Alexander May (Inszenierung und Bühne)

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EINE OPER MIT DOPPELTEM BODEN
Carolin Nordmeyer (Musikalische Leitung), Alexander May (Inszenierung und Bühne),
Monika Staykova (Kostüme) und Ralf Waldschmidt (Dramaturgie) im Gespräch über Il re
pastore
Ralf Waldschmidt: Mozart war erst 19 Jahre alt, als er Il re pastore komponierte, es handelt
sich jedoch bereits um seine elfte Oper. Darauf folgte schon Idomeneo, eines der großen
Werke des Opernkomponisten. Ist diese Serenata eine „Jugendoper“, kann man das
„Jugendliche“ in dem Werk selber nachweisen?
Carolin Nordmeyer: Ich glaube schon, dass es hier „Jugendlichkeit“ in der Musik gibt, aber
die spürt man auch in jeder anderen Mozartoper. In Il re pastore ist jedoch deutlich zu
erkennen, dass die Figuren, die Mozart musikalisch darstellt, jung sind und das spürt man
auch in der Musik. Die Auftrittsarie von Elisa zum Beispiel sprüht vor Jugendlichkeit. Wenn
die Schäferin auftritt, dann funkelt, trillert und jubiliert es überall und man meint förmlich, die
gute Luft in den Bergen, das grüne Gras und die Blumen zu riechen. Aber es gibt auch andere
Arien, die von großer Reife zeugen und in denen man merkt, dass die Figuren der Oper eben
nicht nur jung und frisch sind, sondern dass sie schon viel erlebt haben, sich Gefühle
entwickeln und diese für die Figuren an Bedeutung gewinnen. Das Rondeaux von Aminta
etwa ist in dieser Hinsicht an Ruhe und Reife ein großes Zeugnis. „Jugendoper“ ist ein Etikett,
das man hier und da verwenden kann, aber Mozart wendet in dieser Oper viele seiner „Tricks
und Kniffe“ an, die weit über das Gefühl hinaus weisen, es würde sich hier um eine frühe
Oper oder gar ein Singspiel handeln. Gerade in der Instrumentation tritt das deutlich zu Tage.
Wenn Mozart den König in seiner Auftrittsarie mit Pauken und Trompeten erscheinen lässt,
ihn in seiner zweiten Arie dann aber, bar seiner Königsinsignien, mit virtuos konzertierenden
Flöten auftreten lässt und Alessandro sich in einer ganz eitlen Art und Weise selbst
beweihräuchert, dann sind dies schon sehr weitreichende und hintergründige Mittel der
Darstellung.
Ralf Waldschmidt: Die Geschichte jedenfalls handelt von jungen Menschen. Was für ein
Lebensgefühl steckt in diesem Stück?
Alexander May: Auf jeden Fall ein Lebensgefühl, das mit Neubeginn zu tun hat. Beim
Schäfer Aminta spürt man zum Beispiel, dass er im Umgang mit seiner Geliebten Elisa noch
nicht viele sexuelle Erfahrungen hat. Wie intim ihre Beziehung tatsächlich ist, wird nicht
ausgesprochen, aber die beiden sind durch ihr Vorhaben zu heiraten, kurz davor, einen neuen
Lebensabschnitt zu beginnen. Im ersten Drittel der Oper überbringt Elisa die frohe Botschaft,
dass ihr Vater sein Einverständnis zur Heirat gegeben hat, doch da taucht plötzlich der Berater
Alexanders des Großen auf und verkündet, dass Aminta König werden soll. Auch Tamiri, die
junge Prinzessin des vertriebenen Tyrannen Strato, steht in ihrem Leben vor einem Umbruch.
Da sie meint, gesucht zu werden und daher um ihr Leben fürchtet, lebt sie inkognito bei Elisa
– bis ihr früherer Geliebter Agenore erscheint und Tamiri damit wieder vor eine neue
Situation gestellt wird. Es geht in der Geschichte also um lauter junge Menschen, die kurz vor
großen Entscheidungen und Wendungen in ihrem Leben stehen.
Ralf Waldschmidt: Das Stück steht für Mozart nicht nur bezüglich seiner Biographie,
sondern auch formal an einer Grenze. Es trägt die merkwürdige Gattungsbezeichnung
„Serenata“ und darüber, wie die Uraufführung tatsächlich ausgesehen hat, ist nichts
Genaues bekannt. Gerade in den Arien verwendet Mozart viele Opera-seria-Formen, die eher
aus der Barockoper kommen. Trotzdem hat Il re pastore tatsächlich – trotz seiner manchmal
vielleicht etwas schematischen und bereits zu Mozarts Zeiten historischen Formen – etwas
Neues, Lebendiges, etwas vielleicht doch Jugendliches. Diese Musik, finde ich, strahlt. Mozart
hat somit – wie auch schon in anderen Stücken – zwei Dinge gleichzeitig geschafft: er erfüllt
eine Form und legt viel Psychologie in das Stück. Wie geht man damit um? Wir wollen ja
nicht den Besuch eines Erzherzogs am Hof des Salzburger Erzbischofs nachstellen, sondern
wir versuchen mit dem Material etwas von heute zu erzählen. Daher haben wir einen
besonderen Spielort ausgesucht: das Foyer. Hat denn das Foyer musikalisch und szenisch
besondere Gesetze, besondere Konsequenzen? Kann man dort überhaupt Oper machen?
Carolin Nordmeyer: Man kann dort ganz hervorragend Oper machen. Der Raum schreit
förmlich danach, sich darin auszutoben, alle Ecken auszuspielen und sich darin auszubreiten.
Das Foyer ist ein Raum, der vieles gleichzeitig möglich macht, weil er zum Beispiel durch die
hohe Decke eine große Weite ausstrahlt und trotzdem sehr eng ist und der – wie wir es in den
Proben mit den durchwegs jungen Sängerinnen und Sängern gemerkt haben – doch eine
Menge anstellt. Sich in diesem Raum zu bewegen, ist eine große Herausforderung.
Musikalisch funktioniert das wunderbar, weil der Raum für die Zuschauer und Zuhörer – die
sich ja sozusagen mitten im Geschehen befinden – einen Klang wiedergibt, den man sonst gar
nicht so erzeugen kann. In diesem Klang zu baden und ihn eigentlich fast schon anfassen zu
können, das ist sehr reizvoll.
Alexander May: Für unsere konzeptionelle Ausgangssituation ist der Raum auf jeden Fall
sehr gut geeignet. Die Zuschauer befinden sich nicht in einer üblichen Theatersituation,
sondern sie sitzen am Rand des Foyers und schauen in einen Raum hinein, in dem fünf
gedeckte Tische stehen. Man hat den Eindruck, die Tische seien für die Pause vorbereitet, nur
mit dem Unterschied, dass Zuschauer darum herum sitzen. Auf einmal hört man Lärm im Flur
und man stellt fest, dort sind Leute, die nach irgendetwas suchen und aufgeregt sind. Sie
betreten plötzlich den Raum, erkennen, dass sie an diesem Ort richtig sind und der Zuschauer
sieht, wie diese jungen Leute sich entscheiden, in diesem Raum ihre Oper zu spielen. Die
Vorgeschichte dazu könnte folgendermaßen heißen: fünf Sänger ziehen durch Deutschland
und müssen in jeder Stadt ein Gebäude finden, in dem sie ihre Il re pastore-Oper aufführen
können. Diesen doppelten Boden spürt man mehrfach. Es gibt immer wieder Beziehungen
zwischen den Sängern, die mit der Geschichte Il re pastore nichts direkt zu tun haben, die
aber mit der Geschichte der jungen Sänger zu tun haben. Das ermöglicht ein schönes Spiel auf
zwei Ebenen. Das heißt, man befindet sich nicht in einem fremden Land der Antike, sondern
man ist immer in der Stadt Augsburg im Theaterfoyer und sieht, wie die Welt von Il re
pastore durch die Musik und durch das Spiel entsteht.
Ralf Waldschmidt: Was bedeutet das für die Kostüme?
Monika Staykova: Wir erzählen diese Geschichte mit sehr minimalistischen Mitteln, daher
sind die Kostüme und das Aussehen der Figuren sehr wichtig. Sehr reizvoll ist das Konzept,
dass die jungen Leute im Foyer spielen, privat herein kommen und dann ihre Kostüme vor Ort
finden. Dadurch entsteht eine Atmosphäre des „Hineinschlüpfens“ in das Stück. Es werden
somit neue Situationen geschaffen und die Figuren entpuppen sich mit der Erzählung immer
mehr und mehr durch ihre Kleidungsstücke, die sie dann anziehen. Außerdem haben wir
versucht, alle Charaktere sehr genau zu zeichnen, zum Beispiel, indem der König die Farben
Rot und Gold erhalten hat. In der Naturwelt des Schäfers und seiner Geliebten hingegen
finden wir eher Pastelltöne und helle Farben. Darüber hinaus arbeiten wir sehr viel mit
unserem Schafsmotiv, das im Bühnenbild enthalten ist und das wir auch in den Kostümen
wiederentdecken werden.
Ralf Waldschmidt: Il re pastore handelt auch von der Identitätssuche junger Leute, die nicht
wissen, wer sie sind – oder nicht sind, was sie scheinen. Wie setzt man das um, ohne das
Publikum mit dieser Zweigleisigkeit zu verwirren? Und was ich bei den Kostümen noch nicht
ganz heraushören konnte, hat jeder zwei Kostüme, so dass das Verkleiden offensichtlich
wird?
Monika Staykova: Ja, jeder hat zwei Kostüme. Die Sänger werden in das Stück hinein
steigen. Das heißt, sie kommen als ganz normale Privatleute, privat gekleidet, jeder bekommt
seine Rolle und so werden sie sich dann verkleiden. Dieses „sich Umziehen“ wollen wir
sichtbar machen, so dass wir dem Zuschauer den Prozess wirklich erzählen können. Es ist
nicht wie auf der großen Bühne, wo man hinkommt und ein kompliziertes Bühnenbild
vorfindet, sondern bei uns ist alles sehr nah am Zuschauer, nah am Geschehen dran. Wir
haben uns Mühe gegeben, die Merkmale so zu erarbeiten, dass sie wirklich Stärke und
Bühnenpräsenz haben. Zum Ende des Stückes werden die Darsteller teilweise wieder in ihre
Privatsphäre, Privatwelt und Privatkleidung sichtbar zurückkehren, das ist natürlich sehr
spannend.
Ralf Waldschmidt: Das heißt, dass man gleichzeitig zwei Identitäten haben kann. Das trifft
besonders auf Aminta zu, den Königssohn, der das gar nicht weiß. In der Uraufführung hatte
man für die Rolle des Aminta einen Kastraten, jetzt wird er von einer Sopranistin verkörpert.
Ist dieser Wechsel zwischen den Identitäten etwas, was das Stück vielleicht gerade für junge
Leute verständlich macht?
Alexander May: Was jungen Leuten bestimmt Spaß macht zu sehen, ist, dass wir sehr frech
mit der Situation umgehen; wie wir aus den Rollen aussteigen und dann wieder in die Rollen
einsteigen. Eine solche Situation hatten wir gerade heute in der Probe bei der zweiten
Agenore-Arie. Agenore ist darin sehr aufgebracht und wütend und mitten in der Arie gibt es
eine Stelle, an der ihn die Kollegen, die eigentlich gar nicht in dieser Szene sind, zu seinen
tollen Ideen beglückwünschen, die er für den ersten Teil hatte. Er reagiert auch für einen
kurzen Augenblick darauf, wechselt dann gleich wieder zurück in seine Situation und spielt
mit großer Wut und Aggression weiter. Und so etwas kann – weil es im Laufe des Abends
bereits etabliert ist – sehr viel Spaß machen. Man sieht, wie man mit Gefühlen Theater spielt
und singt.
Ralf Waldschmidt: Mozart hat in der Partitur konzertierende Instrumente eingesetzt.
Verfolgte er damit bestimmte dramaturgische Absichten?
Carolin Nordmeyer: Ganz bestimmt. In Amintas zweiter Arie, dem Rondeaux, löst sich die
Sologeige wie ein zweites Ich, wie ein Seelenschatten heraus. Es öffnet sich in der Tat in
dieser Arie ein Tor zum Himmel, zu einer anderen Welt. Dies geschieht gerade an dem Punkt,
an dem Aminta eigentlich den Entschluss gefasst hat, seine „Sandkastenfreundin“ Elisa zu
heiraten. Doch nun muss er sich entscheiden, ob er dem Staatswohl folgt und die Position des
Königs einnimmt oder sein persönliches Glück verfolgt. Das Rondeaux ist ein völliger
Zeitstillstand und ein Ausblick, der größte Ausblick in seine Seele. Das ist anders, als in
anderen Arien, die zum Teil eher „Darstellungsnummern“ sind. In dieser Arie zeigt er sich
wirklich selbst. Da wird nichts dargestellt, sondern es geht sein „Herz auf“, es ist eine
Offenbarung und das zeigt sich auch in der Musik ganz deutlich. Die Arie ist sehr speziell und
hat ganz viel Zauber in sich. Die Streicher haben, bis auf die Bassgruppe, alle einen Dämpfer
und das ergibt einen sehr schattigen Klang. Es gibt außerdem zwei Englisch-Hörner – was so
gut wie nie vorkommt, meistens ist es ein Englisch-Horn –, dazu zwei Flöten, zwei Fagotte;
das ist eine ganz andere klangliche Welt, als in den angrenzenden Nummern. Dazu kommt die
Solovioline, die sich aus dem Klang herauslöst und in den schönsten Geigenfarben singt und
jubiliert. Das ist ein wirklich ganz besonderer Moment. Die konzertierende Flöte in
Alessandros zweiter Arie dagegen ist eher so etwas wie ein kecker Begleiter. Das hat viel
damit zu tun, dass sie einen sehr virtuosen Part zu spielen hat, was in der Geigenstimme nicht
der Fall ist. Die Geige hat keine virtuose, sondern eine sehr zarte, sehr intime und seelenhafte
Stimme. Die Flöte hingegen hat ein bisschen etwas von einem Springinsfeld, da darf jemand
sein Virtuosentum darstellen. Das passt sehr gut in die Situation, in der dieser eitle Alexander
– der trotzdem nicht unsympathisch ist – sich selbst darstellt.
Ralf Waldschmidt: Noch ein Wort zu Alexander. Il re pastore ist nicht nur von Mozart,
sondern auch von Gluck, von Hasse und anderen Komponisten des 18. Jahrhunderts vertont
worden und war meist eine Huldigungsoper für einen Herrscher. Das heißt, ursprünglich war
Alexander die Figur, auf die das Stück eigentlich zugelaufen ist, heute erscheint Alexanders
Nimbus eher fragwürdig.
Alexander May: Alexander ist auf jeden Fall sehr schnell in seinen Entscheidungen und er
glaubt, dass die Dinge, die ihm einfallen, alle richtig sind, weil er wahrscheinlich außer
Regieren nie etwas anderes gemacht hat. Er hat zwar seine Ratgeber um sich, aber es fehlt
ihm der Blick für die Bedürfnisse der Menschen um ihn herum. Das macht das Stück auch
modern, denn das ist ja auch ein Punkt, an dem wir in der heutigen Politik manchmal das
Gefühl haben, die Politiker sollten einmal mehr auf die Bedürfnisse der Menschen schauen,
als sich um sich selbst zu drehen. Und das lässt Alexander ziemlich egoistisch erscheinen.
Aber Alexander ist, auch mit seiner Egozentrik und mit der Art und Weise wie er mit seinen
Ideen umgeht, total schrullig und dadurch auch sehr liebenswert. Es fällt nur schwer, ihn von
Außen wirklich ernst zu nehmen. Wahrscheinlich war das im 18. Jahrhundert anders, aber mir
ist das bei der Beschäftigung mit der Figur sehr schwer gefallen. Er ist eine sehr komische
Figur.
Ralf Waldschmidt: Drückt sich das auch in seinem Kostüm aus?
Monika Staykova: Ja, das werden wir sehen. Er ist auf jeden Fall prächtig ausgestattet; mit
Glanz und Gloria.
Alexander May: Eine Sache möchte ich noch sagen. Ich inszeniere zum ersten Mal eine
Oper. Was sich mir in dieser Arbeit erschlossen hat und was mir früher nicht so bewusst war,
ist, wie eine Arie überhaupt zustande kommt. Und zwar spreche ich von der Tatsache, dass
die Figur in ihrer Szene an einen Punkt kommt, an dem Worte nicht mehr ausreichen und sie
deswegen in eine andere Form übergehen muss. Für meine Arbeit heißt das, dass ich
innerhalb der Szene immer wieder nach der Situation suche, in der die Figur einen
Druckpunkt hat, von dem aus sie in eine andere Emotion abspringen kann und die dann in der
Arie verhandelt wird. Das haben wir durch die Zweisprachigkeit noch unterstrichen. Die
Rezitative finden auf Deutsch statt und wenn die Worte nicht mehr ausreichen, die Freude
oder die Gefühle zu groß werden, muss eben ein „Lied“ – und zwar auf Italienisch – gesungen
werden. Und das ist für mich eine spannende Erkenntnis innerhalb meiner Arbeit; ein
interessanter Gedanke, der auch dem Zuschauer den Wechsel zwischen den Sprachen erklärt.
Das Gespräch wurde im Oktober 2009 in Augsburg geführt.
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