Einmal Bauernhof reicht nicht

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| Echt erdig |
DIE FURCHE • 33 | 13. August 2015
3
D a s T he m a der W o che
Foto: Shutterstock
„
Seine unmittelbare Umgebung zu verstehen ist
viel wichtiger, als sich
mit der großen weiten
Welt da draußen zu
beschäftigen.
“
Echt erdig
Die ländliche Idylle – sind das bloß romantische und naive
Vorstellungen von einem besseren Leben? Mitnichten.
Die Lust an der
LANDnahme
| Von Eugen Maria Schulak
D
en Anstoß zur „Alpenphilosophie“ gab das Magazin Servus in
Stadt und Land. An diesem Magazin fällt dem Philosophen einiges auf. Zunächst der erstaunliche und beeindruckende Erfolg, die große
Leserzahl, die in kürzester Zeit dafür gewonnen werden konnte. Sodann die Ästhetik und Kraft der Bilder, die gewiss auch an
der Professionalität der Fotografen liegt, vor
allem aber an der Methode, jede Spur der
Moderne zu vermeiden. Dabei – und das ist
das eigentlich Spannende – fehlt es aber an
jeder ideologischen Verbissenheit oder verstaubten Rückwärtsgewandtheit. Man hat
schlicht den Eindruck, dass das Auge der Fotografen das Hässliche meidet und deshalb
alleine das Bewährte und Harmonische ins
Bild nimmt.
Projektionsfläche und Fassade?
Warum spricht der Alpenraum die Menschen auch weit entfernter Kulturen so an?
Ist es eine wirkliche Idylle oder bloß eine
Projektionsfläche für Sehnsüchte und eine Fassade für Touristen? Haben die Bilder
aus den Alpen deshalb so eine Kraft, weil sie
tiefere Weisheiten vermitteln, die unserer
schnelllebigen Zeit verloren gegangen sind?
Diese Fragen ließen uns Stadtphilosophen
nicht los, und so zogen wir durch das Land:
Wir bereisten die Österreichischen, Schweizer, Liechtensteiner und Bayerischen Alpen
und besuchten die Menschen, um die letzten Spuren schwindender Lebensentwürfe und Lebensphilosophien zu finden. Die
Reisen hatten das Ziel, mit manuell entwerfenden und produzierenden Menschen ins
philosophische Gespräch zu kommen. Der
Sinn des Ganzen war, zu erfahren, ob das
Leben solcher Menschen Tugenden, Einsichten und Lebensweisheiten bietet, die im
urbanen Raum nicht mehr zu finden sind.
Wir sprachen mit Bauern, Handwerkern
und Traditionshütern, besuchten Museen
und Betriebe, Höfe und Almen, Feste und
Gipfel. Mancher begegnete uns mit kluger
Skepsis. Nur langsam konnten wir davon
überzeugen, nicht gekommen zu sein, um zu
richten oder vorzuführen, zu kontrollieren
oder zu schikanieren, zu profitieren oder zu
belehren. Viele Städter vor uns hatten Spu-
ren des Misstrauens hinterlassen. Doch
letztlich war jeder Abschied freundlich.
„Das schönste Wappen auf der Welt, das
ist ein Pflug im Ackerfeld“, so lehrt uns eine
Weisheit der Alpen, die wir auf einem Kachelofen in der Stube einer Bäckerei gefunden
haben. Die Schmuck-Kachel, die in der Tat
wie ein Wappen in den Ofen eingelassen
ist, zeigt ein paar Ackerschollen, auf denen
ein Pflug ruht. Kein Mensch ist zu sehen. Es
ist, wie wenn uns das Bild sagen wollte: Wir
Bauern reden zwar nicht viel, doch wir sind
stolz auf unsere Arbeit. Zwar kann es nicht
von großen Heldentaten berichten, doch dafür reicht es bis an den Ursprung, wo vor
Jahrtausenden das sesshafte Leben begann.
Die Viehhaltung, die Fleisch- und Käseproduktion, der Wein- und Obstbau, diese
ungemein sinnliche Erfahrung, einen Acker
zu bebauen und ihm die wertvollsten Dinge
zu entlocken, dabei auszuharren, diese
großen Mühen auf sich zu nehmen, auch
Rückschläge zu verkraften, dann und wann
am Boden zerstört und am Rande der eigenen Existenz zu sein, aber stets verwachsen
mit dem eigenen Grund und Boden,– das
macht den echten und freien Bauern aus.
Ein Bauer sät und erntet aus freien Stücken.
Das allein schon ist ein Wappen wert, weil
es das Urbild aller produktiven Tätigkeit ist.
Die Freiheit des Eigenen
Das Eigene spielt im Alpenraum eine
große Rolle. Oft schilt man die stolzen Alpenbewohner Spießbürger, deren private
Höfe Refugien von Biedermännern seien.
Tatsächlich bedarf wahre Freiheit des Eigenen. Ohne Eigenes sind wir stets Abhängige.
Wilhelm Röpke, der der Österreichischen
Schule der Ökonomik nahestehende deutsche Wirtschaftsphilosoph, schrieb: „Der
unverschuldete Bauer auf ausreichender
Bodengrundlage ist der freieste und unabhängigste Mensch in unserer Mitte; weder
Nahrung noch Arbeitslosigkeit brauchen
ihm Sorgen zu bereiten, und die Unterwerfung unter die Launen der Natur, die er für
diejenigen des Marktes und der Konjunkturen eintauscht , ist eine solche, die das
Menschentum nicht zu verbittern, sondern
vielmehr zu veredeln pflegt. Seine Existenz
ist, wie wir die Dinge auch drehen und wenden mögen, unter allen die menschlich befriedigendste, reichste und geschlossenste.“
Freilich ist es heute so, dass ein Gutteil al-
ler Landwirte zum Teil von staatlichen Unterstützungen und EU-Förderungen lebt,
was deren Freiheit einen etwas schalen
Beigeschmack gibt. Aber trotzdem: Immer
noch ist deren Arbeit nur dann zu bewältigen, wenn man in Generationen denkt.
Ständig muss etwas ausgebessert und neu
aufgebaut werden. Unterlässt man dies,
kommt die Rechnung zwar mit Verspätung,
aber letztlich unausweichlich.
Kundige Augen prüfen, wie wir bei unseren Reisen erfahren haben, beim Kauf
eines Hofes, ob es bei der Instandhaltung
der Wege und Leitungen Unterbrechungen
gab. Für das Kalkül des Einzelnen „rechnet“ sich diese Instandhaltung oft nicht,
doch ohne den weiten Zeithorizont der Alpenbewohner wäre die Besiedelung der Alpen nie gelungen. Die Nachhaltigkeit war im
Im August packt uns die Landlust: Vor der
Hitze fliehen die überzeugtesten Städter ans
Meer, an den See oder in die Berge. Aber
worin wurzelt die Sehnsucht, ein naturverbundeneres Leben zu führen? Welche Rolle
spielen da Nachhaltigkeit und soziale Gedanken? Und wie können Kinder wieder mehr
Bezug zur Natur entwickeln? Über „urban
farming“ und grüne Wissensprojekte.
Redaktion: Sylvia Einöder
Vorreiter
„Die Nachhaltigkeit war im Alpenraum daheim,
lange bevor Politiker den Ausdruck
als Modewort für
ihre Zwecke entdeckten“, so Philosoph Schulak.
Ein sichtbares Gegengewicht
„
Die Bauern und Handwerker sind nur selten in
Gefahr, völlig sinnlose oder schädliche Dinge zu
tun, was man von Angestellten und Bürodienern in
den urbanen Zentren nicht behaupten kann.
Alpenraum daheim, lange bevor Politiker
den Ausdruck als Modewort für ihre Zwecke
entdeckten. Was die traditionellen Lebensformen, die sich im Alpenraum noch finden
lassen, unter anderem auszeichnet, ist, dass
die Kinder die Eltern bei der Arbeit stets beobachten können. Man kann sehen, wie die
Eltern säen und mähen, melken und mis­
ten, jäten und ernten, backen und schweißen, drechseln und hobeln. Für Kinder ist
das, was für die Eltern harte Arbeit ist, ein
Spiel. Und sie bewundern stets jene, die das
Spiel beherrschen. Solche Eltern müssen
nicht um Anerkennung und Aufmerksamkeit buhlen, sondern sie werden gleichsam
von selbst bewundert, einfach deshalb, weil
sie etwas können und weil das offensichtlich ist. Eltern, die ihr Können tagtäglich offen unter Beweis stellen, haben kein Autoritätsproblem. Sie sind Vorbilder, das reicht
völlig aus. Mehr muss gar nicht sein.
Bauern und Handwerker sind nur sehr
selten in der Gefahr, völlig sinnlose oder
schädliche Dinge zu tun, was man von Angestellten und Bürodienern in den urbanen
Zentren nicht behaupten kann. Heutzutage
beklagt sich fast jeder Angestellte über sinnlose Tätigkeiten oder meint, gar nicht hinter den eigentlichen Sinn seiner Tätigkeit
zu kommen. Fast jeder glotzt tagein, tagaus
auf den Bildschirm, ohne dass er all das, was
dort zu sehen ist, initiiert hätte. Wer so ein
fremdbestimmtes Leben führt, kann kaum
ein Vorbild sein. Es ist nämlich nicht die
große weite Welt mit all ihren Problemen,
die uns beschäftigen sollte. Das ist eine oft
schauerliche Traum- und Albtraumwelt aus
medialen Bildern, die uns bloß innerlich
erregt, aber selten zu sinnvollem Handeln
führt. Viel wichtiger ist, die unmittelbare
Umgebung zu verstehen, sich dort zurechtzufinden, wo man zuhause ist. Und das ist
am Land viel eher möglich als in der Stadt.
“
Die Alpenphilosophie.
Eine Spurensuche nach vergessenen Werten
und Weisheiten.
Von Rahim
Taghizadegan
und Eugen Maria
Schulak, Servus
2015. 272
Seiten, geb.,
e 21,95
Der große Vorteil an der Abgeschiedenheit des handwerklichen und bäuerlichen
Lebens, vor allem in den Bergen, liegt auch
darin, dass die sozialen Probleme, die eine
Stadt nun einmal produziert, nicht unmittelbar in die Lebenswirklichkeit der Menschen eindringen. Zwar gibt es auch dort
all die Verkommenheiten, die möglich sind,
aber nicht derart konzentriert. Vor allem: Es
gibt ein sichtbares Gegengewicht. Es gibt
den gesunden Betrieb, den lieblichen Garten, Großeltern auf der Sonnenbank, selbst
produzierte Lebensmittel, jede Menge Vieh
und Haustiere, fröhliche Feste, Reste von natürlicher Religion, mehr Schamgefühl und
insgesamt mehr positive Vorbilder. Lauter
Dinge, die jemand, der in städtischen Problembezirken aufgewachsen ist, so gut wie
niemals zu Gesicht bekommt.
Ein Leben und vor allem ein Arbeitsleben am Land, das es versteht, mit dem Landstrich zu verschmelzen, ist dem Stadtleben
vorzuziehen. Bloß ist es nicht jedem möglich und auch nicht für jeden das Richtige.
Das Burgtheater gibt es nur in Wien. Doch
es ist zu vermuten, dass es immer mehr Leute geben wird, denen ein einfaches Leben in
der Abgeschiedenheit am Herzen liegt und
die es im Verbund mit ihren Familien und
Freunden aus freien Stücken wählen werden, einfach weil sie auf der Suche sind, weil
sie, da sie in den Städten alle Tradition verloren haben, sich etwas aufbauen wollen, etwas, das sie mit ihren Händen geschaffen
haben und worauf sie stolz sein können.
| Der Autor ist promovierter Philosoph, betreibt eine Philosophische Praxis und leitet
das Institut für Wertewirtschaft in Wien |
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Das Thema der Woche | Echt erdig |
„
DIE FURCHE • 33 | 13. August 2015
Politikum Essen
“
Foodcoops
Sünde Tiefkühlkost
Foodcoops (engl. Cooperation)
sind Lebensmittel-Genossenschaften zum gemeinsamen
Großeinkauf direkt beim Bauern. Ziel ist die Förderung der
ökologischen Landwirtschaft
und der Bauern im Umland.
Hinter Fertigprodukten stecken viele Arbeitsschritte –
und ein gewaltiger CO2-Abdruck. Vor allem Tiefkühlkost
ist eine regelrechte Klimasünde. Viele Lebensmittel sind
bereits CO2-gekennzeichnet.
Foto: Shutterstock (4)
Wenn ich im Zug so aus dem
Fenster schaue, sehe ich – jetzt
im Vergleich zu vor 40 Jahren –
eine komplett entseelte Forstund Landwirtschaft.
| Von Sylvia Einöder
einander etwas tun“, sagt Graner. Ein großes
Projekt soll künftig die Schaffung von Arbeitsplätzen für Langzeitarbeitslose und
Asylwerber am Acker sein. „Dafür sind wir
schon mit dem AMS, der Caritas, der Diakonie und dem Integrationshaus in Dialog.“
Am Feld tummeln sich Studierende neben Senioren, AMS-Bezieher neben „Bobos“
und grün angehauchten Leuten mit gut bürgerlichem Hintergrund. Jüngere lernen von
Älteren, Österreicher gärtnern neben Menschen mit Migrationshintergrund. Heute
werkt eine philippinische Familie in ihrer
eigenen Gemüseparzelle an den Bittermelonen. Am Acker geht es auch darum, dass
Menschen unterschiedlicher Herkunft gemeinsam etwas erreichen können. Sie müssen sich zusammenraufen, wenn der Gießplan wieder nicht eingehalten wurde.
Beide Gartenfreunde hatten in punkto
Nachhaltigkeit ihr „persönliches Initialerlebnis“, wie sie es nennen. Bei Ritter war
es eine Reise in den Südsudan. Zwei Monate später sei er wieder in Europa „ausgespuckt“ worden – und wollte nicht mehr in
den Supermarkt gehen. Aus Afrika brachte
er die Idee mit, sich autark zu organisieren.
„Zuerst wechselt man den Stromanbieter
oder macht etwas für seine Kinder“, erinnert er sich. Dann realisierte er, dass er in
einer Gemeinschaft aktiv werden muss, um
mehr zu bewegen. Statt als Entwicklungshelfer in den Sudan zu gehen, wurde ihm
klar: „Eigentlich müsste ich hier Entwicklungshelfer werden, um lokale Strukturen
zu finden, die der Natur gegenüber sozial
sind und unseren Nachkommen keine Nachteile verschaffen.“
Angefangen hat alles mit einer kleinen
„Food Coop“ (siehe Kästchen oben). „Wir
haben einfach direkt bei den Produzenten
eingekauft und uns ein Lager für die Lebensmittel gemietet“, erzählt Ritter. Heute
zählen die „LoBauerInnen“ und der „Grüne Daumen“ je um die 50 zahlende Mitglieder. Hinter den Sonnenblumen steht eine vom Wind etwas verwehte Leinwand für
sommerliche Kinovorführungen – auch mittels Filmen sollen die Leute über das Thema
Nachhaltigkeit aufgeklärt werden. Es sind
politische Motive, die ganz unterschiedliche Charaktere hier herbringen. Die große
Kritik gilt den gigantischen, maschinell bearbeiteten Monokulturen. Wenn Ritter im
Zug aus dem Fenster schaut, sieht er im Vergleich zu vor vierzig Jahren eine „komplett
entseelte Forst- und Landwirtschaft.“ Als
Gegenmodell zu den Maschinen setzen die
„LoBauerInnen“ die Kraft vieler Hände ein.
Ob sie nicht letztlich einen zivilisatorischen
Rückschritt in Richtung Agrargesellschaft
proben? „Wir wollen nicht zurück in die
Steinzeit, wir benützen alle Handys und
Computer“, betont Ritter. Aber man müsse jene Erfindungen hinterfragen, die man
nicht guten Gewissens benützen kann.
Im Brotberuf ist Ritter Filmarchitekt, Graner selbstständiger Software-Entwickler.
Gärtnern bringt Gruppen zusammen
Auf einem Acker in der Lobau proben verschiedenste Leute die Selbstversorgung. Ein ökologisches und soziales Experiment mit Potenzial.
Die Ackerfrüchte des
protests
„
Viel Zeit und Energie fließt in den Acker,
ein Acht-Stunden-Tag wird so schnell auf 16
Stunden ausgedehnt. Beide Naturfreunde
wollen in Zukunft vermehrt Projekte initiieren, aus denen sie einen Teil ihres Einkommens bestreiten können. Ideen haben sie
Wir wollen nicht zurück in die Steinzeit. Wir alle
verwenden ja Handys und Computer. Aber man
muss schon jene Erfindungen hinterfragen, die
man nicht guten Gewissens benützen kann.
“
viele. Eine ist es, das Wissen über nachhaltige Ernährung in der Erwachsenenbildung
weiterzugeben. Eine andere, Menschen aus
den angrenzenden Altersheimen zur Gartentherapie aufs Feld zu bringen. „Durch
das Riechen, Fühlen, Schmecken wird bei
dementen Menschen die Erinnerung geweckt und so der Krankheitsfortschritt gebremst“, weiß Graner. Ein anderes Projekt
ist die „Ackerdemie“ für Kinder (siehe Interview rechts), die im Herbst startet. „Wir
stellen es uns sehr schon schön vor, dass die
Kinder und die älteren Herrschaften neben-
„Ich wäre nie auf die Idee gekommen,
mich mit diesen Philippinen anzufreunden,
würden sie nicht hier so lustige Früchte anbauen und uns so nett zum Essen einladen“,
schwärmt Ritter. Er möchte gerne Treffen
von Asylwerbern mit Einheimischen am
Feld organisieren. „Damit man nicht nur aus
Heute oder Österreich erfährt, was wieder in
Traiskirchen los ist, sondern selbst nachfragen kann: Wie bist du geflohen? Wo hattest
du das Geld für die Schlepper her? Was sind
deine Wünsche?“ Auch wer sich den Jahresbeitrag von rund 100 Euro nicht leisten
kann, darf teilnehmen: „Für ein Gemüseprojekt sind die zeitreichen Mitglieder fast
wertvoller als die geldreichen“, lacht Ritter.
Genauso unterschiedlich wie die Menschen sind auch deren Ansprüche an das
Projekt. Es ist nicht einfach, eine Initiative
in Gang zu bringen, wo kein Gewinn im Spiel
ist, niemand verpflichtet ist, sondern das
Gärtnern dem Job und Privatleben nachgeordnet ist. „LoBauer“ Christian Stojic ist einer der wenigen, der sich fast ausschließlich
vom Acker ernährt. „Viele Mitglieder wollen eher weg vom Arbeitsdruck und suchen
hier eine Entspannungszone“, kritisiert der
40-Jährige mit dem Vollbart. Er würde sich
aber wünschen, dass im Laufe der Woche 30
Leute einmal zum Helfen am Feld kommen.
Für ihn ist das Gärtnern kein Hobby, sondern sein tägliches Brot. Leicht sei es nicht,
sich nur vom eigenen Gemüse zu ernähren.
arbeiten auf dem land
Burnout-Beruf Bauer
| Von Julia Pfleger
D
er Bauer zieht sich zurück und
trinkt immer öfter. Seine Frau
weiß nicht mehr, wie sie das Familienleben schaffen und den Bauernhof trotzdem gut bewirtschaften soll. Ihr
Mann will nichts ändern, und die Bäuerin muss ganz alleine an verschiedenen
Fronten kämpfen. Beispiele wie dieses
hört Barbara Kathrein jeden Tag. Sie betreut das österreichweite „bäuerliche
Sorgentelefon“ der Initiative „Lebensqualität Bauernhof“ in Tirol. Kathrein
verfügt nicht nur über eine psychosoziale
Ausbildung, sie kommt selbst aus dem
bäuerlichen Umfeld. „Manchmal dauern
die Gespräche bis zu einer Dreiviertelstunde“, berichtet sie. Drei bis vier Leute rufen täglich an, um anonym über Pro-
bleme wie Generationenkonflikte oder
die fehlende Trennung von Arbeit und
Privatleben am Bauernhof zu sprechen
und sich Rat zu holen. „Getrennte Wohnbereiche samt separaten Eingängen und
Küchen erlauben mehr Selbstbestimmung“, rät Kathrein dann. Denn nicht
selten gipfeln die Reibereien zwischen
Jung und Alt darin, dass die Jungen trotz
aller Liebe zum Betrieb das Weite suchen
und erfolgreiche Betriebe vor dem Aus
stehen.
Leistung bis zur Selbstaufgabe
Der Wunsch, das Leben miteinander
zu verbringen und im Betrieb etwas zu
schaffen, steht für viele Paare am Beginn
ihres gemeinsamen Weges. Leider wird
daraus für viele ein Albtraum aus Überlastung und Konflikten. Denn Kinder am
Foto: Shutterstock
So geht es nicht weiter
Foto: © Sylvia Einöder (2)
D
er Ausblick ist bunt. Auf einem
weiten Feld blühen Sonnenblumen neben einem Kräuterkreis,
ein großer Erdäpfelacker grenzt
an eine Reihe mit Himbeerstauden. Es ist die „kleine Stadtfarm“, ein zwei
Hektar großer Acker in der Wiener Lobau.
„Urban farming“ wird hier betrieben. Die
Dimensionen übersteigen die üblichen „urban gardening“-Projekte, die derzeit in den
Metropolen wie Pilze aus dem Boden schießen. „Hier bauen nicht 60 Menschen einzeln Erdäpfel an, sondern wir bauen einmal
Erdäpfel für 60 Leute an“, erklärt Nikolai
Ritter, der die „LoBauerInnen“ vor vier Jahren gegründet hat.
Alle Vereine, die hier Ackerfläche von der
Stadt Wien pachten, wollen nicht bloß biologisches Gemüse ernten. Sie wollen vor
allem experimentieren und gemeinsam lernen. „Wir versuchen herauszufinden, ob eine Selbstversorgung überhaupt möglich ist
und wieweit wir an unsere Ideale herankommen“, sagt Mike Graner, Gründer der „Operation grüner Daumen“. Alles können sich
die Städter am Acker natürlich nicht selbst
anbauen, etwa Oliven oder Südfrüchte. „Bisher zumindest – schauen wir mal, wie es
mit der globalen Erwärmung weitergeht“,
scherzt der 52-Jährige mit der Schirmkappe.
KonfliktPotenzial
Das Zusammenleben am bäuerlichen Hof gestaltet sich oft
schwierig.
Bauernhof erleben von klein auf, dass
hohe Leistungsbereitschaft und das Hintenanstellen persönlicher Bedürfnisse
im bäuerlichen Sozialsystem positiv bewertet sind. Auf der Strecke bleiben Zeit
für sich selbst und die Partnerschaft.
„Oft rufen Menschen an, denen alles
über den Kopf wächst und die nicht mehr
wissen, wo sie anfangen sollen, zu arbeiten“, erzählt Kathrein. „Viele fürchten,
ihrer Rolle nicht gerecht zu werden.“ Die
Fleisch schadet Umwelt
Humus gegen CO2
Fleischkonsum schadet der
Umwelt: Für ein Kilo Karotten
braucht es 131 Liter Wasser,
für ein Kilo Rindfleisch 15.455
Liter – für Trinkwasser, Bewässerung der Futterpflanzen
und zur Stallreinigung.
Humusreiche Böden sorgen
für eine gute Klimabilanz:
Je humusreicher der Boden,
umso mehr CO2 kann er speichern. Ein Prozent Humus
pro Quadratmeter Boden hält
rund 10 Kilo CO2 gebunden.
Nikolai Ritter (l.)
und Mike Graner
experimentieren,
wieweit eine
Selbstversorgung
mit Gemüse überhaupt möglich ist.
“
„Einmal Bauernhof reicht nicht“
| Das Gespräch führte
Sylvia Einöder
V
Vernetzt
“
Die Pferde von Patricia Ermes’ „Lebenskoppel“ liefern
den Bio-Dünger
für den Acker. Es
herrscht ein reger
Austausch zwischen den Vereinen der „kleinen
Stadtfarm“.
Beraterin empfiehlt bewusst eingeplante
Erholungszeiten sowie einen kritischen
Blick darauf, was nun wirklich Betriebsarbeit ist und was Familienarbeit.
Auch die Übergabe des bäuerlichen Betriebs von einer Generation zur nächsten
kann zu Problemen führen. Kathrein er-
„
Oft rufen Menschen an, die nicht mehr
wissen, wo sie anfangen sollen zu arbeiten.
Viele haben Angst, den hohen Erwartungen
an sie nicht gerecht werden zu können.
“
or zwei Jahren hat Christoph Schmitz die „Gemüseackerdemie“alsPrivatinitiative in Potsdam lanciert – inzwischen betreut er mit einem kleinen
Team rund 50 Schulen. Ab Herbst
exportiert der promovierte Landwirt die „Ackerdemie“ an österreichische Schulen.
Die Furche: Worum geht es Ihnen
als „Gemüse-Ackerdemiker“?
Christoph Schmitz: Es geht um
ein modernes Schulgarten-Programm. Wir wollen, dass die Schulen wieder einen Lernort in der
Natur haben. Dazu haben wir ein
Bildungsprogramm entwickelt,
um die Schulen dabei zu unterstützen. Denn die Lehrkräfte haben keine Zeit, einen Schulgarten
aufzustellen, und oft auch keine
Expertise. Der ist ja nicht im Lehrplan verankert.
Die Furche: Wie sind Sie denn auf
die Idee gekommen?
Schmitz: Wir haben selbst einen
Schulbauernhof zu Hause, da kommen die Kinder nur einmal hin –
so kann kein wirkliches Lernen
stattfinden. Durch die „Gemüse­
ackerdemie“ begleiten sie den kleinen Samen bis zur fertigen Frucht
nach ökologischen Kriterien und
vermarkten das Gemüse auch noch
selbst. Die Kinder suchen sich einen Gemüsepaten, der ihnen das
Gemüse abnimmt. So lernen sie die
gesamte Produktionskette kennen.
Im Folgejahr übergeben die Kinder
einen fertigen Acker an die nächste
Klasse, sie können ernten und machen im Winter Theorie und Experimente. Wir rennen bei den Eltern
zug der Übergebergeneration in die
unterstützende Rolle.
Ein großer Teil der Arbeit hinter dem
Sorgentelefon besteht darin, auf weitere
psychosoziale, wirtschaftliche oder sozialrechtliche Betreuung für die Anrufer
zu verweisen, damit längerfristige und
weitreichende Veränderungsprozesse in
Gang gesetzt werden können. „Die meis­
ten brauchen ein Innehalten und systematisches Auseinanderklauben dessen,
was alles zu tun ist“, so Kathrein. Viele
Menschen brauchen auch einfach jemand Unbeteiligten, der zuhört. „Das Erzählen hilft schon ganz oft, weil man die
Zusammenhänge neu beschreiben und
überdenken muss.“ Deshalb rufen einige auch öfter an – wie die Bäuerin, deren
Mann immer häufiger zur Flasche greift.
Bäuerliches Sorgentelefon österreichweit
Mo–Fr: 0810 676 81
offene Türen ein, die selbst keine
Zeit für sowas haben, und auch bei
den Schulen.
Die Furche: Was sollen die Kinder
in der „Ackerdemie“ alles lernen?
Schmitz: Wichtig ist uns, den Bezug zur Natur herzustellen und
das Verständnis dafür, wo unsere
Lebensmittel herkommen. Viele
Kinder kennen Salat nur eingeschweißt und Karotten alle nur in
derselben Länge. Die andere Komponente ist das soziale Lernen,
dass die Kinder nicht nur im Klassenraum sitzen, sondern voneinander lernen. In der Natur lernen
sie soziale Fähigkeiten
wie Respekt oder Wertschätzung.
Die Furche: Und wie werden die kognitiven Fähigkeiten gefördert?
Schmitz: Die Kinder
können sich die Inhalte
besser merken und mehr
dazu erzählen, weil sie
Geschichten im Kopf haben. Wir wollen vermehrt an die Gymnasien
gehen, wo die Kinder fast
nur mit theoretischem
Kram in Kontakt kommen. Das
Lernen am Objekt, der sichtbare
Effekt, das Angreifen und Erfassen mit allen Sinnen, hat ja einen
Lernen am
Objekt
„Die Kinder sollen
Spaß an der Ackerdemie haben. Und
den Lehrern nehmen wir viel Arbeit
ab“, sagt Christoph
Schmitz, Gründer
der „Ackerdemie“.
„
Das Angreifen und Erfassen mit allen
Sinnen hat einen viel höheren Lerneffekt.
Die Kinder können mehr dazu erzählen,
wenn sie Geschichten damit verbinden.
viel höheren Lerneffekt. Für Kinder ist es ansonsten schwierig,
diese Transferleistung von der
Theorie in die Praxis zu schaffen.
Die Furche: Wie waren die Erfahrungen mit den ersten Klassen?
Schmitz: Viele Kinder sind total
überrascht, wenn sie eine lange
Karotte herausziehen können aus
dem Samen, den sie gesät haben.
Ein Mädchen hat bei der Tomaten-Ernte gesagt: „Ich habe noch
nie die runden Tomaten geges-
sen.“ Es stellte sich heraus, dass
sie Tomaten nur aus der FertigTomatensauce kannte. Von den
Lehrern bekommen wir oft die
Rückmeldung, dass gerade jene
Kinder, die im Unterricht nicht
so gut mitkommen, plötzlich eine
hohe Motivation zeigen. Im Garten zählen andere Fähigkeiten, etwa, wie fleißig und engagiert du
bist. Die Kinder können so zeigen,
dass
sie
mehr
können.
Die Furche: Ist das Projekt für
Brennpunkt-Schulen konzipiert?
Schmitz: Nicht nur, wir gehen an
alle Schulen, die mit uns arbeiten
wollen. Natürlich hat
man den stärkeren Effekt
in schwierigeren Umfeldern. Aber das Mädchen, das keine Tomaten kannte, war nicht aus
einem Problembezirk,
sondern vom Land. Wir
sind auch im ländlichen
Bereich tätig.
Die Furche: Sie wollen
die Lehrer entlasten?
Schmitz: Genau. Sie sind
zwar selbst mit den Kindern auf dem Acker, aber
wir richten den Acker ein, machen
die Anbau-Planung, helfen bei der
Vermarktung des Gemüses, bieten Lehrerfortbildungen an, geben
ihnen ein Curriculum und pädagogische Tipps für den Acker. Bei
der Kinderbetreuung werden sie
unterstützt von ehrenamtlichen
Mentoren. So kommen die Kinder
mit anderen Personen in Kontakt,
etwa engagierten Großeltern oder
Studierenden.
Die Furche: Nun wird das Projekt
in Österreich lanciert?
Schmitz: Hier wird das ab Herbst
in Kooperation mit der „kleinen
Stadtfarm“ in Schulen in und um
Wien umgesetzt. Der Großteil der
Kosten wird von uns getragen, ein
Anteil von den Schulen. Wir starten
mit einer Pilotschule und hoffen,
dass viele weitere dazukommen.
Foto: © Sylvia Einöder (1)
„
zählt von einem Fall, bei dem sich eine
Tochter bei der Hofübergabe übergangen
fühlt und kaum mehr Kontakt zu den Eltern hält. „Die Übergeber sind heute oft
noch fit, haben Angst, nichts mehr tun zu
dürfen und wert zu sein“, weiß Kathrein.
Deshalb brauche es den bewussten Rück-
Viele Kinder kennen Salat nur
eingeschweißt und Karotten alle
in derselben Länge. Sie sollen
die Produktionskette von Lebensmitteln verstehen lernen.
Die „Gemüse-Ackerdemie“ bringt den Acker an die Schule. Dabei lernen Kinder nicht
nur, wie man Salat anbaut, sondern erwerben gärtnernd viele andere Kompetenzen.
Innovativ
Durch das Riechen, Fühlen, Schmecken wird
bei dementen Menschen der Krankheitsfortschritt
gebremst. Wir stellen es uns schön vor, dass ältere
Menschen und Kinder nebeneinander gärtnern.
Kollegen lädt sie jeden Sonntag innovative
Köpfe zum Austausch zu sich auf die Koppel.
Manchmal kommt „LoBauer“ Ritter um
sechs Uhr morgens vor der Arbeit auf das
Feld. Er kennt jede Ecke, hat eine ganz spezielle Beziehung zu dem Stück Land. „Es
klingt jetzt albern oder esoterisch, aber
die Kommunikation mit der Natur gibt mir
Kraft. Ich binde mich hier an sichtbare und
sinnvolle Kreisläufe an.“ Er glaubt, dass sich
am Feld in wenigen Jahren Menschen mit
diversen kulturellen Hintergründen tummeln werden. Für all jene ohne Einkommen ist der Acker viel mehr als ein Hobby.
„Spätestens wenn der nächste Finanzcrash
kommt, wird das Gemüse hier auch für einige Österreicher ziemlich wichtig werden.“
„
Foto: Ackerdemia
Gegenüber vom Acker tönen Mozart-Klänge aus den Stallungen. Der spanische Lusitano-Hengst „Verdi“ läuft neben Esel-Wallach
„Bumsti“ am Zaun der „Lebenskoppel“ entlang. Die Tiere liefern den Bio-Dünger für
den Acker. „Um 12 Uhr kommen immer alle angetrabt und strecken den Kopf in den
Stall, wenn auf Radio Klassik Ave Maria gespielt wird“, lacht Leiterin Patricia Ermes.
Die Frau ganz in pink hat ihre Karriere als
klassische Sängerin eingetauscht gegen ihre neue Leidenschaft, die tiergestützte Therapie. Am Acker ist sie auch selbst am Jäten,
Pflanzen und Gießen. Gemeinsam mit den
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Das Thema der Woche | Echt erdig |
DIE FURCHE • 33 | 13. August 2015
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Nähere Infos unter:
www.ackerdemia.de
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