,2 Millionen Griechisch-Orthodoxe nach Griechenland vertrieben, und nach dem „Pogrom von Istanbul“ 1955 verließen tausende Griechen die Stadt. …Obwohl die Türkei nach der Verfassung ein säkularer Staat ist, sind die 100 000 Christen Bürger 2. Klasse und müssen mit zahlreichen Einschränkungen leben. Sie bekommen keine höheren Posten in Wirtschaft, Verwaltung, Militär und Politik. Bibeln und andere Literatur dürfen nicht auf der Straße verteilt werden; Prozessionen sind verboten. Die griechischorthodoxe und die armenisch-orthodoxe Kirche sind zwar staatlich anerkannt, dürfen aber keine Priester ausbilden. Die anderen Kirchen können nur als Vereine von Privatpersonen agieren. Sie dürfen als Kirchen keine Grundstücke erwerben, kein Bankkonto eröffnen, können keine Gebetsstätten errichten. Die Renovierung alter Kirchen wird oft durch juristische Schikanen erschwert, Kirchengüter werden enteignet. Im Südosten der Türkei standen einmal mehr als 80 christliche Klöster - heute sind es noch 6. Im alten Kloster Mor Gabriel, wo zur Blütezeit 2 000 Mönche und Nonnen lebten und wo zwei Drittel der syrisch-orthodoxen Geistlichen und Religionslehrer ausgebildet wurden, halten nur noch 17 Mönche die Stellung. Dieses christliche Zentrum und UNESCOWeltkulturerbe ist von Enteignung bedroht. In Schulbüchern werden Christen herabgesetzt; manche Imame warnen hysterisch vor dem Eindringen fremder Missionare. Die Regierung tut wenig dagegen. Es kam mehrmals zu Gewalt gegen Christen: Im Jahr 2010 wurde Erzbischof Luigi Padovese von seinem muslimischen Chauffeur und Leibwächter ermordet. Der Erzbischof hatte früher zu diesem Mitarbeiter ein fast familiäres Vertrauensverhältnis - bis er in islamistischen Kreisen radikalisiert wurde. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte stellte (2005) fest, die Lage der religiösen Minderheiten habe sich seit Beginn der Beitrittsverhandlungen zur EU verschlechtert. Der frühere Bundespräsident Wulff, der bei uns sagte: „Der Islam gehört zu Deutschland“ hatte den Mut, vor dem türkischen Parlament zu erklären: “Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei.“ In Ägypten leben zwar mehr Christen als in der Türkei, aber sie stehen ebenfalls unter Druck. Von den Kopten, die einmal 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung ausmachten, sind seit dem Sturz von Mubarak im Jahr 2011 etwa 200 000 abgewandert. Aber es kam auch schon vor diesem Umsturz zu Übergriffen: Zwischen 1980 und 2010 sollen 1 800 Christen aus religiösen Gründen ermordet worden sein. Als mit dem demokratisch gewählten Präsidenten Mursi die Muslimbrüder an die Macht kamen, nahm der Druck auf die Kopten zu. In einer Region in Mittelägypten mussten 15 000 Christen der Muslimbruderschaft die von Koran und Scharia vorgesehene Schutzgeldsteuer für Juden und Christen bezahlen. Mehr noch als einzelne Ausschreitungen von Fanatikern trägt jedoch die alltägliche Benachteiligung zu einer Schwächung der christlichen Minderheit bei. Christen können zwar Geschäfte betreiben und sind zum Teil reich geworden, aber im Staatsdienst haben sie keine Chancen. Muslime erhalten eher einen Arbeitsplatz, eine Wohnung - und sogar eher einen Ehepartner. Denn ein Christ darf nur eine muslimische Frau heiraten, wenn er zum Islam übertritt. Ein muslimischer Mann darf zwar eine christliche Frau heiraten, die ihre Religion beibehält, aber 5 die Kinder müssen islamisch erzogen werden. Das fördert Konversionen zum Islam. Indes werden Konversionen von Muslimen zum Christentum erschwert. Nach der Scharia, die auch Grundlage der ägyptischen Verfassung ist, müssen Abgefallene (Apostaten) mit dem Tode bestraft werden. Das tut die ägyptische Justiz zwar nicht, aber der muslimische Ehepartner muss sich vom Christ gewordenen Partner trennen. Konvertiten verlieren oft ihre Arbeitsstelle, werden von ihrer Familie geächtet und gehen ins Ausland. Manche Imame rufen zur Lynchjustiz auf, und wer einen Konvertiten tötet, hat von den Gerichten nichts zu befürchten. In Ägypten können Moscheen in Windeseile aufgebaut werden, während die Genehmigungsverfahren für Kirchenneubauten Jahre dauern. So steht rechnerisch 800 Muslimen eine Moschee zur Verfügung, aber eine Kirche nur 4 000 Christen. In ländlichen Gegenden lassen sich die vielen jugendlichen Arbeitslosen leicht von Islamisten aufhetzen. Sie betrachten die Christen als Verbündete des verhassten Westens, dem sie die Schuld an ihrem Elend geben. So haben in einem Dorf bei Assuan 2 500 Salafisten Häuser, Geschäfte und Autos von Kopten zerstört und die im Bau befindliche Kirche eingerissen. Zum Glück gibt es auch Muslime, die zu den Christen halten. Das Oberhaupt der Kopten hat sich zwar nach der Absetzung des islamistischen Präsidenten Mursi auf die Seite des Putsch-Generals und jetzigen Präsidenten al-Sisi gestellt. Aber auch dessen Regierung tut wenig, um die Christen zu schützen. Diese werden weiterhin benachteiligt. Und weil al-Sisi die Muslimbrüder grausam verfolgt, wird deren Feindschaft auch gegen die Christen, die ihn unterstützen, wachsen. Von den 32 Kirchen, die der von Islamisten angeheizte Mob nach der Absetzung von Mursi zerstörte, wurden erst fünf wieder aufgebaut, obwohl das Militär Hilfe zugesagt hat. In Ägypten ist das Christentum nachhaltig geschwächt worden, aber in Syrien und im Irak ist es ernstlich bedroht. Dies ist das Werk eines extremen Islamismus, der in der terroristischen Vertreibungs- und Vernichtungspolitik des so genannten „Islamischen Staats“ gipfelt. Die Regime von Baschar al Assad und Saddam Hussein unterdrückten zwar das Recht auf freie Meinungsäußerung aller Bürger, verstanden sich aber säkular und ließen auch Christen einigen Spielraum, so dass es ihnen unter diesen Diktatoren besser ging als heute. In Syrien lebten bis zum Beginn des Bürgerkriegs vor drei Jahren etwa 2,2 Millionen Christen, also zehn Prozent der Bevölkerung. Letztes Jahr (2014) schätzte ein Bischof, dass jeder vierte Christ (also eine halbe Million) das Land verlassen hat. Die Bischöfe ermutigen ihre Gläubigen zwar zum Bleiben, aber das wurde immer gefährlicher. Die Aufständischen werden großenteils von islamistischen Terrororganisationen beherrscht: Einerseits vom Al-KaidaAbleger al-Nusra-Front und andererseits vom „Islamischen Staat“, der inzwischen die alNusra-Dschihadisten bekämpft und ein eigenes Staatsgebiet im Osten Syriens und im Norden des Irak erobert hat, das so groß ist wie Großbritannien und aus dem er Christen, Jesiden und Schiiten vertreibt. Einige Schlaglichter mögen die Lage schildern: Im Februar 2014 eroberte der Islamische Staat die Stadt Rakka und stellte die Christen vor die Wahl, zum Islam überzutreten, die Schutzgeldsteuer zu entrichten oder getötet zu werden. Auch wenn sie der Kopfgeldsteuer, die eigentlich eine Mafia-Methode ist, zustimmen, dürfen sie ihre Kirchen nicht reparieren oder 6 wieder aufbauen. Im Juli 2014 rief der Islamische Staat das Kalifat aus; danach flohen viele Christen. Im Februar dieses Jahres überfielen IS-Kämpfer im Norden Syriens mehrere Dörfer und entführten 277 Christen, um vermutlich Lösegeld zu erpressen. Inzwischen kämpfen junge Christen an der Seite von kurdischen Truppen mit der Waffe gegen den Islamischen Staat. Schauen wir auf den Irak: Dort lebten zu Beginn dieses Jahrhunderts etwa 1,2 Millionen Christen; von ihnen haben inzwischen die Hälfte - andere schätzen: zwei Drittel - das Land verlassen. Benachteiligung, Bedrohung und Verfolgung nahmen bereits vor 25 Jahren mit dem Aufkommen des Islamismus zu. So haben 1991 in Basra Schiiten Christen angegriffen. In dem Chaos nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 wurde alles noch schlimmer. Auf mehrere Kirchen wurden Anschläge verübt. Terroristen sprengten (2005) den Sitz des chaldäischen Erzbischofs in Mossul in die Luft. Drei Jahre später entführten und töteten sie ihn. Zwischen 2003 und 2010 wurden etwa 2.000 Christen getötet. Die Lage spitzte sich noch einmal zu, als im Juni 2014 die Terrorgruppe Islamischer Staat die Stadt Mossul und die christliche Orte in der Ninive-Ebene eroberten. Etwa 130 000 (nach anderer Schätzung 200 000) Christen flüchteten in das sicherere Kurdengebiet im Norden, denn der Islamische Staat will den Nahen Osten von Christen (und auch von Jesiden) säubern. Er forderte sie auch in Mossul auf, zum Islam überzutreten, Schutzgeld zu bezahlen oder zu sterben und kennzeichnete ihre Häuser, die in den Besitz des Kalifats übergehen sollen. Die Christen flohen bei einer Hitze von 50°. Sie mussten an den kurdischen Kontrollposten die Autos zurücklassen, weil die Kurden den Ansturm bremsen wollten, und sind zu Fuß die etwa 20 km nach Erbil oder Kirkuk gelaufen. Der Erzbischof von Kirkuk schickte auf Kleinlastwagen Wassertanks, damit sie nicht verdursten mussten. Viele sind gestorben. Die Dschihadisten vom Islamischen Staat haben auf dem Markt von Mossul christliche Frauen und Kinder als Sklaven verkauft. Die katholischen und nicht-katholischen Bischöfe haben im autonomen Kurdengebiet ein Komitee gegründet, das Unterkünfte besorgen und Lebensmittel, z.B. Babymilch, verteilen soll. Die Deutsche Bischofskonferenz hat letzten Oktober eine Sonderkollekte für diese Flüchtlinge durchgeführt. Es gibt auch gemäßigte Muslime, die helfen, weil Christen auch schon muslimischen Flüchtlingen geholfen haben. In Syrien und im Irak ist das Christentum ernsthaft bedroht. Die Flüchtlinge im Kurdengebiet hoffen, dass sie - wenn der Islamische Staat einmal militärisch besiegt sein wird - zurückkehren können. Aber das wird nur noch ein Rest-Christentum sein. Gerade die jungen Leute, die Fremdsprachen und einen modernen Beruf lernen können, wandern in großer Zahl nach Australien und in den Westen aus. Man hat schon vorgeschlagen, Christen in großem Maßstab aus den Flüchtlingslagern und Gefahrenzonen herauszufliegen und ihnen in christlichen Ländern des Westens ein Überleben als Gemeinden zu ermöglichen - bis sie vielleicht einmal wieder zurückkehren können. Doch dagegen gibt es Einwände: Man würde damit den verbleibenden Christen den letzten Mut nehmen. Außerdem würde es als ungerecht empfunden, wenn Nicht-Christen - nämlich Jesiden oder Schiiten, die auch verfolgt werden - bei uns keine Zuflucht fänden. Was wir in Deutschland tun können, ist dies: Die Flüchtlinge bei uns und im Nahen Osten unterstützen, für den Kampf gegen den Islamischen Staat eintreten und die Not der Christen im Nahen Osten in der deutschen Öffentlichkeit stärker bekannt machen. 7 Inzwischen fragen bei uns in Deutschland manche, ob der Islamismus nicht bereits auch uns bedroht. Kommt es zu einem von islamischer Religion und Scharia beherrschten Deutschland und Europa - das heißt zu einer Islamisierung? Bestimmte Gruppen verbreiten diese Furcht systematisch und sprechen damit ein verbreitetes Unbehagen an. Nach einer neuen Umfrage sagen fast zwei Drittel der nichtmuslimischen Deutschen, der Islam „passe nicht in die westliche Welt“; und 57 Prozent meinen, der Islam sei „bedrohlich“. Die Vorbehalte gegen den Islam haben zugenommen - nicht weil die Deutschen christlicher geworden wären, sondern weil die Gewalttaten islamistischer Gruppen den Eindruck verstärkt haben, der Islam sei im Kern intolerant. Bemerkenswert ist, dass die Ablehnung des Islam in den Bundesländern am stärksten ist, wo die meisten Befragten angeben, dass sie keinen Kontakt mit Muslimen haben - in Ostdeutschland. Dort, in Dresden, kam es denn auch im Oktober letzten Jahres zuerst zu einer Demonstration der so genannten Pegida: der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung Europas.“ Ihr folgten dort und auch im Westen weitere Demonstrationen. Die Pegida-Anhänger warnen vor einer Überfremdung und fordern schärfere Asylgesetze, dabei liegt in Sachsen der Ausländeranteil gerade mal bei 2,2 Prozent. Rechtspopulistische Kreise mit ehemaligen NPDAnhängern und Republikanern geben diesen Befürchtungen eine fremdenfeindliche Schlagseite. Auch die Partei „Alternative für Deutschland“ unterstützt Pegida. Aber schon in früheren Jahren haben sich die so genannten Pro-Parteien so islamfeindlich geäußert, dass sie vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Die Keimzelle war die „Bürgerbewegung pro Köln“, die gegen den Bau einer Moschee und gegen Flüchtlingsheime für Sinti und Roma demonstrierte. Aus ihr ging die Partei „Pro Nordrhein-Westfalen“ hervor, die im Landtagswahlkampf 2012 mit islamfeindlichen Karikaturen vor Moscheen zog und prompt mit Salafisten zusammenstieß, wobei 35 Polizisten verletzt wurden. Ist eine Islamisierung Deutschlands im Gang? Prüfen wir einmal die Gründe, die für diese Behauptung angeführt werden: 1. Es gibt inzwischen auch bei uns militante Islamisten, die von einem Gottesstaat in Europa träumen. In Bonn, Köln und im Sauerland wurden Anschläge vorbereitet, die nur mit Wachsamkeit und Glück verhindert werden konnten. Letztes Jahr kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Salafisten und Kurden in Deutschland. Die aktivste Gruppe sind die Salafisten. Ihre Zahl wurde zu Beginn des letzten Jahres auf 5 500 Personen geschätzt. Die Idee eines Groß-Syrien unter dem Kalifat des Islamischen Staats fasziniert sie. Sie werben im Internet und in salafistischen Moscheen für die finanzielle Unterstützung der Terroristen und für den Kampfeinsatz. 270 junge Leute sind aus Deutschland nach Syrien gereist; einige sind zurückgekehrt und könnten hier Attentate verüben. Gerade junge Muslime und Konvertiten, die bei uns keine Anerkennung finden, weil sie Schule und Lehre abgebrochen haben, sind wie berauscht von dem Gedanken, dass sie nun einen Auftrag von Gott erhalten und eine ganz große Tat vollbringen können. Bei einer Verhandlung vor dem Bonner Landgericht rief ein Salafist aus: „Allah hat als einziger das Recht zu 8 entscheiden, nicht das Volk.“ Dann hielt er den Koran hoch: Das sei sein Gesetzbuch. Daraufhin warf er einige Seiten des Grundgesetzes demonstrativ auf den Boden. 2. Ein weiteres Argument lautet: Die Zahl der Muslime in Deutschland nimmt zu - einerseits weil türkische Frauen eine höhere Geburtenrate haben, andererseits weil muslimische Flüchtlinge zuwandern. 3. Der Islam drängt ins öffentliche Leben: Er macht sich durch repräsentative Moscheen in orientalischem Stil bemerkbar. Bei Treffen und Feiern nimmt man Rücksicht auf das Verbot von Schweinefleisch und Alkohol. Am Arbeitsplatz auf Gebetszeiten, und auf Friedhöfen legt man muslimische Gräberfelder an. In den Schulen einiger Bundesländer wurde ein islamischer Religionsunterricht eingeführt. Manche deutschen Rundfunkanstalten strahlen Sendungen für Muslime aus. 4. In muslimisch geprägten Stadtvierteln (z.B. in Berlin) drohen Parallelgesellschaften zu entstehen, in denen die Scharia gilt: Zwangsheirat, Rechtsprechung bei Erb- und Ehestreitigkeiten durch muslimische Friedensrichter. 5. Infolge der Verweltlichung geht der Einfluss der Kirchen bei uns zurück, während der glaubenseifrige Islam in das Vakuum vorstößt. Was ist von diesen Befürchtungen zu halten? Niemand kann leugnen, dass bestimmte Formen und Organisationen des Islamismus eine Gefahr darstellen, die ernst genommen werden muss. Nach dem Bericht des Verfassungsschutzes (2013) haben sich schätzungsweise 43 000 Muslime islamistischen Organisationen angeschlossen. Allerdings sind dies nicht alles kampfbereite Dschihadisten, sondern Angehörige von Moscheevereinen mit islamistischen Tendenzen. Die meisten, nämlich 31 000, gehören zur Vereinigung Milli Görüs, die in Zukunft wohl nicht mehr als verfassungsfeindlich eingeschätzt und beobachtet werden wird. 5 500 sind Salafisten und 1 300 Muslimbrüdern. Die Zahl der Gotteskrieger kennt man nicht. Hier muss man wachsam sein - aber ein Generalverdacht ist unberechtigt: Nach einer Studie zeigen nur etwa 10 Prozent der Muslime in Deutschland eine deutliche Distanz zu den Grundsätzen von Demokratie und Rechtsstaat. Das sind zwar 400 000 Menschen, aber eben bei Weitem nicht alle. Wachsamkeit ist sicher in Bezug auf die Abschottung von Muslimen in Parallelgesellschaften nötig. Es fördert das Verständnis von Zuwanderern für demokratische Werte nicht, wenn sie nur Fernsehsendungen aus ihren Heimatländern sehen. Vor allem ist eine Integration durch Bildung wichtig. Wenn Kinder und Jugendliche in Koranschulen einfach den Koran lernen, ist nichts einzuwenden. Wenn sie aber gegen den Westen aufgehetzt werden, können sie sich radikalisieren. Im Ethikunterricht einer Grundschule in Neu-Ulm (einer Hochburg des Islamismus) haben Kinder Sätze gesagt wie: „Christen muss man töten“ und „Juden stehen auf der Stufe von Schweinen.“ Haben sie das in Koranschulen gelernt oder zuhause? Ein Religionsunterricht, der in deutscher Sprache von Lehrkräften erteilt wird, die in Deutschland ausgebildet und auf das Grundgesetz vereidigt sind, kann einer Abschottung und Radikalisierung entgegenwirken. Hassprediger in bestimmten Moscheen müssen aufgespürt und ausgewiesen werden. Allerdings können sich Jugendliche auch durch das Internet radikalisieren. Es gibt Internetseiten, 9 auf denen Terrorgruppen geschickt für ihre Sache werben und den Anschein erwecken, Islamismus sei eine Art Pop- und Jugendkultur. Dort kann man auch Anleitungen zum Bau von Sprengkörpern lesen. In Berlin-Neukölln, wo 40 Prozent der Bewohner einen Migrationshintergrund haben, ist dem bekannten Bürgermeister Buschkowsky sowie Lehrkräften ein schönes Stück Integration gelungen. Man hat in den „Brennpunktschulen“ die Erziehung zu sozialem Verhalten ins Programm aufgenommen, hat Sozialpädagogen eingestellt, hat vor den Schulen einen „Wachschutz“ aufgestellt, der signalisiert: Hier wird keine Gewalt geduldet - und man hat Frauen aus Einwandererfamilien angestellt, die regelmäßige Hausbesuche durchführen und andere Frauen in Fragen der Schule, Erziehung und Gesundheit beraten. Aber wird Deutschland nicht einfach durch die wachsende Zahl von Muslimen islamisch? Diese Befürchtung ist wohl übertrieben. In Deutschland leben schätzungsweise 4 Millionen Muslime - die meisten stammen aus der Türkei. 4 Millionen - das sind 5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Selbst wenn der muslimische Bevölkerungsanteil - wie ein Institut voraussagt bis zum Jahr 2030 auf 5,5 Millionen und damit auf 7 Prozent anwächst, macht dies ein Land nicht islamisch. Viele Zuwanderer nennen sich nur aufgrund ihrer Verbundenheit mit ihrer Familie, Heimat und Kultur Muslime. Von den Muslimen in Deutschland nehmen etwa 15 Prozent am Freitagsgebet teil. Eine Umfrage zeigt, dass sich die Einstellungen der Türken durch das Leben in Deutschland stark verändert: 90 Prozent der tiefreligiösen deutschen Muslime halten die Demokratie für eine gute Regierungsform - in der Türkei sind es wesentlich weniger. Es kann sich also auch ein deutscher Islam oder ein europäischer Islam entwickeln. Die Muslime, die sich in unserer freiheitlichen Ordnung wohl fühlen, leiden unter dem schlechten Ruf, den die radikalen Islamisten in der Welt verbreiten. Die islamischen Verbände haben sich allerdings auch viel zu spät gegen den Terrorismus ausgesprochen. Wir Christen müssen uns an Kopftücher und Moscheen gewöhnen - und die Muslime müssen sich an christliche Feiertage, Kirchen, an Meinungsvielfalt und an das Grundgesetz gewöhnen. Vorurteile werden am besten dadurch verhindert oder abgebaut, dass man miteinander redet und sich kennen lernt. Dann ist die Nachbarin oder der Arbeitskollege nicht nur ein Begriff namens Muslim, sondern die Aischa oder der Ahmed. Könnten vielleicht auch Pfarrgemeinden zu diesem Kennenlernen beitragen, oder sind sie damit überfordert?